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Wir müssen noch einmal den schwierigen Fall der Abenteurerin aufgreifen. Ja, wir hätten es schon lange getan, wenn es nicht schwer wäre, andere als rein banale Beispiele zu finden. Die Frage hat sogar ein aktuelles Interesse. Es scheint, daß unsere Zeit die Frau an sich, halb durch schmeichelnde Überredung, halb mit brutaler Gewalt dazu drängt, ihr eigenes Leben zu leben. Oft sind wir dann enttäuscht, wenn sie sich stattdessen nur eine Karriere schafft. Den einzigen Fall, den wir bisher behandelt haben, Lola Montez, führte zu einem traurigen Schluß, oder richtiger gesagt, zu einem schlimmen Verdacht. Aber war der Schatten eines allgemein gültigen Gesetzes, wenn auch nur undeutlich erkennbar, am Ende nicht lediglich in Zeit und Ort und in dem Wesen Lolas begründet? In der auserwählten Gruppe bedeutender Schicksale unserer Zeit ist das Isadora Duncans nach Wert und Inhalt am besten geeignet, unsere Zweifel an der Frage zu beantworten. Isadora selbst meinte, ihre Lebensgeschichte »sei wert, von einem Cervantes oder Casanova geschrieben zu werden«. Aus Gründen, die fast zu zahlreich sind, halte ich das für einen Irrtum. Nicht nur das rein Malerische, nicht der Reichtum an Einzelheiten (diese sind, um die Wahrheit zu sagen, oft recht mager, wenn auch mit mehr oder weniger klangvollen Namen ausstaffiert) räumt ihr einen Platz in unseren Studien ein. Auch meine von ihren Anhängern, Nachahmern und Kopisten geteilte Ansicht, daß ihr Beitrag zur Kunst weit mehr war als ein falscher Fingerzeig, hat nichts damit zu tun. Viele französische Schauspielerinnen, zum Beispiel, können auf ein Leben zurückblicken, das einen größeren Reichtum an launischen, unerwarteten Glücksfällen, an wertvollen Liebhabern, an bunten und fesselnden Wechselfällen und Abenteuern aufweist. Auch verdankt Isadora den Platz, den sie hier einnimmt, nicht der inneren Würde ihres Lebens, die zweifellos vorhanden war und die wir in ihrer kostbaren, tragischen Einheit nicht übersehen sollten. Sie hat ein Recht, sich neben die außergewöhnlichen und manchmal großen Menschen unseres Buches zu stellen, weil sie an Ausmaß, Mut und Geist vor allen Frauen unserer Zeit den reinsten Versuch wagte, ihr Leben zu einem Abenteuer zu gestalten. Ja sie hat die Sphinx am genausten über alle Geheimnisse befragt, die uns hier angehen. Als Dank erhielt sie auch die merkwürdigsten Antworten. Sie selbst hielt die Wechselfälle ihrer Jugend für bezaubernd eigenartig. Aber die gleiche Familie, die gleiche Lebensführung kommt so häufig in der Entwicklung jener vor, die sich später ihr Brot durch die Kunst verdienen, daß sie fast bis zur Orthodoxie banal erscheinen. Diese Duncans aus San Franzisko waren nach Isadoras eigenen Schilderungen schäbig, verschwenderisch und intelligent. Sie lebten von einem Tag zum andern in einem zigeunerhaften Opportunismus, hielten es für ihr gutes Recht, sich Geld zu leihen und für ihre Pflicht, es auszugeben. Natürlich erteilte die Mutter privaten Klavierunterricht. Ich habe diese Menschenklasse in meiner Jugend aus nächster Nähe kennengelernt und mir aus einem Gemisch von Abneigung und Bewunderung eine eigene Theorie über sie gebildet, nämlich, daß solche Leute »sich in Wahrheit ein privates Einkommen erleben«. Eine bessere Erklärung vermag ich im Augenblick nicht zu geben. Im Grunde leben sie so ordentlich und gebunden wie gute neureiche Bürger. Alle diese Menschen sind leicht verschwenderisch, leicht anspruchsvoll und besitzen eine reizende oberflächliche Bildung. Nur haben sie unglücklicherweise kein Geld. Wo ihre eigentlichen seelischen und praktischen Wahlverwandtschaften liegen, läßt sich nur in einem entscheidenden Punkt erkennen: in ihrer gut bürgerlichen, unerschütterlichen Moral. Nein, wir haben es hier nicht mit verwahrlosten Stromern zu tun, sondern mit einem durch wirtschaftliche Schwierigkeiten versprengten Felssplitter der anständigen Gesellschaft.
Wir müssen die Jugendeinflüsse, die entscheidend auf Isadoras Charakter einwirkten, näher untersuchen. Die etwas billige romantische Betrachtungsweise, der sie selbst unterliegt, kann uns nicht genügen. Lassen wir diese Kindheit im Stil der »Treuen Nymphe«, oder wie man sie sonst nennen mag, auf sich beruhen. Ich fühle das Vorhandensein zweier wichtiger anderer Faktoren. Der unbedeutendere von beiden ist die Liebe zu Büchern und all die damit zusammenhängenden kulturellen Neigungen. Familien wie die ihrige lesen viel. Sie lesen eine ganz besondere Art von Büchern und lesen auf eine ganz besondere Weise. Das ist bei ihnen gleichsam eine natürliche Voraussetzung. Ihre Nachbarn würden sagen, sie läsen außerhalb ihrer Kreise. Die Kinder insbesondere fühlen sich von Büchern angezogen, deren Titel ihnen eine Rundreise durch eine höhere, fremdere, seltenere Welt versprechen. Shakespeare und Shelley zum Beispiel haben für sie keinen großen Reiz Übrigens las die Mutter nach Isadoras eigenem Bericht den Kindern Shakespeare und Shelley vor. (von weit verbreiteten Romanen ganz zu schweigen). Dergleichen Namen sind ihnen viel zu geläufig. Ihr Glanz lockt eine ganz andere Art von Kindern. Die Brontës waren in ihrem tadellos aufgeräumten alten Pfarrhause zwar viel ärmer, viel mehr von der Welt abgeschnitten, als es je die zerlumpten frechen kleinen Duncans gewesen waren, aber Prospero, Hamlet, Lear und sein Narr spukten ihnen dauernd im Kopfe herum. Unseren kleinen Kaliforniern wird es schwerlich so ergangen sein. Sie machten vor Schaufenstern mit Folioausgaben der »Sprüche Marc Aurels« halt und vor anderen Büchern mit geheimnisvollen ausländischen, vor allem griechischen Namen. Aber es fiel ihnen, wohlgemerkt, niemals ein, Griechisch zu lernen.
Es hat keinen Zweck, sich zu verbergen, daß eine solche Veranlagung, abgesehen von einer gewissen natürlichen und nicht durchweg schlechten Anmaßung, stark zur Oberflächlichkeit neigt. Sie kostet und nippt überall, flattert von einem Buchdeckel zum anderen und setzt große Werke und Themata, die ein bestimmtes Maß von Konzentration erfordern, der ganz unwürdigen Behandlung eines autodidaktischen Dilletantismus aus.
