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Die Erdkunde ist, wie uns das Beispiel von Columbus zeigte, des Abenteuers ergiebigstes Revier, wo jeder Pfuscher mit einer guten Flinte in der Jagdzeit auf reiche Beute hoffen darf. In den schwer zugänglichen Gebieten dagegen, in den Wüsten und Wäldern des Geistes, hat gefährliches Großwild den kühnsten Jägern seine Spuren und Wechsel hinterlassen. Der religiöse Abenteurer kehrt nicht oft mit gefüllter Jagdtasche heim, dafür hat er seine Zelte draußen bei dem Geheimnisvollen aufgeschlagen. Er verdient, gehört zu werden, selbst wenn er nie einen Anhänger gewonnen hätte. Die größten unter ihnen haben sich weiter vorgewagt, als selbst Columbus, weiter als Sir John de Mandeville oder Lemuel Gulliver; sie haben mit Dante die Runde durch Himmel und Hölle gemacht. Auf unserer kleinen Erde lebten sie wie auf einer Insel, des Nachts aber zündeten sie Feuer an, um sich gegen das Weben und Raunen des Sternendunkelns zu wappnen. Unter ihnen gibt es einen, der auf seinem ganzen übernatürlichen Zug sich seine geistige Gesundheit, ja sogar eine kleine Portion Dummheit bewahrte – was ja immer als Merkmal einer robusten Veranlagung gilt –, so daß sein Weg und alles, was er erlebte, mit dramatischer Klarheit vor uns liegt.
Dieser eine war der berühmte Mohammed, der seine Briefe an die Kaiser dieser Welt mit den Worten unterschrieb: »Mohammed, der Apostel Gottes.« Er begann seine Laufbahn als armer Verwandter einer mächtigen Familie, die in der verfallenen Karawanenstadt Mekka auf der Heerstraße zu den Vororten der Alten Welt, Arabien, lebte. Das moderne literarische Arabien ist das Paradies der Leidenschaft, der Freiheit und der Datteln, jedoch im Geburtsjahre Mohammeds, 570 n. Chr., war die Lage weniger verlockend. Nach einem bemerkenswerten geschichtlichen Ausbruch schien sich das Geschick des dort ansässigen semitischen Volkes erfüllt zu haben. Die gesamte Rasse, Juden, Babylonier, Ismailiten und Araber, war zu der vegetierenden Bedeutungslosigkeit reinen Beduinentums verurteilt, aus dem nur ihre strategische Lage auf dem Kreuzungspunkt der großen Landstraßen zwischen Europa, Asien und Afrika sowie ihre hohe Begabung für ekstatische Poesie sie in vergangenen glänzenden Jahrhunderten emporgehoben hatten. Von der ganzen Herrlichkeit Babyloniens war lediglich eine Horde Banditen übriggeblieben. Diese, die Al Hiras, leisteten der Großmacht Persien streikbrecherische Dienste, während sie im Norden Syriens Byzanz und den verschiedensten Dreifaltigkeiten Untertan waren. Die Juden aber waren nach ihrem wilden, furchtbaren Widerstand gegen den sieghaften Titus in geschlossenen Stämmen murrend nach Süden abgezogen oder waren in Massen nach Europa ausgewandert. Kleine, starke jüdische Reiche hatten sich rings um die Hauptoase der Wüste bis Jemen, dem glücklichen Arabien der Alten Welt, angesiedelt, wo alles, was das luxusliebende Europa begehrte, in Hülle und Fülle wuchs. Besonders zahlreich waren sie längs der großen Heerstraße, welche die unwegsame Einöde zwischen den Bergen und dem Roten Meer begrenzte. Die übrigen Einwohner, die eigentlichen Araber, standen zu jener Zeit in geringem Ansehen. Einige von ihnen lebten an den Stationen und Halteplätzen dieser Straße, wo sie (wie wir später noch sehen werden), vorbeiziehende Reisende bewirteten und ausraubten. Andere ernährten sich von dem ständig abnehmenden Güterverkehr, indem sie die Karawanen von Damaskus nach Aden begleiteten. Die Übrigen beteiligten sich nach Möglichkeit an dieser Arbeit oder fristeten in ihren Zelten ein Hungerdasein. Sobald ihre unaufhörlichen Stammeskriege es gestatteten, schlossen sie sich zu Banden zusammen und machten die Landstraßen unsicher. Das gesamte Arabien, ausschließlich des fruchtbaren Jemen – also der Teil, der uns hier angeht – lebte somit von dem transkontinentalen Verkehr. Dieser ging aber mehr und mehr zurück, seitdem der kühle, kluge Ptolemäus, der griechische Pharao Ägyptens, des Raubens und Plünderns unter seinen Kaufleuten überdrüssig, einen weit billigeren Seedienst zwischen Abessinien und Indien eingerichtet hatte. So verödeten und verfielen die reichen Karawanenstädte des Nordens, Petra, Jerasch und Philadelphia, zu Mohammeds Zeiten immer mehr. Nur Medina und Mekka, letzteres auf halbem Wege zwischen Arabia Felix und Arabia Petrea, dem »glücklichen Arabien« des Südens und dem »steinigen Arabien« des Nordens gelegen, kämpften noch um ihr Dasein. Dieses Mekka war eine Stadt von ein paar Tausend Einwohnern und lag an einem gefährlichen Paß jenes mauerähnlichen Gebirges, das bei Arabien das Rote Meer berührt. Das ganze dortige Gebiet ist salzhaltig und unfruchtbar; selbst die Dattelpalme, der einzige Baum, der sowohl Frost wie Dürre verträgt, will hier nicht gedeihen. Auch heute noch, nachdem der Reichtum dreier Weltteile jahrhundertelang ohne Unterbrechung in jene elende Gegend geströmt ist, gibt es dort keine Gärten, und so wird selbst ein verkrüppelter Strauch von den Einwohnern mit Stolz betrachtet. Die Gründe für die Daseinsberechtigung Mekkas waren: erstens die Handels- oder Gewürzroute; zweitens ein Brunnen voll lauwarmen Wassers, der heilige Zem-Zem; drittens ein Markt für Kamelhäute und Sklaven; viertens die Kaaba. Vor undenklichen Zeiten fiel ein Meteor in jenes Tal, ein rötlich schwarzer, halbkreisförmiger, sechs Zoll hoher und acht Zoll breiter Stein. Heute ist er von Myriaden von Küssen geglättet, seine Oberfläche zeigt aber immer noch die Schmelzfurchen, die seine ersten Verehrer für eine unleserliche Botschaft und für die Namen der Götter hielten, die ihn vom Himmel stürzten. Vielleicht war dieser schwarze Stein vor Alexanders Zeit, ja schon vor Ramses gefunden worden und ehrfurchtsvoll in den Winkel des kubischen Tempels, der Kaaba oder dem Kubus, eingebaut, wo dann jene, die den Markt besuchten, ihn anbeteten; vielleicht gründeten seine Anbeter auch zuerst den Markt – niemand weiß, was das ältere ist. Solche heilige Steine waren in Arabien nicht selten, allein der Schwarze Stein genoß ein höheres Ansehen als alle anderen. Spezialisten der Götzendienerei unternahmen lange Reisen, nur um ihn zu sehen.
Diese Kaaba ist der Mittelpunkt von Mohammeds Abenteuer. Da kein Araber einen rechten Winkel ziehen kann, war sie damals und ist sie auch heute noch in ihrer restaurierten Gestalt schief und winkelig. Sie ist vierzig Fuß hoch, lang und breit und ist mit einer Tür versehen, die von jeher in beträchtlicher Manneshöhe über dem Erdboden angebracht war, und die man nur mittels einer Leiter erreichen kann – vermutlich infolge der Überschwemmungen, die alljährlich jenen Ort heimsuchen. Zu Mohammeds Zeiten war die Kaaba im Innern mit Bildwerken geschmückt. Das größte von ihnen war der Götze Hobal. Er stand über einer Grube, in welcher der Kultschatz aufbewahrt wurde. Ein anderer Götze, wahrscheinlich aber nur ein anderer Name für diesen Hobal, war Al-Lat oder Al-Lah.
Wenige Ellen von der Kaaba entfernt liegt der Brunnen Zem-Zem; seine Wasser sind salzig und lauwarm. Er wurde von Mohammeds Großvater, Abd al-Muttalib, neu entdeckt. Auf seinem Boden fand er zwei goldene Gazellen und einige vollständige Rüstungen. Sie waren dort von der antiken Jurhum-Dynastie, die Hunderte von Jahren vorher die Kaaba vermauert hatte, versenkt worden. Abd al-Muttalib war das Haupt seines Clans und eine wichtige Persönlichkeit unter den Korëisch, dem herrschenden Stamme jener Stadt. Acht Jahre vor seinem Tode erlebte Mekka eine Katastrophe. Der schwarze König von Abessinien, der damals wie heute ein Christ war, wurde von seinem Glaubensbruder, dem Kaiser von Byzanz, aufgestachelt, sich wegen einer Missionarsverfolgung (vermutlich durch einen jüdischen Stamm) zu rächen. Er entsandte daher eine Expedition, darunter auch einen Kriegselefanten, um Hobal, Al-Lat, die Kaaba, den Schwarzen Stein und ganz Mekka zu zerstören. Indes brach in den Gebirgspässen unter seinen Soldaten die Cholera aus und die Armee machte kehrt. Das ist der berühmte »Krieg des Elefanten«, der in mohammedanischen Legenden eine so bedeutende Rolle spielt und der wesentlich dazu beitrug, das Ansehen des alten Heiligtumes zu erhöhen, sowie die daniederliegende Fremdenindustrie des Städtchens in Aufschwung zu bringen. Abd al-Muttalib war als der Entdecker Zem-Zems stark an diesem Aufschwung beteiligt, denn ihm und seiner Familie flossen die Einnahmen aus dem Verkauf des heiligen Wassers zu; außerdem scheint er eine Art Monopol bei der Pilgerversorgung besessen zu haben.
