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Die Aufforderung, die Mützen in die Höhe zu werfen und dem Fortschritt der Erleuchtung ein »Hurrah« zu bringen, ist heut zu Tage jedesmal von solch schmetternden Trompetenstößen und einem so gewaltigen Trommelwirbeln begleitet, daß man sich, in Folge des allen denkenden Wesen inne wohnenden Widerspruchsgeistes, versucht fühlt, die Ohren zuzuhalten und zu sagen:
»Sachte, sachte; das Licht ist geräuschlos; wie kommt denn die ›Erleuchtung‹ dazu, einen solchen Lärmen zu machen? Inzwischen, wenn es nicht ungezogen ist, bitte, wohin lenkt denn eigentlich die Erleuchtung ihre Schritte?«
Man stelle einmal diese Frage an sechs der lautesten Schreier in der Prozession, und ich wette zehn Pence gegen ganz Californien, man wird sechs verschiedene, sechs unbefriedigende Antworten erhalten.
Der Eine, ein achtungswerther Gentleman, welcher zu unserem großen Erstaunen darauf besteht, sich »einen Sklaven« zu nennen, aber eine merkwürdig freie Art hat, seine Meinung aufzudrücken, wird erwidern
»Die Erleuchtung schreitet auf die sieben Punkte der Charte zu.«
Ein Anderer, mit dem Haar à la jeune France geschnitten, der an der Frau seines Freundes Wohlgefallen findet und in seiner eigenen in gewisser Beziehung ein Hinderniß erblickt, versichert, der Fortschritt gelte den Rechten der Frauen, dem Reiche der socialen Liebe und der Vernichtung tyrannischer Vorurtheile.
Ein Dritter, der wie ein wohlhabender Mann aus der Mittelklasse aussieht und in seinen Hoffnungen bescheidener ist, weil er weder den Schädel durch seinen Laufjungen eingeschlagen, noch seine Frau durch den Lehrling nach einem Agapemone The Agapemonites or Community of The Son of Man war eine von Henry Prince in Spaxton, Somerset, gegründete christliche Sekte, die von 1846 bis 1956 existierte. Ihr Name stammt von dem griechischen Wort Agapomene, »Wohnsitz der Liebe«. entführt zu haben wünscht, läßt die Erleuchtung keinen Schritt weiter gehen, als bis zu einer Belagerung des Adelshandbuchs und einer Beschießung des Budget. Ungroßmüthiger Mann. Der Fortschritt, welchen er eindämmen will, wird bald mit den Füßen auf ihm herumtreten. Niemand fährt so übel in einem Gedränge, als wer in die Mitte eingekeilt ist.
Ein Vierter mit wildem, träumerischem Blick, als wäre die Höhle des Trophonius Nach Pausanias soll Trophonios zusammen mit einem Bruder Agamedes für den König Hyprieius von Böotien eine Schatzkammer gebaut ihm dann seine Reichtümer gestohlen haben. Der König stellte den Dieben eine Falle, indem er eine Schlange in der Schatzkammer aussetzte. Agamedes wurde von der Schlange gebissen und starb – daraufhin schnitt Trophonios ihm den Kopf ab und nahm ihn mit, damit der König den Körper nicht identifizieren konnte. Dann floh Trophonios in die Höhle von Lebadeia und wurde nie wieder gesehen. seine Heimath, ein Mystiker und Anhänger des thierischen Magnetismus Animalischer Magnetismus, auch Mesmerismus ist die Bezeichnung für eine dem Elektromagnetismus analoge Kraft am Menschen, die von Franz Anton Mesmer (1734–1815) propagiert wurde. Die davon abgeleitete Heilmethode, die auch Hypnosetechniken einsetzte, erfuhr zwischenzeitlich große öffentliche Beachtung. Sie war zeitgenössisch von erheblicher medizinischer und geisteswissenschaftlicher Bedeutung, wurde aber seit Mitte des 19. Jh. zunehmend abgelehnt., glaubt, die Erleuchtung eile in vollem Laufe den guten alten Tagen der Alchymisten und Necromanten Die Alchemie ist ein alter Zweig der Naturphilosophie und wurde im Laufe des 17. und 18. Jh. von der modernen Chemie und der Pharmakologie begrifflich abgetrennt und schließlich durch diese Fächer ersetzt. – Nekromantie: Totenbeschwörung. zu.
Ein Fünfter, welchen man für einen Quäcker Das Wort Quäker (quaker, »Zitterer«) war ein früher Spottname, der für die Mitglieder der Religious Society of Friends verwendet, jedoch bald von den Mitgliedern selbst adaptiert wurde. Es geht zurück auf ihren Gründer George Fox, der seinen Anhängern sagte, »sie müßten erzittern vor dem Wort Gottes«, worauf ein damaliger Richter 1650 sie »Quäker« nannte. Die Herkunft des Namens aufgrund des ekstatisches Verhaltens der Mitglieder bei den Zusammenkünften ist dagegen eine Legende. halten könnte, versichert, der Fortschritt der Erleuchtung sei ein Kreuzzug für allgemeine Menschenliebe, Pflanzenkost und Erhaltung des Friedens durch Reden, welche allerdings eine, den Philippiken des Demosthenes Siehe Anm. 159. ganz entgegengesetzte Wirkung hervorbringen.
Der Sechste (ein guter Kerl ohne einen Fetzen auf dem Leibe) kümmert sich keinen Strohhalm darum, wohin die Reise geht. Schlimmer kann er es nicht bekommen, als er es schon hat; und es ist für ihn ganz bedeutungslos, ob er zu dem Hundsstern hinauf oder in einen bodenlosen Abgrund hinunter fährt.
Indessen sage ich nichts gegen den Fortschritt, so lange wir den Weg gemeinschaftlich gehen. Was auch passiren mag, wir sind in guter Gesellschaft, und obwohl ich von Natur ziemlich viel Gleichmuth besitze und lieber bei Locke und Burke John Locke (1632-1704), einflussreicher englischer Philosoph und Vordenker der Aufklärung; Vater des Liberalismus, zusammen mit Newton und David Hume Hauptvertreter des britischen Empirismus; einer der bedeutendsten Gesellschaftsvertragstheoretiker im frühen Zeitalter der Aufklärung. – Edmund Burke (1729-1797), irisch-britischer Schriftsteller, Staatsphilosoph und Politiker in der Zeit der Aufklärung; geistiger Vater des Konservatismus. (so schwerfällige Bursche sie sind) zu Hause bliebe, als daß ich mir die Gedanken in ein Chaos von Verwirrung bringen lasse durch diese verwünschten Paucken und Trompeten, geschlagen und geblasen von Gesellen, welchen ich – bei allen Heiligen sei es geschworen! – nicht eine Fünfpfundnote anvertrauen möchte, so muß ich mit, weil es eben sein muß; und so hole der Kukuk den Hintersten.
Wenn es sich aber um das einzelne Individuum handelt, welches für eigene Rechnung vorwärts drückt, die Freidenker und Condottieri Condottiere: Söldnerführer, wie ihn die italienischen Stadtstaaten vom späten Mittelalter bis in die Mitte des 16. Jh. beschäftigten. der Erleuchtung, welche ihre Taschen mit Phosphorzündhölzchen gefüllt haben und für die Scheunen und Heuschober ihrer Nachbarn eine erhabene Verachtung fühlen, so sehe ich nicht ein, warum sich die Verzückung und Bewunderung bis in den siebten Himmel versteigen soll.
Wenn diejenigen, welche ewig von den himmlischen Segnungen der Erleuchtung: Verbreitung des Wissens über die ganze Erde u. s. w., predigen, ihre Augen gehörig aufmachen und sich umsehen wollten, so möchte ich sie ehrerbietigst fragen, ob sie nie einem sehr kenntnisreichen und erleuchteten Gentleman begegnet sind, dessen Bekanntschaft durchaus nicht wünschenswert ist? Wenn nicht, so können sie von ungeheurem Glücke sagen. Jedermann muß nach seiner eigenen Erfahrung urtheilen; und die größten Spitzbuben, die ich je getroffen habe, waren erstaunlich gut unterrichtete, gescheidte Kerls! Vor Strohköpfen und Einfaltspinseln können wir auf unserer Hut sein, aber einem so genialen Gentleman gegenüber, welcher durch und durch Erleuchtung und ohne Vorurtheil ist, können wir nur rufen: »Der Himmel schütze uns!«
Es ist wahr, der Spitzbube (wenn er noch so erleuchtet ist), bringt es für sich selbst in der Regel zu nichts Gutem (freilich nicht, ohne vorher seinem Nächsten Schlimmes genug zugefügt zu haben). Aber dies beweist nur, daß die Welt von Denjenigen, welche sie belohnen soll, noch etwas Anderes verlangt, als Intelligenz per se und in abstracto; und daß die Welt viel zu alt ist, um jedem Pfiffikus zu gestatten, daß er zu seinem eigenem persönlichen Vergnügen ihre Trauben abschneide. Deßhalb wird ein Mann von sehr mittelmäßiger Intelligenz, der an einen Gott glaubt, sein Herz menschlichem Mitgefühl nicht verschließt und die Geldkisten Anderer in Ruhe läßt, vielleicht zu viel größerer Macht gelangen, als ein Spitzbube je durch sein Wissen.
Ich höre den Schrei der Entrüstung über mich aus dem Munde jener bornirten Menschen, welche sonderbarer Weise die leichtgläubigsten Vergötterer der Erleuchtung sind und, wenn Wissen Macht wäre, auf einem Düngerhaufen elend umkommen müßten; und doch bin ich überzeugt, alle wirklich erleuchteten Menschen werden darin mit mir einverstanden sein, daß, wenn wir auf eine der fortschreitenden Erleuchtung angehörende Abtheilung Scharfschützen stoßen, kein Grund für uns vorhanden ist, die Zielscheibe für sie abzugeben, weil die Erleuchtung sie mit einer Büchse versehen hat.
Ohne Zweifel ist dem verständigen Leser nicht entgangen, daß von den zahlreichen, in diesem Werke ausgeführten Charakteren der größere Theil zu derjenigen Classe gehört, welche man die intelligente nennt – daß durch sie die menschliche Intelligenz in ihren verschiedenen Formen und Richtungen zergliedert und entwickelt wird. Hienach wäre die vorliegende Geschichte, richtig betrachtet, eine Art bescheidenen Familienepos oder, wenn man lieber will, ein großes ernstes Lustspiel über die Wechselformen des englischen Lebens in unserem Jahrhundert, von den bedeutenden Vertretern der Intelligenz in Scene gesetzt. Und wo gewöhnlichere und weniger verfeinerte Typen dieser Classe das Bild der vorüberziehenden Generation abrunden und vervollständigen, werden sie oft durch den Gegensatz die Mängel andeuten, welche bei bloßer Pflege der Intelligenz dem menschlichen Wesen ankleben.
Ich bin gewiß nicht gegen Intelligenz und Erleuchtung. Der Himmel bewahre mich davor, ein solcher Barbar zu sein! Ich rede nur dem gemeinen Menschenverstand und ehrlichem Spiele das Wort. Ich verlange von einem tüchtigen Manne durchaus nicht, daß er ein Engel sein soll, aber wenn Herz und Kopf bei ihm zusammen passen und über beiden auf ihrer großen Wanderung die göttliche Oriflamme Die vom 12. bis zum Anfang des 15. Jh. geführte Reichs- und Kriegsfahne der französischen Könige. leuchtet, so wird er den Engeln so nahe kommen, als es der menschlichen Natur nur immer möglich ist; wo nicht, ist das Verhältniß des Herzens zum Kopfe wie dasjenige eines Penny zu einem Pfunde, dann sage ich: »B on jour, mon ange! Die geflügelten Sternenschwingen sehe ich nicht, aber den nachhinkenden Pferdefuß.« Lieber lasse ich mich von dem Squire Hazeldean verdummen, als von Randal Leslie erleuchten. Jeder nach seinem Geschmacke.
Die Intelligenz (nicht im philosophischen, sondern im gewöhnlichen Sinne des Wortes) ist übrigens selten, ja beinahe nie, eine abgeschlossene, harmonische Thätigkeit. Sie ist nicht Ein bestimmtes Vermögen, sondern ein Gemisch von vielen, welche theilweise mit einander im Kriege leben und den Einklang des Ganzen stören. Wenige von uns besitzen irgend ein vorherrschendes Vermögen, welches in sich selbst eine Kraft ist, und, wo es sich findet, reißt es zur Unzeit die Herrschaft über die anderen an sich und theilt das Loos jeder, auch der glänzendsten Tyrannei: es vermag das Reich weder nach Innen gegen Zerrüttung, noch nach Außen gegen feindliche Angriffe zu schützen. Deswegen hat die Intelligenz auf einen Mann von schlechten Grundsätzen oft einen ganz verkehrten, und auf einen Anderen, welcher vom besten Willen beseelt ist, zuweilen gar keinen Einfluß, weil im ersteren Falle die nöthige Zucht, im zweiten ein festes Ziel fehlt.
Ich zweifle, ob Männer, welche in Folge ihres Talents in hohen Ehren stehen, nicht schon klügeren Leuten begegnet sind, die es noch zu gar keinen Ehren gebracht haben. Männer, wie Audley Egerton, sieht man stets bedeutende Stellungen im Leben einnehmen, während Männer, wie Harley L'Estrange, welche jenen bei einem gemeinschaftlichen Wettstreite weit überlegen sein würden, den Strom hinunter schwimmen und, wenn nicht ein plötzlicher Antrieb ihre schlummernde Thatkraft weckt, unbemerkt zu Grabe gehen. Würden Hamlet und Polonius in jetziger Zeit leben, so hätte Polonius weit mehr Aussicht auf einen Ministerposten, obgleich Hamlet unzweifelhaft ein viel intelligenterer Charakter wäre. Was würde aus Hamlet werden? Der Himmel weiß es! Doctor Arnold Thomas Arnold (1795-1842), englischer Pädagoge und Historiker. sagt, nach seiner Schulerfahrung unterscheide sich ein Mensch von dem anderen nicht blos durch Fähigkeit, sondern auch durch Thatkraft. Es liegt viel Wahres in diesem Ausspruche.
Indem ich diese Andeutungen dem Urtheil und Scharfsinn des Lesers unterbreite, gehe ich zu einer neuen Abtheilung dieses Werkes über und sehe bereits im Hintergrunde Randal Leslie sich auf die Lippen beißen. Der deutsche Dichter bemerkt, die Kuh der Isis sei für die Einen das göttliche Symbol des Wissens, für die Anderen nur die Milchkuh, deren Werth sich lediglich darnach bemesse, wie viel Pfund Butter sie gebe.
Friedrich Schiller, in »Xenien und Votivtafeln«:
Wissenschaft
Einem ist sie die hohe, die himmlische Göttin, dem andern
Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt. O über den Hang unseres Zeitalters, in der Isis die Milchkuh zu erblicken! O über die Herabwürdigung der erhabensten Bestrebungen zu den niedrigsten Verwendungen! Blicke auf die Göttin, Randal Leslie, und halte dein Rührfaß und deine Wagschalen bereit. Wir wollen sehen, was die Butter auf dem Markte gelten wird.
Ein neues Regiment hat begonnen. Die allgemeine Wahl ist zu Ende; die Unbeliebtheit des Ministeriums ist auf den Tribünen klar zu Tage getreten. Audley Egerton, welchem bisher immer eine gewaltige Majorität zu Gebot stand, ist der Niederlage kaum entgangen – ein Mehr von nur fünf Stimmen. Die Kosten der Wahl sollen fabelhaft gewesen sein. »Wer kann aber auch gegen einen Reichthum aufkommen, wie ihn Egerton besitzt, für den sich im Nothfall auch der Staatsbeutel öffnet?« sagte der geschlagene Mitbewerber. Es ist in der Zweithälfte des Oktober; die Londoner Welt hat sich eingefunden, das Parlament wird in weniger als vierzehn Tagen zusammentreten.
In einem der elegantesten Zimmer eines Hotels, in welchem Ausländer lernen können, was englischer Comfort heißen will, und welche Preise sie dafür bezahlen müssen, saßen zwei Personen in eifrigem Gespräch neben einander. Die eine war eine Frau, deren blasse, klare Gesichtsfarbe und rabenschwarzes Haar, deren ausdrucksvolle Augen, wie sie den Schönheiten des Nordens selten verliehen sind, uns Beatrice, die Marchesa di Negra, erkennen lassen.
So schön die Italienerin unstreitig war, so zog doch ihr Gefährte, obgleich dem männlichen Geschlechte angehörend und über das mittlere Alter hinaus, durch körperliche Vorzüge noch mehr die Blicke auf sich. Die Familienähnlichkeit zwischen Beiden war unverkennbar, aber ebenso der Gegensatz in Mienen, Haltung und allen jenen Merkmalen für die Eigenthümlichkeit eines Charakters.
In Beatrice's Antlitz konnte man bei genauer Beobachtung Würde, Ernst und Leidenschaft lesen; ihr Lächeln war vielleicht zu Zeiten falsch, aber selten war es ironisch, nie cynisch. Ihr Geberdenspiel anmuthig, ungezwungen und lebhaft. Die Tochter des Südens verleugnete sich nicht.
Ihr Gefährte dagegen erinnerte mit seinem schönen, glatten Gesichte, in welchem sich die Jahre kaum durch eine Linie oder Falte bemerklich machten, an Etwas, was man auf den ersten Blick für den Leichtsinn und die Gedankenlosigkeit einer heiteren, jugendlichen Natur halten konnte; aber in das ausnehmend verbindliche Lächeln mischte sich zuweilen höhnischer Spott. Seine Bewegungen waren gemessen und ohne alles Geberdenspiel, wie bei Engländern. Sein Haar war von jener rothbraunen Farbe, mit welcher die italienischen Maler so wunderbare Effekte erzielen; und wenn auch da und dort ein Silberfaden zwischen den Locken durchglänzte, verlor er sich gleich wieder unter der reichen Fülle derselben. Seine Augen waren hellgrau und der farblose Teint außerordentlich durchsichtig. Seine Schönheit wäre eher diejenige eines Weibes, als die eines Mannes gewesen, ohne die Höhe und sehnichte Magerkeit einer Gestalt, deren bewundernswürdig proportionirter Bau die Muskelkraft nicht sowohl verbarg, als ihr zur Zierde gereichte. Nie hätte man in diesem Manne den Italiener vermuthet, viel eher einen Pariser. Er drückte sich in französischer Sprache aus, der Schnitt seines Kleids war französisch, sogar seine Art zu denken, schien französisch: nicht wie die Franzosen heut zu Tage sind – entweder rohe, oder zurückhaltende Geschöpfe, sondern wie man sich den Marquis des alten régime Siehe Anm. 34, den roué Vornehmer Lebemann, auch: ›Wüstling‹. der Regentschaft vorstellt.
Er war übrigens ein Italiener, und zwar aus einem in der Geschichte Italiens berühmten Geschlechte. Er schien sich aber seines Vaterlandes und seiner Geburt zu schämen; denn er gefiel sich in der Rolle eines Weltbürgers. Der Himmel stehe der Welt bei, wenn sie nur solche Bürger hat!
»Aber Giulio,« sagte Beatrice di Negra in italienischer Sprache, »selbst vorausgesetzt, daß du dieses Mädchen entdeckst, kannst du glauben, ihr Vater werde je in eure Verbindung einwilligen? Dazu kennst du doch gewiß den Charakter deines Verwandten zu gut.«
» Tu te trompes, ma soeur,« Du irrst dich, meine Schwester. versetzte Giulio Franzini, Graf von Peschiera, wie gewöhnlich in französischer Sprache, » tu te trompes; ich kannte ihn, ehe er Verbannung und Noth durchgemacht hatte. Wie kann ich ihn jetzt kennen? Aber beruhige dich, meine allzu ängstliche Beatrice, ich werde mich um seine Einwilligung nicht eher kümmern, als bis ich die seiner Tochter habe.«
»Aber wie diese erlangen, wenn der Vater dagegen ist?«
» Eh, mordieu!« Meine Güte! unterbrach sie der Graf mit ächt französischer Heiterkeit. »Was sollte aus all' den Comödien werden, die schon geschrieben worden sind, wenn nie Heirathen gegen den Willen des Vaters geschlossen würden? Sieh,« fuhr er mit einem leichten Zusammenpressen der Lippe und mit einem noch leichteren Rücken auf seinem Stuhle fort, »sieh, nicht das Wenn und Aber ist hier die Frage, sondern das Sollen und Müssen – eine Frage der Existenz für dich und mich. Als Danton zur Guillotine verurtheilt wurde, warf er seinem ehrwürdigen Richter ein Brodkügelchen auf die Nase und sagte: › Mon individu sera bientôt dans le néant.‹ »Mein Person wird bald im Nichts sein.« – Georges Danton (1759-1794), französischer Revolutionär und Politiker, der während der Französischen Revolution Justizminister und Leiter des ersten Wohlfahrtsausschusses gewesen war, wurde, weil er sich gegen die Fortsetzung der von ihm selbst mitinstallierten Terrorherrschaft aussprach, 1794 als angeblicher Verschwörer gegen die Revolution hingerichtet. Mein väterliches Erbe ist bereits dort! Ich stecke bis an den Hals in Schulden. Vor mir sehe ich auf der einen Seite Ruin und Selbstmord, auf der andern Ehestand und Reichthum.«
»Aber hast du denn von den reichen Ländereien, deren Genuß dir so lange eingeräumt war, wirklich gar nichts für hie Zeit zurückgelegt, wo sie wieder von dir genommen werden würden?«
»Schwester,« erwiderte der Graf, ›sehe ich aus wie ein Mann, der zurücklegt? Ueberdies, wenn der Kaiser von Oestreich, um nicht aus seinen lombardischen Besitzungen einen so erlauchten Namen, wie den unseres Verwandten, auszulöschen und, während er dessen Rebellion strafte, meine Anhänglichkeit zu belohnen, mit der Confiskation dieser reichen Ländereien, nach welchen mir bei dem bloßen Gedanken daran der Mund wässert, zögerte und, indem er sie in widerruflicher Weise Die Formulierung erweckt einen falschen Eindruck. Im Original heißt es »during pleasure«: solange es (dem Kaiser) beliebt. seiner Krone einverleibte, mir, als dem nächsten männlichen Verwandten, erlaubte, die Einkünfte der Einen Hälfte während eben dieser sehr unbestimmten Zeit zu beziehen – hatte ich da nicht allen Grund zu der Annahme, ich würde in kurzer Zeit seine kaiserliche Majestät oder dessen Minister zu der Erlassung eines Dekrets bestimmen können, wonach das Ganze bedingungslos und endgültig auf mich überginge? Und ich glaube, es wäre mir gelungen, ohne diesen verwünschten zudringlichen englischen Mylord, der nicht müde wurde, dem Hof und dem Minister in den Ohren zu liegen mit Beschönigungen der Rebellion unseres Vetters und mit unbewiesenen Versicherungen, ich hätte mich bei derselben betheiligt, um meinen Verwandten gleichfalls hineinzuziehen, und dieselbe verrathen, um mir durch seine Beraubung Vortheile zuzuwenden. Und so erhielt ich zuletzt zum Dank für alle meine Dienste und als Bescheid auf alle meine Ansprüche von dem Minister selbst die kalte Antwort: ›Graf von Peschiera, Ihr Beistand war wichtig, und Ihre Belohnung ist glänzend gewesen. Ihre Ehre würde es nicht gestatten, diese Belohnung weiter auszudehnen und die schlimme Meinung Ihrer italienischen Landsleute dadurch zu rechtfertigen, daß Sie sich alles dasjenige, was durch den von Ihnen zur Anzeige gebrachten Verrath verwirkt wurde, förmlich zueignen. Ein so edler Name, wie der Ihrige, sollte Ihnen theurer sein, als Geld und Gut.‹«
»O Giulio,« rief Beatrice, und ihr Gesicht leuchtete auf, während sich der ganze Charakter desselben veränderte, »das waren Worte, vor welchen der Dämon der Habsucht schamroth aus deiner Brust hätte entfliehen sollen.«
Der Graf sah sie mit großen Augen an, dann warf er einen Blick im Zimmer umher und sagte ruhig:
»Niemand hört dich, außer mir, meine liebe Beatrice; sprich vernünftig. Schöne Redensarten klingen ganz gut in gemischter Gesellschaft; aber nichts paßt weniger zu dem Tone einer Familienbesprechung.«
Madame di Negra senkte beschämt das Haupt, und jener plötzliche Wechsel in dem Ausdruck ihres Gesichtes, welcher Empfänglichkeit für hochherzige Empfindungen zu verrathen schien, verschwand eben so rasch wieder.
»Aber noch,« sagte sie kalt; »genießest du die Hälfte dieser großen Einkünfte; warum also von Selbstmord und Ruin sprechen?«
»Ich genieße sie, so lange es der Krone gefällig ist. Sollte es der Krone gefallen, unseren Vetter wieder zurückzurufen und in seine Güter wieder einzusetzen – was dann?«
»So ist also eine Wahrscheinlichkeit für diese Begnadigung vorhanden? Als du mich anfangs zu deinen Nachforschungen verwendetest, dachtest du nur an die Möglichkeit einer solchen.«
»Sie ist sehr wahrscheinlich, und deßhalb bin ich hier. Ich hörte vor einiger Zeit, daß die Frage von seiner Zurückberufung durch den Kaiser angeregt und in dessen Rathe besprochen worden ist. Die Gefahr, welche dem Staate aus dem Reichthume, den behaupteten Fähigkeiten – (Fähigkeiten! pah!) – und dem populären Namen unseres Vetters erwachen könnte, verzögerte noch eine Entschließung in der Sache; auch muß die Schwierigkeit eines Abkommens mit mir den Minister in Verlegenheit gesetzt haben. Aber es ist dies immer nur eine Frage der Zeit. Er kann nicht mehr lange von der allgemeinen Amnestie ausgeschlossen bleiben, welche bereits auf die übrigen Flüchtlinge ausgedehnt worden ist. Derjenige, von welchem ich diese Mittheilung habe, ist mächtig und mir freundlich gesinnt; und er fügte einen kleinen Rath bei, nach welchem ich handelte. ›Es hat,‹ sagt er, ›ein Anhänger Ihres Verwandten mir zu verstehen gegeben, daß der Verbannte einen Bürgen für die Redlichkeit seiner Gesinnungen in der Person seiner Tochter und Erbin stellen könnte; daß sie das heiratsfähige Alter erreicht habe; daß, wenn sie sich unter Zustimmung des Kaisers mit Jemand verbinden würde, dessen Anhänglichkeit an die österreichische Krone außer Frage stünde, hierin eine Garantie für die Treue des Vaters und für den Uebergang eines so wichtigen Erbes in sichere und zuverlässige Hände läge. Warum nicht,‹ fuhr mein Freund fort, ›den Kaiser um seine Genehmigung dieser Verbindung für Sie selbst angehen? Sie, dem er vertrauen kann; Sie, der Sie, wenn die Tochter sterben sollte, der gesetzliche Erbe dieser Ländereien wären?‹ Diesem Winke gemäß richtete ich meine Worte ein.«
»Du sprachst den Kaiser?«
»Und nachdem ich die ungerechten Vorurtheile gegen mich bekämpft hatte, führte ich aus, wie mein Vetter, nachdem ich ihm alles gehörig auseinandergesetzt, so wenig Grund haben werde, mir zu grollen, daß ich nicht zweifle, er würde mir gerne die Hand seines Kindes geben.«
»Das sagtest du!« rief die Marchese erstaunt.
