Paul Bornstein
Memoiren Cagliostros
Paul Bornstein

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III. Zweiter Aufenthalt in London. –Cagliostro wird Logenbruder. – Die egyptische Maurerei.– Brüssel. –Schilderung und Charakteristik Cagliostros.

Es konnte nicht fehlen, daß unser Freund, nachdem er seine gewöhnlichen Manipulationen während einer gewissen Zeit in dieser oder jener Stadt dieses oder jenes Landes in Szene gesetzt, nachdem er eine genügend große Zahl Dumme belogen und betrogen hatte, mitunter selbst in weiteren Kreisen so anrüchig wurde, daß man sich in Privatkreisen vor ihm zu hüten begann, und daß die öffentlichen Kreise, denen die Sicherheit der privaten anvertraut war, ihm eine um so liebevollere Aufmerksamkeit widmeten. Balsamo, der dieser polizeilichen Liebenswürdigkeit kein Verständnis entgegenbrachte, befolgte dann regelmäßig dieselbe Taktik, er verduftete und beglückte während drei oder vier Jahre andere Länder, in denen man ihn noch nicht in seiner ganzen Glorie kannte, um dann, nachdem er sich und seine Gaunereien einigermaßen vergessen glaubte, wieder nach jenem ersten Wirkungskreise sich zurückzuwenden und zuzusehen, wie nunmehr die Sachen ständen, und ob für ihn etwas zu holen sei.

Seit seinem ersten Besuch in London waren nun vier Jahre verstrichen. Die im Vergleich zu seinen übrigen Bravourstücken der Gaunerkunst doch nur unbedeutsamen Streiche, die er vordem in London inszeniert hatte, waren zu geringfügig gewesen, um ihm die Rückkehr nach dem gastlichen Albion zu verschließen. Voll hoffnungsfroher Zuversicht, daß ihm jetzt ein neues Glück dort entgegenlächeln werde, begann er nun in London gewissermaßen eine neue Lebensepoche.

Die Menschen sind gar verschieden geartet, indessen in heutiger Zeit stimmen sie in einer Beziehung alle überein. Am Golde hängt, nach Gold drängt doch alles, und wer sie von dieser Seite ihres Charakters zu nehmen versteht, der hat sie. – Cagliostro wußte dies genau, ja er wußte sehr wohl, daß gerade in England die Wut des Erwerbes größer sei, als sonst irgend wo anders. Nun ist ja durchaus nicht ausgeschlossen, daß man sich durch emsigen Fleiß und andauernde Arbeit sein Geld verdiene, aber das eben dauert für heutige Zeit zu lange; schnell, schnell reich werden, heißt es heut und hieß es damals, schnell reich werden, schnell genießen, schnell leben! Und der Teufel mit dem Staat im Bunde brütete jenes vermaledeite Kuckucksei aus, das sich Lotterie nennt, den Armen das letzte Geld aus der Tasche zieht, die Sucht nach Genuß zugleich mit der Faulheit verstärkt, gewöhnlich an falscher Stelle beglückt, kurz, alle prellt mit Ausnahme Satans, der grinsend dabei steht und sich der Seelen freut, die ihm da aufs neue in die Arme laufen.

Cagliostro, der rechte Diener Satans, spekulierte sehr geschickt auf die Sehnsucht seiner lieben Mitmenschen, schnell reich zu werden, und auf ihre Dummheit, indem er geschickt unter der Hand das Gerücht auszusprengen verstand, daß es ihm durch gewisse kabbalistische Operationen gelungen sei, diejenigen Lottonummern, welche gewinnen würden, anzugeben. – Natürlich flogen einige Gimpel auf den Leim, die außer der nötigen Portion Dummheit auch genügende Geldmittel besaßen, um zu den Experimenten unseres Freundes geeignet zu scheinen. In erster Reihe sind da zu erwähnen ein Fräulein Fry und ein Herr Scott!

O grundgütiger Himmel, es fanden sich wirklich Menschen, die auf diesen Humbug eingingen. Denkt ihr denn nicht, ihr Toren, daß Cagliostro, wenn er jene Kunst verstände, sie nicht zuerst bei sich selbst anwenden und sie auch sicherlich nicht mitteilen würde. – Euch geschieht recht, wenn ihr geprellt werdet, und gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.

Wir wollen über seine Beziehungen zur Fry und Scott zunächst einmal Balsamo selbst reden lassen, der sich in seiner » Lettre du comte de Cagliostro au peuple anglais 1787« insonderheit hierüber ausgesprochen hat; natürlich enthält auch dieser Brief eine Menge der abenteuerlichsten und unverschämtesten Erfindungen und bedarf durchaus der Prüfung.

Er erzählt darin, er habe die Dame Fry im Jahre 1776 in London zuerst unter der Maske einer Gräfin Scott kennen gelernt, sie sowohl, wie deren angeblichen Gemahl wiederholt durch ansehnliche Darlehen unterstützt und ihnen auch sogar noch Kleider zum Geschenk gemacht, da er nicht geahnt, daß diese Leute so gemeine Betrüger wären, als sie sich in der Tat später entpuppt hätten. Balsamo besaß nämlich, wie er uns weiter beteuert, damals ein Manuskript, welches sehr merkwürdige Geheimnisse in sich barg, unter anderem besonders Anweisungen zu verschiedenen, kabbalistischen Operationen, vermittelst deren der Verfasser jenes Schriftstückes mit völliger Sicherheit des Gewinnens in der Lotterie spielen lehrte.

»Den Zufall berechnen zu wollen, schien mir ein durchaus unwahrscheinliches Unterfangen,« äußert sich Balsamo; »indessen da ich seit langer Zeit die Gewohnheit beobachtete, über mir unbekannte Dinge nichts verlauten zu lassen, so wollte ich versuchen, ob nach den in meinem Manuskript angegebenen Regeln ich es erreichen könnte, einige Nummern, die gewinnen sollten, zu bestimmen. Die Lotterieziehung begann am 14. November. Ich bezeichnete scherzweise die erste Nummer. Niemand von meiner Bekanntschaft wollte auf sie setzen. Der Zufall wollte, daß diese Nummer in der Tat herauskam. Ich nannte nun am 16. die Nummer 20. Scott wagte eine Kleinigkeit und gewann. Ich nannte dann am 17. die Nummer 25. Auch sie kam heraus und brachte Scott einen Gewinn von 100 Louisd'or. Am 18. bezeichnete ich ihm die beiden Nummern 54 und 56, die ebenfalls beide gewannen. Man kann ermessen, wie groß mein Erstaunen war, als ich so den Zufall mit den Rechnungen im Einklang fand, die ich für aberwitzig gehalten. Was für einen Grund diese Merkwürdigkeit auch haben mochte – ich glaubte, aus Anstandsgefühl mich inskünftig enthalten zu müssen, auch nur eine Nummer ferner vorauszusagen.«