In solche Verhältnisse wurde Mohammed hineingeboren. Sein Vater Abdullah starb, während der Knabe noch ein Säugling war, ohne Vermögen zu hinterlassen. Aber Abd al-Muttalib vermochte aus den Mitteln seiner ungeheuer zahlreichen Familie genügend Ersparnisse zurückzulegen, um das Kind bei einer Amme aus einem befreundeten und benachbarten Beduinenstamm unterzubringen. Die Legenden aus Mohammeds Knabenzeit sind weder glaubwürdig noch interessant. Er hütete die Ziegen und litt von Zeit zu Zeit an epileptischen Anfällen. Er kehrte nach Mekka zurück, als er alt genug dazu war. Seine Mutter war tot, sein Großvater Abd al-Muttalib folgte ihr bald. Vorher stellte er den jungen Mohammed unter die Obhut seiner beiden Onkel, des armen, edlen Abu-Talib und des reichen, dummen Al-Abbas. Abu-Talib nahm den Jungen in einer Karawane nach Damaskus mit, eine Reise, die zweifellos erzieherischen Wert hatte, die jedoch mit Geldverlusten endigte.
Die Männer Mekkas kannten keine bestimmte Regierungsform, zweifellos nahmen jedoch die reichsten oder wildesten unter ihnen bei Debatten über die Stadtverwaltung, denen sämtliche männlichen Stammesmitglieder beiwohnen durften, eine bevorzugte Stellung ein. Ihr Tun und Treiben wurde immer noch von der sonderbar archaischen Institution der Blutrache beherrscht, ohne die Mohammeds steigende Laufbahn nur schwer zu verstehen ist. In unseren Tagen gilt ihre unter den Italiern, Korsen und anderen rückständigen Rassen überlebende Form als der Inbegriff der Gesetzwidrigkeit, in Mohammeds Jugend aber verkörperte sie eine embryonale Politik. Mangels eines anderen Regierungssystems mußte das Leben unter Völkern mit dem Temperament der Araber und Angelsachsen (auch wir haben anscheinend so angefangen) selbst für berufsmäßige Banditen unerträglich gewesen sein. Vielleicht wird dies klarer, wenn wir an Stelle des genannten Ausdrucks das Wort »korporative Rache« setzen. Mekka wurde von zwei Stämmen, den Khozaa und den Korëisch, bewohnt. Mohammed war ein Korëischit. Jeder dieser Stämme setzte sich wiederum aus Familien und Clans zusammen. Die bedeutendsten unter den Korëisch waren die Haschimiten und die Omeijaden, die unter sich eng verwandt, aber durch Blut und Geschichte scharf getrennt waren. Mohammed war ein Haschimit; sein Großvater, der heilige Gastwirt, war ihr Oberhaupt gewesen. Jeder Einwohner Mekkas gehörte einer dieser Familienfraktionen an oder wurde von ihnen als Sklave gehalten. In jedes einzelnen Individuums Missetaten oder Unbill war seine Familie durch Tradition, Gewohnheit und das stärkste aller Kampfmotive: Selbstachtung oder Eitelkeit verwickelt. Mörderische und diebische Instinkte wurden somit auf zweierlei Art in Schach gehalten, einmal durch die positive Furcht vor körperlicher Rache »bis ins dritte und vierte Glied«, das andere Mal durch an den sich oft zwingenden Widerstand der übrigen Mitglieder des Clans gegen irgendeine Tat, die unterschiedslos an dem Täter wie an seinen Verwandten gerächt werden mußte.
Das soziale Leben des alten Mekka läßt sich daher mit dem Treiben der alkoholschmuggelnden Welt Chicagos vergleichen; Charaktere, Neigungen und Abneigungen, auch die verschiedenen Berufe weisen eine gewisse unverschämte Ähnlichkeit auf, nur waren die Erfahrungen der Bürger Mekkas wahrscheinlich tiefgründiger und bitterer, so daß das Leben dort leiser auftrat und selbst Höflichkeit ihnen nicht unbekannt war. Aber hinter diesem erfreulichen Resultat zahlloser Fehden lebte die alte Blutrache lustig weiter; es gab keine Vernunftsgründe, die im Angriffsfalle einem Clanmitglied die Beihilfe seiner Genossen versagten; ja Mohammed hatte in den Jahren seiner Unbeliebtheit seinen ganzen Clan hinter sich, obwohl die meisten nicht an ihn glaubten.
In den Boden dieses ordnungsfeindlichen Gesetzes hatten harte Zeiten die Anfänge eines neuen Friedens gepflanzt. Mit dem abflauenden Karawanenverkehr waren die Einwohner Mekkas mehr und mehr auf die Pilger angewiesen, und selbst ein arabischer Götzenanbeter haßt es, in seinen Gebeten vor der Kaaba durch Mord und Aufruhr, die lediglich ein neues Stadium in einem ihm gänzlich gleichgültigen Lokalzwist kennzeichnen, gestört zu werden. Nach jahrhundertelangen Debatten kamen die Leute Mekkas unter der Führerschaft der Korëisch überein, zu verkünden, daß vier Monate im Jahr heiliger Frieden in der Stadt und den Vororten herrschen sollte. In dieser Zeit durfte niemand bewaffnet gehen, man verkündete ein Moratorium der Blutrache. Die heiligen Monate fielen anfänglich mit dem Markte zusammen, das heißt, sie wurden in den Herbst zur Zeit der Dattelernte gelegt, wo Lebensmittel wohlfeil waren. Aber infolge des nur sehr unvollkommenen Mondkalenders ergab sich allmählich eine zeitliche Verschiebung, bis die verwirrten und erschrockenen Mekkaner erkannten, daß die heiligen Monate mit jedem Jahre später eintrafen. Zu Mohammeds Zeiten fielen sie in den Hochsommer, wo man sogar unter Wassermangel litt.
Das erste öffentliche Ereignis in Mohammeds Leben war ein Bruch dieses jährlichen Waffenstillstandes, bekannt unter den Anhängern des Korans als der »gotteslästerliche Krieg«. Er ereignete sich in Mohammeds zwanzigstem Lebensjahr. Der Gläubiger eines Korëischiten brachte einen Affen auf den Markt, ließ sich an einem augenfälligen Platz nieder und verkündete mit lauter Stimme: »Wer mir einen zweiten solchen Affen bringt, dem überlasse ich meine Forderung an jenen gewissen X.« Er nannte dabei den Namen seines Gläubigers, mitsamt dessen Stammbaum, den er mit zahlreichen malerischen und dichterischen Kommentaren ausschmückte. Hierauf näherte sich ihm ein Korëischit und schlug dem Tiere den Kopf ab. Jedermann griff zu den Waffen oder floh und der Kampf dehnte sich bis tief in die Nacht aus. In jenem Jahr war man in Mekka während der heiligen Monate so geschäftig wie in einem Ghetto am Sonntag. Es kam zu regelrechten Schlachten, an denen sich auch Mohammed beteiligte. Er erwähnt seinen Anteil an diesem Kampf ohne sonderliche Begeisterung – denn er war niemals ein Kämpfer. »Ich erinnere mich«, sagt der Prophet, »mit meinen Oheimen in dem gotteslästerlichen Krieg mitgefochten zu haben. Ich schoß einige Pfeile auf den Feind ab, was ich durchaus nicht bedaure.« Dieser Zwischenfall machte einen guten Teil des Erfolges zunichte, den die Reklame anläßlich des Siegs über den Elefanten gezeigt hatte. In den nächsten zwanzig Jahren war das Geschäft in Mekka flau.
Inzwischen wurde der junge Mohammed Verkäufer landwirtschaftlicher Produkte. Er war mit seinen Lebensumständen nicht zufrieden. Als er daher von einer reichen Witwe, die ihn als Karawanentreiber gedungen hatte, einen Heiratsantrag erhielt, griff er mit beiden Händen zu. Diese Frau war Chadidscha, die Tochter Khuweilids. Sie war vierzig Jahre alt und schon zweimal verheiratet. Mohammed zählte damals fünfundzwanzig Jahre.
Obwohl es niemals ein Porträt des Propheten gegeben hat, haben doch die Gläubigen jede Einzelheit seiner Erscheinung getreulich in ihrem Gedächtnis bewahrt. Er war ein kleiner, aber auffälliger Mann. Meist war er schweigsam und litt mit den Jahren mehr und mehr an Anfällen von Geistesabwesenheit, während deren er nichts hörte noch sah. Aber er konnte ein angenehmer, ziemlich lärmender Gefährte sein. Wenn er sprach, so drehte und wendete er nicht nur den Kopf, sondern seinen ganzen Körper; wenn er lachte, was nur selten geschah, riß er seinen breiten Mund krokodilähnlich sperrangelweit auf, bis sämtliche Zähne und sein Gaumen zu sehen waren. Dafür verschwanden seine Augen unter den Lidern. Diese Augen waren stechend und blutunterlaufen; er pflegte seine Wimpern mit Kohle und Antimon zu bemalen, um seinen Pupillen erhöhten Glanz zu geben. Er färbte auch seinen Bart, einige behaupten rot, andere gelb, und liebte leinene Gewänder von schreienden Farben. Hingegen verabscheute er Seide, die »erfunden wurde, damit die Weiber in Kleidern nackt gehen können«. Sein Schrei war gewaltig; Zorn und Heiterkeit äußerten sich bei ihm explosiv. Er hatte einen seltsamen Gang, wichtigtuerisch, als »schritte er einen unsichtbaren steilen Berg hinab«.
Jetzt lebte er in einem mehrstöckigen Haus in jenem berühmten Viertel oberhalb des zentralen Platzes mit der Kaaba und dem Zem-Zem-Brunnen. Der plötzliche Wechsel seiner Lebensverhältnisse, der ihn aus einem einfachen Verkäufer in den über Muße verfügenden Gatten einer Kapitalistin verwandelte, und der die führenden Gruppen der Stadtverwaltung seine Anwesenheit bei den Debatten dulden ließ, veranlaßte ihn zuerst zu Vergleichen, später zum Nachdenken. Die fast unvermeidlichen Folgen einer solchen Veränderung wirken auf ein nachdenkliches Gemüt wie ein Induktionsstrom. Wer sie unterschätzt, wird vielleicht einem Gerücht Glauben schenken, wonach ein einziger merkwürdiger Vorfall um diese Zeit Mohammed – das Hauptwort – in Mohammed – das Zeitwort – umschuf. Infolge einer argen Überschwemmung drohte die alte Kaaba einzustürzen. Die Prominenten beschlossen daher, das allzu straff gespannte Tabu aufs Spiel zu setzen und sie neu zu erbauen. Ein gewisser Ab-Walid hatte den Mut, als erster die heilige Mauer zu berühren. Er ergriff eine Picke, tat einen einzigen Streich und floh. Alle zogen sich bis zum folgenden Morgen von dem Platze zurück, um abzuwarten, ob ihm etwas zustoßen würde. Da er aber am Leben blieb, wurde die Arbeit fortgesetzt. Zum Schluß jedoch, als es sich darum handelte, den Schwarzen Stein neu zu versiegeln, entbrannte ein heftiger Streit, denn sämtliche Clans nahmen diese Ehre für sich in Anspruch. Endlich beschloß man, bei dem Spruch desjenigen Mannes zu verharren, der als erster den Platz betreten würde. Dieser erste war Mohammed und er fällte ein salomonisches Urteil. Zuerst nahm er seinen Mantel und breitete ihn auf dem Boden aus; auf ihn legte er den Stein, den er küßte. Dann ersuchte er je einen Häuptling aus den vier wichtigsten Stämmen vorzutreten, den Mantel an je einem der vier Zipfel zu fassen und den Stein in die richtige Höhe zu heben. Mohammed selbst geleitete ihn an seinen Platz. Aus diesem Grunde erhielt er den Titel El-Amin, der Auserwählte.
