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Als eines Abends wieder eine von unseren Zänkereien und die darauf erfolgte Versöhnung stattgefunden hatte, schien Juliens Laune unter einer mehr als gewöhnlichen Reaction zu ringen. Es waren etliche ihrer Bekannten – auch ihre drei Basen, die den Wahrsager hatten zu sich rufen lassen – eine Art von Gesellschaft anwesend, und Julie machte sich zum Mittelpunkte des ganzen Kreises. Je aufgeräumter sie sich aber gab, desto größer ward mein Mißbehagen. Ich bildete mir ein, sie spielte 142 mit der Wittwe unter einer Decke; es kam mir vor, als wollte Erstere mich gleichsam wie den Zukünftigen ihrer Schwester »zur Schau stellen,« wie es in der vermaledeiten Redeweise gewisser Weiber heißt. Dergleichen aber ist keine Lage, in die ein nur irgend krittlicher Mann sich gern versetzt sieht. Hiezu füge der Leser die anerkannte Wahrheit, daß manche Leute, die in ruhigem Gemüthszustande keine Unarten an sich blicken lassen, sich oft plump geben, wenn sie allzu munter werden. Dies war der Fall mit Julien; wenigstens schien es mir so. Leichtfertigkeit verlangt in eben dem Maße Verfeinerung, in welchem die Person, an der wir sie wahrnehmen, uns werth und theuer ist; und Leichtfertigkeit an der Geliebten ist einem leidenschaftlich Liebenden fast immer unausstehlich. Die Liebe ist eine, ach! so ernste, so verfeinerte Gottheit. Kurz, mit jedem Augenblicke steigerte sich mein Verdruß über Juliens Ausgelassenheit. Ich ward brennend roth vor Aerger über jeden Scherz, den sie lautwerden ließ – ich mögte darauf schwören, daß ich sie sonder Gewissensvorwurf hätte schlagen können. Die Besuchenden entfernten sich, und jetzt kam die Reihe an mich. Ich machte Vorstellungen – Julie ereiferte sich – ich deßgleichen – wir verloren Beide unsere Besonnenheit. Ich bildete mir damals ein, durchaus Recht zu haben; doch jetzt – ach! Jetzt will ich gern glauben, daß ich Unrecht hatte – dies eingestehen ist eine Art von Sühnopfer, das ich einer schauerlichen Rückerinnerung bringe.
»Du ärgerst Dich immer über meine Munterkeit,« 143 sagte Julie. – »Fröhlich seyn ist in Deinen Augen allzeit ein Verbrechen. Ich kann diese Tyrannei nicht ertragen. Noch bin ich nicht Deine Frau, und wär' ich's, würd' ich sie dennoch nicht ertragen. Mißfalle ich Dir jetzt schon – was werd' ich nachher erst!«
»Aber liebste Julie, Du kannst ja so leicht von diesen kleinen, mir so widerwärtigen Eigenheiten ablassen. Halte mich immerhin für unbillig – vielleicht bin ich es wirklich; indessen ist es für ein edles Herz eine Art von Vergnügen, der Unbilligkeit des geliebten Gegenstandes ein Opfer zu bringen, und – rund heraus gesagt, wenn Du allen meinen Wünschen diesen Starrsinn entgegensetzest, so können wir niemals glücklich miteinander seyn und – und –«
»Ich verstehe,« unterbrach mich Julie, mit ungewohnter Heftigkeit – »ich sehe wo hinaus Du willst; Du bist meiner überdrüssig, Du fühlst, daß ich Deinen idealischen Begriffen nicht entspreche. Als Du mich zu Deinem Opfer ausersahst, hieltest Du mich für durchaus vollkommen, jetzt jedoch, da Du glaubst, Deinerseits etwas aufopfern zu müssen, denkst Du an nichts, als an solche klägliche Aufopferung, und verlangst dagegen von mir eine unmögliche Vollkommenheit!«
In diesem Vorwurfe war so viel Wahres enthalten, daß er mir durch das Innerste drang, dennoch that Julie unzart, oder doch gewiß unverständig, daß sie mir ihn machte.
