Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich sah den jungen Heinrich, Sturmhut auf,
Die Schienen an den Schenkeln, stolz gewaffnet,
Wie der geflügelte Merkur vom Boden
So leicht gewandt in seinen Sitz sich schwingen,
Als schwebt ein Engel nieder aus den Wolken.
Shakspeare.
Beim ersten Morgengrauen sah man im sickingischen Lager mancherlei kriegerische Vorbereitungen in aller Stille treffen. Truppenmassen zogen vollständig gerüstet, ohne Waffengeräusch und Hörnerklang, in der möglichsten Geräuschlosigkeit aus ihren bisherigen Stellungen an verschiedene Punkte der Verschanzungen. Sturmleitern und Maschinen lagen zum Gebrauche bereit, und die Schützenmeister untersuchten genau den Zustand der Wurfgeschosse. Alles deutete auf nahen Sturm. Aber mit Sorgfalt suchte man den Wächtern auf Thürmen und Mauern der Stadt diese Vorbereitungen zu verbergen. Das Lagerleben begann wie gewöhnlich; es wurde gesungen, getrunken, gewürfelt, – allenthalben äußerlich jene thatlose Ruhe, die keinen nahen Kampf erwarten läßt.
Der Feldherr stand mit Faust unter dem Eingange des Zeltes und spähte zum Nolanerthurm hinüber. Ein weites, dunkles Gewand umhüllte die hohe, kriegerische Gestalt Sickingens, dem Feinde die blanke Rüstung verbergend, welche seine Glieder, mit Ausnahme des Hauptes, umgab.
Bereits waren einige Minuten der verabredeten Zeit verstrichen, zu der das Zeichen des Verraths sollte ausgesteckt werden. An der Nachtigall stand der Geschützmeister mit brennender Lunte, auf des Feldherrn Wink sogleich das Zeichen zum Sturme zu geben. In dichten Massen hatten sich die Truppen zusammengezogen, den Donner des Geschützes erwartend, um auf die ihnen angewiesenen Punkte loszustürmen. Ungewöhnliche Ruhe und gespannte Erwartung lag über dem Lager ausgebreitet und drohte des Feindes Aufmerksamkeit zu erregen.
»Teufel – die Fahne bleibt aus!« that Sickingen ärgerlich.
»Die Burschen scheinen allerdings unsere Geduld prüfen zu wollen,« entgegnete Faust. – »Kämpft Drachenfels in Eurer Rüstung heute?«
»Ja! – Fast reut's mich, den rothen Schlächter irre zu führen.«
»Des Feldherrn Person gehört dem ganzen Schlachtfelde und darf durch Zweikämpfe sich nicht binden lassen. Eure Vorsicht ist klug und nothwendig. – Aber seht, – was ist das?« und Faust deutete verwundert gegen die Stadt hinüber.
Die beiden Thorflügel des Nolanerthurmes gingen weit auf, die Fallbrücke rasselte nieder, und aus dem dunklen Thorwege zog, in glänzendem Waffenschmuck, ein stattlicher Zug gegen das Lager heran. An der Spitze unterschied man deutlich die Gestalt des Herolds mit den wallenden Federn auf dem Hute, dem Stabe mit goldenem Knopfe und dem buntfarbigen Wappenrock. Unmittelbar auf ihn folgten zwei Gewappnete, deren blanker Rüstung die Sonne fortwährend lichtes Funkeln und Flimmern entlockte. Gleich hinter den Rittern, – man erkannte ihn am rothen Helmbusch, an der schwarzen Rüstung und an der in der Ferne schon bemerkbaren stolzen kriegerischen Haltung, – ritt Heinrich von Windstein. Bei seinem Anblicke wurde Franz sichtlich betroffen. An den Junker schloß von Edlen und Reisigen sich ein langer Zug, dessen Waffenschmuck, leuchtende Rüstungen und wallende Helmbüsche einen prächtigen, majestätischen Anblick darboten.
»Was soll dies heißen?« unterbrach Sickingen das Stillschweigen.
