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Ludwig XV. von Frankreich hatte ein geheimes diplomatisches Kabinett errichtet, dessen Operationen dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten nicht bloß unbekannt waren, sondern selbst zuweilen den Plänen desselben entgegenwirkten. Solange der Kardinal Fleury lebte, dem der König mit vollem Vertrauen die Leitung der Geschäfte überließ, bestand diese Einrichtung nicht. Aber von dem Jahre 1743 an begann der Prinz von Conti, ein geistvoller Mann, ohne Vorwissen der anderen Minister mit dem König zu arbeiten. Zu Anfang des Jahres 1745 kamen polnische Herren nach Paris, die von einer Anzahl ihrer Landsleute beauftragt waren, dem Prinzen von Conti ihre Stimme zu seiner dereinstigen Wahl auf den polnischen Thron anzubieten, und der König ermächtigte ihn, die entsprechenden Dispositionen zu treffen, was denn zu einem besonderen politischen System des Kabinetts und zu einer geheimen Diplomatie Anlaß gab, deren Leitung der Prinz von Conti hatte und die sich besonders in den nordischen Ländern betätigt zu haben scheint. Der Zweck dieses Systems bestand in folgenden Punkten. Man wollte das durch den westfälischen Frieden begründete System, mit den daraus für die Franzosen hervorgehenden Einmischungsvorwänden aufrecht halten und die von Frankreich garantierten sogenannten deutschen Freiheiten beschützen. Man wollte ferner die Pforte, Polen, Schweden und Preußen unter Vermittlung und Beitritt Frankreichs zu einem ewigen Bündnis vereinigen und durch diese Mächte das Aneinanderschließen Österreichs und Rußlands verhindern. Zum Zweck dieses Planes schlug der Prinz von Conti dem König eine geheime Korrespondenz für die auswärtigen Angelegenheiten vor und bewirkte Veränderungen bei den verschiedenen Gesandtschaften, indem er die Sendung des Grafen Desalleurs nach Konstantinopel, des Marquis d'Havrincourt nach Stockholm, des Chevaliers de la Touche nach Berlin und des Herrn des Issarts an den polnisch-sächsischen Hof vermittelte. Als der Graf von Broglie im Mai 1752 zum Botschafter in Warschau ernannt wurde, erhielt er durch den Prinzen von Conti einen eigenhändigen Befehl Ludwigs XV., wonach er eine geheime Korrespondenz mit dem König führen und das, was der König ihm durch den Prinzen zukommen lassen werde, dem vorziehen sollte, was ihm unmittelbar von den Ministern zugehen würde. Zwölf Jahre lang leitete der Prinz von Conti in dieser verdeckten Weise die Unterhandlungen an den Höfen von Konstantinopel, Warschau, Stockholm und Berlin und es war in der Tat gelungen, durch dieselben den russischen Einfluß in Polen wesentlich zu schwächen und eine Konföderation zugunsten der Königswahl des Prinzen von Conti anzubahnen, als das Choiseulsche Bündnis Frankreichs mit Österreich den ganzen Plan des Prinzen von Conti vereitelte und in der Koalition gegen Preußen zugleich eine Annäherung an Rußland anbahnte. Zwar wirkte der König durch seine geheime Diplomatie auch ferner auf eine Mäßigung jenes Systems; aber eine entschiedene Stellung gegen Rußland war nicht mehr möglich. Der Prinz von Conti verlangte nun, um sich über diese Vereitelung seiner Strebungen zu trösten, einen Oberbefehl in Deutschland; aber er gehörte nicht zu den Günstlingen der Frau von Pompadour und so ward sein Gesuch abgeschlagen. In Unmut darüber entsagte er den Geschäften gänzlich und übergab dem Willen des Königs gemäß alle Papiere und Chiffren seiner Korrespondenz dem Herrn Tercier, erstem Beamten im Auswärtigen Amte.