Isadora belegt dies irgendwo in ihren Memoiren durch ein naives Beispiel. Wenn sie hinter den Kulissen eines Provinztheaters auf ihren Auftritt wartete, soll »sie ganz in Marc Aurel versunken« gewesen sein. Aber niemand achtet darauf. Sie konnte nicht umhin, sich ein wenig darüber zu ärgern. Außerdem möchte ich jede Wette eingehen, daß sie den Band nie zu Ende, nie ganz bis zu Ende gelesen hat.
Wahrscheinlich hatte dieses kunterbunte Lesen, diese gestohlene Allgemeinbildung nichts als ein Sammelsurium reizender Mißverständnisse, zielloser Schwärmereien und die Gewohnheit, über alles hinwegzujagen, zur Folge. Vielleicht bildeten sich auch ein paar starke Vorurteile, eine ganz echte, eifersüchtige Abneigung gegen wohlfundiertes Wissen, gründliche Arbeit und alles, was darauf beruht.
Der zweite wichtige Faktor ihrer amüsanten Erziehung war die unglückliche Ehe der Mutter. Isadora weist energisch das gewöhnliche Los und die Hoffnung der Frau, sich durch einen Ehemann ernähren zu lassen, zurück. Und dieser Geist gibt uns das Recht, ihr Leben als ein Abenteuer zu betrachten. Denn um es, statt einer sehr langen Beweisführung, ganz kurz zu sagen, sei hier darauf hingewiesen, daß die Institution der Ehe den einleuchtendsten (durchaus hinreichenden) Grund bildet, weshalb Frauen im allgemeinen so selten Abenteurer sind. Das Wort »Abenteurerin« hat einen üblen Beigeschmack.
Der Abenteurer ist, knapp ausgedrückt, ein Individualist. Das abenteuerliche Leben ist ein Spiel gegen die Gesellschaft: es steht daher in direktem Gegensatz zu dem auf die Unterstützung des Ehepartners aufgebauten Leben der Frau. Dieses birgt in sich schon den Kern zum Wesen der Gesellschaft. Die Ehe scheint heutzutage den jungen Mädchen immer noch im Bereiche des Möglichen, wenn auch nicht unbedingt Wahrscheinlichen zu liegen. Es kann daher leicht sein – ich persönlich vertrete sogar diese Ansicht –, daß der Gedanke, sich zu verheiraten, den Willen fast aller Mädchen schwächt, die sich beruflich und anderweitig mit den Männern messen. Er lenkt sie von dem geraden Wege ab und ist vielleicht das höchst einfache Geheimnis ihrer eingestandenen Inferiorität. Die Pädagogen täten daher besser, statt nach irgendeiner nicht existierenden Minderwertigkeit des weiblichen Gehirns zu suchen, in den Jahren des Wachsens und Lernens ihre Aufmerksamkeit jenem unterbewußten Gedanken zuzuwenden: »Schließlich werde ich ja doch einmal heiraten.« Denn dieser heimliche Wunsch lähmt eine Frau in all den verzweifelten Situationen, die der lernende Jüngling in dem Bewußtsein, daß es ums Leben geht, überwindet. Folglich muß man bei der Aufstellung statistischer Vergleiche die Frauenarbeit nicht mit den Leistungen der freien, ungebundenen Männerwelt messen, sondern lediglich mit denen einer kleineren Gruppe von Männern, die sich in einer Krisis neben der einfachen Alternative von Erfolg oder Mißerfolg noch einer lähmenden Verantwortung bewußt sind. In die gleiche Klasse gehören auch die Söhne reicher Leute. Sie können letzten Endes den Kampf niemals ernst nehmen. Der Durchschnittsmann ist nur von sich selbst abhängig; die Durchschnittsfrau aber hofft oder erwartet, daß man für sie sorgen wird. Es ist daher die erste Vorbedingung aller Abenteurerinnen, sich wie Isadora von jeder Abhängigkeit zu befreien.
Ihre Mutter nahm ihre unglückliche Ehe und endliche Scheidung so schwer, daß sie nicht nur ihre Kinder lehrte, ihr Vater sei ein Teufel und ein Ungeheuer, sondern sogar ihre Religion wechselte. Bisher war sie Katholikin gewesen, jetzt wurde sie kurzerhand Ingersollistin. Ihr Eifer in diesen öden Gefilden des Puritanismus – denn auch der orthodoxe Atheismus ist nichts anderes – war so groß wie nur je. Aber gerade deshalb dürfen wir Isadoras Entschluß, niemals zu heiraten, nicht auf irgendwelche Lehren ihrer Mutter zurückführen; er entspringt vielmehr einzig und allein ihrem eigenen starken Mut und Selbstvertrauen. Ein junges schönes Mädchen, das obendrein noch den Zauber der von uns kritisierten, aber nicht vergessenen Erziehung genossen hat, ist in seiner Anmut leichter zu gewinnen, als ernstere Naturen gleichen Alters. Um so erstaunlicher ist dieser zielbewußte Drang, ihr eigenes Leben zu gestalten und den Kampf eines Einzelnen gegen die Götter zu wagen. Ja er ist so kühn und außergewöhnlich, wie nur irgendeine Tat in diesem Buch. Dabei ist es auffallend und bemerkenswert, daß diese geistige Geste noch nicht völlig reif ist. An Stelle der von ihr verachteten und zurückgewiesenen Versorgung durch den Gatten setzte sie als natürliche und unvermeidliche Entwicklung eine soziale Theorie. Diese ist zwar unschuldig sentimental und unklar, verrät aber doch schon in nicht zu verkennender Weise den Keim zu dem Sozialismus, mit dem unsere Zeit schwanger geht und der wahrscheinlich die kommende Epoche beherrschen wird. Isadora wollte nicht, daß ein Gatte für sie sorgte, sie unterstützte und ernährte. Aber sie war völlig überzeugt, daß jemand anders an seine Stelle treten sollte. Dieser Jemand war der Staat. Das erkannte sie klar, nachdem sie die termini technici gelernt hatte. Anfänglich wurde die Rolle des Unterstützers dem Hauswirt, reichen Leuten, dem Publikum zugewiesen, – niemals ihren Verwandten oder Eltern. Es fiel ihr nie ein, sich an sie zu wenden. Statt dessen wandte sie sich an die Gesellschaft. Ihre eigenen Geständnisse enthalten viele schöne Beispiele hierfür. Nach einem Konzert in New York, in dem sie Beifall, Geld und Lob geerntet hatte, wendet sie sich schnurstracks an die Veranstalterin, eine reiche Dame, um Unterstützung. »Diese reiche Frau, die sechzig Millionen besaß, trat an ihren Schreibtisch, nachdem ich ihr unsere Not geschildert hatte, und stellte einen Scheck aus.« Auf – sage und schreibe – fünfzig Dollars. Der bedeutsame Vorfall wiederholte sich in zahlreichen Varianten. Schon als ganz kleines Mädchen »meldete ich mich freiwillig, wenn wir nichts zu essen hatten, um zum Fleischer zu gehen. Geschickt überredete ich ihn, mir die Koteletten zu geben, ohne daß ich sie zu bezahlen brauchte. Mich schickte man, um beim Bäcker weiteren Kredit zu erhalten ...« Hätte sie an diesen Handlungen irgend etwas Entehrendes gefunden, sie würde sie ohne Zweifel schon in jenem frühen Alter empört zurückgewiesen haben. Für sie war es ganz einfach eine Sache der Gerechtigkeit. Wer etwas hatte, der mußte auch geben.