Balsamo erzählt nun in diesem heuchlerischen Tone weiter, wie ihn Herr Scott und dessen angebliche Gemahlin gequält hätten, ihnen weitere Gewinnnummern zu nennen, wozu sie ihn indessen trotz angebotener, großer Geschenke nicht bewegen gekonnt. Darauf sei ihre Zudringlichkeit immer größer und zuletzt so groß geworden, daß er sie kurz und bündig habe abweisen lassen. Allein auch dies habe nichts geholfen. Denn Fräulein Fry sei zu seiner Frau gelaufen und habe diese flehentlich gebeten, ihr doch noch eine einzige Nummer von ihrem Gemahl zu verschaffen, da sie, nachdem sie ihren früheren Gewinnst ihrem Liebhaber überlassen, nun wieder in größter Not sei. Er habe sich denn auch erweichen lassen und die Nummer 8 für den 7. Dezember als eine Glücksnummer angegeben. Die Fry habe sich denn auch nicht umsonst an ihn gewendet, sondern dieses Mal ganz besonderes Glück gehabt, da nicht nur sie 421 Guineen und 460 Lstrl. gewonnen, sondern auch ihrem Liebhaber, der mit ihr auf jene Nummer gesetzt hatte, einen Gewinn von 700 Guineen verschafft habe.

In der Ueberschwänglichkeit der Freude ging die Fry jetzt zu einem Goldarbeiter, kaufte dort ein Elfenbeinkästchen, füllte es mit Banknoten und brachte dieses der »Gräfin Cagliostro« als Präsent. Letztere lehnte jedoch dasselbe ab. Da der Fry sehr daran gelegen war, sich die Gräfin durch Annahme eines Geschenkes zu weiteren Gegendiensten zu verpflichten, kaufte sie jetzt eine goldene Dose mit zwei Deckeln und ein kostbares Armband von Brillanten. Letzteres legte sie in die eine Abteilung der Dose, während sie die andere mit einem Pulver füllte, das wie Schnupftabak gebraucht wurde und sehr heilkräftig gegen Flüsse sein sollte, an denen die Gattin Balsamos damals vielfach litt. Dieses Kästchen nun bot sie der Letzteren bei passender Gelegenheit zum Geschenk an. Die Gräfin wollte es wieder nicht nehmen. Da warf sich die Fry ihr zu Füßen und beschwor sie mit Tränen in den Augen, das Geschenk nicht zu verschmähen. Nun blieb der Gräfin nichts anderes übrig, als ihr zu Willen zu sein, wenn anders sie die Spenderin nicht allzusehr verletzen wollte.

Nunmehr nach Annahme des Geschenkes glaubte die Fry ein Anrecht zu haben, die Kunst Balsamos sich auch fürderhin dienstbar zu machen und drang mehrfach in diesen, ihr weitere Nummern zu bezeichnen. Da er sich nunmehr mit Entschiedenheit weigerte, schmiedete sie einen Plan, vermittelst dessen sie sich in den Besitz jenes magischen Manuskriptes, sowie auch eines roten Pulvers zu setzen gedachte, welch letzteres dazu dienen sollte, Metalle in Gold zu verwandeln, und das Balsamo in einem Schranke zusammen mit jenem magischen Manuskript aufbewahrte. Sie verband sich zu diesem Zwecke mit einem gewissen Raynold, der Advokat war und gegen Balsamo einen Verhaftsbefehl erließ. Während die Häscher bei ihm eindrangen, um ihn dingfest zu machen, schlichen sich Scott und Raynold in das Nebenzimmer ein, wo der Schrank mit den Kleinodien stand, erbrachen diesen, raubten aus selbigem ein goldenes Kästchen mit dem wundertätigen, roten Pulver, sowie auch das Manuskript und suchten dann das Weite.

Das ist der Hauptinhalt jenes Romans, den Cagliostro einem Volke aufzubinden sich nicht entblödet, das an nüchterner Vernunft kaum seines Gleichen hat. Es folgen dann noch eine Menge Einzelheiten über die neuen von Scott und der Fry gegen ihn eingeleiteten Verfolgungen, besonders Klagen über die große Einbuße an seinem Vermögen, welche er durch die längere Haft erlitt. Wir glauben, der Lügen genug berichtet zu haben, und übergehen das Weitere, indem wir uns sogleich der Frage zuwenden, wie denn das Verhältnis Balsamos zu jenen Beiden in der Tat ausgesehen haben mag.

Scott und Fräulein Fry waren durchaus nicht in dem Maße raffiniert, wie Cagliostro sie darstellt, sondern ein Paar ganz harmlose, beschränkte Menschenkinder, die den verzeihlichen Wunsch aller ihrer Mitmenschen, möglichst schnell reich zu werden, teilten und sich in dem damals durchaus nicht ungewöhnlichen Aberglauben befanden, daß sich solches durch irgend welche geheimen Künste bewerkstelligen lasse. Balsamo kannte seine Leute und benutzte ihre Torheit dazu, ihnen einzureden, daß er sie mit Reichtümern überschütten werde, wenn sie sich ihm zu einigen Experimenten anvertrauten und ihm – dies war die nicht zu vergessende Hauptsache – gewisse, nicht allzu geringe Summen zum Vorschuß für nötige Anschaffungen geben wollten. Auch hat er ihnen, wie aus seinen eigenen Aussagen klar hervorgeht, vorgelogen, er verstehe es, die gewinnenden Nummern in der Lotterie zu raten. Jene fielen hinein und gaben ziemlich bedeutende Geldsummen, die sie nicht zu vergrößern zauderten, als ihnen Cagliostro erzählte, daß er auch die Kunst verstehe, aus unedlen Metallen Gold zu machen, nur zu ihrer Urbarmachung einiger weiterer Vorschüsse bedürfe. Ja, sie ließen sich noch weit mehr an der Nase umherziehen, und man kann an diesen beiden so recht erkennen, wie weit Habsucht und Goldgier die Vernunft verblenden können. Da er sich vor ihnen auch rühmte, das Geheimnis zu besitzen, Diamanten auf chemischem Wege zu vergrößern, so meinte Fräulein Fry, daß auch diese Kunst nicht gering zu schätzen, vielmehr gehörig auszubeuten sei, und ohne weiteres leistete sie Cagliostro Folge, der sie aufforderte, ein Brillanthalsband in einem goldenen Kästchen ihm zu übergeben; er würde den Wert der Steine hundertfältig erhöhen. Ist es nicht wirklich humoristisch, wie dieser abgefeimte Gauner sich nicht nur das Halsband geben läßt, sondern es auch der Sicherheit wegen in einem goldenen Kästchen verlangt, und ist es nicht unglaublich, daß man blind die Weisungen des großen Meisters befolgt, selbst wenn sie in solchem Maße den Stempel der Gaunerei an der Stirn tragen?

