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Gustave Flaubert
Bildquelle: Projekt Gutenberg-DE


Gustave Flaubert

(1881.)

Gustave Flaubert wurde 1821 in Rouen geboren. Als er 1880 durch einen plötzlichen Tod daselbst verschied, hinterliess er die europäische Dichtkunst nicht in dem Zustand, in welchem er sie vorgefunden hatte – kein Künstler kann als solcher sich einen bessern Nachruhm wünschen. Die Arbeit seines Lebens bezeichnet einen Schritt in der Geschichte des Romans.

Er war ein Prosaschriftsteller ersten Ranges, einige Jahre hindurch wol der erste Frankreichs. Seine Stärke als Prosaist beruhte auf einer künstlerischen und literarischen Gewissenhaftigkeit, die sich bis zur Genialität erhob. Er wurde ein grosser Künstler, weil er keine Mühe scheute, weder wenn er sich zum Schreiben vorbereitete, noch wenn er schrieb, sondern Beobachtungen und Aufklärungen mit der Sorgfalt eines blossen Gelehrten sammelte und seinen Stoff mit der Leidenschaft eines blosen Formanbeters plastisch und harmonisch zu gestalten strebte. Er wurde ein Meister des modernen Romans, weil er die Selbstüberwindung hatte, nur wahre seelische Vorgänge darstellen zu wollen und allen Effecten der dichterischen Beredsamkeit, allen pathetischen oder dramatischen Momenten, welche auf Kosten der Wahrheit schön oder interessant erscheinen, aus dem Wege ging. Sein Name ist mit künstlerischem Ernst und litterarischer Strenge gleichbedeutend.

Er war nicht ein Gelehrter, der zugleich Dichter war oder in dem Verlauf seines Lebens Dichter wurde; seine dichterische Arbeit als solche ist auf eindringlichen, langsam gewonnenen Vorstudien begründet. Seine Bücher haben nichts Jugendliches oder Flatterhaftes, nichts Lächelndes oder Gewandtes. Diese Bücher sind Resultate der langsamen und späten Reife. Er debutirte erst, als er 35 Jahre alt war, und hinterliess, obwol er der Literatur alle seine Zeit gewidmet hatte, in seinem 59. Jahre nur sieben Werke. Die Titel sind: Madame Bovary, Salammbô, L'éducation sentimentale, La Tentation de Saint-Antoine, Le Candidat, Trois Contes, Bouvard et Pécuchet.

Es war eine tief ursprüngliche, aber keine elementare Natur. Seine Originalität beruhte darauf, dass in seinem Gemüthe zwei literarische Hauptströmungen zusammenliefen und einen neuen Born bildeten. Er erhielt in seiner Jugend gleichzeitig, oder fast gleichzeitig zwei Impulse, welche die Laufbahn seines Geistes bestimmten.

Die erste Strömung, die ihn erreichte, war die romantisch-beschreibende Richtung der Literatur, die Chateaubriand entstammt, der lyrisch bewegte und farbenprächtige Styl, der in »Atala« und »Les Martyres« die Franzosen zum ersten Male bezauberte und später in Victor Hugo's »Les Orientales« und »Notre Dame de Paris« einen noch viel festeren und mächtigeren Rhythmus und eine weit überlegene malerische Kraft gewann. Flaubert war, wie alle Dichter und wie alle Menschen, als Jüngling lyrisch gestimmt gewesen. Seine, nie gedruckten, lyrischen Versuche wurden durch die geschichtliche Entwickelung der französischen Poesie farbenschillernde melancholische Huldigungen der Religion der Schönheit. Der zweite Strom, der in sein Inneres hineingeleitet wurde, war die Richtung der Romane Balzac's gegen das Moderne, ihr Sinn für das Hässliche und Brutale als charakteristisch, ihr leidenschaftlicher Hang zur Wirklichkeit und ihre Treue der Beobachtung.

Indem diese zwei Flüsse bei ihm zusammenströmten und nach dem Verlauf einiger Zeit sich mit einander mischten, erhielten sie eine neue Farbe und einen neuen Namen.

Er hatte als Jüngling für die Schubladen seines Schreibtisches viel descriptive und pathetische Lyrik in Hugo's, Gautier's und Byron's Styl geschrieben; aber in der richtigen Empfindung, dass seine Originalität sich nicht in dieser Richtung geltend machen könne, und dass man auf diesem Gebiet überhaupt nicht mehr originell zu sein vermöge, hielt er seine Productionen zurück und fand sich darein, für unbegabt, jedenfalls für unproductiv angesehen zu werden. Er schrieb ungefähr zur selben Zeit Versuche entgegengesetzter Art; er pflegte eine komische Tragödie über die Kuhpocken zu nennen; aber auch diese Versuche gab er nicht heraus. Erst da Chateaubriand und Balzac in seinem Gemüth eine neue poetische Form erzeugt hatten, fühlte er sich seiner Originalität gewiss und trat öffentlich auf.

 

I.

Selbst denen, die wenig oder nichts von Flaubert gelesen haben, ist es bekannt, dass er in dem Jahre 1856 mit einem Roman, »Madame Bovary«, ein ausserordentliches Aufsehen in Paris, und bald danach in Europa machte. Ein thörichter Process – der Staatsanwalt klagte den Verfasser unsittlicher Tendenzen an – und eine entschiedene Freisprechung durch die Jury vermochte nur wenig die Aufmerksamkeit zu vermehren, die das eigenthümliche neue Talent schon an und für sich erregte. Das Buch erschien, wie alle neuen Anfänge in der Literatur, sonderbar und anstössig. Es war ein Zeichen des Widerspruchs. Man verglich es mit den Dichtungen einer älteren Zeit und sagte sich: Ist dies Poesie? Es erinnerte manch' Einen mehr an Chirurgie, Anatomie. Noch weit später hiess es in literarischen Kreisen in Paris, wo man einem früheren Begriff von Poesie treu blieb: »Wir bedanken uns für die Skelette des Herrn Flaubert.« Der Verfasser wurde Ultrarealist genannt, man fand in seinem Roman nur die unbarmherzige, unerbittliche Physiologie des Alltäglichen in seiner traurigen Hässlichkeit.

Man übersah im ersten Augenblick, dass ab und zu diesem Physiologen ein zwar durchaus unpersönlicher, aber bildlicher, farbenreicher Ausdruck entschlüpfte, der von einer ganz anderen Welt als derjenigen des Romans Botschaft zu bringen schien. Das literarisch halbgebildete Publikum merkte nicht, dass diese Schilderung platter Provinzverhältnisse und Provinzunglücksfälle, erbärmlicher Irrthümer und eines elenden Todes in einem Styl vorlag, der zugleich klar wie eine Spiegelfläche und dem Ohre musikalisch wohlthuend war. Es lag ein Lyriker unter dem Buche begraben, und bisweilen schlug ein Flammenwort aus dem Grabe empor.

Es war eben der Zeitpunkt, wo die Generation, die zwischen 1820 und 1830 geboren war, sich der Herrschaft in der Literatur bemächtigte und ihr physiognomisches Gepräge in einer mit harten Händen durchgeführten Analyse des Wirklichen offenbarte. Die neue Generation wandte sich von dem philosophischen Idealismus und der Romantik ab und schwang mit wahrem Enthusiasmus das Secirmesser. In demselben Jahr, wo »Madame Bovary« erschien, anatomirte Taine in seinem Werk »Les philosophes français du 19 siècle« die herrschende spiritualistische Lehre, vernichtete Cousin als Denker und erklärte ohne die Romantiker zu bekämpfen mit kühler Gleichgültigkeit, dass Hugo und Larmartine schon Classiker seien, die von der Jugend eher aus Neugier, als aus Sympathie gelesen würden, und die ihr so fern standen, wie Shakespeare und Racine. Sie seien »bewunderungswürdige und ehrwürdige Ueberreste eines Zeitalters, das gross war und nicht mehr existire«. Sein Freund Sarcey schrieb nicht viel später im »Figaro« jenen von Banville, dem Zögling der grossen Romantiker, vielbesungenen und vielverspotteten Artikel, der in den Worten culminirte: »Vorwärts, meine Freunde! Nieder mit der Romantik! Voltaire und die Normalschule!« Man sehe Th. de Banville: Odes funambulesques: Villanelle des pauvres housseurs und zwei Triolette. In der dramatischen Poesie schien die Opposition gegen die Romantik mit der kleinen, unfruchtbaren Ecole de bon sens gescheitert; Ponsard und seine Geistesverwandten hatten lange nicht das halten können, was man sich einst von ihnen versprach. Aber neuere realistische Dramatiker schlossen sich eben zu jenem Zeitpunkt ihnen an. Augier, der seine ersten Poesien Ponsard gewidmet hatte und der Anfangs der sentimental-bürgerlichen Richtung desselben gefolgt war, betrat 1855 eine neue Bahn drastischer Schilderung der unmittelbaren Vorzeit. Der kühnere, derbere Dumas hatte ihm eben den Weg gezeigt, und bei diesem fängt trotz aller Pietät für die Generation, der sein Vater angehörte, die directe und treffende Verspottung der romantischen Ideale an; man sehe die Rollen de Nanjac's in »Le Demi-monde,« de Montègre's in »L'ami des femmes.« Das Wort, das Montègre durch die Ueberlegenheit de Ryons' in Verwirrung gebracht, demselben erwidert: »Vous êtes un physiologiste, Monsieur«, war in Wirklichkeit die einzige Antwort, welche die ältere Generation der Kritik der jüngeren entgegenzustellen hatte.

Augier ist 1820, Dumas 1824, Sarcey und Taine sind 1828 geboren. Der Dichter Madame Bovary's, der 1821 das Licht erblickte, hatte augenscheinlich unter seinen nächsten Zeitgenossen Verwandte. Er war von ihnen durch seine geheime unerschütterliche Treue gegen die Ideale des vorigen Geschlechts verschieden. Aber er machte den Angriff auf die Caricaturen derselben so rücksichtslos mit, das man ihn ohne Weiteres zu der Gruppe jener Antiromantiker rechnete.

Und doch erinnert er durch seine Härte und Kälte fast noch mehr an den in der vorigen Generation alleinstehenden Mérimée, ja er schien Vielen nur ein schwererer, breiterer Mérimée. Denn was an ihm zuerst auffiel, das war der kaltblütige Dichter, und diese zwei Bestimmungen: kaltblütig und Dichter, die sich bisher ausgeschlossen hatten, waren nur bei Mérimée vereint erschienen.

Ein näheres Studium würde doch erwiesen haben, dass die Kaltblütigkeit Mérimée's ganz andersartig war als diejenige Flaubert's. Mérimée behandelte romantische Stoffe in einem unromantischen, trockenen und knappen Styl. Sein Ton und sein Styl stimmten überein, denn der Ton war ironisch und der Styl bildlos und kalt. Mit Styl und Ton stand aber die Wildheit, die barbarische Leidenschaftlichkeit des Sujets in Widerspruch.

Bei Flaubert dagegen stimmte der Stoff und der Ton überein; denn er stellte mit unendlich überlegener Ironie das Leere und Thörichte dar. Aber mit dem Stoff und dem Ton stand der Styl in Widerspruch. Er war nicht wie bei Mérimée rationell und mager; er war farbenstrahlend und harmonisch. Der Dichter breitete den goldgewirkten Schleier desselben über all das Platte und Traurige, das er erzählte, aus. Wenn man das Buch laut vorlas, erstaunte man über die Musik dieser Prosa. Der Styl enthielt tausend melodische Geheimnisse; er ironisirte die menschliche Schwäche, das ohnmächtige Sehnen und Trachten, den Selbstbetrug und die Selbstzufriedenheit mit einem Accompagnement von Orgelmusik. Während der Chirurg im Texte, ohne Theilnahme an den Tag zu legen, zerfleischte und zerriss, schluchzte ein schönheitsliebender Lyriker in der Begleitung. Schlug man eine solche Seite auf, in der ein Dorfapotheker sein halbwissenschaftliches Geplauder vortrug, in der eine Diligencetour geschildert oder eine alte Mütze beschrieben wurde, so war sie, stylistisch betrachtet, durch die Frische der Ausdrücke und durch den soliden Satzbau farbig und dauerhaft wie ein Mosaik-Gemälde. So fest war jeder Absatz zusammengeschrieben, dass Flaubert selbst die Empfindung hatte, man könne nirgends zwei Worte wegnehmen ohne dass, rhythmisch gesprochen, die ganze Seite zusammenfalle. Die sichere Feinheit der Bilder, der Erzklang der Wortverbindungen, die rollende Breite der Prosarhythmen gaben der Erzählungsweise eine erstaunliche, bald malerische, bald komische Kraft.

Es lag augenscheinlich in seinem Naturell etwas eigentümlich Doppeltes. Sein Wesen bestand aus zwei Elementen, die sich vervollständigten: ein brennender Hass gegen Dummheit und eine unbegrenzte Liebe zur Kunst.