Wie es nun auch geschehen sein mag, ob die natürliche Mechanik der Verhältnisse es zuwege brachte, oder ob solch ein lahmer Zufall am Werke war: Mohammed begann um diese Zeit über das Wohl und Wehe der Stadt nachzudenken. Er machte sich über die geringe Zahl der Pilger und ihre Ursachen Sorge und begann sich den Gruppen von Politikern anzuschließen, die in inoffizieller Parlamentssitzung an steinigen Straßenecken oder in dem Windschutz der Kaaba über einen Ausweg debattierten.
Die Anfänge von Mohammeds Abenteuer oder die Basis der mohammedanischen Religion – um uns des gebräuchlichen Synonyms zu bedienen – ist des Propheten gedankliche Beschäftigung mit den Schicksalen seiner Heimatstadt. Ängstliche Pedanten werden vielleicht gegen die Trivialität des nun folgenden Ausdrucks protestieren, der indes treffender als jeder andere die Lage wiedergibt: Mohammed war ein Lokalpatriot. Diese Auffassung wird manches Unklare in seinem Leben und seiner Lehre aufhellen, wie auch die knifflichsten theologischen Haarspaltereien und die sorgfältigsten Schürfungen der Geschichtswissenschaft das nicht zu tun vermögen. Die Tür, durch die er eintritt, trägt die Überschrift: »Wie kann ich die ganze Welt, oder zum mindesten ganz Arabien überreden, alljährlich die Kaaba anzubeten?« Die Vision des einen Gottes, des allumfassenden arithmetischen Nenners sämtlicher Religionen, ist die Lösung, nicht die primäre Eingebung. Tatsächlich wurde der Mohammedanismus eine Religion, weil das Problem der Pilgerstadt Mekka ein religiöses war. Die Rhapsodien und epileptischen Anfälle des um die Einzelheiten seiner Erfindung ringenden Führers sind Symptome eines Prozesses, auf den sie teils fördernd, teils hemmend einwirkten. Würde man sie als Parallele zu den schmerzhaften Bemühungen eines begeisterten Rotarianers auffassen, der sich sein Hirn zermartert, um einen weltbezwingenden Kriegsruf für seine geliebte Heimatstadt zu ersinnen, so wäre das zwar nicht gerade pietätvoll (leider haben wir jedoch schon zu Beginn dieser Studien jeder Pietät abgeschworen), aber es wäre die Wahrheit und kein schlechter Scherz.
So schiffte sich Mohammed unter dem Leitstern der praktischen Vernunft zu dem gefährlichsten Unternehmen der Welt, zur Gründung einer Religion ein. Diese Vernunft war so streng, so exakt, daß man sie beinahe als Mathematik bezeichnen könnte. Columbus standen zum mindesten drei seetüchtige Briggs zur Verfügung; Mohammed begibt sich in das Reich der Leidenschaft, Träume und Albdrücke auf Grund der Regeldetrie. Er wandelt von jetzt an allein, schlägt mit den Händen durch die Luft, brütet über geheimen Gedanken, ja über einem Plan, den er des Nachts dem prallen Busen der mitfühlenden Chadidscha anvertraut. Nach diesem Plan will er auf Kosten eines gewissen Prozentsatzes der beduinischen Götzenanbeter (die häufig so arm sind, daß sie sich als Klientel nicht recht lohnen) die vielen Millionen reicher Juden und ganze Gemeinden von syrischen Christen, Fische aus dem unendlichen Meer Roms und Neu-Roms, zur Kaaba heranlocken. Zehn Jahre bevor er wagte, ein Wort davon verlauten zu lassen, hatte er Chadidscha alles erzählt. Erstens einmal: Besagt nicht die Legende, daß Mekka von Abraham gegründet sei? Daß Hagar, seine Magd, sich vor dem Zorne seiner ersten Frau Sarah mit Ismael, seinem Sohn, in die Wüste geflüchtet hatte, um diesen Brunnen Zem-Zem zu entdecken und aus ihm zu trinken? Das, so erklärte Mohammed, sind die wahren Anfänge Mekkas, und Mekka wird durch sie in einer Weise gedeihen, von der jene Vorväter, welche die Kunde davon bewahrten, sich nichts träumen ließen. Denn sowohl Christen wie Juden verehren Abraham. Niemals aber werden sie seinen Tempel und die Wiege seines Sohnes besuchen, falls dieser lächerliche, unarithmetische, kindische und verderbliche Kult einer unbestimmten Anzahl Götter in Mekka bestehen bleibt. Alle gebildeten Völker, die ich kenne, – so ungefähr pflegte er weiterzureden –, Juden wie Christen, anerkennen die augenscheinliche Tatsache, daß es nur einen Gott gibt. Hobal und sein Kollegium dämonischer Freunde müssen fort. Es gibt keinen Gott außer Allah.
Und Mohammed ist sein Prophet. Mehr und mehr vertiefte er sich in die Ausarbeitung seines Planes. Die Stadtgeräusche störten ihn; von jeher fürchtete er sich vor Lärm, mochte es sich nun um Donner, Straßenverkehr oder Kriegslärm handeln. So begab er sich tagelang zu den kahlen, windigen Hügeln in der Nähe der Stadt, insbesondere zu dem Berge Hira, einer zuckerhutspitzen Anhöhe, drei Meilen von Mekka entfernt. Chadidscha begleitete ihn. In der Stadt aber suchte er die sehr zahlreichen Juden auf, um sich mit ihnen zu unterhalten. Auch stellte er Fragen an Zaid, seinen Diener und Freund, einen untersetzten, dunklen Mann mit einer eingeschlagenen Nase, der als Sklave bei Christen gedient hatte. Diese hatten ihm einiges von ihrer Lehre erzählt. Mohammed war in der jüdischen Theologie samt ihren diätetischen und medizinischen Geboten besser beschlagen als in der christlichen Lehre, vor allem machte ihr Messiasglaube auf ihn Eindruck. Aber auch die Christen harrten des Kommens eines Propheten, Paraklets. S. das Johannesevangelium, XVI. 7. Das entnahm er den konfusen Erinnerungen Zaids, die sich auf den unklaren Glauben der ketzerischen syrischen Familie gründeten. Der Name Paraklet ließ sich aus seiner verstümmelten Form Periklutos unschwer in das arabische Ahmed, »der Gepriesene«, übersetzen, was wiederum einer Version von Mohammeds eigenem Namen entsprach.
Selbst wenn Mohammed keine ehrgeizige Natur gewesen wäre, hätten diese Stichworte genügt, seinem einfachen Schema die Idee der persönlichen Führerschaft einzugliedern. Der religiöse Gedanke muß notgedrungen Priester wie Gott in sich schließen; in Mohammeds eigenen Stil übersetzt, brauchte Mekka einen Propheten und einen Gott. In diesem embryonalen Entwicklungsstadium wählte seine aufreizende Gedankenarbeit als Ventil die Poesie. Die Poesie der frühsten Suren des Korans steht denn auch in scharfem Gegensatz zu der banalen Prosa, die der Periode geistiger Spannung in allzu reichlichem Maße folgte. In Wahrheit bedeutet die Form jener eigenartigen, zum Teil herrlichen Dichtwerke eine Offenbarung des Autors, welche die Anführung weiterer Einzelheiten erübrigt. Die furchtbare Art, wie er sich selbst zum Denken aufpeitscht, bis ihm die Stirnadern fast zerspringen, gelangt in der sonderbar elementaren Eidesformel, die jede Sure einleitet, zum Ausdruck. Ein anderes Beispiel bietet die höchst mittelmäßige Neufassung der hebräischen und christlichen Ethik, über die er sich trotz größter Anstrengung nur selten emporzuschwingen vermag. Man höre die 100. Sure (die Kapitel des Korans sind kunterbunt durcheinander geschüttelt):
Bei den schnellen Rossen, die schnaubend dahineilen
Und mit ihren Hufen Funken aus dem Gesteine schlagen,
Bei denen, die in der Morgenfrühe auf den Feind einstürmen
Und dabei Staubwolken aufwirbeln und
Die feindlichen Haufen durchbrechen ...
Wahrlich, der Mensch ist undankbar gegen seinen Herrn ...
Ja er ist der Liebe nach irdischem Gute sehr ergeben.
Oder die 91. Sure. Um ihre volle Wirkung bewundern zu können, muß man wissen, daß jede Strophe im Original mit einem keuchenden ha! (dem Pronomen der dritten Person) endigt, das hier in Kursivschrift wiedergegeben ist:
Bei der Sonne und ihrem
Scheine,
Bei dem Monde, wenn er
ihr folgt,
Bei dem Tage, wenn er
sie enthüllt,
Und bei der Nacht, wenn sie
sie bedeckt,
Beim Himmel und
dem, der ihn gebaut hat,
Bei der Erde und
dem, der sie ausgebreitet hat,
Bei der Seele und
dem, der sie gebildet ...
Wohl dem, der sich von Sünden gereinigt;
Hoffnungslos der, so sie verdorben hat!