»Und,« fuhr der Graf mit unerschütterlicher Ruhe fort, indem er gleichgültig die Falten seines schneeweißen Hemdes glatt strich, »und wie mir auf diese Weise das Glück zu Theil würde, selbst der Gewährsmann für die Treue meines Verwandten zu werden – die Mittelsperson zu Wiedererlangung seiner Würden, während ich zugleich meinen eigenen Namen dem Neide und der Böswilligkeit gegenüber von jedem Verdachte, als hätte ich ihm ein Unrecht zugefügt, reinigen könnte.«
»Und der Kaiser willigte ein?«
» Pardieu Bei Gott!, meine theure Schwester, was sonst konnte Seine Majestät thun? Mein Vorschlag räumte jedes Hinderniß weg und versöhnte die Politik mit der Gnade. Es bleibt mithin nur noch übrig, auszukundschaften, was bisher allen unsern Bemühungen nicht gelang – den Schlupfwinkel unserer theuren Verwandten – und mich selbst dem jungen Mädchen gegenüber zu einem willkommenen Liebhaber zu machen. Allerdings ist eine kleine Ungleichheit der Jahre vorhanden; allein, wenn mir dein Geschlecht und mein Spiegel nicht allzu sehr schmeichelt, so nehme ich es immer noch mit manchem Elegant von fünfundzwanzig Jahren auf.«
Der Graf sagte dies mit einem solch' bezaubernden Lächeln und sah dabei so ausnehmend schön aus, daß er das Geckenhafte seiner Worte glücklich durch jene Anmuth der Sprache verdeckte, welche an einen blendenden Helden aus der alten großartigen Comödie des Pariser Lebens erinnerte.
Dann kreuzte er die Finger beider Hände, legte sie so verschlungen leicht auf die Schulter seiner Schwester, blickte ihr in das Gesicht und sagte langsam:
»Und nun, Schwester, ein Wort sanften, aber verdienten Vorwurfes. Hast du nicht den Auftrag, welchen ich dir in meinen Angelegenheiten so dringend an's Herz legte, auf eine traurige Weise hintangesetzt? Ist es nicht einige Jahre her, daß du zuerst mit der Bestimmung nach England kamst, diese unsere würdigen Verwandten ausfindig zu machen? Habe ich dich nicht gebeten, in dein Netz den Mann zu locken, von dem ich wußte, daß er mein Feind ist, und der zweifellos den Versteck unseres Vetters kennt – ein Geheimniß, das er noch jetzt fest verschlossen in seiner Brust trägt? Sagtest du mir nicht, daß, obwohl er damals in England war, du keine Gelegenheit finden konntest, ihn irgendwo zu treffen, daß du aber die Freundschaft des Staatsmannes, auf welchen, als seinen vertrautesten Freund, ich deine Aufmerksamkeit gelenkt hatte, gewonnen habest? Und dennoch erfährst du, deren Reize sonst so unwiderstehlich sind, nichts durch diesen Staatsmann, wie du nichts von Mylord siehst. Ja, auf falsche Spuren und Fährten geleitet, kommst du wahrhaftig auf den Gedanken, das Wild habe sich auf französischen Boden geflüchtet. Du gehst dorthin – du gibst vor, die Hauptstadt zu durchsuchen, die Provinzen, die Schweiz, que sais-je? Was weiß ich? Alles umsonst, obschon – foi de gentilhomme Etwa: Bei meiner Ehre (als Edelmann)! – dein Polizeisystem mich theures Geld kostet. Du kehrst nach England zurück – die gleiche Jagd und das gleiche Ergebniß. Palsambleu Sapperlot!, ma soeur, ich stelle deine Talente zu hoch, um nicht deinen Eifer in Frage zu ziehen. Mit Einem Wort, war es dir Ernst, oder hast du dir nicht nach Frauenart das Vergnügen gemacht, dich zu amüsiren und mein Vertrauen zu mißbrauchen?«
»Giulio,« erwiderte Beatrice traurig, »du weißt, welchen Einfluß du auf meinen Charakter und mein Schicksal ausgeübt hast. Deine Vorwürfe sind nicht gerecht. Ich legte mich auf Kundschaft, so weit es in meinen Kräften stand, und ich habe jetzt Ursache, zu glauben, daß ich Jemand kenne, der im Besitze dieses Geheimnisses ist und uns demselben näher bringen kann.«
»Ah, wirklich!« rief der Graf.
Beatrice achtete nicht auf ihn, sondern fuhr in geflügelter Rede fort:
»Aber gesetzt, mein Herz bebte vor dem Auftrage zurück, welchen du mir stelltest, wäre dies nicht natürlich gewesen? Als ich zuerst nach England kam, bezeichnetest du mir als Ziel deiner Nachforschungen ein solches, für welches ich dir mit Ehren meine Hülfe versprechen konnte. Du wünschtest natürlich vor allem zu wissen, ob die Tochter lebe; denn im andern Falle warst du der Erbe. Lebte sie noch, so ging, wie du mich versichertest, dein Streben dahin, durch meine Vermittlung mit Alphonso einen anständigen Vergleich abzuschließen, wonach du seine Zurückberufung zu erwirken suchen wolltest, und er dir dagegen während deiner Lebzeiten alle von der Krone an dich übertragenen Rechte lassen sollte. So lange dies deine Absichten waren, that ich, wiewohl ohne Erfolg, mein Möglichstes, die gewünschte Auskunft zu erhalten.«
»Und was ließ mich einen so wichtigen, obgleich vom Erfolg nicht begünstigten Verbündeten verlieren?« frug der Graf noch immer lächelnd; aber ein Blitz aus seinen Augen strafte das Lächeln Lügen.
»Was? Deine Forderung, die erbärmlichen Spione, die falschen Italiener, welche du herüber schicktest, bei mir zu empfangen und in Gemeinschaft mit ihnen den armen Verbannten, sobald er gefunden wäre, in einen voreiligen Briefwechsel zu verwickeln, der dem Hofe hinterbracht werden sollte; – deine Versuche, die Tochter des Grafen von Peschiera, die Abkömmlingin derer, welche einst in Italien herrschten, zu der Rolle einer Denunziantin, einer Verführerin und Verrätherin zu verleiten. Nein, Giulio, da schrak ich zurück und entwich, weil ich deine Macht über mich fürchtete, nach Frankreich. Ich habe dir offen geantwortet.«
Der Graf entfernte seine Hände von der Schulter, auf welcher sie so herzlich geruht hatten.
»Und dies,« sagte er, »ist deine Weisheit, und dies deine Dankbarkeit. Du, deren Geschick von dem meinigen unzertrennbar – du, die du von meiner Großmuth abhängst – du, die –«.
»Halt,« rief die Marchese sich erhebend, mit einem Gefühlsausbruch, der, als hätten die Kränkungen ihr äußerstes Maß erreicht, sich in offener Empörung gegen jahrelange Tyrannei Luft machen zu wollen schien – »halt, – Dankbarkeit! Großmuth! Bruder, Bruder, was ist es, das ich dir verdanke? Die Schmach und das Elend eines Lebens. Als ich noch ein Kind war, verurtheiltest du mich, zu heirathen gegen meinen Willen, gegen mein Herz, gegen meine Gebete, und lachtest über meine Thränen, als ich auf den Knieen um Barmherzigkeit flehte. Ich war damals rein, Giulio – rein und unschuldig, wie die Blumen in meinem jungfräulichen Kranze. Und jetzt – jetzt –«.
Sie hielt inne und verbarg das Gesicht in ihren Händen.
»Jetzt machst du mir Vorwürfe,« sagte der Graf, unbeirrt durch ihre plötzliche Leidenschaft, »weil ich dich an einen jungen und vornehmen Mann verheiratete.«
»Alt in Lastern und niedrig in Gesinnung. Die Heirath habe ich dir verziehen. Du hattest nach den Gebräuchen unseres Landes das Recht, über meine Hand zu verfügen. Aber nicht verziehen habe ich dir die Tröstungen, welche du in das Ohr eines Unglücklichen und beleidigten Weibes flüstertest.«
»Erlaube mir die Bemerkung,« erwiderte der Graf mit einem höflichen Neigen des Kopfes, »diese Tröstungen passen gleichfalls zu den Gebräuchen unseres Landes, und ich konnte mich bis jetzt nicht überzeugen, daß du sie vollständig verschmäht hättest. Und,« fuhr der Graf fort, »du warst nicht so lange Gattin, daß der Druck der Kette noch schmerzen sollte. Du warst bald Wittwe frei, kinderlos, jung, schön.«
»Und ohne einen Heller.«
»Richtig; di Negra spielte, und zwar mit viel Unglück; mich trifft hier keine Schuld. Ich konnte weder seine Hände von den Karten fern halten, noch ihn anweisen, wie er sie spielen sollte.«
»Und mein eigener Erbtheil? O Giulio, erst bei seinem Tode erfuhr ich, warum du mir diesen abtrünnigen Genueser aufgedrungen hattest. Er war dir Geld schuldig, und gegen alle Begriffe von Ehre und, wie ich glaube, von Recht hattest du mein Vermögen als Zahlung seiner Schuld angenommen.«
»Er besaß keine anderen Zahlungsmittel – Ehrenschulden müssen bezahlt werden – eine alte Geschichte das. Was thut's? Seitdem ist meine Börse immer für dich offen gewesen.«
»Ja, nicht als deiner Schwester, sondern als deinem Werkzeuge, deinem Spione! Ja, deine Börse war offen – knapp genug.«
» Un peu de conscience Etwa: »Vergiss nicht!«, ma chère, du bist so verschwenderisch. Aber komm, sei offen. Was möchtest du?«
»Ich möchte von dir unabhängig sein.«
»Das heißt, du möchtest mit einem dieser reichen Insellords eine zweite Heirath schließen. Ma foi Etwa: »Bei meiner Seele!«, alle Achtung vor deinem Ehrgeize.«
»Er geht nicht so weit. Ich suche nur der Sklaverei zu entgehen – vor unehrenhaften Versuchungen bewahrt zu bleiben. Ich wünsche,« rief Beatrice in steigender Erregung, »ich wünsche, wieder das Leben eines Weibes zu beginnen.«
»Genug!« sagte der Graf mit sichtlicher Ungeduld. »Liegt in der Erreichung deines Zweckes etwas, das dich gegen den meinigen gleichgiltig machen muß? Du wünschest zu heirathen, wenn ich recht verstehe. Und um zu heirathen, wie es sich für dich geziemt, solltest du deinem Gatten keine Schulden, sondern eine Mitgift zubringen. Sei es so. Ich will das Geld, welches ich vor den habgierigen Krallen des Genuesers rettete, zurückerstatten, sobald ich es habe – sobald ich der Gemahl der Erbin meines Verwandten bin. Und nun, Beatrice, wenn du andeutest, daß meine früheren Mitteilungen dein Gewissen empörten, so sollte es sich bei meinem gegenwärtigen Plane beruhigen; denn diese Heirath wird unseren Verwandten seinem Vaterland zurückgeben und wieder in den Besitz wenigstens der Hälfte seiner Güter einsetzen. Und wenn ich nicht der jungen Dame ein vortrefflicher Gatte bin, so wird es ihr eigener Fehler sein: die Zeit des Austobens ist bei mir vorüber. Je suis bon prince Ich bin der gute Prinz., wenn man mich ein wenig schalten und walten laßt. Es ist meine Hoffnung und mein Vorsatz, und wird wohl auch in meinem Interesse liegen, un digne époux et père de famille Ein würdiger Gatte und einwandfreier Familienvater. zu werden. Ich spreche leichtfertig – es ist dies meine Art. Ich meine es ernstlich. Das kleine Mädchen wird mit mir sehr glücklich sein, und es wird mir gelingen, allen Groll zu besänftigen, der bei ihrem Vater noch zurückbleiben mag. Willst du mir hierin beistehen – ja oder nein? Stehst du mir bei, so wirst du wirklich unabhängig werden. Der Zauberer wird den schönen Geist frei geben, den er an seinen Willen gefesselt hat. Stehst du mir nicht bei, ma chère – und höre mich wohl, ich drohe nicht, ich warne blos – stehst du mir nicht bei, und werde ich zum Bettler, so frage ich dich, was soll aus dir werden – du, noch immer jung, noch immer schön und noch immer ohne einen rothen Heller? Nein, schlimmer als das: du hast mir die Ehre erwiesen« (der Graf blickte Huf den Tisch und nahm aus einem mit Wappen und Krone verzierten Portefeuille einen Brief heraus) – »du hast mir die Ehre erwiesen, mich wegen deiner Schulden um Rath zu fragen.«
»Du willst mir mein Vermögen zurückerstatten?« sagte die Marchesa unentschlossen und wandte ihren Kopf von einer häßlichen Zahlenreihe ab.
»Wenn mein eigenes mit deiner Hülfe gesichert ist.«
»Aber schlägst du den Werth meiner Hülfe nicht zu hoch an?«
»Möglich,« sagte der Graf in weichem, einschmeichelndem Tone und küßte seine Schwester auf die Stirne. »Möglich; aber, bei meiner Ehre, ich wünsche jegliches Unrecht, wirkliches oder eingebildetes, das ich dir in früheren Zeiten zugefügt haben mag, wieder gut zu machen. Ich überschätze vielleicht deine Hülfe, aber nicht die Liebe, aus welcher sie entspringt. Laß uns Freunde sein, cara Beatrice mia,« fügte her Graf hinzu, zum ersten Male italienische Worte gebrauchend.
Die Marchesa legte ihr Haupt auf seine Schulter und weinte still. Offenbar besaß dieser Mann einen großen Einfluß auf sie, und was auch ihr Grund zur Beschwerde sein mochte, ihre Liebe zu ihm war tief und schwesterlich. Sie gehörte zu jenen Naturen, welche schöner Züge von Edelmuth, Geist, Ehrenhaftigkeit und Leidenschaft fähig sind, die aber, ohne Pflege und Leitung, von dem schlechten Beispiele der Welt angesteckt, sich leicht zum Unrecht verführen lassen – ohne daß sie immer erkennen, wo das Unrecht liegt – und mit Gefühlen, seien sie gut oder schlimm, ihr Gewissen betäuben oder ihre Vernunft blenden. Solche Frauen sind, wenn sie in unrechte Bahnen gerathen, oft viel gefährlicher, als die ganz gesunkenen – solche Frauen sind Mitschuldige, die von Männern, gleich dem Grafen von Peschiera, am meisten gesucht werden.
»Ach, Giulio,« sagte Beatrice nach einer Pause, durch ihre Thränen zu ihm aufblickend, »wenn du so mit mir redest, so weißt du wohl, daß du alles mit mir anfangen kannst. Ohne Vater und ohne Mutter, hatte ich ja als Kind nur dich, den ich lieben, dem ich gehorchen konnte.«
»Theure Beatrice,« murmelte der Graf zärtlich, und wieder küßte er sie auf die Stirne. »So wäre also,« fuhr er sorgloser fort, »so wäre also die Versöhnung wieder hergestellt und der Bund zwischen unseren Herzen und Interessen wieder geschlossen. Wir müssen uns jetzt leider mit Geschäftssachen abgeben. Du sagst, du kennest Jemand, von dem du glaubst, er wisse um den Versteck meines Schwiegervaters – das heißt meines zukünftigen!«
»Ich denke so. Du erinnerst mich daran, daß ich ihn heute erwarte; die Stunde ist nächstens da, ich muß dich verlassen.«
»Das Geheimniß zu erfahren? Rasch, rasch! Um deinen Erfolg ist mir nicht bange, wenn du ihn bei seinem Herzen fassen kannst!«
»Du irrst; über sein Herz habe ich keine Macht; aber er hat einen Freund, der mich liebt, und zwar in allen Ehren, und für den er sich bei mir verwendet. Hier hoffe ich bei ihm durch Widerspruch oder durch Ueberredung etwas ausrichten zu können. Wo nicht – sein Charakter ist für mich ein Räthsel in allem, außer, was seinen weltlichen Ehrgeiz betrifft; und wie können wir Ausländer mittelst dieses letzteren Einfluß auf ihn erlangen?«
»Ist er arm oder verschwenderisch?«
»Nicht verschwenderisch und auch nicht gerade arm, aber abhängig.«
»Dann ist er uns sicher,« sagte der Graf gelassen. »Wenn sein Beistand werth ist, erkauft zu werden, so können wir ein hohes Gebot dafür thun. Sur mon âme Bei meiner Seele!, meines Wissens hat man bei einem Manne, der weltlich und anhängig ist, mit Geld noch nie einen Fehlgang gethan. Ich lege ihn und mich in deine Hände.«
Mit diesen Worten öffnete der Graf die Thüre und geleitete seine Schwester mit förmlicher Höflichkeit nach ihrem Wagen. Dann ging er in das Zimmer zurück, setzte sich wieder und versank in stummes Nachdenken. Während er so da saß, wurden seine Gesichtsmuskeln schlaffer, die französische Leichtfertigkeit verschwand, und sein Auge, welches träumerisch in die Weite starrte, zeigte jene stetige Tiefe, welche die alten Bilder florentinischer Diplomaten und venetianischer Rathsherrn kennzeichnet. In seinem Antlitze lag, ungeachtet aller Schönheit, etwas Hartes, Entschlossenes, Unerforschliches, Erbarmungsloses, das sogar den zärtlichen Blick der Liebe zurückgescheucht haben würde.
Die erwähnte Veränderung war aber nicht von langer Dauer. Offenbar gehörte bei diesem Manne das Denken, so sehr er sich für den Augenblick darein vertiefen konnte, nicht zu seinen Gewohnheiten. Offenbar hatte er ein Leben geführt, welches alle Dinge leicht nimmt, und er erhob sich jetzt mit einem Ausdruck von Müdigkeit und streckte und schüttelte sich, als wolle er eine unwillkommene, lästige Stimmung los werden.
Eine Stunde später entzückte der Graf von Peschiera alle Augen und Ohren in dem Salon einer hochgeborenen Schönheit, deren Bekanntschaft er in Wien gemacht hatte, und deren Reize, wie das alte, nie wahrheitsgetreue Orakel, der edle Klatsch, behauptete, den gefeierten Fremden nach London gezogen hatten.
Die Marchesa langte in ihrem Hansa in Furpon-Street an und zog sich in ihr Gemach zurück, um ihren Anzug zu ordnen und jede Spur von Thränen aus ihrem Gesichte zu entfernen.
Eine halbe Stunde später saß sie gefaßt und ruhig in ihrem Salon, und Niemand hätte sie jetzt so stürmischer Gefühle und so großer Schwäche fähig gehalten. Das stattliche Aeußere, die ruhige Haltung, die ausgesuchte und vollendete Eleganz, das Resultat der Toilettenkünste und jener Sicherheit, welche der Rang verleiht, bekundeten nur die Frau von Welt und die große Dame.
Es klopfte an die Thüre, und gleich darauf trat mit der zwanglosen Vertraulichkeit eines Hausfreundes ein Besuch ein – ein junger Mann, aber ohne jegliche Blüthe der Jugend. Seine Haare, weich wie die eines Weibes, waren dünn und spärlich; aber sie fielen tief über die Stirne herein und verbargen diesen edelsten Theil der menschlichen Züge. »Ein freier und gebildeter Mann,« sagt Apulejus, »sollte sein ganzes Inneres auf der Stirne tragen« Hominem liberum et magnificum debere, si queat, in primori fronte, animum gestare. [ Anm.d.Verf. – Das Zitat stammt aus De magia liber, caput LX]. Der junge Gast hätte nie eine so offenherzige Unklugheit begangen. Seine Wangen waren bleich, sein Schritt und seine Bewegungen matt, in Folge erschöpfter Nerven oder zarter Gesundheit. Aber der Glanz der Augen und der Ton der Stimme ließen auf einen starken, tatkräftigen Geist schließen, welcher den Körper beherrschte. Im Uebrigen war es eine durch gewandtes Benehmen, wie durch hohen Verstand ausgezeichnete Erscheinung. Wer ihn einmal gesehen hatte, vergaß ihn nicht so leicht wieder.
Ohne Zweifel erkennt der Leser bereits Randal Leslie. Sein Gruß war, wie schon bemerkt, der eines vertrauten Bekannten und wurde ebenso erwidert, aber beiderseits mit rückhaltloser Offenheit, die zärtlichere Gefühle ferne hält.
Randal setzte sich neben die Marchesa und begann zuerst mit ihr von den fashionablen Stadtneuigkeiten zu reden; aber es war merkwürdig, wie er die umlaufenden Anekdoten und Skandalgeschichten der großen Welt aus ihr herauslockte, während er selbst nichts dergleichen mittheilte.
Randal Leslie hatte bereits die Kunst gelernt, sich keine Blößen zu geben und nie als Gewährsmann für anstößige Bemerkungen über Höhere genannt zu werden. Nichts schadet einem Manne, der sich über die Salonberühmtheit zu erheben wünscht, mehr, als der Verdacht einer bösen Zunge; »indessen ist es immerhin nützlich,« dachte Randal Leslie, »die Schwächen zu kennen – die kleinen geschäftlichen oder Privattriebfedern, welche die Größen in ihrem Handeln bestimmen. Es können kritische Umstände eintreten, in welchen eine solche Kenntniß zur Macht werden kann.«
Und deßhalb vielleicht (neben einem mehr persönlichen Beweggrund, der bald an den Tag kommen wird,) betrachtete Randal seine Zeit nicht als weggeworfen, wenn er die Freundschaft mit Madame di Negra pflegte. Denn obgleich man sich vieles über sie zuflüsterte, war es ihr doch gelungen, die Kälte zu verscheuchen, mit der man sie anfangs in den Londoner Kreisen aufgenommen hatte. Ihre Schönheit, ihre Anmuth und ihre hohe Geburt hatten sie in die Mode gebracht, und die Huldigung hochgestellter Männer, wenn sie auch vielleicht ihrem Rufe als Frau Eintrag that, machte sie als vornehme Dame dann noch gefeierter. So verzeihen die kalten Engländer bei all' ihrem Sprödethun dem Ausländer, was der Eingeborene schwer zu büßen hätte.
Von diesen allgemeinen Gegenständen ging Randal zu einem sehr artigen und feinen persönlichen Complimente über; er erzählte von Lobeserhebungen dieses Lords und jenes Herzogs über die Reize der Marchesa, legte dabei mit dem einem anerkannten Freunde gestatteten Rechte seine Hand auf die ihrige und sagte:
»Nachdem Sie mich Ihres Vertrauens gewürdigt und (zum Glück für mich und mit einer Großmuth, deren eine Kokette nie fähig gewesen wäre) noch bei Zeiten in die Schranken der Freundschaftsgefühle zurückgewiesen haben, die sonst leicht zu solchen herangereift wären, wie Sie sie einzuflößen geschaffen sind, aber nimmermehr zu erwidern sich herablassen – nachdem Sie mit ihrem bezaubernden Lächeln zu mir sprachen: ›Niemand soll mir von Liebe reden, wer mir nicht seine Hand anbietet und mit ihr die Mittel, Bedürfnisse zu befriedigen, die, wie ich fürchte, entsetzlich theuer sind;‹ – nachdem Sie mir auf diese Weise erlaubten, das Ziel ihrer Wünsche zu errathen, und sich auf dieses Verständniß unsere vertrauten Beziehungen gründeten, so werden Sie mir die Bemerkung verzeihen, daß die Bewunderung, welche Sie unter diesen grands seigneurs erregen, nur dazu dient, Ihre eigenen Absichten zu vereiteln und Bewunderer abzuschrecken, die weniger glänzend sind, aber es ernstlicher meinen. Die meisten jener Gentlemen sind unglücklicher Weise verheiratet, und die, welche es nicht sind, gehören zu denjenigen Mitgliedern unserer Aristokratie, die bei einer ehelichen Verbindung mehr suchen, als Geist und Schönheit, nämlich einflußreiche Verwandtschaft, um ihre politische Stellung zu kräftigen, oder Reichthum, um Pfandbriefe einzulösen und die Würde ihres Standes aufrecht zu erhalten.«
»Mein theurer Mr. Leslie,« versetzte die Marchesa, und in dem Ton ihrer Stimme, sowie in dem Niederschlagen der Augen gab sich ein Anflug von Trauer zu erkennen – »ich habe in der wirklichen Welt lange genug gelebt, um die Schwierigkeit und Falschheit der meisten jener Gefühle zu würdigen, welche die edelsten Namen tragen. Ich durchschaue die Herzen der Bewunderer, die Sie mir vorführen, und weiß, daß nicht einer derselben die Frau, welcher er von seinem Herzen erzählt, mit seinem Hermeline schirmen würde. Ach,« fuhr Beatrice mit einer ihr unbewußten Weichheit fort, die einem weniger gestählten und auf seiner Hut befindlichen Jüngling, als Randal Leslie, außerordentlich gefährlich hätte werden können –– »ach, ich bin weniger ehrgeizig, als Sie glauben. Ich träumte von einem Freund, einem Gefährten, einem Beschützer, dessen Gefühle noch frisch und durch gemeine Ausschweifungen und niedrige Lüste nicht vergiftet sind – von einem Herzen, dem alles noch so neu ist, daß es meinem eigenen seinen glücklichen Lenz zurückgeben könnte. Ich habe in Ihrem Lande Ehen gesehen, deren bloßer Anblick meine Augen mit köstlichen Thränen füllte. Ich habe in England den Werth einer Heimath schätzen gelernt. Und mit einem solchen Herzen, wie ich es Ihnen beschrieben habe, und mit einer solchen Heimath könnte ich vergessen, daß ich je einen weniger reinen Ehrgeiz kannte.«
»Diese Sprache überrascht mich nicht,« sagte Randal; »dennoch stimmt sie nicht zu der Antwort, welche Sie mir früher gegeben haben.«
»Ihnen,« wiederholte Beatrice lächelnd und in ihr gewöhnliches Wesen zurückfallend; »Ihnen – ganz richtig. Aber ich hatte auch nie die Eitelkeit, zu glauben, Ihre Zuneigung zu mir werde die Opfer, welche eine eheliche Verbindung kosten würde, willig tragen, Sie mit Ihrem Ehrgeiz könnten Ihre Träume von Glück an eine Häuslichkeit binden. Und außerdem,« sagte sie, indem sie nicht ohne Stolz das Haupt erhob, »und außerdem hätte ich mich nie dazu verstanden, mein Geschick mit einem Manne zu theilen, auf den meine Armuth lähmend wirken könnte. Ich durfte nicht auf mein Herz hören, wenn es für einen Freier ohne Vermögen geschlagen hätte: denn ihm wäre ich dann nur eine Bürde gewesen und hätte ihn in eine Verbindung mit Armuth und Schulden gestürzt. Jetzt ist der Fall vielleicht ein anderer. Jetzt wird mir vielleicht die Mitgift zu Theil, die für meine Geburt paßt. Und jetzt kann ich vielleicht frei wählen nach meinem Herzen als Frau, und nicht nach meinen Bedürfnissen als ein armes, geplagtes und verzweifelndes Geschöpf.«
»Ah,« sagte Randal mit regem Interesse und rückte seiner schönen Gefährtin noch näher – »oh, ich wünsche Ihnen aufrichtig Glück; Sie haben Ursache, zu glauben, daß Sie – reich werden sollen?«
Die Marchesa zögerte mit der Antwort, und während dieser Pause machte Randal das Gewebe des Planes, welches er heimlich spann, etwas lockerer und ging schnell mit sich zu Rathe, ob Beatrice di Negra, wenn sie in der That reich wäre, ihm selbst als Gattin anstehen würde, und wie sich solchen Falls am besten der Ton der Freundschaft mit dem der Liebe vertauschen ließe. Während er hierüber nachsann, versetzte Beatrice:
»Nicht reich für eine Engländerin; für eine Italienerin, ja. Mein Vermögen soll eine halbe Million –«.
»Eine halbe Million!« rief Randal und mußte mit Gewalt an sich halten, um ihr nicht in Anbetung zu Füßen zu sinken »Franken betragen,« fuhr die Marchese fort.