Jener Hass fühlte sich, wie oft der Hass, unwiderstehlich von seinem Gegenstand angezogen. Die Dummheit in all ihren Formen als Thorheit, Albernheit, Aberglaube, Dünkel, Spiessbürgerlichkeit zog ihn magnetisch an, reizte und inspirirte ihn. Er musste sie Zug für Zug malen, fand sie an und für sich unterhaltend, selbst wo Andere sie nicht interessant oder komisch finden konnten. Er legte förmliche Sammlungen von Dummheiten an, bewahrte sinnlose Processeinlagen, abgeschmackte Illustrationen haufenweise auf, besass eine Sammlung schlechter Verse, die nur von Aerzten geschrieben waren; jedes Zeugniss der menschlichen Dummheit als solches war ihm von Werth. Er hat in seinen Werken auch nichts anderes gethan, als mit Meisterhand der menschlichen Beschränktheit und Verblendung, unserm Unglück, insofern es auf unserer Dummheit beruht, Denkmäler zu setzen. Ich fürchte fast, dass die Weltgeschichte ihm die Geschichte der menschlichen Dummheit war. Sein Glaube an den Fortschritt des Geschlechts war äusserst schwankend. Der Haufe, sogar das lesende Publicum war ihm »der ewige Dummkopf, der man genannt wird«. Wollte man eine Bezeichnung dieser Seite seines Wesens haben und ihn absolut mit einem jener so beliebten, ihm so verhassten Worte auf »ist« stempeln, so wäre er nicht mit vollem Recht Pessimist, nicht einmal Nihilist zu nennen; Imbecillist würde das Wort sein.

Dieser unablässigen Verfolgung der Dummheit, deren erbitterter Charakter sich hinter seiner unpersönlichen Form verbarg, entsprach nun, wie gesagt, eine leidenschaftliche Liebe zur Literatur, die ihm die Schönheit und die Harmonie bedeutete, die ihm die höchste Kunst vertrat und die er mit einem Streben nach Vollkommenheit pflegte, das ihn erst lange stumm, dann spät zum Meister und dann wieder früh unfruchtbar machte. Er litt, wenn er das Alltägliche vorführte, selbst am meisten darunter, suchte deswegen durch die Kunst der Behandlung den Stoff zu heben, und da die wichtigste Eigenschaft des Schriftstellers ihm die Plastik war, strebte er vor allem nach Anschaulichkeit. Er hat es gelegentlich selbst gesagt und man empfindet es, wenn man ihn durch seinen Styl studirt.

Schon in seinem ersten Werk traten alle Vorzüge dieses Styls hervor.

Man lese die Stelle nach, wo in »Madame Bovary« Emma noch unverheirathet, Bovary nach seinem ärztlichen Besuch bei ihrem Vater zur Thür hinaus folgt: »Sie begleitete ihn immer bis zur ersten Stufe der Freitreppe. Wenn sein Pferd noch nicht vorgeführt war, blieb sie da. Man hatte sich Adieu gesagt, man sprach nicht mehr; die frische Luft umgab sie, hob durch einander die flaumweichen Haare ihres Nackens oder schlug um die Hüften die Bänder ihrer Schürze, die sich wie Fähnlein wickelten und wanden. Ein Mal, als es Thauwetter war, sickerte das Wasser aus der Rinde der Bäume im Hof und der Schnee schmolz auf den Dächern der Gebäude. Sie stand auf der Schwelle; sie ging zurück, ihren Sonnenschirm zu holen, spannte ihn auf. Der Schirm, der von grünblauer Seide war und durch den die Sonne schien, erhellte mit beweglichen Reflexen die weisse Haut ihres Gesichts. Sie lächelte unter ihm, von den lauen Lüften umspielt; und man hörte die Regentropfen, einen nach dem andern, auf das gespannte Zeug fallen.«

Eine so geringfügige Sache wie dies gewöhnliche Abschiednehmen wird durch die«liebevolle Sorgfalt der Schilderung interessant, und der reguläre Abschied erhält individuelles Leben durch die Hervorhebung eines einzelnen Tages, wo übrigens nichts passirt. Die Genauigkeit mit welcher die alltägliche Situation dargestellt ist, verwandelt sie zu einem Gemälde hohen Ranges, das zugleich das Sichtbare und das Hörbare, zugleich das Tableau und die Bewegung wiedergibt.

Oder man erinnere sich der Stelle, wo Emma nach ihrer Verheirathung zum ersten Mal verliebt wird:

»Emma wurde mager, ihre Wangen bleich; ihr Gesicht verlängerte sich. Mit ihrem schwarzen, in breiten, glatten Streifen gescheitelten Haar, ihren grossen Augen, ihrer geraden Nase, ihrem Vogelgang und immer schweigsam, wie sie war, schien sie fast das Dasein zu durchschreiten ohne es zu berühren und an der Stirn das undeutliche Gepräge irgend einer erhabenen Vorherbestimmung zu tragen. Sie war so traurig und so ruhig, zugleich so milde und so zurückhaltend, dass man sich in ihrer Nähe von einem eisigen Zauber ergriffen fühlte, wie man in Kirchen zittert, wo der Duft der Blumen sich mit der Kälte des Marmors vermischt.«

Das Gleichniss ist neu, ist treffend und kurz. Man spürt hier den Dichter in dem Erzähler.

Man spürt ihn noch deutlicher, wenn fortgefahren wird:

»Die Damen der Stadt bewunderten ihren wirtschaftlichen Sinn, die Patienten ihre Höflichkeit, die Armen ihre Wohlthätigkeit. Aber sie war voll Begierden, voll Wuth und Hass. Dies Kleid mit den geraden Falten verbarg ein verstörtes Herz und diese so keuschen Lippen erzählten nicht seine Qual. Sie war in Léon verliebt ... Sie erkundigte sich nach jedem seiner Schritte; sie spähte sein Gesicht aus; sie erfand eine ganze Geschichte, um zu einem Besuch seines Zimmers einen Vorwand zu haben. Sie schätzte die Frau des Apothekers glücklich, weil sie unter einem Dach mit ihm schlief; und ihre Gedanken schlugen immerfort auf das Haus nieder wie die Tauben des »Goldenen Löwen«, die stetig dahinflogen, um in das Wasser der Dachrinnen ihre rosigen Füsse und weissen Flügel zu netzen.«

Dies ist nicht ein schlagendes Gleichniss im allgemeinen, sondern ein Gleichniss, das einem Umstand in dem Dorf, das Emma bewohnt, entlehnt ist. So lebhaft steht dieses Dorf dem Erzähler vor Augen.

Bisweilen sammelt er eine ganze Beschreibung in einem dichterischen Machtwort. So an der Stelle, wo die alte Dienstmagd auftritt, die in der Versammlung des landwirtschaftlichen Vereins aufgerufen wird, um für den treuen Dienst von 54 Jahren in einem Hof eine silberne Medaille im Werth von 25 Francs zu empfangen.

Katharina Niçaise Elisabeth Leroux, ein kleines altes Weib, das in ihren armen Kleidern zusammenzuschrumpfen scheint, erscheint auf der Erhöhung. Man sieht ihr hageres, in Runzeln zusammen gefaltetes Gesicht in der Haube und ihre langen Hände mit knotigen Gelenken, welche der Staub der Scheunen, das Wollenfett und die Potasche der Wäschereien mit einer solchen Kruste überzogen haben, dass sie, obwol mit klarem Wasser abgespült, schmutzig scheinen und nicht mehr ganz geschlossen werden können, sondern gleichsam um Zeugniss so vieler erlittener Strapazen zu tragen, offen verbleiben. Wir sehen die nonnenartige Steifheit ihres Ausdrucks, die thierische Stummheit ihres blassen Blicks, ihre Unbeweglichkeit aus Verwirrung über das ungewohnte Schauspiel der Fahnen, der Trommelwirbel und der decorirten Herren im schwarzen Frack. Dann fasst Flaubert das Bild in diesen Worten zusammen:

»So stand vor diesen behäbigen Spiessbürgern dies halbe Jahrhundert der Sclaverei.«

So kleinlich genau die Beschreibung ist, so gross und stylvoll ist der sammelnde Ausdruck. Man fühlt es recht wol, dass für diesen Schriftsteller die Kunst zu schreiben die höchste von allen war.

Nicht allein, dass ihm selbst das Schreiben sein unbedingter und einziger Beruf war; man begeht auch keine grosse Uebertreibung wenn man sagt, dass seine Weltanschauung auf den Gedanken hinauslief: Die Welt ist da, um beschrieben zu werden.

Er hat einmal dieser seiner Ansicht in einer absolut bezeichnenden Wendung Ausdruck gegeben. Er richtet, auf die Freundschaft anspielend, die ihn mit Louis Bouilhet verband, in der Vorrede zu den hinterlassenen Gedichten desselben, an die Jugend folgende Worte:

»Und da man bei jeder Gelegenheit eine Moral verlangt, so ist hier die meine:

Gibt es noch irgendwo zwei junge Leute, die ihre Sonntage damit verbringen, in Gemeinschaft dje Dichter zu lesen; die sich gegenseitig ihre Versuche, ihre Pläne, Gleichnisse, die ihnen eingefallen sind, einen Satz, ein gelungenes Wort mittheilen und die, obwol sonst gegen das Urtheil der Anderen gleichgültig, diese Leidenschaft mit jungfräulicher Schamhaftigkeit verbergen, so gebe ich ihnen diesen Rath:

Geht Schulter an Schulter in den Wäldern, sagt einander Verse vor, nehmt in Eure Seele den Saft der Bäume und die Ewigkeit der Meisterwerke auf, verliert Euch in weltgeschichtliche Träume, gebt Euch dem Eindruck des Erhabenen hin ..., wenn Ihr dann so weit gekommen seid, dass Ihr in den Begebenheiten der Welt, so bald Ihr sie wahrnehmt, nur eine Illusion seht, die zu beschreiben ist, und das in dem Grad, das Alles, Eure eigene Existenz mit einbegriffen, Euch keinen andern Nutzen zu haben scheint, und Ihr um dieses Berufes willen zu jeglichem Opfer entschlossen seid, so tretet auf, gebet Bücher heraus!«

Selten hat ein Schriftsteller, ohne es direct zu wollen, seine Eigentümlichkeit schärfer gezeichnet. Er hat sein Leben der Bestimmung gewidmet, Illusionen zu beschreiben. Ich weiss sehr wol, dass seine Meinung nur die ist, für den wahren Schriftsteller sei alles, was geschehe, Bild, blos durch die Kunst festzuhaltendes Trugbild. Man kann aber zwanglos seinen Worten den weiteren Sinn geben, dass das Leben überhaupt am wahrsten unter dem Gesichtspunkte einander ablösender Trugbilder aufzufassen sei, und dann passt der Satz genau auf ihn selbst. Man gehe in Gedanken seine Stoffe durch, von den ersten unweltlichen und weltlichen Träumen, durch welche Emma Bovary aus der Leere der Provinz und der Plattheit ihrer Ehe sich zu erheben strebt, bis zu den einander jagenden Wüstenhallucinationen des heiligen Antonius – was sind sie ihm anders gewesen, als Illusionen zum Beschreiben!

Die Illusion hat das doppelte Wesen in sich, das dem Naturell Flaubert's entspricht. Das Trugbild ist, von seiner Eigenschaft als Blendwerk abgesehen, schön, es hat Farbe und Duft, es erfüllt das Gemüth und theilt ihm ein potenzirtes Leben mit. So beschaffen reizte es den Schönheitsanbeter in Flaubert. Aber die Illusion ist ferner hohl und leer, oft thöricht, nicht selten geradezu lächerlich; so aufgefasst fesselte sie den Realisten in Flaubert, den Mann, dessen Blick das Seelenleben durchschaute und der die Luftschlösser der Phantasie in ihren einfachsten Elementen aufzulösen eine Befriedigung fand.

 

II.

Wie war er so geworden, wie wir ihn in seinem ersten Roman kennen lernen?

Sein Vater war ein berühmter Chirurg in Rouen, ein streng rechtschaffener, gutherziger Mann, der den Sohn gut und frei erzog. Dass sein erstes Heim das Haus eines Arztes war, das empfindet man in seinen Büchern. Er studirte selbst eine Zeit lang Medicin, später die Rechtswissenschaft, warf sich aber schon in der Schule mit Leidenschaft auf die Litteratur und begegnete sich in dieser Schwärmerei mit einem gleichalterigen Freund, der ein Freund für's Leben wurde, dem Dichter Louis Bouilhet. Es finden sich ohne Zweifel selbstbiographische Elemente in der Schilderung der Freundschaft zwischen Frédéric und Deslauriers in seinem Roman »L'éducation sentimentale«. Flaubert kam wie Frédéric, neunzehn Jahre alt, nach Paris, um zu studiren. Sein Vater kaufte das Landhaus Croisset bei Rouen, das er später erbte; er verbrachte sein Leben abwechselnd in Rouen und Paris, ein Leben, in welchem nur zwei äussere Begebenheiten vorkommen, eine Reise nach dem Orient, die er dreissig Jahre alt unternahm und eine spätere nach Nordafrika, die der Ausführung »Salammbô's« voranging. In Rouen schloss er sich gern Monate lang ein, um zu studiren und zu schreiben; in Paris suchte er vorzugsweise Zerstreuung. Er war in seiner Jugend ausdauernd in seiner Arbeit und gewaltsam in seinen Vergnügungen.