»Windstein fordert Euch zum Zweikampfe!«
»Ihr habt Recht – ha! Was ist zu thun?«
»Seht das Fähnlein am Thurme,« deutete Faust hinüber. »Auf – gebt das Zeichen zur Schlacht, bevor die Herausforderung kommt. Vorwärts, – den Zweikampf müßt Ihr vermeiden,« drängte er, als Sickingen zögerte. »Der Feind ist unvorbereitet, seine Mauern sind an vielen Stellen entblößt und mit gaffenden Weibern besetzt.«
»He da – die Nachtigall!« befahl Sickingen dem Büchsenmeister.
Ein lichtes Flämmchen flackerte auf, aus der Mündung des Geschosses fuhr ein Feuerstrom und der Donner rollte über Stadt und Lager.
Noch hatte der Donner nicht ausgedröhnt, in dumpfem Nachhall Thürme und Mauern der Veste umbrausend, als die Truppen, unter wildem Kriegsgeschrei, aus den Verschanzungen hervorstürzten. Betroffen hielt Windsteins Zug. Eine Schaar Bewaffneter stürzte aus dem Lager mit flatternden Fahnen, blitzenden Waffen und herausforderndem Kriegsgeschrei gegen ihn heran. Zagen und Entmuthigung bemächtigte sich der Trierer. Im Augenblicke aber hielt Windstein an der Spitze, mit weithin schallender Stimme zum Streite und muthiger Gegenwehr mahnend. Abermals bestätigte hier die Erfahrung, wie bei Gefahren Besonnenheit und Tapferkeit eines Einzigen den sinkenden Muth Vieler aufzurichten und zu entflammen vermag. Die wenigen Ritter des Zuges hatten sich schnell um Windstein gesammelt, und sprengten nun mit eingelegten Lanzen und so vieler Zuversicht gegen den Feind, als ließe dessen maßlose Ueberlegenheit wirklich den Sieg hoffen.
Heinrich durchbrach die vorderen Reihen der Sickingen'schen, wurde aber von den Kampfgenossen abgeschnitten, die seinem Ungestüm nicht folgen konnten. Den geharnischten Streithengst mitten in das dichteste Gewühl spornend, verbreitete er Tod und Verderben um sich her. Die schweren Schläge seines langen Schwertes hallten durch das Gerassel und Getöse der Schlacht, die mehr einem Sturme auf Windstein glich, der unbeweglich, einem Thurme inmitten der Brandung ähnlich, die grimmen Anfälle der Feinde aushielt. Endlich gelang es den Trierern vorzudringen, und wahrscheinlich wäre an diesem Punkte das Treffen zum Nachtheile der Sickingen'schen entschieden worden, – da zog ein Zufall den Windsteiner vom Kampfplatze. In geringer Entfernung gewahrte er nämlich Huttens Wappenschild. Der Anblick des nichtswürdigen Entführers steigerte den Grimm des jugendlichen Helden im höchsten Grade. Den zunächst ihn bedrängenden Feind niederschmetternd, brach er über dessen Leiche weg, Hutten entgegen. Dieser bemerkte jedoch rechtzeitig das nahende Verderben und wich zurück.
»Halt Elender, – stehe Memme!« schrie Windstein ihm zu.
Herr Ulrich stand aber nicht, sondern sprengte in eiliger Flucht querfeldein. Die Entfernung wurde zwischen Beiden immer größer, da Windsteins schwer geharnischtes Streitroß zum Verfolgen nicht geeignet war, indeß Huttens Pferd solche Last des Reiters und der Rüstung nicht zu tragen hatte. Wahrscheinlich wäre auch Ulrich entkommen, allein Kurd, der seinen Herrn nicht aus den Augen verlor und jetzt mit seinem reisigen Troß folgte, holte den Flüchtigen bald ein und brachte ihn durch einen kräftigen Schlag der Streitaxt zum Stehen.
»Ihr könnt vortrefflich Reißaus nehmen,« rief der Rottmeister. »Hört Ihr meinen Herrn nicht schreien?«
»Nimm diesen Beutel voll Gold und laß mich entweichen,« bat Ulrich, mit Schrecken dem nahenden Feinde entgegenblickend.