Gegen Ende desselben Jahres 1756 kam der Graf von Broglie aus Polen nach Frankreich zurück, und ihm übertrug nun der König die Leitung der geheimen Diplomatie. Der Postintendant d'Ogny stellte Ludwig XV. die Briefe der in die geheime Korrespondenz aufgenommenen diplomatischen Agenten zu, und der König schickte diese Briefe an den Grafen von Broglie oder an Herrn Tercier, durch deren Hände er auch das nötige Geld für die geheime Korrespondenz an seine Agenten gelangen ließ. Die Dechiffrierung dieser Depeschen besorgte der Sekretär des Grafen Broglie, Dubois Martin, ihre Beantwortung der Graf von Broglie selbst oder – und zwar meistens – Herr Tercier. Der König ließ sich die Antworten vorlegen, bestimmte die vorzunehmenden Änderungen und setzte dann sein »Genehmigt« darunter. Als Herr Tercier starb (1767) und nun dem Grafen Broglie die geheime Korrespondenz allein oblag, schlug dieser Ludwig XV. vor, dem Herzog von Choiseul die Teilnahme an derselben zu eröffnen, worin aber allerdings eine gänzliche Verkennung des Zweckes dieser geheimen Korrespondenz lag und was der König auch entschieden abschlug. Ob der Vorgang mit dem Grafen St. Germain mit dieser geheimen Diplomatie zusammenhing, lassen wir dahingestellt sein. Gewiß aber ist es, daß die Tätigkeit der geheimen Agenten den Gesandten im Auslande, soweit diese nicht selbst die Teilnehmer dieser geheimen Korrespondenz mit dem König hinter dem Rücken des Ministeriums waren, oft Verlegenheiten bereitete, und daß die Absichten des Königs zuweilen die seines Ministeriums durchkreuzten. Doch war dies nicht immer ein Widerspruch und ein Übel. Wenn z. B. der Gesandte in St. Petersburg, Baron Breteuil, unter dem 27. September 1760 an den König unter anderem schrieb, er fände in seinen geheimen Instruktionen, Seine Majestät habe es nicht gemißbilligt, daß dessen Botschafter das System des Ministeriums nicht befolgt habe, so wird das doch im weiteren Verlaufe dahin erläutert, daß eine unbedingte Befolgung des ministeriellen Systems Rußland ein zu großes Übergewicht verschafft haben würde, und daß der Gesandte im Auftrag des Königs beflissen war, den russischen Übermut einigermaßen herabzustimmen. Baron Breteuil schickte übrigens dem König alle Schreiben, die er von dem Herzog von Choiseul erhielt und suchte auch im Auftrag des Königs in seinen Berichten an den Minister diesen im Sinne des Königs zu leiten, z. B. ihm günstigere Gesinnungen in bezug auf Polen einzuflössen.
Doch gelang es nicht, den gebietenden Einfluß Rußlands in Polen zu brechen und dies hatte 1764, wie die Königswahl Poniatowskis, so die Abreise erst des französischen Gesandten Marquis de Paulmy, dann des Residenten Hennin zur nächsten Folge. Von da an bis 1787 korrespondierte ein dem französischen Interesse ergebener Pole Jackobowski mit dem französischen Ministerium, wozu dann seit 1766 noch ein Herr Gerault kam, später auch die Herren Bonneau, General Monnet und Aubert, welche alle ohne anerkannte diplomatische Qualität mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten oder den französischen Gesandten an den nordischen Höfen über die polnischen Angelegenheiten korrespondierten. Erst 1787 erhielt Frankreich wieder einen Residenten in Warschau, den Herrn Vincent.
Choiseul hatte die geheime Diplomatie gewiß gekannt, mag sie aber als in den meisten Fällen unschädlich, in einzelnen nützlich und im Falle der Not durch seine überlegene Kraft zu neutralisieren, ignoriert haben. Sein Nachfolger im Amte, aber nicht im staatsmännischen Berufe, der Herzog von Aiguillon, erstaunte sehr, als er zuerst von dem Baron de Bon, dem Gesandten in Brüssel, und dann durch die Beschlagnahme der Papiere Dumouriez' in Hamburg auf die Spur eines solchen Verkehres kam. Er ließ Dumouriez sowie Favier, Ségur und Drouet, einen ehemaligen Sekretär des Grafen Broglie, verhaften, ahnte aber noch nicht, daß der König selbst der Veranstalter dieses geheimen Verkehres sei. Der König ließ alles zu, damit sein Geheimnis verhüllt bleibe, beruhigte jene Männer aber über die Zukunft und entschädigte sie durch Geschenke. Der Minister erfuhr den ganzen Zusammenhang der Sache erst durch die Dubarry, die ihm einen darauf bezüglichen Brief, den sie im Kabinett des Königs gefunden, mitteilte. Indes wurde Graf Broglie nicht deswegen exiliert, sondern weil er im September 1773 an d'Aiguillon, der ihm eine Mission nach Turin verweigert, einen beleidigenden Brief geschrieben hatte, den der Letztere im Ministerrate vorlas und die Beistimmung seiner Kollegen für die Notwendigkeit einer Genugtuung erhielt. Der Graf von Broglie wurde nach Ruffec verwiesen, blieb aber auch da an der Spitze der geheimen Korrespondenz, die jedoch nicht lange mehr dauerte, da Ludwig XV. am 10. Mai 1774 starb.