Diese im wesentlichen soziale, wenn nicht sozialistische, antinietzschesche Auffassung vom Rechte der Armen wird vermutlich von einer unbestimmten Anzahl Männer geleugnet. Dagegen weiß ich nicht, wie viele Frauen ihr im Herzen beipflichten. Es kann kein Zufall sein, daß der moderne Staat überall notgedrungen eine Form annimmt, die im Gegensatz zu dem sozialen Ideal der Männer mit dem rein weiblichen Ideal übereinstimmt. Irgendwo am Ende der Entwicklung steht der Staat, der der große Ernährer ist, der Gatte und Vater aller Frauen und Kinder. Ein interessantes Problem für Träumer! Stimmt das oder ist es auch nur annähernd wahr, so muß das abenteuerliebende, antisoziale Leben der Männer sich mehr denn je zu einer Revolte gestalten.
Wie dem auch sei, Isadoras Leben umschließt von Anfang an eine soziale Abhängigkeit, ein aufrichtiges, eindeutiges, wahrscheinlich kompensatorisches soziales Empfinden. Es konnte daher kaum eine andere Richtung als die der Bühne nehmen. So beschritt sie denn auch, kaum daß sie gehen konnte, diesen Weg mit der ihr eigenen, anmutig schwebenden Unvermeidlichkeit, die so viele Jahre ihres Lebens verschönte.
Sie hat uns einen recht freimütigen Bericht ihrer Erfindung hinterlassen, die man später unzutreffend als »klassische« Tanzkunst bezeichnete. Auf jedem anderen Gebiete der Kunst würde man dieses Aufgehen in individualistischen Stimmungen, dieses Vorherrschen eines individuellen Geschmacks sicher eher »romantisch« als »klassisch« nennen. Dieser erhabene Ausdruck ist weit eher eine Anspielung auf irgendeine phantasievolle Nachahmung – oder besser noch – Entlehnung der kunstgerechten Posen altgriechischer Töpfereien. An dem ganzen dunklen Thema ist nur das eine klar: Der griechische Tanz der Blütezeit war den Rhythmen Isadoras etwa so ähnlich wie die Gedichte, sagen wir, Theokrits dem poetischen Schaffen einer Gertrud Stein. Schon mit sechs Jahren begann Isadora zu ihrer Mutter Begleitung zu hüpfen und zu springen. Sie muß dabei eine ungewöhnliche Kraft und Grazie entwickelt haben, denn andere Kinder bewunderten sie, und sehr bald sammelte sie von deren Eltern Pfennige ein für den Tanzunterricht, den sie erteilte. Stundengeben war die erste logische Schlußfolgerung der praktischen Duncanschen Philosophie.
Später scheint ihre Mutter auf den Gedanken gekommen zu sein, diese Spielereien zu verwerten. Sie schickte ihre Tochter auf eine regelrechte Ballettschule, um die Grundbegriffe zu erlernen. Der Tanzmeister war »einer der berühmtesten in San Franzisko«, das heißt, er muß, wenn man den niedrigen Stand der damaligen Kunst auf der ganzen Welt bedenkt, merkwürdig schlecht gewesen sein. Jedenfalls war er ein solcher Dummkopf, daß er dem kleinen Mädchen, als es ihm selbstsicher erklärte, seine Schritte gefielen ihm nicht, »weil sie häßlich und gegen die Natur seien«, keine Antwort zu erteilen vermochte. Das geschah bereits in der dritten Unterrichtsstunde, und Isadora ging nicht wieder zu ihm hin. Statt dessen begann sie ihre eigene Tanzkunst zu erfinden.
Wir haben es hier mit einem unmittelbaren Produkt der Gefühle, Theorien und Künste (nicht allein der Tanzkunst) zu tun, welche im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts einen so plötzlichen Aufschwung nahmen, um bis in unsere Zeit, wenn auch auf absteigender Linie, weiterzuleben. Isadora gebrauchte ihre Kunst bei ihrem Abenteuer als Werkzeug, Landkarte oder Schwert – man kann ihr beliebige Namen geben –, wir müssen daher noch einmal innehalten und sie aufmerksam untersuchen. Rein akademisch betrachtet, läßt sich diese Lehre von einer »Freien Kunst« als eine späte Blüte der Romantik, sagen wir, der englischen Lyrik bezeichnen. Oder man kann ihr einen erhabeneren Ursprung geben und sie auf die wilden Orakel des Dionysos oder Jesaias zurückführen. Ich selbst habe eine merkwürdige Abneigung, mich auch nur im Spiel an Vergleiche zwischen den Tänzerinnen, auf die sich unser Thema beschränkt, samt den ihnen befreundeten Maler-Poeten, und den Herrlichkeiten eines William Blake zu wagen. Trotz aller Gefahr und Mühe ziehe ich es vor, die Angelegenheit am anderen Ende anzupacken. Isadoras Idee deckte sich demnach, wenn ich mich nicht irre und so weit ich sehen kann, mit der aller zeitgenössischen Künste. Sie glaubte, daß der Künstler »zur Natur«, insbesondere zu seiner eigenen Natur zurückkehren müsse. Jede Regel, jede Tradition war verpönt. Sie und ihre Kollegen pflegten alle diese Dinge mit dem einen Wort »künstlich« abzutun. Darunter verstanden sie alles, was das Gegenteil dieser »Natur« und somit banal, unecht und schlecht war. Ich halte die ganze Theorie für ein unverkennbares Nebenprodukt des Puritanismus, den Isadora sonst nie genug verdammen konnte. Beide Gefühlsrichtungen sind, das eine Mal offen, das andere Mal versteckt, in der einen wie in der anderen Theorie enthalten. Die eine äußert sich in einer offen zur Schau getragenen Furcht und Abneigung vor allem »Künstlichen«, vor jeder Vermenschlichung und Verschönerung, mit einem Wort vor der Quintessenz jeglicher Kultur. Isadora verdammt zum Beispiel den Spitzentanz – jene wundervolle geniale Erfindung, mittels der eine Tänzerin der Menschheit Traum vom Fliegen verwirklichen kann und die Ketten der Schwerkraft abschüttelt. Genau so verdammt ein Erzdiakon den Lippenstift, ein Tolstoianer den Brokat und ein Quäker das geistliche Ornat und die Glasmalerei.
