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Viertes Kapitel.
Am Silbergrab des Watarpatnam

Es wurde von Tag zu Tag heißer, ich schlief in der Mittagsstunde mit der Zigarre in der Hängematte ein, erwachte unfroh und matt, und auch die Bücher blieben oft tagelang, immer die gleiche Seite aufweisend, offen auf dem Schreibtisch liegen. Mein Entschluß zu reisen, stand fest, ich studierte die recht unvollständigen Karten, war aber schon entschlossen, den Weg nach Norden durch die Flußniederungen der Küste zu machen, obgleich die Ströme noch reich an Wasser waren und das Land teilweise überschwemmt hatten. Die Offiziere der englischen Garnison, deren einige ich kennengelernt hatte, rieten mir ab, aber sie verstanden meine Absichten nicht, und wenn sie des Glaubens waren, daß mir daran gelegen sei, rasch und bequem voranzukommen, so hatten sie recht. Immerhin hatte ich in etwa vierzehn Tagen alle Vorbereitungen getroffen, der Ochsenwagen war gedungen, Proviant für zwei Monate war herbeigeschafft, und eines Morgens brachte mir ein Knabe die Nachricht, daß in Tschirakal am Seeufer die Boote auf uns warteten.

Der Watarpatnam und der Ponani sind, im Norden und Süden Malabars ins Meer einmündend, die größten Ströme des Landes. Der Watarpatnam bildet, wie die meisten Flüsse der Westküste, vor seiner Einmündung ein gewaltiges Seenbecken, in welchem sich die Meerflut durch einen schmalen Ausfluß mit seinen Wassern verbindet. Die einzelnen Flußmündungen dagegen sind unter sich, mitsamt ihren Seen durch Kanäle verbunden, die vor der Zeit der Kämpfe Tippu Sultans mit den Engländern, dieser ebenso umsichtige wie grausame Fürst anlegen ließ, um den Handel zur Zeit der Monsunstürme, die die Küste unbefahrbar machen, in den Meerstädten keine Unterbrechung erleiden zu lassen. Heute, wo der Hauptküstenhandel durch die Dampfschiffe besorgt wird, ist diese herrliche Wasserstraße durch die Seeniederungen und den Urwald fast vergessen worden. Die Kanäle sind zum Teil durch die Anschwemmungen der Regenzeit versandet, oder das leidenschaftliche Wachstum seiner Ufer hat sie völlig eingesponnen.

Panja war in bester Laune, seit ich meinen Entschluß kundgetan hatte, die Stadt zu verlassen, denn er liebte Cannanore nicht und wünschte sich, mit mir in Gebiete zu kommen, in denen wir allein herrschten. Als er von den Wegen hörte, die ich zu machen gesonnen war, kratzte er sich froh und nachdenklich im Nacken und sah mich geistesabwesend von der Seite an; heute weiß ich, daß er vielleicht manches besser überschaute, was unserer wartete, als ich, und daß es ihn heimlich erfreute, mich bald in großer Abhängigkeit von sich zu wissen. Er leitete die Vorbereitungen mit viel Umsicht, und aus mancher Anschaffung, die er entschlossen und selbständig machte, gewann ich langsam einen Einblick in die Schwierigkeiten, die es zu überwinden galt. Er vertauschte meine letzten Lederkoffer mit solchen aus Eisenblech, und eine Mauer von Blechbüchsen verschwand im Gepäckwagen, er riet mir, meine Waffen nicht zur Schau zu tragen, sie aber wohl zu rüsten, da die Mohammedaner uns rudern würden.

Ich wußte damals noch nicht, wie weit seine Befürchtungen angebracht waren, aber es war mir bekannt, daß vielerlei Gesindel der Hinduwelt nur deshalb zum Islam übertritt, um die größeren Freiheiten dieser Lehre zu genießen. Die Mohammedaner bilden in den Westprovinzen eine entschlossene und geeinte Gesellschaft, von der England größere Gefahr droht, als von den Anhängern des Hinduismus, der durch den Kastengeist hundertfältig gespalten und in die verschiedensten Interessengebiete zergliedert ist.

