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Nicht die Drohung an sich, sondern der Umstand, daß er die Stimme, die sie ausgesprochen, erkannt hatte, veranlaßte Jackson, sich vollkommen ruhig zu verhalten, denn er wußte, daß er sehr vorsichtig sein und sein Spiel sehr genau bedenken mußte, wenn er es mit dem Distriktskommissar Tex Arnold zu tun hatte.
Er schielte nach der Tür – diese war offen, und in ihrem Rahmen standen zwei Männer, das Gewehr schußfertig in der Hand; er sah verstohlen nach den beiden Fenstern – vor jedem zeichnete sich ein Paar breite Schultern dunkel gegen die helle Sonne ab.
»Na, wie ist's, Jesse«, fragte Tex Arnold, noch hinter ihm stehend, »soll ich Sie fesseln, oder geben Sie mir Ihr Wort, keinen Fluchtversuch zu unternehmen?«
Jackson lächelte und warf den drei von ihm gemieteten Männern, die völlig uninteressiert und unbeteiligt den Vorgang beobachteten, einen flüchtigen Blick zu. Ob er sich wohl auf sie verlassen und auf ihre Hilfe rechnen durfte?
»Ich kann leider nichts versprechen, Tex«, sagte er, »es ist vielleicht besser, wenn Sie mir die Hände fesseln.«
»Und zwar auf dem Rücken«, erwiderte Arnold. »Los, Durham, besorgen Sie das, das ist doch Ihre Spezialität!«
»Ich will den jungen Mann schon so binden, daß er seine Hände nicht früher rühren kann, ehe Sie nicht selbst das Seil zerschneiden«, entgegnete eine andere Stimme hinter Jackson. »Die Knoten, die ich mache, bekommt niemand wieder auf.«
Ohne an Widerstand auch nur zu denken, legte Jackson die Hände auf den Rücken, wo sie der andere sofort zu fesseln begann, während Tex Arnold diesen ermahnte:
»Langsam und sehr sorgfältig«, sagte er, »bei Jesse Jackson ist äußerste Vorsicht geboten, der ist so leicht nicht durch einen Strick zu halten.«
Nachdem der Gefangene gefesselt war, fuhr der Kommissar, zu Durham gewandt, fort:
»So, Sie setzen sich jetzt hier hinter ihn hin und beobachten seine Hände. Denken Sie an nichts anderes, lassen Sie seine Hände nicht einen Moment aus den Augen, und sobald er auch nur die geringste Bewegung macht, setzen Sie ihm die Revolvermündung auf den Nacken, nicht einmal blinzeln dürfen Sie, sonst ist er bestimmt frei.«
»Das glauben Sie doch selber nicht«, meinte der andere, »verlassen Sie sich darauf, es ist vollkommen ausgeschlossen, daß er das Seil da allein je wieder los wird.«
»Mein lieber Durham«, erwiderte Arnold, »Sie sind ein guter Kerl, und Ihr Handwerk verstehen Sie auch, aber Sie kennen eben Jackson nicht! Wendell, gehen Sie gleich mal zum Bahnhof und erkundigen Sie sich, wann der nächste Zug in östlicher Richtung durchkommt – bis es Zeit zum Einsteigen ist, bleiben wir dann mit unserem Gefangenen hier.«
Nachdem Wendell gegangen war, wandte Arnold sich an die Kellnerin, die noch ganz verstört über die Verhaftung eines so reizenden, harmlos aussehenden Menschen war.
»Kennen Sie die drei Leute da?« erkundigte er sich.
»Nein.«
»Dann schicken Sie sie 'raus!«
»Erlauben Sie mal«, entgegnete Molly, in ihrer Berufsehre gekränkt, mit Würde, »ich kann hungrigen Gästen doch nicht das Lokal verbieten!«
Arnold räusperte sich vernehmlich.
»Schön«, sagte er, »dann mögen sie aufessen, was sie bestellt haben, aber sobald sie damit fertig sind, müssen sie sofort 'raus, auch neue Gäste dürfen nicht herein! Hier, ich bin Distriktskommissar, Sie haben sich also meinen Anordnungen zu fügen – verstanden?«
»Gewiß, Herr Kommissar«, erwiderte Molly, einigermaßen eingeschüchtert, »ich werde selbstverständlich alles tun, was Sie wünschen, aber sagen Sie mir, bitte, nur das eine: was hat der arme, junge Mann da denn getan?«
»Der arme, junge Mann da ist Jesse Jackson«, antwortete Arnold. »Den Namen werden Sie ja auch schon mal gehört haben?«
Allerdings, das hatte sie!