Er hatte das Temperament, das seinem Aeussern entsprach. Ich habe ihn nur flüchtig gesehen. Aber man vergisst nicht diesen grossäugigen, blauäugigen Herkules mit der röthlichen Gesichtsfarbe, der hohen kahlen Stirn und dem langen Schnurrbart, der den grossen Mund, die mächtigen Kiefer bedeckte. Er trug den Kopf hoch, ein wenig zurückgeworfen, der Bauch trat etwas hervor; er ging zwar ungern, aber liebte sonst heftige Bewegungen und schlug mit den Armen aus, wenn er ungeheure Paradoxen mit donnernder Stimme herausschleuderte. Er war wie alle polternden Riesen gutmüthig. Sein Zorn – sagt einer seiner Freunde – kochte über und fiel wie Milch.

Er war ja zu der Zeit aufgewachsen, da der französische Romantismus in seinem Flor stand, er hatte sein erstes Gepräge in der Schule desselben empfangen und er behielt Spuren davon, nicht nur in seinem Styl und in seiner an Theophile Gautier's »truculente« Redeweise erinnernden Art gegen die »Bourgeois« zu schimpfen; sondern sogar in seiner Manier sich anzuziehen. Er trug gern grosse breitschattige Hüte, grosscarrirte Beinkleider und Röcke, die eng an die Taille schlossen, ging im Sommer in seiner Wohnung in weiten, weiss- und rothgestreiften Hosen und in einer Art Jacke, die ihm Aehnlichkeit mit einem Türken gab. Es ging unter seinen Freunden das Gerücht, dass Bürgersleute in Rouen, die Sonntags Landpartien machten, ihren Kindern das Versprechen gaben: »Wenn Ihr artig seid, sollt Ihr Herrn Flaubert in seinem Garten zu sehen bekommen«.

Ich sagte, dass einige Reisen die Hauptbegebenheit seines Lebens waren. Die Frauen haben weniger Platz darin eingenommen, als in dem Leben der meisten Andern. Er hatte, als er zwanzig Jahr alt war, sie als Troubadour geliebt. Damals ging er wiederholt zwei Meilen, um einen Neufundländer, den eine Dame zu liebkosen pflegte, an der Schnauze zu küssen. Später gewöhnte er sich an eine derbere Anschauungsweise und Praxis in Sachen der Erotik. Er war ein Freund von Anekdoten und Geschichten in Rabelais' Manier und erfasste in seinen Büchern mit vollständig so harten Händen die erotische Illusion wie alle die andern. Nichts desto weniger gab es in diesem Punkt, wie in so vielen andern in dem Wesen Flaubert's, eine bleibende Zweiheit. Er, der alte Junggeselle, der leidenschaftliche Tabakraucher, der nur mit Männern vertraut verkehrte und in keiner andern Frauengesellschaft, als derjenigen hübscher und nicht strenger Damen sich wol befand, hatte, augenscheinlich so wol in Folge persönlicher Erfahrung wie kraft einer allgemeinen Ueberzeugung, dass alles Wesentliche dem Menschen misslingt, den Glauben, dass es das Natürliche, so zu sagen Regelmässige für den Mann sei, eine einzige grosse Liebesleidenschaft, die nie befriedigt werde, sein Leben hindurch zu hegen. In guter Uebereinstimmung hiermit heisst es in einem Brief aus Flaubert's letzten Lebensjahren, scherzhaft aber zugleich wehmüthig wahr: »Wir armen Arbeiter der Literatur! warum verweigert man uns, was man so bereitwillig allen Spiessbürgern einräumt? Sie haben Herz! aber wir, nie und nimmer! So wiederhole ich Ihnen denn nochmals, dass ich eine unverstandene Seele bin, die letzte Grisette, der einzige Ueberlebende aus der alten Raçe der Troubadoure.«

Trotz alledem pflegte diese »unverstandene Seele« sich nicht an die Frauen zu wenden, um Verständniss zu suchen. Er fürchtete die Liebe wie eine Gefahr und Last. Nur die Freundschaft war ihm eine Religion und unter seinen Freunden stand ihm niemand so nahe wie jener erste und bleibende Freund Bouilhet.

Ich weiss nicht recht, ob es Zeiten gegeben hat, die unabhängigen Geistern günstig gesinnt waren. Aber so viel ist gewiss, dass diese zwei jungen Männer, die in das Leben hinaustraten, als die Bourgeoisie unter Ludwig Philipp die Herrschaft errungen und ihren poetischen Ausdruck theils in der schwächlichen und rechtschaffnen Ecole du bon sens, theils in den Lustspielen Scribe's erhalten hatte, die Zeit, die zu erleben sie das Schicksal hatten, die schlimmste von allen fanden. Die Romantik hatte sich überlebt und ihr eigenes Zerrbild geliefert. Ueberall war es guter Ton, den gesunden Verstand zu preisen und die Poesie zu verspotten. Begeisterung und Leidenschaft waren alte Moden und als solche lächerlich. Alles, was nicht mittelmässig war, wurde langweilig befunden. Die zwei Jünglinge fassten ihr Zeitalter als das der Mediokratie, der Mittelmässigkeitsherrschaft auf; sie sahen die siegreiche Mittelmässigkeit wie eine ungeheure, schwarze Wasserhose alles an sich saugen und mit sich fortwirbeln.

Das gab ihnen beiden einen Fond von Melancholie und tiefem Ernst, eine Unterströmung von Menschenverachtung, eine Empfindung geistiger Isolirtheit und dadurch einen Hang zur Production unpersönlicher, untheilnehmender Art.

 

III.

Aus dieser Stimmung heraus war es, dass Flaubert im reifern Mannesalter sich endlich entschloss, als Schriftsteller aufzutreten und »Madame Bovary« schrieb. Es schlug eine eisige Kälte aus diesem Buche hervor; es war, als hätte der Verfasser endlich einmal die Wahrheit aus dem tiefen, kalten Brunnen, in welchem sie gelegen hatte, heraufgewunden und als stände sie jetzt auf ihrem Fussgestell frierend da und brächte das ganze kalte Schaudern des Abgrundes mit sich herauf. Ein sonderbares Buch, ohne irgend eine Art von Zärtlichkeit für seinen Gegenstand geschrieben. Andere hatten das Stillleben des Landes und der Provinz mit Wehmuth, mit Humor oder doch mit dem Idealisiren, das eine Betrachtung aus der Entfernung mit sich zu führen pflegt, geschildert. Er sah es ohne Mitgefühl, stellte es so geistlos dar wie es war. Seine Landschaften waren ohne sogenannte Poesie, nur kurz und vollständig geschildert. Er begnügte sich in seiner strengen Meisterschaft damit, die Hauptlinien und Hauptfarben zu geben, aber diese zeichneten und malten die Landschaft ganz. Und er hatte eben so wenig ein zärtliches Gefühl für seine Hauptperson – eine seltene Erscheinung bei einem Dichter, wenn diese Hauptperson wie hier eine junge und schöne, sinnlichreizende Frau ist, die in Sehnen, Schmachten und sinnlich-geistigen Begierden lebt, fehlt, und enttäuscht wird, verdirbt und zu Grunde geht, ohne eigentlich jemals unter das Niveau ihrer Umgebungen zu sinken. Aber jeder Traum, jede Hoffnung, jedes Blendwerk, jede naive und ungesunde Begierde, die durch ihr Gehirn ging, war untersucht und an das Licht gezogen, ohne Gemüthserregung, ja mit überschwebender Ironie. Es gab kaum eine Phase ihres Daseins, wo sie nicht lächerlich oder moralisch widerwärtig erschien, und erst, wo sie einen grässlichen Tod stirbt, trat die gedämpfte Ironie ganz zurück, und sie verschied zwar nicht als ein Gegenstand des Mitleids, aber doch auch nicht als ein Gegenstand der Verachtung.

Anscheinend war der Dichter sogar bei der Schilderung des Schreckens ihrer Todesstunde völlig kalt gewesen. Dass dieser Schein täuschte, beweist ein Brief von ihm, der sich in dem Werke »De l'intelligence« von Taine (I, 94) findet: »Als ich die Vergiftung Emma Bovary's schrieb, hatte ich so ganz den Arsenikgeschmack im Munde, war so vollständig selbst vergiftet, dass ich zwei Tage nach einander nichts verdauen konnte, ja nach dem Mittagessen mich übergab«. Das seelische und körperliche Ergriffensein des Verfassers wurde im Roman durch die vollendete Selbstbeherrschung während der Ausführung verdeckt.

Es kam in dem ganzen Buch keine Persönlichkeit vor, mit welcher der Dichter etwas gemein hatte; oder die er in noch so geringem Grad sein zu wollen gedacht werden konnte; die Personen waren alle ohne Ausnahme gewöhnlich, unschön, lasterhaft oder bedauernswürdig. Und er hielt sie auf diesem Punkte fest. Die junge Frau hat z. B. trotz ihrer gefährlichen Instincte in ihrer Sehnsucht nach dem Schönen, ihrem Bedürfniss des Idealen und ihrem lange anhaltenden Glauben an die Romantik der Liebe Eigenschaften, die – ein wenig anders oder doch schonender dargestellt – sie selbst in ihren Verirrungen hätten adeln können; was hätte George Sand nicht aus ihr gemacht! Aber Flaubert will eben nicht in die alten Spuren zurückfallen und er beraubt geflissentlich die sogenannten schönen oder süssen Sünden jeglicher Poesie. Der betrogene Ehemann hat ebenfalls, trotz seiner Unfähigkeit als Arzt und seiner Plumpheit als Mensch, durch seine Güte, seine Geduld, seine Ehrenhaftigkeit und seine treue Bewunderung von Emma Elemente in sich, die unter andern Umständen rührend gewirkt hätten; und er entfaltet bei ihrem Tode Eigenschaften, eine innige Anhänglichkeit, ein Selbstvergessen, die durch einen kleinen Druck von dem Finger des Dichters sich bedeutend, Achtung gebietend hätten ausnehmen können. Aber der Dichter will dem Thon diesen kleinen Druck nicht geben; er hält aus Wahrheitsliebe die Gestalt beständig innerhalb der Grenze, die ihm die richtige scheint, lässt Bovary von Anfang bis zum Schluss einen gutmüthigen und würdelosen, unfähigen und unappetitlichen armen Teufel sein.

Es findet sich im Roman eine einzige, einigermassen sympathische Person, der kleine Apothekerjunge Justin, der aus der Entfernung Emma anbetet; und es gibt einen Augenblick nach ihrem Tode, wo der Dichter ihn fast idealisiren zu wollen scheint. Als alle fort sind, kommt er zu ihrem Grabe und es heisst:

»Auf dem Grabe zwischen den Tannen kniete ein weinendes Kind und seine Brust, die vor Schluchzen zu brechen drohte, stöhnte in dem Schatten unter dem Druck eines unermesslichen Schmerzens, der milder als der Mond und unergründlicher als die Nacht war.«

Man wundert sich, dass diese Zeilen Flaubert zum Verfasser haben. Aber dann wird fortgefahren: »Plötzlich knackte das Gitterthor. Es war der Todtengräber Lestiboudois; er kam um sein Grabscheit zu suchen, das er vorhin vergessen hatte. Er erkannte Justin, als dieser über die Mauer zurückkletterte und wusste jetzt, wer der Uebelthäter war, der ihm seine Kartoffeln stahl.«

Dieser Satz war der einzige, der aus der ersten Lectüre »Madame Bovary's« nach zehn Jahren in meinem Gedächtniss geblieben war, und es ist ein bewunderungswürdiger Satz; er ist nicht willkürlich ironisch à la Heine; die Ironie ist hier Tiefsinn, das Werk eines allseitigen Geistes. Es ist natürlich, dass Justin beim Tode der angebeteten Dame innig und poetisch fühlt und es ist nicht minder natürlich, dass er früher Kartoffeln gestohlen hat und dass der Todtengräber durch geniale Intuition in den Umstand, dass er über die Kirchhofmauer steigt, ein Indicium seines Kartoffeldiebstahls sieht. Aber dass Flaubert zugleich diese beiden Sachen, diese beiden Seiten des Lebens vor Augen hat, das ist ein Zeugniss einer geistigen Stärke und einer Ueberlegenheit über den Stoff, die mir bewusst nie früher in dieser Form hervorgetreten ist.

Die künstlerische Ironie ist hier auch ganz anders unpersönlich, unzufällig und wahr, als bei Mérimée. Sie ist nur eine stereoskopische Anschauungsweise, die der Wirklichkeit Relief gibt, sie rund und frei hinstellt.

Es ist kein Wunder, dass man in dem Werke zuerst nichts anderes als diese Betrachtungsart und die Wirklichkeitstreue, die ihr Erzeugniss war, entdeckte. Wenn man von der kurzen Zeit absieht, wo die ganz einfältige Auffassung von Flaubert als unsittlichem Schriftsteller sich breit machte, so war die Vorstellung von ihm, die durchdrang, die: er sei, was man einen Realisten nannte. Er copire das Unbedeutende und das Wichtige mit derselben Gewissenhaftigkeit nur mit einer Vorliebe für das Gewöhnliche und sittlich Abstossende; Alles stehe bei ihm in einem Plan, kräftig aber hart. Die Bewunderer des Buches fanden den Vortrag desselben merkwürdig; die Unwilligen meinten, die Art Flaubert's sei photographisch, nicht künstlerisch. Man erwartete oder fürchtete von seiner Hand neue Madame Bovary's.

