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(1878.)
Der literarische Ruhm ist in den scandinavischen Ländern meistens ein rein localer. Werke, die in Sprachen geschrieben sind, welche nur von wenigen Millionen gesprochen und nirgend in der Welt als Cultursprache gelernt oder gelesen werden, haben selbstverständlich alle Chancen europäischer und amerikanischer Berühmtheit gegen sich. Die wenigsteh poetischen Erzeugnisse werden überhaupt übersetzt, und für ein Werk, das sich an den Schönheitssinn wendet, für ein metrisches vor allem, ist die äussere Sprachform, was der Email dem Zahne ist; sie gibt ihm gleichzeitig Dauer und Glanz.
Trotzdem gelang es bekanntlich einzelnen nordischen Schriftstellern, mehr Anerkennung im Auslande als daheim zu finden; sie repräsentiren so zu sagen der ganzen Lesewelt gegenüber das poetische Leben ihres Vaterlandes, und ihr Name schmilzt im allgemeinen Bewusstsein mit demjenigen ihres Landes zusammen. Einen solchen Ruhm hat unter den Dichtern Schwedens nur ein einziger, Esaias Tegnér erlangt.
Er ist nicht der grösste, der in schwedischer Sprache gedichtet hat; vor ihm und nach ihm hat ein anderer, grösserer Dichter in dieser Sprache Gestalten geformt, welche die seinigen durch Anschaulichkeit und wirkliches Leben übertreffen. Aber mit Be11man und Runeberg muss er zusammengestellt und genannt werden; und während er ihnen in dichterischer Phantasie nachsteht, übertrifft er durch geistige Grösse beide.
Drei Mal im Laufe der Geschichte ist es dem schwedischen Volke gelungen, das Classische und das Volksthümliche in seiner Poesie zu verschmelzen. Das erste Mal geschah es, als Bellman unter Gustav III. seine Typen aus dem Volks- und Wirthshausleben Stockholms griff und »Die Lieder Fredman's« mit mimischer Meisterschaft zur Zither sang. Zum zweiten Male, als Tegnér, fünfzig Jahre später, zum Heldenleben des alten Nordens zurückkehrte, den Stoff zu einem Romanzencyclus in einer alten Sage fand, und Schweden ein Bild von Vikingsleben und Vikingsliebe im Norden gab, wie sich die Zeitgenossen dies vorstellten. Zuletzt geschah es endlich vor einem Menschenalter, als – vierzig Jahre, nachdem Finnland von seinem alten Mutterlande losgerissen wurde – der grösste von Finnlands Söhnen, von seinen Kindheitserinnerungen inspirirt, den ehrenvollen Kampf seines Vaterlandes gegen russische Uebermacht, und dadurch den Nationalcharakter des finnischen Volkes, realistischer malte als man es zu jener Zeit noch gewagt hatte. Runeberg drängte in einer seelenvollen Bivouacpoesie Kriegsidyllen und Schlachtfeldtragödien auf den knappsten Raum zusammen.
Weder in einem Drama, noch in einem Epos hat also einer der drei schwedischen Dichter die Möglichkeit gefunden, sein Bestes zu geben. Alle drei, so verschieden sie auch sind, haben in derselben Kunstgattung triumphirt, einem der Form nach lyrischen, dem Inhalte nach epischen Cyclus kurzer Gedichte. Der erste hat burleske Dithyramben, der zweite altnordische Heldenlieder, der dritte moderne Kriegsanekdoten geschrieben; aber alle haben sie diese, ihre vorzüglichsten Poesien in eine zusammenhängende Reihenfolge gebracht, und nichts als diese drei Liedergruppen gibt der Dichtung Schwedens kosmopolitischen Rang.
Unter diesen ist die »Frithiofs Saga« der berühmteste Cyclus, und wenn Tegnér ausserhalb Schwedens genannt wird, so ist es ausschliesslich als Autor desselben; dies Werk ist die Nationaldichtung des schwedischen Volkes geworden, und Uebersetzungen in allen europäischen Sprachen, darunter achtzehn verschiedene deutsche und achtzehn verschiedene englische, haben es über die Erde verbreitet. Schweden hat sich nicht undankbar gegen den Mann gezeigt, dem es so Vieles schuldet. In Schweden ist zur Ehre Tegnér's so hübsch und warm geredet, geschrieben und gesungen worden, dass es unmöglich ist, hierin die Kinder des Landes zu übertreffen. Schweden hat die verklärte Gestalt des Dichters in übernatürlicher Grösse auf ein mächtiges Piedestal gehoben, das, näher betrachtet, ein ganz kleiner Berg von massiven Lobreden, Lebensbeschreibungen und Festliedern ist, und man hat Weihrauch über Weihrauch am Fusse der Statue verbrannt. Was ist da noch für einen Kritiker zu thun? Vielleicht nichts anderes, als mit schonender Hand das schöne Gesicht ein wenig von dem Russe des Räucherpulvers zu säubern, damit die Züge menschlicher und lebhafter hervortreten. Vielleicht auch noch, die Statue sorgfältig mit dem Originale zu vergleichen und auf eigene Hand eine Federzeichnung desselben zu entwerfen, wo die Bildsäule sich ungenau oder abstract zeigt. Jedenfalls bringe ich die angeborne Sympathie des Scandinaven, die Unparteilichkeit des Nichtschweden, und den ehrlichen Vorsatz des Kritikers mit, die Gestalt im scharfen Sonnenlichte der Wahrheit darstellen zu wollen.
Esaias Tegnér stammt, wenige Generationen zurück, sowol väterlicher- wie mütterlicherseits von schwedischen Bauern ab. Wie so viele andere hervorragende Talente des Nordens, leitet er seinen Ursprung vom Bauern durch den Pfarrer her. Dies geschieht gewöhnlich in folgender Weise: der Grossvater pflügt mit eigener Hand seinen Acker, der Sohn zeigt Leselust und wird durch Entbehrungen der Eltern und Unterstützung guter Leute so weit gebracht, dass er Theologie studiren kann; denn der Pfarrer war Jahrhunderte lang dem Bauern der absolute Repräsentant des gelehrten Standes. In diesem Sohne wird die kräftige, uncultivirte Bauernnatur der ersten groben Behauung unterworfen; der Prediger pflügt nicht mehr selbst seinen Acker, obwol er den Anbau noch beaufsichtigt; der Prediger denkt schon, obwol er seine letzten Resultate nicht durch den Gedanken erhält. Im Enkel oder Urenkel ist endlich der ursprüngliche Naturgrund so verfeinert, dass daraus das wissenschaftliche, technische oder poetische Talent hervorgeht. Ebenso hier. Der Vater Tegnérs war Pfarrer und seine Mutter Pfarrerstochter, und die beiden Geistlichen, von denen er stammt, waren Bauernkinder. Der vornehm klingende Name wurde gebildet, als der Vater Esaias Lucasson vom kleinen Dorfe Tegnaby in's lateinische Protokoll des Gymnasiums als Esaias Tegnerus eingeschrieben wurde.
Dem Predigerhause erwuchsen bald Söhne und Töchter, und den 13. November 1782 wurde in Kyrkerud als fünfter Sohn des Hauses der später so berühmte Esaias geboren. Er war nur neun Jahre alt, als das Haus durch den Tod des Vaters aufgelöst wurde. Dieser hinterliess nichts, und die Wittwe, der die Zukunft ihrer sechs vaterlosen Kinder Sorgen genug verursachte, ergriff mit Freuden die sich ihr bietende Gelegenheit, ihren Jüngsten als Schreiber zu einem in der Nähe wohnenden angesehenen Beamten zu geben. Der Knabe lernte in dem Bureau des Hardevoigts Branting ausdauernden Fleiss im Schreiben und Rechnen, und was noch mehr werth war, der kleine Schreiber, der immer auf den langen Reisen mitgenommen wurde, die sein wackerer Principal als Steuereinnehmer in die Kreuz und Quer durch Wärmland unternahm, lernte vom Wagen aus die malerische Naturschönheit der heimathlichen Gegend schon in dem frühen Alter kennen, wo alle Eindrücke am tiefsten sind. Obschon lebhaft und fleissig bei seiner Arbeit, war er häufig vergesslich und zerstreut, in sein Buch oder in wache Träumereien verloren, oder er murmelte Monologe auf einsamen Wegen. Er las Poesien, Geschichtsbücher, vor allem Sagen, fand eine Sammlung solcher, die »Kämpadater« Björner's, und in dieser die Sage von Frithiof, dem Kühnen, welche gegen fünfundzwanzig Jahre in seiner Phantasie ruhte, ehe sie zu keimen begann.
Diese zwei Eindrücke, von Schwedens Natur und von den alten nordischen Mythen und Sagen, waren nicht getrennt; sie schmolzen zusammen, glitten in seiner jungen Seele in einander über. Oft war's ihm, wenn er auf dem Rücksitze von Branting's Wagen zwischen waldbedeckten Bergen, durch tiefe Thalstrecken, längs der grossen Gewässer, die das Land durchströmen, fuhr, als ob die Natur mit ihm um die Wette phantasirte. Romantische Landschaften gab's in den langen Sommertagen, wo Abend- und Morgenröthe in Eins zusammenflossen und der rosige Schimmer niemals vom Horizonte verschwand; eine altnordische Landschaft zur Winterzeit, wenn der Schnee hoch lag, wenn die Bächlein in langen Zapfen von den Felsen herunterhingen, und es dem Knaben vorkam, als sähe er im Mondlichte, das auf dem Schnee spielte, den Winter selbst in eigener Person als eine ungeheure Göttergestalt mit Schneegestöber im Bart und einem Kranz von Tannen auf dem Haupte.
»Die schwedische Poesie,« sagt Tegnér irgendwo, »ist und bleibt eine Naturpoesie im eigentlichen Sinne des Worts; denn sie liegt in unserer herrlichen Natur, in unseren Seen, Felsen und Wasserfällen«; und als er, kurz nach der Vollendung des Frithiof's, den Ursprung des Gedichts erklären will, führt er selbst, ausser seiner frühen vertrauten Bekanntschaft mit den altnordischen Sagen, den Umstand an, dass er in einem entlegenen Bergbezirk geboren und erzogen war, »wo die Natur selbst in grossen, aber wilden Formen dichtet, und wo die alten Götter noch leibhaftig in den Winternächten umherwandeln.« – »In solcher Umgebung,« fährt er fort, »völlig mir selbst überlassen, war es nicht sonderbar, dass ich eine gewisse Vorliebe für das Ungebändigte und Colossale fasste, welche mich nie vollständig verlassen hat.«
Und nicht nur den Inhalt, sondern zugleich die Grundform seiner, wie aller schwedischen Poesie hat Tegnér in reiferen Jahren auf die Eindrücke von Schwedens eigenartiger Natur zurückzuführen gesucht. Er erstaunt über die ausschliessliche Vorliebe für das Lyrische bei seinem Volke, über dessen Neigung, die ganze poetische Welt in wenigen Strophen zusammenzudrängen, und er fragt nach dem Grunde dieses Charakterzuges. »Liegt er nicht zum grössten Theile in der Natur selbst, die uns umgibt? Sind nicht die Gebirge mit ihren Thälern und Strömen die Lyrik der Natur, wie die mildere Ebene mit ihren ruhigen Flüssen ihr Epos ist? Viele unserer Berggegenden sind wirkliche Natur-Dithyramben, und der Mensch dichtet gern in derselben Tonart wie die Natur um ihn her.« Und, indem er mit Kühnheit die äusserste Consequenz seines Gedankens zu ziehen versucht, bricht er in die Fragen aus: »Geht nicht durch die ganze schwedische Geschichte ein lyrischer Zug? Sind nicht die hervorragendsten Repräsentanten unserer Nationaleigenthümlichkeit sowol in älterer wie in neuerer Zeit eher lyrische als epische Charaktere?« Er hat augenscheinlich an solche Geister, wie Schwedens grösste Könige und grösste Feldherren, und wol nicht am wenigsten an sich selbst gedacht.
Unzweifelhaft ist es, dass die Natur, die er um sich sah, ihn als Dichter weit mehr durch ihr phantastisches als durch ihr utilitarisches Element reizte. Ich sage mit Fleiss »als Dichter«; denn als Mensch hatte er ein gesundes, praktisches Interesse für die Nahrungsquellen und den Erwerb seines Volkes. Er hat aber nie das Volk in seiner Arbeit mit der Natur als Stoff gemalt. Es kommt in seinen Werken keine Scene vor, die eine Vorstellung von der grossen Grubenarbeit gibt, durch welche das schwedische Eisen an den Tag gebracht wird, er hat nie von dem abgehärteten Bergmann oder dem starken Schmied, nie von dem rauchenden, funkensprühenden Ofen in dem Schnee ein Bild gegeben; diese realistischen Eindrücke prallten von seiner romantischen (d. h. abstrahirenden und symbolisirenden) Phantasie zurück. Er sah nicht Schweden vor sich als die grosse Werkstatt der Nation; er sah Svea als Schildjungfrau, und das Eisen war ihm weniger die natürliche Reichthumsquelle des Landes als der breite Gürtel um ihr Mieder und das einst so starke Schwert in ihrer Hand.
Sehr bald entdeckte man, dass der begabte Knabe Anlagen besass, die es als wünschenswerth erscheinen liessen, ihm eine höhere Bildung zu verschaffen als die, wozu das Bureau des Voigtes Gelegenheit bot. Ein Gespräch während einer der Wagenfahrten bei Abend, wo der junge Esse, wie er genannt wurde, die religiösen Betrachtungen seines frommen Chefs über die Spuren von Gottes Allmacht im klaren Sternenhimmel mit einer Erklärung der Bewegungsgesetze beantwortete, die er aus einer populärphilosophischen Schrift geschöpft hatte und über welche der alte Mann in Erstaunen gerieth, gab, eigentümlich genug, den ersten Stoss dazu, dass Schritte gethan wurden, Esaias in die gelehrte Laufbahn zu bringen. Ein Instinct, der sich nie bei dem späteren Bischof verleugnete, liess ihn die rationelle Erklärung mit beiden Händen ergreifen und die theologische in all' den Fällen verwerfen, wo sie ihm überflüssig vorkam.
Unter der Anleitung seines älteren Bruders wurde er jetzt in Latein, Griechisch und Französisch eingeweiht und brachte sich selbst so viel Englisch bei, dass er den, gerade damals auf der Höhe seines Ruhmes stehenden Ossian lesen konnte. Wie das Füllen dem Pferde folgt, so begleitete er den Bruder nach dessen verschiedenen Hauslehrerstellen, und in der letzten Familie, in welche dieser als Lehrer einzog, fand Esaias, vierzehn Jahre alt, in der jüngsten Tochter des Hauses seine zukünftige Gattin. Gleich so manchem andern aufgeweckten Knaben vermied er die lärmenden Spiele seiner Kameraden, sass am liebsten in seiner Kammer in den Homer vertieft und musste mit Gewalt zu Schlittenpartien und Schlittschuhlaufen geholt werden, obwol er durchaus kein ungeschickter Läufer war. Im Jahre 1799 kam er auf die Universität nach Lund, beschäftigte sich mit alten Sprachen, Philosophie und Aesthetik und wurde 1802 nach der pathetischen Sitte des Landes als Magister der Philosophie mit Lorbeeren bekränzt. Von 1802-10 lebte er in Lund als wohlrenommirter junger Docent, 1810-25 hielt er stark besuchte Vorlesungen über die griechische Litteratur. Im Jahre 1812 wurde er nach schlechter schwedischer Sitte zur selben Zeit Professor und Pfarrer einiger Kirchspiele in der Nähe Lunds; 1826 endlich verliess er die kleine Universitätsstadt, um als Bischof in die ländliche Einsamkeit hinaus nach Vexiö zu ziehen.
Richten wir einen Blick auf den jungen Magister von Lund. Er sieht gut aus, blauäugig, rothwangig, mit gelben, krausen Haaren, kräftig gebaut, mit Anlage zum Starkwerden. Als Junggeselle ist er noch ein zurückgezogener, einsam lebender Grübler und Träumer; doch sobald er den Fuss unter eigenen Tisch gesetzt hat, erschliesst sich sein Geist und er zeigte sich als eine lebensfrohe, sprudelnde, im höchsten Grade gesellige Natur. Ein Kind der Welt, der einen guten Tisch und einen edlen Wein zu würdigen versteht, ein leicht zündender und keineswegs seraphischer Apollino, Verehrer aller weiblichen Schönheit; ein nicht brennender, sondern funkelnder Geist mit überlegenem und übermüthigem Witze, um seine conventionelle Würde ziemlich unbesorgt, aber darum nicht weniger verstehend, das Souveräne in seiner Persönlichkeit stolz genug zu behaupten: dies ist die Seite, die er der Aussenwelt zukehrt. Hinter dieser Aeusserlichkeit verbergen sich seine tieferen Anlagen. Diese sind theils dichterischer, theils oratorischer Natur: eine eigentümliche lyrische Begeisterung und eine eigentümliche Begabung des Styls.
Die lyrische Begeisterung Tegnér's offenbart sich früh als ein angeborener Hang zum Enthusiasmus für alles, was sich stark vom grauen und prosaischen Hintergrund des Alltagslebens abhebt; alle persönlichen Grossthaten, alle leuchtende Ehre, möge sie wie auch immer gewonnen sein: er wird von ihrem Strahlenglanz angezogen und schwärmt selbst für ihren Flitter. Ein starker Respect vor den grossen Namen der Geschichte, eine entschiedene Unlust, reducirende Verstandeskritik an einmal erworbenen Ruhm anzulegen, bilden einen der tiefsten und unveränderlichsten Züge seines Charakters. Es ist die ungewöhnliche Steigerung dieser Grundneigung, die ihn zum Dichten bringt; ja, sie ist es, die ihn zum Dichter macht. Um aber diese Neigung besser zu verstehen, müssen wir zu den Quellen seiner Begeisterung zurückgehen, prüfen, welche Ideale er sucht, vorfindet oder formt, sehen, in welcher Art von inneren Spiegelbildern er die Natureigenthümlichkeiten oder geistigen Eigenschaften objectivirt, die dem Besten in ihm selbst entsprechen. Er träumt nicht von Oehlenschläger's Aladdinsgestalt; dazu ist er weder naiv noch verwegen genug. Eben so wenig spiegelt er sich in einem Hamlet oder Faust; die Helden des Zweifels und des Gedankens sind viel zu abstract für seine kräftige Knabenphantasie; sie träumt von handfesteren Idealen. Noch weniger concentriren sich seine Vorstellungen um einen Manfredtypus; die Schuld lockt ihn nicht, und das Geheimnissvolle hat für seine offene Natur keinen Reiz. In idyllischen Verhältnissen und unter allgemeinem Wohlwollen in der kleinen Stadt, die er selbst »ein akademisches Dorf« genannt hat, erzogen und entwickelt, konnte er unmöglich in dem kosmopolitischen Posa-Pathos des lange unterdrückten Schiller's sich ergehen. Das Ideal, das sich langsam in seinem Gemüthe bildet, ist ein nationales und nordisch-romantisches Ideal.
Es ist ein lichtes Bild offener, vorwärts stürmender und umformender Kraft, halb kriegerisch, halb civilisatorisch. Es nimmt alle die Gestalten an, die Tegnér im Laufe der Jahre mit Vorliebe gezeichnet hat. Er hat z. B. in einer Universitätsrede Luther zu charakterisiren. Um dies zu thun, stellt er ihn unter den Gesichtspunkt, von welchem aus er die Männer der That zu betrachten pflegt. Zuerst hebt er hervor, dass Luther Allem, was er sprach und ausführte, den Stempel »übersprudelnder Kraft« aufdrückte:
»Es lag etwas Ritterliches, ja ich kann fast sagen Abenteuerliches in seinem Wesen, in seinem ganzen Unternehmen ... Seine That war wie eine ganze, sein Wort wie eine angefangene Feldschlacht. Er war eine der gewaltigen Seelen, die wie gewisse Bäume nur im Sturme blühen. Sein grosses, wunderreiches Leben kam mir allezeit vor wie ein Heldengedicht mit seinen Kämpfen und seinem endlichen Sieg.«
Man fühlt um so stärker die Natur des Redners aus dieser so einseitigen Charakteristik des vielseitigen Gegenstandes heraus, wenn man bemerkt, dass Tegnér hier Grundbestimmungen gegeben hat, die er einige Jahre später mit leicht veränderten Attributen fast Wort für Wort auf eine von Luther so verschiedene Persönlichkeit wie König Gustav III. von Schweden anwenden kann. Es bedarf kaum eines Beweises, dass es zwischen dem derben sächsischen Reformator und dem theatralischen, gallisirten und ungläubigen Monarchen kein anderes Band gab, als das, welches Tegnér's Bewunderung für beide schuf. Tegnér sagt von Gustav: »Er hatte in seinem Wesen nicht nur etwas Grosses, sondern zugleich etwas Ritterliches; die hohe Heldenkraft zeigte sich bei ihm nicht mit Schild und Schwert, sondern im leichtesten Gewande der Anmuth. Er war ein grosses romantisches Heldengedicht mit dessen Abenteuern und Verzauberungen, aber zugleich mit den zärtlichsten Ergüssen des Herzens und den üppigsten Spielen der Freude.«
Grösse, Kraft und abenteuerliche Romantik sind also die gemeinsamen Grundbestimmungen für Luther und Gustav; beide sind sie Ritter, und beider Leben kommt Tegnér wie ein romantisches Heldengedicht vor. Was konnte er anderes und mehr über Frithiof sagen; was hat er anderes in Wirklichkeit darüber gesagt, als er in seiner Selbstcharakteristik auf das Lebensfrische, Trotzige, Uebermüthige dieses Helden und dieses Heldengedichtes hinwies!
Hier «haben wir also die tiefste, festeste Grundlage, auf welcher seine Vorstellungen vom heroischen Ideale sich allmälig ablagern.
Es finden sich einige jugendlich unschuldige Oden aus dem sechzehnten Jahre Tegnér's, bei Gelegenheit des Gerüchtes von Bonaparte's Tode in Aegypten verfasst. Er verherrlicht in ihnen Bonaparte als den Helden der Freiheit, dessen Ehre nicht durch Blut und Thränen erkauft ist, der aber Aufklärung und Glückseligkeit der ganzen Welt bringen wird. Es ist ein Echo des Refrains der Humanitätsperiode, das von diesen Kinderlippen klingt. Sie riefen Napoleon ein kategorisches: »Lebe für die Menschheit oder falle!« zu. Der erwachsene Mann denkt darüber anders. In der grossen religiös-politisch-litterarischen Reaction gegen das Aufklärungszeitalter war die anti-gallische Hauptströmung, die Walter Scott und Oehlenschläger gewann, Tegnér völlig zuwider. Die Reaction schlug aber eine ästhetische Saite an, die mit seinem Naturell übereinstimmte. Das war ihre Geringschätzung des Nutzens als Maassstab für den Werth der That. Der auf die Spitze getriebene Utilitarianismus und die damit verbundene Philanthropie hatte sich ja gegen den Begriff des Ritterlichen und Abenteuerlichen gewandt.