Früher oder später kommt er auf das erschütternde Novum des Jüngsten Gerichts. Die Semiten scheinen sich nur langsam auf jenen natürlichen Folgesatz des Begriffs der göttlichen Gerechtigkeit besonnen zu haben. Ein Leben nach dem Tode wird im Alten Testament bekanntlich nur selten erwähnt, obwohl die Rabbinerschulen zu Mohammeds Zeiten ganz von diesem Gedanken besessen waren, während die Verehrer Hobals wahrscheinlich nicht mehr von ihm wußten als die Zeitgenossen Moses oder Homers. Der Glaube, daß Mohammed zu dieser zwingenden Lehre auf einem von dem Rest seiner geborgten Ethik verschiedenen Wege gelangte, kann nur auf Gefühlsgründen beruhen. Kaum aber hatte er die Gewalt jenes Begriffs erfaßt, der, ähnlich dem grünen Basaltstein an der Basis der Kaaba, das gesamte Gebäude des Mohammedanismus stützt, so werden wir um eine der köstlichsten und überraschendsten Suren bereichert, einen Hymnus, in welchem wir die Sehnen seines Denkens knacken hören. Sure 101:
Das
Richtende! Was ist das Richtende!
Und was wird dich lehren, was das Richtende ist?
An diesen Tagen werden die Menschen zerstreuten Motten,
Werden die Berge auseinandergezupfter Wolle gleichen.
Und der, dessen Waagschale voll ist, wird ein herrliches Leben führen;
Der aber, dessen Waagschale zu leicht ist,
Der soll im Abgrund der Hölle seine Wohnung finden!
Was aber lehrt dich verstehen, was dieser
Abgrund ist?
Er ist das glühende Feuer.
Trotz der Unterstützung seiner einzigen Zuhörerin Chadidscha begann er der geistigen Anstrengung zu erliegen. Jetzt erscheint ihm der Engel Gabriel und flüstert ihm ein ungeheures buntes Durcheinander von jüdischen Überlieferungen, christlichen Ketzerlehren und allgemeinen Grundsätzen der Vernunft ein, durchsetzt mit der Geschichtsphilosophie der Korëisch. Allerdings glaubte der Prophet selbst, daß er vielleicht ein Teufel wäre. Chadidscha tröstete ihn. Al-Tabari zufolge, pflegte Gabriel den Propheten an der Kehle zu packen, bis er sich dem Tode nahe fühlte. Das nächste Mal, als die Stimme in seinem Kopf zu sprechen begann, befanden sie sich in ihrem Zimmer und er gab ihr, wie verabredet, ein Zeichen. Darauf zog sie ihr Hemd aus, nahm ihn auf ihren Schoß und begann ihn auf intime Weise zu liebkosen. Die Stimme schwieg. Siehst du, sagte Chadidscha, ein unsauberer böser Geist wäre dageblieben; so aber muß es Gabriel gewesen sein.
Jetzt ist die Religion reif, gepredigt zu werden, und von nun an setzt Mohammed, um dieses Stadium zu kennzeichnen, jeder Sure das Wort »Sage« oder »Sprich« voraus. So bildet zum Beispiel die 112. Sure den theologischen (wenn auch keineswegs historischen) Ausgangspunkt des Mohammedanismus:
Sprich: Gott ist ein einiger Gott, Gott ist der Ewige!
Er zeugt nicht und ward nicht gezeugt,
Und
Ihm ist kein Wesen gleich.
Jetzt blieb ihm nur noch übrig, die praktischen Folgen zu ziehen: Es galt, seine Religion in Mekka einzuführen, die Kaaba von Götzen zu säubern, den Wechsel in der Leitung Juden wie Christen anzuzeigen und das Resultat zusammenzufassen. Mekka sollte wieder blühn und gedeihen; unter der wohlwollenden Herrschaft des Wohltäters selbst sollte es sich des Reichtums, Friedens und gesicherter Verhältnisse erfreuen. Was aber jenes positive Hindernis zu diesem Wohlstand, die Blutfehden, betraf, so würde es durch das neue System, welches lehrte, daß alle Gläubigen Brüder seien und sich kein Leid antun dürften, beseitigt werden.
Mohammeds Angebot an Mekka entspricht dem gewaltigen Angebot aller Abenteurer an die Gesellschaft: Was geliebt wird, anerkannt, Besitz geworden ist, soll gegen einen Traum eingetauscht werden mit der Führerschaft des biederen Outsiders als Gratiszugabe. Messinglampen gegen Gold; die Herrschaft über die Welt, so ihr niederkniet und mich anbetet: all das sagenhafte Gerede von Zauberern und Teufeln. Dem Volke schlug er vor: Verbrennt die Götter eurer Väter und Kinder. Den Privilegierten: Verzichtet auf eure Ämter und taucht wieder in der Masse unter. Dem Clan, der auf dem besten Wege war, nach fünfzigjährigen Verlusten die Rechnung mit dem Erbfeinde auszugleichen: Überlaßt mir eure Trümpfe. Den Beherrschern der Stadt: Gehorcht, wie ihr nie zuvor gehorcht habt, diesem kleinen Kerl mit den blutunterlaufenen Augen, dem Ausbeuter des Vermögens einer törichten Witwe. Immer ist das Angebot das gleiche. Ebenso unabänderlich ist die Antwort der Gesellschaft: zuerst Gelächter, dann Flüche.
Mohammed ist jetzt vierundvierzig Jahre alt. Seine ersten Konvertiten werden auch heute noch in den Gebeten von Hunderten von Millionen Gläubigen mit Namen genannt: es sind Chadidscha, die den Engel auf die Probe stellte; Zaid, der ein christlicher Sklave war; Ali, des Propheten Vetter, Sohn des braven, heruntergekommenen Abu Talib; Waraka, ein anderer armer, zahnloser Vetter und Abu Bekr (der später der erste Kalif des Islam wurde), ein magerer, schwächlicher Mann mit vorgewölbter Stirn. Er war ein Geschäftsfreund der Chadidscha und besaß ein bescheidenes Vermögen, das er ganz der großen Sache opferte. Dieser Abu Bekr gewann auch die ersten auswärtigen Konvertiten. Sie alle sind heiliggesprochen worden, aber dem Ungläubigen dünken sie eine recht armselige Gesellschaft, lauter Sklaven, Knaben, Frauen, mit Ausnahme eines gewissen Bilal, eines abessinischen Negers mit einer mächtigen Baritonstimme. In den ersten vier Jahren gab es rund vierzig Anhänger des neuen Glaubens, zumeist Sklaven, von denen nur sehr wenige den Korëisch oder Mohammeds eigenem Clan angehörten. Somit hatte der Islam bereits die Stammeseinteilung in Mekka gesprengt; ja er war auf dem besten Wege, die Politik der Stadt über den Haufen zu werfen.
Anfänglich begnügten sich seine Gegner damit, ihn auszulachen. Mohammed wurde von den Müßiggängern, die sich an heißen Abenden um die Kaaba versammelten, als guter Witz betrachtet. Allmählich jedoch ärgerte man sich über die Haltung seiner sklavischen Anhänger gegenüber den Götzen ihrer Herren und Gebieter; Prügel wurden verabfolgt, und als das nicht genügte, verurteilte man sie zu dem Fußblock, der in Mekka mitten in der Sonne aufgestellt war und die Qualen des Durstes von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit sich brachte. Der einzige, der bei dieser Behandlung nicht umfiel, war Bilal, der Neger, der den ganzen Tag Akhad, Akhad schrie: (einer, einer): unter diesen Umständen eine säuberlich praktische Zusammenfassung der außerordentlich einfachen Grundsätze der neuen Religion. Abu Bekr kaufte ihn seinem götzendienerischen Herrn ab und schenkte ihm die Freiheit.
In diesen bedrängten Verhältnissen hatte Mohammed sogleich eine Fülle neuer Offenbarungen, welche die entmutigte Sekte außerordentlich trösteten. Die 15. Sure, ein einzigartiger Beweis für die praktische Vernunft dieser Religion, kam den vom Märtyrertode Bedrohten zu Hilfe:
Wer aber Gott leugnet, nachdem er geglaubt hat (ausgenommen jene, die durch Gewalt dazu gezwungen werden, deren Herzen aber treu im Glauben verharren), auf dem ruht der Zorn Gottes.
Die uns überlieferten Glossen zu dieser Stelle lassen keinen Raum für Zweifel. Eines Tages begegnete Mohammed einem gewissen Sklaven namens Ammar. Der Mann schluchzte und stöhnte und Mohammed erkundigte sich nach dem Grunde. »Sie wollten mich nicht gehen lassen, oh Prophet, bis ich dich nicht geschmäht und ihre Götter gelobt hatte«, sagte Ammar. Mohammed fragte: »Wie ist dein Herz?« »Treu im Glauben.« »Alsdann«, sagte der weiseste aller Propheten, »wiederhole du nur die Widerrufung, falls sie ihre Prügel wiederholen.« Außer dieser wertvollen Absolution schenkte er seinen Gläubigen noch ein neues aufmunterndes Motiv für ihre Ausdauer. Bis jetzt hatte man sie durch Furcht vor der Hölle in Zucht gehalten, nun vernahmen sie die Kunde vom Paradiese. Gabriel überbrachte die frohe Botschaft der 78. Sure.
Für die Gottesfürchtigen aber ist eine Stätte der Seligkeit bestimmt,
Ein umzäunter Garten mit Weinreben
Und Jungfrauen mit schwellenden Brüsten, an Alter ihnen gleich,
Und ein immer voller Becher.
Der Wein, der im Diesseits verboten ist, soll »mit Moschus versiegelt und mit Ingwer gewürzt sein«. Außerdem besitzen wir die saftige 55. Sure:
Und neben diesen Gärten gibt es noch zwei andere.
Welche von den Wohltaten eures Herrn wollt ihr nun undankbar zurückweisen?
Dunkelgrün ist ihre Färbung.
Welche von den Wohltaten eures Herrn wollt ihr nun undankbar zurückweisen?
Und in ihnen sind zwei reichlich fließende Quellen.
Welche von den Wohltaten eures Herrn wollt ihr nun undankbar zurückweisen?
Früchte aller Art gibt es dort und Palmen und Granatäpfel.
Welche von den Wohltaten eures Herrn wollt ihr nun undankbar zurückweisen?
Auch gibt es dort schöne und herrliche Jungfrauen.
Welche von den Wohltaten eures Herrn wollt ihr nun undankbar zurückweisen?