Sonst verriet unsere Expedition eher die Friedlichkeit, als die Gefahren des Landes, die nicht von den Menschen kommen, und ich erinnerte mich, vergleichend, einer anderen Ausfahrt in die Wildnis, die in meiner Gegenwart für den Sudan ausgerüstet wurde. Damals starrte das bunte Lager von Waffen und Todesbereitschaft, die glänzenden Riesengestalten der Neger verbreiteten das heimliche Grauen vor ihren blutdürstigen Brüdern im Innenlande, und mit den Schwingen der Aasgeier, die den Ausgangsort der Expedition umkreisten, rauschten in der Luft die Fittiche des Todesengels, dessen furchtbare Züge die Seuchen Afrikas und den Blutdurst in Fieberschwüle ausstrahlten. Viel später, als ich längst nach Europa zurückgekehrt war, erfuhr ich, daß von jener Gesellschaft nicht ein Einziger in die Heimat zurückgekehrt sei, der letzte Name ist in einem Krankenhaus von Genua verklungen, in das ein fiebernder Straßenbettler eingeliefert wurde, der, aller Mittel beraubt, und von einer furchtbaren Krankheit zerfressen, den Versuch gemacht hatte, seine deutsche Heimat von Neapel aus zu Fuß zu erreichen.

Die Gefahren Indiens haben dagegen wenig mit dem Charakter der Urbevölkerung zu tun, denn seine Menschen sind friedliebend und ergeben, sie töten nicht und sind seit Jahrtausenden gewohnt, beherrscht zu werden. Abgesehen von den durch politischen Fanatismus aufgewühlten Leidenschaften und ihren von Rachgier, Haß und Herrschsucht entfesselten Unbillen, sind die europäischen Reisenden im größten Teil des Landes vor den Eingeborenen sicher; gäbe es nicht die Gefahren des Fiebers, der wilden Tiere und der Pest, so wäre das heutige Indien für die, welche um ihr Leben besorgt sind, weit weniger gefahrvoll, als die Umgebung unserer europäischen Großstädte bei Nacht. Indiens Gefahren, seine Einflüsse und geheimnisvollen Mächte walten in anderen Regionen des Seins, als dort, wo das Messer oder die Büchse über Wohl und Wehe entscheiden. Indien wird kaum jemand gefährlich werden, dessen Ansprüche nicht über die Erhaltung seines leiblichen Lebens hinausgehen, aber sein dämonischer Geist trifft das Mark der Seele dort inmitten, wo ihr Flug die großen Fragen allen Seins und die Höhen des Menschenbewußtseins zu erstürmen sucht. Der alte Geist des ewigen Gottreichs lähmt mit der unfaßbaren Stille seines himmlischen Triumphs allen zornigen Eifer des Kampfes und der Forschung, alle Jugend im Streit um die Erkenntnis und die Frische jeder Tat im Geist. Es ist alles gewesen.

Erkenntnis ist es, welche Opfer zeitigt,
Erkenntnis nur vollzieht die heiligen Werke,
die Götter auch, im Licht, allein verehren
als Brahman, als das älteste, die Erkenntnis.
Und wer begreift als Brahman die Erkenntnis,
und wer sich nicht mehr ab vom Brahman wendet,
streift schon im Leibe alle Übel von sich,
und alle Wünsche werden sich erfüllen.