»Und wenn Ihr Eure Ritterehre noch dazu in den Kauf gebt, sollt Ihr doch keinen Schritt weiter laufen,« – entgegnete der unbestechliche Rottmeister. »Macht's mit meinem Herrn aus, da ist er.«
»Zu den Waffen Elender!« donnerte Windstein den erbleichenden Junker an. »Vorwärts Memme, – vertheidige Dich!«
»Heinrich,« – begann Hutten mit kläglicher Stimme, ohne alle Gegenwehr den Streichen des Gegners sich stellend; »weßhalb verfolgst Du mich? Findet Dein hungriges Schwert nicht Opfer genug vor Trier?«
»Bube, – ficht und stirb!«
»Wahr, der Tod ist mir gewiß, vor Deinen Streichen flieht das Leben! Aber Heinrich – höre mich, bei Deiner Liebe zu Margareth!«
»Was Elender? Jene wagst Du zu nennen, an welcher Du tausendmal den Tod verdient?«
»Sei nicht vorschnell, – meine Gewaltthat, wozu blinde Liebe mich trieb, ist nicht unritterlicher, als Dein Beginnen.«
»Mein Beginnen ehrwidrig? Wovon träumt Ihr?« – und Windstein ließ, betroffen über diese Anklage, sein Schwert sinken.
»Ueberaus ehrwidrig – ja, – so unaussprechlich ehrwidrig,« fuhr Hutten mit steigendem Muthe fort, als er Windsteins wachsendes Staunen bemerkte, »daß Eure That die meinige zehnmal überschreit.«
»Wovon schwätzt er nur? Seid Ihr bei Sinnen?«
»Vollkommen, – hört nur! Ihr selber könnt beurtheilen, ob des Fräuleins Reize im Stande sind, ein leicht entzündbares Herz zu unkluger, unritterlicher That zu verleiten; – doch keine Entschuldigung! – Schwer lastet mir das Vergehen auf der Seele, – bitter bereute ich es,« setzte er im Tone des reuigen Sünders hinzu; – »mein Verhalten nach vollbrachter That zeugt dafür. Sie war in meiner Gewalt, – allein ich floh den Drachenfels, – für immer einem Wesen entsagend, dessen ich unwürdig bin. Wie könnte auch ein Sterblicher voller Mängel mit diesem reinen, makellosen Engel des Lichtes sich vermählen wollen!«
Hier schwieg er, wobei der Schmerz über das verlorne Glück und das Bewußtsein eigener Unwürdigkeit für dessen Besitz, seinen Zügen sich lebhaft einprägte. Diese Wahrnehmung entwaffnete Windsteins Zorn; denn wie konnte er einem Manne grollen, der Margareths Vorzüge fast höher schätzte, als er selbst?
»Indessen tröstet mich die Gewißheit,« – fuhr Ulrich fort, »daß sie von der schmählichsten That meines Lebens nichts ahnt, – den ganzen Vorfall hält sie für die Anordnung ihres Vaters. Der Alte ist klug genug, ihr diese Meinung zu lassen; – mit Sickingens Genehmigung ritt Fleckenstein bereits gegen Drachenfels, seine Tochter heimzuholen. – Hieraus seht Ihr, daß Liebe mich allerdings zu einem verkehrten Streiche trieb, dem jedoch meine Reue alle schlimmen Folgen benahm. Euch aber, Herr Ritter, – Euch treibt Eifersucht zur Rache, – und Rache zum unritterlichen Verlassen des Schlachtfeldes. Ueberlegt nun, wer von uns beiden im Punkte der Ehre tiefer steht.«
Windsteins überlegendes Schweigen schien allerdings den Vorwurf persönlicher Rachsucht zu bestätigen. Mit Wohlgefallen bemerkte Hutten den Eindruck seiner Rede, fest überzeugt, daß sein hochherziger Gegner zu Handlungen unfähig sei, welche seine Ehre zu beeinträchtigen schienen.
»Kann jedoch mein Tod Euren Ruhm vermehren, oder Eurer Großmuth in Margareths Augen Gewinn bringen – gut! Ich bin fertig und stehe zur Befriedigung Eurer Rachsucht bereit.«
»Er könnte Recht haben, – er könnte!« sprach Windstein unentschlossen. »Nicht um die ganze Welt darf meine Ehre durch Befriedigung persönlicher Rachsucht befleckt werden! Nein, man soll nicht sagen, Heinrich von Windstein habe das Schlachtfeld verlassen, um seinen Nebenbuhler zu erschlagen. – Dennoch möchte ich das Reich von einem Menschen befreien, dessen Tritte Unheil und finstere Thaten begleiten.«
»Für Eure Absicht gäbe es eine Bürgschaft, sicherer noch als mein Tod,« sagte Hutten schnell.