»Der alte, ritterliche Traum,« sagt Tegnér, »von der Ehre der Völker wurde entweder geradeaus für ein Hirngespinnst erklärt oder auch für gleichbedeutend mit ihrem ökonomischen Wohlstand. In der Geschichte wurde alles wie in einem Geschäftscomptoir nach dem, was es eintrug, berechnet und ein Zuchthaus oder eine Dreschmaschine höher geschätzt, als Alexander's abenteuerlicher Zug nach Indien oder die unnützen Siege Karl's XII.«
Er übertreibt nicht; der arme Alexander der Grosse war in Schweden von einem begeisterten Aufklärer weit unter jenen Wohlthäter der Menschheit gestellt worden, der die billige und nahrhafte Braunschweiger Mumme erfand. Die jugendliche Vorstellung Tegnér's vom tugendhaften, nützlichen Helden wurde jetzt polemisch modificirt und in Uebereinstimmung gebracht mit dem Proteste der ganzen romantischen Geistesrichtung gegen die philiströse Sorge für menschliches Wohl als eine Hauptsache. Die moralische Betrachtung weicht der romantisch-metaphysischen Vergötterung des Schicksalshelden.
Was doch schmäht ihr mich ohn' Ende,
Ihr, des Augenblickes Scharen,
Willenlos, der Kraft beraubt?
Fangt den Schmetterling behende,
Aber lasst den Adler fahren
Frei um seiner Berge Haupt.
Fragt der Donner hergeschicket,
Fragt der Sturmwind, dessen Sausen
Rings die Erde hat gehört,
Ob auch Lilien sind zerknicket,
Ob im grünen Hain das Brausen
Auch ein liebend Paar gestört.
So heisst es im Gedichte »Der Held« (Mohnike's Uebersetzung) 1813. Diese Ansicht ist zwar weit entfernt, die definitive Tegnér's zu sein. Gewohnt, wie er war, zum Persönlichen wie zur höchsten Form des Daseins emporzusehen, konnte er nur gelegentlich und halbwegs aus Trotz sich so pantheistisch ausdrücken wie hier. Und als ein bewusst reflectirender Geist war er eher geneigt an das Unbewusste nicht zu glauben als es zu überschätzen, so hat er z. B. eine Menge polemischer Ausfälle der Lehre von einer blinden poetischen Inspiration gewidmet; so tiefe Wurzel hatte aber die Vorliebe für ein kriegerisches, sturm- und donnerartiges Vorwärtsstürmen in seinem Gemüth geschlagen, dass er nicht davor zurückscheute, ihr jenen verwegenen Ausdruck zu geben.
Noch stärker als in den verschiedenen Gedichten zur Ehre Napoleons spricht sich die Verachtung der materiellen Ausbeute als Resultat der Heldenthaten im Gedichte »Alexander am Hydaspes« aus. Der Dichter hat den Augenblick gewählt, als die erschöpften und ängstlichen Truppen den grossen Alexander anrufen, sie nicht tiefer in Asien hineinzuführen, sondern den Heereszug zurück nach der Heimath zu leiten. Der König antwortet höhnend: »Glaubt Ihr, dass ich als Jüngling von Macedoniens Gebirgen herunterstieg, um Euch Gold und Purpurgewänder zu verschaffen? Ehre such' ich, nur Ehre, und weiter nichts!« – eine Antwort, die an Schärfe und Präcision nichts zu wünschen übrig lässt. Die Geringschätzung von Menschenleben und Menschenglück wird bei dem hochbegabten und unverzagten Despoten als unbedingt berechtigt dargestellt.
Daher begreift man leicht, dass Karl XII., den das schwedische Volk mit Recht nie zu bewundern aufgehört hat, ein Held ohne Fehl für Tegnér werden konnte. Er legt ihm kaum zur Last, dass er mit all' seinen glänzenden Eigenschaften Schweden so tief von dessen europäischer Grossmachtshöhe hinabstürzte, dass es sich später nie wieder zu erheben vermochte. Es war kein Zufall, dass Tegnér unter allen Dichtern Schwedens derjenige wurde, welcher das herrliche Gedicht über den König schrieb, das, obwol nur als Gelegenheitsgedicht verfasst, der Nationalgesang Schwedens blieb. Das unnütze Sich-in-Gefahren-stürzen lockte immer seine Phantasie; die Halsstarrigkeit, die, mit dem Blicke auf einen selbstgeschriebenen Codex der Ehre geheftet, klug zu handeln verachtet, war in seinen Augen kaum ein Fehler, und die Gleichgültigkeit dafür, ob die That zum Siege oder zum Verderben führe, wenn sie nur leuchtete und lärmte, nach seiner Vorstellung eher eine Tugend.
Nordens Kraft ist Trotz, und Fallen
Gilt als Siegesruhm uns allen
lässt er in seinem Epos »Gerda« den Bischof Absalon sagen.
Die Umsicht des Staatsmannes und des Gesetzgebers begeisterte ihn nicht; aber er liebte den königlichen Jüngling »vor dessen Wort des Staatsmanns Netze zerrissen« (Tegnér's »Karl XII.«); die lange voraus erwogenen Pläne des Feldherrn schienen ihm nicht das rechte Zeugniss des kriegerischen Genies; aber er bewunderte über alle Maassen die augenblickliche Eingebung auf dem Schlachtfelde und den ungestümen Muth, der ihr folgte.
Man sieht das, wo Tegnér eine von Karl XII. so verschiedene und ihm so überlegene Grösse wie den Retter des Protestantismus, Gustav Adolf, schildert. Was er an ihm preist, sind nicht so sehr seine Verdienste als Politiker und Heerführer, als vielmehr die Eigenschaften, die ihn so viel wie möglich in gerade Linie mit einem Soldatengeneral wie Karl XII. stellen. Er verweilt mit Begeisterung bei »den plötzlichen und blitzartigen Einfällen auf dem Schlachtfelde«, die ihn »wie jedes andere kriegerische Genie« auszeichneten. Er lobt Gustav, dass er die Gefahr um ihrer selbst wegen liebte, und sich freute, mit dem Tode zu spielen. Kurz, er hält den engen altnordischen Maassstab der Männlichkeit fest und strebt ihn selbst in den Fällen anzulegen, wo er von der wirklichen Grösse weit überragt wird. Er betrachtet es z. B. halbwegs als schmählich für Wallenstein, dass er (aus guten Gründen) der Schlacht auswich, die Gustav, »sein ritterlicher Gegner« ihm bei Nürnberg anbot.
Was nun diesem Tegnér'schen Ideale die letzte Retouche gibt, das ist die Offenheit, die er von seinem Helden fordert. Seine eigene, ehrliche und derbe Natur spiegelt sich darin ab. Von Wallenstein sagt er, dass man ihn einen grossen Mann genannt haben würde, »wenn er edel und offen gewesen wäre.« Edelmuth ist nicht genug, Offenheit wird nicht weniger gefordert. Die alten nordischen Berserker warfen in ihrer kriegerischen Hitze die Schilder auf den Rücken; Tegnér fand an dieser Kampfesweise so viel Gefallen, dass er sie auch auf das geistige Feld gern überführt sah. Ja, die Offenheit scheint ihm sogar eine Art Bürgschaft für die edle Denkweise und liegt ihm mehr am Herzen als jene; denn in der herabsetzenden Charakteristik, die er von Wallenstein gibt, betont er am stärksten sein düsteres, zugeknöpftes Wesen, ohne ihm eigentlich unedle Züge vorzuwerfen. Ihm gegenüber stellt er dann Gustav Adolf auf als die lichte und freimüthige Natur, mit einer Offenheit ausgestattet, die unzweifelhafter bei Tegnér als bei dem in der Regel verschlossenen und wenig zugänglichen König war.
So empfängt jede Gestalt, die Tegnér besingt oder schildert, einen kleinen Druck, der sie in die Form des ihm vorschwebenden Heldenideals hineinpresst.
Innig mit der lyrischen Begeisterung bei Tegnér vereinigt ist nun die ergänzende Fähigkeit, die ihn witzig im geselligen Verkehr, glücklich im Epigramm und Impromptu, hervorragend als Professor, ausgezeichnet als Briefschreiber, Redner und Prediger macht, und gross vor allem in der versificirten, dichterisch bewegten und geformten Rede; eine Fähigkeit, die nicht ohne Weiteres eine Anlage zur Rhetorik genannt werden kann, aber die ich vorläufig, wenn auch nur undeutlich, als das Geistreiche bei ihm bezeichnen möchte. Sein Geist war nicht der französische Esprit. Dieser ist in seiner eigenthümlichsten Form bei Voltaire reiner, bildloser Verstand. Der Esprit Tegnér's erging sich dagegen fortwährend in Bilder. Er dachte in Bildern, deshalb sprach er in Bildern. Die Gabe des abstracten Denkens fehlte ihm, ja ging ihm so vollständig ab, dass er nicht einmal bei andern an ihre Resultate glaubte: die Metaphysik war ihm ein Greuel als ein Hirngespinnst, dessen Fäden er nicht zu unterscheiden vermochte, die Dogmatik war sein Schrecken als ein Bund Absurditäten, aus denen er keinen Verstand herausfinden könne. Und er hatte einen guten, gesunden, selbstvertrauensvollen Verstand, der instinctmässig alle Dunkelheit des Denkens und der Rede verabscheute. Er hatte einen so lebhaften Trieb, sich alles, was er dachte und fühlte, anschaulich zu machen, dass sich unaufhörlich Bild auf Bild bei ihm drängte. Dies war es, was seiner Rede das elektrisch Funkelnde und Blitzende gab, von welchem die Zeitgenossen so stark ergriffen wurden; was seinen Briefstyl so unterhaltend machte und unwillige Kritiker veranlasste, seine Dichtungen mit prachtvoll bunten, inhaltslosen Seifenblasen zu vergleichen; dies endlich machte ihn witzig, denn es gibt eine Art von Witz, die auf dem überraschenden Aufeinanderplatzen neuer Bilder beruht. Dies Geistreiche möchte ich die Fruchtbarkeit der Form nennen. Die Stimmung, in welche die geistige Productivität ihn versetzte, sprosste und blühte jeden Augenblick; sie konnte nur ausnahmsweise grosse, durchgeführte Gestalten oder einfache, von wenigen Hauptlinien geformte Bilder entwerfen, aber sie brachte unaufhörlich Miniaturbilder hervor, die antithetisch oder contrastirend gegen einander standen, in einander überglitten, vereinigt wurden und sich fortpflanzten. Revolverartig war sein Gemüth mit Einfällen geladen, und sie folgten sich, Schuss auf Schuss gegen denselben Punkt gerichtet, treffend, aber einander verdrängend. Der Gedanke und das Bild waren in seinem Gemüthe nicht getrennt; sie wurden auch nicht zusammengesucht, wie seine Gegner es geglaubt und behauptet haben. Und doch waren sie nicht wie bei den grössten Dichtern ohne weiteres Eins.
In seiner Einbildungskraft verhielt sich der Gedanke zum Bilde ungefähr, wie sich sie Anfangsbuchstaben in alten Mönchsmanuscripten zu den Miniaturmalereien verhalten, welche mit ihnen verflochten und um sie herum ausgeführt sind. Man denke sich ein Manuscript, in welchem nicht nur einzelne, sondern die überwiegende Mehrzahl von Hauptschriftzeichen auf solche Weise malerisch verziert sind, und man wird eine Art Vorstellung von den Reihen übereinstimmender Ideen- und Bilderassociationen erhalten, welche Tegnér's Gehirn unaufhörlich erzeugte. Oder man erinnere sich einer jener Statuetten aus der beginnenden italienischen Renaissance, wo der Künstler zu seinem Vergnügen am grösseren Standbild kleine Bilder ausgeführt hat, wo er z. B. auf dem von Goliath's Haupt gefallenen Helm, welcher vor den Füssen David's liegt, ein kleines Basrelief von einer Quadriga im Galopp ciselirt hat, das zwar einen Theil des Ganzen bildet, aber durch den losen Zusammenhang damit und durch den selbständigen Anspruch auf Beachtung das Interesse zersplittert. Man denke sich ein dichterisches Gemüth, in welchem die Vorstellungen solche kleine Basreliefs bilden, und einen Vortrag, der diese noch obendrein colorirt, so macht man sich eine annähernd richtige Idee von der Weise Tegnér's, seine dichterische Motive auszuführen. Sein Styl ist eine Art chromatischer Architektur und Sculptur und hat die anziehenden und abstossenden Eigenschaften derselben. Die farbige Bildhauerkunst kommt in unseren Tagen manchem wie reine Barbarei vor, und doch haben die Griechen sie angewandt und nie ganz aufgegeben. Sie kann nicht ungriechisch genannt werden und erscheint doch den meisten jetzt Lebenden geschmacklos und veraltet. Die Gedichte und Reden, in welchen Tegnér's eigenthümliche Manier am stärksten und deutlichsten hervortritt, könnte man mit jenen griechischen oder römischen Statuen vergleichen, die eben so wol durch äussere Pracht wie durch ideelle Schönheit wirkten. Die Göttin hatte goldene Ketten um den Hals, schöne lange Schleier und Ohrringe; sie besass eine völlige Garderobe und einen vollständigen Juwelenschrein. Ebenso haben bei Tegnér der Goldschmied und der Künstler zusammen gearbeitet. Oft mit Erfolg, und das Resultat ist ein anziehendes Ganzes geworden, das nur ein Pedant oder Doctrinär verwerfen könnte. Nicht selten jedoch so, dass das Resultat eine recht starke Uebertreibung geworden ist. Ein Pamphletist der damaligen Zeit (der witzige Palmär) tadelte diese einmal mit Worten, die in das Gleichniss, das ich eben gebrauchte, hineinpassen: »Grüsse deine Muse,« sagt er, »und bitte sie, sich nicht mit Metaphern zu überlasten, wie sie es pflegt. Diese Juwelen müssen, selbst wenn sie echt sind, mit Maas getragen werden. Lass sie sich die Schmucksachen um den Hals anlegen, in die Ohren und an die Finger, wenn du willst, aber – an die Zehe – pfui Teufel!«
Ich kann mich genauer durch Beispiele erklären. Maria in »Axel« beschliesst, dem russischen Heere verkleidet als Soldat zu folgen:
Ein Kriegerhut
Verbirgt der schwarzen Locken Fluth.
Den Busen eng ein Koller hüllet,
Pulver und Blei den Ränzel füllet,
Und um die Schulter hängt sie her
Des Todes Sehrohr, ein Gewehr.
Der Ausdruck »des Todes Sehrohr« für den Büchsenlauf ist malerisch und insofern nicht übel; aber das Bild gehört nichts desto weniger eigentlich nicht hier her; es hat nicht nur nichts mit Maria's Gestalt zu thun, sondern es entspricht ausserdem nur einem Gewehr im allgemeinen, nicht dem Gewehr um ihre Schulter; denn dieses würde kaum einen Schweden tödten. Auf mich wirkt dieses Bild, als sähe ich am Rande des Textes eine sorgfältig ausgeführte Miniatur von dem unheimlichen Gerippe, das mit der Hand, welche die Sense frei gelassen hat, zielend die Büchse an's Auge legt.
In den »Abendmahlskindern« bittet der alte Pfarrer seine Confirmanden, Gebet und Unschuld zu Führern ihres Lebens zu wählen. Beide werden gleich mit ein paar Strichen personificirt, und dann wird das Bild zu einem kleinen biblischen Relief ausciselirt, der Art wie man sie in Italien an den Broncethüren von Kirchen und Baptisterien sieht:
Unschuld, Kinder, sie ist ein Gast aus seligern Welten,
Schön mit der Lilj' in der Hand – auf den brausenden Wellen des Lebens
Schwankt sie getrost, sie bemerket sie nicht, sie schlummert im Schiffe.
Oder man nehme ein Beispiel aus Tegnér's Briefstyl. Er eifert (1817) gegen die europäische Reaction: »Blick' auf die Zeichen der Zeit gen Nord und Süd! Weisst du eine Niedrigkeit, eine Barbarei, ein wahnsinniges Vorurtheil, dessen Wiedergeburt sie nicht verheissen? Die Schlange der Zeit häutet sich oft; aber widerwärtiger als jetzt, gerade jetzt, war sie nie, so weit die Geschichte zurückgeht, zischte sie auch lauter Psalme, und wäre ihr Rücken auch mit Bibelsprüchen so übermalt wie ein Grabstein.« Liegt nicht in diesem energischen, aber vollkommen unaffectirten Streben nach Anschaulichkeit etwas, was an chromatische Sculptur erinnert? Erblickt man nicht förmlich die Schlange der Zeit vor sich mit rothen Conturen, und nimmt sich nicht ihr mit wunderlichen Ziffern bedeckter Rücken aus wie das Bild eines mit Hieroglyphen oder Keilinschriften bedeckten Gottes in Thiergestalt an einer alten assyrischen oder ägyptischen Wand? Und wenn man endlich die Gleichnisse liest, mit welchen Tegnér in »Frithiof« Frauenschönheit zu malen versucht, versteht man dann nicht, warum ich an den harten Metallglanz der Farben an einem antiken Idole erinnerte?
O wie doch Gerda's Wange lacht,
Gleich frischem Schnee in Nordscheinpracht.
Ich kenne Wangen, wenn sie blühen,
Zugleich zwei Morgenröthen glühen.
Es wäre ungerecht, diese letzte Strophe als adäquates Beispiel von Tegnér's malerischem Verfahren anzuführen; aber es liegt auch darin etwas Typisches. Die meisten der Gleichnisse, welche die Phantasie Tegnér's hervorbringt, kommen mir durch ihren, die Natur weit überschreitenden Glanz ungefähr so vor wie das Bild, das er seine Ingeborg von Frithiof s Falken weben lässt:
Ihm auf der Hand
Wirk' ich dich hier in des Teppiches Rand,
Silbern die Schwingen zu schauen,
Golden die Klauen.
Etwas Conventionelles und Steifes lässt sich bei einer Vorliebe dieser Art schwerlich vermeiden. Die Neigung, jeden Begriff in ein Bild zu verwandeln, verleitet in uninspirirten Augenblicken Tegnér zum gewohnheitsmässigen Benutzen einmal angewandter Gleichnisse, die dann fast stereotyp zurückkehren. So hat er (um nur bei den Vögeln zu bleiben) ein paar Vogelgestalten, welche er unermüdlich anbringt: den Adler, die Nachtigall, die Taube. Sie stehen als Aequivalente für Kraft, Poesie und Frömmigkeit. Der Adler hat, so verwendet, bei Tegnér nicht mehr von der Natur des wirklichen Adlers behalten, als die Adler, welche fürstliche Wappen schmücken; Tegnér's Adler ist ein rein heraldischer. Man kann in seinen Gedichten Zeilen finden wie diese: »Die arme Psyche, wie sie auch fliegt, ist auf der Erde ein Adler mit Schmetterlingsflügeln,« oder Gleichnisse wie folgende von einer schön singenden Dame: »Sie hatte eine Nachtigall im Halse, und eine schneeweisse Taube sass Nacht und Tag in ihrem Herzen.« Ein Adler mit Schmetterlingsflügeln ist ein zu naturwidriges Geschöpf, und wenn die Nachtigall in einem weiblichen Halse fest angebracht wird, trägt sie nicht eben dazu bei, die Anschaulichkeit zu vermehren.
Er hat selbst in seiner Antrittsrede in die schwedische Akademie die Bildersprache vertheidigt. Er betont den Zweck der Poesie, der Einbildungskraft Erscheinungen, nicht Begriffe, zu bieten, und das Wesen der Sprache, eine Galerie verblichener Bilder zu sein, welche der Dichter nothwendig auffrischen muss. Er hat hierin durchaus nicht Unrecht, hätte sich aber zu Herzen nehmen sollen, was die griechische Dichterin Corinna einst zu Pindar sagte, das grundhellenische Wort, »dass man mit der Hand und nicht mit dem Sacke säen solle«. Zum Glück für ihn war der Grundmangel seiner schöpferischen Begabung, die eigenthümliche Mischung von Armuth und Verschwendung so populärer Natur, dass sie in seinem Lande und zu seiner Zeit ihm den Weg zum Ruhm eher ebnete als versperrte.
Tegnér wurde um die Mitte von Gustav's III. Regierungszeit geboren. Der Königsmord wurde begangen, als er zehn Jahre alt war; er, der in späteren Jahren sich so gern einen Gustavianer nannte, hatte folglich nur Kindheitserinnerungen von jenem Zeitalter und keine anderen persönlichen Eindrücke von Gustav's Wesen, als die aus zweiter Hand durch eine verschönernde oder idealisirende Legende. Und selbst einer solchen bedurfte es kaum, um jene Periode als eine Glanzzeit erscheinen zu lassen im Vergleich mit der bleiernen Zeit, die ihr folgte. Gustav III. war eine energische Persönlichkeit, mit ausgezeichneten Anlagen, ungewöhnlichen Tugenden und glänzenden Lastern; ein eitler Despot, aber ein aufgeklärter Geist, einer der vielen gekrönten Voltairianer des 18. Jahrhunderts, abergläubisch und freidenkerisch, frivol und geistreich, in kleinen Sachen kleinlich, aber mit Zügen wahrer Grösse, tapfer, grossmüthig, ein Theaterheld mit wirklichem Muth in der Brust. Er zog sein Leben lang durch die Magie seines Geistes alle litterarisch begabten Männer seines Landes an, besonders die Dichter, welche in ihm einen Collegen sahen; keiner von ihnen konnte sich einer so ausgeprägt dramatischen Begabung rühmen, als er sie besass. So kam es, dass er auf lange Zeit den Sitten, den Gesprächsformen, der Litteratur das Gepräge der feingebildeten, leichtfrivolen Bildung aufdrückte, und es ist der Conversationston aus seinen Tagen, der noch unter Karl Johann den Briefen Tegnér's ihre Anmuth und ihren Schwung verleiht. Seine Gestalt war in der Geschichte stehen geblieben, wie eine tüchtige Statue von Bernini; manierirt, coquett, affectirt, wenn man so will, mit windig brausendem Faltenwurf, aber die Haltung war kühn und der Eindruck bedeutend; das konnte man nicht leugnen, wie wenig die Figur auch einem zusagen möchte. Und was war nach ihm gekommen? Zuerst die Vormundsregierung unter dem Bruder Gustav's, dem Herzog von Södermanland, welche den Zeitraum von Tegnér's zehntem bis zu seinem vierzehnten Jahre umfasst. Der Regent, ein im Dienste der Venus früh ergrauter Schwachkopf, zur Beute jeder Phryne und jedes Cagliostro geschaffen, wurde von seinem Günstlinge Reuterholm, dem Typus brutaler und unfähiger Herrschsucht, vollständig beherrscht. Nicht aus Freiheitsliebe, sondern um indirect einen Tadel gegen den ermordeten König auszusprechen, führten diese gedankenlosen Männer Pressfreiheit in Schweden ein, und ohne Vorbereitung oder Uebergang strömten nun alle die Brandschriften der französischen Revolution in das Land hinein. Auf die lange Unwissenheit über das, was in Frankreich und Europa vor sich ging, folgte jetzt ein empörter und unreifer Freiheitsenthusiasmus. Unter Gustav war das Wort Republikaner noch mit dem Worte Philosoph gleichbedeutend gewesen, und ein Hofmann, wie Rosenstein, konnte noch im Jahre 1789 dem König seinen Neffen mit den Worten empfehlen, dass der junge Mann wol von der republikanischen Denkart angesteckt sei, dass aber diese, innerhalb der gebührenden Grenzen gehalten, »die Liebe zum König, zum Vaterland und zur Ehre nur steigere.« Jetzt erhielt das Wort, der Erbärmlichkeit auf dem Throne gegenüber, einen genaueren Sinn. Mit Spannung folgte man dem Vertheidigungskriege der französischen Republik; ihr Sieg war für die öffentliche Stimmung entscheidend, die friedlichen Kleinstädter Schwedens sprachen im selben Tone wie die äusserste Linke des französischen Convents.