Jungfrauen mit großen schwarzen Augen, die in Zelten leben.
Welche von den Wohltaten eures Herrn wollt ihr nun undankbar zurückweisen?
Kein Mann hat sie noch berührt, noch irgendein Dschinn.
Welche von den Wohltaten eures Herrn wollt ihr nun undankbar zurückweisen?
Dort liegen sie auf grünen Kissen und herrlichen bunten Teppichen.
Nach Offenbarung der 55. Sure berichtet die Überlieferung von keinen weiteren Widerrufungen. Mit dieser Sure und dem täglichen Gebet, das durch Tausende von europäischen Romanschriftstellern und Dramatikern als Beispiel für das warme Lokalkolorit des Ostens berühmt geworden ist, sind die Elemente des Islam vollzählig.
Preis sei Gott, dem Weltenherrn,
Dem Allerbarmer,
Der da herrschet am Tage des Gerichts;
Dir wollen wir dienen und dich wollen wir um Hilfe anflehen:
Führe uns den geraden Weg,
Den Weg derer, denen du gnädig bist,
Und nicht den Weg derer, denen du zürnst und nicht den der Irrenden!
Mohammed selbst, Abu Bekr und alle freien Bürger Mekkas, die sich ihm anschlossen, hatten nichts Schlimmeres als vorsichtige Schmähungen zu erdulden. Sie genossen den Schutz gerade jener Institution, die sie abzuschaffen wünschten: der Blutrache. Wir kennen die Worte, die ein gewisser Hischam, ein eingefleischter Götzenanbeter und bekannter Raufbold, anläßlich des Vorschlages, den Islam mit Gewalt zu unterdrücken, fallen ließ: »Hütet euch, einen meines Stammes zu töten, ich wäre alsdann gezwungen, den größten eurer Häuptlinge zu erschlagen.« Da die Opposition weder aus noch ein wußte, begnügte sie sich mit geheimen Schimpfreden und der recht billigen Anschuldigung des Plagiats. »Er hat all seine Gedanken von den Juden und von Zaid, dem ehemaligen Christen, gestohlen«, so lautete der Vorwurf, den man am häufigsten gegen den Propheten erhob. Mohammed wies ihn mit der recht lahmen Antwort zurück: »Wie kann ein Fremder, Jude oder Christ, mir alle diese Dinge erzählen, da sie doch in reinstem Arabisch gefaßt sind?« Man hätte eine bessere Antwort geben können, denn obwohl Mohammed zahlreiche Gedanken dem Christentum entlieh, hat er sie doch so verzerrt, daß sie zum mindesten durch drei falsche Auffassungen hindurchgegangen sein müssen. Mohammed mißverstand, was ein falsch informierter Anhänger ihm von den konfusen Ideen eines monophysithischen Ketzers erzählte, der seinerseits die Lehren seiner Sekte nicht ganz begriffen hatte. Mohammeds Suren müssen daher zweifelsohne als ursprüngliche Offenbarungen angesprochen werden. Was nun seine weit stärkeren Anklänge an das Judentum betrifft, so muß man in Betracht ziehen, daß er nicht aus dem Urquell, sondern aus den jüngeren talmudischen Legenden schöpfte, die er aber derart phantasievoll und naiv zu drehen und zu wenden wußte, daß auch hier das harte Wort Plagiat ungerechtfertigt erscheint. Der Koran enthält ganze Seiten, ja ganze Bände folgender Geschichtchen: Der Berg Sinai sei plötzlich in die Luft gehoben und drohend über den Häuptern der Israeliten gehalten worden, damit sie sich dem Gesetz unterwürfen; die Berge, in denen David wandelte, hätten mit gewaltiger Baßstimme in seine Gesänge eingestimmt; diejenigen Juden, die den Sabbath verletzten, würden in rote Affen verwandelt; Esra habe, als er nach hundert Jahren vom Tode auferweckt wurde, immer noch auf seinem Esel gesessen. Dagegen blieb das Problem der Sklaven-Konvertiten und Fremden, die den Schutz der Blutrache nicht genossen, ungelöst, denn sowohl Chadidschas wie Abu Bekrs Kapital begann durch die Wucherpreise, die die rachsüchtigen Besitzer für ihre Sklaven forderten, auf die Neige zu gehen. Eine Anzahl von ihnen wanderte nach dem christlichen Negerreich Abessinien aus. Diese Bewegung wird als die erste Hedschra bezeichnet. Mohammed unterstützte sie, denn er war jetzt nahezu fünfzig, außerdem war er müde geworden, was aus der zunehmenden Weitschweifigkeit und Banalität seiner Offenbarungen hervorgeht. Unter den Flüchtlingen befanden sich auch Fanatiker, denen der Druck, in Nähe eines götzendienerischen Heiligtums hausen zu müssen, unerträglich geworden war. Erleichtert sah Mohammed sie abziehen. Das Abenteuer begann ihn zu beschweren; er glaubte, annehmen zu dürfen, daß er ihm einen glücklichen Ausgang geben könnte, bei dem sämtliche Vorteile, die ihn gelockt hatten, sich verwirklichen würden. Die Oberhäupter der Stadt hatten ihm zu verstehen gegeben, daß sie zu einer Verständigung bereit wären. Er erschien daher an einem gewissen Tage nach Abzug der Flüchtlinge vor der Kaaba, wo er, wie durch Zufall, die Hauptanführer versammelt fand. Sich zu ihnen setzend begann er in lautem Singsang zu rezitieren:
Ein anderes Mal sah ich Gabriel
Neben dem Baum an der äußersten Grenze
Des ruhevollen Paradieses.
Ich blickte nicht zur Seite
Und sah eines der herrlichsten Wunder des Herrn ...
Dann fuhr er fort:
(Ich fragte) Was hältst du von Al-Lat und Al-Ozza
Und von Manat ebenfalls?
(die beiden letztgenannten waren weibliche Götzen aus dem Kaaba-Götterkollegium). Gabriel antwortete:
Diese sind erhabene Weiber,
Deren Fürbitte ohne Zweifel wünschenswert ist.
Sämtliche Korëisch sprangen auf und brachen in Hochrufe aus; dann neigten sie sich zur Erde und beteten an.
Die automotorische Kraft Mohammeds trieb ihn jetzt dem großen Quell aller praktischen Vernunft, dem Kompromiß entgegen. Die glückliche, verständige Familienszene unter der windgeschützten Mauer der Kaaba bildet die Grenze dessen, was Mohammed durch eigene Kraft zu erreichen vermochte. Der Lokalpatriot, der schlaue Erfinder eines weltweiten Kommt-nach-Mekka-Kriegsrufes hat beschlossen, zu liquidieren und persönlich den Bonus auszuschütten, den Jahre des Denkens und der Unbeliebtheit ihm errungen hatten. Er verständigt die Götter des Abenteuers durch Zeichen, aufzuhören und ihn freizulassen.
Dies ist der fatale Wendepunkt, den wir mit Besorgnis auch im Leben seiner Vorgänger beobachtet haben; hier beginnt der Rückzug des Abenteurers. Bei jedem Fall, den wir bisher untersucht haben, liegt die letzte Ursache zu dem nun folgenden Ruin in den Charakteren der Abenteurer selbst. Der Motor wird defekt, das Gleichgewicht zwischen Wollen und Haben verschiebt sich, sie stürzen in Schande, Elend, Spott. Hätte Mohammeds Abenteuer ihn lediglich in das Reich der Geographie oder Geschichte geführt, die Erzählung würde zweifellos zu dem eintönigen Schluß »Und er lebte glücklich bis an sein Lebensende« herabsinken. Ein paar Monate Popularität, ein paar Jahre Einfluß und dieser obskure Theoretiker in Fragen der Stadtverwaltung wäre, vielleicht durch einen ironischen Rückschlag des Vendetta-Prinzips, das ihm bisher körperlichen Schutz gewährte und das er in den Tagen seines Aufschwungs mit aller Kraft hatte zerstören wollen – von der Bühne gedrängt worden. Aber wie armselig seine Persönlichkeit auch sein mag, dieser Schacherer mit dem Übernatürlichen hat mit der Finsternis gerungen. Er hat sich auf die endlosen, unbekannten Meere des menschlichen Herzens gewagt. In dieser Stunde droht ihm kein bloßer Sturz, sondern ein furchtbarer unwiderstehlicher Rückschlag, als hätten die Geister, die er so leichtfertig rief, ihn beim Genick gepackt und ihn brüllend außer Sichtweite der menschlichen Herde durch die Luft geschleudert. Nicht ein Allah, auch keine der bärtigen, reizbaren Untergottheiten seiner Theogonie, nicht Gabriel, Asrael noch Eblis, sondern jene grenzenlose vielarmige blinde Allmacht, die keiner je angebetet hat und der keiner je wagte, ein menschliches Antlitz zu geben; nach deren Bilde niemals auch nur der kleinste Götze geformt wurde; – das kollektive Gewicht der Vergangenheit, die Summe alles dessen, was seit den ersten zitternden Ätherwellen geschah, die gewaltige Arithmetik der Kausalität mit ihren Fluten und Unterströmungen, mächtig wie der Ozean, auf deren Woge dieser kleine gestikulierende Prophet jetzt mit unwiderstehlichem Schwunge zur Eroberung der Welt emporgetragen wird. Denn merket auf: – wir drücken uns jetzt nüchterner aus – die Zeit ist reif für Mohammed und seine Religion.
Das Judentum hat sich in eine Anzahl zorniger, hochmütiger Verbannter zersplittert, die in Ghettos ihrer eigenen Erfindung in allgemeinem Menschenhaß sich auf universelles Märtyrertum vorbereiten. Das westliche Christentum ist mit der endlosen Aufgabe beschäftigt, den Franken, Alemannen, Sachsen und Kelten zu bewegen, von Mord, Diebstahl und Ehebruch zu lassen. Im Osten hat es sich vollständig an das Paradoxon von Macht und Reichtum verloren; hundert organische Krankheiten der Theologie schütteln seinen Leib. Der unerklärliche aber aufrichtige Impuls seiner Anhänger, leichter zu hassen als zu lieben, zersprengt jede Einheit des östlichen Kaiserreichs, sogar die wirtschaftliche und militärische. Christentum wie Judentum haben die natürlichen Religionen des ungeheuren Gebiets, mit dem sie in Berührung kamen, von Gibraltar bis Bombay vergiftet; zwar haben sie den Heiden nicht bekehrt, aber sie haben ihn skeptisch und apologetisch gemacht; die alten Götter tun sich selber leid.