»Mein Ehrenwort!«
»Euer Ehrenwort?« wiederholte Heinrich im Tone des Zweifels.
»Herr Ritter!« rief Ulrich mit erkünstelter Entrüstung. »Manche Fehler mögen mir ankleben, – aber mein Ehrenwort ist heilig, niemals brach ich es!«
»Gut! Verbürgt, niemals wieder den Waasgau zu betreten, weder durch Schwert noch Feder Kirche und Reich fernerhin zu befehden!«
»Ihr habt hierauf mein Ritterwort, – festere Bürgschaft, als mein Tod!«
»So geht und lebt! Möchten wir uns niemals wieder begegnen!« sprach Heinrich und schwenkte das Pferd.
»Ich gehe, – ja wohl!« höhnte Hutten vor sich hin. »Ich gehe, blöder Junge, – ich gehe nach Arnsberg, hole schön Greth ab und verschwinde im Himmel göttlicher Genüsse,« – und er trieb sein Pferd an, den nahen Wald zu erreichen.
»Ist dies der Ausgang?« murrte der Rottmeister, als er Hutten davon reiten sah. »Wie möchte ich solchen Schuft entwischen lassen?«
»Still Kurd, – dies verstehst Du nicht! Sein Tod durch meine Hand, dazu unter solchen Umständen, würde meiner Ehre schlecht anstehen. Für den Hutten will ich aber hundert Andere erschlagen. – Wie steht die Schlacht?« – und er schaute gegen Trier hin, welches der vorspringende Hügel zwar verbarg, das unablässige Getümmel und Schlachtgeschrei verrieth aber die Hitze des Kampfes. In geringer Entfernung sprengte eine bedeutende Reiterschaar den Hügel hinauf, wohl in der Absicht, von der Höhe auf Windsteins Troß herabzustürzen.
»Seien wir auf der Hut! Jene dort führen nichts Gutes im Schilde,« meinte der Rottmeister.
»Ein Thor, der sich dem herabstürzenden Felsen in den Weg wirft, da er ihm ausweichen konnte,« tadelte Kurd, als Windstein zögerte.
»Wohl gesprochen,« entgegnete der Junker; »wir dürfen zu der Ueberzahl ihnen nicht den Vortheil des Bodens lassen. – Auf, – kommen wir dem Anfall zuvor!«
Mit diesen Worten sprengte er an der Spitze seines Trosses die Anhöhe hinauf.
Fast zu gleicher Zeit mit den Letzten der feindlichen Reiter, langte Windstein an dem Gipfel des Hügels an. Der breite angebaute Rücken desselben zog bis zu den nahen waldigen Bergen, in der Richtung gegen den Feind allmälig emporsteigend. Diese ungünstige Stellung war um so bedenklicher, als der Feind wohl um das Zwanzigfache des Junkers kleine Schaar überstieg. Tollkühn mochte daher das Unternehmen der winzigen Minderheit erscheinen, einer Macht die Stirne zu bieten, welche sie schon durch ihre Wucht erdrücken zu müssen schien. Allein die Reisigen verriethen nicht den geringsten Kleinmuth, gleichsam blind für die drohende Gefahr; ihr Herr kämpfte ja an ihrer Spitze, und niemals führte er sie zur Niederlage.
»Welche Frechheit!« zürnte Windstein, das Reichswappen in der Hand des feindlichen Anführers gewahrend. »Ha – die Schurken wagen es, unter dem heiligen Banner unseres Reiches ihre Verrätherei auszufechten, – mit ihrem Blute sollen sie für solche Keckheit büßen!«
»Langsam Herr – langsam!« rief Kurd. »Schaut Euch einmal das Fähnlein hinter dem großen Banner an, – trägt's nicht das Wappen der Grafen von Virnenburg?«
»Bei Gott, Du hast Recht! Sollten es wirklich Freunde sein? Schnell, blast zum Unterhandeln.«
Das Zeichen ertönte gerade noch rechtzeitig; denn bereits hatten die feindlichen Reiter zum Anstürmen die Lanzen eingelegt. Ohne die Antwort auf das gegebene Zeichen zu erwarten, ritt Windstein in Begleitung seines Fahnenträgers dem Feinde entgegen. Plötzlich stieß auch der Anführer der anderen Partei das blitzende Schwert in die Scheide, sprengte gegen Heinrich heran und bald genossen die beiderseitigen Schaaren das überraschende Schauspiel, ihre Führer sich in Freundschaft umarmen zu sehen.