Genug, Balsamo machte sich ans Werk, aber Fräulein Fry fand, daß die Sache denn doch ein wenig über Gebühr lange dauere, oder sie mochte vielleicht auch infolge irgend einer unvorsichtigen Aeußerung des großen Kabbalisten zu der Überzeugung gelangt sein, daß ihre Diamanten, statt sich zu vergrößern, sich verkleinern und ihr entschwinden würden. Sie bezweifelte an Cagliostro nicht im geringsten mehr die Kunst, Brillanten in Goldstücke verwandeln und diese dann spurlos verschwinden lassen zu können. Allein sie meinte vielleicht, dazu brauche sie ihn nicht. Kurz, es rissen ihr, wie Heinrich Heine sagt, sämtliche Knöpfe an der Hose der Geduld, sie wurde rappelköpfig, denunzierte unsern redlichen Freund wegen Zauberei und Betrug, beziehungsweise wegen Unterschlagung des Armbandes und des Kästchens und setzte durch, daß er, der Graf, der große Kabbalist und Magiker, verhaftet und zur Untersuchung gezogen wurde.

In seinem Verhör erklärte er wörtlich Folgendes: »Durch Beobachtung, langwierige Arbeit, Studium und Sorgfalt sei er dahin gelangt, die astrologischen Berechnungen, die er über die Lotterieziehungen angestellt habe, bis zur vollständigsten Sicherheit hinauszuführen. Vermittelst dieser Rechnungen sei er imstande, vorauszusagen, welche Lotterienummern an einem bestimmten Tage mit Gewinnen herauskommen würden. Er habe der Fry auf diese Weise 2000 Pfund Sterling verschafft und dafür das Armband und Kästchen zum Geschenk erhalten. Übrigens wolle er eine Wette auf eine hohe Summe eingehen, daß im folgenden Jahre an dem und dem Tage eine von ihm genannte Nummer herauskommen werde, und er fordere ganz London auf, ihn beim Wort zu halten«.

Allein es fand sich niemand, der mit einem solchen Gauner zu wetten Lust gehabt hätte, und so hatte es denn mit dieser großsprecherischen Herausforderung sein Bewenden.

Gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt, wartete Balsamo nun den Ausgang seines Prozesses ab. Er glaubte, man würde ihm nicht nachzuweisen vermögen, daß er die gedachten Pretiosen in betrügerischer Weise an sich gebracht habe. Um indessen ganz sicher zu gehen, erklärte er, wie er selbst sagt, »mit Verachtung«, sich dazu bereit, das Armband zurückzugeben, nicht jedoch die erschwindelten Geldsummen zurückzuerstatten. Die Fry leistete einen Eid, daß sich die Sache so verhalte, wie sie angegeben, und daß sie Balsamo keineswegs etwas schulde, bekräftigte ihre Behauptung außerdem noch durch Zeugen, die ihre Aussagen ebenfalls beschworen, und erlangte so ein Verdikt gegen den Betrüger. Unser Freund bekam Wind davon, daß seine Sache sehr trübe stände, und da er es für richtiger hielt, mit dem Armband und den gestohlenen Geldern außerhalb Englands lustig zu leben, als ohne Armband und Gelder in London ins Loch zu wandern, womit er ja eigentlich auch Recht hat, beschloß er, sich schleunigst aus dem Staube zu machen, den er aufgewirbelt hatte. – Wir lesen in einem vorliegenden Buch den denkwürdigen Passus: »Ob er die geraubten Kostbarkeiten in der Tat zurückgegeben hat, wird aus den bezüglichen Flugschriften nicht recht klar. Es scheint jedoch, daß es nicht der Fall gewesen«. Ja, das glauben wir.

Balsamo flüchtet sich nach Brüssel, von wo er behauptet, zwei Londoner Advokaten mit der Fortführung seines Prozesses beauftragt zu haben, ja gegebenen Falles sogar mit Anstrengung eines neuen gegen Scott wegen der ihm angeblich entwendeten kabbalistischen Kleinodien. Er selbst berichtet uns denn auch, daß er, als er erfahren, daß Scott sicherlich des Diebstahls überführt und durch den Strang vom Leben zum Tode gebracht werden würde, von Mitleid überwältigt, sich habe bereit finden lassen, sich mit Scott zu vergleichen und die Klage zurückzuziehen, und wer unsern Freund kennt, der weiß es genau, daß in diesen Worten das Zugeständnis enthalten ist, daß die ganze Geschichte von dem Raube und dessen Folgen nichts als grobe Lüge war. Wir wissen ja, welch eine unglaubliche Verlogenheit in Balsamo steckt, und wir kennen ja nachgerade schon die wahrhaft olympische Unverschämtheit, mit welcher er die ungeheuerlichsten Behauptungen in die Welt schleuderte. Uebrigens machte er sich in seinem »Brief an das englische Volk« auch noch einer andern infamen Lüge schuldig.

Er leugnet nämlich in bündigster Weise seinen ersten Aufenthalt in London unter seinem wahren Namen, indem er hinzufügt, er könnte ja, wenn er mit jenem Balsamo identisch wäre, sich ohne Erröten als jene Person bekennen, da jener sich in ehrlichster Weise fortzuhelfen bemüht gewesen. Allein, weil er eben nicht jener Balsamo sei, müsse er jene Angabe für durchaus falsch erklären. – Es handelt sich hier nämlich um die Veröffentlichung eines englischen Redakteurs mit Namen Worande, der über ihn sehr genaue Nachforschungen anstellte, ihn als gemeinen Betrüger brandmarkte und unter anderen auch jenen fast vergessenen ersten Aufenthalt Balsamos mit allen seinen Gaunereien aufdeckte.

Uebrigens entblödet sich Balsamo in jenem Briefe nicht, seine Gegner, die Fry und Scott, sowie sämtliche Belastungszeugen des Meineids, seine Richter, darunter den Marschall des Kings-Bench der Bestechlichkeit und des Betruges zu zeihen und zur Bekräftigung seiner niederträchtigen Verleumdungen eine Menge willkürlich erfundene Tatsachen aus dem Vorleben dieser Persönlichkeiten anzugeben. – Wir haben hierauf später noch einmal zurückzukommen.

Der Aufenthalt in London war für Cagliostros weitere Absichten von weittragendster Bedeutung, und nicht ohne Grund bezeichneten wir ihn als den Anfangspunkt einer neuen Epoche in seinem Leben. – Freilich hatte unser Freund einen ziemlichen Teil der in London verbrachten Zeit wohlverwahrt hinter Schloß und Riegel zugebracht, da man ihn nicht nur wegen der von uns erzählten Gaunereien, sondern oft genug auch wegen seiner Schulden festgesetzt und meist dann gegen Stellung von Kaution erst frei gelassen hatte. – Balsamo hatte indessen die wenigen »freien« Momente, die ihm seine Gaunereien und seine Haft ließ, dazu angewendet, sich in die Londoner Maurerkreise einführen zu lassen. Jedenfalls wird solches in der ersten Zeit nach seiner Ankunft geschehen sein, weil andernfalls seine Betrügereien, die zwar erst zehn Jahre später öffentlich besprochen wurden, aber doch auch damals schon durch seine Opfer ruchbar geworden waren, ihm den Zutritt zu den Logen verschlossen haben würden. – Auf diese Weise gelang es ihm nicht nur, Einblick in die maurerischen Bestrebungen zu gewinnen, sondern sogar selbst daran Teil zu nehmen, da er sich in den Orden aufnehmen ließ.