Aber die Natur, diese geliebte, schöne Mutter, in deren Schoß jene Leute uns zurückrufen möchten, hat in Wahrheit nichts für uns übrig. Die Nacht, der Eisberg, die öden Felsgipfel, die schwarze Tiefe des Ozeans, das ist Natur. Vor ihrem verschleierten Antlitz fällt uns ein Zittern an und unsere Rede will erstarren. Diese gewaltige brütende Riesin weigert sich, einer gefangenen Tigerin gleich, uns ins Auge zu schauen, sobald wir uns unter dem Schutz von Schiffen, Tauen und sicherem Geleit ihr nahen. Sie läßt sich nicht nachahmen. Das Vorortidyll – saubere Alleen, sanft sich schlängelnde Flüsse mit – natürlich – einem reizenden Landhäuschen im Vordergrund – ist kein Werk der Natur, sondern ein künstliches Gebilde von Menschenhand. Und doch ist sie auch hier trotz des freundlichen Lächelns, das wir auf ihre Maske malten, unter der dünnen Tünche unerbittlich. Die Nachtigallen, liebliche Kinder der Natur, singen nicht für dich und mich. Die Blumen sind stolz, und jene Bäume, die euer eigener Großvater im Schweiße seines Antlitzes pflanzte, wissen dem Menschen keinen Dank. Alle Tiere hassen uns mit Ausnahme der Parasiten, Hund und Katze, die von uns korrumpiert sind. Ein Sperling wird vor einem Elefanten keinen Zollbreit zurückweichen, aber er wird sich verstecken, bevor das engelhafteste Kind sich ihm auf Reichweite nahen kann. Geht einmal in einer Hochsommernacht in dem künstlichsten Park von Menschenhand spazieren, nachdem ihr euer Hirn von dem wohlmeinenden Geschwätz der kleineren Dichter gesäubert habt. (Shakespeare führt euch niemals in die Irre). Bemerkt mit Entzücken die bebende Flut des Lebens, die in der Hoffnung auf euer Fernbleiben allerorten spielt. Und seht dann mit Bitterkeit, wie schon beim ersten Rascheln eures Schrittes sich alles Lebende, alles Tote verschließt, schweigt, erstarrt und entschwindet. Es ist, als kehrten die Bäume selbst euch den Rücken, euch, dem Menschen, dem Ungeliebten, dem Schrecken. Ein seltsames Experiment, diese menschlichen Fleischfresser, dieser Tod in Affengestalt! Die ganze Natur wartet hoffnungsvoll auf den Tag, da wir nicht mehr sein werden. Es ist daher weise und notwendig, sie ihren erhabenen Rhythmen zu überlassen. Wir müssen uns unsere eigene Schönheit schaffen und eine Welt außerhalb ihres Machtbereichs.
Ihre Schönheitsgesetze – das eben ist der entscheidende Punkt – sind nicht die unsrigen. Vielleicht blickt sie in uralter furchtbarer Verachtung richtend auf uns herab, wie wir auf eine Negerschönheit, die sich Ringe durch Mund und Nase zieht. Setzt eine nackte Frau, selbst Isadora in der Blüte ihrer siebzehn Jahre, im Walde aus – ein Reh geht vorbei: wer dann nicht allzu selbstgefällig und arm an Phantasie ist, wird die Verachtung ahnen, welche die Natur für dieses abgebleichte, rundliche, zweibeinige Etwas hegt.
Und jetzt möge die zärtlichste Mutter sich an ihr liebstes Kindchen, an die innigsten Geheimnisse des Kinderzimmers erinnern, muß sie da nicht verlegen werden, wenn sie hört, daß der heilige Franz es wagte, friedliebenden, zerstörungsfeindlichen, beschaulichen Tieren zu predigen? Gehorchen wir dem alten Spötter Johnson: huldigen wir getrost der Heuchelei, aber hüten wir uns, an unsere eigenen Lügen zu glauben. Die Normen der Natur für physische und moralische Schönheit sind uns unerreichbar. Wir sind in ihren Augen häßlich. Setzt uns im Urwald aus – wir würden zu dem abscheulichsten und obendrein gefährlichsten Kriechtier werden.
Wäre daher das Neue, das jenes kleine Mädchen aus San Franzisko ruhig und unverfroren der Welt zu predigen begann, wirklich unsere ganze Hoffnung, ich blickte nur trübe in die Zukunft. Was kann Caliban anders tun, als für sich allein leben und ein tiefes Loch graben? Ich glaube und hoffe, daß Isadora irrte. Nein, der Mensch vermag der Natur ins Auge zu schauen, er kann Verachtung und Nichtachtung beantworten, kann Norm gegen Norm aufstellen und das mit einer Größe, die jene mächtige, törichte Göttin beschämen würde, wäre sie mit Verstand begabt. Das Geräusch der Meeresbrandung ist einer Shakespeareschen Sterberede nicht ebenbürtig. Die bloße Höhe des Montblanc ist geringer als die einer Beethovenschen Sonate. Die Frau, jede Frau, sagt Schopenhauer, wirkt neben einem Reh grotesk. Aber laßt einen Michelangelo sie kleiden, sie in seidene Gewänder hüllen und Schuhe auf ihre Füße ziehen, und das Reh wird kommen und ihre Hand lecken. Durch Können, das heißt durch die gesammelte Genialität der Künstler, werden Frauen, Männer und Städte auf eine Ebene gerückt, die an Erhabenheit das Natürliche um so vieles übertrifft, wie das klare Sternenlicht das wimmelnde kriechende Leben der Lagunen. Das Kind kann trotz aller Gaben seiner Stiefmutter Natur ein abscheuliches Geschöpft sein; die Poesie des Menschen sieht in ihm den Gott und wird es eines Tages zum Gotte machen. Das ist die Aufgabe der Kunst: Sie soll uns eine übernatürliche Welt schaffen und nicht die natürliche nachahmen.
Isadoras jugendliche These entspringt einem Mißverständnis, daß der Künstler ohne jedes Studium und ohne die Hilfe der Vergangenheit nur sein eigenes armes Ich zum Ausdruck bringen soll, ja daß er überzeugt sein darf, dies und nur dies allein sei, worauf es ankommt. Es ist nicht die Aufgabe eines einzelnen Genies, der Natur ihren Platz im All zuzuweisen; nur ganz selten, alle Jahrhunderte einmal (nicht alle Jahre) taucht ein ganz Großer auf, der berufen ist, daran mitzuwirken. Es ist in Wirklichkeit sehr unwahrscheinlich, daß Hans oder Hanne aus ihrer eigenen primitiven Natur heraus ein Gedicht, eine Sonate, einen Tanz erschaffen, der sich auch nur eines Gedankens lohnte. Weshalb sollte es auch anders sein? Wo außer in dem Bereich religiöser Ekstase findet sich dieser Glaube an den absoluten Wert dessen, was der Mensch zu geben hat?
Damit hätten wir über Isadoras Werkzeug, ihre Grundtheorien, genug, ja mehr als genug gesagt. Schließlich war sie eine große Persönlichkeit und das nützte sie geschickt aus, obwohl sie es niemals zugab und sich dessen wahrscheinlich selbst nicht bewußt war. Um ihrer »Natur« nachzuhelfen, entlehnte sie ihre Tanzposen den griechischen Vasen. Sie, die sich ganz von Eingebungen leiten ließ, eignete sich allmählich eine selbständige, ungemein verwickelte Technik an, die in mancher Hinsicht der alten überlegen war. Letztere beherrschte sie nie, da sie aus Voreingenommenheit so lange mit dem Lernen wartete, bis es zu spät war. Sie lehrte das Ballett Diaghileff mancherlei, vermochte aber niemals selbst in einem Ballett zu tanzen.
Aber wir greifen vor. Als sie zur Eroberung der Welt auszog, zu größerem Einfluß und Ruhme, als je eine Amerikanerin sich errungen hat, – wobei man nicht vergessen darf, daß sie ihre Familie sozusagen im Rucksack mit sich führte – da war die große Idee immer noch kindisch und stumpf wie ein hölzernes Schwert. Dafür besaß Isadora praktisch-reale Werte: blühende Jugend, runde, schöne Glieder, eine wundervolle Gesundheit, Einfachheit und Energie. Das waren Zaubermittel, die in ihrer unvergleichlichen Mischung unwiderstehlich wirkten. Um es rundheraus zu sagen: Ihre nackten Beine verhalfen ihr zum Erfolg weit mehr als ihre Bemühungen, irgendwelche dunkle Musik in Sprünge und Gesten umzusetzen.