»Franken! Ah,« fuhr Randal mit einem tiefen Athemzug und sich von seiner plötzlichen Begeisterung erholend, »ungefähr zwanzigtausend Pfund – achthundert Pfund Jahresrente zu vier Prozent. Eine sehr schöne Mitgift, gewiß (gentile Armuth!«, murmelte er vor sich hin. »Dem wäre ich glücklich entgangen! Aber ich sehe – ich sehe. Dies wird meinem ersten und besseren Plane die letzten Schwierigkeiten aus dem Wege räumen. Ich sehe) – eine sehr schöne Mitgift,« wiederholte er laut; »nicht für einen grand seigneur allerdings, aber immerhin für einen Gentleman von Geburt und Aussichten, die ihn Ihrer Wahl würdig machen, wenn nicht Ehrgeiz diese letztere bestimmen soll. Ach, als Sie mit gewinnender Beredsamkeit von Gefühlen, die noch frisch, von Herzen, die noch Neulinge sind, von der glücklichen englischen Häuslichkeit sprachen, da erriethen Sie wohl, daß meine Gedanken zu meinem Freunde flogen, welcher Sie mit so treuer Ergebenheit liebt und Ihr Ideal so ganz verwirklicht. Sprichwörtlich sind bei uns glückliche Ehen und glückliche Häuslichkeit nicht in den lustigen Kreisen der vornehmen Welt von London zu finden, sondern an den Herden unseres Landadels – unserer unbetitelten, auf ihren Gütern lebenden Gentlemen. Und wer unter allen Ihren Anbetern kann Ihnen ein so wahrhaft beneidenswertes Loos bieten, als der Eine, den ich im Auge habe, und dessen Namen Sie, wie ich an Ihrem Erröthen sehe, bereits vermuthen!«
»Erröthete ich?« sagte die Marchesa mit einem silbernen Lachen. »Nein, der Eifer für Ihren Freund führt Sie wohl irre. Indessen will ich Ihnen offen gestehen, ich bin gerührt von seiner ehrlichen, aufrichtigen Liebe, die sich so deutlich ausspricht, mehr durch Blicke, als durch Worte. Ich habe den Unterschied zwischen der Liebe, welche mich ehrt, und jener, welche herabzuwürdigen sucht, erkannt; mehr kann ich nicht sagen. Denn wenn ich auch zugebe, daß Ihr Freund schön, von hohem und edlem Sinne ist, so ist er doch nicht, was –«.
»Sie sind im Irrthume, glauben Sie mir,« unterbrach sie Randal. »Sie sollen Ihren Satz nicht vollenden. Er ist alles dasjenige, wofür Sie ihn noch nicht halten; denn seine Schüchternheit und gerade seine Liebe, gerade seine Achtung vor Ihrer Ueberlegenheit lassen seinen Geist und seine natürlichen Anlagen nicht in vorteilhaftem Lichte erscheinen. Ich weiß, Sie haben Sinn für Literatur und Poesie, wie Wenige Ihres Geschlechts. Dieser fehlt ihm bis jetzt – überhaupt den meisten Männern. Aber welcher Cimon würde nicht durch eine so schöne Iphigenie verwandelt? Die Geschichte vom Raub der Iphigenie durch Cimon im Decamerone (um 1350) von Giovanni Boccaccio in der ersten Geschichte des fünften Tages. Der Leichtsinn, den Sie gegenwärtig an ihm bemerken, ist nur der Jugend und dem Mangel an Lebenserfahrung zuzuschreiben. Glücklich der Bruder, welchem vergönnt ist, seine Schwester als Gattin Frank Hazeldeans zu sehen.«
Die Marchesa stützte schweigend ihre Wange auf die Hand. Für sie hatte die Ehe eine größere Bedeutung, als für träumerische Mädchen oder untröstliche Wittwen. Das heftige Verlangen, der Gewalt ihres aller Grundsätze baren und gewissenlosen Bruders zu entrinnen, war ein Theil ihres innersten Seins geworden; alles Bessere und Höhere in ihrem aus einem Gemisch von Eigenschaften zusammengesetzten Charakter war beleidigt und verletzt durch ihre freundlose und eigentümliche Stellung, durch die zweideutige Bewunderung, welche man ihrer Schönheit zollte, und durch verschiedene Demütigungen, welche ihr durch Geldverlegenheiten bereitet wurden – nicht ohne Absicht Seitens des Grafen, welcher habgierig, aber nicht geizig war und bald durch ungleich, scheinbar nach momentaner Laune gespendete Gaben, bald durch Verweigerung jeder Unterstützung sie in Schulden verwickelt hatte, um sie immer in der Hand zu behalten. Für eine Frau von ihrem Stolze und ihrer Geburt war die Lage, in der sie sich befand, so unendlich peinlich und erniedrigend, daß sie in der Ehe Freiheit, Leben, Ehre, Wiedergeburt erblickte. Derartige Gedanken hatten sie veranlaßt, bei den Plänen mitzuwirken, durch welche der Graf, während er für sich selbst eine Braut gewann, ihr zu einer Mitgift verhelfen sollte, und ebenso verschafften sie jetzt Randal Leslie's Fürsprache für seinen Freund eine günstige Aufnahme.
Letzterer sah, daß er Eindruck gemacht hatte, und mit der wunderbaren Geschicklichkeit, welche seine Kenntniß von Naturen, deren Studium ihn reizte, seinem Geiste verlieh, fuhr er fort, mittelst Vorstellungen, wie sie ihm am wirksamsten schienen, seine Sache weiter zu verfechten. Mit seltenem Takte vermied er Lobreden auf Frank als bloßes Individuum und bezeichnete ihn mehr als Typus und Ideal dessen, was eine Frau in Beatrice's Stellung wünschen konnte: Sicherheit, Frieden und Ehre in einer ruhigen Häuslichkeit, in der Treue, Beständigkeit und vertrauensvollen, hingebenden Liebe des Gatten. Er malte nicht ein Elysium, er schilderte einen schützenden Hafen; er beschrieb nicht mit glühenden Farben einen Romanhelden, er gab nur ein nüchternes Bild des Repräsentanten der ehrbaren Wirklichkeit, welcher sich eine Frau zuwendet, wenn ihr die Romantik als eine Täuschung zu erscheinen beginnt.
Wahrlich, wer in das Herz Derjenigen, zu der er sprach, hätte hineinsehen und seine Worte vernehmen können, würde voll Bewunderung ausgerufen haben:
»Wissen ist Macht, und wenn dieser Mann auf einem reicheren Felde der Thätigkeit sich ebenso geschickt erweist, so sollte er in der Geschichte seiner Zeit keine unbedeutende Rolle spielen.«
Langsam raffte sich Beatrice aus den Träumen empor, die während seiner Rede in ihr aufstiegen – langsam und mit einem tiefen Seufzer.
»Gut, gut,« sagte sie, »die Richtigkeit alles dessen, was Sie versichern, vorausgesetzt, muß ich, ehe ich einer so ehrenhaften Liebe Gehör schenken darf, jedenfalls von dem schnöden, schimpflichen Druck, der auf mir lastet, befreit sein. Ich kann nicht zu dem Manne, der um mich wirbt, sagen: ›Willst du die Schulden der Tochter Franzini's und der Wittwe di Negra's bezahlen?‹«
»Nun, Ihre Schulden machen doch gewiß nur einen kleinen Theil Ihrer Mitgift aus.«
»Aber die Mitgift muß vorher sicher sein.«
Und jetzt drehte Madame di Negra, wie es im Sprichwort heißt, den Stiel um, bot Randal die Hand hin und sagte in dem gewinnendsten Tone:
»Sie sind also wirklich und aufrichtig mein Freund?«
»Können Sie daran zweifeln?«
»Zum Beweis, daß ich es nicht thue, bitte ich Sie um Ihren Beistand.«
»Den meinigen? In wie ferne?«
»Hören Sie; mein Bruder ist in London angekommen –«.
»Ich habe gelesen, daß die Zeitungen sein Eintreffen meldeten.«
»Und er kommt, von dem Kaiser ermächtigt, um die Hand einer Verwandten und Landsmännin anzuhalten, eine Verbindung, die einen langjährigen Familienzwist endigen und zu seinem eigenen Vermögen dasjenige einer Erbin hinzufügen wird. Mein Bruder hat, wie ich selbst, verschwenderisch gelebt. Die Mitgift, welche er mir gesetzlich noch immer schuldet, auszubezahlen, ehe diese Heirath im Reinen ist, würde ihn Verlegenheiten aussetzen.«
»Ich verstehe,« sagte Randal. »Aber wie kann ich diese Heirath fördern?«
»Dadurch, daß Sie uns die Braut entdecken helfen. Sie und ihr Vater haben sich nach England geflüchtet und hier verborgen.«
»Hienach hat der Vater an mißliebigen politischen Umtrieben Theil genommen und wurde verbannt?«
»Ganz richtig; und so gut hat er sich versteckt, daß er alle unsere Bemühungen, seinen Zufluchtsort aufzufinden, zu Schanden machte. Mein Bruder kann ihm seine Begnadigung auswirken durch Zustandebringen dieser Verbindung –«.
»Fahren Sie fort.«
»Ah, Randal, Randal, ist dies die Offenheit der Freundschaft? Sie wissen, daß ich schon früher in den Besitz dieses Geheimnisses zu gelangen wünschte, daß ich mich hierin vergebens an Mr. Egerton wandte, der sicherlich darum weiß –«
»Der aber keiner lebenden Seele Geheimnisse anvertraut,« sagte Randal beinahe mit Bitterkeit; »der, verschlossen und fest, wie Eisen, sich von mir so wenig breit schlagen läßt, wie von Ihnen.«
»Entschuldigen Sie; ich kenne Sie so gut, daß ich überzeugt bin, Sie können, wenn Sie ernstlich wollen, jedes Geheimniß heraus bringen. Ja, noch mehr, ich glaube, daß Ihnen dieses Geheimniß, um dessen Mittheilung ich Sie bitte, bereits bekannt ist.«
»Wie in aller Welt kommen Sie auf diesen Gedanken?«
»Vor einigen Wochen baten Sie mich, Ihnen die persönliche Erscheinung und das Benehmen des Flüchtlings zu beschreiben, was ich theils nach den Erinnerungen aus meinen Kinderjahren, theils nach den Schilderungen Dritter that. Hiebei beobachtete ich Ihre Züge und bemerkte, wie sie sich veränderten – ungeachtet,« fügte die Marchesa lächelnd und den Blick fest auf Randal gerichtet, bei, »ungeachtet Ihrer gewöhnlichen Selbstbeherrschung. Und als ich in Sie drang, einzugestehen, daß Sie in der That Jemand kennen, auf den diese Beschreibung paßte, konnte mich Ihr Nein nicht mehr täuschen. Noch mehr, als Sie neulich aus freien Stücken auf den Gegenstand zurückkommend, mich so schlau über die Beweggründe ausholten und ich Ihnen keine befriedigende Antwort gab, bemerkte ich –«
»Ha, ha!« unterbrach sie Randal mit einem leichten Lachen, womit er gelegentlich Lord Chesterfields Philip Stanhope, 4. Earl of Chesterfield (1694-1773), britischer Staatsmann und Schriftsteller. Bulwer bezog sich bereits in »The Caxtons« auf seine »Briefe an seinen Sohn Philip Stanhope über die anstrengende Kunst, ein Gentleman zu werden«. Gebot, nie eine allzu natürliche und damit gegen den guten Ton verstoßende Heiterkeit zu zeigen, übertrat – »ha, ha! Sie haben den Fehler aller zu scharfen und feinen Beobachter. Aber auch zugegeben, daß ich vielleicht einige italienische Flüchtlinge gesehen habe (was gar nicht unwahrscheinlich ist), sagen Sie selbst, läge es dann nicht nahe, Ihre Schilderung mit deren Aeußerem zu vergleichen? Und angenommen, ich vermuthete in dem einen oder andern unter ihnen den Mann, welchen Sie suchen, was lag ebenso nahe, als daß ich zu wissen wünschte, ob Sie bei Ihren Nachforschungen nach seinem Aufenthalte gute oder schlimme Absichten hatten? Denn schlecht,« fügte Randal mit einem gewissen Selbstbewußtsein bei, »schlecht stünde es mir an, gegen irgend Jemand, auch gegen Freunde, den Zufluchtsort einer Person zu verrathen, die sich vor Verfolgung schützen will. Und selbst wenn ich es thun würde – denn die Ehre allein ist ein schwaches Bollwerk gegen Ihren Zauber – so könnte eine solche Unbesonnenheit für meine künftige Laufbahn leicht verhängnißvoll werden.«
»Wie so?«
»Sagten Sie nicht, Egerton kenne das Geheimniß, verweigere aber dessen Mittheilung? Und ist er der Mann, der mir je eine Unklugheit verzeihen würde, welche ihn selbst in eine schiefe Stellung bringen könnte? Meine theure Freundin, ich will Ihnen noch mehr sagen. Als Audley Egerton meine Beziehungen zu Ihnen vertrauter werden sah, kleidete er seinen Rath mit gewohnter Trockenheit in die Worte: ›Randal, ich ersuche Sie nicht, den Umgang mit Madame di Negra abzubrechen, denn der Umgang mit einer solchen Frau gibt ein gewandteres Benehmen und bildet den Geist; aber reizende Frauen sind gefährlich, und Madame di Negra ist – eine reizende Frau.‹«
Das Gesicht der Marchesa erglühte. Randal fuhr fort:
»›Ihrer schönen Bekannten‹ (immer noch Egerton's eigene Worte) ›ist es darum zu thun, den Aufenthaltsort eines ihrer Landsleute zu entdecken. Sie vermuthet, daß ich ihn kenne. Vielleicht macht sie den Versuch, ihn durch Sie zu erfahren. Der Zufall setzt Sie vielleicht in den Stand, ihr die gewünschte Auskunft zu verschaffen. Hüten Sie sich, etwas zu verrathen. Eine einzige solche Schwäche würde mir einen Schluß auf Ihren Charakter im Allgemeinen gestatten. Derjenige, welchem ein Weib ein Geheimniß zu entlocken vermag, wird sich nie für das öffentliche Leben eignen.‹ Deßhalb, meine theure Marchesa, wären Sie, selbst vorausgesetzt, daß ich im Besitze dieses Geheimnisses bin, nicht meine wahre Freundin, wenn Sie Enthüllungen von mir verlangen wollten, die alle meine Aussichten gefährden würden. Denn bis jetzt,« fügte Randal mit einem düsteren Schatten auf seiner Stirne hinzu, »bis jetzt stehe ich nicht allein und aufrecht – ich lehne mich an – ich bin abhängig.«
»Vielleicht gibt es einen Weg,« entgegnete Madame di Negra hartnäckig, »die bezeichneten Mitheilungen zu machen, ohne daß es Mr. Egerton möglich wäre, auf Sie Verdacht zu werfen. Ich will nicht weiter in Sie dringen, ich sage nur noch das: Sie bestürmen mich, die Hand Ihres Freundes anzunehmen: der Erfolg seiner Werbung scheint für Sie von Interesse, und Sie unterstützen sie mit einer Wärme, welche zeigt, wie sehr Sie für Dasjenige besorgt sind, was Ihnen als ein Glück für ihn erscheint; ich werde seine Hand nicht annehmen, bis ich es thun kann, ohne über meine Armuth erröthen zu müssen – bis meine Mitgift gesichert ist, und dies kann nur erreicht werden durch eine Verbindung meines Bruders mit der Tochter des Verbannten. Um Ihres Freundes willen also überlegen Sie wohl, wie Sie mir in dem ersten Schritte zu dieser Verbindung behülflich sein können. Ist die junge Dame einmal gefunden, so ist meinem Bruder für den Erfolg seiner Werbung nicht bange.«
»Und Sie würden Frank heirathen, wenn die Mitgift gesichert wäre?«
»Ihre Gründe zu seinen Gunsten scheinen mir unwiderstehlich,« versetzte Beatrice zu Boden blickend.
Ein Blitz zuckte aus Randal's Augen, und er sann kurze Zeit nach. Dann erhob er sich langsam, zog seine Handschuhe an und sagte:
»Ich glaube, ich kann Sie bei Ihren Nachforschungen wenigstens in so ferne unbeschadet meiner Ehre unterstützen, als ich jetzt darüber beruhigt bin, daß Sie gegen den Verbannten nichts Schlimmes vorhaben.«
»Schlimmes! – die Zurückgabe seines Vermögens, seiner Würden, seiner Heimath.«
»Und auch mein Herz haben Sie in so ferne auf Ihre Seite gebracht, als Sie mir die beseligende Hoffnung erschließen, zu dem Glücke zweier Freunde beizutragen, die ich innig liebe. Ich will mich daher sorgfältig darüber aufzuklären bemühen, ob sich unter den Flüchtlingen, mit welchen ich zusammen getroffen, die Gesuchten befinden: und ist dies der Fall, so will ich reiflich erwägen, wie ich Ihnen einen Fingerzeig geben kann. Mittlerweile nicht Ein unvorsichtiges Wort gegen Egerton.«
»Vertrauen Sie mir – ich bin eine Frau der großen Welt.«
Randal hatte sich jetzt der Thüre genähert. Er blieb stehen und sagte nachlässig:
»Diese junge Dame muß die Erbin großen Reichthums sein, daß sich ein Mann von dem Range Ihres Bruders bewogen findet, auf ihre Entdeckung so viel Mühe zu verwenden«
»Ihr Reichthum wird sehr bedeutend sein,« erwiderte die Marchesa, »und wenn es Reichthum oder Einfluß in einem fremden Lande irgend wie gestattet sein sollte, die Dankbarkeit meines Bruders zu beweisen –«
»O pfui!« unterbrach sie Randal; und näher tretend führte er ihre Hand an seine Lippen und sagte artig:
»Dies ist Belohnung genug für Ihren preux chevalier Edler Ritter..«
Mit diesen Worten empfahl er sich.
Die Hände auf dem Rücken, das Haupt auf die Brust gesenkt glitt Randal Leslie langsam, verstohlen, lautlos die Straßen entlang, nachdem er das Haus der Italienerin verlassen hatte. Den bisher von ihm verfolgten Plan durchkreuzte ein anderer, noch glänzenderer, denn er versprach einen sichereren und unmittelbareren Gewinn. Wenn die Tochter des Bekannten die Erbin solchen Reichthums war, so konnte er ja selbst hoffen –. Er hielt in seinem Selbstgespräch plötzlich inne, und sein Athem ging rascher.
Sein letzter Besuch bei dem Squire hatte ihn mit Riccabocca in Berührung gebracht und Violanten's Schönheit hatte ihn überrascht. Ein unbestimmter Verdacht ward in ihm rege, dies könnten die Personen sein, welche die Marchesa suche, und der Verdacht war durch die Beschreibung, welche Beatrice von dem Flüchtling entworfen hatte, verstärkt worden. Weil er aber damals den Grund ihrer Nachforschungen nicht erfahren und bei Ermittelung der Wahrheit sein persönliches Interesse in keiner Weise betheiligt fand, so hatte er das fragliche Geheimniß in die Klasse derjenigen verwiesen, deren nähere Erforschung der Zeit und Gelegenheit überlassen bleiben könne.
Sicherlich hegt der Leser von Randal Leslie's rücksichtslosem Geiste nicht die ungerechte Erwartung, zartes Ehrgefühl, auf welches er so ritterlich anspielte, habe ihn abgehalten, seiner schönen Freundin alles, was er von Riccabocca wußte, anzuvertrauen. Er hatte Audley Egerton's Warnung vor unbesonnenem Vertrauen der Wahrheit gemäß berichtet, obwohl er eine neuere und bestimmtere Mahnung desselben zur gleichen Vorsicht verschwieg.
Sein erster Besuch in Hazeldean war gemacht worden, ohne Egerton zu Rathe zu ziehen. Er hatte einige Tage in seines Vaters Hause zugebracht und sich von hier aus zu dem Squire begeben. Bei seiner Rückkehr nach London hatte er jedoch von diesem Besuche Audley erzählt, welcher darüber beunruhigt und sogar ungehalten schien, obgleich Randal Egerton's Charakter zu gut kannte, um zu vermuthen, der Grund seiner Verstimmung liege in der zwischen ihm und seinem Halbbruder herrschenden Entfremdung. Randal war daher etwas verblüfft über diese Unzufriedenheit. Da aber seine Plane ein vertrautes Verhältniß zu dem Squire nöthig machte, so fügte er sich dieses Mal nicht mit gemahnter Unterwürfigkeit in die Launen seines Gönners und bemerkte, er würde es sehr bedauern, das Mißfallen seines Wohlthäters auf sich zu laden; seinem Vater sei aber selbstverständlich daran gelegen daß es nicht den Anschein habe, als schlage er die freundschaftliche Annäherung Mr. Hazeldean's gering an.
»Warum selbstverständlich?« frug Egerton.
»Weil ich, wie Sie wissen, mit Mr. Hazeldean verwandt bin – meine Großmutter war eine Hazeldean.«
»Ah!« sagte Egerton, der, wie früher bemerkt worden, von dem Hazeldean'schen Stammbaum wenig wußte und sich noch weniger darum bekümmerte, »entweder hatte ich gar nicht hieran gedacht, oder hatte ich es vergessen. Und Ihr Vater glaubt, der Squire könnte Ihnen ein Legat vermachen?«
»O Sir, mein Vater ist nicht so geldgierig – ein solcher Gedanke kam ihm nie in den Sinn. Wohl aber hat der Squire selbst gesagt: ›Wenn Frank etwas zustoßen sollte, so wären Sie der nächste Erbe meiner Güter, und deßhalb müssen wir einander kennen lernen.‹ Allein –«
»Genug,« unterbrach ihn Egerton. »Ich bin der Letzte, der das Recht in Anspruch nimmt, zwischen Ihnen und irgend einer – auch der geringsten Aussicht auf Vermögen zu stehen. Und wen trafen Sie in Hazeldean?«
»Es war Niemand da, Sir! nicht einmal Frank.«
»Hm. Kommt der Squire mit seinem Pfarrer nicht gut aus? Händel wegen des Zehnten?«
»O, keine Händel. Ich vergaß Mr. Dale; ich sah ihn ziemlich oft. Er ist voll Lob und Bewunderung über Sie, Sir.«
»Ueber mich – und warum? Was sagte er von mir?«
»Ihr Herz sei so gesund, wie Ihr Kopf; er habe ein Mal mit Ihnen wegen einiger seiner alten Pfarrkinder gesprochen; und er sei sehr ergriffen gewesen von der Tiefe des Gefühls, das er bei einem Welt- und Staatsmanne nicht erwartet hätte.«
»O, das war alles? Fiel wohl in die Zeit, da ich Parlamentsmitglied für Lansmere war?«
»Ich glaube so.«
Weiteres war damals nicht gesprochen worden; als jedoch Randal dem Squire wieder einen Besuch machen sollte, hatte er Egerton förmlich um seine Einwilligung gebeten, und Letzterer hatte nach kurzem Zögern ebenso förmlich erwidert: »Ich habe nichts dagegen.«
Nach seiner Zurückkunft erwähnte Randal, daß er mit Riccabocca zusammen getroffen sei. Egerton war im ersten Augenblick etwas betreten und sagte dann ruhig:
»Ohne Zweifel ein politischer Flüchtling; nehmen Sie sich in Acht, daß Sie nicht Madame di Negra auf seine Spur bringen. Vergessen Sie nicht, daß sie im Verdachte steht, eine Spionin der österreichischen Regierung zu sein.«
»Verlassen Sie sich auf mich,« sagte Randal; »aber man sollte denken, dieser arme Doktor könne kaum die Person sein, welche sie zu entdecken sucht.«
»Dies ist nicht unsere Sache,« antwortete Egerton; »wir sind englische Gentlemen und enthalten uns jedes Schrittes, um fremden Geheimnissen näher zu kommen.«
Als Randal über diese etwas doppelsinnige Antwort nachdachte und sich der Unruhe erinnerte, mit welcher Egerton den ersten Bericht über seinen Besuch in Hazeldean aufgenommen hatte, glaubte er in der That, dem Geheimnisse, welches Egerton vor ihm und vor Jedermann zu verbergen wünschte, ganz nahe zu sein – nämlich dem Incognito des Italieners, welchen Lord L'Estrange unter seinen Schutz genommen hatte.
»Meine Karten,« sagte Randal zu sich selbst, indem er mit einem Seufzer aus tiefster Brust sein Selbstgespräch wieder aufnahm, »sind schwierig zu mischen. Auf der einen Seite würde es mir der Squire nie verzeihen, Frank in eine Heirath mit dieser Ausländerin verwickelt zu haben. Auf der andern Seite, wenn sie ihn nicht ohne die Mitgift heirathen will – und diese von der Verbindung ihres Bruders mit seiner Landsmännin abhängt – und diese Landsmännin, wie ich mir einbilde, Violante ist – und Violante ein solches Erbe zu erwarten hat – und ich sie für mich gewinnen soll –, st! So zarte Bedenken bei einer Frau in Beatrice di Negra's Lage und Stellung müssen sich leicht ausreden lassen. Ja, gerade der Verlust dieser Verbindung für ihren Bruder, der Verlust ihrer eigenen Mitgift, der Druck der Armuth und ihrer Schulden müssen sie zu dem einzigen Ausweg hindrängen, der ihr noch offen steht. Ich will also den alten Plan verfolgen; ich will nach Hazeldean gehen und sehen, ob dort für den neuen ein fruchtbarer Boden vorhanden ist, und dann beide vereinigen. Aha! das Haus Leslie soll aus seinen Trümmern erstehen – und –« Er wurde aus seiner Träumerei durch einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter und durch die laut gesprochenen Worte aufgeschreckt:
»He, Randal, du bist ja mit deinen Gedanken noch abwesender, als da du dich in Eton, griechische Verse murmelnd, vom Ballspiel wegzuschleichen pflegtest.«
»Mein lieber Frank,« sagte Randal, »du – du bist so brusque und ich dachte eben an dich.«
»Wirklich? und dann gewiß in treuer Liebe,« sagte Frank Hazeldean, während sich aus seinem ehrlichen, hübschen Gesichte das arglose, herzliche Vertrauen der Freundschaft abspiegelte; »und der Himmel weiß,« fügte er mit betrübterer Stimme und einem ernsteren Zuge um Mund und Augen bei – »der Himmel weiß, ich bedarf aller der Liebe, die du mir schenken kannst!«
»Ich dachte,« sagte Randal, »der letzte Zuschuß deines Vaters, dessen Ueberbringer zu sein ich so glücklich war, würde deine dringenderen Schulden decken. Ich will nicht predigen, aber ich muß wiederholen, du solltest nicht so verschwenderisch sein.«
Frank (ernsthaft). – »Ich habe mein Möglichstes gethan, anders zu werden. Ich habe meine Pferde verkauft und in den letzten sechs Monaten weder Karten, noch Würfel angerührt; ich wollte nicht einmal in die Lotterie für das letzte Derby Rennen setzen.« Letzteres sagte er mit einem Gesichte, welches an der Möglichkeit zu zweifeln schien, für Versicherungen einer so unnatürlichen Enthaltsamkeit und Tugendhaftigkeit Glauben zu finden.