Den Himmelswelten der Upanishad und ihrem Licht ist kein Geistesstrahl fremd, der ihr aus der Erkenntniswelt unserer Kulturen entgegenbricht, es gibt nur Einkehr in Gehorsam und Stille oder eine ruhlose Umkehr, und überall in Indien träumt ihr Friede über all den lebendigen und erstorbenen Wesen seines Schaffens und Wandelns. Ein altes Sprichwort sagt, daß, wer ohne Geduld nach Indien ginge, sie dort bald lernte, daß aber jeder, der mit Geduld gewappnet einzöge, sie dort verlöre. Dieses Wort läßt sich leicht, auf äußerliche Dinge angewandt, gleichmütig zu den Anekdoten rechnen, aber sein tieferer Sinn trifft auf das alte Geisteswesen der Jahrtausende zu, das überall waltet. Auf den Wegen Indiens hockt der Geist der Menschheit mit grauen Haaren und jungen Augen, mit einem stillen Triumphlächeln in den Zügen, über seine eingeäscherten Völker und über den törichten Lichteifer der neuen Geschlechter. Niemand, in dessen Gewissen der alte Schuldgedanke der Menschheit brennt, kommt an ihm vorüber, nur die leuchtenden Augen der Kinder sind vor seinem Anblick gefeit und die erbarmungswürdige Selbstsicherheit der Pharisäer.

Es war zweifellos zum guten Teil mein seltsamer Traum von Huc, dem Affen, gewesen, der mich hinaustrieb in die unberührte Natur, die Mutter des Glaubens und der Klarheit für alle Aufrichtigen. Wer will ermessen, ob unsere Träume unsere Gedanken anzuregen vermögen, wie in einer unschuldigen Selbsttätigkeit des Gehirns, die an wunderreiche Offenbarungen erinnert, oder ob nur unsere Gedanken unsere Träume zu befruchten vermögen? Damals erschien es mir, als läge ein ganz neues Evangelium der Weltanschauung in Hucs schlichter Meinung, daß alles Große des Erdendaseins uns allein aus unserer Liebe zu allem Erschaffenen der Natur erwachsen könnte. Daneben blieb mir der Satz im Sinn: Euer ewiger Bestand hat nichts zu tun mit euren Werken, und solange ihr glaubt, euch im Streben Erlösung zu sichern, beweist ihr nur, daß ihr nicht wißt, was Erlösung ist.

Solcherlei Gedanken waren es, die mich mit Ruhlosigkeit erfüllten und dahintrieben, als gelte es, das Herz des alten Reichs im Rauschen der Ströme und Bäume des Landes zu finden, im Himmelsblau über den Wildnissen des Dschungels, im Gebaren seiner Geschöpfe, seien es nun Menschen, Tiere oder Pflanzen, und in der strahlenden oder gärenden Flut des Sonnenlichts über dem jahrtausendalten Wandel und der geduldigen Wiederkehr, die alle miteinander in innigstem Verein das Brahman geboren zu haben schienen, als höchsten Anspruch und endliche Erfüllung.

So trieben mich die glücklichen Irrtümer meiner Jugend, wie sie Millionen vor mir erhöht oder erniedrigt, befreit und gefesselt, gesegnet, verdorben oder vernichtet, aber niemals zur vollen Genüge gebracht haben. Aber ihre Leiber erbrausen verwandelt als neue Hoffnung und als neuer Glaube in den Auferstandenen der Natur, im stürzenden Quell, in schwellenden Früchten oder in den Liedern der Singvögel, die in Lichtwellen verwoben, über aufbrechende Blüten dahinklingen. Krishnas große Worte vom eigenen Wesen, der Glanz der höchsten Gottheit, verführt und leitet uns immer aufs neue zu friedlosem Suchen nach Vollendung in uns selbst.

Ich bin der Weg, der Träger, Fürst und Zeuge,
der Freund, die Heimat und die Zufluchtsstätte,
Ursprung und Endziel und Bestand der Dinge,
bin der Behälter und der ewige Same.

Die erwachten Hindus standen noch, in der Morgenkühle fröstelnd, in den Eingängen ihrer Hütten, als unsere Ochsenwagen Cannanore gegen Norden zu verließen. Es war von unaussprechlicher Frische umher, das Leben der Menschen hatte noch kaum begonnen, nur die Vogelstimmen begrüßten uns, das im Tau funkelnde Morgenlicht, das in unfaßlichem Rot, wie in Farbenflecken, im Grün und Braun der Palmen und des Buschwerks und auf der breiten Heerstraße lag, die anfänglich sacht emporstieg.

