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Fünfzehntes Kapitel.
Gary Peters

Buck Daniels blieb noch am Schanktisch. Seine Finger hielten das Glas krampfhaft umspannt. Seine Augen hatten immer noch dasselbe wilde, visionäre Starren, mit dem er auf der Veranda gesessen hatte.

O'Brien hatte ein Bedürfnis, Konversation zu machen: »Komische Sache, wie oft die Leute gerade bei Sonnenuntergang um die Ecke gehen. Man könnte meinen, wenn's dunkel wird, lassen sie sich einfach plumpsen. He?«

»Wie lange dauert's noch bis abends?« fragte Buck Daniels.

»Denke, sind noch 'n paar Stunden.«

»Ein paar Stunden«, wiederholte Daniels und rieb sich mit dem Handrücken die Stirn. »Ein paar Stunden.«

Mit einem plötzlichen Ruck setzte er sein Glas an die Lippen und goß den Whisky hinunter – ungemischten Whisky. Das dazugehörige Sodawasser stand unberührt daneben. O'Brien betrachtete seinen Gast mit unverhohlener Hochachtung.

»Seid Ihr schon lange hier in der Gegend?« fragte er.

»Nein, bin fremd hier. Will nach dem Norden hinauf, sobald ich einen finde, der über die Gegend Bescheid weiß. Kennt Ihr Euch aus?«

»Bin nie weiter nach Norden hinaufgekommen als Brownsville.«

»Und Ihr wißt auch niemand, der 'n bißchen mehr herumgekommen ist?«

»Der alte Peters kennt jeden Kieselstein auf drei Tagesreisen in der Runde. Gary Peters! Hat 'ne Schmiede hier grad' gegenüber.«

»So? Danke. Ich werd' mal zu ihm hineinschaun.«

Der Schmied saß auf einer leeren Kiste im Freien vor seiner Werkstatt. Es waren flaue Zeiten fürs Geschäft. Er vertrieb sich anscheinend die Zeit damit, an einer leeren Maispfeife zu kauen, die er mit der Öffnung nach unten zwischen den Zähnen hielt.

»Sah Euch von O'Brien herauskommen«, meinte er, nachdem Buck Daniels sich wortlos auf einer anderen Kiste neben ihm angesiedelt hatte. »Was Neues?«

»Gibt nichts Neues«, erwiderte Buck Daniels niedergeschlagen. »Viel Geschwätz, aber nichts Neues.«

»Ja, ja«, nickte Gary Peters. »O'Brien schwätzt wie ein Wasserfall. 's ist keiner in Brownsville, der's ihm nachtut.«

Mit diesen Worten blies er gedankenvoll die Luft durch seine Pfeife, las ein Stückchen Fichtenholz vom Boden auf und begann daran herumzuschnitzeln.

»Bei uns daheim«, erklärte Buck Daniels, »machen wir uns nichts aus einem, der sein Mundwerk ewig in Gang hat.«

Der Schmied drehte langsam den Kopf, musterte seinen Nachbar und fuhr fort zu schnitzeln.

»Aber,« seufzte Daniels, »wenn ich einen finden könnte, der nördlich von Brownsville Bescheid weiß und der ein Schloß vorm Mund hat, dann könnt' ich ihm für 'ne Nacht Arbeit verschaffen, die der Mühe wert wäre.«

Gary Peters nahm die Pfeife aus den Zähnen und pustete in seinen herabhängenden Schurrbart. Er warf einen schmerzlichen Blick auf seine leere Werkstatt und einen noch schwermütigeren auf seinen Gefährten.

»Könnte Euch zwei oder drei Leute in Brownsville immerhin nennen,« meinte er, »die den Mund halten können, aber 's gibt nur einen, der die Gegend wirklich kennt wie seine Tasche.«

»Und wer kann das sein?«

»Ich.«

»Ihr?« Daniels schien überrascht. Er musterte Gary, als sähe er ihn zum erstenmal. »Kennt Ihr etwa die Gegend bis nach Hapkins-Arroyo hinauf?«

»Ich? Sonny, ich kenne jeden Kaktus bis zum Bald Eagle hinauf persönlich.«

»Hm,« meinte Daniels, »denke, Ihr könnt mir Stücker zwei oder drei Anwesen von hier auf dem Weg nach dem Bald Eagle nennen. Ich meine, sie sollten so rund zehn gute Meilen auseinanderliegen.«