Kaum war das Unglück geschehen, als das ein halbes Jahr früher mit so viel falschem Pathos erlassene Pressfreiheitsgesetz aufgehoben und durch ganz Schweden Jagd auf den Jacobinismus gemacht wurde; selbst die loyale schwedische Akademie wurde, weil sie den völlig ungebildeten Günstling des Regenten bei der Wahl überging, als Jacobinerclub behandelt und geschlossen.
Eine Niedrigkeit der schlimmsten Art liess die Verachtung ihren höchsten Grad erreichen. Die Verschwörung Armfelt's, des schwedischen Alkibiades, war entdeckt worden, und der Herzog-Regent versuchte bei dieser Gelegenheit das junge schöne Fräulein Rudenskjöld, eine der Zierden des Hofes, für die Hartnäckigkeit grausam büssen zu lassen, mit welcher sie die galanten Anträge des bejahrten, verheiratheten Lüstlings abgewiesen hatte. Aufgefangene Briefe lieferten den Beweis, dass sie Armfelt's Geliebte gewesen, sie wurde verhaftet und der Mitschuld angeklagt; als aber der Herzog durch seinen Kanzler gerichtlich beanspruchte, dass sie wegen Unsittlichkeit auf öffentlichem Markte gepeitscht werden sollte, drückte ihm die Erbitterung des Volkes ein so tiefes Brandmal auf, dass weder die Zeit es tilgen, noch die weissen Haare des Alters es decken, ja nicht einmal die, aus Klugheit kindliche, Haltung Bernadotte's dem späteren Carl XIII. gegenüber, es in Vergessenheit bringen konnte.
Während all dieses sich ereignete, war Tegnér noch zu jung, um es miterleben oder verstehen zu können. Aber die Nachwirkungen in seinem Gemüthe waren tief und stark. Kein entlegener Winkel auf dem Lande lag so fern, dass nicht Funken vom Revolutionskrater dahin stoben; kein aufgeweckter Junge ging in dem Maasse in seine Lectionen auf, dass er nicht Ausbrüche von Verachtung über Hof und Regierung hörte und sich das Seine dabei dachte. Die verfolgte »Aufklärung« wurde ein magisches, ein theures Wort für den Jüngling. Die schwedische Akademie, die unter anderen Umständen leicht ein Gegenstand seines Unwillens hätte werden können, schon als Akademie, als officielle und altmodische Vergoldungsanstalt der Mittelmässigkeit, erschien ihm früh ehrwürdig schön, als eine Ritterwacht des Lichts, die einmal ihre Probe bestanden hatte. Der herrschende Revolutionsgeist, der Tegnér's harmonische Seele nicht hinzureissen vermochte, leitete ihn zum bedingten Royalismus, der sich überall in seinen Schriften kundgibt. Er war königlich gesinnt, wenn der König des Thrones würdig war, sonst nicht.
Im Jahre 1796 war die vormundschaftliche Regierung zu Ende, und von da bis 1809 (d. h. von Tegnér's vierzehnten bis zu seinem siebenundzwanzigsten Jahre) folgte als König Gustav IV. Adolf. Pedantisch-ehrbar, steif-ernst, streng-sparsam, wie er war, musste er bei seinem ersten Auftreten einen wohlthuenden Gegensatz zu seinem Oheim bilden. Aber bald zeigte es sich, dass diese junge Erscheinung völlig unnational sei. Es war eher eine spanische als eine schwedische Physiognomie. Gustav IV. hat einen hohen Grad von Aehnlichkeit mit dem Typus spanischer Decadence-Regenten, deren Wesen sich nach dem grossen, traurigen Schatten Philipp's II. formte, der so lange nach seinem Tode noch immer Madrid beherrschte. Dasselbe kleinliche Hangen an der Etiquette, derselbe düstere Hochmuth, dieselbe linkische Steifheit, dieselbe melancholische Religiosität unter fanatischem Glauben an das Königthum von Gottes Gnaden. Der Hof, der zehn Jahre früher sich wie ein festliches Gemälde von Watteau ausgenommen hatte, war nun so still und ceremoniell, wie der spanische unter Carl II., und selbst der grosse Philipp konnte ein Vergehen gegen die Majestät nicht strenger bestrafen, als Gustav die Schuld, auf der Strasse den Hut nicht vor ihm gezogen zu haben. Er hatte an Rosenstein einen freisinnigen und vortrefflichen Erzieher gehabt. Gustav III. liess den ehrenhaften Lehrer walten. »Rosenstein,« sagte er, »mag immerhin meinen Sohn zum Philosophen erziehen; er wird schon Royalist, sobald er König wird.« Der Vater that selbstverständlich nichts dafür, ihm den hartnäckigen Offenbarungsglauben beizubringen, der ihn Prophezeihungen über sein Schicksal in der Apokalypse lesen liess. Aber die Reaction, die bei dem Wechsel des Jahrhunderts überall in der Luft lag, kam wie auf Schleichwegen und umspannte das Gemüth des Kronprinzen. Die Frivolität des Vaters hat wol abschreckend gewirkt und den ersten Stoss nach rückwärts gegeben; die Ermordung des Vaters gab den zweiten. Bald ging er in majestätischem Selbstgefühl weiter, als irgend ein Bourbon. Er verbot den Zeitungen das Pronomen »Wir« in solchen Wendungen zu gebrauchen wie: »Wir erwarten mit Ungeduld Nachrichten, wir haben hier strengen Winter,« weil dieses ihm wie ein Eingriff vorkam in jenes königliche Prärogativ, welches »Pluralis majestatis« genannt wird. Er liess alle erscheinenden Schriften aufs genaueste untersuchen und hegte persönlich einen so grossen Abscheu vor Büchern, dass er seine Freude äusserte, wenn er hörte, dass eine Buchdruckerei eingegangen war. Selbst las er niemals anderes, als die Bibel und das Exercirreglement.
So war der König beschaffen, der in seinem thörichten Krieg gegen Napoleon nicht rastete, bis er Stralsund und Rügen verloren hatte, und dessen wahnsinniger Krieg gegen Russland dazu führte, dass ein russisches Heer (1808) definitiv ganz Finnland eroberte. Runeberg hat in seinem Gedichte »Der König« in »Fänrik Stål« ihm das Denkmal gesetzt, das er verdiente. 1809 zwangen ihn ein paar beherzte Officiere, dem Thron zu entsagen. Der Herzog von Södermanland folgte ihm als Carl XIII., und als dessen Adoptivsohn bald hernach starb, geschah es, dass die unrichtige Vorstellung, Napoleon zum Gefallen zu handeln, und die illusorische Hoffnung, dadurch Finnland zurückzugewinnen, die französische Partei in Schweden Bernadotte zum Kronprinzen wählen liess. Seine Gestalt trat aus dem dunkeln Hintergrund der Schatten seiner Vorgänger mit Glanz hervor. Während eines Zeitraumes von dreiunddreissig Jahren leitete der berühmte Feldherr Schwedens Politik, und dieser König, dessen Regierungszeit mit den kräftigsten Jahren Tegnér's zusammenfällt, theilt mit ihm die Ehre, der Generation, die er beherrschte, den Namen gegeben zu haben. Der Zeitraum von 1810 bis 1840 ist Carl Johann's und Tegnér's.
Dies sind die Bilder der Regenten, welche damals nach einander Schweden ihre Physiognomien aufdrückten und deren Profile auf die Münzen geprägt wurden, welche durch die Finger Tegnér's glitten, während er Kind, Schreiber, Student und Magister war.
Tegnér ist Docent an der Universität zu Lund, 22 Jahre alt, und er verbringt seine Sommerferien auf dem Gute Rämen bei der Familie Myhrmann, mit deren jüngster Tochter Anna er verlobt ist. Hierhin kommt eines Tages im September zum Besuch der gleichaltrige, später so berühmte Geschichtsschreiber und Dichter Erik Gustav Geijer; beladen mit der neuesten Weisheit des Tages und überströmend von jugendlichem Drang, sich mitzutheilen und Ideen zu erörtern, macht er den einen Versuch nach dem anderen sich Tegnér zu nähern. Aber er kann nicht recht den gemeinsamen Boden finden. Der schlanke und blonde Schwiegersohn des Hauses ist unstät und voller Launen, ein verliebter Träumer, ein lachlustiger Spötter. Es glimmt in seinen Augen und es blitzt aus seinen Worten. Man kennt so wenig den Gang seiner Gedanken, wie den Weg des Sonnenstrahls durch das Laub. Die zwei jungen Leute gehen zusammen spazieren und discutiren unterwegs. Wir können sie sprechen hören. Der, welcher das Wort führt, ist Geijer:
»Was Tegnér wol über die Volksbildung in dieser Gegend meine? ob er nicht auch glaube, dass alle sogenannte Volksaufklärung vom Uebel sei? Er, Geijer, sehe die ›gesunde Vernunft‹ der Massen für das unglücklichste Blendwerk an, das zu verehren Jemandem einfallen könnte. Nur die auserwählten der Menschheit hätten den höheren Sinn, der die Wissenschaft in ihrer Wahrheit aufzufassen vermöge. Ob das nicht auch die Meinung des Herrn Docenten sei?«
»Nein, das meine er nicht, das nenne er Mystik.«
»Mystik! was verstehe er unter Mystik?«
»Nun, sich auf den Rücken zu legen, ein Schläfchen zu machen und sich von der Kraft des Höchsten beschatten zu lassen.«
»Ernst gesprochen – nehme er keine intellectuelle Anschauung an?«
»Nein, er sei nicht für Deutschthümelei – destomehr aber für Blaubeeren«; und gerade hier wuchsen einige ausgezeichnete, in deren Genuss er sich gründlich vertiefte. »Er zweifle übrigens nicht, dass Geijer all das besser verstehe, habe ihn auch immer ein Genie nennen hören, und dergleichen Leute könnten sich schon mit der Philosophie einlassen. Er dagegen, welcher von sich selbst wisse, dass nicht mehr Vernunft als er unumgänglich bedürfe, um durch die Welt zu kommen, in sein Loos gefallen sei, spiele nicht gern anders Blindekuh als mit jungen hübschen Mädchen, höchst ungern mit so gelehrten Herrn wie Kant oder Schelling.«
»Aber ohne Mysterium und ohne Mystik keine Religion.«
»Ob Geijer die Facultät in Lund anerkenne oder nicht? Diese ehrwürdige Pedantengesellschaft habe ihm, Tegnér, das wohlverdiente Zeugniss ausgestellt, dass er ein stilles und ›gottesfürchtiges‹ Leben geführt, etwas, das in diesen letzten Zeiten selten genug sei. Was dagegen das zur Seligkeit so höchst nothwendige Dogma von der Dreieinigkeit angehe, so liege das völlig über seinem intellectuellen Horizont.«
»Trotzdem lasse es sich doch sehr gut erklären. Es liege kein Widerspruch im Begriffe der Dreieinigkeit; denn der Gegensatz setze schon die Einheit voraus. Gott als das absolute Wesen werde nicht, sondern sei von Ewigkeit her, und sei doch im Werden begriffen, denn er schaffe Alles und sei in Allem. Dieser Widerspruch werde einfach dadurch aufgelöst, dass die, welche sich gegenseitig voraussetzen, in Wirklichkeit Eins seien; der Versöhner und der Vater seien speculativ aufgefasst, Eins obwol nicht Einer ... sei das nicht jedem edelgeborenen Gemüthe klar?«
Tegnér, der ganz verloren im Anblick einer hüpfenden Bachstelze dastand, antwortete zerstreut, dass er angeborene Adelsprivilegien nicht anerkenne.
»In welchem Sinne nicht? Im Staate sei Geijer im höchsten Grade für erblichen Adel.«
»Und ich,« antwortete sein Gegner, den Mund voll Blaubeeren, »ich war von Kind auf ein Stück von einem Jacobiner.«
Das Wort hatte, wie schon angedeutet, eine weniger Schrecken einjagende Bedeutung in Schweden als in Frankreich, abgesehen davon, dass es in Tegnér's Mund halb Scherz war. Aber im Scherz lag der Ernst, dass er zu den aufrichtigen Freunden der Freiheit im Staatsleben und im Denken gehöre, welche die Blutthaten der Revolution nicht eingeschüchtert hatten. Mit wirklichem Abscheu verspürte er im Anfang des Jahrhunderts den Einmarsch der politisch-religiösen Reaction in Schweden vom Süden her, und es war ein noch nicht einberufener Soldat vom Heere der Aufklärungscivilisation, der hier auf einen der ersten und am weitesten vorgeschobenen Vorposten des romantischen Feudalismus stiess.
Tegnér kam früh genug zur Welt, um (gleich all' den hervorragenden Männern Europa's, deren Jugend in das Ende des achtzehnten Jahrhunderts fällt) in's Leben hinauszusteuern, die Segel geschwellt von dem grossen kosmopolitischen Freiheitswind, der damals über die Erde ging. Seine früheste Lectüre waren natürlicherweise die Gustavianischen Classiker Schwedens, welche in philosophischer Hinsicht auf Locke, in allgemein litterarischer auf Voltaire fussten. Sowol Kellgren wie Leopold waren Voltairianer, und beide waren politisch freisinnige Männer, die auch nicht bei Hofe ihre Ueberzeugung verleugneten. Sie hüteten sich, die religiösen Gefühle der Menge durch Spöttereien zu verletzen; aber sie bewahrten und verfochten mit Glanz die Traditionen des Jahrhunderts. Das satirische Gedicht »Die Feinde des Lichts« von Kellgren war eine Fahne. In derselben Richtung wie die Poesien dieser Männer, nur mehr dichterisch befruchtend, hat Schiller auf den jungen Tegnér gewirkt. An der Grenze der Jünglingsjahre besingt er, wie Schiller, die Aufklärung in einem Gedichte über Rousseau, und schreibt reflectirende Verse über Gegenstände wie die Religion, die Cultur, die Toleranz, im Geiste der Zeit.
Weder Familienüberlieferung noch Erziehung leitete den Pfarrerssohn zur Opposition gegen den christlichen Dogmatismus. Er empfing wie all seine aufgeweckten Altersgenossen schon fast als Knabe die kalte Douche Voltaire's. Sechzehn Jahre alt, schreibt er: »Ich lese jetzt Voltaire; aber sehe nicht, wie ich auch nur das Wichtigste und Nothwendigste zu Ende lesen kann. Alles ist vortrefflich, und es ist schwierig, unter so vielem Schönen zu wählen.« Die meisten seiner Zeitgenossen liessen sich aber mit ähnlichen Voraussetzungen schnell vom veränderten Zeitgeiste zum äussersten religiösen Conservatismus führen. Dazu war Tegnér zu ehrlich und zu gross. Was ihn in religiöser Hinsicht dagegen sicherte, seine Selbständigkeit zu verlieren, war das kräftige, von ihm selbst so genannte heidnische Element seiner Natur, das durch den soliden Bau und die gediegene Festigkeit seines Wesens bedingt war. Von doppelter Art waren die Männer rings um ihn her, welche die Reaction gegen das achtzehnte Jahrhundert so stark mit sich fortriss, dass sie dadurch zur Orthodoxie und zum Feudalismus geführt wurden. Theils waren es Schriftsteller, deren Naturen darauf angelegt waren, in Stimmungen die mittelalterliche Gefühlsscala zu durchlaufen, das heisst – mehr in der Phantasie als in Wirklichkeit – in Zerknirschung und Selbstverachtung zusammenzubrechen, um sich durch den übernatürlichen Beistand der Gnade zur Seligkeit zu erheben; diese zeichneten sich in der Poesie durch nervöse Ueberreizung in allen Formen aus: durch mystisch-platonische Andacht, schluchzende Melancholie, intensiv-sinnlichen Erotismus, abschreckenden Dünkel; sie bildeten die eigentlich romantische (in Schweden sogenannte »phosphoristische«) Phalanx; die angegebenen Merkmale sind in ungleichem Grade bei Atterbom, Stagnelius, Hammerskjöld u. s. w. hervortretend, finden sich aber bei Allen. Die zweite Classe von Männern hatte breitere Schultern und gesundere Seelen; es waren historische Schwärmer, welche das Nationalgefühl, die Liebe zum Glauben und zu den Institutionen der Vorzeit für all das Berechtigte und Grosse in der Kritik des vorhergehenden Jahrhunderts blind gemacht hatten – Geijer und der um ihn sich bildende gothische Bund in Upsala, an dessen nationale Bestrebungen Tegnér sich anschloss, ohne weder auf die religiösen noch auf die politischen Sympathien und Lehren des Bundes einzugehen.
Das Heidnische, das Tegnér in seiner Natur vorfand, sog aus seinen frühesten Studien doppelte Nahrung, erst aus dem Verhältniss zum nordischen Alterthum, dann aus der Beschäftigung mit der antiken Poesie. In einem Briefe von 1825 schreibt er: »Eine gewisse Seelenverwandtschaft mit unseren barbarischen Voreltern, welche keine Cultur ausmerzen kann, trieb mich immer zu ihren grotesken aber grossartigen Formen zurück.« Das, woran er mit dieser Seelenverwandtschaft dachte, war jener Eigenwille des alten Skandinaven, der sich bei ihm in herausforderndem Wesen verrieth, und jener bei den Alten hervortretende Hang zur Schwermuth, die sich bei ihm nicht in romantischem Lamentiren, sondern in der ernsten und bisweilen düsteren Grundstimmung offenbarte, die nach seinem vierzigsten Jahre so reichliche Nahrung fand, dass sie, zum Lebensüberdruss und zur Menschenverachtung ausgeartet, sich immer gewaltsamer äusserte. Er hat sich dichterische Symbole für dies Titanische in seinem Wesen, für riesenstarke Naturmacht, für innere Unruhe unter dem Drucke riesiger Schwere bald bei den Skandinaven, bald bei den Griechen gesucht, und die altnordische und altgriechische Mythologie sind dabei in seiner Phantasie in einander übergegangen. Der altnordische Riese spricht bei ihm ganz wie Goethe's Prometheus:
Ich hasse weisse Asen
Und Askur's Söhne,
Sich beugend vor den Göttern,
Die ich verachte.
und seine Klage »Die Asenzeit« ist mit Schiller's »Die Götter Griechenlands« so verwandt, dass der Dichter unzweifelhaft das Motiv aus diesem Gedichte entnommen haben muss:
Du hohe Zeit, noch stehst im Gedächtniss du
Als leerer Harnisch; wer füllt ihn noch heut zu Tage?
Die schlaffe Zeit tritt scheu und mit Angst hinzu,
Das Heldenleben im Norden ist nur noch Sage.
Schlaf ruhig, Vorzeit! Umsonst Iduna bringt
Dich noch an's Licht, wie aus Gräbern die rostige Wehre;
Ein ander Geschlecht zu anderen Göttern singt,
Des Sanges Sehne zerbrach mit der Thaten Speere.
Auch hier ist nordisches und griechisches Heidenthum in seiner Erinnerung zusammengeschmolzen.
In Wirklichkeit bekam das Heidnische in Tegnér's Wesen erst seine höhere Weihe, als er die althellenische Litteratur kennen lernte. Hier traf er eine vorchristliche Cultur, die nicht in trotzigem, persönlichem Kampfe, sondern in versöhnter Schönheit gipfelte. Er sah hier das Humane auf einmal dichterisch und religiös sich in sich selbst abrunden. Vom Gesichtspunkt dieser Schönheitswelt gesehen, blieb jenes Uebernatürliche, welches gegen das vorige Jahrhundert so leidenschaftlich Krieg geführt hatte, nicht mehr vor dem Gemüthe als anstössig stehen, sondern fiel als überflüssig fort. Tegnér's Deismus sonderte sein polemisches Element aus und nahm eine hellenische Vernunfts- und Schönheitsanbetung in sich auf. Das rein Humane, das in der griechischen Poesie die Quelle der Schönheit gewesen, wurde ihm bald das wesentlich poetische Element überhaupt, und hierin liegt es, dass er sein Leben hindurch sich weigerte, die Erbauungspoesie als wahre Dichtung anzuerkennen. Dies zeigte sich bei zahlreichen Gelegenheiten, z. B. den Dichtungen des alten Franzén gegenüber. Ueber Franzén schreibt er 1823 an Brinkman: »Das Schöne ruht doch zuletzt auf dem Vernünftigen, wie das Gewölbe, wie hoch es sich auch erhebt, seine unsichtbaren Stützpunkte in den Tempelwänden hat. Aber die Tempelwände unseres lieben Franzén sind etwas zu sehr mit Crucifixen geschmückt, welche – den Eindruck verfinstern.« Ueber den »Columbus« desselben Dichters schreibt er neun Jahre später, also als Bischof: »Wie nahe lag nicht eine frischere und kräftigere Romantik ohne Legenden und Bekehrungsversuche und Missionäre. Ich hasse, Gott verzeihe mir, den gottesfürchtigen Ton sowol im Leben wie in der Poesie,« und mit einer verwandten Wendung, drückt er in seinen letzten Jahren (1840) denselben Gedanken bei Anlass eines Bändchens Gedichte aus: »die viele Gottesfurcht kommt mir armen Heiden immer ein bischen krankhaft und trübe vor«. Deshalb protestirte er auch, ganz gegen die Gewohnheit geistlicher Männer, Adlersparre gegenüber leidenschaftlich dagegen, die unchristlichen Züge in den grossen modernen Geisteshelden, wie Goethe oder Byron, verwischen zu lassen. Die offene, grundehrliche Natur war gleich auf seiner Hut gegen den frommen Betrug.