Ich erblaßte vor Aerger.
144 »Mademoiselle –« begann ich mit jener Höflichkeit, in der der bitterste aller Vorwürfe liegt.
»Mademoiselle?« wiederholte Julie und wendete sich rasch zu mir. – Ihre Lippen waren halb geöffnet – ihre Augen blitzten durch ihre Thränen – Unruhe, Bekümmerniß, aber auch Unwille zuckten in jeder ihrer Gesichtsmuskeln.
»Ist es dahin gekommen?« sagte sie. »Geh! Laß uns scheiden. Meine Liebe hört auf, da ich sehe, daß die Deinige ein Ende nahm. Wärst Du zwiefach so reich, zwiefach so vornehm, als Du es bist, mögte ich doch nimmer mich so sehr demüthigen, daß ich nur von Deiner Gerechtigkeit, nicht aber von Deiner Liebe abhinge! Lieber – lieber, o Herr des Himmels! Lieber mögte ich Dir mich ganz hingegeben haben, als daß ich irgend einen Vortheil von einem Manne annehmen sollte, der da wähnt, er erzeige mir eine besondere Ehre durch seine Liebe. Laß uns scheiden!«
Offenbar hatte Julie das Wort, dessen ich mich aus Kälte und Bitterkeit bediente, sowohl als einen Spott gegen ihren niederen bürgerlichen Stand, wie als einen Beweis von Kaltsinn aufgefaßt; ich aber ließ mir nicht Zeit zu erwägen, ob sie mit Recht oder Unrecht aufgebracht war. Ihr Verschmähen des Opfers, das ich für so groß ansah, erbitterte mich – durch die Heftigkeit ihres Zornes ward ich empört, so daß ich nur an den Ausweg dachte, den sie selbst mir gezeigt hatte. »Laß uns scheiden!« diese Worte klangen mir im Ohr, wie 145 einen Verurtheilten dessen Lossprechung. Ist stand ohne Weiteres auf, nahm gelassen meinen Hut, ging zur Thür, und sprach dann erst: »Genug, Julie, wir scheiden für immer. Morgen wirst Du zum Letztenmale von mir hören.«
Ich verließ das Haus und schritt dahin, als ob ich auf Wolken träte. Meine Liebe zu Julien, die längst im Abnehmen gewesen war, schien jetzt gänzlich aus meinem Herzen vertilgt zu seyn. Ich bildete mir ein, Juliens frühere Zartheit sey eitel Heuchelei gewesen, und dachte nur an die Zänkerin, der ich entronnen war. Ich wünschte mir Glück dazu, daß sie selber die Kette zerbrochen hatte, und daß ich jetzt frei, und mit Ehre frei war. Nicht dachte ich damals – o nein! erst als es zu spät war, dachte ich an die Verzweiflung, die sich auf ihrem blassen Antlitz gewiesen hatte, als der ruhige Ton meiner Entschlossenheit in ihr Ohr drang und sie erkannte, daß ich wirklich für immer ihr verloren war. Jetzt steigt jenes Bild vor mir auf, und wird mich bis in mein Grab verfolgen! Ach! ihr bleiches, starrblickendes Antlitz, von dem jede Miene des Stolzes und Zornes gewichen war, und das nur den wilden, ungläubigen, versteinerten Ausdruck verlassener Liebe zeigte – o! wie entsetzlich schwebt es vor meinen Blicken im Wachen wie im Traume! – Es ist das Gespenst meines Daseyns, das nimmer, nimmer abläßt mich zu ängstigen. O! hätte ich doch, als es noch Zeit dazu war, glauben können, glauben wollen, daß 146 Julie so tief zu empfinden vermogte, welch namenloses Elend würde alsdann nicht über mich gekommen seyn!