Über das innere Getriebe dieses Verkehres geben aber unter anderem folgende königliche Schreiben guten Aufschluß. Der Baron von Breteuil vertauschte 1760 den Gesandtschaftsposten zu Köln mit dem ungleich wichtigeren zu St. Petersburg. Unter dem 26. Februar 1760 schrieb ihm nun der König:
»Herr Baron von Breteuil! Auf die vorteilhaften Berichte hin, die mir über Sie erstattet worden sind, habe ich mich entschlossen, Sie zu meinem bevollmächtigten Minister in Rußland zu ernennen und Sie zu einer geheimen Korrespondenz mit mir zuzulassen, die ich niemals habe durch meine Minister der auswärtigen Angelegenheiten gehen lassen wollen. Der Graf von Broglie, der Ihnen dieses Schreiben überreichen wird, und der Herr Tercier haben die alleinige Leitung derselben und Sie werden dem, was sie Ihnen in meinem Namen sagen werden, Glauben beimessen. Sie werden den Herren die Instruktionen überschicken, die Sie vom Herzog von Choiseul bereits erhalten haben oder vor Ihrer Abreise noch erhalten werden und Sie werden ihnen alles mitteilen, was Sie von ihm mündlich über die Ihnen obliegenden Aufträge erfahren werden, damit sie nach Vorwissen dieser Umstände die besonderen und geheimen Instruktionen über das entwerfen, was sie von meinem Willen in betreff der Angelegenheiten Rußlands und Polens wissen. Sobald ich diese Instruktionen geprüft habe, werden sie Ihnen dieselben so schnell als möglich zukommen lassen. Bis dahin befehle ich Ihnen, Ihre Abreise unter leicht zu findenden Vorwänden so lange zu verschieben, bis Sie dieselben erhalten haben und empfehle Ihnen, bei schwerster Strafe, Geheimnis gegen jedermann, außer dem Grafen von Broglie und dem Herrn Tercier, und rechne auf Ihre Treue und Folgsamkeit.
Ludwig.«
Am 10. März 1760 schrieb der König an den Herrn d'Eon, Gesandtschaftssekretär in Rußland:
»Herr d'Eon! Besondere Gründe im Verein mit dem Zutrauen, was ich in den Diensteifer und die Gaben des Barons von Breteuil, meines bevollmächtigten Ministers bei der Kaiserin von Rußland setze, haben mich veranlaßt, ihn von den unmittelbaren Korrespondenzen wissen zu lassen, die ich seither in Rußland gehabt habe, ohne daß sie meinem Minister der auswärtigen Angelegenheiten und meinem Botschafter bekannt gewesen wären. Er ist auch davon in Kenntnis gesetzt worden, daß Sie, teils um mir die Korrespondenz zu erleichtern, teils um mir auf geradem Wege die besonderen Angaben zukommen zu lassen, von denen Sie meinen, daß sie mir vorzulegen seien, in dieses Geheimnis eingeweiht sind.
Ihre bei Erfüllung dieser Pflicht, soviel Ihre Stellung und die Entfernung der Orte zuließ, bewiesene Pünktlichkeit bürgt mir dafür, daß Sie mir während des Aufenthaltes des Barons von Breteuil an dem Hofe von Petersburg neue Beweise Ihres Eifers geben werden. Ich habe ihn wissen lassen, es sei meine Absicht, daß Sie in der Eigenschaft eines Sekretärs bei ihm bleiben, um unter seinen Befehlen lediglich an dieser geheimen Korrespondenz zu arbeiten. Sie haben vom Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten 3000 Livres Besoldung; ich werde Ihnen jährlich von diesem Jahre an 200 Dukaten zukommen lassen, die ich zu Ihrer ordentlichen Besoldung zulege, um Ihnen zu beweisen, daß ich mit den Diensten, die Sie mir geleistet haben und auf deren Fortsetzung ich rechne, zufrieden bin.