Dieser Erfolg kam erstaunlich rasch, aber ihr Selbstvertrauen war so rein, daß sie meinte, er ließe unerträglich lang auf sich warten. Jeder, der auch nur flüchtig mit dieser naiven kleinen Amerikanerin in Berührung kam, war von ihr entzückt. Man war entzückt von ihren mit Leidenschaft gepredigten abstrakten Begriffen, von ihren unbewußten, reizenden Ansprüchen und von dem Neuen, das sie zweifellos bot. Mit einigen Metern Liberty-Seide und einem tragischen Ausdruck, »der jedermann in Erstaunen setzte«, tanzte sie Mendelssohns Frühlingslied, worauf ihre Schwester Verse von Theokrit in Andrew Langs Übersetzung vorlas. Zum Schluß pflegte einer ihrer Brüder über das Thema: »Der Tanz und seine voraussichtlichen, künftigen Wirkungen auf die Menschheit« zu sprechen.
Den Engländern gefielen der Vortrag und die Verse nicht so gut wie Isadoras helle Augen. Sie lernte auf ihre Weise die verschiedensten Schichten und Kreise der Londoner Gesellschaft kennen, aber überall spürte sie eine gewisse Kälte, eine höfliche Kühle, die ihren Eifer etwas dämpfte. Man bewunderte sie, aber man war durchaus nicht überzeugt. Die Duncans strichen in London den mündlichen Teil ihres Programms, schon allein ihrer Aussprache wegen. Dagegen müssen Isadoras persönliche Erfolge erstaunlich gewesen sein. Trotzdem folgte sehr bald eine Periode, in der die in ihrer Jugend stereotypen Mietsprellereien und Meditationen auf Parkbänken sich wiederholten. Dieses plötzliche Zurücksinken in Vergangenheit und Armut nach glänzenden Erfolgen ist eine beängstigende Sache, aber man findet es in fast allen Biographien großer Bühnenkünstler. Inzwischen besuchte die Familie die Museen. Einer von Isadoras Angehörigen »erfand Sandalen«, und Isadora selbst ließ sich in platonische Liebeleien mit jungen Dichtern ein.
Danach kam natürlich Paris. Empfang und Beifall waren in den beiden Städten sehr verschieden. Isadora fühlte und merkte es, aber sie schätzte die Ursache nicht richtig ein. Das leichtfertige Dogma des Nationalismus gehörte auch zu ihrem Glaubensbekenntnis und führte sie in die Irre. Der Unterschied war so groß wie der zwischen einer Sackgasse und einer Heerstraße, aber er entsprang nicht der Tatsache, daß »die Engländer kalt und gefühllos sind«, während das lebhafte und kunstliebende Volk der Franzosen »sie viel wärmer begrüßte«. Der so rätselhafte und unerwartete, spezifische Unterschied der Nationalcharaktere gehört, falls er überhaupt existiert – ein paar tausend Jahre sind eine viel zu kurze Spanne Zeit für derartige tiefe Evolutionen – in das feenhafte Gebiet, wohin die Phantasie die Wissenschaft lockt, um alsbald ausgescholten zu werden, kurz in die Region der überflüssigen Hypothesen, wo die Telepathie, das Rutengehen und die Theorie der zehn verlorenen Stämme Israels wohnen. Wir lassen die Frage nach dem Temperament des Engländers offen, gewiß ist nur, daß die englische Kultur alles Neue haßt. Dank seiner Erziehung und deren Nebenprodukt, der Neurasthenie, will der Engländer, wenn er Kunst genießt, verehren, stillschweigend verehren, und das erste Postulat jeglichen Kults ist Tradition. Könnte Isadora heute, oder besser noch in zehn Jahren, alt und lahm, aber als anerkannte Größe nach London zurückkehren, sie würde ihre Theorie von der Kälte des englischen Nationalcharakters einer Revision unterziehen. Frankreich aber bildet die natürliche Kehrseite der modernen Zivilisation. Das Neue ist dort eine Lebensnotwendigkeit, das »déjà vu« unverzeihlich und verdammenswert. Die Franzosen fanden Isadora nicht nur neu, sondern auch modern. Das gleiche Schlagwort »Zurück zur Natur«, zur Inspiration, das sie auf der gewaltigen Welle des amerikanischen Puritanismus emporgetragen hatte, kam der französischen Sucht nach Originalität entgegen und beherrschte zur Zeit sämtliche Künste. Jeder redete wie Isadora; jeder, der ihr glich, war hinter das große Geheimnis gekommen und lehnte jedes Studium der Grundbegriffe ab. Das Festmahl des Ichs war in Vorbereitung, Isadora trug die Hors d'oeuvres auf. So war meiner Ansicht nach die Umgebung beschaffen, welche die öffentliche Laufbahn der tapferen kleinen Tänzerin lenkte und begünstigte. Anfänglich erhöhte jedes Jahr, fast jeder Monat ihren Ruhm. Schon sehr früh hatte sie die Einsicht, ein gut bezahltes, unwürdiges Engagement an ein Berliner Varieté abzulehnen. Aber auch in ihr war das Paradoxon lebendig, jene merkwürdige Hellsichtigkeit der Gefahrgeweihten: die Übertragung ihrer Willensrichtung auf das moralische Gebiet. Isadora eilte mit Riesenschritten einem Ziele zu; die Notwendigkeit, ihm einen Namen zu geben, quälte ständig ihre Gedanken. Einmal schrieb sie an ihren deutschen Impresario, »sie sei nach Europa gekommen, um durch den Tanz eine Wiedergeburt der Religion herbeizuführen«. Lange Zeit hindurch versuchte sie einen Zusammenhang zwischen ihrem künstlerischen Ideal und jenem vagen Humanitätsprinzip auszuarbeiten, dem unklaren Sozialismus ihrer Jugendtage. Der Vegetarismus wird in ihr System hineingezogen und wieder verstoßen. Die Erziehung armer Kinder durch den Staat vermischt sich (ausgerechnet) mit ihrem Ideal: »Zurück nach Sparta!« Sie macht die größten Anstrengungen, ihre Ideen zu formulieren. Stundenlang verharrt sie »in einer Ekstase, die Mutter erschreckte, um den göttlichen Ausdruck des menschlichen Geistes körperlich wiederzugeben«. Schließlich bringt sie die Ergebnisse auf eine unklare Formel. Ihre leidenschaftlichen prophetischen Anläufe haben eine bizarre Ähnlichkeit mit der Entstehung der frühen mohammedanischen Suren. Wir überlassen in aller Ehrfurcht die etwas geheimnisvollen Resultate ihren Anhängern. Bemerkenswert ist, unbeschadet ihrer sonstigen Absichten, der durchaus verständliche Versuch, ihre Kunst von der Anziehungskraft ihres jugendlichen Körpers loszulösen. Sie hatte die dunkle Ahnung, daß ihr Tanz, um Kunst zu sein, sich ebensogut von einer Frau mittleren Alters wie von einer neunzehnjährigen Schönheit ausführen lassen müsse. Eine ältliche Ballerina kann immer noch gut gefallen, mindestens so gut wie eine Anfängerin. Aber ließ sich der klassische Tanz nicht zu etwas Höherem gestalten, als zu dem reizenden Schauspiel leichtgeschürzter Nymphen, das bei verblaßter Jugend und schwerfälligem Alter unerträglich werden mußte?