Ueber die damaligen Zustände in den Logen berichtet uns Sierke in seinem Buche »Schwärmer und Schwindler zu Ende des 18. Jahrhunderts« folgendes:

Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine sehr bedeutende Anzahl von Logen aller Nationen sich damals mit allerhand mystisch-thaumaturgischen Grübeleien befaßt, und daß es unter den Freimaurern eine unglaubliche Menge von abergläubischen Schwärmern gegeben hat, die darauf hinarbeiteten, in eine nähere Gemeinschaft mit Gott zu treten, indem sie zur Kabbala ihre Zuflucht nahmen, und durch sie zunächst mit der Geisterwelt in Berührung zu treten hofften. Der Grundzug dieses verworrenen, aus dem Streben der Menschen nach Tugend und nach einem übersinnlichen Zustande der Läuterung hervorgegangenen theosophischen Systems, das damals viele sich selbst unklare Anhänger zählte, ist aus dem Gnostizismus und dessen Emanationstheorie entlehnt. Man dachte sich – und wir betonen es, daß eine große Menge von Gebildeten nicht nur, sondern sogar von Fachgelehrten diesen Schwärmereien nachhing – die Welt in der Gewalt von höherorganisirten Geistern, die in systematischer Stufenfolge einander aufwärts dienstbar waren und in Gott ihren obersten Lenker und Regierer anerkannten. Außer diesem Heer der himmlischen Engel existierte aber noch ein anderes, das dem bösen Prinzip dienstbar war und mit den Engeln in stetem Kampf um die Menschenseele lag. Durch gewisse alchemistische und kabbalistische Operationen, durch Formeln und mystische Hantierungen mit dem Dreieck, dem Kreuze und Zirkel sollten einzelne infolge ihrer Tugend besonders begnadete Menschen imstande sein, über die Geisterwelt eine gebietende Macht zu üben, und zwar je nach dem Grade ihrer Tugend über die einer höheren oder niederen Stufe angehörigen Geister, sie konnten vermittelst dieser Fähigkeit auch Verstorbene zitiren, besaßen die Gabe der Hellseherei und verstanden die Kunst, die materia prima zu bereiten, resp. aufzufinden. Das letztere Geheimnis wurde indessen nur denen zu Teil, die in der Tugendübung den höchsten Grad von Vollkommenheit erreicht hatten. Es bestand darin, durch chemische Prozesse unter Anrufung des Beistandes des Allerhöchsten und seiner Diener das Quecksilber in eine feste Masse umzuwandeln, aus welcher dann Silber und später Gold wurde. Aber nicht nur Quecksilber, sondern überhaupt alle anderen Metalle konnten in Gold und von da in die materia prima verwandelt werden, sobald man eben von der letzteren ein Körnchen bei dem chemischen Verwandlungsprozesse hinzusetzte. Wer die materia prima besaß, die eben die nächstfolgende Metamorphose des Goldes darstellte, konnte vermittelst derselben bis in die Unendlichkeit Gold und Silber künstlich erzeugen und stand Gott am nächsten.

Das sind etwa die Umrisse jener mystischen Anschauungen, die noch zum Ende des vorigen Jahrhunderts, zum großen Teil durch den Einfluß Swedenborgs, die Geister im Banne hielten, und die, wie man sieht, Ueberreste der mittelalterlichen Magie und des Geister- und Gespensterglaubens waren, allerdings stark vermischt mit pietistischen Doktrinen.«

In eine Loge mit derartigen Prinzipien wurde nun unser Freund aufgenommen. Es ward später hervorgehoben, daß die Loge, in welche er und seine Seraphina Zutritt erhielten – denn auch sie wurde Maurer oder Maurerin und erhielt feierlich ein Band umgebunden, mit dem Befehle, eine Nacht darin zu schlafen – in sozialer Beziehung eine Loge von ziemlich niederem Range gewesen sein, deren Mitglieder größtenteils aus Pastetenbäckern und Friseuren bestanden. Hierauf ist zu erwidern, daß dies die einzige Loge war, wo französisch gesprochen wurde, und daß ein Mensch und ein Freimaurer noch immer Mensch und Freimaurer bleibt, auch wenn er Pasteten bäckt.

Mit welchen Schnurpfeifereien übrigens auch der Eintritt in diese Loge verbunden war, geht am besten aus dem hervor, was uns hierüber der fromme Pater Marcellus sagt:

»Vor der Aufnahme fordert man einige Proben von Herzhaftigkeit. Unter jenen, welche Cagliostro ablegte, sind zwei, die geeignet waren, wir können es nicht bestimmt sagen, Zorn oder Gelächter zu erregen. Er wurde erstens in die Luft geworfen, wo in der Kammer ein Seil angebracht war; an diesem hielt er sich mit einer Hand und mußte so einige Zeit lang hängen bleiben. Die fette Last seines Körpers mußte ihm ganz gewiß eine schmerzhafte Empfindung verursachen, wie er sich denn die Hand auch sehr geschälet hatte. Er wurde hernach an den Augen verbunden, bekam eine leere Pistole, mit dem Auftrag, selbe zu laden. Er gehorchte und tat Pulver und Kugeln hinein. Allein als er hörte, daß er selber gegen seinen Kopf losschießen sollte, äußerte er, wie ganz natürlich, allen Widerstand. Man nahm sie ihm mit Widerwillen aus der Hand, und ließ ihn nun den Eid schwören. Die Feierlichkeit und Wichtigkeit desselben veranlaßten ihn, sich dem wiederholten Geheiße zu ergeben, und die Pistole, welche ihm wieder, wie zuvor zugestellt wurde, abzuschießen. Er schoß, während er noch verbunden war, und fühlte einen Stoß an seinem Kopfe, ohne die mindeste Verletzung davonzutragen. Soviel er bei Aufnahme anderer bemerken konnte, war dies eine Finte; denn während man geschwind die Pistole das zweite Mal verwechselt und eine ungeladene unterschiebt, drückt irgend einer von der Gesellschaft die erstere ab, und ein anderer schlägt bei dem Schusse mit der Hand oder mit einem anderen geringfügigen Werkzeug dem Kandidaten auf die Schläfe, so daß dieser glaubt, der Schuß der Pistole sei auf ihn gegangen, und erstaunt nachher über das Wunder, daß er unverletzt davongekommen ist.«

Der Eid, welchen Cagliostro bei seiner Aufnahme zu leisten hatte, war folgender:

»Ich, Joseph Cagliostro, verpflichte mich in Gegenwart des großen Baumeisters des Weltalls und meiner Oberen, wie auch der ehrwürdigen Gesellschaft, in welcher ich mich befinde, alles und jedes zu tun, was mir von meinen Oberen wird anbefohlen werden, und deswegen verpflichte ich mich unter den bekannten Strafen, meinen Oberen blindlings zu gehorsamen, ohne nach dem Warum zu fragen und weder mündlich noch schriftlich, noch mit Geberden das Geheimnis dessen, was mir wird eröffnet werden, zu offenbaren.«