Aber man wartete vergeblich; denn er liess nichts von sich hören. Die Jahre gingen hin und er war stumm. Endlich nach Verlauf von sieben Jahren trat er aufs neue mit einem Roman auf und die Lesewelt gab laut ihr Erstaunen kund. Man fand sich hier weit entfernt von den Dörfern der Normandie und dem neunzehnten Jahrhundert. Man fand den verschwundenen Verfasser »Madame Bovary's« auf den Ruinen des alten Karthago wieder. Er stellte in »Salammbô« nichts anderes und geringeres als Karthago zur Zeit Hamilcar's dar; eine Stadt und eine Civilisation, von der man fast nichts Zuverlässiges wusste, einen Krieg zwischen Karthago und den Miethstruppen der Stadt, der nicht einmal ein weltgeschichtliches oder sogenannt ideelles Interesse darbot. Einen Pariser Ehebruchsroman hatte man erwartet und erhielt jetzt statt seiner altpunische Cultur, Tanitscultus und Molochsanbetung, Belagerungen und Kämpfe, Schrecken ohne Zahl und Maass, den Hungertod eines ganzen Heeres und das langsame Martyrium eines gefangenen Libyschen Häuptlings.

Und das Sonderbarste war, dass all dieses, über welches Niemand etwas wusste und das Niemand controlliren konnte, diese ganze ausgestorbene, wild barbarische Welt mit einer Anschaulichkeit und kleinlicher Genauigkeit hervortrat, die in nichts hinter derjenigen »Madame Bovary's« zurückstand. Man entdeckte, dass die Methode von der Beschaffenheit des Stoffes unabhängig, dieselbe war diesem colossalen und fremden, wie dem früheren, alltäglichen Gegenstand gegenüber. Er hatte dem Publicum einen Possen gespielt, ihm auf durchschlagende Weise gezeigt, wie wenig es ihn verstanden hatte. Wenn Jemand ihn für einen an die Scholle gebundenen Realisten gehalten hatte, so konnte er jetzt lernen, wie Flaubert sich in den Flammenländern zu Hause fühlte. Wenn Jemand gemeint hatte, dass ein kleinbürgerliches Leben in seiner Hässlichkeit und seiner Komik ihn zu fesseln vermöge, dass sein Talent holländischer Natur sei, so musste er jetzt entdecken, dass Flaubert die Schwärmereien seiner Jugend mit den Männern von 1830 getheilt hatte und dass er, ganz wie sie, sich von primitiven Leidenschaften und barbarischen Sitten angezogen fühlte. Doch bis zu welchem Grade Flaubert in Wirklichkeit die Sympathien und Naivetäten der Erzromantiker theilte, ahnten selbst nach »Salammbô« die wenigsten. Die Sonne Afrika's und das Leben des Morgenlandes waren ihm durch Byron und Victor Hugo geheiligt und seine persönlichen Eindrücke hatten die poetischen nur befestigt. Der Kaffeegeruch gab ihm Hallucinationen von wandernden Karawanen und er verzehrte die abscheulichsten Gerichte mit einer religiösen Empfindung, wenn sie einen exotischen Namen hatten.

Flaubert hatte sein Aeusserstes gethan, um etwas hervorzubringen, das dem alten Karthago ähnlich sei. Er war aber Künstler genug um zu wissen, dass es nicht auf die äussere Wahrheit, sondern auf die innere, die man Wahrscheinlichkeit nennt, ankäme. Seine Schilderung kam Vielen unbedingt überzeugend vor; ein Zweifel an ihrer Uebereinstimmung mit der längst entschwundenen Wirklichkeit wurde von dem ersten Kritiker Frankreichs einmal in meiner Gegenwart mit einem einfachen »Ich glaube, dass sie wahr ist« beantwortet. Aber den Zweiflern trat Flaubert offen und kühn in seiner Zurückweisung eines Angriffs von Sainte-Beuve mit den Worten entgegen: »Es handelt sich hier nicht um die Wahrheit. Ich kehre mich den Teufel an die Archäologie. Wenn die Farbe nicht Eine ist, wenn die Einzelnheiten nicht übereinstimmen, wenn die Sitten sich nicht aus der Religion und die Begebenheiten sich nicht aus den Leidenschaften herleiten lassen, wenn die Charaktere nicht gehalten sind, wenn die Costüme nicht den Gewohnheiten und die Gebäude nicht dem Klima entsprechen, so ist mein Buch allerdings unwahr. Wenn nicht, nicht.«

Diese Aeusserung trifft den Nagel auf den Kopf; man fühlt das gute Gewissen des Meisters und die Autorität, die es ihm verleiht, in diesen Worten. Sein Werk war nicht, wie so viele späteren archäologischen Romane, eine Maskerade, bei der moderne Empfindungen und Lebensansichten in antiken Anzügen auftreten; nein, alles war hier aus einem Stück, hatte dasselbe wilde und fürchterliche Gepräge. Liebe, Schlauheit, Rachsucht, Religiosität, Charakterstärke, alles war unmodern.

Die Wahrheitsliebe des Dichters war hier augenscheinlich eben so innig und heftig wie in dem ersten Roman. Nur wurde es lächerlich, diesem Sieg über Tod und Vergangenheit gegenüber wider das Photographiren Flaubert's zu reden. Es liess sich also von diesem Buche aus ein richtigerer Gesichtspunkt für den »Realismus« des vorigen gewinnen. Dass Flaubert nicht zu den Copisten des zufällig Wirklichen gehörte, wurde klar. Man sah, dass seine Genauigkeit der Beschreibungen und Angaben in einer eigenthümlichen Präcision der Einbildungskraft wurzelte. Er hatte augenscheinlich in gleich hohem Grade die beiden Elemente, die das Wesen des Künstlers ausmachen, die Beobachtungsgabe und die Gestaltungskraft. Er hatte den Hang und die Fähigkeit zum Naturstudium und zum historischen Studium, das forschende Auge, dem kein Verhältniss zwischen den Einzelnheiten entschlüpft. Hier vom Photographiren zu sprechen, war unmöglich. Denn Studium ist etwas Actives, Feuriges, ist Blick für das Wesentliche; Photographiren dagegen ist etwas Passives, Maschinenartiges, und gleichgültig gegen den Unterschied zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem. Und Flaubert hatte ferner das Temperament des Künstlers, jene Gemüthsstimmung, die all das durch Beobachtung und Studium Gewonnene durchglüht und ausmünzt, und sich in diesem Prägen als Styl offenbart. Denn was ist Styl anders als der sinnliche Ausschlag des Temperaments, als das Mittel, durch welches der Schriftsteller das Auge des Lesers zwingt, so zu sehen, wie er gesehen hat! Der Styl macht den Unterschied aus zwischen der künstlerisch wahrheitsgetreuen Zeichnung und der gelungenen Photographie, und der Styl war allgegenwärtig bei Flaubert.

Kaum hatte er für irgend ein Werk seine Beobachtungen, seine Vorstudien gesammelt, als sie auch schon aufhörten, ihn als solche zu interessiren. Jetzt galt es, dies Buch in einer vollendeten Sprache zu schreiben. Und die Sprache wurde Alles und die Aufzeichnungen zum Buch schwanden zum Gleichgültigen, unbedingt Untergeordneten hin. Dass er genau und zuverlässig sei, pflegte er zu sagen, das sei kein Verdienst, nur einfache Rechtschaffenheit, die der Autor dem Publicum schulde, aber an und für sich habe die Wahrhaftigkeit nichts mit der Kunst zu thun; nein, donnerte er und schlug mit dem Arm aus, die einzige wichtige und ewige Sache unter der Sonne sei ein wohlgeformter Satz, ein Satz, der Hand und Fuss habe, der mit dem vorhergehenden und dem nachfolgenden zusammenhänge und der das Ohr erfreue, wenn man sich selbst ihn vorlese. So schrieb er ein kleines Stück jeden Tag, höchstens fünf bis sechs Seiten, wog jedes Wort, um Wiederholungen, Reimen, Härten zu entgehen, verfolgte ein wiederholtes Wort in einer Entfernung von dreissig, vierzig Zeilen, ja vertrug nicht einmal die Wiederholung derselben Silbe in einem Satz. Oft ärgerte ihn ein Buchstabe; er suchte Worte, wo dieser sich nicht fand, bisweilen ging er auf Jagd nach »r's«, wenn er einen rollenden Laut brauchte. Dann las er sich das Geschriebene laut vor, sang es mit seiner Stentorstimme hinaus, dass die Leute auf dem Wege vor seinem Hause stille standen. Viele nannten ihn den Advokaten, und glaubten, dass er sich auf Gerichtsreden einübe.

Er erlitt Qualen während dieses seines Strebens nach Vollkommenheit. Es waren die Geburtsqualen, die jeder Schriftsteller kennt, aber die seinigen waren so schmerzlich, dass er aufspringen und schreien, sich Dummkopf! Idiot! schelten konnte; denn kaum war ein Zweifel überwunden, als auch schon ein anderer erstand. An seinem Schreibtisch sass er wie magnetisirt, in stille Erwägung vertieft und versunken. Turgeniew, sein treuer und naher Freund, der ihn oft so sah, erklärte, dass es rührend sei, ihn, den ungeduldigsten, so geduldig in dem Kampf mit der Sprache zu sehen. Er hatte einen Tag ununterbrochen an einer einzigen Seite seines letzten Romans gearbeitet, ging aus um zu essen, wollte, Abends zurückgekehrt, sich in seinem Bett an der Lectüre seiner Seite erbauen, fand sie aber schlecht, sprang – ein hoher Fünfziger wie er war – aus dem Bette heraus, fing in blossem Hemd an, die Seite umzuschreiben und schrieb sie die ganze Nacht hindurch um und wieder um, theils an seinem Tisch, theils, wenn die Kälte ihn davon vertrieb, im Bett.

Wie hat er seine Sprache geliebt und verflucht! Ist es nicht bezeichnend, dass er in »Madame Bovary« nur an einer einzigen Stelle sich vergisst und in seinem eigenen Namen spricht, und das zwar, wo er in Folge der blasirten Gleichgültigkeit Raoul's gegen die Liebeserklärungen Emma's, die gewöhnlich lauteten und doch einer echten Leidenschaft entsprangen, fast entrüstet ausruft: »Als ob nicht das Vollgefühl der Seele bisweilen sich in den leersten Gleichnissen ergiesse, als ob Jemand das genaue Maass seiner Bedürfnisse, seiner Vorstellungen oder seiner Leiden anzugeben vermöge, da doch die menschliche Sprache nur ein geborstener Kessel ist, an dem wir Melodien hämmern, die so lauten, als spielten wir auf zu einem Bärentanz, wenn es unser Wunsch ist, durch sie die Sterne zu rühren.«

Eine solche Klage in einem solchen Mund ist dennoch, was sie dem menschlichen Worte zu sein abspricht, ein Maass für das schmerzliche Streben des grossen Stylisten nach künstlerischer Vollendung.

Wenn ein solches Streben sich einmal in einer Kunst gezeigt hat, kann es nicht aussterben. Kein in der Kunst Eingeweihter, der nach Flaubert geschrieben hat und der sein schriftstellerisches Ideal verstand, hat mit gutem Gewissen bedeutend oder wesentlich geringere Ansprüche an sich selbst stellen können als die seinigen waren. Deshalb sind die Freunde, die Geistesverwandten, die Schüler Flaubert's die strengsten und originellsten Stylisten unseres Jahrhunderts.

Nicht dass Flaubert selbst der Originalität des Styls theoretisch günstig war. Er glaubte naiv an einen einzigen idealen, absolut richtigen Styl. Er nannte diesen Styl, den er zu realisiren suchte, den ganz unpersönlichen, weil derselbe nichts war als ein Ausdruck seiner eigenen Persönlichkeit, die ihm in dem Geschriebenen nicht auffiel.

Guy de Maupassant hat witzig gesagt, dass das abgedroschene Wort: »Der Styl ist der Mann« von ihm sich umkehren liesse: »Er war jener Mann, welcher der Styl war.« Er war so zu sagen der personificirte Styl. Es ist keine unwesentliche oder gleichgültige Sache, dass der Schriftsteller, der vor allen andern die moderne Richtung und die moderne Formel der französischen Litteratur vertritt, weit davon entfernt, ein Nachahmer der zufälligen Natur oder (wie der Vorwurf gewöhnlich lautet) ein Photograph zu sein, umgekehrt der Künstler ohne Tadel war.

 

IV.