Ich schaute nicht zurück, der rastlose Frohsinn meines erwartungsvollen Bluts kämpfte mit der gelinden Traurigkeit des Scheidens, aber ich empfand keinen Schmerz, sondern nur die Wehmut derer, die in tausend Hoffnungen eine alte Liebe aufgeben, um sie dennoch zu bewahren. Der Postwagen aus den Bergen, von Dindumalla, kam uns entgegen, ein schreiender Sturmwind, von Trompetengeschmetter begleitet. Vier kleine, abgehetzte Steppenpferdchen, die wie in Todesverzweiflung galoppierten, dampften unter der sausenden Peitschenschnur ihres Führers, der halb hockend und mit dem Geschrei eines geärgerten Affen auf sie einhieb. Ein kleiner, überfüllter Wagen rasselte in Sprüngen und Zickzackkurven hinterdrein. Dieser Postwagen hätte keine Maus mehr beherbergen können, selbst in den Rahmen der Fenster und auf dem gebrechlichen Verdeck hockten die halbnackten Gestalten auf Bündeln und Kisten und klammerten sich mit einem Geschrei, das zur Hälfte Ergriffenheit und Jubel und zur Hälfte Angst war, aneinander fest. Niemand begriff, aus welchen Gründen diese furchtbare Hast ihrer aller Leben gefährdete, man schob die Wichtigkeit der Sendung auf die geheimnisvolle Weisheit der Behörde, deren halbeuropäische Mischlingsvertreter noch in Cannanore schliefen. Eine rötliche Wolke hüllte diese Höllenjagd aus Unfrieden und Torheit hinter uns ein.

Panja, welcher neben dem Ochsentreiber, der zugleich Besitzer unserer Wagen war, über dem Deichselende kauerte, wandte sich nach mir um, schob die Bambusvorhänge zur Seite und unterrichtete mich lakonisch über den Vorfall. Er sagte nur: »Wilde Schweine«, und ließ die Bambusmatte wieder fallen. Es wurde wieder still umher, die Sonne stieg, die Räder knarrten, und aus den Niederungen der Reisfelder rief die Häherdrossel ihre drei melodischen Flöttöne.

Nach einer Weile bogen wir von der Heerstraße ab, um einen schmaleren Weg einzuschlagen, der schlicht und ohne Baumbestände zwischen frisch bewässerten Reisfeldern dahinführte. Die kleinen, weißen Rennochsen griffen kräftig aus, so daß unser Wagen fast die Geschwindigkeit eines mäßigen Pferdetrabs erreichte. Man reist in den Südprovinzen beider Indien bei weitem gesicherter und zuverlässiger mit Ochsen, als mit Pferden, da erstere die Hitze besser ertragen und anspruchsloser in der Ernährung sind. Mit dem heraufsteigenden Tage zog der Frohsinn der Menschen bei mir ein, die sich jung und sorglos auf der Reise befinden. Auf der Reise sind die meisten Menschen besser als in den kleinen Bedrückungen ihrer engen Häuslichkeit; mit meiner Erinnerung an meine Reisejahre, die fast meine ganze Jugend ausfüllten, verbindet sich für mich die Vorstellung, daß ich damals ein bei weitem besserer Mensch war, als heute. Das Reisen läutert das Gemüt, denn die Fremde macht bescheiden, und durchaus nicht auf die Art, wie es nur die Lumpen sein sollen. Die Achtung vor fremdem Wesen, die gerade uns Deutschen so gern als Tadel nachgesagt wird, ist nur dann eine Untugend, wenn sie sich mit einer Preisgabe des eigenen Wesens verbindet. Dieser Respekt aber vor fremdem Geist und Tun und vor der Lebensart anderer wird in allen reicheren Herzen die Tadelsucht und die Selbstüberhebung dämpfen, die beiden Grundfehler unserer jungen Generation.

