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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Ein endgültiger Sieg

Dan Barry pflegte zwischen dem Krankenlager Joe Cumberlands und dem Baum, an dem sein Hund angekettet lag, hin und her zu wandern. Am nächsten Morgen paßte Kate den ersten Augenblick ab, wo er den Hund allein ließ, und glitt hinaus. Black Bart lag wie immer lang ausgestreckt im weichen Sand und wärmte sich in der Sonne. Als sie näher kam, zuckte er nicht mit der Wimper, trotzdem wußte sie, daß er jede Bewegung, die sie machte, genau beobachtete. Sie hatte ursprünglich die Absicht gehabt, seinen Verband zu erneuern wie am Vortag, aber die Erinnerung an die grausame Prüfung, die sie durchgemacht hatte, war zu überwältigend. Womöglich versagten heute im gefährlichsten Augenblick ihre Nerven, und sie wußte, daß auch nur das kleinste Zeichen der Schwäche ihr Verderben werden konnte. So ging sie statt dessen zu dem Stuhl, auf dem sonst Dan Barry stundenlang zu sitzen pflegte, ließ sich hineingleiten, faltete die Hände im Schoß und überließ sich ihren Träumen. Lange saß sie so. Schließlich kehrten ihre Gedanken zu dem Hund zurück. Es war ganz natürlich, daß sie in diesem Augenblick zu ihm hinübersah. Sie fuhr heftig zusammen. Bart kam langsam auf sie zugekrochen. Die verwundete Vorderpfote schleppte er hilflos nach. Sobald das Tier ihre Augen auf sich gerichtet sah, ließ es sich augenblicklich zu Boden fallen. Für eine Sekunde fletschte er die Zähne. Dann schlossen sich seine Augen, und er schien wieder wie gewöhnlich in der Sonne zu träumen.

Versuchte das Ungeheuer, sie heimlich zu beschleichen? Diese verstohlene, geräuschlose Annäherung erschien ihr beinah schlimmer als alles, was sie am Tage vorher durchgemacht hatte. In panischem Schrecken war ihr erster Gedanke, aufzuspringen und davonzulaufen. Er konnte ihr ja nicht folgen, da die Kette ihn festhielt. Und doch war das Benehmen des Hundes seltsam. Selbst in seinen wildesten Tagen, in der Zeit, wo ihn Dan Barry zuerst auf die Cumberland-Ranch gebracht hatte, hatte Black Bart niemals grundlos einen Menschen angegriffen. Kate zwang sich, unbekümmert vor sich hin zu blicken und unbeweglich auf ihrem Stuhl sitzenzubleiben. Als sie ein wenig ruhiger geworden war, ließ sie sachte und ohne den Kopf zu bewegen ihre Augen wieder nach dem Hund hinüberwandern. Jetzt konnte sie nicht mehr länger zweifeln. Der riesige Wolfshund schlich sich langsam zu ihr hin, er kroch beinah auf dem Bauch, und die verwundete Pfote schleppte nach. Dieses langsame stetige Schleichen erinnerte sie an die unheildrohende Annäherung einer Schlange. Trotz alledem wartete sie, was geschehen würde. Sie rührte weder Hand noch Fuß. Eisige Kälte lief in Wellen über sie hin, und wenn der Schrecken sie nicht gebannt hätte, dann hätte sie gebebt wie Espenlaub. Die Vernunft flüsterte ihr ins Ohr: »Es ist Wahnsinn, hier sitzenzubleiben, während in jeder Sekunde dieses Ungeheuer näher an dich herangleitet. Vielleicht ist es jetzt schon zu spät. Vielleicht, wenn du jetzt aufspringst, fällt das zottige Untier über dich her. Vielleicht will sich der Wolf in ihm für den Schmerz rächen, den du ihm gestern zugefügt hast.«

Und jetzt – sie wagte nicht hinzublicken – sah sie aus dem Augenwinkel, wie sich die schwarze Gestalt an sie heranschob und langsam, langsam sich aufrichtete. Black Bart stand unmittelbar vor ihr und starrte sie an. Plötzlich hatte alle Furcht sie verlassen. Ein Gefühl unendlicher Erlösung bedeckte ihr Gesicht mit flammender Röte. Alle Feindschaft war aus den Augen des Hundes gewichen, er stand und starrte sie noch immer an. Und jetzt erinnerte sie sich an etwas, was Dan Barry vor langer Zeit einmal gesagt hatte: »Selbst einem Gaul, Kate, und einem Hund kann es manchmal verdammt einsam zumute sein.«

Black Bart schob sich langsam näher an sie heran. Seine Ohren waren scharf aufgerichtet. Sie hörte ein Knurren, aber es war so leise und gedämpft, daß es kaum eine Drohung zu bedeuten schien. Bewarb er sich um ihre Aufmerksamkeit? Sie wollte ihm nicht in die Augen sehen und wartete – bis plötzlich etwas Schweres in ihren Schoß fiel – der Wolf hatte seinen langen, mit Narben bedeckten Kopf auf ihre Knie gelegt. Ihr Herz füllte sich jäh mit so wilder Freude, daß es ihr beinah weh tat.

Langsam, langsam streckte sie die Hand nach Black Barts Kopf aus. Der Hund zuckte zurück und fing an zu zittern. Drohend entblößten sich seine fürchterlichen Zähne, sein Knurren wurde heiser und feindlich. Aber er zog den Kopf nicht zurück und ließ es sich gefallen, daß Kates Hand auf seine Stirn niederfiel und liebkosend das Fell nach hinten strich. Mit einem Male war nichts mehr von den drohenden Zähnen zu sehen, die scharfen, argwöhnischen Augen verloren ihre Wachsamkeit und schlossen sich zu einem behaglichen Blinzeln. Das dumpfe Grollen in seiner Kehle verstummte.

So einfach und doch so mysteriös vollzog sich Kates Aufnahme in den Bund der Drei. Aber bedeutete es denn, daß auch die beiden anderen sie willkommen hießen?

Etwas sank schwer auf ihre Füße, und als sie hinunterblickte, sah sie, daß Black Bart den Kopf daraufgelegt hatte und mit geschlossenen Augen in der Sonne träumte.


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