Sie werden dem Baron von Breteuil mit möglichster Genauigkeit und unter Vermeidung der Parteilichkeit ebenso wie der Befangenheit alle Notizen mitteilen, die Sie über den Charakter der Kaiserin von Rußland, ihrer Minister und der bei den Staatsgeschäften Verwendeten erlangt haben. Sie werden Ihre Bemerkungen über das seit Beginn des Krieges bis hieher eingeschlagene Verfahren über das, was Sie glauben, daß es für den Erfolg der Absichten der gemeinsamen Sache zu tun gewesen wäre und über die möglichen Ursachen seiner Verzögerung beifügen. Sie werden das Ganze in ein Memoire zusammenfassen, was Sie ihm übergeben und wovon Sie mir durch die erste sichere Gelegenheit eine chiffrierte Abschrift einschicken werden. Sie werden ihm endlich alles zukommen lassen, wovon Sie glauben, daß es, sei es in betreff der Vergangenheit, sei es in betreff der Zukunft zum Besten meines Dienstes nützlich ist. Sie werden indes warten, bis er Ihnen seine geheimen Instruktionen mitteilt, um davon Abschrift zu nehmen und ihm infolge davon zu sagen, was Sie über die geeignetsten Mittel, ihnen mit Erfolg nachzugehen, denken. Sie müssen Ihre Richtschnur für alles bilden, was Sie sowohl über das seither Getane als über das Vorzunehmende sagen werden.
Dieses Zeichen des Zutrauens, das ich dem Baron von Breteuil gebe, ist ein Beweis meiner Überzeugung, daß er meine Befehle mit ebenso viel Eifer als Befähigung ausführen wird. Trotz der Redlichkeit seiner Absichten, woran ich keineswegs zweifle, kann es jedoch vorkommen, daß er sich über die Wahl der Mittel, das Ziel meiner geheimen Instruktionen zu erreichen, täuscht; wenn Sie es für dienlich erachten, werden Sie ihm mit Bescheidenheit Ihre Ansicht auseinandersetzen usw. – Genehmigt den 7. März 1760.«
Man sieht, wie großes Vertrauen der König und seine geheimen Ratgeber d'Eon schenkten; d'Eon, einem durch sein ganzes Leben, Wesen und Schicksal so rätselhaften Menschen, daß man erst 1810 mit Bestimmtheit erfuhr, ob er Mann oder Weib gewesen. Er war am 5. Oktober 1728 zu Tonnerre in Burgund geboren worden und hatte die Namen Charlotte Genoveve Louise Auguste Andreas Timotheus d'Eon de Beaumont erhalten. Sein Vater war ein Gerichtsrat und erzog das in Knabentracht aufwachsende Kind für das Studium der Rechte. Er machte seine Studien im Collegium Mazarin zu Paris, ward nach und nach Doktor beider Rechte und Parlamentsadvokat und machte sich durch einige politische Schriften dem Prinzen von Conti bekannt, der ihn dem König zu dem Zweck empfahl, den Ritter Douglas als Sekretär zu begleiten, einen schottischen Flüchtling, den man 1757 zur Vermittlung einer Annäherung an Rußland nach St. Petersburg schickte. Es gelang, sich zunächst mit dem Vizekanzler Grafen Woronzow zu verständigen, worauf eine vertrauliche Korrespondenz zwischen dem König Ludwig XV. und der Kaiserin Elisabeth angeknüpft wurde, deren Vermittler der Graf Woronzow und d'Eon waren. Als die Kaiserin am 5. November 1757 der österreichisch-französisch-schwedischen Allianz beigetreten war, überbrachte d'Eon diese Nachricht nach Versailles und erhielt zum Lohne eine reiche Tabatière, in welcher eine Anweisung auf den Schatz lag und ein Brevet als Dragonerleutnant. Er kehrte darauf nach St. Petersburg zurück, wo inzwischen der Marquis d'Hopital, Paul Galluccio, vorher Gesandter in Neapel, als französischer Botschafter aufgetreten war. Hier arbeiteten beide mit Erfolg an dem Sturz Bestuchews, in dessen Papieren man auch ein Memoire seines Sekretärs über die Personen, deren man sich als verdächtig entledigen müsse, gefunden haben soll, worunter auch der Ritter Douglas und d'Eon als solche bezeichnet worden wären. 1758 kehrte er nach Frankreich zurück und machte den Feldzug von 1761 als Dragonerkapitän und Adjutant des Marschalls Broglie mit. Im Gefechte von Ultrop wurde er am Kopf und Schenkel verwundet. Bei Osterwick griff er ein preußisches Bataillon so kräftig an, daß es die Waffen streckte.