Nicht, daß solcherlei Gedanken mich damals beschäftigten, sie kommen erst später, sind meistens zwecklos und dienen nur denen, die sie im Grunde nicht brauchen. Denn gute Gedanken werden nur von denen recht verstanden, deren Wert darin beruht, daß sie ihre eigenen haben. Nein, mich nahm das herrliche Bild des klaren Morgens gefangen, das stille Leben auf den fruchtbaren Reisäckern, der Takt der Wassermühlen und die schönen Gestalten der arbeitenden Männer und Frauen. Langsam verwilderte das Land mehr und mehr, nur einmal noch, als unser Wagen, wie aus einer Laube, aus hohen Buschbeständen und Laubwald in ein Stückchen freien Landes ausfuhr, breitete sich vor meinen Augen ein dunkler Acker aus, der gepflügt, aber noch nicht bewässert worden war, und das schräge Sonnenlicht legte die aufgeworfene Erde in Schatten und Licht. Ein reicher Glanz der Morgenfrische strahlte über dem dampfenden Land, das duftete und von Fruchtbarkeit zu gären schien. Zwei schneeweiße Ochsen vor dem Krummholz, das unseren Pflug ersetzt, wurden von einem jungen Manne gelenkt, der außer seinem schmalen Lendenschurz nur einen leuchtend roten Turban auf den schwarzglänzenden, langen Haaren trug. Ein Palmenwald schloß das Bild im Hintergrund ab, und darüber strahlte ein unfaßlich blauer und klarer Himmel von seliger Weite.

Am Ende des Feldes waren Mädchen an der Wassermühle beschäftigt, sie mochten vierzehn oder fünfzehn Jahre alt sein, waren fast völlig nackt, und ihr tief schwarzes Haar, das von Öl glänzte, hing in einem langen, schmalen Knoten in den lichtbraunen Nacken nieder. Sie hantierten eifrig, ihre jungen Körper bewegten sich in einem noch unverstandenen Glücksbewußtsein kindlicher Freiheit und in jener großzügigen Schamhaftigkeit der selbstseligen Natur, die unbegrenzten Frohsinn um sich her verbreitet, und sangen einstimmig ein monotones Lied von großer Traurigkeit. Der Fall des stürzenden Wassers und ihre Stimmen bewirkten, daß sie das Herannahen des Wagens nicht sogleich bemerkten; als sie uns aber erblickten, flüchteten sie mit einem hellen Aufschrei hinter die trockenen Schilfwände einer kleinen Hütte, wobei sie, wie zwei aufgeschreckte Antilopen, über einen kleinen Bach sprangen. Aus der Hütte trat gleich darauf eine zusammengeschrumpfte Alte, die uns aus ihren welken Zügen anlächelte und uns winkte. Dann nahm der Wald uns auf, der dichter und dichter wurde. Die Sonnenstrahlen drangen nur noch in spitzen Speeren bis zu uns herab, es wurde dämmerig und schwül, die Bambusdickichte und die hängenden, buntverwobenen Teppiche der Lianen verhüllten mehr und mehr den Blick in die Schatten des Urwalds.

Niemand schien anfänglich über den Verlauf unseres Unternehmens erfreuter als Elias. Die erste Tagesstunde hindurch durchmaß er unseren Weg etwa zehnmal, die zweite machte er ihn ungefähr fünfmal und selbst in der dritten Stunde, in der es schon empfindlich heiß geworden war, lief er immer noch munter kreuz und quer, uns alle an Eifer und Ausdauer übertreffend. Erst als wir in den Urwald kamen, wurde er nachdenklicher, blieb zuweilen betroffen stehn und suchte die Dämmerung unter den Bäumen mit seinen Blicken zu durchdringen, wobei er gewöhnlich das eine Vorderbein emporhob und die Pfote im rechten Winkel herabhängen ließ. Seine Ohren bewegten sich dabei unablässig, zuweilen sah er mich forschend an, wie in Unsicherheit darüber, ob diese Umgebung mir ebensowenig geheuer sei, wie ihm.