Randal. – »Ist es möglich? Aber wie kommt es, daß du bei solcher Selbstüberwindung es nicht dahin bringst, innerhalb der Grenzen eines sehr schönen Taschengeldes zu bleiben?«
Frank (kleinlaut). – »Wenn man eben einmal den Kopf unter das Wasser gebracht hat, dann hält es so schwer, sich wieder an die Oberfläche herauf zu arbeiten. Siehst du, ich schreibe alle meine Verlegenheiten jener ersten Verheimlichung meiner Schulden vor meinem Vater zu, als noch so leicht zu helfen gewesen wäre, und als er mit so wohlwollenden Absichten nach London kam.«
»Dann thut es mir leid, daß ich dir diesen Rath gab.«
»O, du meintest es so freundlich, ich mache dir keine Vorwürfe; es war alles mein eigener Fehler.«
»Allerdings drang ich in dich, jene Hälfte deiner Schulden, die unberichtigt geblieben war, von deinem Taschengelde zu bezahlen. Hättest du es gethan, so wäre alles gut gewesen.«
»Ja; aber der arme Borrowell war zu Goodwood in eine solche Klemme gerathen – ich konnte es ihm nicht abschlagen; eine Ehrenschuld – die muß bezahlt werden; so unterschrieb ich noch einen Wechsel für ihn, und dann konnte er ihn nicht bezahlen, der arme Bursche! Wahrhaftig, er würde sich eine Kugel durch den Kopf geschossen haben, wenn ich ihn nicht verlängert hätte. Und jetzt ist er zu einem solchen Betrage mit diesen verwünschten Zinsen angeschwollen, daß er ihn nie bezahlen kann; und Ein Wechsel zieht natürlich einen zweiten nach sich – und alle drei Monate muß verlängert werden; so ist der Teufel und alles los! Wie wenig ich erst für alles, was ich entlehnt, bekommen habe,« fügte Frank mit einer Art kläglichen Erstaunens hinzu. »Nicht fünfzehn Hundert Pfund baares Geld; und die Zinsen würden mich jährlich beinahe ebensoviel kosten – wenn ich es hätte.«
»Nur fünfzehn Hundert Pfund!«
»Außerdem noch sieben große Kistchen der schlechtesten Cigarren, die je geraucht worden sind, sechs Eimer Wein, den Niemand trinken mochte, und einen großen Bären, welcher seines Fettes wegen aus Grönland importirt worden war.«
»Der hätte dir wenigstens die Rechnung bei deinem Friseur ersparen fallen.«
»Ich bezahlte seine Rechnung damit,« sagte Frank, »und recht gutmüthig war es von ihm, mir das Ungethüm abzunehmen; es hatte bereits zwei Soldaten und einen Reitknecht zu Häringen zusammen gedrückt. Ich will dir etwas sagen,« nahm Frank nach einer kurzen Pause wieder auf, »ich habe stark im Sinne, selbst jetzt noch meinem Vater alle meine Verlegenheiten ehrlich zu bekennen.«
Randal (feierlich). – »Hm!«
Frank. – »Was? glaubst du nicht, es wäre das Beste? durch Sparen bringe ich nie genug zusammen – kann nie bezahlen, was ich schuldig bin; und das Ding rollt weiter wie ein Schneeball.«
Randal. – »Nach den Reden des Squire zu urtheilen glaube ich, daß ein einziger Blick in deine Angelegenheiten genügen würde, dir seine Gunst auf immer zu verscherzen; und deine Mutter würde sich so gekränkt fühlen, besonders weil sie voraussetzt, die Summe, welche ich dir neulich brachte, werde zur Befriedigung aller Forderungen ausreichen. Hättest du sie nicht dessen versichert, so stünde die Sache vielleicht anders; aber sie, die eine Unwahrheit so haßt und zu dem Squire sprach: ›Frank sagt, dies werde ihn frei machen; und bei allen seinen Fehlern sagte Frank nie eine Lüge!‹«
»O meine theure Mutter! Ich meine, ich höre sie!« rief Frank mit tiefer Bewegung. »Aber ich sagte keine Lüge, Randal; ich sagte nicht, diese Summe würde mich frei machen.«
»Du trugst mir auf und batest mich, so zu sagen,« erwiderte Randal ernst und kalt; »und tadle mich nicht, wenn ich dir glaubte.«
»Nein, nein! Ich sagte nur, es würde mich für den Augenblick frei machen.«
»Dann war es auf meiner Seite ein trauriges Mißverständniß; und bei solchen Irrungen ist meine Ehre mit im Spiele. Es thut mir leid, Frank, aber bitte mich künftig lieber nicht um meinen Beistand. Du siehst, mit den besten Absichten gebe ich nur mir selbst Blößen.«
»Wenn du mich im Stiche lässest, so kann ich gleich hingehen und mich in den Fluß stürzen,« sagte Frank im Tone der Verzweiflung; »und früher oder später muß mein Vater doch meine Nöthen erfahren. Die Juden drohen bereits, sich an ihn zu wenden; und je länger es hinaus gezogen wird, desto fürchterlicher ist die Erklärung.«
»Ich sehe nicht ein, warum dein Vater je erfahren soll, wie es mit dir steht; und es scheint mir, du könntest diese Wucherer bezahlen und diese Wechsel los werden, indem du unter verhältnißmäßig leichten Bedingungen Geld aufnimmst.«
»Wie?« rief Frank begierig.
»Das Casino gehört als Fideicommiß dir, und du kannst darauf eine Summe erhalten, die nicht eher bezahlt zu werden braucht, als bis du in die Rechte des Eigentümers eingesetzt bist.«
»Nach dem Tode meines armen Vaters? Nein – nein! Ich kann den Gedanken an diese kaltblütigen Berechnungen für den Fall des Todes eines Vaters nicht ertragen. Ich weiß, es ist nicht ungewöhnlich; ich kenne Solche, die es gethan haben; aber sie hatten keine so gütigen Eltern, wie ich; und sogar bei ihnen verletzte und empörte es mich. Den Tod eines Vaters in Aussicht zu nehmen, um Vortheil daraus zu ziehen, kommt mir wie eine Art Vatermord vor: es ist unnatürlich, Randal. Ueberdies, erinnerst du dich nicht, was mein Vater sagte – er weinte helle Thränen dabei –, ›rechne nie auf meinen Tod; ich könnte es nicht ertragen‹. O Randal, sprich nicht davon!«
»Ich ehre deine Gesinnung; übrigens magst du so viel Postobit-Verträge Ein Postobit ist ein nach dem Tode fälliger Schuldschein. abschließen, als du willst – Mr. Hazeldean's Leben werden sie nicht um Einen Tag abkürzen. Doch geben wir diesen Gedanken auf; wir müssen uns auf etwas anderes besinnen. Ha, Frank, du bist ein hübscher Bursche, hast große Anwartschaften – warum heirathest du nicht eine Frau mit Geld?«
»Puh!« rief Frank erröthend. »Du weißt, Randal, daß auf der Welt nur Eine Frau für mich existirt; und diese liebe ich so innig, daß, obgleich ich früher so lebenslustig war, wie Einer, es mir wirklich zu Muthe ist, als hätte der Rest ihres Geschlechtes allen Reiz für mich verloren. Eben jetzt ging ich durch die Straße – nur um an ihre Fenster hinauf zu sehen.«
»Du sprichst von Madame di Negra? Ich komme von ihr her. Allerdings ist sie zwei oder drei Jahre älter als du; aber wenn du dich über dieses Unglück hinweg setzen kannst, warum heirathest du sie nicht?«
»Sie heirathen!« rief Frank starr vor Erstaunen, und alle Farbe wich von seinen Wangen. »Sie heirathen! Sprichst du im Ernst?«
»Warum nicht?‹
»Aber selbst wenn sie, die so vollkommen, so bewundert ist – selbst wenn sie meine Hand annehmen würde, so ist sie, wie du weißt, noch ärmer, als ich. Sie hat es mir offen gesagt. Diese Frau hat ein so edles Herz! Und – und – mein Vater würde nie einwilligen, und auch meine Mutter nicht. Ich weiß, sie würden nicht.«
»Weil sie eine Ausländerin ist?«
»Ja, auch deswegen.«
»Und doch ließ es der Squire zu, daß seine Cousine einen Ausländer heirathete.«
»Das war etwas Anderes. Er hatte keine Gewalt über Jemima; und eine Schwiegertochter ist etwas hievon so Verschiedenes und mein Vater ist so englisch in seinen Begriffen; und Madame di Negra, siehst du, ist dann wieder so sehr Ausländerin; gerade ihre Anmuth würde ihn gegen sie einnehmen.«
»Ich glaube, du thust deinen beiden Eltern Unrecht. Gegen eine Ausländerin von niedriger Geburt – eine Schauspielerin oder Sängerin zum Beispiel – ließen sich natürlich gewichtige Bedenken erheben; aber eine Frau wie Madame di Negra, von so hoher Geburt, mit so vornehmen Verbindungen –«
Frank schüttelte den Kopf »Ich glaube nicht, daß sich mein Vater einen Strohhalm um ihre Verbindungen kümmern würde, und wenn sie die Tochter eines Königs wäre. Ihm gelten alle Ausländer so ziemlich gleich viel. Und dann, weißt du« (Frank's Stimme sank zu einem Flüstern herab) – »weißt du, einer der Hauptgründe, warum sie mir so theuer ist, wäre für die altmodischen Leute zu Hause ein unübersteigliches Hinderniß.«
»Ich verstehe dich nicht, Frank.«
»Ich liebe sie um so mehr,« sagte der junge Hazeldean, sich mit einem edeln Stolze aufrichtend, der für seine Abstammung aus einem Geschlechte von Cavalieren und Gentlemen Zeugniß abzulegen schien, »ich liebe sie um so mehr, weil die Welt ihren Namen verläumdet hat – weil ich überzeugt bin, daß sie rein ist und unschuldig leidet. Aber würden sie es in der Halle glauben – sie, die nicht mit den Augen eines Liebenden sehen – die alle die eigensinnigen englischen Begriffe über das Ungehörige und Freie der Festlands-Manieren haben und so bereit sind, das Schlimmste vorauszusetzen? – O nein – ich liebe, ich kann nicht anders – aber ich habe keine Hoffnung.«
»Es ist sehr wohl möglich, daß du Recht hast,« rief Randal, von den Gründen seines Gefährten scheinbar betroffen und halb überzeugt, »sehr wohl möglich; und ohne Zweifel würden die einfachen Leutchen in der Halle anfangs einen großen Lärmen aufschlagen, wenn sie hörten, daß du mit Madame di Negra verheirathet seist. Indessen wenn dein Vater erführe, daß du nicht aus bloßer Leidenschaft so gehandelt habest, sondern um ihm alle weiteren Geldopfer zu ersparen – dich selbst schuldenfrei zu machen –«
»Nun, was dann?« rief Frank ungeduldig.
»Ich habe glaubwürdige Kenntniß davon, daß Madame di Negra's Mitgift so groß sein wird, wie sie dein Vater von einer Engländerin vernünftiger Weise nur erwarten kann. Und wenn solches dem Squire gehörig auseinander gesetzt und die hohe Stellung und der hohe Rang deiner Gattin recht nachdrücklich vor Augen geführt wird – denn seine Wirkung kann dies nicht verfehlen ungeachtet deiner übertriebenen Begriffe hinsichtlich seiner Vorurtheile – und wenn er dann Madame di Negra sieht und über ihre Schönheit und seltene Gaben selbst urtheilen kann – auf mein Wort, Frank, ich glaube, du hättest da nichts zu befürchten. Ueberdies bist du ja sein einziger Sohn. Es wird ihm keine andere Wahl bleiben, als dir zu verzeihen; und ich weiß, wie sich deine beiden Eltern darnach sehnen, dich versorgt zu sehen.«
Frank's ganzes Gesicht wurde strahlend. »Niemand versteht den Squire so, wie du, das ist sicher,« sagte er mit lebhafter Freude. »Er hat die höchste Meinung von deinem Verstande. Und du glaubst also wirklich, du könnest alles glatt und eben machen?«
»Ich glaube so; aber ich möchte dich nicht zu einem möglicher Weise gefährlichen Schritte verleiten; und wenn du bei ruhiger Ueberlegung der Ansicht bist, du könntest dich einer Gefahr aussetzen, so rathe ich dir dringend, daß du jede Gelegenheit, die arme Marchesa zu sehen, vermeidest. Ah, du bist nicht damit einverstanden? Aber ich sage dies ebensogut zu ihrem, wie zu deinem Besten. Für's Erste vergiß nicht, daß du, wenn du nicht ernstliche Absichten hast, mit deinen Aufmerksamkeiten den ungegründeten und für deine Gefühle so schmerzlichen Gerüchten neue Nahrung gibst; und für's Zweite halte ich keinen Mann für berechtigt, sich um die Neigung einer Frau – und noch dazu einer Frau, die mit ihrer Liebe ihr ganzes Herz entgegen zu bringen scheint – nur Behufs Befriedigung der eigenen Eitelkeit zu bemühen.«
»Eitelkeit! Guter Gott! Kannst du mir so etwas zutrauen? Aber was die Neigung der Marchesa betrifft,« fuhr Frank zögernd fort, »glaubst du wirklich und ehrlich, daß ich sie mir gewinnen kann?«
»Ich fürchte, sie ist schon halb gewonnen,« sagte Randal und schüttelte lächelnd den Kopf; »aber Beatrice ist zu stolz, dir den Eindruck zu verrathen, den du auf sie machst, besonders wenn du, wie ich voraussetze, nie die Hoffnung durchblicken ließest, ihre Hand zu erlangen.«
»Nie bis jetzt trug ich mich mit einer solchen Hoffnung. Mein lieber Randal, alle meine Sorgen sind verschwunden – mir ist wunderbar leicht zu Muthe – ich habe große Lust, auf der Stelle zu ihr zu gehen.«
»Langsam, langsam,« sagte Randal. »Erlaube mir ein Wort der Warnung. Ich theilte dir soeben mit, Madame di Negra habe, was du bisher nicht wußtest, ein ihrer Geburt angemessenes Vermögen zu erwarten. Ein plötzlicher Wechsel in deinem Benehmen könnte sie auf den Gedanken bringen, diese Nachricht sei für dich bestimmend gewesen.«
»Ah!« rief Frank und hielt in tiefster Seele verwundet inne. »Und ich habe ein Gefühl der Schuld – ein Gefühl, als hätte in der That diese Nachricht meinen Entschluß bestimmt. Und so ist es auch, wenn ich länger darüber nachdenke,« fügte er mit einer gewissen salbungsvollen Naivetät bei; »aber ich hoffe, sie wird nicht sehr reich sein, sonst gehe ich nicht hin.«
»Beruhige dich, es sind nur etliche zwanzig oder dreißig tausend Pfund, welche gerade hinreichen würden, dich aller deiner Schulden zu entledigen und Eurer Verbindung jedes Hinderniß aus dem Wege zu räumen. Als Entschädigung könntest du dann für ein mehr als entsprechendes Witthum das Casino verpfänden. Da ich einmal an diesem Gegenstande bin, so will ich noch offener sein. Madame die Negra hat ein edles Herz, wie du sagst, und erzählte mir selbst, daß, wenn nicht ihr Bruder bei seiner Ankunft ihr diese Mitgift zugesichert hätte, sie nie in eine Heirath mit dir eingewilligt haben würde, nie dem Manne, welchen sie liebt, mit ihren eigenen Verlegenheiten lästig gefallen wäre. Ach! mit welcher Wonne wird sie den Gedanken begrüßen, dir in deinen Bemühungen zur Versöhnung deines Vaters beizustehen! Aber sei auf deiner Hut bis dahin. Und jetzt, Frank, was meinst du, wäre es nicht gut, wenn ich nach Hazeldean hinunter eilte, um deine Eltern auszuforschen? Es ist mir freilich etwas unbequem, gerade jetzt London zu verlassen, aber ich würde noch mehr als dies thun, um dir einen auch weniger wichtigen Dienst zu ermessen. Ja, ich will morgen nach Rood Hall und von da nach Hazeldean gehen. Ich bin überzeugt, dein Vater wird in mich dringen, zu bleiben, und ich werde reichliche Gelegenheit haben, mir ein Urtheil darüber zu bilden, in welchem Lichte er deine Verbindung mit Madame di Negra betrachten würde – vorausgesetzt immer, daß es ihm auf die rechte Weise beigebracht wird. Hiernach können wir dann handeln.«
»Mein lieber, lieber Randal, wie soll ich dir danken? Wenn je ein armer Junge, wie ich, dir einen Gegendienst leisten kann – aber dies ist unmöglich.«
»Allerdings werde ich dich wohl nie bitten, einen Wechsel als mein Bürge zu unterzeichnen,« versetzte Randal lachend. »Ich übe die Sparsamkeit aus, die ich predige.«
»Ach!« sagte Frank mit einem Stöhnen, »dein Geist ist gebildet – du besitzest so viele Hilfsquellen, und alle meine Fehler rühren vom Müssiggange her. Hätte ich an Regentagen irgend eine Beschäftigung gehabt, so wäre ich nie in diese Nöthen gekommen!«
»O, die Verwaltung deines Eigenthums wird dich seiner Zeit hinreichend beschäftigen. Wer nichts sein eigen nennt, muß in der Wissenschaft Ersatz finden. Adieu, mein lieber Frank – ich muß jetzt nach Hause. Beiläufig, du hast Madame di Negra nie zufällig von den Riccabocca's gesprochen?«
»Von den Riccabocca's? Nein. Gut, daß du daran denkst; vielleicht interessirt es sie, zu wissen, daß eine Verwandte von mir ihren Landsmann geheirathet hat. Sehr sonderbar, daß ich es nie erwähnte; aber, die Wahrheit zu gestehen, ich spreche eigentlich so wenig mit ihr: sie hat einen so überlegenen Geist, und ich fühle mich förmlich schüchtern ihr gegenüber.«
»Thu mir den Gefallen, Frank,« sagte Randal, ruhig wartend, bis diese Erwiderung zu Ende war – denn er suchte diese ganze Zeit nach einem Grunde für das Verlangen, welches er stellen wollte – »nie auf die Riccabocca's anzuspielen, weder gegen sie, noch gegen ihren Bruder, welchem du jedenfalls vorgestellt werden wirst.«
»Warum nicht auf sie anspielen?«
Randal zögerte einen Augenblick. Noch immer wollte ihm kein glücklicher Gedanke kommen, und so hielt er es wunderbarer Weise für die beste Politik, so ziemlich bei der Wahrheit zu bleiben.
»Nun, ich will es dir sagen. Die Marchesa verbirgt nichts vor ihrem Bruder, und er ist einer der wenigen Italiener, welche bei dem östreichischen Hofe in hoher Gunst stehen.«
»Ja?«
»Und ich habe den armen Doctor Riccabocca im Verdachte, daß er aus seinem Vaterlande in Folge eines tollen Revolutionversuches geflohen ist und sich noch immer vor der östreichischen Polizei versteckt hält.«
»Aber hier können sie ihm nichts anhaben,« sagte Frank mit der den Engländern inne wohnenden störrischen Ueberzeugung von der Heiligkeit seines Landes. »Ich möchte den Oesterreicher sehen, der sich anmaßen wollte, uns vorzuschreiben, wen wir aufnehmen dürfen und wen nicht.«
»Hm – das ist ohne Zweifel richtig und verfassungsmäßig; wenn aber Riccabocca für die Bewahrung seines Incognito triftige Gründe haben sollte – und, offen gesprochen, ich weiß, daß er welche hat (vielleicht beziehen sie sich auf die Sicherheit seiner Freunde in Italien) – so sind wir verpflichtet, diese Gründe ohne weitere Untersuchung zu achten.«
Allein in diesem Punkte zeigte Frank eine Schlauheit, die ebenso wie seine sonstige Leichtgläubigkeit, in seinem Ehrgefühl ihren Grund hatte. Er blieb hartnäckig bei seiner Ansicht und erwiederte:
»Gleichwohl kann ich von Madame di Negra nicht so gering denken, um anzunehmen, sie würde sich zu einer Spionin hergeben und einen armen Landsmann in's Unglück bringen, welcher auf dieselbe Gastfreundschaft baut, deren sie selbst sich in England erfreut. O, wenn ich das denken müßte, könnte ich sie nicht lieben,« fügte er mit Nachdruck bei.
»Ohne Zweifel hast du Recht. Aber bedenke doch die falsche Stellung, in welche du sie und ihren Bruder bringen würdest. Wenn sie Riccabocca's Geheimniß kennen und es der östreichischen Regierung verrathen, so wäre dies, wie du sagst, grausam und unwürdig; aber wenn sie es kennen und verheimlichen, so könnte dies für Beide sehr ernste Folgen haben. Du weißt, die östreichische Polizei ist sprüchwörtlich so eifersüchtig und tyrannisch.«
»In den Zeitungen steht es allerdings.«
»Und, kurz, Verschwiegenheit kann nichts schaden, wohl aber das Gegentheil. Deßhalb gib mir dein Wort, Frank. Ich kann jetzt nicht länger mit dir streiten.«
»Ich will der Riccabocca's nicht einmal andeutungsweise erwähnen – mein Ehrenwort darauf,« antwortete Frank; »aber überzeugt bin ich, daß sie von der Marchesa so wenig zu befürchten hätten, wie von –«
»Ich verlasse mich auf dein Ehrenwort,« unterbrach ihn Randal hastig und eilte fort.
In der Abenddämmerung des folgenden Tages schlug Randal Leslie von einem, etwa eine Stunde von Rood Hall entfernten Dorfe aus, bei welchem er den Postwagen verlassen hatte, langsam die Richtung nach der Hauptstraße ein. Er ging durch Wiesen und Kornfelder und am Rande von Wäldern hin, welche früher Eigenthum seiner Vorfahren gewesen, nun aber längst veräußert waren. Er befand sich allein inmitten der Erinnerungen seiner Knabenjahre, der Scenen, wo er zuerst den großen Geist des Wissens angerufen hatte, sein göttliches Wesen den Forderungen eines irdischen, ungestümen Ehrgeizes dienstbar zu machen. Oft blieb er stehen, besonders wenn die Unebenheiten des Bodens einen Blick auf den grauen Kirchthum oder auf die düsteren Forchen gestattete, welche sich über die verlassenen Oeden von Rood erhoben.
»Wie oft,« dachte Randal, und der Ausdruck seines Auges wurde milder, »wie oft habe ich hier die Fruchtbarkeit der Ländereien, welche dem Erbe meiner Väter entrissen worden, mit der einsamen Wildniß verglichen, welche ihrer zerbröckelnden Halle geblieben ist – wie oft habe ich hier zu mir selbst gesagt: ›Ich will den Wohlstand meines Hauses von Neuem aufbauen!‹ Und sofort war die Anstrengung nicht mehr Sclaven-, sondern königliche Arbeit, und die Bücher wurden lebendige Heere, welche meinen Gedanken gehorchten. Wieder – wieder – du stolze Vergangenheit, stähle und kräftige mich in dem Kampfe mit der Zukunft.«
Seine bleichen Lippen zuckten bei diesem Selbstgespräche, denn sein Gewissen mahnte ihn, während er so mit seinem Willen verkehrte, und die Mahnung war in der Ruhe der ländlichen Umgebung vernehmbarer, als in dem Getriebe und Getöse des gewaffneten und schlaflosen Lagers, welches wir »Stadt« nennen.
Obgleich dem Ehrgeize ein weiteres und gemeinnützigeres Feld offen steht, als die Wiederherstellung eines Namens, so ist doch schon dies an sich ein erhabener und ritterlicher Zweck, welcher in dem menschlichen Herzen lebhafte Theilnahme weckt. Aber alle edleren Gefühle und Bestrebungen schienen bei ihrer Wanderung durch den Mechanismus von Randal's Verstande jedes goldene Körnchen abzustreifen und als reiner, unvermischter Egoismus zum Vorschein zu kommen.
Gleichwohl ist es eine seltsame Wahrheit, daß in einem Manne mit gebildetem Geiste, so verkehrt und lasterhaft er auch sein mag, hie und da bessere Regungen und klare Ahnungen einer moralischen Schönheit, welche der thierischen, gedankenlosen Niederträchtigkeit ungebildeter Schurkerei versagt sind, auftauchen und vielleicht am Ende noch als Strafe dienen, sofern, nach dem alten Worte des Satyrikers, es keinen größeren Fluch gibt, als die Tugend zu erkennen und dem Laster zu folgen.
Und während der einsame Plänemacher langsam weiter ging und seine, wenigstens in ihrem Thun schuldlose Kindheit deutlich aus dem Kreise entschwundener Träume vor ihn hin trat – weit reinere Träume, als diejenigen, aus welchen er gegenwärtig jeden Morgen zu der schaffenden Menschenwelt erwachte – da bemächtigte sich seiner eine tiefe Schwermuth, und plötzlich rief er laut: » Damals trachtete ich nach Ruhm und Größe; jetzt – wie kommt es, daß, nachdem ich in meiner Laufbahn so weit vorgeschritten, alle hohen Ziele der früheren Jahre verschwunden sind und mir nur solche beachtenswerth erscheinen, welche der Knabe niedrig und schnöde genannt haben würde? Ah! ist es deßhalb, weil ich damals nur Bücher las und jetzt mein Wissen verwerthe, und der Umgang mit Menschen befleckender wirkt, als der mit Büchern? Aber,« fuhr er mit leiserer Stimme, sich selbst widerlegend, fort; »wenn Macht einzig und allein so gewonnen werden kann – und was nützt ein Wissen, welches nicht Macht ist –rechtfertigt nicht der Erfolg im Leben alle Dinge? Und wer schätzt den Weisen, dem alles fehlschlägt?«
Er setzte seinen Weg fort, aber noch immer klang ihm die stille Ruhe um ihn her wie ein Vorwurf, noch immer war seine Vernunft und sein Gewissen unbefriedigt.
Es gibt Zeiten, wo die Natur gleich einem verjüngenden Bade der abgematteten Seele ihre Frische zurückzugeben scheint – Zeiten, aus welchen einzelne Männer wie neugeboren hervorgegangen sind. Die Krisen des Lebens gehen sehr still vor sich.
Plötzlich öffnete sich die Scene vor Randal Leslie's Augen. Die kahle, wüste Fläche, die verfallene Kirche, das alte Herrenhaus, theilweise aus dem feuchten, eingeschlossenen Grunde heraufragend, in welchen dasselbe, wie es Randal schien, noch tiefer eingesunken war, als bei seinem letzten Besuche. Auf jener Fläche spielten einige junge Leute Hockey. Dieses altmodische Spiel, welches man gegenwärtig, außer in Schulen, wenig mehr in England trifft, war in der Umgebung von Rood mit seinen ursprünglichen Zuständen unter den jungen Freisassen und Farmern immer noch im Gange.
Randal blieb am Zaune stehen und sah zu; denn unter den Spielern erkannte er seinen Bruder Oliver. Auf einmal wurde der Ball gegen Oliver hin geschlagen. Im Nu sammelte sich die Gruppe um diesen jungen Gentleman und entzog ihn Randal's Blicken; aber der ältere Bruder hörte einen widerlichen Lärmen, ein höhnisches Gelächter. Oliver hatte sich vor den dicken, schweren Stöcken, die um ihn herum sausten, zurückgezogen und einige Streiche über die Beine erhalten, denn er stieß wimmernde Töne aus, welche durch das Geschrei erstickt wurden:
»Geh' zu deiner Mutter! Das ist wieder Noll Leslie, wie er leibt und lebt, mit seinen dürren Waden!«
Randal's bleiches Gesicht wurde scharlachroth. »Ein Leslie der Spott von Bauern!« murmelte er, mit den Zähnen knirschend, sprang über den Zaun und schritt aufrecht und hochmüthig über die Wiese. Die Spieler erhoben ein unwilliges Geschrei. Randal lüpfte den Hut; sie erkannten ihn und hielten in ihrem Spiel inne. Vor ihm wenigstens empfand man eine gewisse Achtung. Oliver wandte sich rasch um und sprang auf ihn zu. Randal packte ihn am Arme und zog ihn, ohne ein Wort gegen die Uebrigen, dem Hause zu. Oliver warf einen langen Blick des Bedauerns hinter sich, rieb sich die Beine und blinzelte dann ängstlich nach Randal's strengem, ärgerlichem Gesicht.
»Du bist nicht böse, daß ich mit unseren Nachbarn Hockey. spielte?« sagte er bittend, als er bemerkte, daß Randal das Stillschweigen nicht brechen wollte.
»Nein,« erwiderte der ältere Bruder; »aber im Umgange mit seinen Untergebenen weiß ein Gentleman stets seine Würde zu behaupten. Es ist nichts Unrechtes dabei, mit Untergebenen zu spielen; aber ein Gentleman muß so spielen, daß er nicht zum Gespötte von Bauernlümmeln wird.«
Oliver ließ den Kopf hängen und antwortete nichts. Sie kamen in den schmutzigen, inneren Hof, und die Schweine stierten sie durch die Pfähle an, wie deren Vorgänger einst Frank Hazeldean angestiert hatten.
Mr. Leslie Senior, in einem schäbigen Strohhut, war damit beschäftigt, die Hühner vor der Hausthüre zu füttern, und sogar dies that er mit brummiger Schläfrigkeit, indem er beinahe jedes Korn einzeln durch seine trägen, träumerischen Finger gleiten ließ.
Randal's Schwester, welcher die Haare, wie immer, über die Ohren herunterhingen, saß auf einem Stuhl aus Binsengeflecht, in einen zerrissenen Roman vertieft, und von den Fenstern des Wohnzimmers her vernahm man die Stimme der Mrs. Leslie, welche in großer Aufregung ihren Klagen Luft machte.
Wenn man den jungen Erben aller dieser trostlosen Armuth mit seinen scharfen, feinen, geistvollen Zügen und der auffallenden Eleganz in Erscheinung und Kleidung in dem Hofe stehen sah, so begriff man besser, warum seine Seele, dem Egoismus seines Wissens und Ehrgeizes überlassen, in einer solchen Familie und ohne die süße, namenlose Sprache der Heimath sich nach und nach in eine so tiefe und geheime Abgeschlossenheit zurückgezogen, warum der Geist so wenig Nahrung dem Herzen entnommen, und warum die Liebe und Achtung, welche sonst in dem erwärmenden Kreise des häuslichen Herdes zur Blüthe kommen, sich mit ihm zu den Gräbern todter Ahnen geflüchtet hatten, blutlos und gespenstig wie die Gerippe, an welche sie sich anklammerten.
