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Kapitel III

»Und Qual erlitt er im Gewühl,
Zur Ruhe trieb ihn sein Gefühl.

SHENSTONE.

Der Schlei hält den Tümpel, in dem er lebt, zweifellos für die Große Welt. Es gibt überhaupt keinen Ort, wie ›abgestandenen‹ er auch sei, der für die in ihm sich bewegenden Geschöpfe nicht die Große Welt wäre. Menschen, die ihr ganzes Leben in einem Dorf verbracht haben, reden trotzdem von der Welt, als hätten sie sie gesehen! Eine alte, in einer Hütte lebende Frau steckt ihre Nase am Sonntag nicht aus der Tür, ohne zu glauben, sie gehe inmitten des Prunkes und der Eitelkeiten der großen Welt. Ergo ist die große Welt für uns alle der kleine Kreis, in dem wir leben. Aber so wie die feinen Leute die Mode bestimmen, so trägt der Kreis dieser feinen Leute den Namen ›Große Welt‹ par excellence. Schlechthin. – Anm.d.Übers. Diese große Welt nun ist an sich nichts Schlechtes, wenn wir sie recht verstehen; und die große Welt Londons ist mindestens genauso gut wie irgendeine andere. Aber wir verstehen das oder irgendetwas anderes wohl nicht in unseren beaux jours, Schönen Tagen, d.h.: in der Jugend. – Anm.d.Übers. welche, obzwar sie manchmal zu den vorzüglichsten gehören, doch zugleich oft die trübsinnigste und am schlimmsten vergeudete Phase unseres Lebens ausmachen.

Maltravers hatte bisher weder den ihm zusagenden Freundeskreis gefunden noch die Art von Vergnügen, die tatsächlich vergnügte. Darum trieb er fort und fort im unermesslichen Strudel, machte zahlreiche Bekanntschaften – ging zu Bällen und Dinners – und langweilte sich mit beidem wie Menschen, die in der Gesellschaft kein Ziel verfolgen.

Gesellschaft zu genießen bedeutet nun aber, eine Beschäftigung zu haben, ein irgendwie geartetes Metier, und dann in die Welt zu gehen, um entweder den individuellen Zweck mit gesellschaftlichem Behagen zu verknüpfen oder um eine Atempause von manch mühseliger Arbeit zu gewinnen. Wer also Politiker ist, für den bildet Politik gleichzeitig ein persönliches Ziel, wenn er in seinem Arbeitszimmer weilt, wie auch ein soziales Band zwischen der Gesellschaft und ihm selbst, wenn er sich draußen in der Welt aufhält. Dasselbe könnte – nur in geringerem Grade – auch von der Literatur gesagt werden: allerdings muss hier der Kreis exklusiver sein, weil sich mit Literatur weniger Menschen beschäftigen als mit Politik. In der Jugend ist man tanzlustig; der Liederjan liebt es vielleicht, mit der Gattin des Freundes zu flirten. Diese letzteren sind in ihrer Art auch Zielsetzungen, doch nicht von langer Dauer, denn selbst für die Frivolsten stellen sie keine Beschäftigungen dar, die Gefühl und Verstand, welche ja im Allgemeinen nach etwas Nützlichem streben, vollauf befriedigen. Nicht bloße Eitelkeit bringt einen modebewussten Mann zur Erfindung eines neuen Gebisses oder dazu, einem neuen Kutschenmodell seinen Namen zu leihen; es liegt am Einfluss jenes geheimnisvollen Sehnens nach Nützlichkeit, eines der wichtigsten Bande zwischen dem Individuum und der Gattung.

Maltravers war nicht glücklich – das ist freilich weit genug verbreitet; aber er war nicht vergnügt – und das ist ein viel unerträglicheres Urteil. Er verlor einen erheblichen Teil seiner Sympathie für Cleveland, denn ein unvergnügter Mensch verachtet unbewusst die vergnügten. Er bildet sich ein, sie erbauten sich an Nichtswürdigkeiten, was ihm seine überlegene Weisheit zu verschmähen befiehlt. Cleveland befand sich in jenem Alter, in dem man gemeinhin gesellig wird – denn nachdem man sich lange und oft genug am großen Magnetstein der Gesellschaft gerieben hat, erwirbt man in tausend kleinsten Punkten eine Anziehungskraft gemeinsam mit den Gefährten. Ihre kleinen Kümmernisse und geringen Freuden – die Ziele ihrer Interessen und Beschäftigungen, sind dann und wann auch die eigenen gewesen. Man sammelt eine riesige Menge moralischen und geistigen Wechselgelds; man findet kaum einen Verstand zu armselig, um nicht doch auf irgendeine Art sich mit ihm ins Benehmen zu setzen. In der Jugend aber sind wir alle sentimentale Egoisten, und Maltravers gehörte zu jener Bruderschaft, die

»das Herz in Leidenschaft, den Kopf mit Versen«

beschäftigt hält.

Am Ende – London beginnt gerade seine angenehmsten Seiten hervorzukehren: – die Flirts gestalten sich zärtlicher und Ausflüge zu Wasser mehren sich, – Vögel zwitschern im Gehölz von Richmond und Whitebait Unreife Fischbrut. – Anm.d.Übers. labt die Staatsmänner an den Ufern von Greenwich, – am Ende floh Maltravers aus der munteren Metropole und erreichte an einem lieblichen Juliabend sein eigenes efeuumranktes Tor von Burleigh.

Welch ein milder, frischer, köstlicher Abend! Er war von der Kutsche am Pförtnerhäuschen abgestiegen und folgte ihr durch den kleinen, aber malerischen Park allein und zu Fuß. Seit seiner Kindheit hatte er diesen Ort nicht mehr besucht und hatte ganz vergessen, wie er aussah. Nun fragte er sich, wie er jemals irgendwo anders hatte leben können. Es standen dort weder prächtige Alleebäume, noch bewegten sich Hirschgeweihe übers dunkle Farn; es war nicht das Landgut eines Grandseigneurs, aber das eines alten englischen Landedelmannes mit langem Stammbaum. Altertümlichkeit sprach aus den moosbewachsenen Staketen in den schattigen Hainen, aus den spitzen Giebel und dem schweren Stabwerk des Hauses, als es nun zur Ansicht kam, am Fuße eines bewaldeten Hügels – und teilweise versteckt hinter Büschen auf dem vernachlässigten Rasen, der vom Park durch das unsichtbare Ha-ha Ein den Park oder Garten abgrenzender Graben. – Anm.d.Übers. getrennt war. Hier schimmerte im Zwielicht der Wasserspiegel des länglichen Fischteichs mit seinen altmodischen Weiden an den Ecken – dort, grau und wunderlich, das klösterliche Ziffernblatt – und da war der lange Terrassengang mit verblassten, gesprungenen Vasen, jetzt gefüllt mit Orangen und Aloe, die der Gärtner aus Anlass der Ankunft des Herrn dem zerfallenen Treibhaus entnommen hatte.

Die deutliche Vernachlässigung ringsum, all das Unkraut und Gras auf der nur noch halb erkennbaren Straße berührte Maltravers mit einem Gefühl von Reue und Mitleid für seinen ruhigen, abgelegenen Wohnsitz. Und er schritt nicht wie üblich stolz und mit erhobenem Scheitel von der Vorhalle durch eine Reihe seiner Diener zu der vereinsamten Bibliothek: – die zwei oder drei alten zum Ort gehörigen Bediensteten waren ihm ganz und gar unbekannt, und sie hatten kein Lächeln für ihren fremden Dienstherrn.


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