Am anderen Morgen schrieb ich ihr gemäßigt und freundlich, doch solcher Ton ließ den Stachel nur noch tiefer in die Wunde dringen! Ich sagte ihr für immer Lebewohl. Ihrer Schwester schrieb ich ausführlicher. Ich sagte, daß Juliens Gemüthsart und die meinige durchaus nicht zusammenstimmten, daß vernünftiger Weise keines von uns Heil von einer Verbindung zwischen uns erwarten könnte. Ich bat sie, die Schwester nicht zu überreden oder zu vermögen ihren früheren Bewerber zu ehelichen, sobald Julie nicht selbst Neigung dazu äußerte. Wen immer sie heirathen mögte, setzte ich hinzu, so sollte ihre reiche Ausstattung meine Sorge seyn. Sonder Zweifel, ließ ich einfließen, würde nach kurzer Frist ein Anderer ihr eben so theuer seyn, als ich mir eingebildet hätte, daß ich es wäre. »Lassen Sie also, Madam,« schloß ich, »Ungleichheit des Vermögens kein Hinderniß einer neuen Wahl für Ihre Schwester seyn, denn mit Freuden will ich mein halbes Vermögen zur Buße für jegliche Bekümmerniß geben, die ich etwa verursacht oder veranlaßt habe.«
Durch diesen Brief glaubte ich mein Gewissen völlig beruhigt; und doch war dieser Brief mir von einem Teufel dictirt worden, der tausendmal mehr Satan war, als Asmodeus es jemals hat seyn können. Geburtsstolz – Geldstolz – Wissenshoffart waren die Quellen, aus der mein jüngstes Verfahren gegen Julie hervorging – 147 fluchenswerthe böse Geister, durch die eine Engelsseele – meine theure, schmählich von mir verkannte Julie in die Wildnisse der Verzweiflung gejagt ward.
Fast unglaublich ist der Gedanke, in wie so kurzer Zeit all diese Erlebnisse auf mich eingedrungen waren. Binnen wenigen Wochen hatte ich der Liebe gesammte Geschichte durchlebt – der Liebe erstes mystisches Gefühl – ihre Gluth der Leidenschaft – ihren Hader – ihren Kaltsinn – ihren Bruch – ihr Lebewohl für immer – Alles, Alles hatt' ich erlebt.
Vier Tage später erhielt ich – nicht von Julien – von Juliens Schwester einen Brief, der im Tone einer ärmlichen, mit sich selber nicht einigen Impertinenz abgefaßt war, und mich vollends mit der Wendung aussöhnte, die die Geschichte genommen hatte. Inzwischen enthielt das Schreiben eine Mittheilung, die ich nicht mit Gleichgültigkeit hinnehmen konnte – nämlich die, daß Julie der wiederholten Bewerbung ihres früheren Anbeters Gehör gegeben hätte und sich ehestens mit ihm verehelichen würde. »Sie trägt mir auf,« schloß die Wittwe ihren Brief, »Ihnen zu sagen, daß sie recht wohl die Absicht durchschaut, die Sie hegen, indem Sie erheuchelte Wünsche für ihr Glück äußern, und daß Sie nichts wollen als sie von dem ihr früher gewordenen Heirathsantrag ablenken; sie sieht ein, daß Sie noch immer den Herrn über sie spielen mögten, und daß Ihr Großmuthsanerbieten nichts ist als Herablassung einer eingebildeten Geistes- und Herzens-Ueberlegenheit. Dennoch 148 gibt sie Ihnen die Versicherung, daß Ihre Wünsche für ihr Wohlergehen sich bereits erfüllen.«
Diese unverdiente und beleidigende Zuschrift vollendete meinen Sieg über jedes etwa noch im Herzen mir kauernde Gefühl von Reue oder Sehnsucht, und in meinem Aerger über Juliens Ungerechtigkeit gewahrte ich nicht, wie sehr diese die Folge verletzter Eitelkeit und eines verzweifelnden Herzens war.