Balsamo war ein viel zu großer Schwindler, als daß er nicht sogleich erkannt hätte, welch einen ungemeinen Vorteil er aus dieser Geheimniskrämerei ziehen könnte, wenn er sie in Verbindung mit seinen Zauber- und Taschenspielkunststückchen brächte. Indem er daher während der ganzen Zeit, die er frei in London verbrachte, aufs eifrigste alle dortigen Logen besuchte, konzipierte er den Gedanken, welcher bestimmt war, ihm eine europäische Berühmtheit zu verschaffen, um die ihn noch heut manch ein Litterat beneiden möchte. Und dieser Gedanke war: »Ich, der Graf Alessandro Cagliostro werde eine neue Loge gründen, die an Verrücktheit alle andern hinter sich zurücklassen und infolgedessen den ungeheuersten Zulauf haben wird. – Ich werde dabei der Kluge sein und jene die Dummen, denn ich werde Geld verdienen und jene werden es los werden.«

Zufällig fand er bei irgend einem Winkelbuchhändler einige Manuskripte, die von einem gewissen George Coston herrühren sollen, der sonst eine uns völlig unbekannte Größe ist, und die von der sogenannten egyptischen Maurerei handelten. Das war Wasser auf Cagliostros Mühle, sogleich kaufte er den Schund, und entwarf nach dem, was dort vorgeschrieben war, zum Teil aber auch mit eigener, kühner Phantasie einen neuen Maurerritus, doch so, daß er nach seiner eigenen Aussage alles davon abwarf, was gottlos d. i. Abergläubisches und Zauberisches drin begriffen sein konnte. So war denn der gereinigte Ritus geschaffen, auf welchem die noch zu gründende Loge basieren konnte.

Um alles das, was er in dem Laufe so vieler Jahre und an so vielen Orten in diesem Fache verübte, besser zu begreifen, müssen wir eine genaue Schilderung des Systemes oder ägyptischen Ritus, den er, wie oben gesagt, eingeführt, vorausschicken. Wir werden sie getreulich auf ein von ihm selbst verfaßtes Schriftstück gründen, der einen vollständigen Codex davon darstellt. Als man später in Rom bei Beschlagnahme seiner Papiere dieses Werk vorgefunden, hatte er es feierlich anerkannt und dem Richter gestanden, daß er sich immer in der Praktik seiner Maurerei danach gerichtet habe, daß eben dieses in den von ihm gemachten Stiftungen mehrerer Logen die Richtschnur gewesen sei und daß er mehrere Exemplare in den von ihm errichteten Mutterlogen in vielen Städten zurückgelassen habe.

In seinem System, sagt sein Biograph, verspricht er seinen Anhängern, sie mittelst einer physischen und moralischen Wiedergeburt zur Vollkommenheit zu führen; sie durch die erstere oder physische in den Stand zu setzen, die prima materia oder den Stein der Weisen und die acacia zu finden, welche in dem Menschen die Kräfte der blühendsten Jugend konsolidiert und ihn unsterblich macht. Durch die letztere oder moralische Wiedergeburt verspricht er ihnen ein Pentagon zu verschaffen, welches den Menschen wieder in den durch die Erbsünde verloren gegangenen Zustand der Unschuld versetzen soll. Der Gründer glaubt, daß diese ägyptische Maurerei von Enoch und Elias eingesetzt ward, welche sie in verschiedenen Zeiten der Welt verbreiteten; mit der Zeit verlor sie jedoch viel von ihrer Reinheit und ihrem Glanze. So war allmählich die Maurerei der Männer zu einem bloßen Possenspiel herabgesunken und die der Frauen fast gänzlich vernichtet worden, weil dieselbe in der gewöhnlichen Maurerei jetzt keinen Platz mehr hat, bis endlich der Eifer der Großkophtas (so werden die ägyptischen Hohenpriester genannt) sich dadurch auszeichnete, daß er die Maurerei beider Geschlechter in ihrem früheren Glanze wiederherstellte.

In Bezug auf die Erbauung dieses unschätzbaren Pentagon, welches die Erbsünde aufheben soll, wie man zu diesem Zwecke einen einsamen Berg wählen und ihn Sinai nennen und dann einen Tempel darauf bauen soll, welcher Sion heißt und zwölf Seiten hat, auf jeder Seite ein Fenster und drei Stockwerke, von welchen einer Ararat heißt; wie man ferner mit zwölf Meistern, einem an jedem Fenster, während man selber in der Mitte steht, eine unsägliche Menge Formalitäten, Vigilien, Fasten, Kasteiungen durchzumachen hat, bei welchen es zuletzt immer noch zweifelhaft bleibt, ob man den Pentagon zuletzt auch wirklich bekommt, – in Bezug auf diese große Frage wollen wir nichts sagen. Ebenso wenig sagen wir in Bezug auf den noch großartigeren und schmerzhaften Prozeß der physischen Wiedergeburt oder des Wiederjungwerdens – ein Ding, welches nicht anders zu erreichen ist, als durch vierzehntägiges Medizinieren, Purgieren, Schweißbäder, Ohnmachten, Wurzelkost, Aderlässe, Hungern und Verzweiflung – vielleicht mehr, als die ganze Verjüngung wert ist. Diese übrigens geschah stets nur nach 50 Jahren, und das Experiment konnte alle 50 Jahre wiederholt werden, bis man auf diese Art ein Alter von 5557 Jahren erreicht haben mochte. – Auch übergehen wir diese inneren Zeremonien und viele hochtrabende Moralpredigten über Einigkeit, Tugend, Weisheit, Unsterblichkeitslehren und Gott weiß was sonst noch, um einen Blick auf gewisse äußere Zeremonien der ägyptischen Maurerei unseres Cagliostro zu werfen.

Zunächst werden da die Regeln festgestellt, welche die erforderlichen Eigenschaften der Aufzunehmenden enthalten: Die drei verschiedenen Grade, Funktionen und Katechismen der Lehrlinge, Gesellen und Meister; die Zahl, woraus eine jede Klasse bestehen darf, die Zeichen, an welchen sie sich untereinander erkennen müssen, die Oberen, welche den Vorsitz haben und die Gesellschaft leiten müssen, die Zeit ihrer respektiven Versammlungen, die Errichtung eines Tribunals, um die Streitigkeiten die zwischen den Logen entstehen können, und die Vergehungen der respektiven Glieder zu richten; und endlich jenes enge Band der Einheit, womit sich alle Glieder insbesondere, und alle Lagen insgemein anzusehen verbunden sind, und die vielen Zeremonien, die auf die strengste Art sowohl bei der Aufnahme in jeden der angezeigten Grade, als auch bei den Feierlichkeiten der Logen oder Versammlungen beobachtet werden müssen.