»Willkommen mein Dagobert!« rief Windstein, den jungen Grafen von Virnenburg umhalsend, welcher jene fünfhundert Reiter befehligte, die, aus Pfälzern und Hessen bestehend, von den Einungsfürsten dem bedrängten Trier eiligst zur Hilfe geschickt wurden. »Aber woher und wohin? Dazu an der Spitze solcher Macht?«
»Welche beinahe Deine Löwenklauen zerrissen hätten,« scherzte Virnenburg. »Daß ich Dich nicht sogleich erkannte, – Dich, meinen herzenstrauten Freund! Nicht wahr, Heinrich,« – setzte er in ängstlicher Erwartung bei, »wir sind Freunde, – Du kämpfst gegen Sickingen?«
»Meine Trägheit verdient allerdings diese Frage,« entgegnete Windstein etwas verlegen. – »Verblendung war's, das Schlachtfeld zu verlassen. Bei Gott, sie haben die Veste erstürmt! Auf – werfen wir die Schelme wieder hinaus!«
In der That sah man Sickingens Schaaren unaufhaltsam durch das Nolanerthor drängen, indeß an anderen Punkten der Sturm unentschieden schwankte. Sogleich wurde ein kurzer Kriegsrath gehalten und beschlossen, den genommenen Thurm geradezu anzugreifen. Dreihundert Reiter sollten hiebei den Rücken decken, das weitere Vordringen der Sickingen'schen abhalten, deren Rückzug jedoch nicht verhindern.
»Werden nicht Viele zurückkommen!« meinte Kurd, als sein Herr das Reichsbanner ergriff, und das mächtige Schlachtschwert in der Faust, sich an die Spitze der kampfesmuthigen Schaar stellte.
»Unsere Frau und St. Georg!« rief des Ritters weithin schallende Stimme.
Das Loosungswort hallte durch die Reihen, die Feldzeichen ertönten und wie Felsstücke mit zunehmender Gewalt von den Bergen nieder stürzen, so brauste die Reiterschaar die Anhöhe hinab. Unter den Hufschlägen der Pferde dröhnte die Erde, dichte Staubwolken wirbelten auf, durch welche die blanken Waffen Blitze schossen und selbst in der Luft schien ein hohles unheimliches Donnern vernehmbar. Der Fuß des allmälig abfallenden Hügels erstreckte sich bis zum Orte, wo die Sickingen'schen in dichten Schaaren gegen den Nolanerthurm vordrangen, – darum geschah der Reiteranfall mit unwiderstehlicher Gewalt. Jene Schaar Lanzenknechte, welche man in aller Eile vorgeschoben, den plötzlich drohenden Angriff zu schwächen, wurde wie Spreu auseinandergeworfen. Die übrige zusammengedrängte Truppenmasse war sich selbst hinderlich und zu nachdrucksvollem Widerstande unfähig. Viele hatten vorher die lästigen Waffen weggeworfen, um leichter durchzudringen und beim Beutemachen nicht zu spät zu kommen. Der plötzliche, ungestüme Anfall brachte daher große Verwirrung hervor. Manche liefen davon und schrieen nach ihren Waffen; Andere suchten ohne Ordnung, ohne Leitung und Führer Stand zu halten.