»Das ist leicht getan. Ich könnte blindlings hinfinden. Der erste Hof auf dem Weg hinauf ist McCauleys, dann hält man 'n Stück nach dem Nordwesten hinüber, und man trifft geradeswegs auf die Cirkle Ranch, 's mögen zwölf Meilen sein von McCauley herüber. Dann muß man stracks nordwärts halten, vielleicht 'ne Idee östlich, dann sind's acht Meilen bis Drei Wege. Von da aus ...«

»Partner,« unterbrach ihn Daniels, »wir könnten ein Geschäft miteinander machen.«

»Denke, wir könnten.«

»Mein Name ist Daniels.«

»Ich bin Gary Peters. Wie geht's?«

Sie schüttelten sich die Hände.

»Peters,« sagte Buck Daniels, »Mann, Ihr seht mir so aus, als ob Ihr von der richtigen Sorte wär't, und so einen brauch' ich. Aber viel Fragerei kann ich bei dem Geschäft nicht brauchen.«

»Freundchen,« murmelte Peters, »'s sind Tage gewesen, wo ich drei Monate gelaufen bin und mit keinem Wesen geredet habe, das Stiefel trägt. Und dabei hat mich keiner expreß dafür gemietet.«

»Ihr kennt die Leute auf dem Weg nach Norden hinauf?« fragte Daniels. »Kennen sie Euch?«

»Das sollte einer wohl sagen! Und ob die Gary Peters kennen!«

»Mann, das ist gerade das, was ich brauche. Was ich von Euch verlange, ist, daß Ihr in zehn Minuten hier abreitet und den Weg nach Elkhead einschlagt, Mann, ich sag' Euch, Ihr sollt reiten, als ob der Teufel hinter Euch her wäre. Alle zehn Meilen macht Ihr halt an einem Platz, wo Ihr sicher seid, daß Ihr ein frisches Pferd bekommen könnt. Das Pferd, auf dem Ihr gekommen seid, das laßt dort und sagt den Leuten, sie sollen es für mich bereithalten. Und sagt ihnen, Mann, sie sollen heute nacht jederzeit darauf gefaßt sein, daß ich den Gaul brauche. Denke, Ihr werdet gut und gern bis morgen abend brauchen, eh' Ihr nach Elkhead kommt, selbst wenn Ihr immer frische Pferde nehmt.«

»Wird wohl darauf 'rauskommen und auch nur, wenn ich reite wie der Teufel. Was habe ich mitzunehmen?«

»Nichts. Nichts, außer dem Geld, das ich Euch mitgeben werde, damit Ihr jemanden mieten könnt, der das Pferd für mich bereithält. Am besten wär's, Ihr sorgt dafür, daß sie überall einen anderen Gaul für mich bereit halten als den, auf dem Ihr gekommen seid. Werden sie Euch 'nen Gaul anvertraun, Gary?«

»Gebt das Geld her, und wo sie mir nicht so trauen werden, werd' ich ihnen das Geld für das Pferd dalassen.«

»'s wird sich machen lassen. Mein Geld wird dabei draufgehen – aber es wird sich machen lassen!«

»Wollt einen Rekordritt machen zwischen Brownsville und Elkhead, Mann, scheint mir? Habt 'ne Wette gemacht, soviel ich sehen kann?«

»Jawohl, es geht um 'ne Wette, Mann, um die höchste Wette, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Das könnt Ihr auch den Leuten sagen, die die Pferde stellen sollen. Habt Ihr für den Anfang ein ordentliches Stück Pferdefleisch bei der Hand?«

»Ich habe 'ne rote Stute. Fürs Herdenreiten taugt sie nichts, aber für so 'ne schnelle Spritztour ist sie das Richtige. Flink wie ein geölter Blitz, Mann.«

»Dann 'raus damit! Den Sattel drauf und los!« Er zog einen Bleistiftstummel und einen Fetzen Papier aus der Tasche. »Gebt mir noch die Namen von den Plätzen, wo Ihr halt machen werdet. Hier ist das Geld. Einen Zwanziger werd' ich zurückbehalten für den Notfall.«

»Und jede Sekunde,« sagte Buck Daniels, als sie sich trennten, »die Ihr sparen könntet, erspart Ihr mir, denn es könnte sein, wenn Ihr nach Elkhead hineinkommt, bin ich Euch schon dicht auf den Fersen.«