Die Poesie an und für sich kam ihm als eine Macht religiöser Natur vor, oder genauer: er nennt die Poesie den höchsten, reinsten, menschlichsten Ausdruck der Menschheit und bezeichnet alles, was wir sonst als hoch und edel verehren, nur als Modifikationen der Poesie. Die Religion selbst ist ihm »eine praktische Poesie, ein auf den Baum des Lebens geimpfter Zweig des grossen Dichtungsstammes«. Mit andern Worten lässt sich dies so ausdrücken, dass die Religion eine Poesie ist, woran geglaubt wird, dass also ihr dogmatischer Theil ein grosses methaphysisches Poem bildet, dessen Werth auf dem Werth der praktischen Lehren, die man aus demselben herleiten kann, beruht – eine Folgerung, die Tegnér wol nie ganz ohne Vorbehalt zieht, die man aber immer zwischen den Zeilen bei ihm herausliest.
Mit um so grösserer Rückhaltslosigkeit hat er seinen vorurtheilsfreien Humanismus in Aeusserungen der Sympathie für die rein menschliche Grösse und für jene heidnischen Tugenden, die von den Kirchenvätern als Laster verurtheilt wurden, zu Worte kommen lassen. An Geijer, der zwar nicht strikte orthodox, aber doch unbedingt offenbarungsgläubig war, schreibt er im Jahre 1821: »Was Deine Ansicht betrifft, dass eine besondere Offenbarung, z. B. das Christenthum für das menschliche Gemüth theoretisch nothwendig sein solle, so lässt sich darüber wol ein Zweifel hegen ... Es wird schwer zu erklären sein, weshalb die höchste menschliche Entwickelung, die eigentlichen Jubeljahre des Geschlechts sowol im Süden wie im Norden eintreffen, bevor der Name des Christenthums genannt ist. Lasst uns Gott für unsern reineren Glauben danken, aber vergessen wir nicht, dass das Adelsverzeichniss der Menschheit voll heidnischer Namen ist.« Wenn Tegnér einen Charakter recht verherrlichen wollte, so rastete er nicht, bis er ihm eine Seite abgewonnen hatte, von welcher derselbe griechisch oder römisch schien. Um dies unbewusste, rein instinctive Streben ins schärfste Licht zu stellen, wähle ich zwei Beispiele, wo er christliche Glaubenshelden als antike Grössen geschildert hat – und später zu dem Resultate kommt, dass er wegen vorausgefasster Sympathien sich in seinem Humanisiren geirrt habe. Er hatte, in seiner Reformationsrede, in Luther's Person alles verkörpert, was die damaligen Ritter der classischen Bildung, ein Ulrich von Hutten, ein Franz von Sickingen gewirkt und erkämpft hatten. Sieben Jahre später, als er durch seine amtliche Stellung zu nachdrücklicheren historisch-theologischen Studien gezwungen war, schreibt er tief niedergeschlagen: »Die hohen Vorstellungen, die ich mir vormals von Luther und den Reformatoren gemacht hatte, sind sehr herabgestimmt worden. Wie manchen Luther brauchten wir noch!« In seiner Festrede 1832 hatte er von Gustav Adolf gesagt, er sei »eine Heldennatur von dem grossen und reinmenschlichen Schlage, von welchem Griechenland und Rom so viele Vorbilder aufgestellt haben«, und diese Worte waren, wie eine ganze Reihe Briefstellen zeigen, in polemischer Absicht gewählt, weil er wusste, dass die anderen Redner den König wesentlich als geharnischten Theologen und »Märtyrer des Concordienbuches« darstellen wollten. Fünf Jahre später schreibt er aber selbst über Gustav Adolf: »Zu den jetzt geltenden kosmopolitischen Ideen hat er sich wol schwerlich emporgehoben; als Vorläufer eines neuen Zeitalters betrachtete er sich kaum. Die Denkfreiheit, für die er kämpfte, war nichts anderes als Gewissensfreiheit, und es ist sehr zweifelhaft, ob sich ihm jemals der Protestantismus von anderer Seite, als der rein theologischen gezeigt hat.« Tiefere Forschung hat hier wieder den ehrlichen Dichter dazu gebracht, die eingenommene Position aufzugeben. Aber dieses wiederholte Zurückweichen von einem gewagten und doch mit Leidenschaft behaupteten Versuche, das Reinmenschliche, Heidnischgrosse, aus einem Gusse Geformte in allen Helden zu finden, selbst bei denen, um deren Stirn die Orthodoxie ihren Ring so fest geschlagen hatte, dass kein Platz für Tegnér's freien griechischen Lorbeerkranz übrig blieb, verräth hinlänglich, wie kräftig ein freier classischer Humanismus durch alle Poren in die Seele des Dichters gedrungen war.
Er hatte damit angefangen für das Ritterlich-Abenteuerliche, das Trotzige zu schwärmen, für die Ehre nur als solche, selbst mit ihrem Flitter. In dieser Schwärmerei, welche sich nie bei ihm verlor, fühlte er als Naturkind und als Kind seines Volkes. »Denn«, heisst es im Gedichte Tegnér's an Karl Johann, »allem voran steht im schwedischen Gemüthe die Ehre, wahr oder falsch, g1eichviel, sie lebt doch in der Erinnerung.« Er ist aber nicht nur Kind der Natur, sondern auch der Geschichte, und die Geschichte stellt ihn zwischen die Aufklärung des achtzehnten und die religiöse Reaction des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts. Er folgt keiner von beiden. Mit kräftiger Eigenthümlichkeit wählt er unter den Bildungselementen, die sich ihm darbieten, bis eine selbständige Anschauung des Menschenlebens, besonders des Verhältnisses zwischen Religion und Poesie, sich in seinem Gemüthe formt; und wir sehen ihn mit seinem warmen Dichtergefühl unwillkürliche und bisweilen vergebliche Anstrengungen machen, um die Wirklichkeit mit dem grossen humanistischen Ideale, in welches jene Anschauung ausmündet, in Uebereinstimmung zu bringen. Wie viel Unrecht that Runeberg Tegnér, als er im Jahre 1832 über ihn schrieb: »Bei ihm sieht man kaum den Schimmer von einem Ideale, ja nicht einmal einen inneren Kampf, der seine Ahnung spüren liesse, dass es ein solches, gebe.« Der grosse finnische Rival Tegnér's hat, vierundvierzig Jahre später, in einer Note angedeutet, dass diese Behauptung ihm jetzt zu gewagt vorkomme; aber er hätte mehr thun sollen; es wäre eine That der Gerechtigkeit gewesen, wenn er sie selbst widerlegt hätte.
Aus Tegnér's humanistischer Weltanschauung folgte mit innerer Consequenz der politische Standpunkt, den er in den ersten fünfzig Jahren seines Lebens einnahm, und aus seiner religiösen und politischen Ansicht im Verein folgte mit Nothwendigkeit sein literarischer Parteistandpunkt.
Er war nicht, wie die Mehrzahl der damaligen poetischen Geister in Deutschland und Dänemark (ein Tieck, ein A. W. Schlegel, ein Oehlenschläger, ein Heiberg), politisch indifferent. Während z. B. ein Phänomen, wie die heilige Allianz den genannten Dichtern kaum eine Stunde ihres Lebens verbittert hat, strömen die Briefe Tegnér's von einer Entrüstung und einem Hohn gegen diesen Fürstenbund über, welche sich nur dadurch von den gleichen Empfindungen Byron's unterscheiden, dass der stolze und selbständige Engländer seinen Zorn in grossen Dichterwerken, deren offene Sprache die Gewaltherrscher Europa's mit Skorpionen peitschte, öffentlich aussprach, während der Beamte und Professor in Lund sich meistens darauf beschränken musste, seiner Entrüstung privatim zwischen Mann und Mann freien Lauf zu lassen. Doch nicht immer. Sein politisches Gefühl kommt seine ganze Jugend hindurch in zerstreuten Gedichten zu Wort, und selbst wenn es sich in seinen Poesien nicht breit macht, kann man die Bedeutung desselben kaum zu hoch anschlagen, denn es war das gährende Element seiner Seele, das sie erweiterte und Tegner daran hinderte, durch die kleinlichen Verhältnisse, in welche hinein ihn das Schicksal gestellt hatte, kleinlich zu werden. Hätten nicht Schwedens und Europa's Politik sein Gemüth in stete Schwingungen zwischen Entrüstung und Begeisterung versetzt, so hätten seine Gedichte niemals die Grösse des Styls erreicht, welche ihre Verbreitung über die Grenzen des Landes hinaus bedingte.
Seine ersten politischen Gedichte sind durch Schwedens Erniedrigung unter Gustav IV. veranlasst worden; so jenes »Svea«, in welchem es heisst:
O Finland, Heim der Treu! O Burg, die Ehrnswärd schmückt,
Jüngst wie ein blut'ger Schild vom Herzen uns entrückt!
Ein Thron steht da im Sumpf, dess' Namen kaum wir kannten,
Und Kön'ge knien dort, wohin wir Heerden sandten.
Doch früh hat sich des Dichters Blick von den speciellen Angelegenheiten des Vaterlandes zu der grossen Weltpolitik gewandt. Der fanatische Hass Gustav's IV. gegen Napoleon hatte in des Jünglings Seele nur Bewunderung für den Gehassten hervorgerufen; die Alliance Bernadotte's mit den gegen Napoleon verbündeten Heeren vermochte nicht die Sympathie des Dichters zu brechen, und während die Romantiker sich schon seit 1813 zu so servilen Freudenausbrüchen über die Thaten des Kronprinzen hinreissen Hessen, wie: »In Karl Johann's Spur geht Schwedens Engel« oder diese thörichte Panegyrik über den französisch sprechenden Gascogner: »An der Spitze des Heeres blitzt Thor mit dem grossen und leuchtenden Hammer, und Karl Johann wird der Donnergott genannt«, vertheidigte Tegnér in einer Reihe von Gedichten das revolutionäre Element in der Mission Napoleon's und schrieb bei seinem endlichen Fall das von Verzweiflung über den Triumph der Reaction inspirirte, bittere und scharfe Gedicht »Das Neujahr 1816«. Man höre das energische Finale desselben:
Juchhe! Religion heisst Jesuit,
Jacobiner das Menschenrecht.
Frei ist die Welt, und der Rabe ist weiss,
Es lebe der Papst und der – – sein Knecht!
Zu dir, Germanien, zieh' ich, o lehre
Sonette mich dichten, der Zeit zur Ehre.
Willkommen, o Jahr mit Mystik und Mord,
Mit Lügen und Dummheit und Tand!
Du arkebusirst wol die Welt noch – nur fort!
Einer Kugel ist werth sie erkannt.
Unruhig ist sie, voll Gluth im Gehirne;
Doch alles wird still mit dem Schuss vor die Stirne.
Diesen öffentlichen Aeusserungen entsprechen auf's Genaueste die Briefe Tegnér's aus demselben Zeitraum. 1813 schreibt er: »Wer sich einbildet, dass Europa von Russen und Consorten befreit werden könne oder dass der Erfolg der Kosaken ein Vortheil für Schweden sei, hat vielleicht Recht, er und ich denken aber höchst ungleich. In Hass gegen die Barbaren bin ich geboren und aufgewachsen und hoffe auch, unbeirrt von modernen Sophismen, darin zu sterben.« 1814 ist er noch missmuthiger: »Wer kann an der Wiederaufrichtung des europäischen Gleichgewichts glauben oder sich über den Sieg der absoluten Erbärmlichkeit, über die Kraft und das Genie erfreuen!« 1817 gibt er endlich mit bewunderungswürdiger Richtigkeit die Charakteristik der geistigen Reaction in folgenden Worten: »Die Hauptsache ist das Politische; die innere Umwälzung der Denkweise ist im Ganzen politisch; die religiöse und die wissenschaftliche Wandlung, die wir erleben, sind alle beide mehr oder weniger zufällige Folgen und Reactionsprocesse, deshalb ohne Bedeutung und Dauer. Wenn das Haus aufgemauert ist, fällt das Gerüst. Es ist wahr, dass diese Folgen beim ersten Blick ernst genug scheinen; aber verräth nicht eben das Uebertriebene und Karrikaturartige derselben, das Haarfeine in der Wissenschaft und das Mönchische in der Religion hinlänglich ihre Natur als blose Reaction gegen den früheren praktischen und freidenkerischen Geist? Scheint es nicht, als sei man jetzt sowol gründlich wie gottesfürchtig par dépit, und weil beides vor zwanzig Jahren für bäuerisch galt ... Am Wichtigsten würde ohne Zweifel eine Veränderung im Religiösen sein, da die Religiosität immer wenn ächt auch praktisch ist, aber woher schliesst man, dass eine solche Veränderung sich bei der Mehrzahl anders findet denn als Mode und Grimasse, und bei Vielen vielleicht aus noch schlimmeren Beweggründen?«
Indessen war diese Reaction mit Nachdruck auf Schwedens eigenem Grunde aufgetreten. Gegen die alte französisch-schwedische Richtung in der Litteratur, die durch die schwedische Akademie repräsentirt wurde, proclamirten die »Phosphoristen« in allem Wesentlichen die Principien der deutschen romantischen Schule; man lieferte metaphysische Beweise für die Mysterien des Christenthums, verhöhnte die Aufklärung, behandelte die Akademie wie eine Sammlung alter gepuderter Perrückenstöcke und verfolgte die Alexandriner mit Sonetten. Im Uebrigen Madonna- und Calderon-Cultus, Weihrauch vor den Schlegeln und Tieck, Verachtung vor Schiller, Schwärmerei für das Königthum von Gottes Gnaden.
Als Karl Johann die Regierung antrat, konnte er, »der Republikaner auf dem Throne«, wie er sich anfangs nannte, der Marschall Napoleon's mit all' den Ueberlieferungen der Revolution im Rücken, sich unmöglich veranlasst fühlen, in nähere Berührung mit den Männern der neuen Schule zu treten. Sie zeigten »trop de zèle«; sie erkannten die Volkssouveränität nicht an, auf welche er selbst sich und seine Dynastie stützen musste; sie hatten ihre auswärtigen Freunde in dem Lager, in welchem man für die Wiedereinsetzung der alten legitimen Königsfamilien auf die europäischen Throne arbeitete. Aber die jungen Romantiker wünschten natürlich nichts sehnlicher, als den König zu überzeugen, dass seine Zweifel über ihre Loyalität völlig grundlos waren. Graf Fleming übersetzte dem König, um die Gefahrlosigkeit der jungen Schule zu beweisen, einen Aufsatz von Geijer in's Französische. Der König erklärte, dass er sie nicht verstehe. »Was heisst eigentlich die neue Schule?« Ein Hofmann antwortete: »Nichts anderes, Majestät, als dies: wenn man Einen aus der alten Schule fragt, was ist zwei und zwei, dann antwortet er: vier; fragt man aber Einen aus der neuen Schule, so lautet die Antwort: das ist die Quadratwurzel von sechzehn oder ein Zehntel von vierzig oder anderes, worüber man nachdenken muss.« – »Das ist's eben, was ich mir dachte«, sagte Karl Johann. Atterbom wurde zum Lehrer des Prinzen Oskar in deutscher Litteratur ernannt, Geijer wurde für Karl Johann genau dasselbe, was Chateaubriand eine Zeitlang für Napoleon I. gewesen war. Bald zeigte sich der unglückliche Einfluss der doctrinär conservativen Jugend; ihre Doctrinen wurden von den reactionären Elementen der Gesellschaft ausgenutzt und bald erhob in Schweden eine zuversichtliche und mächtige Reaction den Kopf, die am Hofe wol gesehen, Karl Johann von Reformen abschreckte und ihn in eine Spur hinübertrieb, die mit seiner früheren Laufbahn schlecht stimmte. Er war z. B. anfangs gegen erblichen Adel höchst ungünstig gesinnt, um so mehr weil die früheste parlamentarische Opposition gegen seine Regierung vom Adel ausgegangen war; nach dem Bund mit Geijer und seinen Genossen wollte er sogar Norwegen, in welchem der Adel abgeschafft war, einen erblichen Adel aufdrängen.
Unter diesen Verhältnissen fühlte sich Tegnér wie ein Mitglied der grossen europäischen Opposition. Er meint, dass die heilige »mahomedanische« Allianz ein todtgeborener Embryo sei, »dessen Begräbniss auf dem Galgenhügel er alle Hoffnung habe noch zu erleben«; er nennt die Politik des Zeitalters »infernalisch«; er schreibt an Franzén: »Ueber die gegenwärtige Politik Europa's kann kein braver Mann, nicht einmal ein Deutscher, sich anders als mit Scham und Abscheu aussprechen. In der Poesie kann sie höchstens der Gegenstand einer Juvenalischen Satire sein. Es ist eine bittere Ironie, sei es in Versen oder in Prosa, die obscurantistische, wahrhaft teuflische Tendenz der Zeit, so oft die Rede von etwas Edlem oder Grossen ist, zu nennen.« In der inneren Politik fordert er Ministerverantwortlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Steuerbewilligungsrecht, parlamentarische Repräsentation, kurz das gewöhnliche Oppositionsprogramm im liberalen Europa. Solche Anschauungen waren es, die er der Oeffentlichkeit darbot in seiner grossen Rede bei der Vermählung des Prinzen Oskar 1823 – ein edler Wein in einem geschliffenen Krystall. In der neuen Zeit standen nach seiner Auffassung zwei Mächte einander gegenüber, das persönliche Verdienst, welches sich nur auf sich selbst stütze, und der von den Vätern angeerbte Rang, ein plebejisches und ein patrizisches Princip; in seiner schärfsten Form erschien dieser Contrast damals als Kampf zwischen der aus der Revolution und der aus der Legitimität entsprungenen Fürstengewalt. Tegnér hebt hervor, wie die junge Fürstenbraut, welche kürzlich in Schweden gelandet ist, durch ihre Geburt die zwei streitenden Elemente vereine und gleichsam die alte und die neue Zeit verbinde. Denn ihr Vater (der Sohn Josephine's, Eugène Beauharnais) sei »gleich so manchem anderen ausgezeichneten Mann ein Sohn seiner eigenen Thaten, dessen Stammbaum aus seinem Schwerte hervorwachse«, und mütterlicherseits stamme sie aus einem der ältesten Fürstenhäuser Europa's ab. (Die Mutter der Braut war Amalie von Bayern, aus dem Hause Wittelsbach.)
Es fällt mir nicht ein, anderes oder mehr in diesem Symbolisiren der Herkunft der hohen Dame zu sehen, als ein gut erfundenes und gut gesagtes Compliment. Aber in Tegnér's Mund ist dasselbe interessant; denn für ihn hat die Ehe zwischen dem Sohne des Revolutionsgenerals und der Tochter des alten Königshauses augenscheinlich eine wirkliche Bedeutung gehabt. Zu der Zeit, wo er diese Rede hielt, schrieb er gerade an einem Gedicht, welches darauf angelegt war, mit einer ähnlich versöhnenden Vereinigung zu enden, der lange verhinderten zwischen dem Bauernsohne Frithiof, welcher durch Muth und Thaten sich gleichen Rang mit den berühmtesten Helden erkämpft hatte, und der Königstochter Ingeborg, deren Geschlecht seine Herkunft von den Göttern Walhall's ableitete, und deren Brüder in ihrem Fürstenhochmuth Frithiof ihre Hand verweigern. In der Frithiofssage bilden dieselben zwei Principien, das persönliche Verdienst und der Adel des Bluts, die zwei Pole, durch welche die Achse des Gedichtes geht. Schon im zweiten Gesang des Gedichtes, wo die Freundschaft zwischen dem König Bele und Thorsten Vikingsson geschildert wird, sagt der alte Bauer:
Gehorch' dem König. Einem gebührt die Macht,
und der alte König spricht entgegnend:
Von Heldenkraft, die mehr ist als Königsblut.
Im letzten Gesange sagt der alte Balderpriester zu Frithiof:
Du hassest Beles Söhne. Warum hassest du?
Weil sie dem Sohn des Adelsbauern weigerten
Die Schwester, die entsprungen ist aus Seming's Blut,
Des grossen Odinsohnes; ihrer Ahnen Zahl
Steigt bis zu Walhall's Thronen auf; dess sind sie stolz.
»
Geburt ist Glück und kein Verdienst«, erwiederst du.
»Auf sein Verdienst, o Jüngling, wird der Mensch nicht stolz,
»Glück nur macht stolz die Menschen; denn das Beste ist
»Doch guter Götter Gabe.
Bist du selbst nicht stolz
»Auf deine Heldenthaten, deine höh're Kraft?
»Gabst du dir selbst die Kräfte?«
Die Rede am Oskartage und der Schlussaccord in der Frithiofssage bezeichnen im Leben des Dichters einen Zeitpunkt, da seine politische Weltanschauung in einer mühsam erkämpften, unstäten Harmonie zu Ruhe gekommen war; wenige Jahre früher – und die revolutionäre Gährung siedet mit leidenschaftlicher Ungeduld in seiner Brust; wenige Jahre später – und der Unwille über die eben begonnenen Flegeljahre des schwedischen Liberalismus treiben ihn in's entgegengesetzte Extrem; aber mitten zwischen diesen Strömungen war ihm auf der Wasserscheide, wo sie sich trennten, ein heller und inspirirter Augenblick vergönnt mit freiem poetischen Horizont nach beiden Seiten hin.
»Der Mensch ist die Blüthe des Metallstammes der Erde, und seine Sprache ist das magnetische Fluidum, welches von diesem Stamme aus seinen Willen über die Welt ergiesst. Wenn alle Sprache so im Grunde Musik ist (das Ohr der Natur ist aus Metall und was der Weltgeist hineinflüstert, ist Musik), brauchen wir da lange nach der Art der Verwandtschaft zu suchen, welche sie zur materiellen Substanz für die Phantasien des Dichters macht?«
Dieses harte Stück Beredtsamkeit stehe hier als Probe des Styls, dessen sich Atterbom, der Häuptling der romantischen Schule, in seiner Jugend bediente. Sie forderte so sehr die Parodie heraus, dass es nicht Wunder nimmt, wenn Tegnér der Versuchung unterlag, spöttische Pfeile dagegen zu richten.