Ganz bleich vor Aufregung starrte sie Jackson an, dann stürzte sie in die Küche hinaus, um die große Neuigkeit zu erzählen, der Kommissar aber setzte sich seinem Gefangenen gegenüber.
»Was war denn mit Ihnen los?« fragte er. »Waren Sie so übermüdet, daß Sie eingenickt sind? Jedenfalls hätten Sie mir die Sache nicht leichter machen können, wenn Sie fest geschlafen hätten.«
»Ich war auch eingeschlafen, das heißt, mit offenen Augen, zum ersten-, aber bestimmt auch zum letztenmal in meinem Leben! Immerhin freut es mich, daß gerade Sie den Vorteil von diesem einzigen Mal gehabt haben, Arnold.«
Der Kommissar lächelte, lehnte sich bequem im Stuhl zurück, rief einen anderen seiner Leute heran – er schien tatsächlich ein ganzes Dutzend zur Verfügung zu haben – und ließ Jackson genau untersuchen.
Folgende Gegenstände wurden bei ihm gefunden und fein säuberlich nebeneinander auf dem Tisch aufgebaut: zwei Revolver, eine kleine Pistole, die an einer aus Pferdehaaren geflochtenen, dünnen Schlinge um seinen Hals gehangen hatte, eine Uhr, eine Brieftasche, Tabak, Zigarettenpapier, allerlei kleine Gebrauchsgegenstände, wie sie ein Mann in den Taschen bei sich zu tragen pflegt, und schließlich ein Ding, das wie ein auffallend dickes Messer aussah, sich aber, als der Kommissar es näher betrachtete, in sechs Teile zerlegen ließ, von denen jeder einzelne ein Messer für sich war.
Tex Arnold nahm die sechs Messer wie eine Handvoll Karten an den Griffen und sagte:
»Gehört hab' ich von den Dingern, aber gesehen hab' ich sie noch nicht – die sind ja spitz wie Nadeln, und wenn auch die Griffe besonders schwer sind, kann ich doch kaum glauben, was mir Tom Rawlins darüber erzählt hat.«
»So? Was hat er Ihnen denn erzählt?« fragte Jackson.
»Daß Sie mit so einem Messer ein Ziel, nicht größer als einen Silberdollar, auf zehn Schritt Entfernung treffen können, und zwar unter zehnmal neunmal mit tödlicher Sicherheit.«
»Und das glauben Sie also nicht?«
»Ich traue Ihnen ja alle möglichen Sachen zu, bei denen es auf Gewandtheit und Geschicklichkeit ankommt, aber das scheint mir denn doch etwas stark übertrieben.«
»Damit haben Sie auch vollkommen recht«, erwiderte Jackson lächelnd, »so ein kleines Ziel treff' ich in drei Fällen gewöhnlich nur einmal.«
»Der Teufel auch, das ist ja gerade oft genug«, meinte der Kommissar voller Bewunderung, »das würd' ich auch gern mal sehen.«
»Sie brauchen mir nur die Hände loszubinden, dann mach' ich Ihnen das Kunststück gern vor.«
Arnold lachte laut auf.
»Nein, mein Freund, das wollen wir lieber bleiben lassen«, sagte er, »sicher ist sicher!«
Einer seiner Leute trat jetzt an ihn heran und meldete, daß bereits in einer halben Stunde ein Zug in östlicher Richtung durchkommen werde.
Der Kommissar nickte höchst zufrieden.
»Dann lassen Sie sich alle mal noch rasch einen Becher Kaffee geben«, sagte er, »ich werde mich inzwischen ein wenig mit dem Herrn hier unterhalten, das heißt natürlich, wenn Ihnen das recht ist, Jackson?«
»Aber gewiß, sehr recht!«
»Sagen Sie, warum haben Sie das eigentlich für Burns getan, mit dem Sie doch im Grunde nie allzu intim befreundet waren?«
»Das war ich allerdings nie, aber, ehrlich gesagt, wüßt' ich auch nicht, was ich für ihn getan hätte«, erwiderte Jackson mit harmloser Miene.