Gary Peters zog die Augenbrauen hoch und steckte die leere Pfeife wieder in den Mund. Er sprach durch die Zähne: »Alles hat seine Grenzen, auch was ein Gaul zuwege bringt«, bemerkte er. »Gegen wen reitet Ihr eigentlich?«

»Mein Gegner ist just 'ne Kreuzung zwischen einer Kugel und 'nem Nordweststurm, Gary. Ich geh' wieder zu O'Brien hinüber und trink' einen auf Euer Wohl.«

Und Buck Daniels erfüllte sein Versprechen. Er brauchte etwas, was ihn aufpeitschte und ihm Kraft gab. Er trank noch, als er auf der Straße das Prasseln galoppierender Hufe hörte, und gleich darauf kam jemand herein und erzählte, Gary Peters sei auf seinem roten Fuchs losgeritten, um ein Wettrennen gegen den Teufel zu gewinnen.

Danach begab sich Buck auf die Suche nach Dan Barry. Satan und Bart fand er in der Einzäunung hinter dem Haus noch vor, aber ihr Herr war weit und breit nicht zu sehen. Daniels betrachtete düsteren Blicks das Pferd, dessen ganzer Bau von unbegrenzter Schnelligkeit zeugte, und hatte einen Einfall. »Wenn ich ihn bloß eine halbe Minute aufhalten kann,« murmelte er, »just eine halbe Minute Vorsprung, dann ist immer noch wenigstens eine schwache Chance, daß ich die Nacht überlebe.«

An der Tür des ersten Schuppens hing eine schwere Kette mit einem Vorhängeschloß, in dem der Schlüssel steckte. Daniels eignete sie sich an und schlang sie sorgfältig um den Pfosten am Eingang zu dem Gehege, in das Satan eingesperrt war. Es war jetzt unmöglich, die Tür zu öffnen. Daniels ließ das Vorhängeschloß einschnappen, drehte den Schlüssel herum und warf ihn weg. Dann trat er einen Schritt zurück und warf einen zufriedenen Blick auf seiner Hände Werk. Es war keine leichte Arbeit, die dicke Kette durchzufeilen oder die schweren Balken zu entfernen, aus denen die Einzäunung gezimmert war. Mit einem zufriedenen Lächeln rückte er seinen Revolvergurt zurecht, drückte sich den Sombrero tiefer ins Gesicht und machte sich auf die Suche nach Dan Barry.

Er hatte es jetzt eilig, denn die Sonne senkte sich gegen das Gebirge im Westen und die Schatten wurden merklich länger. Als er auf die Straße trat, sah er, wie langsam, aber stetig die Einwohnerschaft von Brownsville sich am Eingang zu O'Briens Lokal versammelte. Sie kamen einzeln oder zu zweit, standen müßig vor dem Hause herum oder spähten interessiert durch den Türspalt und tauschten dann flüsternd ihre Bemerkungen aus. Buck sprach einen an, der in der Nähe der Tür stand, und fragte, was los sei.

»Er ist da drin«, erklärte der Gefragte mit einem breiten und aufgeregten Grinsen. »Er sitzt da drin und wartet.«

Buck stieß die Tür auf. Am äußersten Ende des völlig menschenleeren Schankzimmers saß Dan Barry an einem Tisch und flocht einen schmalen Riemen aus Pferdehaar. Er hatte den Hut weit aus der Stirne geschoben. Der Tür drehte er den Rücken zu. Anscheinend hatte er keine Ahnung davon, daß die gesamte Einwohnerschaft draußen in atemloser Spannung auf seine Vernichtung wartete. Hinter dem Schanktisch stand O'Brien, unrasiert und bleich. Seine Augen vermochten sich anscheinend nicht einmal auf einen Augenblick von der zierlichen Gestalt loszureißen, die allein sein Schankzimmer bevölkerte. Aber als er Buck erblickte, rief er ihm mit ungewohnter Heftigkeit zu: »Immer herein, Fremder! Trinkt einen auf meine Kosten. 's ist so verdammt totenstill hier im Haus, daß es mir auf die Nerven geht.«

Buck Daniels kam der Einladung nach, ohne sich zu besinnen, und hinter ihm wagte sich ein kleiner Bruchteil der Brownsviller Einwohner mit leisen Schritten in den Raum. Die meisten gingen auf den Zehenspitzen und hielten die Hüte in der Hand. Sie reihten sich an dem langen Schanktisch auf. Kein Wort wurde gesprochen. Alle Köpfe waren zu dem gelassenen Gast am äußersten Ende des Raumes hingewandt.


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