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Siebentes Kapitel.

Der Moment des Aufbruchs kam. Von allen Gästen übernachtete nur Sir Thomas im Hause. Herr und Frau Emlyn hatten ihren eigenen Wagen, Frau Braefield's Wagen fuhr vor, um Frau Cameron und Lily nach Hause zu bringen.

Lily aber sagte ungeduldig und unhöflich: »Wer möchte an einem solchen Abend nicht lieber zu Fuße gehen!« Und dann flüsterte sie ihrer Tante etwas ins Ohr.

Frau Cameron, die jeder Grille Lily's ein williges Ohr lieh, sagte: »Sie sind zu aufmerksam, Frau Braefield. Lily zieht es vor, zu Fuß nach Hause zu gehen; wir haben jetzt keinen Regen zu befürchten.«

Kenelm folgte der Tante und der Nichte und holte sie bald am Ufer des Flüßchens ein.

57 »Ein herrlicher Abend, Herr Chillingly«, sagte Frau Cameron.

»Eine echt englische Sommernacht; in den Gegenden der Welt, die ich besucht habe, gibt es nichts Aehnliches. Aber leider gibt es nur wenig englische Sommernächte.«

»Sie sind viel im Auslande gereist?«

»Viel? Nein, nur ein wenig, und das meistens zu Fuß.«

Lily hatte bis jetzt noch kein Wort gesprochen und war mit gesenktem Kopf ihres Weges gegangen. Jetzt blickte sie auf und sagte im mildesten und versöhnlichsten Ton: »Sie sind im Auslande gewesen«, und fügte dann mit einer Concession an die gesellschaftlichen Gebräuche, welche sie Kenelm gegenüber noch nie gemacht hatte, seinen Namen, »Herr Chillingly«, hinzu; darauf fuhr sie vertraulicher fort: »Wie viel liegt in dem Wort: im Auslande! fort, getrennt von unserm Selbst, von unserm Alltagsleben. Wie ich Sie beneide, Sie sind im Auslande gewesen, Löwe auch –« dabei richtete sie sich auf und fügte hinzu – »ich meine meinen Vormund, Herrn Melville.«

»Allerdings bin ich im Auslande gewesen, aber nie fort von meinem Selbst. Es ist ein altes Sprichwort – alle alten Sprichwörter sind wahr, die 58 meisten neuen sind falsch – der Mensch trägt seinen Heimatsboden an seinen Fußsohlen mit sich.«

Hier wurde der Fußsteig etwas enger. Frau Cameron ging voran, Kenelm und Lily folgten; sie natürlich auf dem trockenen Fußsteige, er auf dem bethauten Grase.

Sie hielt ihn zurück. »Sie gehen mit ihren dünnen Schuhen im feuchten Grase.« Dabei trat sie instinctiv von dem trockenen Fußsteige zurück.

So einfach diese Worte Lily's, ja so albern sie im Munde eines zarten Mädchens einem Gladiator wie Kenelm gegenüber waren, leuchtete ihm doch aus denselben eine ganze Welt von Weiblichkeit entgegen; sie zeigten das ganze für den gelehrten Herrn Emlyn unentdeckbare Land, von welchem ein unverstandenes Mädchen Besitz ergreift und das es beherrscht, wenn es Weib und Mutter wird.

Bei den einfachen Worten und der impulsiven Bewegung blieb Kenelm in der Art von träumerischem Staunen stehen. Er wandte sich schüchtern zu ihr:

»Können Sie mir meine unfreundliches Worte verzeihen? Ich maßte mir an, etwas an Ihnen zu tadeln.«

»Und mit so großem Recht. Ich habe über Alles, 59 was Sie gesagt haben, nachgedacht und ich fühle, wie Recht Sie haben; nur verstehe ich noch nicht ganz, was Sie mit jener Eigenschaft der Sterblichen meinten, welche die Fee ihrem Kinde nicht mitgab.«

»Wenn ich es vorhin nicht zu sagen wagte, wage ich es jetzt noch weniger.«

»Thun Sie es doch.« Aber sie stampfte nicht mehr mit dem Fuße; ihr Auge funkelte nicht mehr, in ihren Mienen sprach sich nicht mehr der eigensinnige Trotz aus, der sie sagen ließ: Ich will es. »Thun Sie es doch«, sagte sie jetzt begütigend, sanft bittend.

So gedrängt nahm Kenelm seinen Muth zusammen und sagte, ohne daß er sich jedoch getraut hätte Lily anzusehen, kurz:

»Die Eigenschaft, welche auch für Männer wünschenswerth, doch für Frauen in dem Maße wichtiger ist, wie sie feenhaft sind, ist eine ganz gewöhnliche Sache, es ist – gleichmäßige Laune.«

Lily sprang plötzlich von ihm fort und lief durch das nasse Gras zu ihrer Tante.

Als sie bei der Gartenpforte anlangten, trat Kenelm vor und öffnete dieselbe. Lily ging stolz an ihm vorüber. Vor der Thür des Hauses sagte Frau Cameron:

»Ich fordere Sie zu dieser späten Stunde nicht 60 auf mit hineinzukommen. Es wäre das ja doch nur eine höfliche Redensart.«

Kenelm verbeugte sich und schickte sich an, zu gehen. Da trat Lily mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.

»Ich werde Ihre Worte in Erwägung ziehen, Herr Chillingly«, sagte sie mit einer komisch-majestätischen Miene. »Für jetzt glaube ich noch, daß Sie nicht Recht haben. Ich bin nicht launisch, aber –« Hier hielt sie inne und fügte dann mit einer hochmüthigen Miene, welche, wenn Lily nicht so außerordentlich hübsch gewesen wäre, unartig hätte erscheinen müssen, hinzu: »Auf jeden Fall verzeihe ich Ihnen.« 61


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