Flaubert hat persönlich der Oeffentlichkeit nie das Geringste über sich selbst erzählt. Er hat über seine künstlerischen Principien dasselbe Schweigen wie über seine Privaterlebnisse bewahrt. Unter diesen Umständen muss man alle Wege, die offen stehen und die in sein Innerstes hineinführen können, prüfen, und als einer der nächsten und besten bietet sich das genaue Studium der Werke seines brüderlichen Freundes und Kampfgenossen Louis Bouilhet's dar. Die beiden Männer scheinen, oberflächlich betrachtet, sehr ungleich angelegt, wie ungleich begabt. Flaubert machte in der französischen Litteratur Epoche, Bouilhet war und blieb ein Dichter zweiten oder dritten Ranges; Flaubert war ein Romanschriftsteller, Bouilhet ein Lyriker und Dramatiker; aber diese Ungleichheit geht das Wesen der Freunde wenig an. Sie hatten sich lieb, weil sie geistig nah verwandt waren; nicht ohne gültigen Grund hat Flaubert Bouilhet sein erstes Buch und dieser jenem alle seine vorzüglichsten Productionen gewidmet. Ein aufmerksamer Vergleich zeigt so starke Analogien zwischen den Poesien Bouilhet's und den Prosawerken Flaubert's, dass er das Auge schärft für die mehr zurückgedrängten Eigenthümlichkeiten des grösseren der Freunde.

Eines der merkwürdigsten Gedichte Bouilhet's ist »Les fossiles«, das mit einem grossartigen Gemälde der vorsündfluthlichen Landschaften und des Thierlebens der Vorwelt beginnt, darauf zugleich in poetischer Form und in wissenschaftlichem Geist die Entwicklungsgeschichte der Erde bis zum Auftreten des ersten Menschenpaares verfolgt und mit einer begeisterten Vision der Menschheit der Zukunft endet.

Man findet diese Vorliebe für das Colossale und wunderlich Ungeheure bei dem Dichter »Salammbô's« wieder; man spürt in Flaubert's Ausgraben verschwundener Völkerschaften und Religionen denselben Hang zum Fossilen wie bei Bouilhet, und endlich zeigt sich deutlich bei Flaubert die hier und sonst überall bei dem Freunde sich offenbarende Neigung, Wissenschaft und Poesie zu einem Ganzen zu verschmelzen.

Wie Flaubert in classische und semitische Litteraturen sich vertiefte, studirte Bouilhet chinesisch und behandelte chinesiche Motive und Stoffe in einer langen Reihe von Gedichten. Beide wollten durch diese Forschungen und die poetischen Versuche, die aus ihnen hervorgingen, einem Zeitalter, das ihnen zuwider war, entschlüpfen, und beide folgten unbewusst dem Beispiel Goethe's. Aber beide befriedigten ausserdem hierdurch denselben Antrieb: ihrem Leser die Relativität aller Lebensformen zu zeigen, ihm den Hochmuth darüber, »wie herrlich weit wir es gebracht«, auszutreiben und ihm eine Ahnung beizubringen, dass unsere Cultur, nach Jahrtausenden ausgegraben und geschildert, sich wenig vernünftiger als die alte oder ferne ausnehmen würde.

Beide wollten die Vorwelt in ihrer historischen oder vorhistorischen Reinheit ohne störende moderne Zusätze hervortreten lassen, und scheuten vor keiner Schwierigkeit zurück. Als sei es an und für sich nicht schwer genug, die antediluvianische Welt mit ihrer sonderbaren Vegetation und formlos grossartigen Thiergestalten zu malen, hat Bouilhet sich jedes Ausdrucks, der an die modernen Ideen erinnern müsste, beraubt. Er beschreibt die Pterodactylen, die Ichthyosauren und Plesiosauren, die Mammuths und Mastodonten ohne sie zu nennen; man kennt sie nur an ihrer Form, ihrer Gangart, ihrem Benehmen wieder. Ganz ähnlich hat Flaubert sich in »Salammbô« jeder noch so fernen Anspielung auf die moderne Welt enthalten; der Dichter scheint dieselbe nicht zu kennen oder vergessen zu haben, dass sie existirt. Die künstlerische Objectivität fällt hier mit der wissenschaftlichen zusammen.

Und dieses ist bei beiden Dichtern die Hauptsache. Sie gehorchten, bewusst oder unbewusst, einer neuen Idee von dem Verhältniss der Poesie zur Wissenschaft. Sie haben das Ihrige beitragen wollen, eine Poesie zu schaffen, die ganz und gar auf wissenschaftlicher Grundlage aufgeführt sei.

Der höchste Ehrgeiz Bouilhet's war eingestandenermassen der, ein Gedicht zu schreiben, das die Resultate der modernen Wissenschaft zusammenfasse und für unsere Zeit sein könne, was das bewunderungswürdige Poem des Lucretius »De rerum natura« für das Alterthum war. Flaubert hatte augenscheinlich einen ganz ähnlichen Traum. Aber der Wunsch wurde bei ihm durch seinen Hass gegen menschliche Dummheit bestimmter ausgeprägt. Er verwirklichte ihn auf negative Weise und in zwei verschiedenen Formen, in seinem Werke: »Die Versuchung des heiligen Antonius«, in welchem er alle die religiösen und moralischen Systeme der Menschheit als wahnwitzige Hallucinationen des Einsiedlers Revue passiren liess, und in seiner letzten Erzählung »Bouvard und Pécuchet«, in welcher die zahllosen Irrthümer und Fehlgriffe zweier armer Dummköpfe dem Dichter Vorwand geben, eine Art Encyclopädie von all' den Gebieten des menschlichen Wissens, an denen sie sich vergreifen, zu liefern. In der »Versuchung des heiligen Antonius« gab er die Tragödie des Menschengeistes; der menschliche Geist offenbart sich hier in grossartig wüthender und klagender Tollheit, ein König Lear auf der Erdenhaide. In »Bouvard und Pecuchet« zeichnete er die Carricatur, die naive Unwissenheit, die dilettantische Pfuscherei auf allen wissenschaftlichen und technischen Gebieten, in zwei alten lächerlichen Gesellen personificirt. Das Werk ist posthum und nur der erste Theil liegt (in annähernd vollendeter Gestalt) vor; für Flaubert im höchsten Grade bezeichnend ist aber seine Absicht – um das Bild der universellen Dummheit vollständig zu machen – diesen Theil durch einen zweiten zu vervollständigen, in welchem die zwei armen Käuze, die als Schreiber ihre Carrière beginnen und beenden, den Einfall ausführen, die Eseleien all' der bekanntesten Schriftsteller (des Herrn Flaubert inclusive) abzuschreiben und in einem Band zu sammeln.

Sowol Flaubert wie Bouilhet wurden also in ihrem Arbeiten von dem mächtigen Trieb angespornt, in der einen oder der andern, positiven oder negativen Form Resultate moderner Wissenschaft in ihre Werke niederzulegen; von ihnen beiden gilt, was Flaubert über Bouilhet gesagt hat, dass der Grundgedanke, das geniale Element seines Geistes eine Art Naturalismus war, der an die Renaissance erinnert. Aber während Bouilhet in mittelmässigen und traditionell romantischen Dramen seine beste Kraft verpuffte, hat Flaubert in keiner einzigen Arbeit der Tradition gehuldigt, vielmehr immer ein tiefgehendes wissenschaftliches Studium als Vorbereitung zu seiner Dichtung gemacht und nur bei ihm ist deswegen das Verhältniss zwischen Wissenschaft und Poesie der Nerv und das Hauptinteresse der Werke.

 

V.

Es scheint fast, als ob in unsern Tagen die Zeit zu Ende geht, da der Romandichter sich eines schönen Tages vor einen Bogen weissen Papiers hinsetzte und die Ausführung seiner Dichtung begann.

Flaubert wenigstens hat eine Methode der poetischen Production eingeleitet, welche diese stark der wissenschaftlichen nähert. Er verbrachte, um eine einzelne Aufklärung mit Rücksicht auf seinen Stoff zu gewinnen, ganze Wochen in den Bibliotheken, er ging Kupferstiche haufenweise durch, um mit Costüm und Haltung einer früheren Generation in's Reine zu kommen. Er las als Vorstudium zu »Salammbô« 98 Bände alter und neuer Litteratur und unternahm darauf eine Reise nach Tunis, um die Landschaften und die Denkmäler des alten Karthago zu studiren. Ja, sogar um phantastische Landschaften, wie die in der »Legende von St. Julian«, zu malen, besuchte er Gegenden, die ihm ungefähr den Eindruck geben könnten, von dem er geträumt hatte.

Sobald er den Plan zu einem Buch auf's Papier gebracht hatte, fing für jedes Capitel besonders das Suchen nach Urkunden an; jedes hatte seine Mappe, die sich nach und nach füllte. Er ging die ganze Sammlung des »Charivari« aus der Zeit Ludwig Philipp's durch, um den literarischen Zigeuner Hussonet in »L'éducation sentimentale« mit Witzen im Styl der damaligen Zeit zu versehen. Er studirte nicht weniger als 107 Werke, um die dreissig Seiten über den Ackerbau in »Bouvard und Pécuchet« zu schreiben. Die Excerpte, die er für diesen letzten Roman gemacht hatte, würden gedruckt nicht weniger als fünf Octavbände bilden.

Augenscheinlich hat er während all' dieser Vorstudien bisweilen seinen Roman aus den Augen verloren und ist einfach darauf ausgegangen, seine Einsicht zu vermehren. Seine Lust, Kenntnisse zu sammeln, war fast so lebhaft als die, seinen seelischen Gehalt auszuformen – oder richtiger, sie wurde es nach und nach.

Wenn man seine Werke in chronologischer Ordnung überschaut, findet man ein immer deutlicheres Verlegen des Schwerpunktes aus dem dichterischen in das wissenschaftliche Element; oder mit andern Worten, aus dem menschlichen, psychischen Elemente in geschichtliche, technische, wissenschaftliche Aeusserlichkeiten, die einen unverdienten Platz einnehmen. Flaubert war immer Gefahr gelaufen, ein langweiliger Autor zu werden, und er wurde es immer mehr.

Er war von einer nach meiner Ansicht richtigen Empfindung ausgegangen, nämlich der, dass der Dichter in unseren Tagen kein bloser Unterhaltungsschriftsteller oder maître de plaisir sein könne. Er fühlte, dass das poetische Schiff ohne wissenschaftlichen Ballast leicht umzuschlagen in Gefahr komme. Aber nach und nach, wie seine Entwickelung vorwärts schritt, ergriff ihn die Leidenschaft dafür, Schwierigkeiten zu überwinden; er wollte das Schwerste schleppen, die grössten Steine tragen, und er belastete allmälig das Schiff mit so vielen und grossen Steinen, dass es zu schwer wurde, zu tief ging und auf den Grund lief. Sein letzter Roman ist nur eine mühselig zusammengereihte Folge von Auszügen aus ein Paar Dutzend verschiedenen Wissenschaften, fast unleserlich als poetisches Werk, nur psychologisch bemerkenswerth als consequenter und definitiver Ausdruck einer grossen Persönlichkeit und einer irrthümlichen ästhetischen Ansicht.

Die allgemeine Richtung auf das Studium der Aeusserlichkeiten ist nicht Flaubert allein eigentümlich; sie bezeichnet die ganze Gruppe von Geistern, der er angehört. Sie ging aus dem berechtigten Widerwillen gegen die rationalistische Auffassung des Menschen als abstractes Vernunftwesen und aus dem deterministischen Hang unseres Zeitalters hervor, das Seelenleben des Individuums aus klimatischen, völkerpsychologischen, physiologischen Bestimmungen erklären zu wollen. Man findet dies Streben verschieden nuancirt bei den bedeutendsten Zeitgenossen und Landsleuten Flaubert's, bei seinem Lehrer und Freund Théophile Gautier, bei Renan, bei Taine, bei den Brüdern Goncourt. Wie verschieden diese Geister auch sind, sie haben dies gemeinsame und sehr moderne Gepräge, und ausserdem fast alle noch die andere, nicht weniger moderne Eigenschaft, dass man in ihren künstlerisch ausgeführten Werken zu sehr die dahinter liegende Arbeit, die Mühe, mit der sie hervorgebracht wurden, verspürt, und bisweilen einen geradezu peinlichen Eindruck der Ueberladung hat. Renan, von dem dieses am wenigsten gilt, schildert nicht selten Sachen, die völlig ausserhalb des Rahmens liegen; Gautier ist wol der einzige dieser grossen Künstler, aus welchem Worte und Bilder zwanglos zu sprudeln scheinen, und selbst er liess selten das Wörterbuch und die Encyclopädie aus seiner Hand.

Bei Flaubert verdrängt nach und nach die Encyclopädie die Gemüthsbewegung. Gautier war mit den Jahren immer weniger Dichter und immer mehr malerischer Beschreiber geworden. Flaubert wurde mit den Jahren immer mehr ein Gelehrter und ein Sammler.

Werfen wir einen Blick über seine ganze Production von den ersten Anfängen bis zum Abschluss derselben, so sehen wir, wie das humane Element, das ursprünglich alles überrieselte und fruchtbar machte, nach und nach ebbt, sich zurückzieht und nur den trockenen, steinigen Boden historischer oder naturwissenschaftlicher Thatsachen hinterlässt.