Der Gegenpol Arabien aber hungert, es verhungert so langsam, daß die Bevölkerung bei dem Stadium der Hungerreizbarkeit, nicht der Hungerschwäche angelangt ist. Von dem Handelsfaktor ist bereits die Rede gewesen; außerdem trocknet das Klima seit Jahrhunderten allmählich aus. Schon liegen die fruchtbaren Ebenen Babylons verödet. Flugsand hat die Wasserleitungen verstopft, die Städte sind verweht. Der Schwarminstinkt, welcher Jahrhunderte zuvor Mittelasien ergriff, hat sich auch der Semiten bemächtigt. Verzweifelt kämpft er mit tausend Formen der Stammeseifersucht, Untüchtigkeit, Furcht, einem neuen Flusse gleich, der sich durch eine steinige Schlucht seinen Weg bahnt. Im Rücken des kleinen lebhaften Mannes türmt die Geschichte die Ereignisse auf, vergeblich sucht er sich mit Sporn und Absatz festzuklammern.
Wir wiederholen kurz die Summe von Mohammeds Erfindungen: eine über den Stämmen stehende Einheit; eine arithmetische Theologie an Stelle des Sammelsuriums diskreditierter Stammesgottheiten; ein Motiv: das Paradies; eine quälende Furcht: die Hölle; Gebete; eine Ethik, enthaltend alle jene Elemente, nach denen der Mensch verlangt, einschließlich einiger Ernährungsverbote, wie keine Religion sie entbehren kann. Außerdem räumt er mit der Furcht vor dem Tode auf, die bisher den arabischen Krieger hemmte, und sehr bald wird er seiner Leute Plünderungsinstinkt zehnfach stärken, indem er das Beutemachen zur Pflicht erhebt.
Den Hebel zu seiner Lage bilden seine eigenen Konvertiten, seine eigene Vergangenheit, die Schar auserlesener Fanatiker, die auf die Kunde von dem Kompromiß aus Abessinien herbeieilen. Man darf nicht erwarten, daß die mohammedanische Religion den Standpunkt, den diese Leute dem Propheten gegenüber vertraten, verzeichnet hat; wir müssen uns daher mit dem ungewöhnlich treuherzigen Bericht der nackten Tatsachen begnügen. Diese sind: die Auswanderung; Mohammeds Kompromiß; die Rückwanderung, drei Monate später; die Aufhebung der sogenannten »Satanischen Strophen« durch eine neue Offenbarung und endlich der Beginn eines neuen, unerbittlicheren Ringens. Mohammeds Frieden ist dahin. Die empörten Korëisch
unternehmen einen energischen Versuch, Abu Talib von seinem Neffen zu lösen, »Mohammed des Schutzes seiner Stammesbrüder zu berauben«. Der alte Mann, immer noch ein Gegner des Islam, weigert sich, ja er geht noch weiter. Mit einer Reihe waffentüchtiger Jünglinge seiner Familie begibt er sich zur Kaaba, lauscht der Versammlung und wendet sich als Antwort an seine Gefolgsleute mit den Worten: »Enthüllt, was ihr unter euren Mänteln tragt.« Die Jünglinge zogen ihre Waffen und schwangen sie. Dann wandte er sich an die Korëisch: »Bei Hobal, Al-Lat und Manat: tötet ihr ihn, wird auch nicht einer von euch am Leben bleiben.« Unmittelbar nach diesem Erfolg gewann Mohammed zwei einflußreiche Konvertiten: Hamsa, der spät gezeugte Sohn des alten Abd al-Muttalib und einen hühnenhaften Raufbold, Omar. Die eingeschüchterten Korëisch verhängten jetzt einen feierlichen Boykott über die Islamiten und den gesamten Clan der Haschim, von Abu Talib bis Mohammed. Der Bann lautete: »daß sie deren Weiber nicht ehelichen noch ihnen ihre eigenen Weiber zur Ehe geben würden; ferner würden sie ihnen nichts verkaufen noch abkaufen.« Von nun an trennte eine unsichtbare Mauer ihr Quartier von dem Leben und Treiben der Stadt. Mohammed selbst trat, nolens volens von Kräften außerhalb seiner selbst getrieben, in eine neue Entwicklungsphase. Bis jetzt hatte er seine Botschaft an Mekka gerichtet; nun begann er den Pilgern auf den Märkten, insbesondere den jüdischen Kaufleuten zu predigen. Auf all seinen evangelistischen Propagandareisen begleitete ihn ein Schwarm feindseliger, Spottrufe und Drohungen ausstoßender Korëisch. Einer vor allem, »ein schielender Fettwanst mit wallenden, zu beiden Seiten herabfallenden Locken, in feinste Adener Stoffe gekleidet«, folgte ihm auf Schritt und Tritt und brüllte: »Glaubt ihm nicht, er ist ein lügnerischer Renegat!« Dies war sein eigener Onkel, Abd al-Ozzo Abu Lahab,
Mohammeds Erwiderung ist im saftigen Stil gehalten:
Verflucht seien die Hände Abu Lahabe! Verflucht sei er selber Man soll ihn werfen in die Flamme, die da bratet. Ihn und sein Weib; und das Tier, beladen mit Brennholz, Mit einem Strick aus Palmfasern um den Hals. III. Sure. der wie Mohammed selbst unter dem Boykott litt.
Solcher Art war die Behandlung der Gläubigen während der nächsten zwei, drei Jahre. Inzwischen starben die blindlings anbetende Chadidscha wie auch der brave Onkel Abu Talib, der bis zuletzt sowohl Mohammed wie seinen Götzen treu blieb. In diesem neuen Stadium bewies der Prophet außerordentliche Energie. Er reiste sogar bis zur nächsten Stadt, Al-Taif, um dort zu predigen; die Einwohner bewarfen ihn mit Staub und jagten ihn schmählich davon. Mehr Erfolg hatte er bei den Männern von Medina, Mekkas Kivalin, elf Kamelreisetage nördlich gelegen. Die Pilger Medinas traten in Scharen zu ihm über; die Juden waren zahlreich und mächtig in jener Stadt und brachten dem Propheten, den sie gewissermaßen als inoffiziellen Proselyten ansahen, starke Sympathien entgegen. Zwölf Männer von Medina schworen anläßlich der Pilgerfahrt von 621 ganz im geheimen dem Propheten Blutsbrüderschaft, bekannt unter dem Eid von Akaba.
Dieser Eid bildete den nächsten geschichtlichen Wendepunkt. Von jenem Augenblicke an läßt Mohammed Mekka psychologisch im Stich, er wendet sich an sämtliche vier Himmelsrichtungen des arabischen Horizonts mit den Worten: »Ihr Völker: Sprecht, es gibt keinen Gott außer Gott. Es soll euer Schaden nicht sein. Ihr werdet die Herrschaft über ganz Arabien und Al-Ajam (das Ausland) gewinnen, und so Ihr sterbet, werdet Ihr wie Könige im Paradiese leben.« Die Korëisch, die nur zum Teil Tragweite und Erfolg der neuen Politik begriffen, setzten ihre ohnmächtige Verfolgung fort. Jetzt begannen die Gläubigen nach Medina auszuwandern, jede einzelne Familie verließ des Nachts die Stadt und sperrte die Tür ihres Hauses ab. Indes hat man ihre Leiden stark übertrieben; das Schlimmste, das uns überliefert wurde und das (für mein Gefühl) nicht eines gewissen Humors entbehrt, ist eine Tat des unermüdlichen Abu Lahab. Dieser nahm einen Eimer mit den Eingeweiden einer Ziege, kletterte auf das Dach von des Propheten Haus und warf seine Bürde den Schornstein hinunter, gerade als der Prophet sein Mahl bereitete. Mohammed spießte das unappetitliche Gericht auf einen Stock auf und stürzte auf die Straße, schreiend: »Was für eine feine Gegend ist diese?«
Die heimliche Auswanderung nahm ihren Fortgang, Quartier um Quartier, Straße für Straße entvölkerte sich; nacheinander packte Neugier, Ratlosigkeit und Schrecken die Feinde. Dieser Schrecken war um so unheimlicher, als niemand wußte, was eigentlich im Gange war. Der Vorgang vollzog sich so geheim und drohend wie ein orientalischer Aufstand; die wachsende Zahl verriegelter Türen glich einer schleichenden Krankheit. Zum Schluß waren von sämtlichen Getreuen nur Mohammed und Abu Bekr in der feindlichen Stadt verblieben; beharrlich gingen sie ihren Geschäften nach, als sei nichts Ungewöhnliches geschehen. Die Korëisch hielten eine geheime Versammlung ab. Diesmal wurde ein Plan aufgestellt, dem alle zustimmten; aus jedem Clan sollte eine Delegation die beiden aufsuchen und ihnen gleichzeitig und mit äußerster Vorsicht ein Messer in die Brust stoßen. Ein Bazargerücht warnte jedoch Mohammed und Abu Bekr, sie beeilten sich, ihre längst geplante eigene Flucht auszuführen.
Wenige Zeilen müssen notgedrungen den gewaltigen Sagenkranz, der sich um diese Flucht: die große Hedschra, gewoben hat, zusammenfassend schildern. Die Umrisse sind äußerst einfach. Da der Weg nach Medina und alle direkten Straßen versperrt waren, kamen die beiden überein, sich fürs erste in der Nachbarschaft zu verstecken. Auf einem seiner Ausflüge mit Chadidscha hatte Mohammed auf dem Gipfel des Berges Thor oder Thaurus etwa anderthalb Stunden von der Stadt entfernt eine Höhle entdeckt; diese sollte ihnen als Versteck dienen. Gegen Abend schlichen sie sich durch ein Fenster an der rückwärtigen Mauer von Mohammeds Haus in ein boykottiertes verödetes Quartier der südlichen Vorstadt, von wo sie unbemerkt ins Freie gelangten. Moderne Pilger versichern, daß der von ihnen zurückgelegte Weg (der heute eine verdienstvolle Wallfahrt bedeutet) immer noch ungemein steil und beschwerlich sei.