»Ha, Randal, Junge,« sagte Mr. Leslie, nicht ohne Anstrengung die Augen aufschlagend, »wie geht es dir? Wer hätte dich erwartet? Ach Gott! ach Gott!« rief er mit gebrochener Stimme in hülfloser Unbehaglichkeit, »da ist Randal und wird ein Mittagessen oder Nachtessen oder sonst etwas wollen.«
Aber unterdessen war Randal's Schwester, Juliet, aufgesprungen und hatte sich ihrem Bruder an den Hals geworfen, und er hatte sie liebkosend auf die Seite gezogen; denn, was sein Herz an Liebe besaß, gehörte dieser Schwester.
»Du wirst recht hübsch, Juliet,« sagte er, ihr dir Haare zurückstreichend; »warum dir selbst so im Lichte stehen? Warum nicht auf dein Aeußeres mehr Aufmerksamkeit verwenden, wie ich dich so oft gebeten habe?«
»Ich erwartete dich nicht, lieber Randal; du kommst immer so plötzlich und ertappst uns im Dißapil.«
»Dißapil!« wiederholte Randal mit einem Stöhnen. » Déshabillé! Negligé (nachlässige Hauskleidung wie z.B. Morgenmantel, Nachthemd, Pyjama etc.) Du solltest dich nie so ertappen lassen.«
»Niemand sonst ertappt uns so – Niemand sonst besucht uns!« und die junge Dame seufzte aus Herzensgrund.
»Geduld, Geduld! Meine Zeit kommt nächstens, und dann auch die deinige, Schwester,« erwiderte Randal mit einem Blicke unverhohlenen Mitleids auf das Mädchen, welches mit ein wenig Sorgfalt zu einer so schönen Blume hätte herangezogen werden können, während es sich jetzt beinahe wie Unkraut ausnahm.
Und nun rannte Mrs. Leslie in einem Zustande äußerster Aufregung durch das Wohnzimmer, ließ ein Stück ihres Kleides an einem vorstehenden Messingblättchen des nie ausgebesserten Arbeitstisches zurück, raste durch die Halle, stürzte zur Thüre hinaus, daß die Hühner nach rechts und links auseinander stoben, und zog Randal mit unwiderstehlicher Gewalt in ihre mütterlichen Arme.
»O, o, wie du meine Nerven erschütterst!« rief sie, nachdem sie ihm einen saftigen und ungemütlichen Kuß aufgedrückt hatte. »Und du bist hungrig, natürlich, und nichts im Hause, als kaltes Hammelfleisch! Jenny, Jenny! Wo bist du, Jenny? Juliet, hast du Jenny gesehen? Wo ist Jenny? Fort mit dem wunderlichen Kauz, ich stehe dafür.«
»Ich bin nicht hungrig, Mutter,« sagte Randal; »ich wünsche nichts, als Thee.«
Juliet steckte in der Geschwindigkeit die Haare hinauf und flog in das Haus hinein, um den Thee zu richten um sich selbst ein wenig herauszuputzen. Sie liebte ihren hübschen Bruder innig, aber sie hatte großen Respekt vor ihm.
Randal setzte sich auf das morsche Pfahlwerk. »Gib Acht, daß es nicht bricht!« sagte Mr. Leslie in einiger Besorgniß.
»O Vater, ich bin sehr leicht; mit mir bricht nichts.«
Die Schweine rissen die Augen auf und grunzten erstaunt nach dem Fremden hin.
»Mutter,« sagte der junge Mann, Mrs. Leslie zurückhaltend, die eben fort wollte, um auf Jenny Jagd zu machen, »Mutter, du solltest Oliver nicht mit diesen Bauernburschen auf dem Dorfe umgehen lassen. Es ist höchste Zeit, an einen Beruf für ihn zu denken.«
»O, er ißt uns zum Haus und Hof hinaus – dieser Appetit! Aber wegen eines Berufes – zu was taugt er? Er wird nie ein Gelehrter werden.«
Randal nickte trübselig Zustimmung; denn Oliver war allerdings auf Randal's Kosten, die er aus einem Theil seines Diensteinkommens bestritt, nach Cambridge geschickt worden und hatte von dort mit Schmach und Schande wieder abziehen müssen.
»Die Armee,« sagte der ältere Bruder, »ist für einen Gentleman ein ganz passender Beruf. Wie schön Juliet sein könnte – aber – ich gab Geld für Lehrer her, und sie spricht französisch wie ein Stubenmädchen.«
»Und doch geht ihr nichts über ihr Buch. Den ganzen Tag liest sie und ist sonst zu nichts zu brauchen.«
»Liest! Aber was? Elende Romane!«
»Wie du wieder bist! Sobald du kommst, zankst du und findest nichts recht,« sagte Mrs. Leslie empfindlich. »Du bist für uns zu vornehm geworden; und wir erfahren wahrhaftig von anderen Leuten Beleidigungen genug, um nicht von unseren eigenen Kindern ein wenig Achtung erwarten zu können.«
»Ich wollte dich nicht beleidigen,« sagte Randal traurig. »Verzeihe mir; aber wer hat dich sonst beleidigt?«
Dann erging sich Mrs. Leslie in einer ausführlichen und höchst gereizten Aufzählung all' der Demüthigungen und Kränkungen, die sie erlebt hatte: Beschwerden eines kleinen Gutsbesitzers mit großen Ansprüchen und wenig Macht, überhaupt von Leuten, die weder die Lust, sich beliebt, noch das Geschick, sich nützlich zu machen, besitzen, dabei alles, worüber sie sich ärgern, übertreiben und für keine Art von Freundlichkeit dankbar sind.
Farmer Jones hatte sich trotzig geweigert, seinen Wagen zehn Stunden weit nach Kohlen fortzuschicken. Mr. Giles, der Metzger, hatte die Bezahlung seiner Rechnung mit dem Bemerken verlangt, die Kundschaft von Rood sei zu unbedeutend, um auf Borg zu geben. Squire Thornholl, der gegenwärtige Eigenthümer des schönsten Stückes der alten Leslie'schen Domänen, hatte sich die Freiheit herausgenommen, um Erlaubniß zu bitten, ob er nicht auf Mr. Leslie's Gut jagen dürfe, da Mr. Leslie es nicht selbst thue. Lady Spratt (neues Volk aus der Stadt, das in der Nachbarschaft einen Landsitz miethete) hatte einen von Mrs. Leslie entlassenen Dienstboten genommen, ohne sich nach dessen Brauchbarkeit zu erkundigen. Der Lord-Lieutenant hatte einen Ball gegeben und die Leslie's nicht eingeladen. Mr. Leslie's Pächter hatten bei der letzten Wahl gegen den Wunsch ihres Gutsherrn gestimmt.
Was aber das Aergste war, Squire Hazeldean und seine Harry hatten in Rood vorgesprochen, und obgleich Mrs. Leslie Jenny: »Nicht zu Hause!« hinaus gerufen hatte Übersetzung hier fehlerhaft: Mrs. Leslie had screamed out to Jenny, »Not at home«: »obgleich Mrs. Leslie ihrer Jenny zurief: ›Nicht zu Hause« (so zutreffend bei Carl Kolb)., war sie am Fenster gesehen worden, und der Squire hatte seinen Eintritt förmlich erzwungen und die ganze Familie »in einem durchaus nicht präsentabeln Zustande« getroffen. Das wäre noch hingegangen; aber der Squire hatte sich erkühnt, Mr. Leslie Anweisung zu geben, wie er sein Eigenthum zu bewirtschaften habe, und Mrs. Hazeldean hatte wirklich zu Juliet gesagt, sie solle den Kopf in der Höhe tragen und ihre Haare flechten, »als wären wir Dorfleute!« fügte Mrs. Leslie mit dem Stolze einer Mondfydget hinzu.
Randal war vernünftig genug, um die Geringfügigkeit dieser und verschiedener anderer Belästigungen einzusehen; aber dennoch erbitterten und kränkten sie den Erben von Rood. Zum mindesten zeigten dieselben, die gutgemeinte Dienstfertigkeit der Hazeldean's nicht ausgenommen, wie wenig Rücksicht man auf die herabgekommene Familie nahm. Während er noch immer düster und schweigsam auf den Pfählen saß, und seine Mutter, die Haube schief auf dem Kopfe, neben ihm stand, kam Mr. Leslie zu ihm hergeschlürft und sagte in nachdenklichem, weinerlichem Tone:
»Ich wollte, wir hätten eine hübsche Summe Geldes, Randal, Junge!«
Zu Mr. Leslie's Ehre sei gesagt, daß er selten einen Wunsch laut werden ließ, welchem Habsucht zu Grunde lag. Sein Geist mußte ganz besonders angeregt worden sein, um über die normalen Grenzen seiner trägen, stumpfsinnigen Zufriedenheit hinauszugehen.
Randal blickte daher erstaunt zu ihm auf und sagte: »Ja? Und warum?«
»Die Herrengüter von Rood und Dulmansberry und alle die Ländereien da drüben, die mein Urgroßvater weggab, sollen wieder verkauft werden, wenn Squire Thornhill's ältester Sohn volljährig wird, damit die Fideicommiß-Eigenschaft aufhört. Sir John Spratt spricht davon, sie zu kaufen. Ich möchte sie wohl wieder zurück haben! Es ist eine Schande, wenn man sieht, wie die Leslie'schen Güter in den Straßen ausgeboten und von den Spratts und derlei Volk gekauft werden. Ich wollte, ich hätte eine groß – große Summe baaren Geldes.«
Der arme Gentleman spreizte, als er so sprach, seine hülflosen Finger aus und verfiel in ein niedergeschlagenes Brüten.
Randal sprang von seinem Sitze empor – eine Bewegung, welche die Schweine aus ihrer Beschaulichkeit aufschreckte und sie laut grunzend die Flucht ergreifen ließ. »Wann wird der junge Thornhill volljährig?«
»Letzten August war er neunzehn. Ich weiß es, weil ich an dem Tage, an welchem er geboren wurde, mein Seepferd-Fossil heraus holte dicht neben der Kirche von Dulmansberry, als die Freudenglocken läuteten. Mein Seepferd-Fossil! Das gibt ein Familienstück, Randal –«
»Zwei Jahre, beinahe zwei Jahre – dann – ah – ah,« sagte Randal, und als jetzt seine Schwester erschien, um zu melden, daß der Thee fertig sei, schlang er die Arme um ihren Nacken und küßte sie. Juliet hatte ihre Haare und ihren Anzug geordnet. Sie sah sehr hübsch und jetzt in der That wie ein Mädchen von Stande aus, mit den schlanken Gliedern und dem schön geformten Kopfe einigermaßen an Randal's feine Proportionen erinnernd.
»Gedulde dich, gedulde dich noch, liebe Schwester,« flüsterte Randal, »und erhalte dir während zwei weiteren Jahren dein gesundes Herz.«
Der junge Mann war heiter und gut gelaunt bei seinem einfachen Mahle, während seine Familie um ihn herum saß. Als es vorüber war, zündete Mr. Leslie seine Pfeife an und rief nach seinem Branntwein mit Wasser. Mrs. Leslie erkundigte sich nach London und dem Hofe und dem neuen König und der neuen Königin und Mr. Audley Egerton, und hoffte, Mr. Egerton werde all' sein Geld Randal hinterlassen, und Randal werde eine reiche Frau heirathen, und der König werde ihn an einem der nächsten Tage zum Premierminister machen; und dann wollte sie sehen, ob sich Farmer Jones weigern würde, seinen Wagen nach Kohlen fortzuschicken!
Und von Zeit zu Zeit, wenn die Worte »reich« oder »Geld« an Mr. Leslie's Ohr schlugen, schüttelte er den Kopf, nahm die Pfeife aus dem Munde und sagte:
»Ein Spratt sollte nicht haben, was meinem Ururgroßvater gehörte. Wenn ich nur eine hübsche Summe baaren Geldes hätte! Die alten Familiengüter!«
Oliver und Juliet saßen stille da und benahmen sich anständig, und Randal, welcher seinen eigenen Träumereien nachhing, klangen die Worte »Geld,« »Spratt,« »Urgroßvater,« »reiche Frau,« »Familiengüter« undeutlich und leise, wie ferne Stimmen aus der Welt der Romantik und der Sage, wie Zauberprophezeiungen von Dingen, die werden sollten.
Dies war der Herd, welcher die Natter wärmte, die sich in Randal's Herzen einnistete und dort fortfraß, all' das Streben vergiftend, welches die Jugend zu einem reinen, der Ehrgeiz zu einem erhabenen und die Wissenschaft zu einem gemeinnützigen und göttlichen hätte machen sollen.
Als das ganze Haus schon in tiefem Schlafe lag, stand Randal noch lange an dem offenen Fenster und blickte auf die traurige, ungemütliche Scene hinaus, wo der Mond von dem halb herbstlichen, halb winterlichen Himmel zwischen den rauh gehaltenen Forchen hindurch auf schmutzigen Zerfall hernieder schien; und als er sich zur Ruhe legte, war sein Schlaf fieberisch und von wirren Träumen gestört.
Indessen war er am anderen Morgen früh auf, und seine Wangen zeigten ungewöhnlich viel Farbe, was seine Schwester der Landluft zuschrieb. Nach dem Frühstück miethete er von einem benachbarten Farmer, der gelegentlich sagte, ein leidliches Pferd und schlug auf demselben die Richtung nach Hazeldean ein.
Es war noch nicht Mittag, als er den Garten und die Terrasse des Casino's vor sich sah. Er zog die Zügel an und erblickte bei dem kleinen Springbrunnen, bei welchem Leonard einst seine Radischen zu verzehren und sein Buch zu verschlingen pflegte, Riccabocca, unter dem Schatten des rothen Regenschirmes sitzend. Und an der Seite des Italieners stand eine Gestalt, die ein Grieche des Alterthums für die Najade der Quelle Die Najaden sind Nymphen in der griechischen Mythologie, die über Quellen, Bäche, Flüsse, Sümpfe, Teiche und Seen wachen. gehalten hätte; denn in ihrer jugendlichen Schönheit lag eine solche Fülle von Poesie, so viel mit Anmuth gepaarte Würde, daß sich die Phantasie gefesselt und die Sinne bezaubert fühlten.
Randal stieg ab, band sein Pferd an das Gartenthor, ging einen Laubgang hinunter und stand plötzlich vor ihnen. Sein dunkler Schatten fiel auf den klaren Spiegel des Springbrunnens, als eben Riccabocca gesagt hatte:
»Alles hier ist so sicher vor dem Uebel! Die Wellen des Springbrunnens werden nie getrübt, wie die des Flusses!«
Und Violante hatte, die dunkeln, geistvollen Augen aufschlagend, in ihrer weichen Muttersprache geantwortet:
»Aber der Springbrunnen wäre nur ein lebloser Sumpf, mein Vater, wenn nicht der Strahl zum Himmel emporstiege!«
Randal trat näher. – »Ich fürchte, Signor Riccabocca, daß ich einigermaßen gegen das Ceremoniel verstoße.«
»Das Ceremoniel bei Seite zu setzen, ist die zarteste Art, ein Compliment zu machen,« versetzte der höfliche Italiener, nachdem er sich von der ersten Ueberraschung über Randal's plötzliche Anrede erholt hatte, und bot ihm die Hand hin.
Violante neigte auf die achtungsvolle Begrüßung des jungen Mannes das anmuthige Haupt.
»Ich bin auf dem Wege nach Hazeldean,« nahm Randal wieder auf, »und da ich Sie im Garten bemerkte, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, lästig zu fallen.«
Riccabocca. – »Sie kommen von London? Unruhige Zeiten für die Engländer. Aber ich verlange keine Neuigkeiten zu hören; uns können sie gleichgültig sein.«
Randal (sanft). – »Vielleicht – nicht.«
Riccabocca (betroffen). – »Wie so?«
Violante. – »Gewiß spricht er von Italien, und Neuigkeiten aus diesem Lande sind dir doch noch nicht gleichgültig, mein Vater.«
Riccabocca. – »Nein, nein, nichts ist mir weniger gleichgültig, als dieses Land; seine Westwinde könnten eine Pyramide aus dem Gleichgewicht bringen! Wirf deinen Mantel um, Kind, und gehe hinein; es ist plötzlich kalt geworden.«
Violante lächelte gegen ihren Vater, warf einen unruhigen Blick auf Randal's ernste Stirne und ging langsam dem Hause zu.
Riccabocca wartete schweigend einige Augenblicke, ob Randal das Gespräch fortsetze, und sagte dann scheinbar unbekümmert: »Sie glauben also, daß mir Ihre Neuigkeiten nicht gleichgültig sein könnten? Corpo di Bacco! Ich bin begierig zu erfahren, was es ist!«
»Ich irre mich vielleicht – es kömmt darauf an, wie Sie mir Eine Frage beantworten. Kennen Sie den Grafen von Peschiera?«
Riccabocca machte eine rasche Bewegung und erblaßte. Er konnte das wachsame Auge des Fragenden nicht täuschen.
»Genug,« sagte Randal; »ich sehe, daß ich Recht hatte. Vertrauen Sie der Redlichkeit meiner Gesinnung. Ich spreche nur, um Sie zu warnen und Ihnen zu dienen. Der Graf sucht den Zufluchtsort eines Landsmanns und Verwandten zu entdecken.«
»Und zu welchem Zweck?« rief der Italiener, alle Zurückhaltung vergessend. Seine Brust erweiterte sich, seine Gestalt wurde höher, und sein Auge blitzte; kühner, herausfordernder Mannesmuth durchbrach die gewohnte Vorsicht und Selbstbeherrschung.
»Aber pah,« fügte er bei, indem er seine sonstige halbironische Ruhe wieder zu gewinnen strebte, »das berührt mich nicht; ich gebe zu, Sir, daß ich den Grafen di Peschiera kenne; aber was hat Doctor Riccabocca mit den Verwandten eines so großen Herrn zu thun?«
»Doctor Riccabocca – nichts. Aber –« Randal brachte seine Lippen dicht an das Ohr des Italieners und flüsterte ihm einige Worte zu. Dann trat er einen Schritt zurück, legte die Hand auf die Schulter des Verbannten und fügte hinzu: »Brauche ich noch zu sagen, daß Ihr Geheimniß bei mir sicher aufgehoben ist?«
Riccabocca gab keine Antwort. Seine Augen hafteten nachdenklich auf dem Boden.
Randal fuhr fort: »Und ich würde es als die höchste Ehre betrachten, die Sie mir erweisen könnten, wenn ich Sie in dem Bemühen, etwaigen Gefahren vorzubeugen, unterstützen dürfte.«
Riccabocca (langsam). – »Sir, ich danke Ihnen; mein Geheimniß ist in Ihren Händen und, ich bin davon überzeugt, sicher aufgehoben, denn ich spreche zu einem englischen Gentleman. Familienrücksichten mögen mich bestimmen, den Grafen di Peschiera zu meiden; und in der That ist derjenige vor Untiefen am sichersten, dessen Boot sich am entferntesten hält von – Verwandten.«
Der arme Italiener fand sein kaustisches Lächeln wieder, als er diesen weisen, wenn auch nicht sehr liebevollen italienischen Grundsatz citirte.
Randal. – »Ich weiß über den Grafen von Peschiera wenig – nur das, was sich die Welt von ihm erzählt. Er soll die Güter eines Verwandten inne haben, der an einer Verschwörung gegen die östreichische Herrschaft Theil nahm.«
Riccabocca. – »So ist es. Möge er sich damit zufrieden geben. Was verlangt er mehr? Sie sprachen von Gefahren, welchen vorzubeugen sei; welchen Gefahren? Ich stehe auf dem Boden von England und unter dem Schutze seiner Gesetze.«
Randal. – »Erlauben Sie mir die Frage, ob, wenn dieser Verwandte kein Kind hätte, der Graf di Peschiera der gesetzliche und natürliche Erbe der Güter wäre, welche er inne hat?«
Riccabocca. – »Allerdings –was dann?«
Randal. – »Schließt dieser Gedanke keine Gefahr für das Kind des Verwandten in sich?«
Riccabocca fuhr zurück und stieß mühsam die Worte heraus: »Für das Kind! Das soll doch nicht heißen, daß dieser Mann, so niederträchtig er auch ist, an das Verbrechen eines Meuchelmords denkt?«
Randal hielt verwirrt inne. Der Boden, auf dem er sich bewegte, war verfänglich. Er wußte nicht, welche Gründe der Verbannte hatte, dem Grafen zu grollen. Er wußte nicht, ob nicht Riccabocca in eine Verbindung einwilligen würde, die ihn seinem Vaterlande zurückgeben könnte, und er beschloß, einige Fühler voraus zu schicken.
»Es war nicht meine Absicht,« sagte er mit ernstem Lächeln, »gegen einen Mann, den ich nie gesehen habe, eine so fürchterliche Beschuldigung auch nur in Gedanken zu erheben. Er sucht Sie – das ist alles, was ich weiß. Sein ganzer Charakter läßt mich vermuthen, daß er hiebei seinen Vortheil zu Rathe zieht. Vielleicht könnten alle Mißhelligkeiten bei einer Zusammenkunft ausgeglichen werden.«
»Zusammenkunft! Es gibt nur Eine Art, wie wir uns treffen könnten – Fuß gegen Fuß und Hand gegen Hand.«
»Steht es so? Dann würden Sie nichts davon hören wollen, wenn der Graf ein freundschaftliches Abfinden vorschlagen, wenn er zum Beispiel als Bewerber um die Hand Ihrer Tochter auftreten sollte?«
So weise und schlau der Italiener in seinen Reden war, so übereilt und blind benahm er sich, wenn es zum Handeln kam – gerade als wäre er in Irland geboren und hätte sich Zeitlebens von Kartoffeln genährt. Er entblößte seine ganze Seele vor den schonungslosen Augen Randal's.
»Meiner Tochter!« rief er. »Sir, schon Ihre Frage ist eine Beleidigung.«
Randal sah plötzlich seinen Weg klar vor sich. »Verzeihen Sie,« erwiderte er mild; »ich will Ihnen alles offen sagen, was ich weiß. Ich bin mit des Grafen Schwester bekannt und habe ein wenig Einfluß auf sie. Von ihr habe ich die Mittheilung, daß der Graf in der Absicht hieher gekommen ist, Ihren Zufluchtsort auszukundschaften und Ihre Tochter zu heirathen. Dies ist die Gefahr, von welcher ich sprach. Und wenn ich Ihnen meine Unterstützung anbot, um derselben vorzubeugen, so wollte ich damit nur andeuten, daß es klug sein dürfte, eine sicherere Heimath aufzusuchen, und daß ich, wenn es mir gestattet wäre, diese Heimath zu kennen und Sie zu besuchen, Ihnen von Zeit zu Zeit über die Plane und Bewegungen des Grafen Aufschluß geben könnte.«
»Sir, ich danke Ihnen von ganzem Herzen,« sagte Riccabocca in einiger Aufregung; »aber bin ich hier nicht sicher?«
»Ich bezweifle es. Der Squire hat während der Jagdsaison viele Besuche bekommen, die von Ihnen gehört, vielleicht Sie gesehen haben werden und in London mit dem Grafen zusammentreffen könnten. Außerdem ist Frank Hazeldean gleichfalls mit der Schwester des Grafen bekannt –«
»Wahr, wahr,« unterbrach ihn Riccabocca. »Ich sehe, ich sehe. Ich will darüber nachdenken; ich will es in reifliche Erwägung ziehen. Sie gehen nach Hazeldean? Sagen Sie kein Wort zu dem Squire; er kennt das Geheimniß nicht, welches Sie entdeckt haben.«
Mit diesen Worten wandte sich Riccabocca leicht ab. Randal verstand den Wink und empfahl sich.
»Verfügen Sie zu jeder Zeit über mich, und vertrauen Sie mir,« sagte der junge Verräther und ging zu dem Thore zurück, an welches er sein Pferd angebunden hatte.
Als er dasselbe bestieg, warf er einen Blick nach der Stelle, wo er Riccabocca verlassen hatte. Der Italiener stand noch dort. Mit Einem Male sah man Jackeymo's Gestalt auf dem Gebüsche auftauchen. Riccabocca wandte sich hastig um, erkannte seinen Diener, stieß einen lauten Ruf aus, der bis zu Randal's Ohren drang, faßte dann Jackeymo beim Arme und verschwand mit ihm in den abgelegeneren Theilen des Gartens.
»Es wird gewiß mein Vortheil sein,« dachte Randal, als er weiter ritt, »wenn ich sie in die Nachbarschaft von London bringen kann; dort ist die beste Gelegenheit, mich angenehm zu machen, und, wenn es räthlich erscheint – die Erbin für mich zu gewinnen.«
» Zehn gegen Eins, Harry!« rief der Squire, als er mit seiner Gattin im Parke einige Stücke Vieh südlicher Race, welche er neu angekauft hatte, musterte – »Zehn gegen Eins, da drüben ist Randal Leslie, der durch die Hinterpforte in den Park hereinzukommen versucht! Holla, Randal! Sie müssen zum Thorhäuschen hinüberreiten, mein Junge! Dieses Pförtchen ist, wie Sie sehen, geschlossen, um unberufene Eindringlinge abzuhalten.«
»Schade,« versetzte Randal, »ich schneide sonst gerne Umwege ab, und gerade der kürzeste Weg ist hier versperrt.«
»Eben dies meinten auch jene Unberufenen,« entgegnen der Squire, »aber Stirn wollte sich nicht darauf einlassen; – ein unschätzbarer Mann, dieser Stirn. Lassen Sie Ihr Pferd ausholen, und, ehe wir das Haus erreicht haben, sind Sie bei uns.«
Randal nickte lächelnd und ritt rasch weiter.
Der Squire ging wieder zu seiner Harry zurück.
»Ach, William,« sagte sie ängstlich, »Randal Leslie mag es recht gut meinen, aber seine Besuche machen mir immer bange.«
»In gewisser Beziehung geht es mir ebenso,« erwiderte der Squire, »denn jedes Mal trägt er eine Banknote für Frank mit sich fort.«
»Ich hoffe, er ist wirklich Frank's Freund,« sagte Mrs. Hazeldean.
»Wessen Freund sollte er sonst sein? Keinenfalls sein eigener, armer Bursche, denn nicht Einen Schilling nimmt er von mir, obgleich seine Großmutter so gut eine Hazeldean war, wie ich Einer bin. Aber alle Wetter! Ich mag seinen Stolz wohl leiden und auch seine Sparsamkeit. Was Frank betrifft –«
»Bst, William!« rief Mrs. Hazeldean und legte ihr niedliches Händchen auf den Mund des Squire. Der Squire war besänftigt und küßte galant das niedliche Händchen – vielleicht küßte er auch die Lippen; wenigstens ist so viel sicher, daß das würdige Paar zärtlich Arm in Arm einherschritt, als Randal mit ihnen zusammentraf. Er schien eine gewisse Kälte in Mrs. Hazeldean's Wesen nicht zu bemerken, sondern begann sogleich mit ihr von Frank zu reden, lobte sein gutes Aussehen, seine Gesundheit, verbreitete sich über seine Beliebtheit, seine körperlichen und geistigen Begabungen – und alles dies mit solcher Wärme, daß der dunkle, unbestimmte Argwohn in Mrs. Hazeldean's Innern bald in den Hintergrund trat.
Randal fuhr fort, sich auf diese Art liebenswürdig zu machen, bis der Squire, überzeugt, sein junger Verwandter zähle zu den ausgezeichnetsten Landwirthen, es sich nicht nehmen liest, ihn nach seinem Meierhof zu führen, worauf sich Harry dem Hause zuwandte, um Randal's Zimmer in Bereitschaft setzen zu lassen, »denn,« sagte Randal, »da ich wußte, daß mein Morgenanzug entschuldigt werden würde, so wage ich es, um einen Teller Suppe und ein Nachtlager in der Halle zu bitten.«
Als sie sich den Farmgebäuden näherten, sah Randal mit Schrecken den Moment seiner Entlarvung kommen; denn ungeachtet seiner theoretischen Studien über Viehzucht und Ackerbau, womit er den Squire geblendet hatte, wäre ihm der arme, verachtete Frank doch weit überlegen gewesen, wenn es sich darum gehandelt hätte, den Werth eines Ochsens oder einer Ernte richtig zu beurtheilen.