Die religiösen und politischen Ansichten Tegnér's bestimmten im Verein seinen litterarischen Standpunkt, einen hohen Punkt über den zwei streitenden Parteien der alten und der neuen Schule, woher er aber fast ausschliesslich sein Geschütz gegen die letztere richtete. Er, der jung in das neue Jahrhundert hinein getreten war, und der nur zwanzig Jahre alt in Lund den dichterischen Aufschwung jenseits des Sundes erlebt hatte, konnte unmöglich sein poetisches Bedürfniss durch die nüchternen Lehr- und Scherzgedichte der alten Gustavianer befriedigt fühlen. Aber es gab nichts, das zum Kampfe gegen sie aufforderte; sie starben nur allzu schnell, einer nach dem andern, aus, und bald war nur Leopold übrig als letzter Vertreter der alten Zeit. Als Tegnér in seiner Vollkraft stand, wurde Leopold blind, und, hätte es ihm sonst nicht fern gelegen, den Alten anzugreifen, jetzt war es ihm unmöglich. Dagegen hatte das erste Auftreten der Phosphoristen seinen Unwillen in hohem Grad gereizt. Sie redeten ein philosophisches Idiom, aus dem weder er noch irgend ein anderer Uneingeweihter klug wurde. Sie bekämpften die Akademie als fremdartig, d. h. französisch, und waren selbst bis zum äussersten verdeutscht. Dazu kam, dass Tegnér überhaupt der französischen Tradition viel näher stand als der deutschen. Nicht einmal seine Vorliebe für die Griechen hatte ihm die klassisch-französischen Geschmacksregeln besonders entfremdet. Ihm war die Gräcität früh mit der Selbstbeherrschung in der Kunst gleichbedeutend geworden, und die französische Poesie war in hohem Grade beherrscht. Nicht zufällig kommt deshalb die Aeusserung bei ihm vor, dass der französische Nationalgeist »in vielen Fällen mit demjenigen der Griechen verwandter ist als die Deutschen und ihre Affen seit Lessing's Zeit haben erkennen wollen.« Seine bewundernde Haltung den alten Akademikern gegenüber während der scharfen Polemik gegen die »Phosphoristen« erinnert lebhaft, ja schlagend an Byron's gleichzeitiges Schwärmen für Pope und leidenschaftliche Geringschätzung der Seeschule. Sie hatte zum Theil verwandte Ursachen: Treue gegen Kindheitseindrücke, Lust an Widersprüchen, Vorliebe für das Verständig-klare und die romanische Rhetorik; aber sie war doch noch tiefer in dem Verhältniss zur Gräcität und zu den französischen Studien nach der Antike begründet, einem Verhältniss, das sich nicht bei Byron findet, sondern Tegnér bezeichnet. Die Kunst Byron's ging darauf aus, der Leidenschaft ein Organ zu geben; Tegnér wollte, wie die Alten, dass die Leidenschaft in ein strenges Decorum gekleidet werden solle, um nicht pathologisch zu wirken. Er hatte nie die Wirklichkeit gemocht, eben so wenig wie er die Metaphysik litt; er liebte die ideale Form. Die inneren Spaltungen, die er als Aufgaben für die Kunst erfasste, waren nicht tief; im Grunde wünschte er keinen heftigeren Kampf zwischen Leib und Seele, Zustand und Verlangen, Pflicht und Glück u. s. w. in der Poesie dargestellt zu sehen, als sich mit der Harmonie der Gesundheit vereinen liess. Es war mehr die reine, glatte Form, als die naturfrische Naivetät der Griechen, die bezaubernd auf ihn wirkte, also eben die Eigenschaft, welche der französische Classicismus mit den Griechen gemein hatte. Alle diese Instincte näherten ihn der alten Schule und entfernten ihn von der neuen.
Die Hauptschlacht gegen diese lieferte er in der grossen versificirten Rede, die er 1820 den jungen Magistern in Lund hielt, dem berühmten »Epilog«, in welchem er so zu sagen den jungen Akademikern den Fahneneid zur Fahne des Lichts abforderte. Die Popularität desselben wurde so gross, dass in dem Sommer darauf zwei junge Studenten kaum zehn Minuten mit einander sprachen, ohne dass fünf davon zum Citiren und Auslegen des Epilogs angewandt wurden. Gewisse Verse dieser Rede haben eine fast sprichwörtliche Kraft und Wahrheit:
Glaubt nicht, was euch in's Ohr die Trägheit flüstert,
Es sei der Streit zu hoch für eure Kräfte,
Er werde ausgekämpft wol ohne Euch.
Allein gewinnt der Feldherr nicht die Schlacht,
Für ihn gewinnen sie die tiefen Glieder.
Er endet damit, den Tempel der Wahrheit, wie ihn die Alten sich vorstellten, dem Babelthurm gegenüber zu stellen, welchen die Romantiker aufführten, dem schweren, barbarischen Gebäude, »wo das Dunkel durch enge Fenster hineinguckt«. Aber gibt man recht auf die Architektur des Pantheon Acht, welches er als dasjenige der Alten beschreibt, so wird man sehen, dass der Styl desselben weit davon entfernt ist, antik zu sein, und mit seinem sonderbaren Gemisch von Römischem und Gothischem das persönliche Kunstideal Tegnér's, das eine Frucht so vieler klassischen und romantischen Kreuzungen war, unfreiwillig wiedergibt.
Der Wahrheit
Bauten die Alten einen hellen Tempel:
Leicht wie das Firmament war die
Rotunde,
Es drang das Licht hinein
von allen Seiten
In's offne Rund, und Himmelswinde spielten
Melodisch zwischen seinen
Säulenwäldern.
Jetzt baut man einen Babelthurm dafür.
Doch eine Rotunde, die nicht von oben, sondern von allen Seiten das Licht bekommt, und welche nicht auf einer einfachen Mauer ruht, sondern mit Säulenwäldern combinirt ist, erinnert eher an die Peterskirche mit ihrer Stylmischung, als an irgend etwas, das die Alten gebaut haben. Es war in Wirklichkeit auch eher ein solcher Tempel der ganzen Menschheit, wie diese Kirche, als das einfache römische Gotteshaus, was Tegnér als Symbol der Wahrheit vorschwebte. Was er preisen wollte, war nur die Durchsichtigkeit und Klarheit im Reiche der Dichtung, wie in dem des Gedankens. Die Anbetung der im Dunkel verborgenen Wurzel des Lebens, der Nacht als Mutter der Dinge, und des Schattens als Ursprung der Farbe, die in Deutschland von Novalis, in Dänemark von Hauch, in Schweden von Atterbom gepredigt wurde, kam ihm verdächtig, ja hässlich vor; er betrachtete sie mit denselben Augen, mit welchen ein alter Apollo-Anbeter etwa einem Molochscultus beigewohnt hätte, und protestirte im Namen des Lichtes.
Im Namen des Lichtes – und vor Allem im Namen der Dichtkunst, von deren psychologischem Ursprung er sich früh einen originellen Begriff gebildet hatte. Von den Romantikern aller Länder war die Poesie als das theuer erkaufte Product von Leiden und Sorgen erfasst, als die Perle, welche die Krankheit der Muschel absetzt. Für Goethe war sie die ideale Beichte der Seele, das edelste Mittel zur Selbsterlösung von Eindrücken und Erinnerungen, welche die Gesundheit des Gemüthes angreifen. Kierkegaard verglich den Dichter mit dem Unglücklichen, der im ehernen Stier des Phalaris durch ein gelindes Feuer gepeinigt wurde und dessen Geschrei dem Ohre des Tyrannen als Musik erklang. Heiberg liess den Dichter singen, dass er, wenn er gut gewesen wäre, schlecht gedichtet hätte; da er aber schlecht sei, habe er gute Gedichte geschrieben, denn das rühre ihn am meisten, was ihm selbst verweigert sei. Alle diese Auffassungen stimmen darin überein, die Dichtung von einer Sehnsucht, einem Vermissen, einem Schmerze, kurz gesagt, von etwas Negativem herzuleiten.
Tegnér leitet sie aus der Gesundheit selbst her.
Immer und immer wieder verfolgt er in seinen Briefen, was er den hysterischen Krampf der Romantiker nennt. »Nichts ist mir so widerlich, wie diese ewige Litanei über die Qual des Lebens, welche der Wirklichkeit und nicht der Poesie gehört. Ist die Poesie nicht die Gesundheit des Lebens, ist nicht der Gesang der Jubel der Menschheit, muthig aus frischen Lungen hervorströmend?« Und diese Wendung ist bei Tegnér nicht Ausdruck einer augenblicklichen Stimmung; sie kehrt stereotyp als Definition zurück. Er begreift nicht, dass die Poesie, » die nichts anderes als die Gesundheit des Lebens, nichts als ein Freudensprung aus den Grenzen des Alltagslebens hinaus ist«, sich mit hektischer Röthe die frischen runden Wangen schminken will.
Die Definition nahm dichterische Gestalt und melodische Form an in dem schönen übermüthigen Gedicht »Der Gesang«, das durch eine gleichnamige romantische Elegie hervorgerufen wurde. Es enthält das Programm der Tegnér'schen Poesie: Zur Klage hat der Dichter keinen Grund, aus Edens Garten ist er nie vertrieben worden. Mit himmlischer Freude umarmt er das Leben wie eine Braut:
Denn nicht ein ewiges Verlangen,
Ein ew'ger Sieg nur ist das Lied.
Unauflöslichen Misslaut kennt er nicht:
Das gold'ne Saitenspiel erklinge
Von keiner selbstgeschaff'nen Pein,
Des Sängers Sorgen sind geringe,
Des Liedes Himmel ewig rein.
»Geringe«, sagt die Uebersetzung, »keine« heisst es im Original. Es war eine harte und bittere Nemesis, dass der, welcher im Jahre 1819 Lebenskraft und Uebermuth genug besass, um diese Zeilen zu schreiben, nur 6–7 Jahre später, nachdem er eins der verzweifeltsten Gedichte aller Literaturen geschrieben hatte, als Dichter so gut wie verstummte; aber sowol bevor wie nach dem »Die Melancholie« geschrieben wurde, ist jene Lehre von dem inneren Gleichgewicht des Dichters und der Siegesgewissheit der Dichtung in Tegnér's Poesie verwirklicht worden. Als seine Seele in ihre entscheidende Krise eintrat, als Enttäuschungen und Sorgen sein heiteres und sanguinisches Temperament untergruben, schwieg er lieber, als dass er die Verstimmtheit seiner Seele verstimmend auf seine Kunst wirken liess; und wenn er bisweilen noch ein Lied anstimmte, war es, um sich in der Dichtung als jene leichtbewegliche Jünglingsnatur zu offenbaren, die er nicht mehr in der Wirklichkeit war.
Die Poesie Tegnér's hatte nie die wehmüthige Grundstimmung, welche die Volkspoesie in allen nordischen Ländern hat. Sie hatte überhaupt nie ein Verhältniss zum Volkslied, nichts von der Naivetät, nichts von den einfachen Moll-Accorden desselben. Tegnér bewunderte die Volkspoesie; er stand nicht wie die Kunstdichter des vorigen Jahrhunderts ihr fremd und überlegen gegenüber; aber er betrachtete sie, und mit Recht, als ein für sich unerreichbares Muster. Der künstlerische Typus seiner Lyrik ist also nicht das Volkslied; weder das finnische wie bei Franzén, noch das serbische wie bei Runeberg, noch das schwedische wie bei Atterbom, sondern die Cantate, bisweilen das Heldenlied und bisweilen die Bravourarie, das Wort nicht eben im geringschätzigen Sinne gemeint, als eine Gesangsnummer, die durch Fiorituren allein glänzen will, sondern als der stark verzierte und volle Ausbruch eines überströmenden Lebensmuthes. Alle die Kunstformen, die er anwendet, die Hymne, die Romanze, das Liebeslied, erhalten unter seiner Behandlung einen Charakter, den ich nicht schärfer zu bezeichnen weiss, als mit dem Worte: Bravour.
Wir finden den Dichter im niedrigen weissen Hause an der Ecke der Franciskaner- und Klosterstrasse in Lund, in seinem geräumigen zweifenstrigen Arbeitszimmer auf- und abwandernd, seine Verse vor sich hin brummend und summend, und ab und zu an einer aufgeschlagenen Schatulle, welche als Pult diente, stille stehend, um die fertigen Strophen niederzuschreiben. In der Stube zwitschern zwei Kanarienvögel; begleitet von ihrem Gesange dichtet er seinen »Frithiof«. Er ist zu dieser Zeit ungefähr vierzig Jahre alt; weder Leidenschaften noch Krankheit haben seinem Gesichte Spuren aufgedrückt. Die Furien lauern vor seiner Schwelle; aber es scheint fast, als wollten sie die Vollendung seines Hauptwerkes abwarten, bevor sie dieselbe überschreiten und ihn als Beute ergreifen. Seine Stirn ist klar und gewölbt, sein Blick hell und frei
Und ernst so wie vom Grund aus ehrlich
Ist jeder Zug im Angesicht
wie es von seinem Axel heisst.
Er hat sich sein Thema gewählt oder richtiger: es ist so anziehend aus den Erinnerungen seiner Kindheit vor ihm aufgetaucht, dass er den Rahmen für die Behandlung entworfen und die Ausführung in der Mitte angefangen hat. Er will ein Bild des Lebens im alten Norden liefern. Mit voller Ueberzeugung hatte er in früherer Zeit sich dem »gothischen« Bund angeschlossen; denn er sah in der nationalgeschichtlichen und dichterischen Richtung des Bundes den richtigen Mittelweg zwischen der kosmopolitischen Verstandeskultur der Akademie und der deutschthümelnden Schwärmerei der Phosphoristen. Er hatte aber bald die Trauer gehabt zu sehen, wie sein wackerer und enthusiastischer Verbindungsbruder Pehr Henrik Ling, der in dem geistigen Leben Schwedens eine ähnliche Stellung einnimmt, wie Arndt und Jahn in Deutschland, durch seine Kraftsprache und seine kolossale Formlosigkeit das schwedische Publikum von der Poesie des nordischen Alterthums zurückscheuchte. Sein linkischer Harfenschlag auf die nordischen Bärensehnen hatte den prächtigen Stoff verdorben, der in Dänemark in der Behandlung Oehlenschlägers alle Herzen gewonnen hatte. Tegnér beschloss um eine einzelne Sage als Mittelpunkt all' die eigentümlichsten Bilder des alten Nordens zu sammeln: Das Vikingerleben und die Waffenbrüderschaft, die Weisheit des Hawamàls und die Gelübde auf Frei's Eber zum Julfest, das Heldenlied und die Königswahl im Thing, die Selbstverwundung mit der Schwertesspitze und den Runenstein, die Poesie des Lebens und des Todes in alten Zeiten. Es sollte gute, reine Luft in dem Gedichte sein; ein scharfer frischer Wind sollte hindurch sausen; der Skandinave sollte sich darin heimisch fühlen; aber vor Allem keine Eistemperatur wie in den altnordischen Dichtungen des ehrlichen Ling! Diese Sage war ja eine Liebesgeschichte und mit Liebessehnen und Liebesleiden sollte das harte Gewebe des Stoffes ganz durchdrungen werden. Der Stoff war norwegisch, aber schwedisch sollte die Behandlung sein; Norwegen und Schweden, die noch unlängst getrennt waren, wollte er im Gesange verschmelzen. Es sauste vor seinem inneren Ohre wie Schildgeklirr und Pfeilregen, Köcherklang und Becherklang, Rossestampfen und Falkenflug, Schläge aufs Schwert und Hiebe mit dem Schwert, und zwischen all' diesem lange, schmachtende, girrende, schwärmerische Nachtigallentöne und noch mehr ergreifender Wachtelschlag in der Stille der Sommernacht. In die Scenerie brauchte er wahrlich nicht sich hinein zu versetzen; er kannte sie ja so genau von seiner Kindheit und Jugend auf dem Lande. Er kannte sie, diese Bäume mit den weissen Stämmen und hängenden Kronen; einer von ihnen hatte zwei Schriftzeichen in seinem Birkenstamme; waren es die Buchstaben »E« und »A« oder stand da ein »F« und »I« in Runen? Er kannte zwischen den tannenbewachsenen Küsten diese blanke Eisfläche, über welche der Schlittschuhläufer fuhr und hinter ihm der vorbeisausende Schlitten, in welchem die schöne Jungfrau sass, die bald über ihren Namen im Eise hinfahren sollte.
Er reisst in das Eis viel Runen werth,
Schön Ingborg den eignen Namen befährt.
Und wenn nun der Frühling kam, wenn die Wellen hinauslockten und das Meer laut von Thaten sprach, während die Bote an der Landesküste einzuladen schienen, an Bord zu gehen, die Welt kennen zu lernen! Er wusste wol, was ein Viking dann gefühlt hatte.
Ellide nicht Ruh' auf der Woge hat,
Am Anker rücket, sie früh und spat.
Aber es war nicht möglich, zu reisen. Beim Pflegevater, bei Hilding ... auf dem Gute Rämen bei Myhrmanns, da wohnte die Schönste, die Geliebte, die zu verlassen unmöglich war. Und alle Jugenderinnerungen, süsse und kindliche, strömen bei diesem Gedanken ihm zu. Er erinnert sich, wie er Anna die erste erblühte Anemone, die erste Erdbeere zu bringen pflegte:
Die erste Blume, die er zieht,
Die erste Erdbeer, die er sieht,
und er träumt von so manchem guten Male, wenn er und sie (oder war es Frithiof und Ingeborg?) auf ihren Wanderungen am brausenden Waldbach stille standen, und für Ingeborg kein anderer Ausweg blieb, als sich hinüber tragen zu lassen, und lächelnd schrieb er:
Wie schön, wann Strudel lärmend klingen,
Zwei kleine Arme uns umschlingen!
Und unbewusst mischte sich andere erotische Schwärmerei jüngerer Herkunft hinein, eine andere Gestalt, die der vollentwickelten Ingeborg – nicht Anna Myhrmanns, deren Schritte jetzt vom Zimmer nebenan gehört wurden; die Schritte der schon in mittleren Jahren stehenden tüchtigen Hausfrau gehörten nicht hierher; nein, ein jüngeres, lockendes Gesicht war es, ein schlankerer Wuchs, eine andere schmelzende Stimme; er darf diese Frau nicht lieben, das ist göttlichen und menschlichen Gesetzen zuwider; sie ist ja verheirathet – mit König Ring, mit Frithiofs's Freunde, dessen Zutrauen zu ihm unbegrenzt ist; nein, Frithiof muss fort, hinaus aufs Meer, seine Sehnsucht durch Thaten und Siege betäuben. Aber einmal – spät einmal wird der Tag der Versöhnung kommen, und das stürmende Herz Frithiof's Ruhe finden.
Die altnordische Frithiofs-Sage ist eine Erzählung, um's Jahr 1300 auf Island niedergeschrieben; man nimmt an, dass das Geschichtliche in der Begebenheit schon um das Jahr 800 geschehen ist. Der Bauernsohn Frithiof, der mit der Königstocher Ingibjörg erzogen worden, hält um ihre Hand an und wird abgewiesen. Um sich an ihren Brüdern zu rächen, verweigert er ihnen im Kriege gegen König Ring seine mächtige Hilfe und benutzt ihre Abwesenheit dazu, ein Liebesverhältniss mit Ingibjörg anzuknüpfen, die von den Brüdern im Baldershage, einer Balder geheiligten Stätte, wo kein Mann eine Frau umarmen durfte, in der Hoffnung, Frithiof von jedem Stelldichein abzuschrecken, eingesperrt worden ist. Aber Frithiof trotzt den Göttern, besucht Ingibjörg und schändet den Tempel. Mit Ring wird unter der Bedingung Friede geschlossen, dass die Brüder dem alten König ihre Schwester zum Weibe geben. Von Frithiof fordern sie, dass er in ihrem Auftrag fortreise und von Angantyr auf den Orkney-Inseln Tribut eintreibe. Während er fort ist, stecken sie seinen väterlichen Hof in Brand. Frithiof kommt zurück, trifft die Könige beim Opfer im Baldershage und wirft den mitgebrachten Geldbeutel so gewaltsam Helge in's Gesicht, dass er hinstürzt. Durch einen Zufall fällt Balder's Bildniss in's Feuer und das Haus geräth in Brand. Frithiof flieht, kehrt zurück, besucht König Ring, rettet das Leben des alten Königs und heirathet nach seinem Tode Ingibjörg.
In diesem Stoffe entdeckte das Dichterauge Tegnér's die Grundlinien zu einem Gegenstande von allgemein menschlichem Interesse und für verallgemeinernde Symbolik empfänglich. Frithiof kämpft für seine Liebe mit rücksichtslosem Trotz; er will, unbekümmert um alle bestehenden Mächte, sich sein Glück im Sturm erobern:
Er setzt die Spitze seines guten Schwerts
Der Norne auf die Brust und spricht: Entweiche!
Er lehnt es ab, einem Königsbefehl zu folgen; er wird auf der Höhe seiner Manneskraft zuerst Tempelschänder, dann Tempelverbrenner, dann der vogelfreie geächtete »Wolf im Heiligthume« (varg i veum). Er flieht und büsst, entsagt und wird geläutert, und empfängt zuletzt die Hand der Geliebten als Lohn, nicht des Kampfes, sondern der ausdauernden Treue. Nicht die Jungfrau, sondern die Wittwe, nicht das Glück selbst, sondern den bleicheren Widerschein des Glückes umarmt er als Braut. War dies nicht schon ein Symbol des menschlichen Lebens?
Noch ein Schritt und das Symbol stand vollendet in seiner ganzen Klarheit da. Es gab einen Mittelpunkt in der Sage, der unter dem Blicke des Dichters nothwendig zum fruchtbaren Keimpunkt werden musste. Dies war das Heiligthum Balder's. Um einen Baldertempel drehte sich Alles; hier wurde Ingeborg eingesperrt; hier begegneten sich Ingeborg und Frithiof; hier opferten die Könige. Der Tempel wurde geehrt; er wurde geschändet; er wurde verbrannt.
Balder war ein sonderbarer Gott; in ihm begegneten sich das Heidenthum, wie man es sich am liebsten vorstellte, mit dem Christenthum, wie man es gern demselben anpasste – er war Heidenthum ohne Wildheit, Christenthum ohne Dogma. Der Jesus, an den Tegnér glaubte, hatte, gleich dem, zu welchem Oehlenschläger sich bekannte, mehr von einem Balder als von einem Christus. Und es war der Tempel Balder's, den Frithiof in seinem jugendlichen Uebermuth verbrannt hatte. Dieser Tempelbrand musste nothwendig zur Hauptkatastrophe der Sage gemacht werden; er bestimmte dann auch mit zwingender Nothwendigkeit einen geistvollen Schluss. Frithiof musste damit enden, den Tempel, den er verbrannt hatte, wieder aufzubauen.