Früh am nächsten Morgen ging der Überwachungsausschuß der Korëisch vorsichtig gegen das leere Haus vor: Die Vögel waren ausgeflogen. Vorposten auf schnellen Kamelen wurden auf der Straße nach Medina aufgestellt und bewaffnete Banden suchten auf Meilen in der Runde die Gegend ab. Selbstverständlich kam göttlicher Beistand den Flüchtlingen zu Hilfe: Eine Spinne spann ihr Netz vor den Eingang der Höhle; zwei Wildtauben bauten vor der Mündung ihr Nest usw.; wie dem auch sei, sie wurden von den Korëisch nicht entdeckt, kamen nach fünf Tagen zum Vorschein, fanden einige Kamele, die die verschiedensten Helfershelfer aus der Stadt ihnen gestellt hatten und machten sich in Eilmärschen auf den Weg nach Medina. Der Tag ihrer Flucht, der Hedschra, war der 20. Juni 622; er bezeichnet den Anfang der mohammedanischen Zeitrechnung. Mohammed war damals dreiundfünfzig Jahre alt.
Medina, der spätere Mittelpunkt des Abenteuers, war unvergleichlich viel größer und wohnlicher als das verödete Mekka. Es lag in einem fruchtbaren Tale und war von einem Kranz Dattelpalmen, Hainen und Gärten umgeben, dem es mehr noch als dem Karawanenverkehr seinen Ruhm und Reichtum verdankte. Eine Schar frohlockender Getreuer zog Mohammed und Abu Bekr entgegen. Sogleich erhob sich die Frage ihrer Unterkunft, deren Lösung erheblichen Takt erforderte. Mohammeds immer wache Vernunft erkannte, wie ungemein gefährlich es war, in diesem Augenblick Eifersucht zu entfachen; einer glücklichen Eingebung folgend, ließ er daher seine berühmte Kamelstute, Al-Kaswa, die heikle Frage entscheiden. Die Reihen aufgeregt hadernder Anhänger teilten sich (erstaunlicherweise flößte Mohammed niemals Furcht ein), um das Tier durchzulassen, und alle folgten mit jener schweigenden Andacht, wie sie sich für diese Gelegenheit, halb Wette, halb theologische Offenbarung, ziemte. Al-Kaswa ließ sich Zeit. Gemächlich zottelte sie über den von Menschen wimmelnden Marktplatz und durch die Hauptstraßen, hielt gelegentlich, als wolle sie die Wartenden auf die Folter spannen, schnuppernd vor irgendeinem offenen Torweg und durchquerte so die ganze Stadt, bis sie einen menschenleeren Teil der Vorstadt erreichte. Hier, unter den Augen der ehrfurchtsvoll staunenden Menge, führte ihre Nase sie in den staubigen, vernachlässigten Hof eines verfallenen Wohnhauses, wo sie sich hinhockte. Sogleich traf man Anstalten, das Anwesen (das seit Jahren als Platz zum Anbinden der Kamele gedient hatte), zu kaufen, und alsbald wurde auf dem durch göttliche Eingebung gewählten Ort die älteste und berühmteste mohammedanische Moschee errichtet. In ihren Mauern schlug Mohammed für den Rest seines Lebens mit seinem Harem seinen Wohnsitz auf, und hier liegt er auch samt seinen beiden Nachfolgern, den Kalifen Abu Bekr und Omar begraben.
Die Medinaperiode Mohammeds ist durch eine Unmasse bis ins kleinste gehender Überlieferungen, die samt und sonders dem unverbrüchlichen islamischen Moral-, Sitten- und Gesetzeskodex einverleibt sind, verdunkelt und verbrämt worden. Diese Hagiologie ist psychologisch recht amüsant, aber der einheitliche Charakter Mohammeds, wie er zur Zeit der Satanischen Strophen oder gar bis zur Hedschra zutage tritt, ist jetzt gleichsam in eine andere Tonart transponiert. Kurz, der Prophet von Medina gebärdet sich nicht wie ein Mensch, sondern wie eine Institution; sein Abenteuer liest sich wie die Offenbarung einer streng majestätischen historischen Logik, er selbst wird mit einer einzigen Ausnahme zum reinen Werkzeug oder Lehrsatz. Diese eine Ausnahme ist seine Liebe zu Frauen, der er frei die Zügel schießen läßt. An Stelle von Chadidscha besaß er jetzt als Mittelpunkt eines anmutigen Kreises die kleine zwölfjährige Tochter Abu Bekrs, Aischa, welche als alte Frau aussagte: »Drei Dinge zog der Prophet allen anderen vor: Weiber, Wohlgerüche und gutes Essen, doch am meisten liebte er die Weiber.« Immer häufiger, sobald eine Gelegenheit sich bot, bereicherte er die Schar um ein neues Gesicht: Meist geschah dies, indem er sich bei dem Tode eines Anhängers dessen Witwe zulegte.
Der sachliche Teil seiner Geschichte zerfällt in zwei Abschnitte: in den seiner Beziehungen zu den Juden und in seinen Kampf gegen Mekka. Der Wissenschaftler bekommt eine Gänsehaut, sobald ihm bei seinem Eintritt in das seltsame Labyrinth frühester mohammedanischer Geschichte die Erkenntnis dämmert, daß die Juden, falls sie gewollt oder (wie Mohammed sich ausgedrückt haben würde) falls sie den Verstand dazu gehabt hätten, ohne weiteres den Islam hätten assimilieren können. Mohammed war – das hat selbst unsere summarische Skizze gezeigt – ihr Schüler und Nachahmer, ja zu Beginn seines Aufenthalts in Medina nahezu ihr Geschöpf. Die Bene-Nadir, Bene-Amar und andere reiche, kriegstüchtige und politischen Einfluß ausübende Juden öffneten ihm die Tore seiner Zufluchtsstätte, als seine eigenen Anhänger noch zu spärlich und arm waren, um auf die Ratschlüsse der Clanoberhäupter einzuwirken. Nach Jerusalem, der heiligen jüdischen Stadt, wandten in jenen frühen Tagen der Prophet und seine Getreuen beim Gebet ihre Gesichter; und wir besitzen auch heute noch ein Dokument, in welchem Mohammed den Juden ein für allemal ein Bündnis vorschlägt. Dieses ehrwürdige Denkmal einer versäumten (oder besser noch verschmähten) Gelegenheit bestimmt, »daß gemeinsam Krieg erklärt und Frieden geschlossen werden soll«. Ferner heißt es darin, »daß die jüdischen Stämme eins sind mit den Gläubigen« und, »daß wer immer sich unseren Unternehmungen anschließt, Hilfe und Beistand erhalten soll«.
Hinter all diesen Machenschaften steht die Kandidatur Mohammeds auf die Messias-Rolle. Wahrscheinlich unterstützte ihn ein Teil der Juden in diesem Bestreben. Sie hielten ihren Glaubensgenossen vor, daß es eine bessere Erfüllung der Prophezeiungen Jesaias nicht gebe als diesen überzeugenden Monotheisten, Talmudisten und Bekenner zur Integrität der Thora. Außerdem betonten sie, daß Mohammed weit eher als Bar-Kochbar ihnen zu der von den Realpolitikern so sehr begehrten militärischen Weltherrschaft verhelfen würde. Der Streit zwischen Mohammed und seinen Anhängern einerseits und den widerspenstigen Juden von Medina andererseits, dreht sich überraschender und bezeichnender Weise nicht um dasjenige, was wir einen Mangel an übernatürlichen theatralischen Wirkungen seiner Person nennen möchten, nicht um das Fehlen ungewöhnlicher atmosphärischer Phänomene zur Unterstützung seiner Ansprüche, sondern um die Frage, ob die Prophezeiungen, auf die beide Parteien sich stützten, sich, wie die Juden behaupteten, auf einen Sohn Davids oder lediglich auf einen Sohn Abrahams, eben jenen Ismael, bezögen. Dieser war bekanntlich der erste Araber, und daß Mohammed der Sohn eines Arabers war, wurde von niemand bestritten. Die Davidanhänger siegten, und die Welt wurde um eine jener Wiedervereinigungen der semitischen Rassen ärmer (oder reicher), die zu den fesselndsten Seiten im Buch der Kulturgeschichte gehören. Mohammed geriet in unbändige Wut und nahm eine Rache, die seinen Gegnern teuer zu stehen kam. Das Symbol dieses Bruches ist der plötzliche Wechsel der Kibla oder Orientierung der Moschee. Rund zwei Jahre nach seiner Ankunft leitete der Prophet die Gebete der Gläubigen in einem Gebäude in der Nähe Medinas, das später den Namen: »Moschee der beiden Kiblas« erhielt. Er hatte sich bereits zweimal in der Richtung Jerusalems verneigt, als Zorn ihn an der Kehle packte und er sich plötzlich der Richtung von Mekka und der Kaaba zuwandte. Alle Betenden taten es ihm nach. Hier scheiden sich die Wege von Judentum und Islam. Gleichzeitig geriet der Prophet in Verlegenheit bezüglich eines charakteristischen Signals, um die Gläubigen zum Gebet zu rufen; Glocken waren eine christliche Erfindung, und das Widderhorn der Juden, dessen man sich bisher bedient hatte, kam auch nicht länger in Frage. Da fiel ihm der weittragende Bariton Bilals, des Afrikaners ein; er befahl ihm, bei Morgengrauen das Minarett zu besteigen und die Litanei des ersten Muezzin zu sprechen: »Gebet ist besser als Schlaf. Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah –« und so fort.
