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Sechstes Kapitel

Erst als Jackson eins seiner Pferde gesattelt hatte und aufstieg, schien sich Larry Burns, der ihm wie geistesabwesend in den grauen Morgen hinaus gefolgt war, darüber klarzuwerden, welch grundlegende Veränderung hier durch sein Erscheinen vor sich gegangen war.

»Du willst doch nicht etwa Haus und Hof verlassen, Jesse?« fragte er ganz entsetzt.

»Doch, ich bin nämlich ein Pferdedieb geworden«, erwiderte Jackson, auf das Tier aus Grogans Herde zeigend.

Burns sah ihn bestürzt an.

»Und was wird mit deinem Mädel?« fragte er.

»Mit der ist alles in bester Ordnung«, antwortete Jackson durch die Zähne.

»Um Gottes willen«, schrie Burns auf, »da habe ich elender Schweinhund dich ja nicht nur um alles, was dir im Leben lieb war, sondern auch um deine Ehre gebracht! Du ein Pferdedieb? Na, glücklicherweise wird das ja keine Menschenseele von dir glauben! Ich nehme das Tier und reite damit los, dann denken die Leute, ich hätt' es gestohlen, wenn sie mich fassen –«

Er brach ab und schloß die Augen, ein Schauer rann ihm über den ganzen Leib.

Jackson beugte sich im Sattel nieder und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Sorg du mal gefälligst für dich selbst, mein guter Larry«, sagte er, »ich fürchte, damit hast du noch allerlei und bestimmt genug zu tun.«

Burns senkte den Blick, und als er wieder aufsah, war Jackson bereits davongeritten.

»He, Jesse!« schrie er hinter ihm her.

Jackson wandte sich noch einmal um, winkte ihm mit der Hand einen Abschiedsgruß zu, gab dann dem Pferd die Sporen und war gleich darauf hinter der nächsten Bodenerhebung verschwunden.

Er hatte sich genau überlegt, welche Richtung Mary wohl eingeschlagen haben könne, und da er überzeugt war, daß es ihr mit ihrer Absicht, sich für immer aus seinem Leben zu streichen, bitterer Ernst sei, war er zu dem Schluß gekommen, daß sie sich nicht nach Norden in die Berge, sondern nach Süden gewandt haben müsse.

Er wählte also die nach Süden führende Straße und kam bald an einem kleinen, verwitterten Häuschen vorüber, das augenscheinlich auf sehr dürftigem Boden stand, denn nur ein paar magere Kühe und Maultiere grasten hinter der Einfriedigung, an deren Tür ein alter, breitschultriger Mann mit gebeugtem Rücken und auffallend hohen Beinen lehnte, was ihm das Aussehen eines Storches gab, der gemächlich darauf wartet, daß ihm die Frösche, die er zu verspeisen gedenkt, vor die Füße springen.

Jackson hielt an und rief:

»Hallo, Pop, komm doch mal her!«

Der Alte sah auf und kam dann gravitätisch angesetzt.

Jackson holte ein Papier aus der Tasche und reichte es ihm über das Gitter.

»Da, nimm das«, sagte er, »es ist eine Schenkungsurkunde, in der ich dir meine Farm mit allem toten und lebenden Inventar übereigne. Den Wisch hat zwar kein Notar aufgesetzt, aber da ich alles genau und eigenhändig geschrieben habe, denk' ich, daß er den gesetzlichen Anforderungen schon genügen wird.«

Der alte Mann sah ihn mit seinen blinzelnden Vogelaugen erstaunt an, sagte aber kein Wort.

»Ich bin nämlich ein Pferdedieb geworden«, fuhr Jackson fort, »und ob man mich faßt oder nicht, das Gericht wird mir doch alles wegnehmen, was ich besitze, da ist's schon besser, du ziehst auf meine Farm und hältst sie in Ordnung. Wenn es sich machen läßt, komm' ich wieder, und dann verlang' ich die Hälfte von meinem Eigentum von dir zurück.«

»So, und wenn ich dir die nun nicht geben, sondern das Ganze behalten will – was dann?« fragte der Alte.

»Auf die Gefahr wag' ich's«, sagte er. »Mach also, daß du möglichst bald hinkommst und nimm dein Vieh gleich mit, einen großen Futtervorrat findest du auch noch vor. Ist die Sache abgemacht?«

»Selbstverständlich«, erwiderte Pop. »Da auch der größte Dummkopf weiß, daß man in einem Federbett weicher liegt als auf steinigem Boden, werd' ich mich sofort auf die Strümpfe machen. – Du brauchst übrigens keine Angst zu haben, daß ich dir dein Eigentum wegnehmen lasse, mit Zähnen und Krallen werd' ich dir's verteidigen, und wenn's not tut, mit meinem Revolver.

Sie schüttelten sich die Hände, wechselten ein kurzes Abschiedswort, und schon war Jackson wieder unterwegs.

Er ritt in gleichmäßigem Tempo weiter und erreichte kurz vor Mittag eine kleine Eisenbahnstation, die er ohne Aufenthalt passieren wollte. Doch am Eingang des Städtchens fielen ihm auf einer Koppel dicht neben der Straße zwei Pferde auf, die zusammen etwas abgesondert von den übrigen standen und die sein fachmännisches Auge sofort als die seinen erkannte – Mary mußte also hier sein!

Jackson wandte sich an einen barfüßigen Jungen, der, einen großen, zerrissenen Strohhut auf dem Kopf, beinebaumelnd auf der obersten Stange des Koppelgatters saß.

»Das sind ja zwei prachtvolle Reitpferde«, sagte er.