Windstein brach indessen wie ein verheerend Wetter durch den Feind, Alles niederwerfend, was ihm Widerstand leistete. Eigenthümlich schien hiebei das Benehmen dieses gefürchteten Kriegers. Anfänglich schlug er nur die ihn Angreifenden nieder, einzig bedacht, den Thorweg zu erreichen. Da aber bald ein Wald von Sperren ihm entgegenstarrte und der Kampf gefährlich wurde, erwachte des Ritters Grimm. Oftmals sich im Steigbügel erhebend und durch das Helmgitter abschreckende Laute der Wuth stoßend, raste sein blutiges Schwert durch die feindlichen Massen. Der Tod selber schien ihm die unerbittliche Sense in die Hand gegeben zu haben; denn er häufte Leichen auf Leichen und die unerschrockensten Lanzenknechte überkam Zaghaftigkeit beim Anblicke dieses Würgers. Auf der Brücke und am Thorwege wurde in dem erstickenden Gedränge das Gemetzel noch schrecklicher. Viele stürzten in den tiefen mit Wasser angefüllten Wallgraben hinab, und über die Leichen sich emporarbeitend, starrten sie mit Augen des Schreckens hinauf zu dem über ihrem Haupte tosenden Schlachten. Andere umfaßten Ketten und Pfosten, um gegen das Hinabstürzen sich zu schützen, indeß aus tiefen Wunden ihr Blut rann, das Wasser im Graben einem Blutbache noch ähnlicher zu machen. Und mitten durch das blutige Gewühl, hoch zu Roß, das stolz wogende Reichsbanner in der Linken, drang Heinrich von Windstein. Dort fiel auch Kleinschmied, der Gerbermeister, durch seine Hand. Dieser Verräther hatte bisher die Hereinstürmenden als Freunde und Brüder begrüßt und nicht unterlassen, den siegreichen Einzug als Werk seines Verdienstes darzustellen.
Während die Hessen und Pfälzer unter Windsteins Führung bis zum Thore vordrangen, setzte Franz von Sickingen den blutigen Einzug durch die Straßen fort, ungeachtet der aus Fenstern und von Dächern herabstürzenden Steine, Balken und siedender Flüssigkeiten. Ohne die im Rücken drohende Gefahr zu ahnen, brach er unaufhaltsam durch die Feinde, welche mit dem Muthe der Verzweiflung kämpften. Jeder Schritt mußte mit Opfern erkauft werden. Da aber Sickingen Wunder der Tapferkeit vollbrachte und die ihn umgebenden Ritter um den Preis glorreicher Waffenthaten zu ringen schienen, lichteten sich die feindlichen Reihen immer mehr. Bei der Mündung einer zweiten Straße entbrannte der Kampf mit doppelter Heftigkeit; denn es eilten frische Truppen den Hartbedrängten zu Hilfe. Der Feldhauptmann griff an der Spitze einer tapferen Schaar die neue Straße an, indem er Hans von Drachenfels befahl, in der bisherigen Straße allen Widerstand zu brechen.
Drachenfels beantwortete des Feldherrn Befehl dadurch, daß er den Grafen von Isenburg, einen Bruder des Feldobristen, niederstreckte. Ueberhaupt machte Hans der Rüstung alle Ehre, welche er trug und Sickingen täuschte sich nicht, wenn er einen der tapfersten Degen jener Zeit in seinen Waffen und Zeichen kämpfen lassen wollte. Bis in die Nähe des Domes war Drachenfels bereits vorgedrungen und die feindliche Schaar derart zusammengeschmolzen, daß man deren Schluß in geringer Entfernung wahrnahm. Zuweilen erhoben die Sickingen'schen zum Voraus ein wildes Siegesgeschrei; denn bei ihrer ungeheueren Ueberlegenheit mußten voraussichtlich die Vertheidiger unterliegen, welche jetzt allmälig auf den Domplatz zurückwichen. Das erwähnte Siegesgeschrei wiederholte sich hier in verstärktem Maße, als plötzlich die großen Thorflügel der Cathedrale aufgingen und im stillen Kerzenschein das edle Metall der Altäre leuchtete und funkelte. Der Churfürst selber hatte das Thor zu öffnen befohlen, wohl aus dem Grunde, weil er die Kathedrale nicht zur Festung machen wollte, und durch diesen vergeblichen Widerstand der Feind nur gereizt und zur gründlichen Verheerung des Gotteshauses veranlaßt werden konnte. In den Stühlen und im mittleren Gange sah man erschreckte Frauengestalten knieen und am Altare den Erzbischof im prangenden Ornate. Schaurig drang der Waffenlärm durch die hohen, weiten Hallen der Kathedrale. Die dumpfen Ausbrüche der Wuth der Kämpfenden und das Gestöhn der Fallenden, vermischte sich ergreifend mit dem immer mehr verhallenden Gebete in der Kirche.
»Vorwärts Kameraden!« feuerte Drachenfels die Seinen an. »Kämpft wackere Gesellen, – reiche Beute erwartet Euch!« Dabei machte er Anstrengungen, die sein Bestreben verriethen, beim Beutemachen nicht unter den Letzten zu sein.