Denn ist die Jugendkraft in ihrer Unbändigkeit nicht immer ein Tempelschänder, und enden wir nicht Alle, in den Jahren der Reife, mit dem ehrlichen Versuch, die in jugendlicher Leidenschaft begangene Entweihung zu sühnen? Bauen wir nicht Alle nach Vermögen den Tempel wieder auf, grösser, schöner und fester, als wir ihn vorgefunden? Wie jener Kaiser, der eine Hauptstadt von Holz vorfand und eine marmorne hinterliess, so werden zu jeder Zeit thatkräftige und ernste Naturen ihre Umgebungen von einem geheiligten Tempel aus schlechtem Holz beherrscht finden; sie werden ihn verbrennen und einen andern Baldertempel, der nicht verbrannt werden kann, hinterlassen, und der stärkste einen wie denjenigen Frithiof's:
Von lauter Riesensteinen war die Wand erbaut,
Die kühne Kunst zusammenband, ein Riesenwerk
Für Ewigkeit ...
So gefasst, sammelte sich das Gedicht um einen grossen einfachen Grundgedanken; und mit diesem vor Augen, machte sich Tegnér daran, die letzten Romanzen zuerst zu entwerfen.
Jeder Zug in der alten Erzählung liess sich natürlich nicht gebrauchen; psychologisches Interesse haben aber nur die für Tegnér eigenthümlichen Veränderungen, die, in welchem sein poetischer Charakter sich zu erkennen gibt.
Erstens entfernt er alles, was ein Leser oder noch mehr eine Leserin der damaligen Zeit in erotischer Hinsicht anstössig finden konnte. Hierdurch öffneten sich alle Familien-Bücherschränke seinem Gedicht. Nach Tegnér's eigenem Zugeständniss ist sein »Frithiof« eine Nachahmung von Oehlenschläger's »Helge«, und man hat in Dänemark nie recht begreifen können, wie es zuging, dass die Nachdichtung so viel grösseren Ruhm erlangte, als das kräftige Original; aber wie war es möglich, dass ein Gedicht, welches, wie das Oehlenschläger's, von Anfang bis zum Ende um eine nordische Vendetta, um Brudermord, Mordbrand, Trunkenheit, Nothzucht, Eintheerung und Blutschande handelte, jemals in der allgemeinen Gunst mit einem Dichterwerk wie Frithiof wetteifern könnte, das zu Geburtstags- und Weihnachtsgaben wie geschaffen war und das factisch in Deutschland mehr als zwanzig Jahre hindurch das stehende Confirmationsgeschenk für junge Mädchen gewesen ist? Tegnér spielt zwar unaufhörlich (und das mit einer Vorliebe, die mir persönlich entschieden missfällt) mit solchen Worten und Redensarten, mit welchen nach literarischer Convention die Vorstellung von etwas Sinnlichem sich verknüpft; er vergleicht den Busen Ingeborg's mit »Lilienhügeln« und anderen Erhöhungen, die übrigens einer weiblichen Brust so unähnlich wie möglich sein dürften; aber in diesem Liebeln des Dichters erschöpft sich alles Sensuelle im Gedicht. Seine alten Skandinaven lieben wie zwei wolerzogene Verlobte im modernen Schweden. Doch während sie sich keinen Augenblick vergessen, ist der Dichter weniger streng und man fühlt mitunter, wie sein Auge sich auf Ingeborg's weissen Hals richtet. Es wäre gewiss besser gewesen, wenn das Auge des Dichters keuscher und Frithiof menschlicher wäre. In der Weise, wie das Geschlechtliche in dieser Liebesgeschichte behandelt ist, fühlt man stark, dass der Dichter nicht nur ein akademisches, sondern auch ein geistliches Amt bekleidet und im Begriff steht, ein noch höheres zu ersteigen. Deutlich genug hat Tegnér ausdrücklich das Gedicht modernen Vorstellungen über Heldentugend und Weiberkeuschheit zurecht legen wollen. Darum lässt er zwar Frithiof die Nächte bei Ingeborg in Baldershage verbringen, jedoch in aller Zucht und Ehre, und lässt ihn, als er deswegen im Thinge angeklagt wird, feierlich erklären, Balder's Frieden nicht geschändet zu haben. Tegnér nimmt also nicht einmal Anstand, seinem Gedicht den eigentlichen idealen Schwerpunkt, die bewusst und trotzig ausgeführte Entweihung, zu rauben, wenn er dadurch erreicht, das Decorum der Erzählung zu retten. Frithiof erklärt, dass seine Liebe dem Himmel mehr als der Erde angehört; er wünscht beim Stelldichein mit Ingeborg, dass er todt wäre und mit der bleichen Jungfrau in seinen Armen nach Walhall führe, – gewiss ein höchst unnatürlicher Gedanke eines leidenschaftlich Liebenden im Augenblicke des Glücks:
Nicht irdisch ist, vom Himmelsbogen
Stammt meine Liebe; flieh' sie nicht!
Im Himmel ward sie gross gezogen,
Heim sehnt sie sich zum Himmelslicht.
Sonderbare Worte von einem Dichter, der sonst nie müde wurde, die platonische Liebe mit Spöttereien zu verfolgen, und mit recht derben Spöttereien! Er hatte persönlich ein heissblütiges, sinnliches Naturell. Er war seiner Ehe, seinen Jahren und seinem Amte zum Trotz ein feuriger, und, wie das Gerücht sagte, oft glücklicher Verehrer der Frauen. Sein Conversationston Damen gegenüber war häufig so lasciv, dass er Aergerniss erweckte, und er hat in Briefen, Aphorismen, Gedichten, die nach seinem Tode gedruckt worden sind, kein Hehl aus seiner naturalistischen Auffassung der Liebe gemacht. Er huldigte nicht einmal in der Poesie der spiritualistischen Darstellung des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern. Er schreibt z. B.:
»Aeneadum genitrix, hominum divumque voluptas
ist von den Alten nicht nur poetisirt, sondern vergöttert worden. Unsere sentimental nervenschwache Anschauung der Liebe ist keineswegs die einzige, noch weniger die kräftigste. Wie bleich und matt ist, selbst rein poetisch gesehen, die meiste moderne Erotik mit ihren Wasserfarben gegen die ewigen Frescogemälden der Alten!«
Und doch sträub' ich mich zu glauben, dass Tegnér sich in diesem Punkte ausschliesslich von conventioneilen Rücksichten leiten liess. Er war in allzu idealistischen Lehren erzogen, um jemals mit vollem Bewusstsein nach einem Modelle zu zeichnen; ein eigentliches Modell hat er auch für Ingeborg gar nicht gehabt, was genugsam im Gedichte gespürt wird, das dadurch an individuellem, realistischem Leben verlor, was es an typischer Grösse gewann. Doch ganz ohne Modell kann kein Künstler malen, und ganz ohne Verarbeiten von Wirklichkeitsstimmungen und Wirklichkeitseindrücken kein Dichter dichten, am wenigsten ein so subjectiver wie Tegnér. Er hat im Anfang des Gedichts sich von den Erinnerungen an das Zusammenleben mit seiner Braut auf ihrem elterlichen Hofe inspiriren lassen; das Idyllische in Frithiof's Liebe stammt sicher daher, aber ihr schwärmerisches Pathos nicht. Zahlreiche Indicien deuten darauf hin, dass Tegnér, der wie die meisten Poeten immer in einer halben Verliebtheit umherging, gerade in den Jahren, da Frithiof geschrieben wurde, vollständig verliebt war.
Vielleicht war seine Neigung zu der Zeit, wo die Romanzen, in welchen Frithiofs Liebe ihren höchsten lyrischen Ausdruck erreicht (kurz vor Januar 1824) verfasst wurden, noch eine begeisterte, halb unbewusste Schwärmerei, bald von keimendem Verlangen, bald von jenem Schmachten nach dem Tode durchkreuzt, das bisweilen auch die beglückende Liebe begleitet, wenn ein Uebermaas von leidenschaftlichem Sehnen, welches die Seele erfüllt und peinigt, den Wunsch hervorruft, das Herz möchte springen:
O wer doch schon dort oben weilte,
Wer jetzt, mit dir dem Tod geweiht,
Als Sieger zu den Göttern eilte,
Umarmt von seiner blassen Maid!
Vielleicht war er einfach nicht im Stande, seine eigene Poetik der Liebe in die dichterische Praxis hinüber zu führen. Wie es unzweifelhaft Dichter gibt, die mit Recht und Fug den Vers
Vita verecunda est, Musa jocosa mihi
zu ihrem Wahlspruch machen können, so gab es besonders zur Zeit, wo der romantische Idealismus die Poesie beherrschte, Dichter, die durch einen inneren Zwang die entgegengesetzte Formel zu verwirklichen sich gedrängt fühlten.
Die zweite Modifikation des Stoffes, in welcher die Schriftstellerindividualität Tegnérs sich kräftig verräth, ist das Entfernen des für uns Burlesken in der alten Erzählung. Die burlesken Züge kamen dem idealistischen Dichter einfach störend und hässlich vor. Ich wähle ein Hauptbeispiel:
Das neunte Capitel der Sage, in welchem Frithiof dem opfernden König den Tribut überbringt, stellt die Balderanbetung auf folgende anschauliche Weise dar: »Frithiof ging in den Tempel hinein und sah, dass nur wenig Leute im Disasaal waren; die Könige waren beim Disaopfer und sassen beim Trunke. Auf dem Boden war Feuer, und die Weiber sassen bei dem Feuer und wärmten die Götter; aber einige salbten sie, und trockneten sie mit Tüchern. Frithiof trat vor König Helge und sprach: »Nun willst du wol den Tribut haben.« Und alsdann schwang er den Beutel, in welchem das Silber war, in die Höhe, und schlug damit den König so hart an die Nase, dass ihm zwei Zähne aus dem Munde sprangen; der König selbst aber fiel vom Hochsitz und in Ohnmacht. Da griff Halfdan nach ihm, dass er nicht in's Feuer fiele ... Wie Frithiof nun wieder den Fussboden betrat, bemerkte er sogleich den guten Ring [den er Ingeborg gegeben hatte] an der Hand von Helge's Frau, wie sie Balder am Feuer wärmte. Frithiof griff nach seinem Ring, aber der sass fest an der Hand, und er zog sie nun den Fussboden entlang nach der Thür; Balder aber fiel in's Feuer; Halfdan's Frau griff geschwinde nach ihm; da fiel auch der Gott, den sie gewärmt hatte, in's Feuer. Das Feuer fasste nun die beiden Götter, denn sie waren vorher gesalbt, und fuhr hinauf in's Dach, so dass das Haus in helle Flammen kam. Frithiof nahm den Ring, ehe er hinaus ging.«
Die Einwendungen, die gegen die geschichtliche Zuverlässigkeit dieser Darstellung erhoben werden können, sind mir nicht unbekannt. Aber welch' ein köstliches Stück Prosa in ethnographischer und malerischer Hinsicht! Wie sieht man durch die Erzählung die ganze naiv-burleske Scene vor sich! Wer im Berliner Museum das kleine altnordische Thongebilde von einer Göttin betrachtet hat, kann sich eine lebendige Vorstellung von diesen kleinen hässlichen Abgöttern bilden, welche die frommen Weiber auf dem Schosse haben, mit Fett überschmieren und am Feuer wärmen. Alles ist hier vortrefflich: die altnordische Gottesfurcht, die einen Balder in der Puppe sieht mit demselben brennenden Glauben, mit welchem heutzutage im Süden Männer und Frauen des Volks die Himmelskönigin in einer anderen Puppe sehen, und die Scenerie rings umher, der rauchende Scheiterhaufen in der Mitte und die trinkenden Kämpen in der Halle nebenan. Ein moderner Dichter mit lebhaftem Sinne für Zeit- und Localfarbe würde es nicht über sein Herz bringen, das Geringste hieran zu verändern; er würde eine solche Scene wie eine Fundgrube betrachten. Ich spreche nicht von den Realisten; Realisten schreiben keine Romanzen – Cyclen; aber ich denke an die grossen Stylisten unter den Dichtern der Neuzeit. Es ist eine Scene, die in Hugo's »La légende des siècles« aufgenommen werden könnte; aber noch besser wäre sie für einen so strengen Künstler wie Leconte de Lisle: er könnte sie in seine »Poèmes barbares« einflechten. Tegnér aber erschien diese Scenerie nur roh und hässlich, unbrauchbar für die Dichtkunst. Der scharfe Contrast zwischen barbarischer und hellenischer Poesie existirte nicht für ihn; er versuchte seine barbarischen Stoffe so gut es ging, zu hellenisiren. Er mischte aus Princip nicht das wild Burleske in ein pathetisches oder schönes Ganzes hinein. Er malt dann statt dessen, und mit viel Kunst, eine Nacht, wo die Mitternachtssonne hoch am Himmel steht, wo das Baiderfeuer, das Bild der Sonne, auf dem geweihten Steine brennt, während bleiche Priester mit silberweissem Bart und mit steinernen Messern in den Händen längs den Tempelwänden stehen. Die Statue Balder's ragt auf einem Fussgestell mit Frithiof's Ring am Arm empor, und der König mit seiner Krone auf dem Haupte ist am Altar beschäftigt. Diese Scenerie ist weit schöner als jene der Sage; aber sie ist eine Abstraction und darum viel weniger eigentümlich.
Ausser dem Anstössigen und dem Burlesken im Stoffe gibt es noch ein Drittes, was Tegnér umgeht und vermeidet. Das ist die Schuld.
Es gehört zu dem poetischen System Tegnér's, der scharf ausgesprochenen Schuld, nicht weniger als dem ausgeprägt Hässlichen oder Barocken aus dem Wege zu gehen. Sein Held ist zu grundgut, um sich zum Aeussersten von Leidenschaft, Zorn, Rachsucht oder Wildheit hinreissen zu lassen. Er macht einen Anlauf und beherrscht sich gleich wieder. Er rächt sich nicht, wie in der Sage, für die Kränkung, welche ihm die Könige zugefügt haben; er bohrt nicht bei seiner Heimkehr ihre Schiffe an, um sie für das ihm angethane Unrecht zu strafen; sein Waffenbruder versenkt viel später die Schiffe, um Frithiof's Flucht zu erleichtern. Wir sahen ferner, dass Frithiof in seinem Verhältniss zu Ingeborg bei Tegnér keine wirkliche Entweihung begeht. Aber am schlagendsten offenbart sich doch die Sorgfalt des Dichters, nicht bis zur tiefen Schuld zu gehen, wo das Verhältniss Frithiof's zum Tempelbrand geschildert wird. In der Sage zeigt Frithiof immer gegen Balder Uebermuth. Er erklärt, weniger nach Balder's, als nach Ingeborg's Gunst zu fragen. Als die Rückkehr der Könige ihn zwingt, mit den nächtlichen Gastereien im Baldershage aufzuhören, sagt er mit einer gewissen Ironie über Balder zu Ingeborg: »Wol und lieblich habt ihr uns aufgenommen und bewirthet, und der Bauer Balder hat sich gegen uns nicht ereifert.« Und endlich wirft er, als durch seine Unachtsamkeit Feuer im Baldertempel entstanden ist, in seiner Vernichtungswuth Feuerbrände in die Dachlatten. Bei Tegnér ist dieses ganz anders: Frithiof's Gesinnung Balder gegenüber ist fromm, er kniet an Ingeborg's Seite vor ihm nieder und befiehlt ihre gegenseitige Liebe seinem Schutz; er macht energische Versuche den Tempelbrand zu löschen, und als es dennoch misslingt, geht er traurig und weinend fort.
So verwandelt, ist der ganze Charakter menschlicher und edler, aber unleugbar weniger primitiv, und es konnte nicht anders sein, als dass durch diesen idealisirenden und modernisirenden Process ein gewisser Streit entstand zwischen dem Charakter, wie er vom Dichter dargestellt wurde und mehreren der thatkräftigen Züge, die ihm von der Sage beigelegt waren und die unverändert in's Gedicht übergingen. Während der Vollendung des Werkes konnte der Dichter dann manchmal nicht unterlassen, sich selbst zu fragen, ob es denn überhaupt sich lohne, einen alterthümlichen Stoff zu behandeln, wenn das Antiquarische und das Poetische sich nicht ohne unaufhörliche und unnütze Compromisse vereinigen liessen? Seine Briefe sind voll von Zeugnissen dieser Zweifel; als das Werk nach einem Kampf mit dem Stoffe, der volle fünf Jahre dauert, endlich fertig vorliegt, beurtheilen sie »Frithiof« auf's strengste; sie erinnern die Bewunderer des Gedichts daran, dass die Poesie »wachsendes Obst nicht Eingemachtes« sein solle; sie variiren das Thema, dass »Frithiof« zu viel Sage sei, um ein modernes Gedicht zu sein und in zu hohem Grade moderne Poesie für eine altnordische Sage; sie sprechen es aus, dass alle Poesie modern sein müsse »im selben Sinn, wie die Blumen es im Frühling sind«, und verurtheilen all' das Archäologische im Gedichte als neuerbaute Ruinen. Trotzdem hat die allgemeine kritische Stimmung sich gewiss nicht geirrt, wenn sie eher an den allzu modernen als an den allzu alterthümlichen Elementen im Gedichte Anstoss nahm. Ein strenger Stylist hätte, nicht Frithiof in seinem »Vikingerbalk« die Anwesenheit der Weiber an Bord verbieten lassen mit einem sentimentalen Wortspiel wie diesem:
Denn das
Grübchen der Wang' ist die falscheste
Grub',
und ein Netz ist die fliegende Lock'.
Tegnér selbst parallelisirt sein Werk mit Studien wie Goethe's »Iphigenia« und Walter Scott's »The lady of the lake«. Die letztere Parallele hat mehr Wahrheit als die erstere, obwol Tegnér selbst sagt, dass »der schottische Particularismus bei Scott wie der jüdische im alten Testament alles beschränkt und niederdrückt, was sonst bei ihm sich freier und höher erheben könnte.« Tegnér befindet sich auf einer literarhistorischen Station, die halbwegs zwischen den zwei Punkten, Walter Scott und Byron liegt. Ein halbes Jahrhundert seines Lebens fällt mit den Lebzeiten Goethe's zusammen und er erlebte Byron ganz. Von dem ersteren, den zu verstehen ihm schwer wurde, lernte er wenig; am empfänglichsten zeigte er sich dem Goethe'schen Einfluss, wenn derselbe ihm durch Oehlenschläger zukam; für Byron'sche Eindrücke hatte er ein offeneres Gemüth, hielt sich jedoch tapfer von jeglicher Ansteckung frei, was ihm in hohem Grad durch die romantisch-idealistische Vaccine, die ihm früh eingeimpft worden, erleichtert ward. Er war als Dichter zu erfüllt von seinem Ich, um das Unpersönliche in der schöpferischen Begabung Goethe's zu verstehen, andererseits war sein Ich nicht tief genug um Byron auf seinen Entdeckungsreisen innerhalb der Subjectivität zu folgen. Er ist wie Scott und Oehlenschläger national, genau an sein Land, sein Volk und dessen heroische Vorzeit gebunden; aber es liegt in seinem Wesen eine Tendenz gegen das ausgeprägt Persönliche; er nähert sich dem Byron'schen Typus in einer gewissen Entfernung.
Sobald im Jahre 1820 der 16. bis 19. Gesang von »Frithiof« erschienen war, ging eine Stimme der Bewunderung durch Schweden. Selbst die Romantiker streckten gerührt die Hand zur Versöhnung aus. Noch bevor das ganze Werk (1825) fertig vorlag, hatte sich Tegnér's Ruhm in die Nachbarländer verbreitet, namentlich nach Deutschland, wo Tegnér's erste Uebersetzerin, die als Goethe's Freundin bekannte Frau Amalia v. Helvig, den alten Dichter mit Fragmenten von Frithiof bekannt gemacht und ihn dafür gewonnen hatte. Er leitete die Aufmerksamkeit der Deutschen daraufhin, und obwol das, was er in seinem zopfigen Altersstyl über Tegnér geschrieben hat, kaum ein Dutzend Zeilen ausmacht, begreift man, zu welcher Begebenheit eine Anerkennung von Goethe's Seite in einem kleinen Lande wie Schweden heranwuchs. Goethe's Worte lauten: »Wie vorzüglich diese Gedichte seien, dürfen wir unsern, mit dem Norden befreundeten Lesern nicht erst umständlich vorrechnen. Möge der Verfasser auf's eiligste das ganze Werk vollenden und die werthe Uebersetzerin auch in ihrer Arbeit sich gefallen, damit wir dieses See-Epos in gleichem Sinn und Ton vollständig erhalten. Nur das Wenige fügen wir hinzu, dass die alte, kräftige gigantisch-barbarische Dichtart, ohne dass wir recht, wissen wie es zugeht, uns auf eine neue sinnigzarte Weise, und doch unentstellt, höchst angenehm entgegen kommt.« Noch heute werden die Schweden nicht müde, davon zu sprechen. Die Bewunderung für Tegnér stieg in seinem Vaterland mit der steigenden Popularität des Gedichts, ja stieg nach seinem Tode so stark, dass sie ungefähr alle Kritik ertränkte und zuletzt in solchen Uebertreibungen gipfelte, wie derjenigen Mellin's, Tegnér als »grössten Dichter der germanischen Menschenrace« zu proclamiren. Die Huldigung des Mannes aber ist und bleibt die beste, die zugleich eine Huldigung der Wahrheit ist.
Ich stand auf meines Lebens kühnsten Höhen,
Wo sich die Wasserzüge theilen, wo
Nach beiden Seiten ihre Ströme gehen.
Dort war es schön, die Welt so reich und froh.
– – – – –
Da stieg ein finstrer Dämon auf, und schnöde
Biss mir am Herzen sich der Schwarze ein.
Und siehe, wüst war Alles nun und öde;
Der Mond erlosch, es schwand der Sterne Schein.
Von meinem Eden wich die Morgenröthe,
Die Blume starb, es welkte jeder Hain,
Des Lebens Mark verdorrte mir im Herzen,
Und Muth und Freude kehrten sich in Schmerzen.
Noch während Tegnér beschäftigt war, die letzte Hand an seinen »Frithiof« zu legen, brachen die Furien, die an seiner Schwelle gekauert hatten, hinein, schüttelten vor seinen Augen ihre Schlangenlocken und griffen nach ihm mit ihren mageren Armen. Es waren die Furien der Krankheit, der Leidenschaft, des Lebensüberdrusses und des beginnenden Wahnsinnes, und sie gaben einander die Hand und tanzten um ihn einen Reigen.