»Ha, ha!« rief der Squire vor sich hin lachend, »bin neugierig, was Stirn für Augen machen wird! Im Nu werden Sie heraus haben, wo wir die obere Düngung zu Anwendung bringen, und ich schwöre darauf, ein Blick auf meine Kurzhörner sagt Ihnen aufs Pfund hin, wie viel Oelkuchen in ihren Bauch gewandert sind.«
»O, Sie erweisen mir viel zu viel Ehre – wahrhaftig, das thun Sie. Ich habe mich nur mit den allgemeinen Grundsätzen der Landwirtschaft vertraut gemacht – die Einzelheiten sind ungemein interessant; aber ich hatte nie Gelegenheit, sie mir anzueignen.«
»Dummes Zeug!« rief der Squire. »Wie kann man allgemeine Grundsätze kennen, ohne vorher die Einzelheiten studirt zu haben? Sie sind zu bescheiden, mein Junge. Oho! da ist ja schon Stirn!«
Randal entdeckte wirklich ein grimmiges Gesicht, das aus einem Viehstall herausschaute, und sah sich verloren. Er machte eine verzweifelte Anstrengung, den Squire auf andere Gedanken zu bringen.
»Wer weiß,« sagte er, »ob nicht Frank bald Ihren Wunsch erfüllt und selbst Farmer wird!«
»Wie? was?« entgegnen der Squire, plötzlich stehen bleibend.
»Gesetzt, er würde heirathen?«
»Meine zwei besten Farmen bekäme er und ohne Pachtzins. Ha, ha! Hat er denn das Mädchen schon gesehen? Ich lasse ihm freie Wahl, Sir. Ich hatte sie auch – und Jedermann sollte sie haben. Allerdings ist Miß Sticktorights eine Erbin und, wie ich höre, ein recht braves Mädchen, und das beiderseitige Eigenthum käme dann zusammen, und dem ewigen Prozessiren über die Wegservitut Ein dingliches Nutzungsrecht an einer fremden Sache (in Österreich und der Schweiz gebräuchlicher Begriff). würde ein Ende gemacht, das schon unter der Herrschaft König Karls II. D.h. seit der Restauration der Monarchie 1660. begann und andernfalls wohl bis zum jüngsten Tage dauern wird. Aber einerlei – Frank soll wählen, wen er will.«
»Ich werde nicht ermangeln, ihm dies zu sagen, Sir. Ich fürchtete von Ihrer Seite einige Vorurtheile Doch, da sind wir bei den Meierhöfen.«
»Zum Teufel mit den Meierhöfen! Wie kann ich an Meierhöfe denken, wenn Sie von Frank's Verheiratung sprechen? Kommen Sie – hier diesen Weg. Was sagten Sie da von Vorurtheilen?«
»Ich meinte nur, es sei zum Beispiel Ihr Wunsch, daß er eine Engländerin heirathe.«
»Eine Engländerin! Guter Gott, Sir, gedenkt er denn eine Hindu zu heirathen?«
»Nein, nein! Ich weiß überhaupt gar nicht, ob er nur im Sinne hat, zu heirathen. Bloße Vermuthungen von meiner Seite. Wenn er sich nun aber in eine Ausländerin verlieben würde –«
»Eine Ausländerin! Ah, also hätte Harry doch –« er hielt plötzlich inne.
»Die vielleicht,« fuhr Randal fort, ohne auf die Unterbrechung zu achten – »die vielleicht das Englische so gut wie gar nicht spricht?«
»Barmherziger Gott!«
»Und dem römisch katholischen Glauben angehört –«
»Vor Götzenbildern kniet, und Andere, die es nicht thun, rösten läßt.«
»So schlimm ist Signor Riccabocca nicht.«
»Rickybocky! Ja, wenn es dessen Tochter wäre! Aber nicht Englisch zu sprechen und nicht in die Dorfkirche zu gehen! Beim Sankt Georg! Im Original: »By George!«, und das hat im protestantischen England natürlich nichts mit dem Heiligen Georg zu tun. Der Eigenname hat hier – ähnlich wie bei den Ausrufen »Gosh« oder »Golly« – lediglich Stellvertreterfunktion für das nur mit Vorsicht auszusprechende Wort »Gott«; der Squire beweist seine Derbheit auch in seiner Exklamation, die eher vulgären Charakter hat und für die ein deutsches Äquivalent nicht zu finden ist. Wenn sich Frank mit solchen Ideen trüge, ich würde ihn mit einem Schilling abfinden. Kein Wort weiter, Sir; es bleibt dabei. Ich bin von sanftem, verträglichem Charakter; aber was ich gesagt habe, habe ich gesagt, Mr. Leslie. Aber gewiß scherzen Sie nur – Sie haben mich zum Besten. So ein angemaltes, nichtsnutziges Geschöpf kann Frank nicht in die Augen gestochen haben, he?«
»Ich verspreche Ihnen, Sir, wenn ich je finde, daß es so ist, werde ich Sie zeitig davon benachrichtigen. Für jetzt wollte ich nur erfahren, welche Art von Schwiegertochter Sie sich wünschen würden. Sie sagten, Sie seien frei von Vorurtheilen.«
»So ist es auch – vollkommen so.«
»Sie mögen keine Fremde, keine Katholikin?«
»Wer, der Teufel, sollte auch?«
»Wenn sie aber Rang und Titel besäße?«
»Rang und Titel! Seifenblasen! Nein, nicht halb so viel werth, als Seifenblasen, die sind doch wenigstens noch ein unschuldiges Vergnügen. Aber fremder Rang und Titel, die zu nichts weiter gut sind, als Einem Sand in die Augen zu streuen.«
Und der Squire verzog voll Unwillen und Entrüstung das Gesicht und spuckte heftig aus.
»Sie verlangen also eine Engländerin?«
»Natürlich.«
»Vermögen?«
»Darauf sehe ich nicht, vorausgesetzt, daß es ein nettes, vernünftiges, fleißiges Mädchen ist, mit einem guten Ruf als Mitgift.«
»Guter Ruf – ist das ganz unumgänglich nöthig?«
»Das versteht sich doch. Eine Mrs. Hazeldean von Hazeldean! Sie erschrecken mich. Will er vielleicht mit einer geschiedenen Frau durchgehen oder mit einer –«
Der Squire hielt inne und wurde so roth im Gesicht, daß Randal fürchtete, der Schlag möchte ihn treffen, ehe Frank's Verbrechen eine Aenderung des Testaments herbeigeführt hätten.
Er beeilte sich deßhalb, Mr. Hazeldean zu beruhigen, indem er ihn versicherte, seinen Reden sei keine weitere Bedeutung beizulegen; man sehe allerdings Frank gelegentlich in Gesellschaft von Ausländerinnen, allein dies gehöre zum guten Ton, und er sei überzeugt, Frank würde nie ohne die volle Zustimmung und Billigung seiner Eltern heirathen. Er schloß mit der wiederholten Versicherung, daß er, sobald es nöthig werden sollte, dem Squire Warnung geben werde.
Mr. Hazeldean war es indessen noch immer so unruhig und unbehaglich zu Muthe, daß er den Meierhof ganz darüber vergaß und verstimmt in der entgegengesetzten Richtung fortging, bis er, am andern Ende des Parkes angelangt, wieder den Rückweg nach der Halle antrat. Sobald sie in dem Hause angelangt waren, schloß sich der Squire eilends mit seiner Gattin zu einer gemeinsamen elterlichen Berathung ein, indeß sich Randal auf eine Terrassenbank setzte und das so eben von ihm angestiftete Unheil, sowie die Möglichkeit eines ihm günstigen Erfolgs an seinem Geiste vorüberziehen ließ.
Während er da saß und dachte, näherten sich vorsichtig Tritte, und eine leise Stimme sagte in gebrochenem Englisch:
»Sir, Sir, ich möchte Sie gern sprechen.«
Randal wandte sich erstaunt um und blickte in ein schwärzliches, grämliches Gesicht mit grauen Haaren und ausdrucksvollen Zügen. Er erkannte sofort die nämliche Gestalt wieder, welche sich Riccabocca in dem Garten des Italieners angeschlossen hatte.
»Sprechen Sie Italienisch?« fuhr Jackeymo fort.
Randal, der sich fremde Sprachen mit Leichtigkeit aneignete, nickte bejahend, worauf ihn Jackeymo, sichtlich erfreut, bat, mit ihm einen entfernteren Theil des Parkes aufzusuchen.
Randal folgte, bis sie sich in dem Schatten einer stattlichen Kastanienallee befanden.
»Sir,« begann nun Jackeymo, in seiner Muttersprache und mit einem gewissen einfachen Pathos redend, »ich bin nur ein armer Mann, mein Name ist Giacomo – Diener des Signor, welchen Sie heute besuchten – nur ein Diener; aber er schenkt mir die Ehre seines Vertrauens. Wir haben Gefahren zusammen durchgemacht; und der einzige unter allen seinen Freunden und Anhängern, der mit ihm in das fremde Land kam, war ich.«
»Wackerer, treuer Bursche,« sagte Randal, das Gesicht des Sprechers musternd, »fahren Sie fort. Ihr Gebieter vertraut Ihnen? Er theilte Ihnen mit, was ich ihm heute sagte?«
»Das that er. Ach, Sir, der Padrone war zu stolz, Furcht vor einem Anderen blicken zu lassen. Aber er hat Furcht – er hat Grund zu fürchten – er muß fürchten,« (fuhr Jackeymo fort, sich in Leidenschaft hineinredend) – »denn der Padrone hat eine Tochter, und sein Feind ist ein Bösewicht. O, Sir, sagen Sie mir alles, was Sie dem Padrone nicht gesagt haben. Sie deuteten an, daß dieser Mensch die Signora heirathen möchte. Sie heirathen! Ich könnte ihm am Altare die Kehle abschneiden!«
»Allerdings ist dies, so viel ich weiß, seine Absicht.«
»Aber weßhalb? Er ist reich – sie ohne einen Kreuzer Geld; nein, nicht gerade das, denn wir haben gespart – aber ohne einen Kreuzer Geld im Vergleich mit ihm.«
»Mein guter Freund, noch kenne ich seine Beweggründe nicht, aber ich kann sie leicht erfahren. Wenn übrigens dieser Graf der Feind Ihres Gebieters ist, so würde ich dringend rathen, vor ihm auf der Hut zu sein, worin auch seine Plane bestehen mögen; und zu diesem Zwecke sollte Ihr Gebieter nach London oder in dessen Nähe ziehen. Ich fürchte, noch während wir reden, kömmt ihm der Graf auf die Spur.«
»Er thut besser daran, nicht hierher zu kommen!« rief der Diener drohend und faßte mit der Hand an die Stelle, wo das Messer nicht stack.
»Hüten Sie sich vor Ihrem eigenen Zorne, Giacomo. Ein Akt der Gewalttätigkeit, und Sie würden deportirt, und Ihr Gebieter verlöre einen Freund.«
Diese Warnung schien auf Jackeymo ihren Eindruck nicht zu verfehlen.
»Und wenn der Padrone mit ihm zusammentreffen sollte, glauben Sie, der Padrone würde demüthig sagen: › Come stà sa Signoria?‹ Wie geht es Euer Hochwohlgeboren? Der Padrone würde ihn todt zu Boden strecken!«
»Stille – stille! Das, wovon Sie reden, heißt in England Mord und wird mit dem Galgen bestraft. Wenn Sie Ihren Gebieter lieben, so schaffen Sie ihn um des Himmels willen von diesem Orte fort – setzen Sie ihn nicht der Gefahr solch leidenschaftlicher Erregungen aus. Ich gehe morgen in die Stadt zurück; ich will mich für ihn nach einem Hause umsehen, in welchem er gegen jeden Späher, gegen jede Entdeckung geschützt ist. Und dann, mein treuer Freund, ist mir auch noch etwas Anderes möglich, was bei dieser Entfernung nicht möglich ist: – über ihm zu wachen und ebenso seinen Feind im Auge zu behalten.«
Jackeymo ergriff Randal's Hand und erhob sie zu seinen Lippen; dann, wie von einem plötzlichen Argwohn ergriffen, ließ er sie wieder los und sagte derb –
»Signor, meines Wissens haben Sie den Padrone zwei Mal gesehen. Woher dieses Interesse für ihn?«
»Ist es so ungewöhnlich, sich für Jemand, der von einer Gefahr bedroht ist, und wäre es auch ein Fremder, zu interessiren?«
Jackeymo, der keinen großen Glauben an allgemeine Menschenliebe hatte, schüttelte zweifelnd den Kopf.
»Ueberdies,« fuhr Randal, sich plötzlich eines glaubwürdigen Beweggrundes entsinnend, fort – »überdies bin ich ein Freund und Verwandter Mr. Egerton's; Mr. Egerton's intimster Freund aber ist Lord L'Estrange, und ich habe gehört, daß Lord L'Estrange –«
»Der gute Lord! O, jetzt verstehe ich,« unterbrach ihn Jackeymo, und seine Stirne klärte sich auf. »Ach, wenn er in England wäre! Aber Sie theilen es uns mit, wenn er kömmt?«
»Gewiß. Jetzt sagen Sie mir aber, Giacomo, ist dieser Graf wirklich so ohne alle Grundsätze und so gefährlich? Denn Sie wissen ja, ich kenne ihn nicht persönlich.«
»Er hat weder Herz, noch Kopf, noch Gewissen.«
»Das macht ihn für Männer gefährlich; aber dem weiblichen Geschlechte droht durch andere Eigenschaften Gefahr. Wäre es denkbar, daß er bei einer Zusammenkunft mit der Signora ihre Neigung gewänne?«
Jackeymo bekreuzte sich rasch und antwortete nicht.
»Man sagt, er sei noch immer sehr schön?«
Jackeymo stöhnte.
»Genug,« fuhr Randal fort; »überreden Sie den Padrone, in die Stadt zu ziehen.«
»Aber wenn der Graf in der Stadt ist?«
»Das thut nichts; je größer die Stadt, desto sicherer. Ueberall sonst ist ein Fremder schon als solcher ein Gegenstand der Aufmerksamkeit und Neugierde.«
»Wahr.«
»Bestimmen Sie also Ihren Gebieter, nach London zu kommen. Er kann sich in einer der Vorstädte einquartiren, welche von dem Aufenthaltsorte des Grafen am weitesten entfernt sind. In zwei Tagen werde ich eine Wohnung für ihn haben und ihm schreiben. Vertrauen Sie mir jetzt?«
»O ja – gewiß, Excellenza. Ach, wenn die Signora nur einmal verheirathet wäre, so wären wir der Sorge los.«
»Verheirathet! Aber sie sieht so stolz aus und macht wohl sehr große Ansprüche?«
»Ach, jetzt nicht – hier nicht!«
Randal seufzte tief. Jackeymo's Augen glänzten. Er glaubte einen neuen Beweggrund für Randal's Interesse gefunden zu haben – in den Augen eines Italieners der natürlichste, der löblichste Beweggrund.
»Besorgen Sie uns die Wohnung, Signor – schreiben Sie dem Padrone. Er wird kommen. Ich will mit ihm reden. Ich weiß ihn zu behandeln. San Giacomo, strenge dich jetzt an – es ist lange her, seit ich dich das letzte Mal in Anspruch genommen!«
Lächelnd und vor sich hin murmelnd entfernte sich Jackeymo und verschwand zwischen den Bäumen.
Das erste Zeichen der Tischglocke ertönte. Bei seinem Eintritt in das Besuchszimmer fand Randal Pfarrer Dale nebst Gattin, welche eilends dem unerwarteten Gaste zu Ehren gebeten worden waren.
Nachdem die ersten Begrüßungsworte gewechselt, benützte Mr. Dale die Abwesenheit des Squire, um sich nach Mr. Egerton's Befinden zu erkundigen.
»Er ist immer wohl,« sagte Randal. »Er scheint eine Constitution von Eisen zu haben.«
»Jedenfalls aber ein Herz von Gold,« versetzte der Pfarrer.
»Ah,« entgegnete Randal forschend, »wie Sie mir sagten, kamen Sie einmal mit ihm in Berührung; die Veranlassung war, glaube ich, eines Ihrer früheren Pfarrkinder in Lansmere?«
Der Pfarrer nickte, und es trat nun eine momentane Stille ein. »Erinnern Sie sich noch Ihres Kampfes bei dem Stocke, Mr. Leslie?« sagte Mr. Dale mit gutmüthigem Lachen.
»O ja! A propos, da gerade hievon die Rede ist, ich traf meinen alten Gegner in London wieder gleich im ersten Jahre, welches ich dort verlebte.«
»Wirklich! Wo denn?«
»Bei einem verkommenen Literaten – einem gescheidten Burschen, Namens Burley.«
»Burley! Ich habe irgend wo einige burleske griechische Verse von einem Mr. Burley zu Gesicht bekommen.«
»Ohne Zweifel derselbe. Er ist verschwunden, wahrscheinlich verdorben. Burleskes Griechisch ist gegenwärtig kein sehr einträgliches Studium.«
»Aber Leonard Fairfield? Haben Sie ihn seither wieder gesehen?«
»Nein.«
»Auch nicht von ihm gehört?«
»Nein! Und Sie?«
»Sonderbar, schon lange nicht mehr. Aber ich habe Grund, anzunehmen, daß es ihm gut geht.«
»Wirklich? und warum glauben Sie es?«
»Weil er vor zwei Jahren seine Mutter bat, zu ihm zu ziehen. Sie ist bei ihm.«
»Ist das alles?«
»Es genügt; denn er würde sie nicht dazu aufgefordert haben, wenn er nicht die Mittel besäße, für sie zu sorgen.«
Mr. und Mrs. Hazeldean traten hier Arm in Arm ein, und der dicke Haushofmeister kündigte das Diner an.
Der Squire war ungewöhnlich schweigsam – Mrs. Hazeldean nachdenkend – Mrs. Dale matt mit eingenommenem Kopfe. Der Pfarrer, der sich des Genusses einer gelehrten Disputation selten zu erfreuen hatte, außer wenn er sich mit Dr. Riccabocca herumzankte, war ungemein aufgeregt in Erwartung eines scharfen Kampfes mit Randal, der im Rufe eines ebenbürtigen Kämpen stand.
»Ein Glas Wein, Mr. Leslie. Sie sagten vor Tisch, burleskes Griechisch sei gegenwärtig kein sehr einträgliches Studium. Welches Studium halten Sie denn eigentlich für einträglich?«
Randal (lakonisch). – »Praktisches Studium.«
Pfarrer. – »Wessen?‹
Randal. – »Der Menschen.«
Pfarrer (offenherzig). – »Vom weltlichen Gesichtspunkte aus betrachtet mag dies allerdings das nützlichste Studium sein. Wie lernt man es? Mittelst Bücher?«
Randal. – »Je nachdem man sie liest, sind sie nützlich oder schädlich.«
Pfarrer. – »Wie muß man sie lesen, damit sie nützlich sind?«
Randal. – »Mit fortwährender Beziehung auf Dasjenige, was zur Macht führt.«
Pfarrer (über Randal's scharfsinniger, spartanischer Logik erstaunt). – »Auf mein Wort, Sir, Sie drücken sich vortrefflich aus. Ich gestehe, ich begann mit meinen Fragen in der Hoffnung, von Ihrer Ansicht abzuweichen; denn ich liebe es, zu disputiren.«
»Das ist ein wahres Wort,« brummte der Squire; »der perfonifizirte Widerspruchsgeist!«
Pfarrer. – »Streitfragen sind das Salz einer Conversation. Aber ich fürchte, ich muß Ihnen jetzt beistimmen, so wenig ich darauf vorbereitet war.«
Randal verbeugte sich und erwiderte:
»Männer von unserer Erziehung können über die Anwendung des Wissens nicht wohl verschiedener Ansicht sein.«
Pfarrer (die Ohren spitzend). – »Anwendung? Worauf?«
Randal. – »Auf die Macht, natürlich.«
Pfarrer (hocherfreut). – »Die Macht! In der niedrigsten oder in der erhabensten Bedeutung des Wortes? In der erhabensten, nicht wahr?«
Randal (dessen Interesse nun gleichfalls geweckt ist). – »Was ist die niedrigste und was die erhabenste Bedeutung?«
Pfarrer. – »Die niedrigste: Selbstsucht; die erhabenste: Wohlwollen.«
Randal unterdrückte das halb ironische Lächeln, welches auf seinen Lippen schwebte.
»Sie sprechen, Sir, wie ein Geistlicher sprechen muß. Ich bewundere Ihre Logik und mache sie zu der meinigen; ich fürchte nur, ein Wissen, welches lediglich das Wohlwollen im Auge hat, wird selten Macht erringen.«
Squire (ernsthaft). – »So ist es. Ich setze nie meinen Willen durch, wenn ich etwas Gutes thun will, und Stirn jedes Mal, wenn er etwas sehr Rohes und Barbarisches vorhat.«
Pfarrer. – »Bitte, Mr. Leslie, womit hat intellectuelle Macht, aus der höchsten Potenz der Entwicklung, aber ohne jede Zugabe von Wohlwollen, am meisten Aehnlichkeit?«
Randal. – »Aehnlichkeit? Ich weiß kaum. Mit einem sehr großen Manne, beinahe mit jedem großen Manne, der alle seine Gegner zu Schanden gemacht und alle seine Zwecke erreicht hat.«
Pfarrer. – »Ich zweifle, ob je ein Mann wirkliche Größe errungen hat, der nicht wenigstens die Absicht hatte, wohlwollend zu sein, wenn er auch vielleicht in den Mitteln irrte. Cäsar war von Natur wohlwollend, deßgleichen Alexander. Aber intellectuelle Macht auf's Höchste entwickelt und alles Wohlwollens bar, gleicht nur Einem Wesen, und dieses Wesen, Sir, ist – das Princip des Bösen.«
Randal (betroffen). – »Meinen Sie den Teufel?«
Pfarrer. – »Ja, Sir – den Teufel; und selbst er, Sir, hat den Sieg nicht davon getragen; selbst er, Sir, hat, wie Ihre großen Männer sich ausdrücken würden, das entschiedenste Fiasko gemacht.«
Mrs. Dale. – »Liebster, bester Mann.«
Pfarrer. – »Unsere Religion beweist es, mein Herz; er war ein Engel, und er fiel.«
Eine feierliche Pause trat ein. Randal war mehr ergriffen, als er sich selbst gestehen mochte. Mittlerweile war das Diner vorüber und die Dienerschaft hatte sich zurückgezogen. Harry blickte verstohlen nach Carry hinüber. Carry strich die Falten ihres Kleides zurecht und erhob sich.
Die Gentlemen blieben bei ihrem Weine zurück, und der Pfarrer, zufrieden, der Diskussion über sein Lieblingsthema einen gehörigen Trumpf aufgesetzt zu haben, wechselte den Gegenstand des Gesprächs, bis er auf die Zehnten zu sprechen kam, was dem Squire Veranlassung gab, mit gewaltiger, drohender Stimme und wildem Stirnrunzeln, wogegen seine beiden Gäste nicht aufzukommen vermochten, zu seiner eigenen großen Befriedigung den Nachweis zu liefern, daß Zehnten eine ungerechte und unchristliche Anmaßung der Kirche überhaupt und eine ganz vorzüglich unbillige Belastung der Hazeldean'schen Ländereien insbesondere seien.
Bei seinem Eintritt in das Wohnzimmer fand Randal die beiden Frauen dicht neben einander sitzend mit einer Ungezwungenheit, die mehr an die Vertraulichkeit aus der Zeit der Schuljahre, als an den höflich freundschaftlichen Verkehr erinnerte, der jetzt zwischen ihnen bestand. Mrs. Hazeldeans Hand lag zärtlich auf Carry's Schulter, und die beiden schönen englischen Gesichter beugten sich über dasselbe Buch nieder.
Es war ein hübscher Anblick, diese gesetzten Matronen, so verschieben von einander, nicht nur im Aeußern, sondern auch in Beziehung auf den Charakter, unbewußt durch den goldenen Ring eines Magiers auf dem schweigenden Lande der Wahrheit oder Dichtung, der Traulichkeit glücklicher Mädchen zurückgegeben – die Herzen sich näher rückend, während die Augen auf demselben Gedanken hafteten – näher und näher, angezogen von jener Sympathie, welche, aus der wirklichen Welt verschwunden, andern Regionen entsprossend, die Leser eines guten Buches mit einem und demselben Bande umschlingt.
»Und welches Werk interessirt Sie so sehr?« sagte Randal, am Tische stehen bleibend.
»Eines, das Sie natürlich gelesen haben,« versetzte Mrs. Dale, indem sie ein von ihr selbst gesticktes Buchzeichen zwischen die Blätter legte und den Band Randal hinbot.
»Es hat, soviel ich weiß, großes Aussehen gemacht.«
Randal warf einen Blick nach dem Titel.
»Richtig,« sagte er. »Ich habe in London viel davon reden hören, aber bis jetzt fehlte mir die Zeit, es zu lesen.«
Mrs. Dale. – »Ich kann es Ihnen leihen, wenn Sie es heute Abend durchsehen wollen; Sie können es dann an Mrs. Hazeldean zurückgeben.«
Pfarrer (sich nähernd). – Ach, dieses Buch! Ja, das müssen Sie lesen. Ich kenne kein belehrenderes Werk.«
Randal. – »Belehrend! Ganz gewiß werde ich es lesen. Aber ich glaubte, es sei nur zur Unterhaltung bestimmt – das Kind einer momentanen Laune. So scheint es auch beim flüchtigen Durchblättern.«
Pfarrer. – »Ebenso verhält es sich mit dem Landprediger von Wakefield; und doch, welches Buch ist belehrender.«
Randal. – »Das möchte ich von dem Landprediger von Wakefield nicht gerade sagen. Ein ganz hübsches Buch, obwohl die Geschichte höchst unwahrscheinlich ist. Aber wo ist das Belehrende?«
Pfarrer. – »In der Wirkung. Es macht uns glücklicher und besser. Können Sie mit Belehrung mehr erreichen? Die einen Werke belehren, wenn man sie mit dem Verstand, andere, wenn man sie mit dem Herzen erfaßt; letztere finden den weitesten Leserkreis und haben oft auf den Charakter den wohltätigsten Einfluß. Dieses auch gehört in die letztere Klasse. Sie werden mir Recht geben, wenn Sie es gelesen haben.«
Randal lächelte und nahm den Band.
Mrs. Dale. – »Kennt man den Verfasser schon?«
Randal. – »Man spricht von verschiedenen Personen, aber meines Wissens hat sich noch Keiner als Autor bekannt.«
Pfarrer. – »Allem nach hat es mein alter Freund, Professor Moß, der Naturforscher, geschrieben; die Schilderungen der Scenerie sind so treffend.«
Mrs. Dale. – »Pah, nein, theurer Charles, jener schnupfende, langweilige, prosaische Professor? Wie kannst du solchen Unsinn reden? Der Verfasser muß nothwendig jung sein; es ist so viel frisches Gefühl darin.«
Mrs. Hazeldean (entschieden). – »Ja wohl, jung.«
Pfarrer (nicht weniger entschieden). – »Ich möchte gerade das Gegentheil behaupten. Das Ganze ist zu ruhig gehalten und der Styl zu einfach für einen jungen Mann. Ueberdies kenne ich keinen jungen Mann, der mir sein Buch zuschicken sollte, und dieses Buch ist mir zugeschickt worden – noch dazu, wie Sie sehen, sehr schön eingebunden. Verlassen Sie sich darauf, Moß ist unser Mann – ganz wie er leibt und lebt.«
Mrs. Dale. – »Du setzest unsere Geduld auf eine harte Probe, theurer Charles! Mr. Moß ist noch zu alle dem so merkwürdig häßlich.«
Randal. – »Muß ein Schriftsteller schön sein?«
Pfarrer. – »Ha, ha! Nun, was antwortest du, Carry?«
Carry blieb stumm und that, als höre sie ihn nicht.