Nach dem Frieden begleitete er den Herzog von Nivernais als Gesandtschaftssekretär nach London, setzte auch von hier seine geheime Korrespondenz mit dem königlichen Privatkonseil fort und war die Seele der Gesandtschaft, deren nominelles Haupt ihn mit einer nach Walpoles Urteil übertriebenen, ans Lächerliche streifenden Freundlichkeit und Vertraulichkeit behandelte, ihm auch bei der baldigen Wiederabreise des Gesandten auswirkte, daß er einstweilen als Resident die Geschäfte fortführte, ja da sich die Ankunft des neuen Gesandten verzögerte, zum bevollmächtigten Minister ernannt wurde. Vorher noch überbrachte er den Friedensvertrag nach Frankreich zur Ratifikation, bei welcher Gelegenheit er das Ludwigskreuz erhielt. Dieses Glück soll den jungen Mann schwindelnd gemacht haben, so daß er, dessen Talente, Verdienst und literarische Bildung selbst Walpole anerkennt, in Sprache und Lebensweise die seither beobachtete Mäßigung und Anspruchslosigkeit überschritt. Nun traten obendrein Rückschläge ein. Der Gesandte Graf von Guerchy kam endlich an. Walpole bezeichnet ihn als einen liebenswürdigen Soldaten, der gerade keine hervorragenden Gaben, aber doch ziemliche Weltkenntnis, rastlosen Diensteifer, viel Besonnenheit, ungezwungene, anspruchslose, gefällige und verträgliche Manieren besessen, und zwar unter der Herrschaft seiner Frau gestanden, an ihr aber eine allerdings häßliche und knickerige, aber im übrigen sehr verständige und treue Gattin besessen habe. Er war durchaus nicht geneigt, dem d'Eon den Einfluß zu gestatten, welchen dieser auf seinen Vorgänger geübt und hatte gleich bei seiner Ankunft Gelegenheit, jenem seine Anhänglichkeit recht empfindlich fühlen zu lassen. D'Eon hatte seine Besoldung nicht richtig und rechtzeitig erhalten, während für seine Vorgesetzten bereits Gelder angekommen waren. Er hatte sich dieser bedient, um den gesandtschaftlichen Aufwand zu bestreiten, den er für nötig hielt und bekam darüber einen kränkenden Verweis von Herrn de Guerchy. Dieser krittelte dabei selbst um Kleinigkeiten, z. B. daß zuviel auf Zeitungen gewendet wurde, welcher Aufwand eine Guinee monatlich betrug! Allerdings aber hatte d'Eon von jenen Geldern in drei Monaten fast 50.000 Francs verbraucht. Er selbst wähnte aber, seine Stellung als bevollmächtigter Minister dauere fort, auch nachdem der Gesandte angekommen und wollte nicht in die Stellung eines bloßen Gesandtschaftssekretärs zurückkehren. Alle diese Umstände scheinen den ehrgeizigen Mann in eine wahre Geistesstörung versetzt zu haben. Es kam um diese Zeit ein Abenteurer namens Treyssac de Vergy nach London und d'Eon bildete sich ein, derselbe sei hingeschickt, ihn zu ermorden. Bei einem Mittagmahl bei Lord Halifax verstand er eine Äußerung desselben aus unvollkommener Bekanntschaft mit der englischen Sprache falsch, glaubte, Lord Halifax habe gedroht, den Frieden, dessen Überbringer d'Eon gewesen, wieder brechen zu wollen und fuhr darauf so wütend auf den Gesandten los, daß man einen Friedensrichter holen und d'Eon verhaften lassen mußte, während ihn auch Treyssac de Vergy wegen Friedensbruches anklagte. Der französische Hof rief d'Eon zurück; er weigerte sich aber, zurückzukehren, worauf der englischen Regierung erklärt ward, daß er sich nicht mehr in amtlicher Eigenschaft in London befinde. Nun ward ihm der Hof verboten. Außer sich gebracht und von Eitelkeit und Rachsucht getrieben, ließ er einen starken Quartband unter dem Titel: »Lettres, Mémoires et Negotiations particulières du Chevalier d'Eon«, die Geschichte seiner amtlichen Wirksamkeit und seiner Streitigkeiten mit dem Grafen Guerchy, seine Schreiben an den Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Herzog