»Unter diesem ganzen Zeremoniell, sagt der Biograph, findet man ebensoviel Gotteslästerung, Aberglaube und Abgötterei, wie bei der gewöhnlichen Maurerei – Anrufungen des heiligen Namens, Kniebeugungen, Anbetungen des ehrwürdigen Bruders oder Hauptes der Loge; Anhauchen, Weihrauch verbrennen, Räucherungen, Exorcismen der aufzunehmenden Kandidaten und der Gewänder, die sie anlegen sollen; Embleme der allerheiligsten Dreifaltigkeit, des Mondes und der Sonne, des Zirkels und Quadrats und tausend und abertausend andere Ruchlosigkeiten, die jetzt in der Welt wohlbekannt sind.

Wir erwähnten oben den Großkophta. Unter diesem Titel versteht man den Gründer oder den Wiederhersteller der ägyptischen Maurerei. Cagliostro räumte mir (d. i. dem Biographen, der zugleich auch sein inquirierender Richter war) ohne Schwierigkeit ein, daß unter diesem Namen er selbst gemeint sei. In diesem System wird der Großkophta mit dem Höchsten verglichen. Es wird ihm die feierlichste Anbetung dargebracht, er besitzt Herrschaft über die Engel, er wird bei allen Gelegenheiten angerufen, alles geschieht kraft seiner Macht, welche er, dem Vorgeben nach, unmittelbar von Gott erhält. Ja, noch mehr, unter den verschiedenen Zeremonien, die bei dieser Ausübung der Maurerei zu beobachten sind, wird ihren Anhängern befohlen, das Veni creator spiritus, das Te Deum und einige Psalmen Davids herzusagen, und die Unverschämtheit und Frechheit geht so weit, daß in dem Psalm memento, domine, David et omnis mansuetudinis eius jedesmal, wo der Name David vorkommt, der des Großkophta zu substituieren ist.

»Von der ägyptischen Maurerei ist keine Religionsgemeinschaft ausgeschlossen; der Jude, der Kalvinist, der Lutheraner können ebenso gut aufgenommen werden, als der Katholik, dafern sie nur das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele einräumen. Die zu dem Range eines Meisters erhobenen Mitglieder nehmen die Namen der alten Propheten an, die Frauen die der Sybillen.« »Dann bläst die Großmeisterin auf das Gesicht der Aufzunehmenden von der Stirn bis zum Kinn und sagt: »Ich gebe Dir diesen Hauch, damit die Wahrheit, die wir besitzen, keime und lebendig werde« u. s. w.

»Sie nehmen einen Knaben oder ein Mädchen, welches sich noch im Stande der Unschuld befindet. Diese führen den Namen des Schülers und der Taube, und der Großmeister teilt ihnen die Macht mit, die er vor dem Sündenfall der Menschen gehabt haben würde, welche Macht hauptsächlich darin besteht, daß dadurch den reinen Geistern Befehle erteilt werden können. Diese Geister sind sieben an der Zahl; sie stehen um den Thron des Allerhöchsten und regieren die sieben Planeten. Ihre Namen sind Anael, Michael, Raphael, Gabriel, Uriel, Zobiachel und Annachiel.«

Da wir gerade die Experimente, welche auf Grund des eben Angeführten Cagliostro mit Kindern vornahm, noch weitläufig zu besprechen haben werden, gehen wir zunächst darüber hinweg.

Über das Zeremoniell, welches Cagliostro bei der Aufnahme neuer Mitglieder in Anwendung zu bringen pflegte und welches allen Wahnsinn, den ein menschliches Hirn je geboren, weit hinter sich zurückläßt, erfahren wir durch den Marquis de Buchet folgendes:

Der Rezipiend wird auf einem dunkeln Wege in einen ungeheuren Saal geführt, dessen Decke, Wände und Fußboden mit schwarzem Tuch bedeckt sind, welches mit roten Flammen und drohenden Schlangen besät ist. Die Totenlampen verbreiten von Zeit zu Zeit einen verlöschenden Schimmer, und das Auge erkennt in dem düstern Räume gewisse, in Trauerfloren herabhängende Überbleibsel der sterblichen Menschennatur. Ein Haufen von Skeletten bildet in der Mitte eine Art Altar; zu beiden Seiten desselben sind Bücher aufgehäuft. Einige derselben enthalten Drohungen gegen die Meineidigen; andere die Erzählung der Rache, welche der unsichtbare Geist genommen.

Acht Stunden verfließen; dann schweben Gespenster in langen, schleppenden Sterbegewändern durch den Saal und sinken ohne hörbares Geräusch von Falltüren oder dergleichen in Höhlen hinab. Nur an einem üblen Geruche, den sie aushauchen, erkennt man, daß sie fort sind.

Der Novize bleibt, umringt von eisiger Totenstille, vierundzwanzig Stunden an diesem düsteren Aufenthalt. Strenges Fasten hat bereits seine Körper- und Geisteskräfte geschwächt. Eigens zu diesem Zwecke bereitete Getränke ermüden anfangs seine Sinne und erschöpfen sie endlich gänzlich. Zu seinen Füßen stehen drei Becher, die mit einem Trank von grünlicher Farbe gefüllt sind. Die Notwendigkeit hebt sie an seine Lippen, unwillkürliche Furcht stößt sie wieder zurück.

Endlich erscheinen zwei Männer, die er als Boten des Todes betrachtet. Diese umgürten die bleiche Stirn des Novizen mit einem in Blut getauchten Band, auf dem sich eine Menge silberner Buchstaben und das Bild der heiligen Jungfrau von Loretto befinden. Er erhält ein kupfernes Kruzifix von zwei Zoll Länge, und um den Hals hängt man ihm eine Art in violettes Tuch gehüllter Amulette. Man zieht ihm seine Kleider aus, welche zwei dienende Brüder auf einem am andern Ende des Saales errichteten Scheiterhaufen niederlegen. Mit Blut werden ihm dann Kreuze auf den nackten Körper gezeichnet. In diesem Zustand des Leidens und der Demütigung sieht er fünf mit Schwertern bewaffnete Gestalten in bluttriefenden Kleidern mit großen Schütten herannahen. Ihre Gesichter sind verschleiert, sie breiten einen Teppich auf der Erde aus, knieen nieder, beten und verharren so mit ausgestreckten, über der Brust gekreuzten Händen, während sie die Augen in tiefem Schweigen auf den Boden heften. Eine Stunde vergeht in dieser peinlichen Stellung. Nach dieser ermüdenden Prüfung hört man ein wehklagendes Geschrei, der Scheiterhaufen gerät in Brand, aber verbreitet nur einen bleichen Schein; die Kleider werden daraufgeworfen und verbrannt. Eine kolossale, fast durchsichtige Gestalt steigt aus der Mitte des Scheiterhaufens hervor. Bei ihrem Anblick fallen die fünf knieenden Männer in Zuckungen, welche anzuschauen fast unerträglich ist – ein nur allzu treues Abbild jenes Ringens und Kämpfens, welchem ein Sterblicher von plötzlichem Schmerz ergriffen, zuletzt erliegen muß.