In »Madame Bovary« ist noch alles Leben. Die Beschreibungen sind selten und kurz. Sogar die Beschreibung Rouens, der Geburtsstadt des Verfassers, welche da vorkommt, wo Emma mit der Diligence von Yonville fährt, um Léon zu treffen, ist in ganz wenigen Zeilen gegeben, und ausserdem durch die hinzugefügte Schilderung des Schwindels beseelt, der von diesen Tausenden zusammengehäufter Existenzen gegen Emma aufsteigt, als hätten alle diese Menschen ihr den Dampf der Leidenschaften, die sie bei ihnen vermuthete, entgegen gesandt. Die directe Beschreibung der Stadt, das malerische Moment, ist hier ganz in Psychologie, in den Eindruck, den die grosse Stadt auf die Hauptperson macht, umgesetzt – was bei Flaubert immer seltener wird.

In »Salammbô« musste sich das Studium und das blos Descriptive nothwendigerweise stärker geltend machen. Es gibt grosse Partien in diesem Werk, in welchen man eher ein Stück alter Kriegsgeschichte oder eine archäologische Abhandlung als einen Roman zu lesen glaubt und die deswegen ermüdend wirken. Aber »Salammbô« war noch reich an allgemein menschlichen Motiven und Darstellungen. Man lese beispielsweise das Capitel durch, wo die Priester beschlossen haben, Moloch durch das Opfer des Erstgebornen jedes Hauses zu versöhnen, wo einige von ihnen an der Thür Hamilcar's anklopfen und dieser seinen Sohn, den kleinen Hannibal aus ihrer Gewalt zu retten strebt. Die Stimmung, die Flaubert hier erzeugt hat, ist so wie sie in einer punischen Stadt gewesen sein muss, sobald ein solches Massenopfer angeordnet war, und der einzelne Vorgang hebt sich auf dem Hintergrund dieser Stimmung unvergesslich hervor. Hamilcar stürzt in das Zimmer seiner Tochter hinein, erfasst mit der einen Hand Hannibal, mit der andern eine Schnur, die am Fussboden liegt, schnürt Hände und Füsse des Knaben zusammen, steckt ihm den Rest der Schnur als Knebel in den Mund und versteckt ihn unter einem Bett. Dann klatscht er in die Hände und verlangt ein Sklavenkind von 8 bis 9 Jahren mit schwarzen Haaren und hervortretender Stirn. Man bringt ihm ein armes, zugleich mageres und aufgedunsenes Kind, dessen Haut so grau wie der Lumpen um seine Lenden ist. Er verzweifelt; wie ist es möglich, dies Kind mit Hannibal zu verwechseln! Aber die Minuten sind theuer, und trotz seines Widerwillens fängt der stolze Suffet an, den elenden Sklavenjungen zu waschen, zu reiben und zu salben; er zieht ihm einen Purpur-Anzug an, befestigt denselben an seine Schulter mit Diamant-Agraffen, und das Kind lächelt, glücklich über all diese Pracht, und hüpft auf vor Freude. Er führt den Knaben mit sich fort. Da er aber unten im Hof mit verstelltem Schmerz ihn den Molochspriestern übergibt, zeigt sich hoch oben im dritten Stockwerk des Hauses zwischen den elfenbeinernen Pfeilern ein bleicher, ärmlich gekleideter, fürchterlich aussehender Mann mit ausgebreiteten Armen. »Mein Kind!« ruft er. »Es ist der Pflegevater des Kindes« beeilt Hamilcar sich zu sagen und stösst, wie um den Abschied zu kürzen, die Priester zum Thore hinaus. Als sie fort sind, sendet er dem Sklaven die besten Sachen aus der Küche, Fleisch, Bohnen und Eingemachtes; der Alte, der lange nichts gegessen hat, wirft sich darüber her und verschlingt es unter Thränen, und als Hamilcar Abends nach Hause kommt, sieht er im grossen Saal, wo das Mondlicht durch die Spalten der Kuppel hinabscheint, den Sklaven übersatt, halbberauscht, auf dem Marmor-Fussboden ausgestreckt, schlafend liegen. Er schaut ihn an und eine Art Mitleid ergreift ihn. Mit der Spitze seines Fusses schiebt er einen Teppich unter seinen Kopf.

Hier ist die allgemein menschliche Essenz aus einer specifisch karthaginiensischen Situation gezogen.

»Salammbô« machte, wie schon angedeutet, ein nicht geringes Aufsehen, war aber nichtsdestoweniger für die Lesewelt und die Kritik eine Enttäuschung. Man theilte nicht die Vorliebe des Verfassers für das Ungeheure und Flammende, man arbeitete sich ungern durch die Schilderung antiker Belagerungsmaschinen und Sturmböcke; man bat ihn, einen neuen »roman de passion,« eine Liebeserzählung zu schreiben.

Flaubert leistete endlich am Schluss des Jahres 1869 der Aufforderung Folge, indem er seinen Roman »L'éducation sentimentale« herausgab, sein eigenthümlichstes und tiefstes Werk, das aber ganz durchfiel. Von jetzt an erlebte er nur literarische Niederlagen. Die Gunst des Publicums, die durch »Salammbô« erkaltet war, wich von diesem Zeitpunkt ab vollständig von ihm.

Das neue Buch war eine neue Art von Buch. Der fast unübersetzbare Titel (etwa »Die Erziehung des Herzens«) ist nicht correct; denn Niemand und Nichts wird hier erzogen; dennoch handelt der Roman von einem Gefühlsleben. Aber er behandelt eher die gradweise fortschreitende Abstumpfung und schliessliche Exstirpation der Liebesempfindung als irgend eine Entwickelung derselben. Das Buch könnte richtiger heissen: Die Liebesillusion und ihre Ausrottung. Es ist einer der Hauptversuche Flaubert's, das reine Nichts in Gestalt der puren Illusion aus all dem Sehnen und Trachten des gewöhnlichen Menschenlebens heraus zu destilliren. In »Salammbô« drehte sich Alles um einen heiligen Schleier der Göttin Tanit, Zaimpf genannt; dieser Schleier ist strahlend und leicht; die Stadt, von der er geraubt wird, verdirbt; der Mensch, der ihn trägt, ist so lange unverwundbar, aber wer sich darin gehüllt hat, muss zu Grunde gehen. Die Illusion ist wie dieser Schleier. Sie ist strahlend wie die Sonne und leicht wie die Luft, sie gibt die Sicherheit des Nachtwandlers, und sie verzehrt wie ein Nessushemd.

Ich sagte, dass Flaubert an eine das Leben hindurch dauernde, nie befriedigte Liebesleidenschaft glaubte. Eine solche ist es, die er in der Liebe Frédéric's zu Madame Arnoux dargestellt hat. Sie ist verschämt, unterdrückt, sie macht sich nur Luft in einigen unverständigen Aufopferungen für ihren Gemahl und in einigen halb ausgesprochenen platonischen Versicherungen gemeinsamer Sympathien, die zu nichts führen, zu einem Versprechen, das zurückgenommen wird, zu einigen Versuchen, die fehl schlagen, und endlich, nach dem Verlauf von zwanzig Jahren, zu einem unfruchtbaren Geständniss und einer einzigen Umarmung, aus welcher der Liebhaber zurückschreckt, da die Geliebte unterdessen alt geworden ist und ihm mit ihren weissen Haaren Widerwillen einflösst.

Das Eigenthümliche an diesem Roman ist, in noch weit mehr hervortretender Weise als bei »Madame Bovary«, dass er keinen Helden und übrigens ebenso wenig eine Heldin hat. In dem veralteten Ausdruck »Held« liegt das ganze angeerbte Herkommen der altmodigen Poesie. Seit Jahrhunderten hatten die Schriftsteller mit einem Helden paradirt; er war stark und schön, gross in seinen Tugenden oder Lastern, ein Exempel zur Nachahmung oder zur Abschreckung – hier ergriff ein Dichter einen jungen Mann der Art, wie die meisten jungen Männer sind und zeigte, ohne Missbilligung oder Bedauern zu äussern, mit welchem Nichts sein Leben hinging und wie die Enttäuschungen auf ihn herab hagelten, nicht grosse, seltene Enttäuschungen – er erlebt überhaupt nichts Grosses und Seltenes – nein, die kleinen Enttäuschungen, die das Leben ausmachen. Eine lange Kette kleiner Enttäuschungen mit einzelnen grossen Enttäuschungen dazwischen, das ist für Flaubert die Definition des regulären Menschenlebens. Doch der Reiz des Buches beruht nicht hauptsächlich auf der durchgeführten melancholischen Grundstimmung. Der Hauptreiz ist für mich die Anmuth und die Keuschheit, mit der die Feder geführt ist, wo Frédéric's grosse Liebe geschildert wird.

Das tiefe Verständniss für die Schwärmerei des jungen Mannes weist auf Selbsterlebtes zurück. Nirgends hat Flaubert mehr direct aus seiner eigenen Seele geschrieben und weniger aus den fünf oder sechs künstlichen Seelen geschöpft, die er wie jede kritisch angelegte und kritisch schaffende Natur sich zu geben vermochte.

Frédéric liebt ohne Hintergedanken, ohne Hoffnung auf Gegenliebe, absolut, mit einem Gefühl, das der Dankbarkeit ähnlich ist; mit einem Bedürfhiss sich hinzugeben und sich der Geliebten zu opfern, das um so viel stärker ist, weil es keine Besänftigung findet. Aber die Jahre gehen und ein Gefühl ähnlicher Art entwickelt sich bei der geliebten Frau. Es ist unter ihnen eine ausgemachte Sache, dass sie sich nie angehören werden; aber ihr Geschmack, ihre Urtheile stimmen überein: »Oft brach der von ihnen, der dem Andern zuhörte, aus: Ich auch! und kurz danach kam der andere an die Reihe zu sagen: Ich auch!« Und sie träumen, dass wenn die Vorsehung gewollt hätte, wäre ihr Leben ein von Liebe allein erfülltes, »etwas Süsses, Glänzendes und Erhabenes wie das zitternde Blinken der Sterne« geworden.

»Fast immer hielten sie sich in freier Luft in der Veranda auf, und die gelblichen Baumkronen des Herbstes breiteten sich vor ihnen ungleichförmig bis zum Rande des bleichen Himmels aus; oder sie sassen in einem Pavillon am Ende der Allee, dessen einziges Möbel ein mit grauer Leinwand überzogenes Canapé war. Schwarze Punkte befleckten den Spiegel; die Wände athmeten einen moderigen Geruch aus – und sie blieben da, von sich selbst, von Andern, gleichviel von was plaudernd: in einem gegenseitigen Entzücken. Bisweilen sahen die Sonnenstrahlen, die sich durch die Persiennen von der Decke bis zum Fussboden Weg bahnten, aus, wie die Saiten einer grossen Leier.«

Diese Leier – das war, glaub' ich, die alte, die echte; die Leier aus der Zeit der Troubadoure und aus der Jugend Flaubert's, und es scheint Einem, als habe er eben hier ihre Saiten geschlagen.

»L'éducation sentimentale« erschien, als das Kaiserthum in die Epoche der letzten Krisen trat. Der Absatz war mässig. Alle Zeitungen erklärten das Buch für langweilig, ausserdem natürlich für unmoralisch. Am schmerzlichsten für Flaubert war das Schweigen, das folgte. Die Arbeit von sieben Jahren schien verloren.

Die Ursache war, dass er zu viel gearbeitet hatte. Er hatte, um das Paris der Vierziger Jahre zu schildern, alte Bilder und alte Pläne studirt, verschwundene Strassen reconstruirt, mehrere Tausende von Zeitungen mit ihren Referaten über Clubreden und ihren Beschreibungen des Strassenlebens und der Strassenkämpfe durchforscht. Er wollte absolut ein genaues Zeitbild geben und machte zu Viel daraus. Der historische Apparat wirkt ermüdend. Sein Hass gegen die Dummheit führte ihn hier wie so oft zu weit. Es hatte schon in seiner Jugend zu den Belustigungen gehört, die er und Bouilhet gemeinsam trieben, so treue Copien wie möglich von officiellen Reden im allgemeinen, von Gelegenheitsgedichten bei der Einweihung einer Glocke oder der Beerdigung eines Monarchen, von Festreden, Volksreden jeglicher Art zu schreiben. Man fand ganze Packete solcher Sachen nach Bouilhet's Tode. In »Madame Bovary« hatte Flaubert sich damit belustigt, die ganze Rede des Bureauchefs bei der Ackerbau-Ausstellung mit ihrer bestellten Begeisterung und stylistischen Naivetäten wiederzugeben; hier lieferte er in extenso und noch dazu spanisch eine von einem »Patrioten aus Barcelona« im Jahre 1848 auf einer Volksversammlung in Paris gehaltene liberale Rede. Die Rede ist als Beispiel der reinen Freiheits- und Fortschrittsphrase unübertrefflich, aber sie und die ganze Versammlung, in der sie vorgetragen wird, haben zu wenig mit den Hauptpersonen zu thun. Das Zeitbild breitet sich zu sehr aus; hier wie in »Salammbô« ist das Fussgestell zu gross für die Figuren geworden. Flaubert wird es ohne Zweifel selbst empfunden haben; denn schon während er an »Salammbô« arbeitete, schreibt er missmuthig an einen Freund: »Das Studium des Costüms verleitet uns die Seele zu vergessen. Ich würde das halbe Ries Papier, das ich nun in fünf Monaten mit Aufzeichnungen gefüllt habe, dafür geben, um nur in drei Secunden von den Leidenschaften meiner Personen mich wirklich bewegt zu fühlen.« Aber er vermochte nicht die Schilderung der Umgebungen, der allgemeinen Stimmungen und Zustände gehörig zurück zu drängen. Man fühlt bei ihm, dass das Studium immer dichter in der Spur der Einbildungskraft, wie in der nordischen Mythologie das Ungeheuer Mondgarm in der des Mondes folgt, und wie der arme Mond immer näher daran ist, verschlungen zu werden.