von Praslin, die freundschaftlichen Briefe des Herzogs von Nivernais an ihn selbst, ferner höchst indiskreter Weise die Briefe seines Freundes St. Foix, eines Beamten in der Kanzlei des französischen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten, Briefe, welche manchen freimütigen Tadel der Vorgesetzten enthielten, endlich die vertrauten Briefe zwischen den Herzogen von Nivenais und Praslin drucken, worin von d'Eon mit Wohlwollen und Lob, von Guerchy mit mitleidiger Geringschätzung gesprochen und doch dabei zugestanden wurde, daß der »arme« Guerchy immer noch der geschickteste Mann sei, über den man verfügen könne. Das Buch machte ungeheures Aufsehen und weder die Versuche, es zu unterdrücken, noch eine Gegenschrift: »Examen des lettres etc. du Chevalier d'Eon, dans une Lettre à M. N.« halfen. Die Kollegen Guerchys in London nahmen sich seiner an und verlangten Genugtuung, worauf auch der Generalfiskal Befehl erhielt, eine Klage wegen Libells zu erheben. In Frankreich dachte man daran, ihn von London entführen und in die Bastille setzen zu lassen. Aber Ludwig XV. soll ihn sofort selbst von der ihn bedrohenden Gefahr haben benachrichtigen und zur Vorsicht auffordern lassen. Als d'Eon nun vollends in seiner Verzweiflung mit einer Veröffentlichung seiner ganzen geheimen Korrespondenz mit dem König drohte, bewilligte Ludwig XV. ihm eine Pension von 12.000 Livres und in der ganz von der eigenen Hand des Königs geschriebenen Urkunde darüber hieß es: »Auf Anlaß der Dienste, welche der Sieur d'Eon mir sowohl in Rußland als in unseren Armeen geleistet hat und der anderen Aufträge, die ich ihm erteilt habe, will ich ihm eine jährliche Unterhaltssumme von 12.000 Livres zusichern, die ich ihm pünktlich alle 6 Monate, in welchem Lande es immer sei (nur nicht in Kriegszeiten bei meinen Feinden), auszahlen lassen werde und dies, bis ich für gut finden werde, ihm irgendeinen Posten zu geben, dessen Einkünfte beträchtlicher wären, als jene Unterhaltssumme.
Zu Versailles, den 1. April 1766.
Ludwig.«
Zu Anfang der siebziger Jahre verbreitete sich nach und nach das Gerücht, daß d'Eon ein Weib sei. Es fand nur sehr allmählich im Laufe mehrerer Jahre, dann aber um so festeren Glauben. Unrichtig ist es, daß ein Befehl des französischen Hofes, er solle die weibliche Kleidung annehmen, dieses Gerücht begründet hätte; vielmehr ist jener Befehl erst durch das schon bestehende Gerücht veranlaßt worden und das letztere hat Jahre lang bestanden, bevor d'Eon Weibertracht anlegte. Möglich, daß die Taufnahmen d'Eons, möglich, daß ein zufälliges Urteil über seinen, manche Züge des Weiblichen enthaltenden Charakter den ersten Anlaß gab, daß es sich erhielt, weil Gesicht, Figur und Lebensweise nicht zu entschieden widersprachen, und daß die vielen Feinde, die sich d'Eon gemacht hatte, dasselbe unterstützten. Dunkel bleibt es immer, was den französischen Hof zuerst vermochte, d'Eon die weibliche Tracht zur Vorschrift zu machen und ebenso, was d'Eon bestimmte, sich dieser Vorschrift zu unterwerfen. Kann man auch annehmen, daß Ludwig XV. in dieser Mystifikation das beste Mittel erkannt habe, etwaige Indiskretionen d'Eons zu entkräften, daß d'Eon selbst in seiner weiblichen Rolle einen Schutz gegen manche Feindschaft, einen Freibrief zu mancher Freiheit suchte, so kann man doch kaum umhin, zu vermuten, es müsse noch irgend eine ganze spezielle Ursache bestanden haben, die es nötig machte, d'Eon dem weiblichen Geschlechte zuzuteilen und damit irgendeinen Verdacht zu verhüten, der nur bei dieser Voraussetzung nicht aufkommen konnte. Unbedingten Glauben fand die Sache zwar nicht, aber die Anzahl derer, welche d'Eon für ein Weib hielten, war