Dann durchdröhnt eine zitternde Stimme das Gewölbe und sagt die Formel jener fluchwürdigen Eide vor, welche geschworen werden sollen und welche wiederzugeben fast die Feder sich sträubt, und deren hauptsächlichster folgender zu sein scheint:

»Ehre und Achtung der aqua Tofana als einem sichern, schnellen und notwendigen Mittel, um das Erdreich durch den Tod oder die Betäubung derer zu reinigen, welche sich bemühen, die Wahrheit zu entwürdigen oder sie unsern Händen zu entreißen.« Die Katastrophe endete damit, daß der arme, halbtote Novize erst in Blut und dann nach einigen Kniebeugungen in Wasser gebadet wurde, worauf man ihm eine aus Wurzelgewächsen, wahrscheinlich Kartoffeln, bestehende Mahlzeit auftrug.

Lieber Leser, staune nicht allzusehr, wenn wir Dir sagen, daß mit der Gründung dieser Loge Cagliostro die höchste Staffel seines Ruhmes erklomm. – Er war ein gemachter Mann. – Denke Dir nur dieses ganze grenzenlose, schlau ersonnene Konglomerat von Totenköpfen, hieroglyphisch bemalten Schirmen, Tauben im Stande der Unschuld, mit geräumigen finstern oder vom günstigsten theatralischen Halbdunkel erleuchteten Sälen, Krichers Laterna magica, Belsazarsche Phosphorschrift an den Wanden, wehklagendes Geschrei, Glockengeläute, den langen weißen Bart eines aus dem Dunkel auftauchenden übernatürlichen Großkophta – und wie dies nicht blos indirekt durch die törichten Sinne der Menschen, sondern auch direkt auf ihre Einbildungskraft wirkt und sich mit Enoch und Elias, mit Philanthropie, Unsterblichkeit, Eleutheromanie, Wiedergeburt und so abwärts mit der unendlichen Tiefe in Verbindung bringt – denke Dir alles dieses und in der Mitte davon eifrig und wachsam den gewandtesten Mann, den kühnsten Gaukler sitzend und an den Fäden ziehend, daß die Marionetten tollen und hüpfen und springen; den kühnsten Spekulanten, welcher mit bewunderungswertem Genie dies ganze chaotische Gerümpel auf eine chemische Einheit zu bringen versteht – nämlich auf die des Goldes. Denke Dir dies alles in Verbindung mit der ganzen Verblendung einer Zeit, die sich stolz die vernünftige nennt, und Du wirst nicht länger staunen.

Cagliostro ist ein gemachter Mann, aus einem Charlatan und kleinen Schwindler ward er zu einem Gauner ohne Gleichen, zu einem Gauner von Genie. – Seine Taktik ändert sich von da an. – Wohlgemut und des Erfolges sicher, zieht er nun in die Welt, um überall sein Glück zu machen. In irgend einer Stadt angekommen, braucht er sich blos durch maurerischen Händedruck bei dem Meister des Ortes zu accreditieren, und wird nicht allmählich, wie früher, sondern in einer einzigen Nacht in großer Loge mit dem Fettesten und Dümmsten bekannt gemacht, was es fern und nah giebt, und zwar in der passendsten Arena, einem mit vergoldeten Pappdeckeln geschmückten Freimaurersaale. Hier kann der große Schafdieb seine ganze Herde in einer großen Hürde versammelt sehen. Sie blökt ihm liebreich entgegen und leckt die Hand, die ihr das Blut abzapfen soll. Denn Beppo ist nicht undankbar gegen das, was ihn bis dahin erhalten, gegen seine kleinen Schwindeleien, wie Gold machen, Lottonummern raten, Diamanten vergrößern, o nein, sucht sie mit seiner neuen größesten Gaunerei zu vereinen, und ein Schimmer des Glanzes seines neuesten Triumphes vergoldet auch jene einstigen Erfolge.

Siegreicher Beppo! Der Genius des Erstaunens hat jetzt seine Glorie über ihn ausgegossen; sein Haupt umgiebt ein Heiligenschein und selbst seinen Gang findet man übernatürlich. Man sehe ihn, wie er überall mit Vivats oder ehrfurchtsvollem Schweigen bewillkommnet wird; mit vergoldeten Pappdeckeln geschmückte Freimaurer empfangen ihn unter dem Stahlbogen gekreuzter Degen; er setzt sich auf den Stuhl des Meisters, hält hochtrabende, stundenlange Reden über Maurerei, Moralität, Universalwissenschaft, Gottheit und Dinge im allgemeinen mit einer »Erhabenheit, Emphase und Salbung, die, wie es scheint, aus der besonderen Eingebung des heiligen Geistes hervorzugehen scheint. Und nun giebt es ägyptische Logen zu gründen und mit ihnen zu korrespondieren, eine Sache, die Geld kostet; Grundbestandteile manch eines schätzbaren Arkanums, ja, wenn der Ort das Geld anwenden will, selbst des Pentagons können den im Leben Geläuterten gegeben werden. Wie gern würde er sie ihnen schenken, aber sie müssen von den äußersten Enden der Welt herbeigeschafft werden und kosten Geld, und mit welchem zehnfachen Ungestüm erweitern sich nun auch alle die andern Geschäfte mit ägyptischen Weinen, wie steigen die Verjüngungsmittel im Preise, welch rasenden Absatz finden die Lebenselixire und andere schöne Dinge.

Tolle, wahnwitzige Zeit! Und für uns, die wir viel über die Sache nachgedacht haben, ist das Sonderbarste von allem, wie Graf Cagliostro, nachdem er unter dem Stahlbogen empfangen war, ein- bis dreistündige Reden über Universalwissenschaft von solcher Salbung halten konnte, daß er, wir wollen nicht sagen, vom heiligen Geiste inspiriert schien, sondern daß er nicht schon nach den ersten zehn Worten zur Tür hinausgeworfen wurde. Der Mann konnte nicht sprechen, denn wo sollte er es denn gelernt haben? – sondern blos langatmiges, verworrenes Zeug schwatzen ohne allen Sinn und Verstand. Er besaß keinen Gedanken, den er hätte aussprechen können, ja, er besaß nicht einmal eine Sprache. Sein sizilisches Italienisch und mit Fetzen aus allen europäischen Dialekten gespicktes Lohnbedienten-Französisch war keinem Sterblichen ganz verständlich. Der Mann hatte aber auch ein für alle Male nicht die Fähigkeit, seine Gedanken klar zu äußern – seine Zunge giebt wohl Geräusch von sich, aber keine Rede. Wenn er die einfachste Geschichte beginnt, so stockt sein Strom schon beim ersten Stadium unter »ahem, ahem!« und verliert sich in der Erde oder strömt ohne Bett und Ufer, und bildet einzelne, getrennte Pfützen. Er ist nicht ein Strom, sondern ein See, ein weit ausgebreiteter, unendlicher Morast. Sein ganzer Gedanke ist verworren und unentwirrbar; die Gedanken oder vielmehr die Anfänge von Gedanken, die er hat, können sich blos durch Keuchen oder krampfhafte Ausbrüche kund geben. –

Wie, um aller Götter willen, konnte der Mann mit Salbung sprechen? –

Wir wollen uns nicht den Kopf zerbrechen über dieses Rätsel, denn es lohnt am Ende auch gar nicht. Wie aber, fragt man sich und schlägt die Hände über den Kopf zusammen, war es dennoch möglich, daß dieser Mann eine ganze Zeit betölpeln konnte? – Vielleicht durch die Macht seiner Persönlichkeit, meinst Du.