Das Jahr 1825, dasselbe, in welchem »Frithiof« erschien und durch alle Winde seinen Ruhm verkündete, ward das grosse Jahr der Krisis in seinem Leben. Sowol körperlich wie geistig war die Krise; sie hat gewiss eine rein physische Seite; aber selbst davon abgesehen, dass diese auch einem Arzte dunkel sein würde, ist es doch nur die seelische, die der Kritiker studiren kann, und diese scheint ausserdem unzweifelhaft die erste Ursache gewesen zu sein. Diese seelische Katastrophe ist indessen fast eben so dunkel, wie die körperliche. Sie ist besonders deshalb bisher unbeachtet gewesen, weil die Ausgaben der Tegnér'schen Poesien von seinen überlebenden Verwandten »in usum delphini« gemacht sind. Die Periodeneintheilung ist völlig verwirrend, die Gedichte sparsam datirt, ja, wie ich entdeckt habe, sind mehrere Liebesgedichte gegen fünfundzwanzig Jahre vordatirt worden, um bei dem Leser den Glauben hervorzubringen, sie wären an Tegnér's Frau als seine Braut gerichtet. »Die Melancholie«, das Gedicht, von welchem eben anderthalb Strophen angeführt wurden, ist noch in der letzten Ausgabe undatirt zwischen einem Gedicht von 1812 und einem anderen von 1813 eingeschoben worden. Es lässt sich durch Tegnér's Briefe beweisen, dass es aus 1825 stammt.
Dieses Jahr beginnt für Tegnér mit heftiger Krankheit; am Neujahrstag selbst wird er so krank, dass er glaubt sterben zu müssen. Im März schreibt er, dass sein Gemüth mit jedem Tage düsterer wird. »Gott bewahre mich vor Melancholie und Menschenhass«, heisst es. Im Juli: »Blindheit kommt mir als das schrecklichste irdische Unglück vor – nächst einem, das ich selbst erfahren habe.« Alles, was ihn früher erfreute, ist ihm jetzt verhasst. Die Krankheit dauert als innere Unruhe, doch ohne eigentliche körperliche Schmerzen, fort. »Meine Phantasie, die schon im voraus leicht beweglich war, ist jetzt wie ein Strudel, der alles, was er ergreift, umdreht und zermalmt.
Die Aerzte glauben, dass seine Leber angegriffen sei. »Die Thoren! die Seele ist angegriffen und für sie gibt es kein anderes Heilmittel als das, welches von der grossen Universalapotheke jenseits des Grabes geholt wird.« Er erklärt, seinen Freunden nicht die Ursache seiner Leiden mittheilen zu können. Im November fängt die Heftigkeit an, einer gewissen Ruhe zu weichen. Er macht, heisst es, täglich gute Fortschritte in der Gleichgiltigkeit, in welcher das Glück und die Weisheit des Lebens besteht. Die Bestimmung des Weisen sei, immer mehr Schildkröte zu werden. So lange er einen einzigen entblössten Gefühlsnerv habe, sei sein Wesen das Eigenthum der Qualen. Er fühlt »wie ein Bodensatz von Verachtung des zweibeinigen Geschlechts sich am Boden seines Herzens absetze«. »Ach«, ruft er aus, »das rechte innere Leid, das starke Seelen angreift, ernährt sich selbst, wie der Krieg, wenn er richtig organisirt ist, oder wie ein wildes Thier, wenn es ausgewachsen ist, es thut.« An seinem Geburtstage, dem 13. November, versinkt er in die tiefste Melancholie: man solle wie die Aegypter den Todestag feiern. Was ihn besonders verstimmt, ist, dass dieser Geburtstag der letzte sei, den er in Lund verbringe, wo er 26 Jahre verbracht habe; er soll jetzt zum Bischof ernannt, mit Fremden, die ihn nicht verstehen werden, verkehren; er wird als Bischof ein desorganisirtes Stift bekommen und wird als Despot verschrieen werden. In früherer Zeit sei ihm dies gleichgültig gewesen; damals kümmerte er sich nicht um den Mob; jetzt sei er aber nervenschwach, hypochonder und verstimmt und beginne die Menschenfurcht zu verstehen. »Und doch ist dies nicht meine einzige, nicht einmal meine grösste Sorge. Doch die Nacht schweigt und das Grab ist stumm; ihrer Schwester, der Trauer, gebührt's ebenso zu schweigen.« Als er endlich, am letzten Tage des Jahres, die Bilanz zieht von dem, was er darin gelernt und gewonnen hat, schreibt er: »Ach! das alte Jahr, was ich in ihm gelitten habe, weiss Niemand, wenn nicht vielleicht der Protokollist dort oben über den Wolken. Aber ich bin dem Jahre verpflichtet. Es ist finsterer, aber auch ernster gewesen als all die andern zusammen. Ich habe auf eigene Kosten gelernt, was ein Menschenherz aushalten kann ohne zu brechen, und welche Kraft Gott unter die linke Brustwarze eines Mannes niedergelegt hat. Wie schon gesagt, ich bin dem Jahre verpflichtet; denn es hat mich reich gemacht an dem, was der stehende Fond menschlicher Weisheit und Selbständigkeit ist, einer kräftigen, tiefwurzelnden Menschenverachtung.« Die Reizbarkeit des Nervensystems lässt ihm keine Ruhe weder am Tage noch in der Nacht: »Mein Gemüth ist unchristlich, denn es hat keinen Sabbath ... Mineralwasser kann ich in dem kommenden Sommer nicht trinken. Aber gibt es nicht ein Mineralwasser, das ›Lethe‹ heisst?«
Was ist geschehen? Dass körperliches Leiden und Kränklichkeit selbst in sehr hohem Grade sich hier finden, ist unzweifelhaft. Esaias Tegnér hatte einen älteren Bruder, Johannes, gehabt, der geisteskrank war und neununddreissig Jahre alt im Wahnsinn starb; der jüngere Bruder brütete immer über dem Gedanken, dass der Wahnsinn ein Familienerbe sei. Thomander, der spätere Bischof, der im März 1825 Tegnér besuchte; schreibt über ihn: »Er hat jetzt mehr dunkle Stunden als vorher; manch' Einer, aber Niemand so sehr wie er selbst, fürchtet für seinen Verstand; es ist seine fixe Idee, dass er geisteskrank werden wird, weil sein Bruder und andere Verwandten es geworden sind.« Niemand kann aber in Zweifel sein, dass die Melancholie, die sich so plötzlich über Tegnér's heiteres und frisches Gemüth warf, andere Ursachen als Krankheit hatte; allzuviele Aeusserungen deuten auf ein bestimmtes, concretes Factum hin, ganz gewiss ein Factum, das er nicht mittheilen will, aber dessen Beschaffenheit er doch bezeichnet. Es ist »das Herz«, das getroffen worden. Es ist Menschenverachtung, die ihn überwältigt hat. Es ist Verachtung vor »dem Charakter« eines anderen Menschen, welche die erste Ursache seines Lebensüberdrusses ist, und dieser Mensch ist ihm »lieb oder lieb gewesen«. Man braucht nicht Tegnér tief studirt zu haben, um zu schliessen, dass hinter diesem allen eine Frau steht, und dass alle jene Ausbrüche sich auf eine unglückliche oder unbefriedigte erotische Leidenschaft zurückführen lassen.
Unter den Briefen des Bischofs Thomander finde ich einen von 1827, worin erzählt wird, dass Tegnér, als er noch in Lund war, für die schöne Frau eines seiner Freunde warme Gefühle hegte. Von deren Clavier ging er nie fort, wenn sie sang; »Holde Rose!« von Atterbom war sein Lieblingsstück. Thomander schreibt, er habe in einem Hause, in welchem er mit Tegnér zusammentraf, die ältere Tochter gewarnt, »Holde Rose!« zu singen, weil er wusste, »dass dann der böse Geist über Saul käme«; durch ein Missverständniss sei aber das Verbotene geschehen, und von dem Augenblick ab sei die gute Stimmung Tegnér's auf ganze Tage verschwunden. »Holde Rose!« ein glühendes Liebeslied, dreht sich um die Qual des Schmetterlings, in der Nacht von der Rose entfernt zu sein und nur bei Tage sie liebkosen zu dürfen. In einem Briefe Tegnér's vom Mai 1826 heisst es in Uebereinstimmung hiermit: »Gesang zu hören, daran hatte ich mich besonders in den letzten Jahren in Lund gewöhnt, wo ich täglich Gelegenheit hatte, eine Frauenstimme zu hören, die noch immer in meinem Herzen widerhallt.« An die Dame, von welcher hier die Rede ist, hatte Tegnér schon 1816 für seinen Freund eine Art versificirten Freierbrief geschrieben, in welchem ihre Schönheit, ihre Herzensgüte und ihr Gesang verherrlicht wird. Er spricht hier von der Gefahr, in ihre Augen zu sehen. Es scheint, dass, was damals im Scherz eine Gefahr genannt wurde, mehrere Jahre später eine wirkliche Gefahr für Tegnér geworden ist. Es scheint, dass seine Bewunderung für das Wesen und die Talente der schönen Dame langsam zur Leidenschaft gestiegen, und dass diese Leidenschaft erwidert worden ist. Die locale Tradition weiss über dieses Verhältniss, welches überdies sein häusliches Glück nicht unberührt gelassen haben kann, nicht wenig zu erzählen. Es hat ihm jedenfalls die Trennung von Lund sehr erschwert. Noch lebende Zeitgenossen Tegnér's haben mir ausserdem eine Begebenheit mitgetheilt, die zu seiner Menschenverachtung, besonders seiner Verachtung des Weibes einen wesentlichen Beweggrund abgab. Er entdeckte, dass eine sehr vornehme Dame, von der er bezaubert war, sich einem völlig rohen und ungeschlachten Menschen hingegeben hatte. Hat es ihm in dem Grade angewidert, selbst treulos, Untreue überall zu finden, dass er in Lebensüberdruss zusammenbrach? Sagte er sich einfach, dass er verschmäht worden, weil er schon alt und bald grau sei, und verzweifelte er darüber, dass das Glück der Jugend für ihn zu Ende? War er so empört, thierische Leidenschaft dort zu treffen, wo er die Krone der weiblichen Bildung und Schönheit verehrt hatte, dass in seinem krankhaften Zustand diese Entrüstung über ein einzelnes Wesen zum allgemeinen Ekel am Leben heranwuchs? Ich kann die Fragen nicht entscheiden. Ich sehe nur, dass der bittere Schwermuth in das vormals so gute Schiff seines Schicksals das Loch bohrte, durch welches die schwarzen Gewässer der Misanthropie und des Wahnsinnes hineinströmten und alles überspülten. Während des Schiffbruches schrieb er dann die melancholischen Verse:
Dich, mein Geschlecht, fürwahr, dich muss ich preisen,
Dich, Gottes Abbild, strebend himmelan,
Zwei Lügen hast du dennoch aufzuweisen:
Weib heisst die eine, und die andre Mann.
Von Treu' und Ehre singen alte Weisen,
Am besten singt sie, wer betrügen kann.
Du Himmelskind, das Wahre, was dir eigen,
Das ist auf deiner Stirn das Kainszeichen.
Ein deutlich Merkmal, dir von Gott gegeben!
Wie hatt' ich früher auf das Schild nicht Acht!
Ein Moderduft durchzieht das Erdenleben,
Den Lenz vergiftend und des Sommers Pracht.
Nur aus der Gruft kann dieser Hauch sich heben,
Zwar an den Gräbern hält der Marmor Wacht –
Doch ach! Verwesung heisst des Lebens Seele,
Durch keine Macht gebannt in ihre Höhle.
Die Missstimmung, in welche Tegnér's Seele in der letzten Zeit, während »Frithiof« in Arbeit war, verfiel, hat selbst in diesem heiteren und harmonischen Gedichte Spuren hinterlassen. Einer der zuletzt verfassten Abschnitte ist der, welcher den Titel »Frithiof's Rückkehr« führt. Sein Inhalt ist ausnahmsweise der altnordischen Sage nicht nachgebildet: Frithiof kehrt heim, erfährt, dass Ingeborg sich zur Hochzeit mit König Ring habe überreden lassen und erschöpft sich in seiner ersten Erbitterung in einem Strom von Zorn über die Treulosigkeit der Geliebten. Kein kritischer Leser kann übersehen, wie nahe dieser Ausbruch mit den obenangeführten Strophen der »Melancholie« verwandt ist:
»O Weiber, Weiber,« nun Frithiof sagte,
»Das Erste, welches bei Loke tagte,
War eine Lüg', und in Weibsgestalt
Trat hin die Falsche zum Mann alsbald.
Mit blauen Augen, die stets berücken,
Mit falschen Thränen, die stets entzücken,
Die Wangen rosig, der Busen weiss,
Mit Treue schwindend wie Frühlingseis.
Es flüstern Falschheit und Trug im Herzen,
Meineide stets auf den Lippen scherzen
Und theuer war mir die Falsche doch!
Wie theuer war sie! wie ist sie's noch!
– – – –
In Menschenbrust ist die Falschheit nur –
Seit Ingborg's Stimme den Meineid schwur,
– – – –
Ich treff auch wol in der Streiter Schwarm
Ein Bürschchen an mit verliebtem Harm;
Auf Treu' und Ehr' will der Narr noch bauen?
Aus Mitleid will ich ihn niederhauen;
Ich will ihm sparen, dereinst zu stehn
Beschimpft, verrathen, wie mir geschehn.«
Wir gewahren hier in Frithiof's Innerem denselben geistigen Process, welchen wir eben im Gemüthe Tegnér's beobachteten. Er verurtheilt nicht das einzelne Weib allein für ihre Untreue gegen ihn, sondern dehnt sein Verdammungsurtheil auf das ganze Geschlecht aus. »Das Weib ist eine Lüge,« sagt er wie der Dichter in der »Melancholie.« Ein Narr ist der, welcher auf »Treu und Ehre« baut, das sind seine Worte hier wie dort. Die einzelne bittere Erfahrung dehnt sich bei Frithiof wie bei seinem Dichter aus zur Menschenverachtung und zum Lebensüberdruss. Kein Wunder, da sie noch näher als Vater und Sohn mit einander verwandt waren.
Von jetzt ab ist das Capitel von der Treulosigkeit des Weibes als Weib das stehende Capitel bei Tegnér. Seine Briefe variiren dieses Thema. Es ist ihm z. B. unmöglich eine gute oder schlechte Uebersetzung zu nennen ohne entweder zu bemerken, dass schöne Uebersetzungen wie schöne Frauen nicht immer die treuesten, oder dass Treue und Schönheit selten gute Freunde seien. Er kann nicht von dem Geschenk einer Frau sprechen ohne ihr Herz die schlimmste, die gefährlichste Gabe zu nennen, die sie geben könne. Die Frauen im allgemeinen betrachtet er jetzt wie eine Art »Geselligkeitsmaschinen oder Spieldosen, die recht artig klingen, wenn sie gehörig aufgezogen werden.« Was die Liebe betrifft, so sei sie eine solche Selbstmörderin, dass sie, sobald sie nicht vergeblich seufze, durch sich selber sterbe. Ueber Ingeborg schreibt er: »Ihre Treulosigkeit gegen ihren Liebhaber ist ganz gewiss schon durch die Natur des weiblichen Herzens motivirt, musste aber doch von einem Poeten, der sich gegen das schöne Geschlecht gern artig benimmt, auf irgend eine Weise vergoldet werden.« Ja so hartnäckig wurde nach und nach bei Tegnér diese Gewohnheit, das Weib als unzuverlässig und unstet zu schildern, dass er noch viele Jahre später, wenn er als Bischof seine Schulreden hielt, ausser Stande war, die Schuljungen mit seiner Theorie zu verschonen. In einer Rede von 1839 preist er die Knaben glücklich wegen des Reichthums an Hoffnungen, der ihrer Jugend gehört. Dann heisst es: »Die Hoffnung ist in allen mir bekannten Sprachen weiblichen Geschlechts und verleugnet auch nicht ihr Geschlecht. Es ist wahr, dass sie betrügt ... aber glaubt gern, glaubt lange an die schöne Betrügerin und drückt sie an Euer Herz.« Tegnér muss unleugbar von seiner Bitterkeit gegen die Frauen sehr erfüllt gewesen sein, um ihr bei einer so wenig schicklichen Gelegenheit, einem so wenig passenden Publikum gegenüber, Luft zu machen. Aber nicht diese einzelne leidenschaftliche Verstimmung allein, kann von der Krise im Leben des Dichters datirt werden; von diesem Zeitpunkt ab beginnt überhaupt ein heftigerer, leidenschaftlicherer Ton in seinen Briefen und Poesien hervorzutreten. Es findet sich eine shakespeareartig tragische Leidenschaft darin. Die Welt ist aus den Fugen, und wie soll sie durch Hamlet's Arm wieder in's Geleise gebracht werden können! Auf Ophelia verlässt er sich nicht mehr, sie gehe in ein Nonnenkloster, wenn sie sich rein bewahren will. Denn Schwachheit, dein Name ist Weib! Was ist das Leben? »Galgenfrist«. Und was ist die Weltgeschichte? »Hundetanz«. Ein widerliches Komödienspielen ist alles, was Hamlet rings um sich sieht und die Welt »eine gemalte Theaterdecoration mit papiernen Rosen und Opersonnenschein.« Er könnte wahnsinnig darüber werden, und er wird möglicherweise zuletzt darüber wahnsinnig; aber erst soll die Lüge und Jämmerlichkeit des Lebens ohne Gnade und ohne Schonung entlarvt werden.
Es liegt eine wilde Rücksichtslosigkeit über Tegnér's Briefen von 1825, die nie früher bei ihm gespürt wurde. Man frage ihn z. B. nach seinen Berufsgenossen, den Theologen? Sie sind »Hesekiel's Cherube mit Ochsenköpfen, doch ohne Flügel«. Und die Bischöfe? »Geborene oder gewordene Hinfällige«. Und der Apostel Paulus selbst? »Griechische Sophistik auf jüdische Rohheit geimpft«. Was sagt er über das Königthum? »Die Macht ist ebenso lächerlich wie abscheulich, wenn sie in die Hände der Trivialität, der Hilfslosigkeit, der Dummheit fällt – siehe den Staatskalender über Europa«. Und über die Vorsehung? »Die Vorsehung ist ein Begriff ohne jeglichen Halt. Ich weiss recht wol, was Lessing und die anderen Deutschen behauptet haben, dass die Weltgeschichte das Staatsprotokoll der Vorsehung sei; das ist ein hübsches Gedicht und ich könnte es wol auch in Versen ausführen; aber nicht glaub' ich in Ernst daran«.
Mir ist es, als ob ich unter allen diesen verzweifelten Reden über Menschenwerth und Weibertreue, über Könige und Bischöfe, Christenthum und Geschichte einen Unterstrom rieseln hörte von dem ergreifenden Klagegesang der »Melancholie«:
Du, Wächter, sprich: Wie spät ist denn die Stunde?
Wird diese Nacht denn nie zu Ende gehn?
Es weicht und kehrt der Mond mit blut'ger Wunde,
Thränenden Aug's die Sterne niedersehn.
Wie mit der alten Jugendkraft im Bunde
Schlägt stark mein Puls und spottet meinem Flehn.
Wie unermesslich jedes Pulsschlags Schmerzen!
Weh meinem blutigen, zerrissnen Herzen!
Kein Zug illustrirt besser die Civilisationsstufe Schwedens zu Tegnér's Lebzeiten als die Weise, in welcher Wissenschaft und Religion verknüpft waren. Das Verhältniss zwischen Staat und Kirche war so intim, ich hätte beinahe gesagt so naiv, dass ein Professor schon als solcher zugleich Pfarrer war und dass das natürliche, das erwartete Avancement für einen tüchtigen Professor in Griechisch, Botanik oder Geschichte das war, dass er – Bischof wurde. Es war ein Staatshaushalt, der lebhaft an die private Haushaltung bei Molière's Harpagon erinnert. Der Universitätslehrer, dessen Katheder in Lund am Sonntage mit der Kanzel auf dem Lande vertauscht wurde, war eine Art Maître Jacques mit dem Ornat über dem Professorrock, und musste, wie der berühmte Diener des Geizigen im Lustspiele, in jedem eintretenden Falle den Staat fragen: »Bitte, ist es Ihr Kutscher oder ist es Ihr Koch, mit dem Sie jetzt sprechen wollen? denn ich bin beides.«
Die ursprüngliche Ursache, weshalb Tegnér das Avancement wünschte, war rein ökonomischer Natur; er hatte Schulden und die vermehrte Einnahme kam ihm sehr zu statten. Er war wie die Gebildeten seiner Zeit gewohnt, einen bestimmten Unterschied zwischen der esoterischen und der exoterischen Seite der Religion zu machen, und wenn er auch seinem Charakter nach sich als Heide fühlte, so waren seine Stimmungen doch oft fromm; er war zu viel Dichter, um sich nicht oft und leicht contrastirenden Eindrücken hinzugeben; so kam es, dass er in seinen Ueberzeugungen ursprünglich kein Hinderniss fand, das Bischofsamt anzunehmen. Doch kaum zum Bischof ernannt, fühlte er den tiefsten inneren Widerwillen gegen all' die Zweideutigkeit und Halbheit, in die er sich verwickelt sah und in der die Pflichten gegen seine Familie ihn festhielten. So stieg die Misanthropie und die Unlust zu leben, die im Jahre der Krise entstanden war, immer mehr. Energisch und pflichttreu, wie er war, warf er sich auf die äusseren Seiten seines Amtes; er wurde der Civilisator und Organisator seines Stiftes, ein feuriger, unternehmender Schuldirector, ein überlegener, rücksichtslos eingreifender Erzieher seiner Pfarrer. Der rein bürgerliche Standpunkt, den er in seiner Auffassung der Kirche einnahm, ist ungefähr derselbe, den gleichzeitig in England der übrigens weit weniger freisinnige Coleridge einnimmt. »Die frühere religiöse Bedeutung der Kirche«, sagt Tegnér, »kann natürlich nicht wieder aufgerichtet werden, denn das System, auf welchem sie beruht, hat drei Jahrhunderte der Geschichte verschlafen, und es ist zu keinem Nutzen, dass Einer und der Andere thut, als ob er an die Nachtwandlerin glaube. Aber die Kirche hat auch eine bürgerliche Bedeutung, und sie kann und muss als integrirender Theil der menschlichen Gesellschaftsordnung aufrecht erhalten werden. Will man auch diese ihre Bedeutung der Schlaffheit und der Schlafsucht preisgeben, so sehe ich nicht ein, weshalb nicht die Geistlichkeit mitsammt dem ganzen religiösen Apparat zum Besten der Staatskasse eingezogen werden sollte.« Um zu begreifen, wie stark er sich in Anspruch genommen fühlte, muss man wissen, dass der Predigerstand in Schweden sich damals in Bildung und Sitten auf gleich niedriger Stufe befand. Es galt, den Pfarrern die Elemente humaner Bildung beizubringen und die ärgsten Trunkenbolde unter ihnen zu entfernen. Man hatte ihm einen Augiasstall zu reinigen gegeben.