Das zu entscheiden, ist nicht meines Amtes. Ich weise hier nur auf die Tiefe des Problems hin und auf die angespannte Aufmerksamkeit, die Isadora ihm zeit ihres Lebens widmete. Inzwischen stieg die Kurve ihres Erfolgs in einem stetigen Crescendo durch alle Hauptstädte Europas. Am besten gefiel ihr Petersburg, wo sie die Pawlowa, Nijinsky und Diaghileff, den Gründer des inoffiziellen russischen Balletts, kennenlernte und laut seinem eigenen Bekenntnis förderte.
Was nun die Entwicklung ihres anderen Lebens, sagen wir ihres privaten Abenteuers anbetrifft, so habe ich nicht die Absicht, chronologisch zu skizzieren, was sie der Welt ausführlich in ihrer Autobiographie erzählt hat. Es gibt keine schwierigere literarische Aufgabe als die, eine Liebesaffäre fesselnd zu schildern, und Isadora war, wie sie selbst mit unfehlbarem Instinkt erkannte, eine schlechte (wenn auch aufrichtige) Schriftstellerin. Für uns sind ihre Liebeshändel daher unbegreiflich banal. Außergewöhnlich wie das Geständnis selbst ist nur die Großmut ihres eigenen Herzens. Alle beteiligten Männer wirken in dem Schmuck von Isadoras jungmädchenhaften Ausdrücken fast peinlich tölpelhaft. Sie scheinen in ihren Beziehungen zu diesem vollkommen selbstlosen Mädchen, das von niemanden etwas forderte (außer von dem Staat), zu der elenden Rolle der Männchen unter den Spinnen und anderen Insekten verdammt.
Das Resultat dieser nicht mittelbaren Poesie waren, wie alle Welt weiß, zwei wundervolle Kinder. Erschüttert und bewegt kennen wir auch deren Schicksal. Sie ertranken mitsamt ihrer Erzieherin in einem Auto, das in die Seine stürzte. Die furchtbare, sinnlose Einfachheit und Tücke dieses Unglücksfalls sind ebenfalls Äußerungen der Natur und des Schicksals. Die natürliche Ursache der Zerstörung Lissabons, San Franciscos, Messinas, der Titanic, des Feuers in dem Wohltätigkeitsbasar in der Avenue de la Seine wurzelt gleichfalls im Herzen der Dinge-die-da-sind, und der Optimismus der Menschen muß sie irgendwie erklären, wenn sie uns nicht zu ungeheuerer Tatenlosigkeit verdammen sollen. Auch vermag kein Hinweis auf die Belohnungen eines künftigen Lebens – selbst bei einer Million Jahre der Seligkeit und des Vergessens – uns zu entschädigen oder die Vorsehung freizusprechen, die sich eine derartige Brutalität zuschulden kommen ließ. Selbst wir Zuschauer können uns in einer Welt nicht sicher fühlen, wo Kinder ertrinken müssen, um später mit einer Tüte himmlischer Bonbons über die Momente des Erstickens hinweggetröstet zu werden. Mag bei dem ganzen Vorgang die Freude den Schmerz noch so sehr überwiegen, das Grauen bleibt für alle bestehen, außer für jene – allerdings wahrscheinlich die große Mehrzahl –, die sich mit einer robust merkantilen Ethik zufrieden geben, ein Grauen, welches das ganze Werk befleckt und blutig rot färbt. Gefahr und ihr seelischer Helfershelfer, der Schrecken, sind zwei wesentliche Elemente der Schöpfung. Jedes Leben ist daher ein verzweifeltes Abenteuer, und selbst bei der ruhigsten Betrachtung, zu der wir als wohl oder übel Beteiligte uns durchringen können, bleibt die Geburt ein größeres Abenteuer als der Tod. Der Abenteurer zieht hinaus, um sich dem Ungeheuer zu stellen; wir aber, die wir mit der großen Masse daheim bleiben, laufen keine geringere Gefahr.
Jedes, auch das kräftigste und widerstandsfähigste Leben muß durch solch einen Schlag zerschellen; er ist weit stärker als jede menschliche Spannkraft. Es gibt daher nur im metaphysischen Sinne ein Weiterleben der Persönlichkeit. Aber dieser klare Bruch kann die verschiedensten Gestalten annehmen, sogar die einer Maske. Sterben oder den Verstand verlieren sind die einfachsten aber unedelsten Lösungen. Dann gibt es auch noch den Selbstmord und eine Form des Selbstmords, die nur jene kennen, die über Menschenkraft gelitten haben und die darin besteht, daß man sich als tot betrachtet. »Ich bin damals gestorben«, hat Isadora einem Menschen erzählt, dem ich Glauben schenke. Nur die Formalität des Blutens bleibt unerfüllt. Zur Verwunderung der Einfältigen und Stumpfen scheint in solchen Fällen ein Fortleben zu herrschen; der Mensch und das Leben sind scheinbar die gleichen geblieben, alles geht in derselben Richtung und nach demselben Plan und mit einer Leichtigkeit, welche die Außenstehenden je nach der Verfeinerung ihres geistigen Geschmackes bewundern oder als herzlos insgeheim verdammen können.
Wir aber wollen nicht diesem Trugschluß verfallen. So stirbt denn die Isadora Duncan, die wir alle kannten, diese luftige, leicht verschwommene Persönlichkeit, die gleichzeitig ein wenig lächerlich war, wie alle reizenden Menschen; dieses warmblütige Mädchen, das ein Jahrzehnt lang fast die gesamte europäische Kultur in die Irre führte. Ein anderer Mensch tritt unter dem gleichen Namen in den noch nicht erfüllten Vertrag ein und führt das Abenteuer des toten Mädchens zu seinem seltsam schrecklichen Ende. Aber auch dieses Abenteuer ist ein anderes geworden. Ich glaube eine merkliche Vergröberung und Banalisierung des Fadens wie der Einzelheiten der Handlung zu spüren. Die strahlende kleine Prophetin wird unmerklich zur Primadonna. Mit jedem Jahr spricht sie ernsthafter statt enthusiastischer über ihre wunderbare Entdeckung. Nichts Neues bereichert ihren Tanz, dagegen wird ihre Technik, das rein Gymnastische komplizierter und reicher.