»Ach, keine Spur«, erwiderte der Bengel wichtig, »Wagenpferde sind's, das sieht doch ein Blinder!«

»So? Hat dein Vater sie gezüchtet?«

»Nee, gekauft – gestern erst, für zweihundertfünfzig Dollar.«

»Das ist ja nicht teuer.«

»Nicht teuer?« meinte der Junge verächtlich. »Geschenkt ist das, denn jedes von den beiden Tieren ist gut seine fünfhundert wert – aber es war eben ein Frauenzimmer, das sie verkauft hat!«

»So, so? Und warum hat die Frau sie denn verkauft?«

»Weil sie lieber mit der Eisenbahn fahren wollte, statt mit so einem herrlichen Gespann – die Weiber haben doch nun mal keinen Verstand und keinen Geschmack.«

Jackson nickte, sah die Schienen entlang, die sich wie ein doppeltes Silberband durch das Tal hinzogen, und seufzte tief auf. So gut das Pferd, das er ritt, auch war, das eiserne, schnaubende Dampfroß, das ihm sein Mädel entführt hatte, vermochte es natürlich nicht einzuholen!

»Hast du selbst schon ein Pferd?« fragte er schließlich den Knaben.

»Nein, so weit hab' ich's noch nicht gebracht«, erwiderte dieser, »aber manchmal darf ich auf einem Maultier reiten, wenn die Knechte vom Pflügen zurückkommen.«

»Na, dann nimm das hier«, sagte Jackson, aus dem Sattel steigend, »behandele es gut, reiß es nicht ins Maul und reit es vorläufig ohne Sporen, dann wirst du deine Freude an dem Tier haben.«

Der Junge starrte Jackson erst eine Weile sprachlos an, dann betrachtete er voll Bewunderung das Pferd, dessen Vorzüge er wohl mehr instinktiv ahnte als sachlich beurteilen konnte, und sagte, mit einemmal schüchtern und verlegen geworden:

»Sie machen doch nur Spaß, ich bin ja gar nicht wert, so ein Pferd zu reiten.«

»Es ist mein voller Ernst«, entgegnete Jackson, »nimm es, mein Sohn, und wenn ich innerhalb eines Jahres nicht wiederkomme und es zurückfordere, dann soll es dein Eigentum sein.«

Der Junge glitt von dem Koppelgatter herab, Jackson gab ihm die Zügel in die Hand und eilte dann rasch fort, ehe der verdutzte Knabe ein Wort des Dankes zu stammeln vermochte.

Dem Pfade folgend, der sich zwischen den Wiesen hinschlängelte, erreichte er bald die Eisenbahnstation, wo er den einzigen Beamten, der Vorsteher, Telegraphist, Güterexpedient und Schalterkassierer in einer Person war, auf einer leeren Kiste vor dem Güterschuppen sitzend fand. Er kaute bedächtig an einem Strohhalm, den Blick auf die Schienen gerichtet, die fern am Horizont scheinbar zusammenliefen und über denen die sonndurchglühte Luft zitterte. Als Jackson an ihn herantrat, wandte er sich flüchtig nach ihm um und starrte dann wieder schweigend geradeaus.

»Na, wie geht's?« fragte ihn Jackson.

»Danke«, erwiderte der andere, »mordslangweilig ist's!«

»Ich kann mir denken, daß hier nicht viel Verkehr ist«, meinte Jackson, »höchstens im Herbst, wenn die Kuhherden verfrachtet werden.«

»Stimmt – sonst ist rein gar nichts zu tun.«

»Na, aber Passagiere werden Sie doch auch manchmal haben?«

»Ja, jeden Monat einen.«

Jackson lachte.

»Da übertreiben Sie natürlich, denn in einer Stadt wie hier verreist doch öfters mal jemand.«

Der Beamte sah auf.

»Das denken Sie sich so«, sagte er bitter, »aber die Leute hier sind wie ihr Vieh, das rührt sich auch nicht vom Platz, solange es was zu fressen findet. Seit zehn Tagen hab' ich gestern die erste Fahrkarte verkauft.«

»Also hat doch einer von den wackeren Bürgern mal das Bedürfnis nach einem Ortswechsel gehabt!« meinte Jackson lachend.

»Ach, keine Ahnung, ein fremdes Mädel war's – die Menschen hier reisen doch nicht, besonders nicht noch weiter nach Westen.«

»Kann man ihnen eigentlich auch nicht übelnehmen«, erwiderte Jackson, »im Osten ist ja viel mehr los. Also nach dem Westen ist das Mädel gefahren – wie weit denn?«

»Eine ganze Ecke, fünfhundert Meilen, bis nach Neering.«

»Neering? Kenne ich nicht, muß wohl ein ganz unbedeutendes Nest sein.«

»Sehr groß ist es allerdings nicht«, entgegnete der Beamte und wandte den Blick wieder den Schienen zu, auf denen das ferne Rollen eines näherkommenden Zuges zu hören war.

»Ist nur ein Güterzug«, fuhr er fort, »aber ich könnte mein Monatsgehalt verwetten, daß er nicht einmal anhält, weil er nichts für uns hat. Ist schon eine verdammt langweilige Sache, wenn man den ganzen Tag nichts zu tun hat, das können Sie mir glauben.«

Er drehte sich nach seinem Gesprächspartner um, doch dieser war bereits verschwunden. Gähnend erhob er sich, die Maschine kam qualmend heran, aber er hatte recht, denn sie verlangsamte nicht ihren Gang, sondern polterte donnernd vorüber, eine endlose Schlange von Güterwagen hinter sich her schleifend.

Der arbeitswütige Beamte wandte sich enttäuscht ab und sah darum auch nicht, daß auf der anderen Gleisseite sich plötzlich eine geschmeidige Gestalt aus dem Buschwerk löste und sich mit katzenartiger Gewandtheit auf den Puffer eines geschlossenen Güterwagens schwang.


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