Die drei Erzählungen: »Ein einfaches Herz«, »Die Legende von St. Julian, dem Gastfreien« und »Herodias«, waren eine kleine Trilogie von Meisterwerken: eine Novelle der Gegenwart, eine Legende des Mittelalters und ein Gemälde aus dem Alterthum. »Herodias« gab in dem Styl »Salammbô's« ein düsteres, kräftiges Bild von Palästina zur Zeit Johannes des Täufers, aus welchem das neugierige und schlaffe Prassergesicht des Vitellius, in die gebrochenen Augen des abgehauenen Johanneskopfes hineinstierend, dem Leser entgegen leuchtet. »Die Legende von St. Julian« ist das Muster einer Wieder-Geburt des mittelalterlichen Geistes. Kein Mönch hat eine echtere christliche Legende geschrieben als dieser Atheist. Nichts kann strenger im Legendenstyl sein als der Schluss von dem aussätzigen Bettler, der das letzte Stück Speck und den letzten Bissen Brod Julian's verzehrt, dessen Teller und Becher befleckt und zuletzt nicht nur auf Julian's Lager sich ausstreckt, sondern die Forderung an ihn stellt, er solle ihn mit seinem nackten Körper erwärmen. Da der ehemalige Prinz in der Demuth seines Herzens sich erniedrigt, dies zu thun, umarmt ihn der Aussätzige mit Kraft, und in demselben Augenblick verwandelt sich die Gestalt des Bettlers: die Augen werden sternenklar, sein Haar wird lang und leuchtend wie Sonnenstrahlen, sein Athem duftend wie Rosen; das Dach der Hütte fliegt ab, und Julian schwebt in den blauen Raum hinauf, Gesicht an Gesicht mit Unserm Herrn Jesus Christus, der ihn in den Himmel hinaufführt.

In »Ein einfaches Herz« hat Flaubert so zu sagen die Geschichte des alten prämiirten Dienstmädchens aus »Madame Bovary« erzählt. Es ist eine rührende Erzählung von einer alten, von Allen ausgenutzten und verlassenen Magd, die zuletzt die ganze Liebe ihres Herzens auf einen Papagei wirft; sie bewundert diesen Papagei über alles; er scheint ihr in ihrer Einfalt dem heiligen Geist als Taube auf dem Altargemälde der Dorfkirche ähnlich, und nach und nach füllt er in ihrem Bewusstsein den Platz des heiligen Geistes aus. Der Vogel stirbt und sie lässt ihn ausstopfen. Aber in ihrer Todesstunde sieht sie ihn riesengross mit ausgebreiteten Flügeln sie empfangen und in das Paradies hinauftragen. Dies ist wie die tiefwehmüthige Parodie des Schlusses der Legende. Hier wie dort Vision und Illusion; bei der Schwäche unseres Wesens, der Fähigkeit des Getäuschtwerdens und dem Bedürfniss des Trostes, ist – scheint Flaubert sagen zu wollen – uns im Versinken der eine Strohhalm so gut wie der andere.

Die drei Erzählungen hatten keinen Erfolg. In ihnen hatte das Studium noch einen Schritt vorwärts auf Kosten des Lebens gemacht. Hier waren erstens fast keine Gespräche, keine Repliken mehr, die Erzählungen waren eher Inhaltsangaben als Novellen; man fühlte, dass der Dichter begonnen hatte, die eigentlich poetische Gestaltung zu verschmähen. Ferner breitete sich die Gelehrsamkeit zu sehr aus. Ein erstaunliches Studium war z. B. in die Legende niedergelegt. Man ahnt, wie viele Legenden Flaubert gelesen hat, um den Charakter so genau zu reproduciren. Aber kein Versuch ist gemacht, die Resultate dieser Gelehrsamkeit in Perspective vor die Augen des modernen Lesers zu stellen. Es sind weder Wege noch Stege in den Urwald der Legendenwelt gehauen; er steht da fest zusammengewachsen und sperrt dem Blick die freie Bahn. Die Erzählung scheint nicht auf gewöhnliche moderne Leser, sondern auf solche des dreizehnten Jahrhunderts oder auf verfeinerte Kenner berechnet.

 

VI.

Das Jahr 1874 brachte endlich das Werk, das Flaubert selbst als sein Hauptwerk betrachtete, an welchem er zwanzig Jahr gearbeitet hatte und das die schärfste Definition seines Geistes liefert – ein verblüffendes Werk. Als es zuerst ruchbar wurde, dass ein französischer Romanschriftsteller »Die Versuchung des heiligen Antonius« geschrieben hatte, hegten gewiss neun Zehntel des Publicums keinen Zweifel, dass der Titel scherzhaft oder symbolisch aufzufassen sei. Wer konnte ahnen, dass das Werk in vollem Ernst die Versuchungsgeschichte des alten ägyptischen Einsiedlers behandelte.

Etwas Aehnliches hatte kein Romanschriftsteller und kein Dichter überhaupt je versucht. Zwar hatte Goethe »Die classische Walpurgisnacht« geschrieben, Byron im zweiten Act von »Cain« ein Vorbild für Einzelnheiten geliefert, Turgeniew in »Visionen« im ganz kleinen Rahmen einen entfernt verwandten Stoff mit Meisterschaft behandelt; aber ein Drama in sieben Abtheilungen, das aus Einem meilenlangen Monolog bestand, oder das richtiger nur die punktuelle Darstellung dessen war, was in einer Schreckensnacht in dem Gehirn eines einzelnen hallucinirten Menschen vor sich ging – so ein Buch war nie früher in der Welt geschrieben worden. Und doch hatte dies Werk, verfehlt wie es ist, in seiner schwermüthigen Monotonie eine stille Grösse und ein absolut modernes Gepräge, wie nur wenige Dichterwerke der französischen Literatur.

Der heilige Antonius steht an der Schwelle seiner Hütte auf einem Berg in Aegypten. Ein langes Kreuz ist in die Erde gepflanzt, eine alte gewundene Palme neigt sich über den Abgrund hinaus, der Nil bildet einen See am Fusse des Berges. Die Sonne sinkt. Der Einsiedler ist von einem in Fasten, Arbeit und Selbstquälereien verbrachten Tag ermattet; so fühlt er beim Anbruch des Dunkels seine Seelenstärke abnehmen. Eine träumerische Sehnsucht nach der Aussenwelt füllt sein Herz. Bald wollüstige, bald stolze, bald idyllisch lächelnde Erinnerungen locken und quälen ihn.

Zuerst sehnt sich Antonius nach seiner Kindheit zurück, nach Ammonaria, einem jungen Mädchen, das er einmal geliebt hat; er gedenkt seines liebenswürdigen Schülers Hilarion, der ihn verlassen hat; er verflucht sein einsames Leben. Die Zugvögel, die über seinem Kopf hinwegziehen, erwecken seinen Wunsch, wie sie davon fliegen zu können. Er bedauert sein Loos, fängt an zu klagen und zu ächzen. Warum ist er nicht ein ruhiger Mönch in der Zelle geworden, warum hat er nicht das friedliche und nützliche Leben eines Priesters gewählt. Er wünscht, dass er Grammatiker oder Philosoph, Zöllner an einer Brücke, ein reicher, verheiratheter Kaufmann, oder ein tapfrer, lebenslustiger Soldat sei; seine Körperkraft hätte dann Anwendung gefunden. Er verzweifelt über seine Lage, bricht in Thränen aus, sucht Trost und Erbauung in der heiligen Schrift. Aber in dem Leben der Apostel schlägt er die Stelle auf, wo es Petrus erlaubt wird, alle Thiere, reine und unreine, zu essen, während er sich in strenger Askese abquält; in dem alten Testament liest er eben, wie den Juden das Recht gegeben wird, all' ihre Feinde zu tödten, ein grosses Blutbad an ihnen zu veranstalten, während er seinen Feinden vergeben soll; er liest von Nebucadnezar und beneidet seine Feste, – von Ezechias und schaudert vor Begierde zusammen, wenn er an all' seine kostbaren Parfumen und seine goldnen Schätze denkt, – von der schönen Königin von Saba und fragt sich, wie sie wol hoffen könnte, den weisen Salomo in Versuchung zu führen – und es scheint ihm, dass die Schatten, welche die zwei Arme des Kreuzes auf die Erde werfen, sich einander nähern wie zwei Hörner. Er ruft Gott an, und die beiden Schatten nehmen wieder ihren alten Platz ein. Vergeblich sucht er sich zu demüthigen, er gedenkt mit Stolz seines langen Märtyrerthums, sein Herz schwillt wenn er sich der Ehre erinnert, die ihm von allen Seiten erwiesen worden ist, selbst der Kaiser hat ihm drei Mal geschrieben; dann sieht er, dass sein Wasserkrug leer, sein Brod von Chakalen verzehrt worden ist; Hunger und Durst nagen an seinem Eingeweide.

Er erinnert sich des Neides und des Hasses, mit dem die Kirchenväter auf dem Concil zu Nicäa ihm entgegen traten, und seine Seele schreit nach Rache. Er träumt von den vornehmen Frauen, die ihn früher so oft hier in der Wüste aufsuchten, um ihm zu beichten und ihn anzuflehen, bei ihm, dem Heiligen, bleiben zu dürfen. Er starrt so lange diesen Träumen nach, dass sie ihm verwirklicht erscheinen. Er sieht die feinen Damen von der Stadt, die in ihren Sänften getragen sich nähern, er löscht seine Fackel aus um die Gesichter zu vertreiben, und schaut jetzt erst recht an dem dunkeln Nachthimmel die Visionen wie Scharlachbilder auf Ebenholz in wirbelnder Hast an ihm vorbeifahren.

Stimmen, die aus dem Dunkel heraustönen, bieten ihm Frauen, Haufen Goldes, herrliche Gerichte an. Dies ist der Anfang der Versuchung, der Durst der thierischen Triebe. Dann träumt er, dass er der Vertraute des Kaisers, der erste Minister ist, alle Macht hat. Der Kaiser krönt ihn mit seinem Diadem. Er rächt sich grausam an seinen Feinden unter den Kirchenvätern, watet in ihrem Blut und plötzlich befindet er sich mitten in einem Fest bei Nebucadnezar, wo die Speisen und Getränke Berge und Ströme bilden. Gesalbt und edelsteingeschmückt sitzt der Kaiser auf seinem Thron, und in der Entfernung liest Antonius an seiner Stirn seine hochmüthigen, hochfliegenden Gedanken. Er durchschaut ihn so vollständig, dass er plötzlich selbst Nebucadnezar wird, und in all' dem Schwelgen fühlt er das Bedürfniss wie ein Thier zu sein; er wirft sich auf allen Vieren hinunter und brüllt wie ein Stier; dann kratzt er seine Hand an einem Stein und erwacht. Er peitscht sich, um sich für diese Vision zu bestrafen so lange bis der Schmerz eine Wollust wird, und sofort erscheint vor ihm die Königin von Saba, das Haar blau gepudert, mit Gold und Diamanten bedeckt, und bietet sich ihm an mit wilder Koketterie; sie ist alle Frauen in einer; er weiss, dass wenn er ihre Schulter mit einem Finger berührte, würde ein Feuerstrom durch seine Ader schiessen; sie steht da, duftend von allem Wohlgeruch des Orients, ihre Worte klingen wie sonderbar bestrickende Musik, und er streckt in brennender Begierde seine Arme aus – aber beherrscht sich und weist sie hinweg. Sie und ihr ganzes Gefolge verschwinden. Dann nimmt der Teufel die Gestalt seines alten Schülers Hilarion an, um ihn in seinem Glauben zu erschüttern.