Squire (mit großer Naivetät). – »Viel kann an dem Buche nicht sein, wer es nun auch geschrieben haben mag, denn ich habe es selbst gelesen und verstehe jedes Wort darin.«
Mrs. Dale. – »Ich weiß nicht, warum es durchaus von einem Manne geschrieben sein muß. Nach meiner festen Ueberzeugung ist ein weibliches Wesen die Verfasserin.«
Mrs. Hazeldean. – »Ja, es kommt eine Stelle über Mutterliebe darin vor, die nur eine Frau geschrieben haben kann«
Pfarrer. – »O, o! Ich wäre begierig, die Frau kennen zu lernen, welche diese Schilderung eines Augustabends vor einem Gewitter geben könnte; jede Feldblume zwischen den Hecken genau so, wie sie im August vorkömmt – jedes Zeichen in der Luft diesem Monate entsprechend. Warum nicht gar! Eine Frau hätte Veilchen und Schlüsselblumen zwischen den Hecken wachsen lassen. Niemand anders, als mein Freund Moß kann diese Schilderung gegeben haben.«
Squire. – »Ich weiß doch nicht; es ist da drinnen die Vergeudung der Saatfrucht durch das Säen aus der Hand zu einem Gleichniß benützt, das mich vermuthen läßt, der Verfasser sei ein Landwirth.«
Mrs. Dale. – »Ein Landwirth! Mit Nägeln in den Schuhen wahrscheinlich! Ich sage, es ist eine Frau.«
Mrs. Hazeldean. – » Eine Frau und zugleich eine Mutter!«
Pfarrer. – »Ein Mann in mittleren Jahren und zugleich ein Naturforscher.«
Squire. – »Nein, nein, Pfarrer; sicherlich ein junger Mann; denn jene Liebesscene erinnert mich an meine eigenen jungen Tage, da ich die rechte Hand darum gegeben hätte, meiner Harry sagen zu können, wie schön ich sie finde; und alles, was ich herausbrachte, war: ›Schönes Wetter für die Ernte, Miß!‹ Ja, ein junger Mann und ein Landwirth. Es sollte mich nicht wundern, wenn er selbst den Pflug geführt hätte.«
Randal (der in dem Buche geblättert hat). – »Diese Beschreibung einer Nacht in London kömmt von einem Manne, der das Leben der Großstädte mitmachte und auf den Reichthum mit dem Auge der Armuth blickte. Nicht übel! Ich will das Buch lesen.«
»Sonderbar,« sagte der Pfarrer lächelnd, »daß dieses kleine Werkchen so schnell seinen Weg in unsere Herzen findet – uns alle auf verschiedene Weise anregt und doch gleichmäßig bezaubert – unserem eintönigen Landleben einen neuen, frischen Schwung gibt und uns Bilder einer Welt vorführt, die wir bisher nur im Traume gesehen haben; – ein kleines Werkchen, wie dieses, von einem Mitmenschen, den wir nicht kennen und vielleicht nie kennen werden! Ja, ein solches Wissen ist Macht, und eine edle Macht.«
»In seiner Art gewiß, Sir,« versetzte Randal aufrichtig; und als er sich Abends auf sein Zimmer zurückzog, schüttelte er seine Pläne und Entwürfe von sich ab und las, was er selten that, ohne ein bestimmtes Ziel im Auge. Das Buch überraschte ihn durch das Vergnügen, welches es ihm gewährte. Sein Zauber lag in der ungekünstelten Empfänglichkeit des Verfassers für das Schöne. Eine glückliche Seele schien sich in dem Lichte ihrer eigenen Empfindung zu sonnen.
Der Eindruck war ein so beruhigender und gleichmäßiger, daß ein Kennerauge dazu gehörte, um zu beurtheilen, welch' gewaltiger Schwungkraft die Flügel bedurften, die scheinbar mit so wenig Anstrengung hoch oben dahin schwebten. Keine Empfindung herrschte tyrannisch vor den anderen vor; alle verband unter sich das glückliche Ebenmaß einer abgerundeten, gesunden und vollkommenen Natur. Und hatte man das Werkchen zu Ende gelesen, so ließ es eine milde Wärme zurück, die das Herz des Lesers durchströmte und bisher unbekannte Gefühle wach rief. Randal legte das Buch sanft nieder; und während fünf Minuten standen die unedeln und niederen Zwecke, zu welchen ihm sein Wissen diente, nackt und ohne Maske vor ihm.
»Fort damit,« sagte er endlich, sich gewaltsam von dem wohlthuenden Einflusse losreißend; »nicht aus Mitgefühl mit Hektor, sondern um mit Achilles zu siegen, barg Alexander von Macedonien stets den Homer unter seinem Kopfkissen. Dies ist der einzig richtige Gebrauch eines Buches für denjenigen, welcher sich die praktische Welt zu unterwerfen hat; mögen Pfarrer und Weiber meinethalben darüber denken, wie es ihnen beliebt!«
Und das Prinzip des Bösen lagerte sich von Neuem über dem Geiste, welcher die wohlwollende Menschenliebe als Führerin auf dem Lebenswege verabschiedet hatte.
Randal erhob sich bei dem ersten Zeichen der Frühstücksglocke und begegnete auf der Treppe Mrs. Hazeldean. Er gab ihr das Buch zurück; und als er eben sprechen wollte, winkte sie ihm in ein kleines Seitengemach, welches ohne ihre Erlaubniß Niemand betreten durfte – kein Boudoir mit seidenen und goldenen Möbeln und Gemälden von Watteau Jean-Antoine Watteau (1684-1721), Maler des französischen Rokoko. Mit seinen fêtes galantes schuf er zu Beginn des 18. Jh. eine neue Bildgattung., sondern große Nußbaumschränke standen da, worin die Familienleinwand, mit Lavendel bestreut, aufbewahrt wurde, sowie Vorräthe für die Haushälterin und Arzneien für die Armen.
In diesem Heiligthume setzte sich Mrs. Hazeldean auf einen breiten Lehnstuhl, furchtbar in ihrer Würde als Hausfrau.
»Ich bitte,« begann die Lady, mit ihrer gewöhnlichen Offenheit gerade auf's Ziel losgehend, »was soll all' das heißen, was Sie meinem Gatten über die Möglichkeit erzählten, daß Frank eine Ausländerin heirathen könnte?«
Randal. – »Würde Ihnen eine solche Nachricht eben so mißfallen, wie dem Squire?«
Mrs. Hazeldean. – »Sie stellen mir eine Frage, anstatt die meinige zu beantworten.«
Dieses unbarmherzige Vorgehen brachte Randal vollständig aus dem Konzepte. Denn der Zweck, der ihn hierher geführt hatte, war ein doppelter – einmal: sich darüber zu vergewissern, ob Franks Verehelichung mit einer Frau, wie Madame di Negra, den Zorn des Squire's auf eine Weise reizen würde, daß das Erbe des Sohnes gefährdet wäre; und für's Zweite: Mr. und Mrs. Hazeldean jede ernstliche Besorgniß, eine solche Heirath könnte wirklich stattfinden, aus dem Sinne zu schlagen, damit sie sich nicht in der Sache zu früh an Frank selbst wenden und so die Heirath vereiteln möchten. Auf alle Fälle wußte er seine Ausdrücke so wählen, daß ihn die Eltern nicht hinterher der Verheimlichung zeihen konnten. Bei seiner Unterredung mit dem Squire am vorhergehenden Tage war er etwas zu weit gegangen – weiter, als wohl der Fall gewesen wäre, wenn er nicht dem Viehstall und den Kurzhörnern hätte entgehen müssen. Während er nachsann, beobachtete ihn Mrs. Hazeldean mit ihren ehrlichen, klugen Augen und rief endlich:
»Heraus damit, Mr. Leslie!«
»Heraus mit was, meine theure Mrs. Hazeldean? Der Squire hat die Bedeutung dessen, was nur im Scherz gemeint war, zu sehr übertrieben. Aber ich gestehe Ihnen offen, Frank schien mir in eine gewisse hübsche Italienerin ein wenig verliebt.«
»Italienerin!« rief Mrs. Hazeldean. »Ich sagte es ja von Anfang an. Eine Italienerin – das ist alles, ja?« und sie lächelte.
Randal wurde immer verwirrter. Die Pupille seines Auges zog sich zusammen, wie gewöhnlich, wenn man nachdenkt, beobachtet oder auf seiner Hut ist.
»Und vielleicht,« nahm Mrs. Hazeldean wieder auf, während ihr Gesicht strahlte, »haben Sie dies bei Frank seit seinem letzten Hiersein bemerkt?«
»Es ist wahr,« murmelte Randal; »aber ich vermuthe, sein Herz oder seine Phantasie war schon vorher dabei im Spiele.«
»Sehr natürlich,« sagte Mrs. Hazeldean; »was blieb ihm anderes übrig? – ein so schönes Wesen! Ich will Sie nicht veranlassen, Franks Geheimnisse auszuplaudern; aber ich errathe den Magnet; und wenn sie auch kein Vermögen hat, das der Rede werth wäre, und Frank recht wohl eine bessere Parthie machen könnte, so ist sie doch so liebenswürdig und so gut erzogen und so wenig, was man sich gewöhnlich unter einer römisch Katholischen vorstellt, daß ich mir getraue, Hazeldeans Einwilligung herauszuschlagen.«
»Ah!« sagte Randal, tief Athem holend und mit seinem geübten Scharfsinn Mrs. Hazeldeans Irrthum zu entdecken beginnend, »es ist mir eine große Beruhigung und Freude, dies zu hören; und ich darf vielleicht Frank Hoffnung machen, wenn ich ihn muthlos und verzagt finde?«
»Ich denke, Sie dürfen es schon wagen,« erwiderte Mrs. Hazeldean mit angenehmem Lachen. »Aber meinem armen William hätten Sie nicht einen solchen Schrecken einjagen sollen, indem Sie andeuteten, daß die Lady nur sehr wenig Englisch könne. Sie hat einen Accent, allerdings; aber sie spricht unsere Sprache ganz allerliebst. Ich vergesse immer, daß sie keine geborne Engländerin ist! Ha, ha, armer William!«
Randal. – »Ha, ha!«
Mrs. Hazeldean. – »Wir hatten einst an eine andere Parthie für Frank gedacht – ein Mädchen aus guter englischer Familie.«
Randal. – »Miß Sticktorights?«
Mrs. Hazeldean. – »Nein; dies ist eine alte fixe Idee Hazeldeans. Er weiß recht wohl, daß die Sticktorights nie ihr Vermögen mit dem unsrigen vereinigen würden. Mein Gott! Alles ginge im Nu auseinander, so bald es zum Abschluß des Heirathskontraktes käme und sie das Wegrecht aufzugeben hätten. Wir dachten an eine ganz andere Parthie; aber jungen Herzen kann man nichts vorschreiben, Mr. Leslie.«
Randal. – »So ist es, Mrs. Hazeldean. Aber jetzt, da wir uns so gut verstehen, gestatten Sir mir die Bemerkung, daß es vielleicht das Beste wäre, die Dinge ihren Weg gehen zu lassen und Frank nichts darüber zu schreiben. Junge Herzen, wie Sie wissen, sehen in scheinbaren Schwierigkeiten oft einen Sporn zur Beharrlichkeit und werden kühler, wenn das Hinderniß verschwindet.«
Mrs. Hazeldean. – »Wohl möglich; bei Hazeldean und mir war es nicht so. Ich werde indessen Frank nicht darüber schreiben aus einem anderen Grunde – obgleich ich meine Zustimmung geben würde, und ebenso William. Lieber wäre es Uns aber doch, Frank heirathete eine Engländerin und eine Protestantin. Deßhalb wollen wir nichts thun, ihn in seinem Vorsatze zu ermuthigen. Wenn Franks Glück wirklich auf dem Spiele steht, dann wollen wir einschreiten. Kurz, wir wollen nichts dafür und nichts dagegen thun. Sie verstehen mich?«
»Vollkommen.«
»Mittlerweile ist es gut, wenn Frank die Welt sieht und sich zu zerstreuen oder wenigstens mit sich selbst in's Reine zu kommen sucht. Etwas der Art mag wohl auch der Grund sein, warum er nicht hierher gekommen ist.«
Randal, der eine eingehendere und klarere Beleuchtung der Sache fürchtete, erhob sich jetzt und bot mit den Worten: »Ich bitte um Entschuldigung, allein ich muß jetzt rasch frühstücken und bei Zeit zurück sein, um nicht den Wagen zu versäumen« – seiner Wirthin den Arm und führte sie in das Frühstückszimmer. Nachdem er sein Mahl scheinbar in großer Eile eingenommen hatte, bestieg er sein Pferd, nahm herzlichen Abschied und ritt rasch von dannen.
Alles begünstigte seinen Plan; selbst der Zufall, der Mrs. Hazeldean auf eine falsche Spur geleitet hatte, wollte ihm wohl. Sie war auf die nahe liegende Vermuthung gekommen, Violante habe Franks Herz bei seinem letzten Besuche in der Halle gefangen genommen. So konnte Randal, während er sich vergewissert hatte, daß nichts den Squire mehr aufbringen könnte, als eine Verbindung mit Madame di Negra, dennoch Frank versichern, daß er Mrs. Hazeldean ganz auf seiner Seite habe. Und wenn der Irrthum zu Tage kam, konnte Mrs. Hazeldean nur sich selbst tadeln.
Noch glänzender hätte sich sein diplomatisches Talent bei Riccabocca bewährt; das Geheimniß, das zu entdecken er gekommen, war in seinem Besitze; er konnte ohne Zweifel den Italiener bewegen, in die Nachbarschaft von London zu ziehen; und wenn Violante wirklich die große Erbin war, für die er sie halten zu müssen glaubte, wen sonst, der ihr im Alter gleich stand, konnte sie sehen, als ihn?
Und die alten Leslie'schen Güter – die in zwei Jahren verkauft werden sollten – vielleicht konnten sie mit einem Theile des Heirathsgutes erstanden werden! Das Gefühl des Triumphes seiner hinterlistigen Anschläge hatte alle früheren Mahnungen seines Gewissens erstickt. Glühend vor Aufregung kam er an dem Casino vorbei, dessen Garten einsam und verlassen da lag, erreichte sein elterliches Haus, ermahnte Oliver zum Fleiß, Juliet zur Geduld, und ging dann zu Fuß weiter dem Wagen entgegen, der ihn nach London zurückbringen sollte.
Violante saß in ihrem Zimmerchen und blickte vom Fenster aus auf die Terrasse, welche sich darunter hinzog. Der Tag war für die Jahreszeit warm. Die Orangenbäume hatten wegen des herannahenden Winters unter Dach gebracht werden müssen; aber wo sie gestanden, saß Mrs. Riccabocca mit ihrer Arbeit. In dem Belvedere berieth sich Riccabocca selbst mit seinem treuen Diener. Allein Fenster und Thüre des Belvedere standen offen, und Gattin und Tochter konnten von ihren Plätzen aus sehen, wie der Padrone, die Arme gekreuzt und den Blick auf den Boden geheftet, sich gegen die Wand lehnte, während Jackeymo, einen Finger auf den Arm seines Gebieters gelegt, mit sichtlichem Ernste zu ihm redete. Und vom Fenster aus sandte die Tochter und von ihrer Arbeit weg die Gattin liebevolle, bange Blicke nach der schweigenden, nachdenkenden Gestalt, die Beiden so theuer war. Denn in den letzten Tagen schien Riccabocca besonders zerstreut, ja beinahe trübsinnig – sie fühlten, daß sein Gemüth von etwas bewegt wurde, und Keines wußte wovon.
Violantens Zimmer gab die Art der Erziehung, durch welche ihr Charakter gebildet worden war, stillschweigend zu erkennen. Außer einem Skizzenbuch, das auf einem Pulte offen neben ihr lag und ein sorgfältig gepflegtes Talent bekundete, (denn hierin hatte sie Riccabocca unterrichtet), war nichts da, was auf die gewöhnlichen weiblichen Fertigkeiten schließen ließ. Kein Piano stand offen, keine Harfe füllte jene Ecke aus, die für eine solche wie gemacht schien; kein Stickrahmen, kein Arbeitskorb verrieth die sonstigen anmuthigen Beschäftigungen eines Mädchens; aber auf Bücherbrettern, die an der Wand hingen, befand sich eine Sammlung der besten englischen, italienischen und französischen Schriftsteller; und dies deutete auf einen Umfang von Belesenheit, welchen Niemand als männlich verdammen wird, der in dem zarten, alles mildernden und verfeinernden Verkehre mit einer Frau zugleich einen Gefährten für seinen Verstand sucht.
Ein Blick in Violanten's Antlitz ließ den edeln Geist erkennen, der diesen lieblichen Zügen Seele verliehen hatte. Da war nichts Hartes, nichts Trockenes, nichts Strenges. Selbst der Ausdruck des Wissens verlor sich in holder Anmuth. Ihr Herz und ihre Phantasie verwandelten alle ernsteren Kenntnisse in geistige Goldbarren. Gab man ihr ein langweiliges Buch zu lesen, so heftete sich ihre Einbildungskraft an Schönheiten, die Anderen entgingen, und entdeckte, wie das Auge des Künstlers, überall das Malerische.
Ein gewisses Etwas in ihrem Innern schien alles Gewöhnliche und Niedrige zurückzuweisen und alles Seltene und Erhabene zu Tag zu bringen. Von Altersgenossinnen getrennt lebend gehörte sie kaum der Gegenwart an. Sie weilte in der Vergangenheit, wie Sabrina in ihrer Krystallquelle. Bilder von Ritterlichkeit – Bilder des Schönen und Heroischen, wie Tasso's Silberverse sie uns vorführen – Kraft und Tapferkeit im Bunde mit Liebe und Gesang zogen sich durch die Träume der lieblichen Tochter Italiens.
Man sage nicht, die Vergangenheit, mit dem kalten Auge der Philosophie betrachtet, sei nicht besser und hehrer, als die Gegenwart; ein reines, edles Auge sieht sie nicht so an. Todt ist die Vergangenheit erst dann, wenn ihr Zauberspiegel nicht mehr die schöne Romantik wiederstrahlt, welche sie, wenn auch nur in der Illusion, mit den herrlichsten Gestalten bevölkert.
Und doch war Violante keine bloße Träumerin. Ihr inneres Leben war so mächtig und reich, daß Handeln für dessen glorreiche Entwicklung unumgänglich notwendig schien – aber ein Handeln in der Sphäre des Weibes – der Trieb, alles um sie her zu beglücken, zu veredeln und zu erheben, und, so weit ihr Ehrgeiz hiemit noch nicht befriedigt war, glühendes Interesse für männliches Streben. Ihres Vaters Furcht vor der rauhen Luft England's zum Trotz hatte eben diese Luft die zarte Gesundheit ihrer Kinderjahre gestärkt. Der elastische Schritt, das sanfte klare Auge, die weiche, üppige Gestalt – alles das zeugte von einer Lebenskraft, die wohl im Stande war, einem so fein gebildeten Geiste und den Regungen eines Herzens als Stütze zu dienen, welches, einmal erwacht, die Leidenschaften des Südens durch die lautere Hingebung des Nordens zu adeln vermochte.
Einsamkeit macht manche Naturen schüchtern, andere kühn. Violante wußte nichts von Furcht. Wenn sie sprach, begegnete ihr Auge freimüthig dem des Anderen; und sie war so sehr ohne alles Arg, daß sie auch das Wort Scham kaum zu kennen schien. Dieser Muth, mit Ideenreichtum gepaart, ließ ihrem Munde eine Fülle frohherzigen Geplauders entströmen. Obwohl sie von den Kunstfertigkeiten, die junge Mädchen gewöhnlich zu erlernen pflegen, und die, selbst bei der sorgfältigsten Ausbildung, die Gedanken so unfruchtbar und die Conversation so schaal lassen, nur wenig verstand, so verstand sie doch Eine Kunst, welche den Mann von Talent am meisten anspricht und das Herz fesselt, besonders wenn sein Talent nicht so ganz der Thätigkeit nach Außen gewidmet ist, daß er im vertrauteren Verkehr sich nur nach Erholung sehnt – die Kunst eines raschen Gedankenaustausches – den Zauber, welcher schöne weibliche Ideen in das Gewand musikalischer Worte kleidet.
»Ich höre ihn sogar hier seufzen,« sagte Violante weich, während sie ihren Vater noch immer beobachtete, »und mich däucht, das ist ein neuer Kummer, der nicht seinem Vaterlande gilt. Er sprach gestern zwei Mal von diesem theuern englischen Freunde und wünschte, er möchte hier sein.«
Bei diesen Worten erröthete die Jungfrau unwillkürlich; ihre Hände fielen in ihren Schooß, und sie versank in Gedanken, so tief, wie die ihres Vaters, aber weniger düster. Seit ihrer Ankunft in England war Violante gelehrt worden, ein dankbares Interesse mit dem Namen Harley L'Estrange zu verbinden. Ihr Vater, der in Betreff seiner früheren italienischen Vertrauten ein nahezu an Verachtung grenzendes Stillschweigen beobachtete, erzählte gerne und ohne Rückhalt von dem Engländer, der Rettung gebracht, wo die eigenen Landsleute Verrath gesponnen hatten. Er sprach von dem damals in voller Jugendblüthe stehenden Krieger, der unter den Pinien, die ihren Schatten über den sonnigen, italienischen See hin warfen, die Erinnerung an irgend einen geheimen Kummer genährt und selbst im Ruhme keinen Trost gefunden, wie Riccabocca, damals glücklich und geehrt, den englischen Signor, den Trauernden und freiwillig Verbannten, mit liebevoller Gewalt seiner Abgeschiedenheit entrissen; wie sie dort, wo Violante das Tageslicht erblickt, Freunde geworden; wie ihn Harley vergeblich vor den raschen Entwürfen gewarnt, womit er in Einer Stunde die Trümmer langer Jahrhunderte aufzubauen gehofft hatte; wie – als er von Allen verlassen, geächtet, verfolgt, durch Flucht sein Leben zu retten gezwungen war, sein Kind an seinen Busen gedrückt – wie ihm da der englische Krieger ein Obdach gewährt, die Verfolger auf eine falsche Spur gelenkt, seine Diener bewaffnet, den Flüchtling bei Nacht zu dem Engpasse in den Apenninen begleitet und, als die Sendlinge eines treulosen Feindes ihnen dicht auf den Fersen waren, gesagt hatte: »Es gilt die Rettung Ihres Kindes! Fort, fort! Noch eine Meile, und Sie sind über der Grenze! Wir halten die Gegner mit Parlamentiren hin; uns thun sie nichts zu Leide.« Und erst, nachdem sie glücklich entkommen waren, erfuhr der Vater, wie der englische Freund die Gegner aufgehalten hatte – nicht mit Parlamentiren, sondern mit dem Schwerte, die Brust, so unerschrocken wie Bayard Pierre du Terrail, Chevalier de Bayard (um 1476-1524), französischer Feldherr; genannt »der Ritter ohne Furcht und Tadel«. Er zeichnete sich u.a. bei der Verteidigung der Brücke über den Garigliano gegen 200 Reiter aus. auf der unsterblichen Brücke, der Ueberzahl entgegenwerfend.
Und seitdem hatte derselbe Engländer nicht aufgehört, seinen Namen zu vertheidigen, seine Sache zu betreiben, und wenn noch Hoffnung vorhanden war, Land und Ehren wieder zu gewinnen, so verdankte er es diesem unermüdlichen Eifer.
Wie natürlich war es da, daß das von der Welt abgeschiedene, mit sich selbst verkehrende Mädchen alles Romantische, Ritterliche, was sie in Büchern gelesen, mit dem Bilde des tapfern und treuen Fremdlings in Verbindung brachte. Er war es, der ihre Träume von der Vergangenheit belebte und dazu geboren schien, zur bestimmten Stunde der Befreier der Zukunft zu werden. Um dieses Bild gruppirte sich all der Zauber, welchen die Märchenwelt alter Heldensage jungfräulicher Phantasie zu bieten vermag.
Einst in ihrer frühsten Kindheit hatte ihr Vater, um ihre Neugierde zu befriedigen, aus der Erinnerung eine Skizze der Züge des Engländers entworfen – hatte Harley gezeichnet in der Blüthe seiner Jahre, idealisirt ohne Zweifel, weil Kunst und Dankbarkeit seinen Pinsel geführt, aber immerhin ähnlich, – der wechselnde Ausdruck seines Gesichtes von dem Schatten tiefer Trauer über ein erst kurz widerfahrenes Leid durchzogen, so daß, wer ihn sah, unwillkürlich ausrief: »So traurig und noch so jung!«
Nie machte sich Violante Gedanken darüber, daß dieselben Jahre, welche ihrer Kindheit jungfräuliche Reife verliehen hatten, weniger schonend über diese glatte Wange und träumerische Stirne hingegangen sein mochten; daß, wie die Zeit das Aeußere, so die Welt die Natur des Menschen verändern könnte.
Der Held ihrer Ideale blieb ewig jung und blühend – ein glänzender Wahn, den wir alle theilen, sobald die menschliche Gestalt von der Poesie ihre Weihe empfängt. Wer denkt sich je Petrark als alten, hinfälligen Mann? Wer sieht ihn nicht vor sich, wie er zuerst auf Laura blickte? –
»Ogni altra cosa ogni pensier va fore!
E sol ivi con voi rimansi Amore!«
Petrarca, die beiden Schlusszeilen von Canzone IX, Nr. 3: »Und alle andern Wünsch' im Nu zerfließen; / Nur Amor will mit euch sich drin verschließen.« (Nach der Übersetzung von Carl Förster, 1818/19)
Und Violante, in solche Träumereien versunken, vergaß das Belvedere. Und das Belvedere war jetzt verlassen. Die Gattin, die kein anderes Ideal hatte, ihre Gedanken abzuziehen, sah Riccabocca in das Haus hinein gehen.
Der Verbannte trat in das Zimmer seiner Tochter, und sie fuhr in die Höhe, als seine Hand ihre Locken und sein Kuß ihre Stirne berührte.
»Mein Kind!« rief Riccabocca, sich setzend, »ich habe mich entschlossen, diese Zufluchtsstätte auf einige Zeit zu verlassen und in die Nähe Londons zu ziehen.«
»Ach, theurer Vater, das also war es, was dich beschäftigte? Aber welchen Grund kannst du dazu haben? Wende dich nicht weg; du weißt ja, wie treu ich dein Gebot befolgt und dein Geheimniß bewahrt habe. O, du wirst mir vertrauen.«
»Gewiß,« versetzte Riccabocca bewegt. »Ich verlasse diesen Ort aus Furcht, meine Feinde könnten mich entdecken. Den Leuten werde ich sagen, du stehest in einem Alter, in welchem Lehrer nöthig werden, die hier nicht zu bekommen seien. Aber wohin wir gehen, sollte Niemand erfahren.«
Der Italiener sprach die letzten Worte durch die Zähne und gesenkten Hauptes. Er sprach sie mit einem Gefühl von Beschämung.
»Meine Mutter –« (so nannte Violante stets Jemima) – »meine Mutter – hast du mit ihr gesprochen?«
»Noch nicht. Eben das ist das Schwierige.«
»Warum schwierig? Sie liebt dich ja so innig,« versetzte Violante mit leisem Vorwurf. »Ach, warum ihr nicht gleichfalls vertrauen? Sie, die so treu, so gut?«
»Gut – ja!« rief Riccabocca. »Aber was hilft's? › Da cattiva Donna guardati, ed alla buona non fidar niente‹ (vor einer bösen Frau sei auf deiner Hut, einer guten Frau vertraue nichts). Und wenn du vertrauen mußt,« fügte der abscheuliche Mann hinzu, »so vertraue ihr alles, nur kein Geheimniß.«
»Pfui,« sagte Violante mit schalkhaftem Vorwurf, denn sie kannte ihren Vater zu gut, um seine häßlichen Aeußerungen wörtlich zu nehmen – »wo ist deine Consequenz, Padre carissimo? Vertraust du nicht dein Geheimniß mir?«
»Dir? Ein Kätzchen ist keine Katze und ein Mädchen ist keine Frau. Ueberdies wußtest du das Geheimniß schon, und ich hatte keine Wahl. Stille, Jemima wird vor der Hand hier bleiben. Sieh zu, was du mit dir nehmen willst; heute Nacht gehen wir.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte Riccabocca hinaus, betrat festen Schrittes die Terrasse und näherte sich seiner Gattin.