Hm! das ließe sich hören; auch kommt man unwillkürlich auf den Gedanken, wenn man hört, daß man sein und seiner Lorenza Portrait auf Fächern, Ringen und Medaillons trug, daß sein Bild, in Wasserfarben und Öl gemalt, tausende von Zimmern schmückte, daß man sogar Marmorbüsten mit der Unterschrift » divo Cagliostro« fertigte, kurz, daß nicht nur Weiber, sondern auch weibergleiche Männer ihn anbeteten. – Wie sah er aus, unser Cagliostro?

De gustibus non est disputandum, wir finden ein solches Gesicht nicht schön und uns können alle jene schwärmenden Damen entsetzlich leid tun. – Ein ausgezeichnet passendes Gesicht, würdig, von dem Charlatan aller Charlatane getragen zu werden. Es ist ein echtes, aufgeblähtes Halunkengesicht; ein dickes, freches, abscheuliches Gesicht, mit dicken Lippen und glatter Nase und dem Ausdrucke der Habgier, Sinnlichkeit und stierartiger Hartnäckigkeit, einer dreisten, unverschämten Stirn, zwei seraphisch schmachtenden Augen, die wie in himmlischer Betrachtung aufwärts gewendet sind und in denen ein Anflug von Humor lauert – im Ganzen genommen, vielleicht das vollkommenste Charlatangesicht, welches das achtzehnte Jahrhundert hervorgebracht hat, und das will was sagen. – Unter dem Bilde stehen die schönen Verse:

De l'ami des humains reconnaissez les traits:
Tout ses jours sont marqués par de nouveaux bienfaits,
Il prolonge la vie, il secourt l'indigence;
Le plaisir d'être utile est seul sa récompense.

Man wird ordentlich gerührt, wenn man dies liest, nicht wahr? Aber unser Rätsel: Wie konnte dieser Mann alle Welt betrügen und wurde nie entlarvt? ist noch nicht gelöst. – Wir sind um keinen Schritt weiter. – Allein die Torheit der Zeit und seine Schwindeltalente können uns das nicht erklären, denn es muß doch wenigstens einige Vernünftige gegeben haben, die ihn durchschauten und bemüht gewesen sein müssen, ihn zu entlarven?

Wohl, lieber Leser, ist die Tollheit der Zeit und das Talent, den Wahnwitz seiner Mitmenschen auszunutzen, der Hauptgrund für den Eindruck, den dieser Gauner zu machen wußte, aber es ist nicht der einzige. Erstaunlich viel trug dazu auch bei die ganze geschickte Art seines Auftretens, die Pracht und der Pomp, mit welchem er sich umgab und von welchem erstaunliche Dinge berichtet werden.

»Das Gefolge, welches er sich gewöhnlich hielt, entsprach seiner übrigen Erscheinung. Er reiste stets mit der Extrapost und einer bedeutenden Suite; Kuriere, Lakaien, Leibjäger und Diener aller Art gaben in ihrer prächtigen Kleidung der hohen Geburt, deren er sich rühmte, einen Anstrich von Wirklichkeit. Sogar die Livreen, die er in Paris machen ließ, kosteten jede 20 Louisd'ors. Prachtvolle, nach der neuesten Mode meublierte Zimmer, eine reich besetzte, zahlreichen Gästen geöffnete Tafel, reiche Kleidung für ihn und seine Gemahlin – beide strotzten von Brillanten – stimmten mit dieser üppigen Lebensweise überein. Seine erheuchelte Freigebigkeit machte ebenfalls großes Aufsehen. Oft erteilte er den Armen seinen ärztlichen Rat umsonst und schenkte ihnen sogar Almosen.«

Natürlich streute dies Auftreten Allen Sand in die Augen und blendete ungemein, insonderheit die ärmeren und ungebildeten Schichten, und der Taumel, der von ihnen ausging, griff um sich und faßte mit verzehnfachter Vehemenz auch die oberen Kreise, in denen er später sich fast ausschließlich bewegte. Zudem hatte die Art seines Erscheinens und Verschwindens etwas Geheimnisvolles. Er glich dem Kometen, der plötzlich in strahlender Helle am Himmel auftaucht, aber, bevor ihn noch die Ferngläser der Gelehrten fixieren können, wieder verschwunden ist. – Er kam und begann unter Paukenwirbel seine tollen Schwindeleien und unerhörten Versprechungen, und alles staunte und gaffte und sperrte Mund und Nase auf. – Wenn es dann zu toll wurde und er des Guten genug getan zu haben glaubte, wenn die Taschen von Gold strozten und durch irgend einige vernünftige Menschen seinem Nimbus Gefahr zu drohen begann, dann verschwand er plötzlich, und noch bevor die blöde Menge sich von ihrem Staunen erholen konnte oder gar sich dessen bewußt geworden war, daß sie unerhört geprellt worden, tönte schon von irgend einer andern Stadt aufs neue das Gerücht herüber von den Wundern des großen Cagliostro, und hüllte aufs neue alles in süße Betäubung.

Wohl gab es, wie wir sehen werden, einige Vernünftige, die sich sofort aus ihrem Wahn aufrafften und schrieen: er ist ein Lügner, manche dachten es auch wohl im Herzen und schwiegen bekümmert, indem sie ihre Hoffnung auf die Zeit setzten, aber in tollen Zeiten gilt der Tolle für vernünftig und der Vernünftige für toll. Die wenigen Stimmen verhallten ungehört unter dem Beifallstoben einer hirnverbrannten Menge.

Wie weit übrigens die Verblendung ging, zeigt uns der gute Lavater, der doch sonst trotz mancher Marotten ein ganz vernünftiger Mensch gewesen sein soll. Auch er wurde in seinen Schweizer Bergen angesteckt und schrieb, sich selbst ständig widersprechend, als schämte er sich eines unumwundenen Zugeständnisses: »Cagliostro ist ein Mann, wie es wenige giebt, an den ich aber doch nicht glaube. O daß er einfältig von Herzen wäre und demütig wie ein Kind, daß er Gefühl hätte für die Einfalt des Evangeliums und die Hoheit des Herrn! Wer wäre so groß, als er? Cagliostro sagt oft, was nicht wahr ist, und verspricht, was er nicht hält. Und dennoch halte ich seine Operationen nicht für Betrug, obschon sie nicht sind, wofür er sie ausgiebt.«

Wenn das der gute Lavater von Cagliostro sagen konnte, was mußten dann nicht erst andere sagen!


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