»Wir haben alle von Ihnen eine sehr gute Meinung gehabt, weil wir wissen, daß Sie innerlich ein grundanständiger Mensch sind – war es da nicht ein bißchen unüberlegt von Ihnen, sich aus einem falschen Kameradschaftsgefühl wieder gegen das Gesetz zu vergehen?«
»Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen, Arnold.«
»Dann haben wir wohl nur geträumt, daß Sie Burns' abgetriebenen Gaul gegen einen aus Grogans Herde vertauscht haben? Leider aber hat Sie der kleine Grogan, der auf einem Baum saß, genau erkannt, und darum wird man Sie unweigerlich einsperren, und zwar für ziemlich lange.«
Jacksons Gesicht verlor alle Farbe, seine Augen bekamen etwas Verstörtes, Angstvolles – der Kommissar verstand, daß dies nicht Furcht im landläufigen Sinne war, denn die kannte ein Jesse Jackson nicht, sondern das Grauen eines freiheitliebenden Mannes vor der Enge der Gefängniszelle.
»Es tut mir aufrichtig leid, daß ich Sie festnehmen mußte«, fuhr Arnold nach einer Weile fort, »denn ich weiß sehr gut, daß Sie Ihr früheres Leben vollkommen aufgegeben haben und aus einem an sich sehr edlen Motiv rückfällig geworden sind, aber ich muß selbstverständlich meine Pflicht tun.«
Jackson sah ihn durchdringend an, der Kommissar senkte unwillkürlich den Kopf – wie es denn überhaupt nur wenig Leute gab, die Jacksons forschenden Blick auszuhalten vermochten.
»Es tut Ihnen gar nicht leid, Arnold«, sagte er sehr bestimmt, »im Gegenteil, Sie freuen sich, denn der heutige Tag ist der Höhepunkt Ihrer Laufbahn.«
»Da tun Sie mir entschieden unrecht, Jackson«, erwiderte der Kommissar hastig, »denn sehen Sie –«
»Ich sehe, was Sie sehen«, unterbrach ihn Jackson, »nämlich Zeitungen mit zwei Zoll hohen Überschriften: ›Distriktskommissar Tex Arnold hat Jesse Jackson gefaßt und ins Gefängnis eingeliefert.‹ Darauf sind Sie stolz, und darüber jubilieren Sie – wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben, daß ich recht habe.«
Arnold wurde rot, da er aber ein aufrichtiger Mensch war, sagte er:
»Vielleicht haben Sie recht, Jackson.«
»Sie glauben ein Mann des Gesetzes zu sein«, fuhr Jackson fort, »aber Sie handeln durchaus nicht im Sinne des Gesetzes, denn Sie nehmen mich als Pferdedieb fest, obwohl Sie ganz genau wissen, daß mein Fall völlig anders liegt und ich eines derartigen Verbrechens gar nicht fähig bin. Wenn Sie das Gesetz und Ihre Pflicht wirklich liebten, dann wären Sie nicht hinter mir hergejagt, sondern hinter Burns.«
»Na, hören Sie mal, das ist doch eigentlich ein starkes Stück, was Sie sich da erlauben!« fuhr der Kommissar auf.
»Ich werde mir Ihnen gegenüber noch ganz andere Dinge erlauben«, erwiderte Jackson sehr ruhig, »noch haben Sie mich nämlich nicht im Gefängnis abgeliefert, und ich zweifle auch stark daran, daß Ihnen dies überhaupt gelingen wird. Jedenfalls habe ich die Absicht, Ihnen die Hölle noch verdammt heiß zu machen und der Welt Stoff zum Lachen zu geben – über Sie, Herr Distriktskommissar!«
Arnold wurde noch röter, seine Augen funkelten.
»Das ist ja geradezu eine Herausforderung!« rief er.
»Das soll es auch sein«, erwiderte Jackson. »Sie haben mich hier mit gebundenen Händen, Ihre Gewehre sind von vorn und von hinten auf mich gerichtet, und trotzdem werde ich Ihnen durch die Lappen gehen, verlassen Sie sich darauf! Sie werden die Stunde noch verfluchen, in der Ihnen die ehrgeizige Idee gekommen ist, hinter mir herzujagen!«