» Anima mia,« sagte der Schüler Macchiavel's, unter den zärtlichsten Worten die grausamsten Absichten bergend – denn eines seiner liebsten italienischen Sprichwörter lautete, daß bei einem Maulesel oder bei einem Weibe nur mit Schmeicheln etwas auszurichten sei –»Anima mia – Seele meines Lebens – du hast schon bemerkt, daß Violante hier tödtliche Langeweile aussteht.«
»Violante? Armes Kind! Nein!«
»Doch, doch, Licht meines Herzens; und von Musik versteht sie so wenig, wie ich von Straminarbeit.«
»Sie singt reizend.«
»Gerade wie die Vögel, ohne alle Rücksicht auf Regeln und Tonleiter. Deßhalb, um zur Sache zu kommen, Juwel meiner Seele! werde ich sie auf kurze Zeit mit mir nehmen, vielleicht nach Cheltenham oder Brighton – je nachdem.«
»An deiner Seite ist mir ein Ort so lieb, wie der andere, Alphonso. Wann gehen wir?«
» Wir gehen heute Nacht; aber so schrecklich es mir ist, mich von dir zu trennen – von dir –«.
»Ah!« unterbrach ihn die Gattin und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Riccabocca, der, was seine Grundsätze betraf, zu den heuchlerischsten, unbarmherzigsten Männern gehörte, zerschmolz bei dem Anblick dieses stummen Grames zu vollständiger Ehemannsschwäche. Er legte mit aufrichtiger Liebe den Arm um den Leib seiner Gattin und sagte ohne ein einziges weiteres italienisches Sprichwort –»Carissima, gräme dich nicht so; wir kommen bald wieder zurück; das Reisen ist so theuer, rollende Steine setzen kein Moos an, und zu Hause ist so viel in Ordnung zu halten.«
Mrs. Riccabocca machte sich sanft aus den Armen ihres Gatten los. Sie nahm die Hände vom Gesicht und wischte die Thränen ab, die in ihren Augen standen.
»Alphonso,« sagte sie in rührendem Tone, »höre mich! Was du für gut findest, wird immer auch für mich gut sein. Aber glaube nicht, daß mein Kummer nur unserer Trennung gilt. Nein, Kummer macht mir der Gedanke, daß ungeachtet all' dieser Jahre, in welchem ich einen Herd mit dir theilte und an deiner Brust schlief – all' dieser Jahre, in welchen ich keinen anderen Gedanken hatte, als, soweit es in meinen schwachen Kräften stand, meine Pflicht gegen dich und die Deinigen zu erfüllen, und während welcher ich hätte wünschen mögen, du hättest in meinem Herzen gelesen und dort nur dich und dein Kind erblickt – Kummer macht mir der Gedanke, daß du mich deines Vertrauens noch immer für ebenso unwerth hältst, wie damals, als du an meiner Seite vor dem Altare standest.«
»Vertrauens!« wiederholte Riccabocca betroffen und schuldbewußt. »Warum sagst du ›Vertrauens‹? Worin habe ich dir mißtraut? Ich weiß gewiß,« fuhr er mit der Zungenfertigkeit eines bösen Gewissens fort, »daß ich nie deine Treue bezweifelte, trotz meiner Habichtsnase und meines spitzigen Gesichtes, nie deine Briefe visitirte, nie deinen einsamen Spaziergängen nachforschte, nie mich über dein Coquettiren mit dem hübschen Pfarrer Dale aufhielt, nie die Geldschublade verschloß und nie einen Blick in das Haushaltungsbuch that.«
Mrs. Riccabocca verschmähte sogar ein Lächeln über diese empörenden Ausflüchte: ja sie schien ihn kaum zu hören.
»Kannst du glauben,« nahm sie wieder auf, die Hand auf ihr Herz drückend, um dessen ungestümen Drang, sich in Schluchzen Luft zu machen, Einhalt zu thun, »kannst du glauben, mein unablässiges, immerwährendes Sinnen und Trachten, das einzig und allein dahin ging, herauszufinden, was dir Beruhigung oder Freude gewähren könnte, habe mich nicht längst schon auf die Entdeckung geführt, daß du Geheimnisse hast, die deiner Tochter, deinem Diener bekannt sind, nur mir nicht? Sei unbesorgt – schlimm können die Geheimnisse nicht sein, sonst würdest du sie deinem unschuldigen Kinde nicht verrathen. Ueberdies, kenne ich nicht deinen Charakter? und liebe ich dich nicht eben, weil ich ihn kenne? Daß du deinen häuslichen Herd verlässest, hängt mit diesen Geheimnissen zusammen. Du denkst, ich könnte unvorsichtig – unklug sein. Du willst mich nicht mit dir nehmen. Sei es so. Ich gehe, Vorbereitungen für deine Abreise zu treffen. Vergib, mein Gatte, wenn ich dich beleidigt habe.«
Mrs. Riccabocca wandte sich zum Gehen; aber eine weiche Hand legte sich auf den Arm des Italieners. »O Vater, kannst du noch immer widerstehen? Vertraue ihr! – vertraue ihr! Sie gehört zu demselben Geschlecht, wie ich! Ich bürge für ihre Verschwiegenheit. Sei wieder du selbst – immer edler, als alle Anderen, mein theurer Vater.«
» Diavolo! Nie schließt sich eine Thüre, ohne daß sich eine andere öffnet,« stöhnte Riccabocca. »Bist du toll, Kind? siehst du nicht, daß ich nur deinetwegen fürchtete und vorsichtig sein wollte?«
»Meinetwegen! O, dann setze mich nicht in meinen eigenen Augen herab, und mache mich nicht zur Veranlassung niedrigen Handelns. Meinetwegen! Bin ich nicht deine Tochter des Abkömmlings von Männern, die niemals Furcht gekannt haben?«
Violante sah wie ein höheres Wesen aus, während sie so sprach; und als sie geendet, führte sie ihren Vater sanft nach der Thüre, welche seine Gattin jetzt erreicht hatte.
»Jemima – mein Weib! – Verzeihung, Verzeihung,« rief der Italiener, dessen Herz sich längst gesehnt hatte, so viel Liebe und Zärtlichkeit zu vergelten – »komm' zurück an meine Brust – lang ist sie verschlossen gewesen – jetzt und immer soll sie für dich offen sein.«
Im nächsten Augenblick lag die Gattin an dem ihr gebührenden Platze an dem Busen ihres Mannes; und Violante, die schöne Friedensstifterin, blickte eine Weile lächelnd nach ihnen hin, dann erhob sie die Augen dankend nach oben und schlich sich fort.
Bei seiner Ankunft in London hörte Randal auf den Straßen und in den Clubs verschiedene, theilweise sich widersprechende Gerüchte von der wahrscheinlichen Niederlage der Regierung, bei der kommenden Parlamentssitzung. Diese Gerüchte waren plötzlich, beinahe in Zeit einer Stande, aufgetaucht. Allerdings hatten die schärfer Blickenden schon seit längerer Zeit die Köpfe geschüttelt und erklärt, die Minister würden sich nicht halten können. Allerdings hatten gewisse Veränderungen in der Politik vor ein oder zwei Jahren die Partei der Regierung gespalten und das oppositionelle Element gekräftigt. Gleichwohl hatte erstere die Gewalt schon so lange in Händen und die Opposition schien so wenig Macht und Namen, die Behufs der Bildung eines Kabinets an maßgebender Stelle einen guten Klang hatten, zu besitzen, daß man im großen Publikum höchstens theilweise Veränderungen erwartete. Jetzt gingen die Gerüchte viel weiter.
Randal, dessen Aussichten zur Zeit nur der Wiederschein von seines Gönners Größe waren, wurde unruhig. Er suchte Egerton auf; aber der Minister war undurchdringlich, schien ruhig, unbesorgt und voll Zuversicht. Einigermaßen erleichtert machte sich Randal dann an's Werk, für Riccabocca eine sichere Zufluchtsstätte ausfindig zu machen; denn es war für ihn um so dringender nöthig, auf diesem Wege zu Vermögen zu kommen für den Fall, daß es nicht durch Egerton geschehen könnte. Er fand ein ruhiges, ganz abgelegenes Haus in der Nähe von Norwood – vollständig geschützt gegen Späherblicke und Beobachtung. Er schrieb Riccabocca und theilte ihm die Adresse mit unter erneuerten Versicherungen, daß es in seiner Macht stehe, ihm nützlich zu sein.
Am andern Morgen saß er in seinem Bureau mit seinen Gedanken nur halb bei der Arbeit, die er nichtsdestoweniger mit mechanischer Pünktlichkeit besorgte, als der Minister dieses Departements ihn in sein Privatzimmer rufen ließ und ersuchte, einen Brief an Egerton mitzunehmen, mit welchem er sich wegen eines sehr wichtigen, noch am nämlichen Tage im Cabinet zur Entscheidung kommenden Punktes zu berathen wünschte.
»Ich wähle Sie zum Ueberbringer« sagte der Minister lächelnd (der Minister war ein offener, einfacher Mann), »weil Sie Mr. Egerton's Vertrauen besitzen, und er Ihnen vielleicht neben seiner schriftlichen Antwort noch einen mündlichen Auftrag gibt. Egerton ist oft übervorsichtig und kurz in der littera scripta.«
Randal ging zuerst auf Egerton's nebenan befindliches Bureau – er war diesen Tag nicht dort gewesen. Er nahm dann ein Cabriolet und fuhr nach Grosvenor Square. Ein bescheidener Wagen stand vor der Hausthüre. Mr. Egerton war zu Hause; aber der Diener sagte:
»Doctor F. ist bei ihm, Sir; und vielleicht wünscht er nicht gestört zu werden.«
»Wie, ist Ihr Gebieter krank?«
»Nicht, daß ich wüßte, Sir. Er sagt nie, daß er krank sei. Aber in den letzten Tagen sah er angegriffen aus.«
Randal zögerte einen Augenblick; aber sein Auftrag konnte von großer Wichtigkeit sein, und Egerton hatte an dem Grundsatze, daß Gesundheit und alles Andere den Geschäften weichen müsse, stets so fest gehalten, daß er sich entschloß, einzutreten; und ohne alle Umstände, unangemeldet wie gewöhnlich, öffnete er die Thüre des Bibliothekzimmers. Erschrocken fuhr er zurück.
Audley Egerton lag auf dem Sopha und vor ihm auf den Knieen der Doctor, das Stethoskop auf Audley's Brust gerichtet. Egerton's Augen waren halb geschlossen gewesen; bei dem Geräusch der aufgehenden Thüre jedoch sprang er empor, den Doctor beinahe umwerfend.
»Wer ist da? Wie können Sie sich unterstehen!« rief er mit zorniger Stimme. Dann Randal erkennend, wechselte er die Farbe, biß sich auf die Lippe und murmelte trocken: »Entschuldigen Sie meine Heftigkeit; was wünschen Sie, Mr. Leslie?«
»Dieser Brief von Lord –; ich sollte ihn unverweilt in Ihre Hände übergeben; ich bitte um Entschuldigung –«
»Keine Ursache,« sagte Egerton kalt. »Ich hatte einen leichten Anfall von Luftröhre-Affection; und da das Parlament so bald zusammentritt, so mußte ich meinen Doctor um seine Ansicht darüber fragen, ob ich von den Berichterstattern verstanden werden würde. Legen Sie den Brief auf den Tisch und haben Sie die Güte, auf meine Antwort zu warten.«
Randal zog sich zurück. Er hatte früher nie einen Arzt in diesem Hause gesehen, und es schien auffallend, daß Egerton wegen eines leichten Anfalls den Rath desselben einholen sollte. Während er im Vorzimmer wartete, klopfte es an die Hausthüre, und gleich darauf wurde ein äußerst elegant gekleideter Gentleman hereingeführt, der Randal mit einer leichten, halb vertraulichen Verbeugung beehrte. Randal erinnerte sich, diesen Mann bei dem Diner eines sehr fashionabeln vornehmen jungen Herrn getroffen zu haben, war ihm aber nicht vorgestellt worden und wußte nicht einmal dessen Namen. Der Besucher war besser unterrichtet.
»Unser Freund Egerton ist beschäftigt, wie ich höre, Mr. Leslie,« sagte er, die Camelia in seinem Knopfloche zurechtsteckend.
»Unser Freund Egerton!« Es mußte eine sehr bedeutende Person sein, die »Unser Freund Egerton« sagen konnte.
»Er wird voraussichtlich nicht lange in Anspruch genommen sein,« versetzte Randal, indem er sein schlaues, prüfendes Auge über den Fremden hingleiten ließ.
»Ich hoffe so; meine Zeit ist beinahe so kostbar, wie die seinige. Ich war nicht so glücklich, Ihnen vorgestellt zu werden, als wir uns bei Lord Spendquick »Schneller Verschwender«. traten. Ein guter Junge, dieser Spendquick, und wirklich gescheidt.«
Lord Spendquick galt allgemein für einen Gentleman ohne auch nur drei Ideen im Kopfe.
Randal lächelte.
Unterdessen hatte der Besucher aus einem Täschchen von gepreßtem Marokin eine Karte genommen und bot sie jetzt Randal hin, welcher daraus las: »Baron Levy, Nr. ***, Bruton Str.«
Der Name war Randal nicht unbekannt. Es war ein Name, den fashionable Leute zu oft im Munde führten, um nicht zu den Ohren eines habitué Stammgast. der guten Gesellschaft zu gelangen.
Mr. Levy war ursprünglich Sachwalter Rechtsanwalt. gewesen. Seit einigen Jahren hatte er seinen Beruf aufgegeben und war nicht lange nachher in Folge gewisser Dienste bei Negocirung Vereinfacht ausgedrückt, bedeutet Negoziierung den An- und Verkauf von Wechseln oder anderen Wertpapieren. eines Anlehens von einem deutschen Könige in Adelstand erhoben worden. Der Reichthum Mr. Levy's, hieß es, lasse sich nur mit seiner Zuvorkommenheit gegen alle Diejenigen vergleichen, welche vorübergehend ein Anlehen brauchen und gesunde Aussichten haben, es den einen oder andern Tag wieder zurückzubezahlen.
Man sah selten einen hübscheren Mann, als Baron Levy – ungefähr im Alter Egerton's aber dem Anschein nach jünger; so gut conservirt – solch' prächtigen schwarzen Schnurrbart – so herrliche Zähne! Ungeachtet seines Namens und seiner dunkeln Gesichtsfarbe glich er doch keinem Juden – wenigstens äußerlich nicht, und er war auch in der That von väterlicher Seite nicht ein Jude, sondern der natürliche Sohn eines reichen englischen grand seigneurs und einer gefeierten israelitischen Dame – bei der Oper. Nach seiner Geburt hatte diese Dame einen deutschen Handelsmann ihres eigenen Glaubens geheirathet, und ihr Gatte hatte sich zur Zufriedenheit aller Theile bestimmen lassen, den Sohn seiner Frau zu adoptiren und ihm seinen eigenen israelischen Namen zu geben.
Mr. Levy, der Aeltere, wurde bald Wittwer, und jetzt erzeigte der wirkliche Vater dem Knaben, obschon er ihn nie förmlich anerkannte, große Aufmerksamkeit, sah ihn öfters bei sich zu Hause und führte ihn früh in seine eigene hochgeborne Gesellschaft ein, was dem Jungen ungemein zuzusagen schien. Allein als Mylord starb und dem jüngeren Levy, der damals ungefähr achtzehn Jahr alt war, nur ein mäßiges Legat hinterließ, wurde seine zweideutige Person von dem angeblichen Papa einem Advokaten übergeben; kurz darauf kehrte Mr. Levy in sein Heimathland zurück und wurde in Prag beerdigt, wo sein Grabstein noch zu sehen sein wird.
Der junge Levy brachte es indessen auch ohne ihn recht hübsch vorwärts. Seine wirkliche Abkunft war allgemein bekannt und vom gesellschaftlichen Gesichtspunkte aus für ihn eher vorteilhaft. Sein Legat setzte ihn in den Stand, von der Stelle eines blosen Gehilfen zu der eines Compagnons vorzurücken, und seine Praxis in den fashionabeln Classen der Gesellschaft mehrte sich von Tag zu Tag. Er war aber auch so brauchbar, so amüsant, so ganz der Mann von Welt, daß er mit seinen Clienten, besonders mit vornehmen jungen Leuten nach und nach vertraut wurde; er wußte sich mit Jud und Christ gut zu stellen und glich, da er weder das eine, noch das andere war (um mich Sheridan's Siehe Anm. 293. trefflichen Gleichnisses zu bedienen), dem weißen Blatte zwischen dem alten und neuen Testament.
Manche mochten vielleicht Mr. Levy wegen seines dreisten Benehmens gemein nennen, allein es war nicht die Gemeinheit eines an schlechte Gesellschaft gewöhnten Menschen, sondern mehr der mauvais ton Siehe Anm. 342. Desjenigen, der seiner eigenen Stellung nicht ganz sicher, aber entschlossen ist, sich die bestmöglichste zu erringen. Erinnert man sich, daß er seinen Weg in der Welt gemacht und ein ungeheures Vermögen zusammengescharrt hatte, so bedarf es kaum der weiteren Bemerkung, daß er scharf wie ein Messer und hart wie ein Kieselstein war. Kein Mensch hatte mehr Freunde gehabt, Keiner zäher an ihnen festgehalten – solange sich noch ein Pfund in ihrer Tasche befand!
Ueber diesen Charakter des Barons hatte Randal Einiges gehört, und er betrachtete jetzt zuerst die Karte und dann ihn – mit Bewunderung.
»Ich traf letzthin bei Borrowell einen Freund von Ihnen,« nahm der Baron wieder auf – »den jungen Hazeldean. Ein vorsichtiger Junge – ganz ein Mann von Welt.«
Da dies ein Lob war, welches der arme Frank am wenigsten verdiente, so lächelte Randal abermals.
Der Baron fuhr fort »Wie ich höre, Mr. Leslie, haben Sie auf eben diesen Hazeldean großen Einfluß. Seine Angelegenheiten sind in einem betrübten Zustande. Ich würde mich glücklich schätzen, ihm als Verwandten meines Freundes Egerton von Nutzen zu sein; aber er ist in Geschäftssachen so zu Hause, daß er meinen Rath verachtet.«
»Ich bin überzeugt, Sie thun ihm Unrecht.«
»Unrecht! Ich ehre seine Vorsicht. Ich sage zu Jedem: ›Nur nicht zu mir kommen – ich kann Geld unter weit billigeren Bedingungen verschaffen, als Andere;‹ und was ist die Folge? Man kommt so oft, daß man sich zu Grunde richtet, während der gewerbmäßige Wucherer ohne Gewissen Besorgniß einflößt. ›Hundert Procent,‹ heißt es, ›o, da muß ich mich in Acht nehmen.‹ Wenn Sie Einfluß auf Ihren Freund besitzen, so sagen Sie ihm, er solle sich lieber an seinen Wechselmäkler halten und mit Baron Levy nichts zu schaffen haben.«
Die Glocke des Ministers ertönte, und Randal, zum Fenster hinausblickend, sah Doctor F. auf seinen Wagen zugehen, der Baron Levy's prächtigem Cabriolet Platz gemacht hatte – einem Cabriolet von vollendetem Geschmacke die Freiherrnkrone auf den dunkelbraunen Feldern – ein schwarzes Roß mit solch' stolzem Gang! – silberplattirtes Geschirr.
Der Diener erschien und ersuchte Randal, einzutreten; dann wandte er sich an den Baron mit der Versicherung, er werde keine Minute aufgehalten werden.
»Leslie,« sagte der Minister, ein Schreiben siegelnd, »tragen Sie dies Lord *** zurück und sagen Sie ihm, daß ich ihn in einer Stunde aufsuchen werde.«
»Keinen weiteren Auftrag? Er schien einen solchen zu erwarten.«
»Es scheint allerdings so. Wohlan, mein Schreiben ist officiell, mein Auftrag nicht; bitten Sie ihn, mit Mr. *** zu sprechen, ehe ich ihn sehe – er wird verstehen – alles hängt von dieser Zusammenkunft ab.«
Egerton bot ihm das Schreiben hin und fügte dann ernst hinzu: »Natürlich werden Sie gegen Niemanden erwähnen, daß Doctor F. bei mir war. Die Gesundheit öffentlicher Männer darf nicht in Zweifel gezogen worden. Hm – waren Sie in Ihrem eigenen Zimmer oder im Vorzimmer?«
»Im Vorzimmer, Sir.«
Egerton's Stirne zog sich leicht zusammen.
»Und Mr. Levy war da – wie?«
»Ja, der Baron.«
»Baron! Ganz recht. Ist wahrscheinlich gekommen, um mich wegen des mexikanischen Anlehens zu quälen. Ich will Sie nicht länger aufhalten.«
Die Gedanken drängten sich in Randal' s Kopfe, als er das Haus verließ und in sein gemietetes Cabriolet stieg, indeß der Baron bei dem Staatsmanne eintrat.
Egerton hatte sich der Länge nach auf den Sopha geworfen – eine Lage, die bei ihm außerordentlich selten war, und seine ganze Art und Weise, sich zu geben, zeigte bei Levy's Eintritt einen eigenthümlichen Gegensatz zu der sonstigen stolzen Haltung des unerbittlichen Gesetzgebers. Selbst der Ton seiner Stimme war ein anderer. Der Staatsmann – der Geschäftsmann – schien verschwunden und an seine Stelle der fashionable Müssiggänger getreten zu sein, der jetzt seinem Besuche matt zunickte und sagte: »Levy, wie viel Geld kann ich auf ein Jahr haben?«
»Die Ländereien werden nicht viel weiter tragen. Mein lieber Junge, diese letzte Wahl ist eine wahre Teufelsgeschichte gewesen. Sie können es so nicht mehr länger treiben.«
»Mein lieber Junge!« Baron Levy sagte zu Audley Egerton: »Mein lieber Junge!« Mr. Audley Egerton sah vielleicht nichts Befremdendes in diesen Worten, obgleich seine Lippen zuckten.
»Ich werde nicht nöthig haben, es noch lange so zu treiben,« entgegnete Egerton, als das Zucken seiner Lippe einem düsteren Lächeln Platz gemacht hatte. »Die Länder müssen indessen weitere fünftausend Pfund tragen können.«
»Eine starke Betrachtung derselben! Es wäre besser, sie zu verkaufen.«
»Das darf ich im Augenblick nicht thun. Ich darf nicht zu dem Gerede Anlaß geben: ›Audley Egerton ist fertig – sein Besitzthum ist dem Verkauf ausgesetzt.‹«
»Es ist sehr traurig, wenn man denkt, was für ein reicher Mann Sie waren und es noch sein könnten.«
»Es noch sein! Wie?«
Baron Levy warf einen raschen Blick nach den dicken Mahagonythüren – dick und undurchdringlich, wie die Thüren eines Staatsmannes sein müssen.
»Nun, Sie wissen, daß ich mit drei Worten von Ihnen auf die Papiere dreier Nationen in einer Weise einwirken könnte, die Jedem von uns hunderttausend Pfund einbringen würde. Wir würden halbpart machen.«
»Levy,« sagte Egerton kalt, obgleich ein tiefes Roth sein Antlitz überzog. »Sie sind ein Schurke; das mag für Sie passen. Mich geht anderer Leute Geschmack und Gewissen nichts an. Ich habe aber nicht im Sinne, selbst ein Schurke zu sein. Es ist nicht das erste Mal, daß ich Ihnen dies sage.«
Der Baron lachte, ohne den geringsten Unmuth zu zeigen.
»Wohl,« sagte er, »Sie sind weder weise, noch höflich, aber Sie sollen das Geld haben. Und doch, wäre es nicht besser,« fügte Levy mit Nachdruck bei, »es ohne Zinsen von Ihrem Freunde L'Estrange zu entlehnen?«
Egerton fuhr, wie von der Tarantel gestochen, in die Höhe.
»Wollen Sie mich verhöhnen, Sir?« rief er leidenschaftlich. »Ich pekuniäre Gunstbezeugungen von Lord L'Estrange annehmen! Ich!«
»Pah, mein theurer Egerton, ohne Zweifel würde Mylord jetzt von jenem kleinen Vorfall in Ihrem Leben nicht so schlimm denken, der –«
»Halt,« rief Egerton sich windend, »halt!«
Er hielt inne und durchschritt das Zimmer, in abgebrochenen Lauten vor sich hin murmelnd: »Vor diesem Menschen erröthen zu müssen! Die Strafe, die Strafe!«
Levy betrachtete ihn mit harten, finsteren Blicken. Der Minister wandte sich plötzlich gegen ihn.
»Hören Sie, Levy,« sagte er, sich gewaltsam fassend »Sie hassen mich – warum, weiß ich nicht. Ich habe Sie nie beleidigt – keine Rache genommen für die unsühnbare Kränkung, die Sie mir zugefügt.«
»Kränkung! Ihnen, einem Manne der großen Welt! Kränkung! Nennen Sie es meinethalben so, wenn es Ihnen beliebt,« fügte er einlenkend hinzu, denn Audley's Stirne wurde fürchterlich. »Aber habe ich es nicht wieder gut gemacht? Würden Sie diesen Palast bewohnen und dieses Land als einer seiner einflußreichsten Minister regieren ohne mein Zuthun – ohne meine Verwendung bei der reichen Miß Leslie? Gehen Sie, was wäre aus Ihnen geworden ohne mich?Vielleicht ein Bettler!«
»Und was soll jetzt aus mir werden, wenn ich das Leben behalte? Damals wäre ich kein Bettler gewesen; arm vielleicht an Geld, aber reich – reich an allem, was jetzt dahin ist und mein Leben zu einem verlorenen macht. Gold hat bei mir nicht gut gethan; wie könnte es auch? und dieses Vermögen – es ist zum größten Theil in Ihre Hände gewandert. Gedulden Sie sich, Sie werden es in nicht langer Zeit ganz haben. Aber Ein Mann lebt auf der Erde, der mich schon als Knabe geliebt hat, und wehe Ihnen, wenn er je erfährt, daß er das Recht hat, mich zu verachten.«
»Egerton, mein guter Junge,« sagte Levy mit großer Fassung, »Sie brauchen mir nicht zu drohen, denn welches Interesse könnte ich denkbarer Weise haben, Lord L'Estrange Geschichtchen zu erzählen? und daß ich Sie hassen soll – pah! Unter vier Augen schelten Sie mich, vor den Leuten ignoriren Sie mich, Sie kommen nicht zu meinen Diners, Sie bitten mich nicht zu den Ihrigen; und doch gibt es keinen Menschen, den ich lieber habe und dem ich bereitwilliger diene. Wann brauchen Sie die fünftausend Pfund?«
»Vielleicht in einem Monat, vielleicht erst in drei oder vier. Halten Sie es bereit für den Fall, daß es verlangt wird.«
»Genug, verlassen Sie sich darauf. Haben Sie sonst noch Wünsche?‹
»Keine.«
»So will ich mich empfehlen. Beiläufig, wie viel trägt wohl nach Ihrer Schätzung Hazeldean?«
»Das weiß ich nicht und kümmert mich nicht. Sie haben doch nicht auch hierauf Absichten?«
»Hm, ich unterhalte gerne Familienbeziehungen. Mr. Frank scheint ein freigebiger junger Herr zu sein.«
Ehe Egerton antworten konnte, war der Baron nach der Thüre geschlüpft, nickte anmuthig und verschwand mit diesem Nicken. Egerton blieb zurück, an seinem einsamen Herde stehend. Ein trübseliges Hagestolzenzimmer war es, wohin man sehen mochte, ungeachtet der Stukkaturarbeit an der Decke und des officiellen Prunkes mit Bramaschreibzeugen und rothen Etuis. Trübselig und frostig – keine Spur weiblichen Waltens – nichts, was an die Aufdringlichkeit fröhlicher Kinder erinnerte. Da stand der strenge Mann allein. Und dann murmelte er mit einem tiefen Seufzer: »Dem Himmel sei Dank, nicht mehr lange – es wird nicht mehr lange dauern.«
Diese Worte wiederholend schloß er mechanisch seine Papiere ein und drückte einen Moment die Hand auf das Herz, als hätte dasselbe ein plötzlicher Krampf durchzuckt.
»So – ich muß alle Aufregung vermeiden!« sagte er kopfschüttelnd.
Fünf Minuten später war Audley Egerton auf der Straße, seine Haltung aufrecht, sein Schritt fest, wie immer.
»Dieser Mann ist von Erz,« sagte ein Führer der Opposition zu einem Freunde, mit dem er an dem Minister vorüber ritt. »Was gäbe ich um seine Nerven!«