Der kleine, welke Hilarion macht ihn zu seiner Angst darauf aufmerksam, dass er in der Phantasie sich der Genüsse bemächtigt, auf die er in der Wirklichkeit versagt, erklärt ihm, dass Gott kein Moloch sei, der den Lebensgenuss verpöne, dass die Bestrebungen, Gott zu verstehen, mehr werth seien als alle Selbstquälereien. Er zeigt ihm zuerst die Widersprüche zwischen dem alten und neuen Testament, darauf die Widersprüche des neuen. Und Hilarion wächst. So taucht denn in Antonius' Gehirn die Erinnerung auf an all' die Ketzereien, die er in Alexandria und anderswo gehört und gelesen und für eine Zeit siegreich überwunden hat. Die hundert und aber hundert Ketzereien der ersten christlichen Secten, Ansichten, von denen die eine ungeheuerlicher als die andere ist, werden in sein Ohr von den Ketzern selbst gebrüllt. Sie bellen ihn an wie Hyänen. Jeder von ihnen speit seine Tollheit über ihn aus. Hysterische Frauen und Geliebte der Märtyrer werfen sich heulend über die Asche der Todten. Antonius sieht Ketzer, die sich entmannen, Ketzer, die sich selbst verbrennen. Apollonius von Tyrus offenbart sich ihm als Mirakelthäter, der in nichts hinter Christus zurücksteht. Und Hilarion wächst immer mehr. Nach den Ketzern folgen die Götter der verschiedenen Religionen in einem ungeheuren Aufzug, von den abscheulichen und grotesken Steingöttern und Holzfetischen der ältesten Zeiten bis zu den Blutgöttern des Morgenlandes und den Schönheitsgöttern Griechenlands, alle fahren sie vorbei, um jeder für sich mit einem Klagegeschrei den Purzelbaum hinunter in das grosse Nichts zu machen. Er sieht Götter, die in Ohnmacht fallen, andere, die fortgewirbelt werden, wieder andere, welche zerquetscht, zerrissen, in ein schwarzes Loch hinuntergestürzt werden, Götter, die ertrinken, die sich in Luft auflösen oder die sich tödten. Unter ihnen ragt Buddha empor, der in allem, was er über sich erzählt, die unheimlichste Aehnlichkeit mit dem Erlöser hat. Zuletzt machen Crepitus, jener römische Gott der Verdauung, und Jehovah, der Gott der Heerscharen, den Sprung in den Abgrund.

Dann tritt eine fürchterliche Stille, eine tiefe Nacht ein. –

»Sie sind alle fort«, sagt Antonius.

»Ich bin übrig,« antwortet eine Stimme.

Und Hilarion steht vor ihm, noch weit grösser, verklärt, schön wie ein Erzengel, leuchtend wie eine Sonne und so gross, dass Antonius den Kopf zurückbeugen muss, um ihn zu sehen.

»Wer bist Du?«

Hilarion antwortet: »Mein Reich ist so gross wie die Welt und meine Begier hat keine Grenzen. Ich gehe immer vorwärts, Geister befreiend und Welten wägend, ohne Furcht, ohne Mitleid, ohne Liebe und ohne Gott. Man nennt mich die Wissenschaft.«

Antonius schreckt zurück: »Du bist eher der Teufel!«

»Willst Du ihn sehen?« Ein Pferdefuss zeigt sich, der Teufel nimmt den Heiligen auf seine Hörner und trägt ihn durch den Raum, durch den Himmel der modernen Wissenschaft, wo die Weltkörper zahlreich wie Staubkörner sind. Und das Firmament erweitert sich mit den Gedanken des Antonius. Höher, höher! ruft er. Die Unendlichkeit offenbart sich seinem Blick. Aengstlich fragt er den Teufel nach Gott. Dieser antwortet mit neuen Fragen, mit Zweifeln: »Was Du Form nennst, ist vielleicht nur ein Irrthum Deiner Sinne; was Du Substanz nennst, nur eine Einbildung Deines Gedankens. Wer weiss, ob nicht die Welt ein ewiger Strom der Dinge und Begebenheiten, der Schein das einzige Wahre, die Illusion die einzige Wirklichkeit ist!« – »Bete mich an,« ruft der Teufel plötzlich, »und verfluche das Blendwerk, das Du Gott genannt hast!« Er verschwindet und Antonius erwacht auf dem Rücken liegend am Rande seines Felsens.

Aber seine Zähne klappern, er ist krank, er hat weder Brod noch Wasser mehr in seiner Hütte, und die Hallucinationen fangen von neuem an. Er verliert sich in dem Gewimmel der Fabelthiere, der phantastischen Ungeheuer der Erde. Er befindet sich an einer Küste unter den Bewohnern und Pflanzen des Meeres und des Landes; er kann Pflanzen und Thiere nicht mehr unterscheiden; die Schlingpflanzen winden sich wie Schlangen; er verwechselt die Welt der Pflanzen und der Steine mit der Menschenwelt; die Kürbisse sehen wie Busen aus; der babylonische Baum Dedaim trägt menschliche Köpfe als Früchte; Kieselsteine sind Gehirnen ähnlich, Diamanten glänzen wie Augen. Er fühlt die pantheistische Sehnsucht nach Verschmelzung mit der Allnatur, und dieses ist sein letztes Geschrei:

»Ich habe Lust zu fliegen, schwimmen, bellen, brüllen, heulen. Ich möchte Flügel, einen Schuppenpanzer, eine Schale, einen Schnabel haben, meinen Körper winden, mich theilen, in Allem sein, wie ein Geruch herausströmen, wie eine Pflanze mich entwickeln, wie ein Ton klingen, wie ein Licht glänzen, mich unter allen Formen verbergen und jedes Atom durchdringen!«

Die Nacht ist zu Ende. Es war nur ein neues Alpdrücken. Die Sonne steigt und in ihrer Scheibe strahlt ihm Christi Gesicht. – Dann die letzte discrete Ironie des Dichters: Antonius macht das Zeichen des Kreuzes und fängt sein durch die Visionen unterbrochenes Gebet wieder an.

In diesem Gedicht hat man Flaubert ganz mit seinem schweren Blut, seiner düsteren Phantasie, seiner schroff sich aufdrängenden Gelehrsamkeit, und seinem Bedürfniss, alte und neue Illusionen, alten und neuen Glauben und Aberglauben zu nivelliren. Die fast brutale Gewaltsamkeit seines Naturells offenbart sich, wo er den Gott Crepitus vor den Gott Jehovah einschiebt. Dass er die Legende von dem heiligen Antonius wählte, um sein Herz zu erleichtern und der Menschheit bittere Wahrheiten zu sagen, beruht darauf, dass er in diesem Stoff das Alterthum und das Morgenland, das er liebte, vorfand. Er konnte hier die grossen Städte und die Landschaften Aegyptens als Hintergrund benutzen, leuchtende Farben und gigantische Formen verschwenden. Und hier malte er nicht mehr die Ohnmacht und die Dummheit einer Gesellschaft, sondern einer Welt; hier zeigte er – ganz unpersönlich – der Menschheit, wie sie zu jeder Stunde ihres Lebens bis über die Knöchel in Schmutz und Blut gewatet sei, und wies auf die Wissenschaft – die wie der Teufel gefürchtet wird – als auf die einzige Rettung hin.

Die Idee war eben so gross wie neu; aber leider – die Ausführung steht keineswegs auf der Höhe des Plans. Das Buch wird von dem dazu verwendeten Material zu Boden gedrückt. Es ist kein poetisches Werk, halbwegs eine Theogonie, halbwegs ein Stück Kirchengeschichte, und all' dies ist in der Form einer Psychologie des Wahnwitzes gegeben. Es findet sich darin ein Aufzählen von Einzelnheiten, das wie das Besteigen einer fast senkrechten Bergwand ermüdet; gewisse Partien sind nur dem Gelehrten vollkommen verständlich und für das gewöhnliche Publicum fast unleserlich. Der grosse Schriftsteller war allmälig in der abstracten Gelehrsamkeit und dem abstracten Styl aufgegangen. »Es war ein trauriger Anblick,« hat Emile Zola treffend gesagt, »dies so mächtige Talent wie die Gestalten der antiken Mythologie sich versteinern zu sehen. Langsam, von den Füssen bis zum Gürtel, von dem Gürtel bis zum Kopf wurde Flaubert ein Marmor-Standbild.«

 

VII.

Ich habe es aufgeschoben, von einer der letzten Visionen des Antonius zu sprechen, weil sie mir die merkwürdigste von allen scheint und ganz sicher die selbsteigene Vision des Dichters war. Nachdem alle Götter verschwunden sind und die Reise durch den Himmelsraum ihr Ende erreicht hat, sieht Antonius auf dem andern Nilufer die Sphinx, die ihre Klauen ausstreckt und sich auf den Bauch legt. Aber springend, fliegend, bellend, durch die Nase Feuer blasend und die Flügel mit dem Drachenschwanz schlagend, umkreist sie die Chimäre. Was ist die Sphinx? Was anders als das dunkle Räthsel, das an die Erde genagelt ist, die ewige Frage, die grübelnde Wissenschaft! Was ist die Chimäre? Was anders als die geflügelte Einbildungskraft die den Raum durcheilt und die Sterne mit ihren Flügelspitzen berührt!

Die Sphinx (französisch männlichen Geschlechts) sagt: »Stehe still, Chimäre! Laufe nicht so schnell, fliege nicht so hoch, belle nicht so stark. Höre auf, mir Deine Flamme in's Gesicht zu blasen, Du schmelzest doch nicht meinen Granit.«

Die Chimäre antwortet: »Ich stehe nie still, Du kannst mich nicht ergreifen, Du fürchterliche Sphinx.«

Die Chimäre galoppirt durch die Corridore des Labyrinthes, fliegt über das Meer, beisst sich fest in die segelnden Wolken.

Die Sphinx liegt unbeweglich und zeichnet mit ihren Klauen Alphabete in den Sand, denkt und rechnet nach, stiert, während das Meer fluthet, das Getreide wogt, Karawanen vorbeiziehen und Städte zusammenstürzen, mit ihrem festen Blick in den Horizont hinaus.

Dann ruft sie: »O Phantasie! erhebe mich auf Deinen Flügeln aus meiner tödtlichen Langeweile heraus! «

Und die Chimäre antwortet: »Du Unbekannte! ich bin in Deine Augen verliebt; wie eine brünstige Hyäne kreise ich um Dich, o umarme mich, befruchte mich!«

Die Sphinx erhebt sich. Aber die Chimäre entflieht, aus Schrecken, unter dem Steingewicht zerschmettert zu werden. – »Unmöglich!« seufzt die Sphinx und versinkt in den tiefen Sand.

Ich sehe in dieser Scene das letzte Bekenntniss Flaubert's, seine erstickte Klage über das Gebrechen seines ganzen Lebenswerkes und dieses Hauptwerkes im besonderen. Die Spinx und die Chimäre, die Wissenschaft und die Poesie, begehrten sich bei ihm, suchten sich immer wieder, umkreisten mit flammender Sehnsucht und Brunst einander; aber die rechte Befruchtung der Poesie durch die Wissenschaft gelang ihm nicht.

Nicht dass sein Grundgedanke ungesund oder unrichtig war. Im Gegentheil. Die Zukunft der Poesie ist da, das glaub' ich gewiss; denn da ist ihre Vorzeit. Die grössten Dichter, ein Aeschylus, ein Dante, ein Shakespeare, ein Goethe haben alles Wesentliche gewusst, was man zu ihrer Zeit wusste und haben ihr Wissen in ihre Poesie niedergelegt. Zwar haben Gelehrsamkeit und wissenschaftliche Bildung an und für sich keinen poetischen Werth. Sie können nie und nimmer dichterisches Gefühl und künstlerische Gestaltungskraft ersetzen. Wo die poetische Begabung aber vorhanden ist, da wird der Blick durch Einsicht in die Gesetze der Natur und der menschlichen Seele geschärft und durch das Studium der Geschichte erweitert. Nur ist es ohne Zweifel in unserem Jahrhundert, wo die moderne Wissenschaft in allen Richtungen neu geschaffen worden, schwieriger als je, ohne überwältigt zu werden, den Wissensstoff zu umspannen, und Flaubert besass nicht die ursprüngliche Harmonie des Geistes, die das Schwere leicht macht und die tiefen Gegensätze der Ideenwelt versöhnt.

»La tentation de Saint-Antoine« wurde in Paris mit einem Boulevardwitz abgefertigt. Nur wenige hatten Geduld um sich in das Buch zu vertiefen, und das grosse Publicum war bald mit seinem Urtheil fertig: das Buch war tödtlich langweilig. Wie konnte der Verfasser meinen, dass solches die Pariser amusire! Nein, Madame Bovary, das war etwas anderes! Warum wiederholte er sich nicht (wie alle schlechten Schriftsteller), warum schrieb er nicht zehn neue »Madame Boyary«?

Er zog sich nach Croisset zurück, sperrte sich, tief verletzt, wie er war, Monate lang ein und fing allmälig wieder an zu arbeiten. Er wurde alt. Er verlor durch den Tod seine älteren Freunde, George Sand, Théophile Gautier, seine Jugendfreunde und Gesinnungsgenossen, Louis Bouilhet, Feydeau, Jules de Goncourt u. s. w. Er wurde einsam. Er wurde kränklich, konnte zuletzt nicht das Gehen vertragen, ja nicht einmal vertragen, Andere gehen zu sehen. Er wurde arm. Er verlor sein Vermögen, das er aus Güte seiner einzigen Nichte anvertraut und das ihr Mann auf's Spiel gesetzt hatte, und er wurde in den späteren Jahren seines Lebens von Nahrungssorgen gequält. Er kam zuletzt selten mehr nach Paris; ja er ging nie in seinen Garten hinaus, ging nur hin und zwischen seinem Schlafzimmer und seinem Arbeitszimmer und hinunter, um seine einsamen Mahlzeiten einzunehmen.

Er starb im Mai 1880 und wurde bei Rouen begraben. Das Gefolge war klein, nur wenige Freunde aus Paris gaben das Geleite. Aus Rouen folgte fast Niemand, denn er war der Mehrzahl der Einwohner völlig unbekannt, und als unmoralischer und irreligiöser Schriftsteller der Minderzahl, die ihn kannte, verhasst.


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