Übrigens hatte Elias sich auf das prächtigste entwickelt, er trug nun die Merkmale eines Wolf- und Schäferhundes nicht minder deutlich, wie die eines forschen und geschmeidigen Terriers, jener tüchtigen Rasse, die damals die Engländer bevorzugten und pflegten. Seine wollige Behaarung erfreute auch verwöhnte Kenner durch ihre Fülle und die Mannigfaltigkeit ihrer Färbung, während ein großer Ringelschwanz ihn auf das prächtigste zierte. Da er noch ein wenig gewachsen war, so verband er mit seiner Anmut eine gewisse Bedrohlichkeit der Erscheinung, die er jedoch wegen der Vortrefflichkeit seines Charakters in keiner Weise auszubeuten suchte. Zweifellos floß auch vom Blut des sehr beliebten Hühnerhundes ein gut Teil in seinen Adern, denn sobald sich ein Geflügel zeigte, verriet Elias einen unbezähmbaren Hang, sich dieses Getiers zu bemächtigen, um es zu zerreißen. Hier zeigte er einen nachahmungswerten Mut, der so leicht nicht wieder bei einem Hunde gefunden werden wird.

 

Es begann eine herrliche Zeit! Wie soll ich die leuchtende Klarheit der hereinbrechenden Morgen schildern, die in unfaßbarer Beständigkeit heraufzogen, den stillen, glühenden Glanz der Tage und den magischen Frieden der weißen, gefährlichen Nächte! Von allem, was mir aus dieser Zeit der Wanderung durch die Wildnis am tiefsten im Gedächtnis geblieben ist, preise ich die Kanufahrt durch die Seen und Kanäle. Ich vergesse die Abendstunde niemals, in der unsere Wagen in Tschirakal anlangten, einem kleinen Ort an jenem Binnensee, den der Watarpatnam vor seinem Austritt ins Meer bildet. Der Ort lag unter Palmen und hob sich weiß, braun und grün von der merkwürdig stillen, graublauen Silberwand des großen Wassers ab, als wir die Straße zum Hafen niederfuhren. Aus den niedrigen Häusern und Palmenhütten stieg blauer Rauch auf, und aus der Dämmerung einer hölzernen Tempelpagode drang ein priesterlicher Singsang. Es regte sich kein Windzug, die Mattigkeit des Tages lagerte in der Luft, und der bunte Hafen war so still wie ein Bild. Ungeheure Laubbäume, unserem Ahorn vergleichbar, überschatteten den schmalen Wassereinschnitt, in dem die Kanus ruhig, wie eingelassen in erstarrtes Metall, dicht nebeneinander lagen, sie waren zum Teil hoch mit grell bemalten Warenballen bepackt, und die Zugänge zu diesem Hafen führten eng an den Häusern entlang. Es duftete nach Tee, Gewürzen und Früchten, und als unsere Wagen dicht am Rand des Wassers haltmachten, erhob sich ein alter Mann, ganz in ein weißes Gewand gehüllt, und begrüßte mich im Namen Allahs und des Propheten.

»Bist du der Herr, der das Wasser befahren will, um nach Taliparambu zu gelangen?«

Seine Stirn war dicht über den Brauen, wie von einer weißen Binde, abgeschnitten, die schwarzen Augen sahen mich sicher und abwägend an. »Gib die Geldsumme für die Fahrt, Sahib, wir müssen die Ruderer ablohnen, damit sie gehorsam sind.«

Panja trat zwischen uns, absichtlich so, daß der Alte einen gelinden Stoß empfing und zurücktreten mußte. Er funkelte Panja zornig an. »Wer hat dir erlaubt, den Sahib anzureden?« zischte Panja. Ich war erstaunt über seine Keckheit. »Tritt zur Seite und zeig' deine Kanus her, ob sie dem Herrn genügen, glaubst du, der Sahib wäre gekommen, um mit dir zu schwatzen?«

Der Alte schwankte und sah zweifelnd zu mir herüber, aber dann folgte er Panja und sagte zögernd:

»Die Kanus sind gut.«

»Das entscheide ich«, sagte Panja kalt.