die entschieden überwiegende und in seinen letzten Jahren werden nur sehr wenige an seiner Weiblichkeit gezweifelt haben. In der ersten Zeit hatten viele Wetten über die Streitfrage stattgefunden, wobei es bemerkenswert ist, daß meistens Franzosen für das weibliche Geschlecht d'Eons, Engländer für das männliche wetteten. Aus diesen Wetten entstanden mehrfache Prozesse. Zur gerichtlichen Entscheidung kam im Jahre 1777 die von dem Wundarzt Hayes gegen den Bäcker Jaques erhobene Klage. Jaques hatte 15 Guineen erhalten unter der Bedingung, 100 zurückzugeben, wenn das weibliche Geschlecht d'Eons bewiesen werde. Die Geschworenen fanden die Beweise, daß d'Eon ein Weib sei, so stark, daß sie zugunsten des Hayes entschieden. Die übrigen Prozesse wurden durch die Erklärung des Gerichtshofes beseitigt, daß solche Wetten ungesetzlich seien und es hieß damals, daß durch diese Entscheidung dem Lande nicht weniger als 75.000 Pfund erhalten worden seien, welche außerdem nach Paris gegangen wären. D'Eon erklärte, daß er an den über sein Geschlecht erhobenen Streitigkeiten durchaus keinen Anteil habe, verließ aber England und ging nach Frankreich, wohin ihn der Graf von Vergennes eingeladen hatte. Er erschien in Mannestracht, ward günstig aufgenommen, erhielt aber von Ludwig XVI. den Befehl, die weibliche Kleidung wieder anzulegen; ein Befehl, den Ludwig XVI. bei seinen strengen Begriffen von Sittlichkeit und Anstand schwerlich erteilt haben würde, wenn er d'Eon nicht wirklich für ein Weib gehalten hätte. Anfangs weigerte er sich, fügte sich aber nach einiger Zeit und erschien als Ritterin d'Eon in weiblicher Tracht mit dem Ludwigskreuze. Das Verhältnis setzte ihn aber, besonders da ein Zweifel über die Wahrheit desselben doch noch fortgewirkt zu haben scheint, Neckereien und Herausforderungen aus, denen die Regierung ihn anfangs dadurch zu entziehen suchte, daß sie ihn eine Zeitlang nach Dijon auf die Zitadelle setzte. Doch zog er es 1783 vor, wieder nach England zu gehen und scheint von hier mit dem Baron von Breteuil, welcher damals Minister des königlichen Hauses wurde, korrespondiert zu haben. Nach Ausbruch der Revolution richtete er 1791 eine Petition an die Nationalversammlung, worin er seinen Rang in der Armee wieder einzunehmen verlangte, indem er erklärte, sein Herz empöre sich gegen seine Haube und seine Weiberröcke. Seine Dienste wurden aber nicht angenommen; er blieb in England, verlor als Emigrant seine Pension und mußte aus Not seine Bibliothek und Kostbarkeiten verkaufen. Ja, er kam dahin, daß er die ihm aufgezwungene Sonderbarkeit als Erwerbsmittel benutzen mußte, indem er 1795 in weiblicher Tracht als Fechtmeister auftrat und Fechtstunden gab. So mag ihn zuletzt seine Dürftigkeit selbst, auch nachdem wahrscheinlich die ihn früher bindenden Rücksichten geschwunden waren, abgehalten haben, den Schleier zu lüften. Als nun Alter und Kränklichkeit über ihn kamen, ward er nur noch durch die Unterstützung einiger Freunde kümmerlich erhalten. Aber noch 1809 glaubte selbst der in die Geheimnisse der französischen Diplomatie tief eingeweihte de Flassan, daß d'Eon ein Weib sei. Am 21. Mai 1810 starb er. Aus der Totenschau, welche Th. Copeland in Gegenwart der Herren Adair, Wilson und des Pere Elisée, ersten Chirurgen Ludwigs XVIII., vornahm, ergab sich, daß d'Eon vollständig ein Mann gewesen ist. In dem von ihm, allerdings schon 1775, wo er noch alle Rücksichten zu nehmen hatte und zu Paris in 13 Bänden herausgegebenen, meist Politisches und Geschichtliches enthaltenden »Loisirs du Chevalier d'Eon« findet sich nicht die mindeste Hindeutung auf den Grund seiner Doppelrolle. Die unter seinem Namen erschienenen Memoiren sind unecht.