Die geistlosen Beschäftigungen zehrten an seiner schon im voraus erschütterten Gesundheit und guten Laune. »Die Examina stehen jetzt bevor und ich muss acht Tage nach einander im Gymnasium sitzen. Dann Predigerexamen und Ordination. Dann nicht weniger als acht neue Kirchen einzuweihen in diesem Sommer. Und bei alledem soll geredet werden, immer geredet werden, um Nichts und für Nichts. Words, words, words, sagt Hamlet. Beklage mich, ich bin todtmüde von Reden, von Missmuth und muss doch immer wieder daran. Kein Mensch achtet darauf, was ich sage, und ich selbst auch nicht. Das nenne ich in die Luft reden und sein Leben in Ceremonien vergeuden.« Es kamen Augenblicke, wo alles Geistliche ihm ein Greuel war. In einem solchen schrieb er scherzend an einen Freund, den er bat, ihm ein paar Pferde zu kaufen: »Keine schwarzen; denn ich vertrage nicht die Pfaffenfarbe.« Es war ein trauriger Missgriff, der einen so modernen Geist in ein so mittelalterliches Costüm hüllte; das Ornat vermochte nicht ihn umzuwandeln, wie es so manchen Anderen umgewandelt hat; aber es peinigte ihn und verzehrte ihn nach und nach wie ein vergiftetes Nessushemd.
Und doch war seine Glanzzeit noch nicht vorbei. Bevor seine Sonne unterging war ihm noch ein prachtvolles Abendroth vorbehalten. Die vielen zerstreuten Wolken, die sich über seinem Haupte und in seinem Horizont gelagert hatten, machten, wie es zu gehen pflegt, nur den Sonnenuntergang glühender und reicher. Die Zeit des lyrischen Enthusiasmus war für Tegnér für immer vorbei; der Glaube an Zukunft und Fortschritt, der die Quelle des Lebensmuthes ist, war ja längst versiegt. Aber noch eine Fähigkeit hatte er in Reserve, ein Talent, das bisher der schaffenden Phantasie und der lyrischen Begeisterung untergeordnet gewesen war, die poetisch-rhetorische Gabe. Diese erreichte in seiner Bischofszeit ihre höchste Blüthe.
Wie das Talent Tegnér's zur Hervorbringung der von ihm selbst sogenannten »lyrischen« Charaktere in Verbindung mit dem lyrischen Hang des ganzen schwedischen Volkes steht, so stimmt auch diese seine zweite Fähigkeit merkwürdig mit Grundeigenschaften seines Volkes überein. Die schwedische Nation hat eine besondere Gabe, zu repräsentiren. Der Schwede liebt, was sich gut ausnimmt, und versteht besser als Dänen und Norweger vortheilhaft zu arrangiren; er hat in Sitte, Umgangsleben, Rede mehr Form und zugleich mehr förmliches Wesen, als die übrigen Skandinaven. Schon die Sprache ist ceremoniell, indem ihr das Anredewort »Sie« ganz fehlt, so dass Name oder Titel unaufhörlich wiederholt werden müssen. Kein nordisches Volk versteht wie das schwedische eine Procession, ein Fest, eine öffentliche Ceremonie, einen Einzug oder eine Krönung mit dem Ensemble anzuordnen, das erforderlich ist, um die Wirkung zu sichern. Dieser nationalen Repräsentationslust, deren Pflanzschulen die Kirche und die Universitäten aus leichtverständlichen Gründen immer waren, entspricht eine eigene Art von nationaler, festlicher Beredtsamkeit. Die schwedische Beredtsamkeit ist pathetischer und prachtliebender als die der übrigen skandinavischen Völker. Sie hat etwas von dem geistlichen Schwung, den die Kirche mitbrachte, etwas von dem professorenartigen Gepräge, das die Universitäten bewahrten, und nahm endlich nach der Stiftung der schwedischen Akademie ein eignes akademisches Element in sich auf, das man als einen Hang zum Euphemismus, eine Neigung die Gedanken zu umschreiben und den Dingen schöne Namen zu geben, bezeichnen kann. Von den Mängeln derselben hatte Tegnér nur wenige, aber er besass alles, was in dieser Schule entwickelt war von Kraft und Klang der Sprache, von Klarheit und Bilderpracht des Vortrags, von Fähigkeit, Stimmungen auszudrücken und eine ganze Versammlung in Stimmung zu bringen. All' dieses kam in Tegnér's Festreden und Festgedichten zur feinsten Blüthe. Sein berühmtestes Festgedicht ist das vom Jahre 1829 geworden.
Studenten aus Lund hatten Oehlenschläger eingeladen, ihrer Promotion beizuwohnen und als Tegnér dies erfuhr, beschloss er, die Gelegenheit zu benutzen, mit einem der für die Magister des Tages bestimmten Lorbeerkränze Adam Oehlenschläger zu krönen. Eine schwedische Idee und eine poetische! ausserdem die Idee eines edlen, nicht eitlen Dichters! So entfernt war Tegnér von jedem übertriebenen Streben nach Anerkennung, dass es ihm ganz natürlich war, einen anderen Dichter als seinen Meister zu bekränzen. Er hatte eben seine Rede geendet und den Rector aufgefordert, die Magisterpromotion zu beginnen, als er gegen Oehlenschläger gewendet, der am Hochaltare in der Domkirche stand, noch ein Mal das Wort ergriff und den Rector anredete:
Aber bevor du den Lorbeer vertheilst, so schenke mir einen,
Nicht für mich; in dem Einen jedoch will Alle ich adeln.
Nordens Sängermonarch ist hier, der Adam der Skalden,
Erbe des Throns im Reich des Gesangs, denn der Thron ist Goethe's.
Wüsste doch Oscar darum, im Namen des Theuren geschäh' es.
Nun nicht ist's in dem seinen, noch minder in meinem, es ist im
Namen des ew'gen Gesangs, lauttönend in Hakon und Helge,
Dass ich dir biete den Kranz; er wuchs wo Saxo gelebt hat.
Hin sind die Zeiten der Trennung – im Reiche des Geistes, dem freien
Sollten ja nimmer sie sein – und verschwisterte Lieder ertönen
Ueber den Sund und entzücken uns jetzt, und vor allen die Deinen.
Drum beut Swea den Kranz dir – ich sprech' im Namen von Swea:
Nimm von dem Bruder ihn an, und trag' ihn zur Ehre des Tages.
Und unter dem Getöse von Pauken, Trompeten und Kanonen setzte er den Kranz auf Oehlenschläger's Haupt. Mag die Inscenirung nur dem Augenblicke gehören, Pauken, Trompeten, Kanonen, die ganze Janitscharenmusik im Momente verschwinden! Es war doch ein grosser und schöner Augenblick, und die Erinnerung daran hat, wie wenige andere, die nordischen Völker mit einander verbrüdert.
Das Jahr 1830, das Frankreich die Julirevolution brachte, veränderte dadurch in Schweden die politischen Stimmungen und bald die politische Situation; das Jahr gab dem Liberalismus einen neuen Aufschwung, modificirte bedeutend seine Zwecke und veränderte die Sprache seiner Presse. Vor 1830 war das Ideal der schwedischen Liberalen Freiheit gewesen; jetzt wurde es Demokratie. Selbstverständlich trieb das Hervorrücken des Liberalismus die conservativen Gruppen zur entgegengesetzten Aeusserlichkeit. Upsala war das Hauptlager der reactionären Partei; hier herrschte Geijer, und die loyalen Studenten folgten ihm so treu, dass sie in einem Ständchen an Karl Johann es als ihre Pflicht bezeichneten »obéir, mourir et se taire«. Zum Vergelt nannte die Stockholm'sche liberale Presse Upsala ein faules Torynest und die Universitätsprofessoren vertrocknete Maulwürfe. Eine neue Journalistik entwickelte sich, die unter dem herrschenden Absolutismus nur durch einen persönlichen, ausgelassenen Ton sich Gehör verschaffen zu können meinte. Der Styl dieser Presse war leichtfertig und scharf; sie verletzte mit Nadelstichen und Persiflage. Man schonte weder den Hof noch die Person Karl Johann's. Gefiel dieser Ton auch in einigen hauptstädtischen Kreisen, so erregte er doch besonders in den Provinzen einen lebendigen Unwillen, bei Keinem einen stärkeren, als bei Tegnér, dessen zerrissenes Gemüth allzu verstimmt war, um das Gute sehen zu können, das möglicherweise einmal mit der Zeit von all' diesen Sünden gegen den guten Ton und gegen den Respect vor dem Ruhm des alten Königs hervorgehen könnte. Er legte einen leidenschaftlichen Protest dagegen ein, und die liberalen Blätter fielen wie Wespen über ihn her. Die Folge war, dass er sich bald nicht nur gegen die liberale Presse, sondern auch gegen die von ihr verkündeten Lehren wandte. Geistesaristokrat, wie er war, widerte das demagogische Wesen ihn an; zum idealen Begriffe vom Volke hatte er sich kaum selbst in seiner besten Zeit erhoben, und jetzt, nachdem aller Glaube an menschliche Reinheit und Seelenschönheit in ihm zerstört worden, konnte er sich weniger als je dazu erheben. Und unter diesen Umständen musste er als Fach-Politiker auftreten, indem er als Bischof an den Reichstagsverhandlungen zu Stockholm Theil nahm. Es kann nicht Wunder nehmen, dass es jetzt in entschieden conservativer Richtung geschah; ja Tegnér trat sogar als ein wahres »enfant terrible« des Conservatismus auf, denn wenn der alte streitbare Geist über ihn kam, schonte er weder Freund noch Feind. Durch alles, was er jetzt schreibt oder im Reichstage spricht, ziehen sich die bitteren Ausfälle gegen die neue Form von Journalistik, die ihm als das sichere Symptom von Schwedens Verfall erschien. Man höre seine Sprache:
Die schwed'schen Farben waren blau und gelb,
Es kleidete in sie sich Kraft und Ehre.
Schmutz ist jetzt ›Nationalfarb‹, und die Lüge
Eu'r Heldenlied, das Schmäh'n ist losgelassen
Sechs Tage, ja wol sieben, in der Woche.
Sein Auge späht in's Leben jedes Hauses,
Es liegt sein Ohr vor jedem Schlüsselloch –
Ihr Männer Schwedens ist
das eure Freiheit?
Seine Krankheit hatte seit dem ersten Ausbruch ihm nicht Ruhe gelassen. Eine Badereise nach Karlsbad im Jahre 1833 brachte keine Linderung, geschweige denn Genesung. Der wesentlichste Nutzen, den die Reise zur Folge hatte, war der rein geistige, dass Tegnér Deutschland etwas besser kennen lernte. Er hatte nur wenig Sympathie für dieses Land, dessen zu jener Zeit so dunkle Philosophie ihn zurückscheuchte, und das ihm literarisch in das Aneignen fremder Erzeugnisse, ohne denselben ein eigenes Gepräge geben zu können, aufzugehen schien. Er vergleicht die Deutschen mit dem kaspischen Meer, das eine Menge Flüsse aufnimmt, aber keinen Ablauf hat und alles in Nebelform verdunsten lässt. Auf der Reise, während welcher ihm als dem in ganz Deutschland berühmten Dichter grosse Aufmerksamkeit, sowol von Privaten wie von dem König Friedrich Wilhelm IV. erzeigt wurde, erhielt er wenigstens einen flüchtigen Eindruck der positiven Eigenschaften des Volks. Er schreibt u. A.: »Deutschland ist seiner tollen Nebelhaftigkeit zum Trotz unleugbar lange der Lehrstuhl Europa's gewesen, und Preussen ist unzweifelhaft jetzt die Intelligenz der civilisirten Welt.« Aber er war zu alt um auf's neue in die Schule zu gehen, und doppelt lebensmüde, nachdem die Hoffnung auf Besserung vereitelt worden, kehrte er zu seinem geistestödtenden Beruf und seinem vergeblichen Kampf gegen die politische Entwicklung in Schweden zurück.
Sein Abscheu gegen die Presse, die er vergeblich zu bekämpfen suchte, ging so weit, dass sich zuletzt sein Herz sogar von Schwedens Land und Volk entfremdete. Er schreibt: »O mein armes Vaterland! Ueber die Publicisten selbst wundere ich mich nicht; sie leben von Schmähen wie der Scharfrichter vom Köpfen und der Schinder vom Geisseln; aber was soll man von einem Volke sagen, von dem ganzen hochlöblichen schwedischen Volke, das solche Erbärmlichkeit nicht nur duldet, sondern ermuntert, kauft, liest, bewundert? Es kann nur so erklärt werden, dass die Nation ganz und gar Pöbel geworden ist, mit sehr wenigen Ausnahmen. Ich sehe nicht ein, dass anderes übrig bleibt, als Abschied zu nehmen, wenn nicht von Schwedens Land, so doch von der schwedischen Sprache und Finnisch oder Lappisch zu schreiben«. Anderswo heisst es: »Mein Traum von der Ehre und gesunden Vernunft des schwedischen Volkes ist längst ausgeträumt und für immer zersplittert«. Und mit einer Wendung, die interessant ist, weil sie beweist, wie nah' verwandt nach der eigenen Empfindung Tegnér's seine Streitbarkeit den Liberalen gegenüber mit seiner Bekämpfung der Romantiker war, schreibt er: »Du kannst dir leicht vorstellen, was ich von dem königlich schwedischen Publikum denke. Den Gedanken – ein Traum war es – dass sich mit einem solchen Mob etwas ausrichten liesse, hab' ich längst aufgegeben. Sie sind und bleiben verworfen. In welcher Form auch die Thorheit auftritt, politisch oder litterär, als Phosphorismus oder als Rabulismus, so ist die Masse bereit, ihr zuzufallen. Ein so erbärmliches Geschlecht ist des Pulvers nicht werth.«
Diese Aeusserungen sind alle von 1839 und dem ersten Monat 1840. Eine solche Wucht von Hoffnungslosigkeit und Menschenverachtung konnte den stärksten Geist zum Unterliegen bringen, wie viel mehr einen, den sechzehnjährige Krankheit untergraben hatte. Als Tegnér sich während des Reichstags 1840 in Stockholm aufhielt, trat die Katastrophe ein. Der Wahnsinn brach aus. Er äusserte sich theils in wilden Ausbrüchen von Sinnlichkeit unter voller Geistesstörung, theils und am häufigsten im Entwerfen von kolossalen Plänen, riesigen Finanzoperationen, Plänen zu Völkerwanderungen und Welteroberungen. Der Stern war erloschen.
Er entzündete sich wieder, um einige Jahre hindurch mit einem milderen, schwächeren Schein zu leuchten; aber sein rother Marsglanz kehrte nicht wieder zurück. Was muss der unglückliche grosse Mann nicht gelitten haben, bis der Wahnsinn zum entscheidenden Ausbruch kam! Schon 1835 sagte er zu Adlersparre, dass seine Seele brenne und sein Herz blute, dass aber seine Krankheit, der man den Kosenamen Hypochondrie gebe, mit seinem wirklichen Namen Tollheit hiess. »Es ist eine Erbschaft«, fügte er hinzu, »die los zu werden nicht in meiner Macht stand.« Bei seinem letzten Besuch in Wermeland sagte er: »Ich bin die personificirte Antisana, ich stehe mit den Füssen im Schnee, aber der Kopf brennt und speit Feuer.« Er weissagte, nicht lange Zeit vor sich zu haben, sprach aber mit Trauer über die Weise, in welcher er zu sterben verurtheilt sei, »Bissen für Bissen von dem tausendmäuligen Ungeheuer, der Hypochondrie, verschlungen.« Was hat er nicht gelitten! Ich gebrauchte den Ausdruck, dass die Furien über seine Schwelle stiegen. Er hat selbst seinen Jammer unter einer ähnlichen Gestalt gesehen: »Du kennst nicht den Einfluss der Furie, an die ich getraut worden bin, ohne Pfarrer noch Brautjungfer, ja ohne gefreit zu haben. Sie ist von einem Alp und einem Vampir im Verein erzeugt, und selbst wenn sie nicht auf meiner Brust reitet oder mein Herzblut saugt, lässt sie mich verstehen, dass sie in der Nähe ist und in kurzer Zeit mich mit einem Besuch zu beehren gedenkt.« Wirkliche Geistesstörung muss nach einem solchen einleitenden Zustand fast als eine Erlösung gekommen sein. Die Aerzte befahlen die Reise nach einer damals sehr angesehenen Heilanstalt in Schleswig.
Der Aufenthalt in dem Irrenhaus währte nicht lange; es ist aber interessant, selbst dorthin ihm zu folgen, so schön und eigentümlich waren die Schwärmereien, die ihn peinigten. Eine Person, die ihn dorthin begleitete, hat uns folgenden wörtlichen Ausspruch von ihm während der Krankheit aufbewahrt: »Die ganze Verwirrung kommt von dem verdammten Eifer her mit dem Diadem, das sie mir auf den Kopf setzen wollten. Du kannst sonst glauben, dass es ein Prachtstück war: Bilder in Miniatur, nicht gemalt, sondern leibhaftige und wirklich existirende Miniaturen von vierzehn der edelsten Dichter bildeten einen Kranz. Das war Homer und Pindar, Tasso und Virgil, Schiller, Petrarca, Ariost, Goethe u. s. w. Zwischen jedem Paar brannte ein strahlender Stern, nicht von Flittergold, auch nicht von Diamanten, sondern von wirklich kosmischem Stoff. Mitten vor der Stirn war ein Diadem in Form einer Lyra angebracht, die etwas vom eigenen Lichte der Sonne geliehen hatte. So lange diese Lyra still stand, war Alles gut – aber auf einmal begann sie sich in einem Kreislauf zu bewegen. Schneller und schneller wurde die Bewegung, dass jeder Nerv in mir davor erzitterte. Zuletzt fing sie an sich im Kreise mit solcher Eile zu schwingen, dass sie zu einer Sonne verwandelt wurde. Da wurde mein ganzes Wesen bewegt und gebrochen; denn Du musst wissen, nicht um den Kopf, sondern um das Gehirn selbst war das Diadem geschlungen. Doch jetzt schwang es sich rings herum mit einer völlig unberechenbaren Gewaltsamkeit, bis es auf einmal zersprang. Dunkel, Dunkel, Dunkel und Nacht breitete sich über die ganze Welt aus, wohin ich mich auch wandte. Ich wurde verwirrt und schwach; ich, der ich immer Weichlichkeit bei Männern gehasst habe, ich weinte und vergoss brennende heisse Thränen. Alles war vorbei. –«
Ist dies nicht eher die Poesie des Wahnsinnes, als der Wahnsinn selbst? Und wie tritt das wahre Wesen des Dichters, selbst in diesem sonderbaren Traum hervor – dem Jugendtraum von Kränzen und Kronen, jetzt in der Schmiede des Wahnsinns rothgeglüht! Für den kühlen Lorbeerkranz, den er um Oehlenschläger's Haupt gewunden, hatten jetzt seine Nornen ihm diesen glühenden Ring um die Stirn gelegt. – Glücklicherweise kühlte er schnell wieder ab, und im Frühling 1841 war der Dichter wieder in seiner Heimath.
In der letzten grösseren Dichtung (»Die Kronenbraut«), in welcher er sich selbst geschildert hat, sehen wir den alten Bischof als Dorfpatriarch von einer verehrenden Gemeinde umringt. Die Jahre glitten hin in der milderen Stimmung, die das Alter mit sich führte; ein Schlaganfall im Jahre 1843 meldete, dass der Tod nicht fern sei und den 2. November 1846 hauchte der müde Dichter seinen letzten Athem aus.
Werfen wir einen Rückblick auf die Entwickelung dieses Geistes, in dessen reichem Boden die Keime des Genies und Wahnsinnes dicht neben einander wie in einer Doppelnuss lagen, so sehen wir dieses kräftige und heitere Gemüth wie einen Funken aus dem kieselharten Naturgrund des schwedischen Bauernstandes hervorspringen. Er saugt Nahrung aus der landschaftlichen Schönheit Schwedens und den alten Sagen Scandinaviens. Er schwärmt für That und Kampf und drückt seine Schwärmereien in einer Sprache von flammenvergoldeten Bildern aus. Er lernt den antiken Geist kennen, und sein angeborener Naturtrotz wird in einer griechisch-religiösen Harmonie gemildert. Sein religiöser Freisinn führt ihn zum politischen Freisinn und die religiöse Versöhnung seines Gemüths führt einen Versuch politischer Versöhnung der streitenden Tendenzen des Jahrhunderts mit sich. Dieser geistige Standpunkt bestimmt seinen literarischen: die Verkündigung des Evangeliums der Klarheit, des Lichts und des Gesanges als Ausdruck der geistigen Gesundheit. Auf dieser Höhe führt er das epochemachende Werk seines Lebens aus, das ideale Bild vom nordischen Alterthum, wie die Zeitgenossen es sich träumten. Man muss, um gegen dies Werk gerecht zu sein, den Zeitpunkt festhalten, in welchem es entstand. Vergleicht man damit ein nordisches Meisterwerk unserer Tage (Björnson's »Bergliot« z. B.), so findet man es natürlich weder norwegisch noch nordisch; es ist nur relativ nordisch, aber die schönsten Lieder desselben sind unbedingt schön. Kaum war dies Werk vollendet, das bestimmt war, das entscheidende Zeugniss im Kampfe von der Bedeutung der poetischen Gesundheit zu liefern, so zeigte es sich, dass der Krankheitskeim in der Seele des Dichters so kräftig gewachsen war, dass es nur einer einzelnen seelischen Krise bedurfte, um den Lebensmuth, um den sich die hässliche Schmarotzerpflanze rankte, zum Verwelken zu bringen. Die Sommerzeit seines Lebens war dahin. Der Spätherbst brachte noch einige schöne Früchte, und der Stamm war todt.
Der Eindruck, den ich am liebsten hervorbringen möchte, ist der, dass der Mann, welcher dem Namen Esaias Tegnér Weltruhm gab, vor allem ein ganzer Mensch war, in Fehlern wie in Tugenden eine grundehrliche, rechtschaffene Seele, leichtbeweglich, aber mit einer leuchtenden Liebe zum Schönen und Wahren. Sein menschliches, irdisches Wesen ist so werthvoll, dass es trotz all seiner Schwächen auch dem Fremden Interesse darbietet, während das rein ideale Bild von Tegnér als Dichter mit verklärten Umrissen vor dem Volke stehen bleiben wird, in dessen Sprache er dichtete und auf welches er wie ein Strahl von der Sonne des neunzehnten Jahrhunderts gewirkt hat.