»Führst du einen großen Herrn durchs Land?« fragte der Alte.

Panja lachte. »Ihr wißt in Tschirakal nicht mehr als die Frösche in euren Sümpfen«, sagte er geringschätzig. »Ich habe meine Seide nicht gestohlen. Der Kollektor von Mangalore wartet so ungeduldig, daß er einen Boten nach dem anderen sendet. Ist kein Bote angekommen?«

Der Alte schüttelte den Kopf und wandte sich scheu nach mir um. Panja gefiel mir, und trotz seiner sonstigen kleinen Eitelkeiten empfand ich, daß hier sein Vorgehen Gründe hatte. Ich war oft vor den Mohammedanern gewarnt worden. Panja kannte sein Land. Wir besichtigten die Boote eingehend. Es waren etwa acht Meter lange Kanus aus Baumstämmen mit langen Auslegern, da sie von stehenden Ruderern angetrieben werden, und mit wohlgepflegten Leinendächern, die den mittleren Teil beschützten, etwa auf die Art, in der in Deutschland Lastfuhrwerke mit Leinen gedeckt sind, straff angespannt und gewölbt. Zwischen dem Leinenschirm und dem Bootsrand war ein schmaler Durchblick gelassen, und vor dieser Kabine befand sich ein etwa zwei Meter langer Aufenthaltsort für kühlere Stunden, in denen der Sonne nicht ausgewichen zu werden brauchte. Der Boden war sorgfältig gepolstert und mit sauberen Bambusmatten belegt, aber die Boote selbst waren nicht breiter als ein schmales Feldbett.

Panja zeigte sich zufrieden. Ich sah über den See hinaus, der sich rötlich färbte.

»Wann kommt der Mond?« fragte Panja.

»Gegen Mitternacht,« antwortete der Alte nachdenklich, »wir werden in der Morgendämmerung fahren.«

»Wer will reisen?« fragte Panja gelassen, »du oder der Herr? Wir fahren sogleich.«

»Es geht nicht, die Leute sind in Tschirakal weit verstreut und nicht so rasch zu finden.«

»Wieviel Ruderer hast du?« fragte Panja, ohne auf den Einwand des Schiffers einzugehen.

»Für jedes Boot vier.«

»Es genügen zwei für jedes Boot,« entschied Panja, »das Wasser ist still.«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Morgen kommt ihr am offenen Meer vorüber, wenn auch nur für eine kurze Zeit, so können doch zwei Männer das Boot nicht durch die Brandung rudern.« Diesmal schien der Alte recht zu haben, denn Panja fügte sich, aber er forderte, daß die Leute sogleich gerufen und in den Booten verteilt würden. Er sagte mir später, daß es besser sei, die Ruderer tauschten ihre Meinung über uns zuvor nicht aus, und er setzte seinen Willen durch. Unser Gepäck wurde hinübergetragen, die Ochsenwagen kehrten noch in dieser Nacht um, und wir fuhren nach kaum einer Stunde hinaus, unter den aufgehenden Sternen dahin.

Der Gesang der Ruderer weckte mich. War ich denn eingeschlafen? Ich brauchte eine kleine Weile, um zu mir zu kommen, die Luft roch fremd und es war kühl, ich hörte das Wasser und taumelte empor in einen sanften weißlichen Lichtschein.