Jetzt gelang es Mohammed, durch alle möglichen Überredungskünste, heimtückische Listen, Manöver und politische Kniffe sich zum anerkannten Herrn Medinas aufzuschwingen. Gestützt auf diese Macht, zog er aus, um sich an den Männern Mekkas zu rächen. Ohne sich um die heiligen Friedensmonate zu scheren, griff er ihre Karawanen an, sobald sie an seiner Feste vorüberzogen. Die Beute wurde mit seinen Anhängern in dem geheiligten Verhältnis von achtzig zu zwanzig geteilt. Die Begebenheiten, die sich auf seinen bewaffneten Raubzügen zutrugen, sind erstaunlich bunt und dramatisch. Seit tausend Jahren bilden sie die Quelle aller arabischen Märchenerzähler. Hamsa, Abu Bekr, Abu Safjan, das götzendienerische Haupt der Korëisch, Bilal mit der mächtigen Stimme und – stets in der Nachhut – der kleine geschminkte Prophet, der Schlachtrufe wie: »Ya Mansur Amit! (Schlagt zu, ihr Sieger!)« erfindet, dazu in allen kritischen Lagen das wohl abgepaßte Eingreifen Gabriels und seiner Heerscharen, »zahlreich wie die Ameisen«: so ungefähr lauten die Einzelheiten dieser Fabeln, die heute noch an jedem Lagerfeuer Afrikas und Vorderasiens besprochen werden. Im Laufe der Zeit wurde Mohammed immer beutegieriger und grausamer gegen seine Gefangenen; nur die hübschesten Mädchen konnten nach geschlagener Schlacht auf Gnade hoffen. Die beiden Hauptaktionen waren der Kampf bei Bedr und der Kampf bei Ohod; letzterer blieb unentschieden und führte zu einer Anklage wegen Verrats gegen die Juden. Ihre allmähliche Ausrottung und Verbannung aus Medina füllte sporadisch die nun folgenden Jahre aus. Nicht zufrieden mit dieser Rache an den Einwohnern der ihm jetzt völlig ausgelieferten Stadt, leitete Mohammed seinen Eroberungszug durch einen Überfall auf die benachbarten jüdischen Niederlassungen in der Wüste ein. In einem dieser Treffen fochten die Gläubigen unter dem »Adler«, der berühmten großen schwarzen Fahne, die nichts anderes als ein Hemd Aischas war. Nach dem Siege sandte Mohammed Bilal aus, um die junge jüdische Schönheit Safija, deren Ruf bis Medina gedrungen war, als seine persönliche Beute zu sichern. Absichtlich führte Bilal sie über das Schlachtfeld an dem Leichnam ihres Vaters vorbei, »damit ich Zeuge ihrer Furcht sei«. Trotz dieser Brutalität willigte sie ohne Sträuben ein, ihren Platz in Mohammeds Harem einzunehmen. Zeinab, eine andere Jüdin, war nicht so gefällig. »Sie bereitete eine junge Ziege gar zierlich zu und stellte das Gericht, nachdem sie es mit Gift getränkt hatte, mit freundlichen Worten beim Hochzeitsmahl vor Mohammed hin.« Mohammed aß einige Bissen und spuckte einen Mundvoll aus; seine Kommentatoren können sich des Empfindens nicht enthalten, daß er das Attentat hätte voraussehen müssen. Einer seiner Gäste aß mehr davon und starb an den Folgen; daraufhin wurde Zeinab den Verwandten des Propheten ausgeliefert und von ihnen zu Tode gefoltert. Er selbst aber soll sich, wenn wir seinen eigenen Klagen glauben wollen, nie von den Folgen dieser Vergiftung erholt haben; ja man nimmt an, daß er an ihnen starb. Hierauf gründet sich die allgemeine Anklage gegen die Juden, daß er durch sie den Märtyrertod erlitten habe.
Sieben Jahre nach der Hedschra schloß Mohammed einen Waffenstillstand mit den Korëisch, dann führte er seine Anhänger an den Wallfahrtsort, welcher vor langer Zeit seinem Abenteuer als Ausgangspunkt gedient hatte. Die Ungläubigen überließen ihnen die Stadt und lagerten sich draußen auf den Hügeln um abzuwarten. An der Spitze von tausend berittenen Pilgern und unter dem uralten Pilgergeschrei: Labbeik! Labbeik! erreichte der Prophet die Kaaba, wo er den Schwarzen Stein ehrfurchtsvoll mit seinem Stabe berührte. Obwohl Hobal und seine in Stein gehauenen Genossen immer noch die Kaaba bewohnten, bestieg Bilal die Mauer und ließ seine Aufforderung zum Gebet ertönen. Drei Tage darauf schlossen die Gläubigen ihre Häuser zu und kehrten nach Mekka zurück.
Die Einnahme Mekkas, die zwei Jahre später stattfand, war im Grunde eine ziemlich harmlose Sache. Die Streitkräfte des Propheten waren denen der Korëisch jetzt gewaltig überlegen. Aufruhr hatte die heimatliche Partei untergraben, und Mekka fiel, als Mohammed vor seinen Mauern erschien, fast ohne Streich. Sogar Abu Safjan nahm den neuen Glauben an. Nachdem Mohammed siebenmal, wie vorgeschrieben, die Kaaba umschritten hatte, wies er mit seinem Stabe nacheinander auf die verschiedenen Götzen, die man aus dem Heiligtume entfernt hatte. Sie standen, von dem mächtigen Hobal überragt, an der Mauer aufgereiht und harrten ihrer Hinrichtung. »Die Wahrheit ist gekommen!« schrie der Prophet, worauf ein Neger mit einem Beil jene uralten Vertrauten der geheimsten Wünsche des alten betenden Arabiens in Stücke zerhieb. Die Legende berichtet, daß sie dabei »geschrieen und geschluchzt« hätten. Die Kraft, die Mohammed vorwärts trieb, machte auch nicht eine Sekunde bei dem einst ungeahnten Triumphe halt. Ausdrücklich wird berichtet, daß er einem seiner Oheime das Familienprivileg, Wasser aus dem Brunnen Zem-Zem zu verkaufen, von neuem verlieh. Psychologisch bedeutsamer ist der Gedanke, sich den Königen und Fürsten dieser Erde anzukündigen. Einer seiner Gefolgsleute machte ihn darauf aufmerksam, daß solche Potentaten unversiegelte Schreiben nicht anzunehmen pflegten. Mohammed ließ sogleich ein silbernes Petschaft anfertigen, das in alten arabischen Lettern die Inschrift trug: »Mohammed, der Apostel Gottes.« Mit ihm versiegelte er seine Botschaften an den Kaiser von Byzanz und den Kaiser von Persien, an den Statthalter von Ägypten und den Satrapen von Syrien, indem er ihnen verkündete (die genauen Worte sind uns nicht überliefert worden), daß Gott abermals in das Wohl und Wehe der Menschen eingegriffen habe.
Die Botschaften wurden durch Boten seiner eigenen Leibwache überbracht. Wahrscheinlich erreichten die Leute alle ihr Ziel. Das Konstantinopeler Schreiben ging auf dem Wege durch das Labyrinth der Regierungsinstanzen verloren; das persische wurde in Stücke gerissen; (»Also, o Herr, entreiße du ihm sein Reich!« lautete Mohammeds Antwort); das an Ägypten trug ihm eine merkwürdige Antwort ein: Der römische Statthalter schickte ihm zwei schöne koptische Sklavinnen. Die eine, Miriam, schenkte Mohammed die Freude und Sorge seines Greisenalters: einen dicken kleinen Sohn, Ibrihim, für dessen Ernährung eine ganze Herde weißer Ziegen bereitgestellt wurde. Er starb aber schon im Säuglingsalter.
Jedoch Mohammed, den Abenteurer, hat das Abenteuer selbst verschluckt; es kann seine Persönlichkeit jetzt entbehren. Aus einer Wallfahrt ist es zu einer Schicksalslawine geworden, die Könige, Völker, Zivilisationen und Religionen unter sich begraben wird. Zwar sendet er auch im hohen Alter noch eine Unmenge verworrener Schriften, Flüche und Distichen in die Welt hinaus, Abd-ar-Rahman berichtet, er sei in der Nähe Mekkas Pilgern begegnet, die ihre Kamele zur Eile trieben. Sie schrieen: »Der Prophet hat eine Offenbarung«. Als er näher kam, sah er Mohammed auf einer Kamelstute sitzen, die sich auf merkwürdige Art aufführte, als befände sie sich in höchster Aufregung. Sie hockte sich hin, stand wieder auf, spreizte steif die Beine und trat um sich. Der Prophet aber schrie aus vollem Halse eine Sure. aber sie sind vornehmlich durch die Zwistigkeiten seines Harems angeregt.
Indes läßt sich aus diesem Wust neuer Gesetze, schwach erkennbar, ein bestimmter Plan herausschälen. Seine Anhänger sollen eine Räuberbande werden; er wird einen Banditenstaat gründen, die Gläubigen in Brigaden zusammenfassen; zu diesem ungeheuren Unternehmen, einem organisierten Plünderungszug durch die ganze Welt, ruft er seine gesamte Rasse auf. Und sie kamen alle. Wie Rauch eines nassen Feuers im Sturm ergoß sich die neue Religion durch die Wüste. Die Männer der Wüste, die Männer der zerstörten Städte, hungrige, magere Gesellen, stürmten der schwarzen Standarte zu oder schlossen sich den unwiderstehlichen Horden an, die sie bekämpfen sollten. »Leicht von Ohr, blutig von Hand; Schwein in Faulheit, Fuchs im Stehlen, Wolf in Gier, Hund in Tollheit, Löwe in Raubsucht«, hat sich der Araber endlich, endlich in Bewegung gesetzt. Jeder Mann erhält seinen Anteil an der Beute, erklärte Mohammed; die Abwesenden erhalten ihre Quote aus dem Fünftel des Propheten zugewiesen. Christen und Juden aber gehen leer aus, das ist ihre Strafe; sie stehen außerhalb des Unternehmens und sollen Tribut zahlen.
Im Juni 632 stirbt Mohammed, aber er ist nicht länger der Motor, sondern lediglich eine seltsam geschnitzte und bemalte Gallionsfigur an dem Abenteurerschiff. Er starb in Aischas Armen. Tapfer bestand er darauf, daß jeder der im Zimmer Anwesenden mit Ausnahme seines alten Onkels Al-Abbas mit ihm die Medizin teile. »Möge keiner unverarztet bleiben, denn ihr habt auch mich verarztet ...« Sein Nachfolger war Abu Bekr, dem wieder Omar folgte. Drei Jahre nach Mohammeds Tode eroberten seine Anhänger Damaskus, im nächsten Jahr zog sich der Kaiser von Byzanz aus Syrien zurück, nach weiteren fünf Jahren waren Ägypten und Persien in ihrer Macht. Ein Mann, der Mohammed noch als Knabe gekannt, hätte erleben können, wie die Grenzen des Islam sich von den Pyrenäen bis China ausdehnten. Genau hundert Jahre nach Mohammeds Tod erreichte die moslemitische Welle in Tours in Frankreich ihr äußerstes Ziel, und ohne die Reiterei Karl Martels wäre sie im folgenden Jahr in England gewesen.