Das naive Schmarotzertum ihrer Ansprüche an die Menschheit wächst sich Schritt für Schritt mehr und mehr zu einem ausgesprochenen Sozialismus aus. Wohl entbehrte ihre Anhängerschaft an Lenin einer intellektuellen Grundlage, aber dieses Fahnenschwenken und Tragen von roten Tuniken ist dem hysterischen Ernst einer Fanatikerin auf unangenehme, wenn auch unmeßbare Weise näher als den aufregenden Wachträumen der jugendlichen Isadora. Ich finde den guten Bericht über ihren Aufenthalt in Rußland, ihre Heirat mit Essenjin und ihre verhängnisvolle Rückkehr nach Amerika, den zwei ihrer Freunde veröffentlichten, eher tragisch als interessant. Sie bewegte sich fast ausschließlich unter aufgeblasenen Dummköpfen, Disteln der ersten, ziemlich traurigen Ernte, die auf das große Pflügen unseres Jahrhunderts folgte, Lunartscherskis, Mariengows, Imaginisten, verspätete Futuristen und wie sie alle hießen. Und sie machte sie nicht lediglich zum grotesken Hintergrund ihres eigenen prachtvollen Lebenstanzes, wie jene andere Isadora das getan hätte. In der Darstellung ihrer besten Freunde erfüllt uns ein Begebnis nach dem anderen mit Unbehagen. Die Wohnung einer aus Moskau verbannten Tänzerin (freilich nur vom Ballett) wird ihr zur Verfügung gestellt. Sie nimmt an, kritisiert aber übermütig und ohne Liebenswürdigkeit die Möbel. Sie geht, um sich aus dem gewaltigen Vorrat beschlagnahmter Pelze der Bourgeoisie einen Mantel auszuwählen; glaubt, sie kann ihn umsonst haben und erhält eine Abfuhr von dem aufsichtführenden Beamten. Der kommunistische Dirigent eines Orchesters verläßt mit seinen Leuten geringschätzig den Saal, als sie ihn daran erinnert, daß sie große Opfer gebracht hätte, »um den Kindern Rußlands zu helfen«.
Das Schlimmste dieser betrübenden Ereignisse ist ihre Heirat mit dem jungen Sergei Alexandrewitsch Essenjin. Er war eine der literarischen Größen des neuen Rußlands, deren Verdienste eine Übersetzung nicht überleben werden. Alle diese jungen Leute waren überzeugte Anhänger des neuen Regimes und bei allen liegt der Verdacht nahe, daß sie Talent und Genie als analoge Erscheinungen von Reichtum und Besitz betrachteten, lauter schöne Dinge, welche handfeste Burschen mit Klassenbewußtsein den ehemaligen Eigentümern mit Gewalt entreißen konnten. Das Genie wurde von dem Proletariat der Künste beschlagnahmt. Sie alle tranken mehr als sie schrieben oder wußten, und ihre Räusche standen in keinem Verhältnis zu dem konsumierten Alkohol. Alles in ihrem Leben war nach Gruppen eingeteilt. Sie lebten, kämpften und liebten sogar gemeinsam, fällten Urteil und Kritik über ihre Handlungen streng gemeinschaftlich. Aber wenn auch Ton und Wahl ihrer Themata vielleicht originell oder doch zum mindesten authentisch national waren, scheinen doch ihre Methoden und Theorien eine Genealogie gehabt zu haben, und zwar entstammten sie dem Quartier Latin, aber dem Quartier Latin von vor zehn oder zwölf Jahren.
Zufällig floß in den Adern dieser jungen Individualisten, die »geführt von Essenjin und Kussikow mit seiner allgegenwärtigen Balaleika ins Zimmer, in den stillen Tempel Isadoras stürzten«, dreimal verwässert das geistige Fluidum der jungen Isadora, die ein Menschenalter früher ganz allein versucht hatte, eine neue Tanzkunst zu schaffen. Diese Tatsache behalte man im Auge; was weiter bei der ersten Begegnung zwischen Isadora und ihrem jungen Gatten geschah, mag jeder nach Belieben deuten.
»Sie erhob sich von ihrem Diwan und bat den Pianisten, einen Chopinschen Walzer zu spielen, da sie glaubte, er würde zu dem goldlockigen jungen Dichter sprechen. Mit welch freudigem Entzücken, welch verführerischer Anmut bewegte sie sich nach den Rhythmen des Tanzes. Als die Musik verstummte, trat sie mit naivem Lächeln und strahlenden Augen auf Essenjin zu, der sich laut mit seinem Begleiter unterhielt, streckte ihm beide Hände entgegen und fragte, wie ihm der Tanz gefallen hätte. Er sagte etwas Plumpes und Gewöhnliches und seine Freunde brachen in brüllendes, brutales Gelächter aus. Der Freund, der als Dolmetsch diente, sagte mit offensichtlichem Zögern zu Isadora: ›Er behauptet, es wäre – – scheußlich gewesen; er selbst könnte es besser.‹
Noch ehe die ganze Antwort der niedergeschlagenen, beschämten Isadora übersetzt werden konnte, war der Dichter aufgesprungen und tanzte wie ein Wahnsinniger in dem Atelier herum.«
So endete das Abenteuer Isadora Duncans, denn die Ehe mit diesem Menschen füllte in Wahrheit die letzten Jahre ihres Lebens aus. Für mich ist es wohl das tragischste Ende von allen, die ich bisher geschildert habe; aber die Ehe hat sowohl eine innere wie eine äußere Seite. Der junge Mann, den sie heiratete, »weil sie wollte, daß er Rußland verließe, damit sie ihm alle Schönheiten Europas und alle Wunder Amerikas zeigen könnte«, kurz damit er Gelegenheit erhielte, sein Leben zu genießen, war ein blonder Bursche mit dem Gesicht eines verzogenen Kindes und hellem Haar, das nach der früheren Art englischer Militärs kleidsam in die Stirn gekämmt war – der gewöhnliche »jugendliche Liebhaber«. Als typischer falscher Abenteurer nimmt er unsere Aufmerksamkeit kurz in Anspruch. Er war eine unbestimmte Reihe von Jahrzehnten jünger als sie, aber dank seines Lebenswandels von schlechter Gesundheit. Sie konnten nur wenig miteinander reden, da er nur Russisch verstand. Charakteristisch an seiner Stellung zum Leben war, abgesehen von seinen dichterischen Ambitionen, daß er sich für einen Abenteurer hielt und natürlich für den kühnsten, uneigennützigsten, leichtherzigsten von allen. Er lebte von der Hand in den Mund, verschwendete alles, was er im Augenblick nicht verbrauchen konnte, zahlte niemals eine Schuld zurück, zerbrach alles nicht Niet- und Nagelfeste, verachtete jeden, seine eigenen Kumpane ausgenommen, die er überall mitschleppte, in deren Gesellschaft er aber keinen Abend verbringen konnte, ohne daß sich ein heftiger Streit und eine unblutige Rauferei entspannen. Mit einem Wort, genau so wie er mit seinen Versen einen verbesserten Rimbaud zu schaffen glaubte, genau so zimmerte er sich ein Leben zurecht, das seiner Auffassung eines flotten, famosen Burschen entsprach.