Es fiel mich ein stechender Glanz vom Himmel her an, als ich aus der Kabine kroch: die Sterne! Unter mir sanken sie in unendliche schwarzblinkende Abgründe, totenstill, ohne zu zittern, wie Diamanten auf kohlschwarzer Seide. Zwischen den beiden zornigen Lichtwelten, am Firmament und in der Totentiefe, schaukelten und schwankten zwei riesige dunkle, nackte Körper vor mir hin und her, stießen in das dunkle von Sternen und Sternbildern funkelnde All und sangen. Ihre Ruder tauchten in die Flut und hoben sich wieder, wie mit fließendem Silber übergossen, sprühend und glitzernd troff es nieder, und als ich mich umwandte, sah ich eine schmale Silberstraße von solchem Glanz, daß meine Augen geblendet wurden.

Wie ein traurig ertönender Komet mit langem Schweif schoß unser Boot durch ein uferloses, von Himmelsfunken flimmerndes Weltall. Ich vermochte nirgends Land zu erkennen, wir waren mitten auf dem See, diesem Bett des ruhenden Stromes, der, über tausendjährigem Schlamm, zögernd ins Meer hinüberglitt. Ich tauchte meine Hand ins Wasser, und sie überzog sich mit Silber. Kraftlos sank ich, ohne Erfassen und Begreifen gegen die Wandung meines Verdecks, erbebend in übersinnlichem Schwindel vor diesem Wunder der Nacht. Gegen Mitternacht tauchten im Licht des aufgehenden Mondes bläuliche Nebelkuppen vor uns auf. Der Mond stand, eine ockerrote Sichel, über dem Dschungel. Wir liefen Land an, ich empfand lange Zeit nichts anderes als nasse Zweige, die mein Gesicht streiften, hörte die Zurufe der Mohammedaner in der feuchten Finsternis, und meine Augen wurden nur selten durch einen weißlichen oder rötlichen Schein über mir getroffen. Von solchem Hintergrund hoben sich große Blätter oder die Schwerter eines hohen Schilfs ab. Einmal schoß mit durchdringendem Klageruf, der noch lange draußen über dem Wasser gurgelte, ein großer Sumpfvogel empor.

»Panja!« rief ich.

Da flammte vor mir ein Feuerschein auf, in dem ich eine schmale Sandbank erkannte, auf die das Kanu aufgelaufen war. Es öffnete sich darüber ein Laubengang, so dicht verwachsen, daß er wie eine grüne Höhle wirkte, mitten darin stand Panja in seinem weißen Gewand, hielt eine Fackel hoch und winkte mir.

Die Leute mußten einige Stunden ruhen. Es wurde ein Halbkreis von Feuern gegen das Land zu angebrannt, nach kurzer Zeit lagen die Männer in tiefem Schlaf auf ihren Matten, und Panja hockte mir gegenüber am Feuer und sprach leise und erregt ohne Aufhör. Ich merkte ihm die Ruhlosigkeit der tropischen Sommernacht an, die Ruderarbeit der Leute hatte eine merkwürdig im Blute siedende Erinnerung an wilde Taten in mir zurückgelassen, und es lauerte in der gärenden Stille umher eine aufreizende Liebessucht und die Ahnung eines hastigen törichten Todes. Es war, als erwartete die Daseinsgier und der Lebensdrang der üppig und in stiller Wildheit ausbrechenden Pflanzen und Bäume unsere Leiber. Mein Blut pochte in den Spitzen der Finger, in den Schläfen und im Halse.

Nach einer Weile brach Panja auf, er wand sich aus trockenen Lianen und vermodertem Holz eine Fackel, goß Öl darauf und entzündete sie am Feuer.

»Wohin gehst du, Panja?«

»Zu den Frauen«, sagte er dumpf.

Noch eine Weile sah ich den Schein seiner Fackel rot durch das Dickicht schaukeln, er schwenkte sie hoch empor und weit hinter sich, zum Schutz gegen die wilden Tiere, im Takt seines raschen, weichen Tritts. Dann blieb ich allein am Feuer zurück mit Elias. Pascha schlief im Boot bei den Koffern, er hatte seine Matte quer über meinem Eigentum ausgebreitet und bewachte es schlafend mit seinem Leibe.


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