Aber dieser umfangreiche Packen Individualismus, den Isadora sich auf ihrer Reise durch die halbe Welt aufschnallte, barg unter der Hülle einen ganz gewöhnlichen Kern: den Instinkt der Selbsterhaltung und den Hunger nach Besitz. Den Lebensunterhalt, Flugzeuge, Autos, Zimmerfluchten in großen Hotels, einen Ehrenplatz auf Isadoras Gesellschaften, wo meist ein angesehener Kreis sich zusammenfand: das alles nahm er mit unverhohlener Verachtung für bürgerliche Skrupel ohne weiteres an. Ja, in mancher Hinsicht übertraf er noch sich selbst auf dieser beklagenswerten Reise. »Eines Tages betrat er das Zimmer im Adlon und fand Isadora über einem Album mit den Bildern der unvergeßlichen Deidre und Patrick (ihrer Kinder) in Tränen aufgelöst. Er riß ihr das kostbare Andenken roh aus den Händen, hielt sie zurück, als sie es sich zu retten suchte, warf es in einem Anfall trunkener Wut ins Feuer und schrie: ›Du denkst viel zu viel an jene – – – Kinder‹.« Tatsächlich setzte er die Lehre, die er in einem Brief an seine Schule auseinandergesetzt hatte, gewissenhaft in die Praxis um. Sie lautete: »Laßt uns Asiaten sein. Laßt uns stinken. Laßt uns ohne jede Scham vor allen Menschen unsere Hinteren kratzen.« Sie wurde mit ihm zusammen aus einem Hotel in Paris ausgewiesen, weil er bei einem Saufgelage alles kurz und klein geschlagen hatte. Außerdem brachte er seinen seltsamen Göttern noch manch anderes Opfer. Aber seine lärmende Anmaßung hatte eine subtile, äußerst charakteristische Note: sie schwieg, sobald die Polizei auftauchte. Er pflegte: »Bon Polizei«, zu murmeln, wenn die kurz angebundenen, temperamentvollen Pariser Polizisten ihn verhafteten, und ließ sich sanft wie ein Lamm von ihnen abführen.
Als Isadora nach all diesem Vandalismus und Despotismus, nach dieser Verschwendung und Trunksucht, nach den zerschlagenen Möbeln in Berlin, der ruinierten Zimmerflucht in Paris, nach der Galavorstellung in Carnegie Hall und dem Tücherschwenken in Boston endlich nach Rußland zurückkehrte, fanden sie und ihre Freunde, daß er ihre ganze Wäsche gestohlen und seinen armen Angehörigen geschenkt hatte. Zu Mutter und Schwester war er so liebevoll und freigiebig wie der phlegmatischste Pariser Grünkramhändler. Alles, was er sich nahm, legte er sauber gefaltet weg. Als seine Koffer mit Gewalt geöffnet wurden, »enthielten sie eine ganze Musterkollektion in Parfümerieartikeln: Kartons und lose Stücke teurer Seife, große und kleine Flaschen der verschiedensten Parfüms, ganze Flaschen Franzbranntwein, Toilettenwasser und Brillantine, viele Tuben Zahnpaste und Rasierseife und zahllose Päckchen Rasierklingen«.
In diese Haussuchung hinein platzte der junge Ehemann. »Meine Koffer! Wer hat sich an meinen Koffern vergriffen! Fort von meinen Koffern! Ich bringe jeden um, der auch nur wagt, sie anzurühren!«
Isadoras Weg führte gleichsam in einen Sumpf. An ihrem Flug, den sie so leichten, tapferen Herzens angetreten, interessiert uns nur die Frage, ob diese Abweichung von der geraden Richtung bei allen weiblichen Abenteurern konstant ist. Wir haben von vorneherein auf eine moralische Wertung verzichtet, aber es ist nicht schwer zu erkennen, daß hier ein Geschmacksfehler, die »Belastung mit einer Lüge« vorliegt und kein blindes Schicksalsgesetz. In gewissem Sinne verkörpert Essenjin fast vollkommen ein Ideal, das sie selbst ihr Leben lang gepredigt hatte. Vor einem Leben wie dem seinen bewahrte sie lediglich ein unlogisches Anstandsgefühl, das mit ihren immer wieder durchbrechenden Prinzipien ständig im Kampfe lag. Eine ehrliche Verachtung von Besitz und Luxus, nicht nur für den anderer Leute, sondern auch für den eigenen, ist natürlich sehr wohl möglich, aber sie muß und wird sich dann ein asketisch einsames Dasein wählen. Wer dagegen Verschwendung, Zerstörung, Prasserei, die besten Hotels, aufpeitschende Getränke, lustige Gesellschaft und die Freuden des Fleisches liebt, der muß sich entschließen, Geld zu verdienen, oder er wird als Parasit verdammt. Auch hüte man sich, in einem Bohemien sein Ideal zu erblicken, sonst muß man noch eines Tages mit einem solchen Menschen durch die Welt ziehen.
Jedoch diese Heirat ist nur ein vereinzelter Zug in der traurigen Landschaft, auf die Isadora zusteuerte, und aus der uns schon von weitem der Geruch stagnierenden Wassers entgegenschlägt. All die anderen starren Irrtümer, die sie in ihr Weltbild einbaute, erwiesen sich als Schwächen, unter denen sie früher oder später zusammenbrach. Ihr Tanz, selbst ihre Vergötterung der Armen und Ungebildeten wurden ihr in Rußland, wo ihre Träume Wahrheit geworden waren, zum furchtbaren Betrug. Ein Mann vermag sein Leben auf einer gut konstruierten Einbildung zu erbauen. Wir sahen Karl XII. ein Jugendbuch verschlingen und sich dann weit nach Rußland hineinwagen. Aber ein Irrtum, an den man felsenfest glaubt, kann, wenn er groß genug ist, auch das stärkste Leben untergraben und wie Eiter das größte Abenteuer von innen her zerfressen. Wäre Isadora sich selbst gegenüber ganz ehrlich gewesen, sie hätte zugeben müssen, daß der Mißerfolg ihrer Kunst, die sie eigens für das siegreiche Proletariat Rußlands erfunden hatte, daß die lange, beschwerliche Wanderschaft durch einen großen Teil jenes Landes, immer in den Spuren einer Ballerina der alten Schule, welche rasende Erfolge hatte, während sie selbst es schwer fand, sich auch nur einen Achtungserfolg vorzutäuschen, sie noch mehr schmerzten, als die Enttäuschung mit Essenjin. Mit Hilfe von Szenerie, Masken, schlanken jungen Gliedern und dem ganzen künstlichen Beiwerk von Beleuchtung und Musik werden ihre Tanzrhythmen, ihre mehr oder weniger anerkannten Umdichtungen oder Plagiate nach wie vor in ganz Europa die Säle füllen. Ja, die kaum sichtbaren Spuren ihres Schaffens werden vielleicht sogar das Repertoire jenes älteren Kunststils bereichern, den sie ihren Hoffnungen zum Trotz nicht töten oder für immer verdrängen konnte.
Aber eilen wir zum Schluß. Wohl steht Isadoras Leben trotz alledem, selbst in diesem Zeitalter der Frau, an Format, Ruhm und Originalität einzig da; allein der tragische Bruch, an dem sie scheiterte, ist letzten Endes ihre eigene Schuld und ein furchtbarer Eingriff jenes unfaßlich Bösen (was freilich die Abergläubigen kaum trösten wird). Vielleicht erinnert man sich noch, daß wir auch bei Lolas Schicksal den Gedanken aufwarfen, daß die Götter in ihrem grausamen Spiel mit weiblichen Abenteurern sich in Göttinnen verwandeln. Wer mir bis hierher gefolgt ist, weiß, daß Isadora ihr Leben lang lose fließende Gewänder bevorzugte. Flou nennt sie das Argot der französischen Schneiderinnen. So war es denn ein flatternder Schal, der sich eines Abends auf der Promenade des Anglais in Nizza in dem Rad eines schnellfahrenden Autos verfing, sich, wie in einem Anfall boshaften Grolls, zusammenzog und ihrem Leben inmitten zahlreicher neuer Pläne ein Ende machte.