Des Führers Ermunterung folgte wildes, stürmisches Kriegsgeschrei, kaum wich aber dieses einem dumpfen Waffengetöse, als im Rücken der Kämpfenden, gegen das Nolanerthor hin, Schlachtgetümmel entstand. Dieses wuchs fortwährend an, und bald brauste es in Aeußerungen der Verwirrung und des Schreckens durch die Straße.
»Was gibt's dort hinten?« rief Drachenfels, sein Pferd schwenkend. »Bei Gott, der Feind hat uns im Rücken angefallen! He – Knebel, übernimm meinen Posten!«
Nachdem Drachenfels die Fortsetzung des Kampfes der Leitung eines Edelmannes anvertraut hatte, welcher an seiner Seite kämpfte, ritt er, von einem tapfern Haufen umgeben, gegen den Nolanerthurm. Diese rückgängige Bewegung konnte ohne besondere Schwierigkeit ausgeführt werden, da die Gewalt der entgegenströmenden Masse gleichsam in ihrer Quelle gebrochen schien. Alles horchte erstaunt und erschreckt gegen das nahende Getümmel und Waffengerassel.
Bald erblickte Drachenfels das Reichsbanner, wie es ruhig und ernst über der Schlacht wogte. Ebenso verstand er deutlich den Schreckensruf: »Der rothe Schlächter!« – und Viele sahen mit weit aufgerissenen Augen gegen die in geringer Entfernung vordringenden Pfälzer und Hessen, – an ihrer Spitze die hervorragende, blutrothe Gestalt Windsteins. Dieser kämpfte in der eben angedeuteten Weise fort, ohne die geringste Kraftabnahme in Führung der Waffen zu verrathen. Des dichten Gedränges wegen hatte er zum Streithammer, der mörderischsten Waffe jener Zeit, gegriffen. Sie war ungefähr zwei Fuß lang, ganz von Stahl und hatte oben gewöhnlich einen Hammer. Windsteins Waffe dagegen zeigte an der Stelle des Hammers sechs hervorspringende, durchbrochene Zacken. Furchterregend krachten die Schläge dieser Waffe durch die Straße, wenn sie Helme zerschmetterte und Halsbergen durchbrach. Seine Rüstung war über und über mit Blut bedeckt, so daß es schien, er habe sich in einem Blutstrome gebadet, – vollkommen durch diese abschreckende Außenseite den Beinamen erklärend, welchen der allgemeine Ruf ihm gab. Das Streitroß sah nicht besser aus, als sein Herr und die erbitterten Stöße, welche es manchmal mit der eisernen Spitze der Stirnrüstung gegen den Feind führte, bewiesen, daß Herr und Thier vom Geiste des Würgens besessen waren. Manches schöne Frauenauge blickte mit Bewunderung auf den heldenmüthigen Ritter nieder und Vielen glich er einem St. Georg, der zu ihrer Erlösung herbeieilte.
»Fegt die Straße nicht gar so säuberlich, – laßt auch uns was übrig!« jauchzte Kurd im Rücken seines Herrn.
»Dort schmettere mir den Kerl nieder!« rief Windstein, gegen Sickingens wackeren Rottmeister Christoph hinweisend, welcher eben Heinrichs Reitknecht Veit erschlagen hatte.
»Was Du Schuft?« schrie Kurd den Sieger an. »Hast Du nicht Bruderschaft mit ihm getrunken und jetzt schlägst Du ihn todt?«
»Bei solchem Tanz gilt Duzbruderschaft keinen Heller!« rief der Rottmeister, ebenfalls sich bemühend, mit Kurd handgemein zu werden.
»Laßt ihn Gesellen, – mein ist er!« schrie Kurd, als die Hessen den kecken Reisigen angriffen, der ohne den Gebrauch der Waffe mitten unter sie hineinritt, einzig bemüht, seinen ehrenwerthen Standesgenossen zu erreichen.
»Jetzt aufgepaßt Großmaul!« rief Christoph, nachdem er auf Hellebardenlänge zu Kurd herangedrungen. »Nur Eins noch, – zwingst Du mich, – denk' an meine arme Seele; denn ich glaub', St. Peter wird sie nicht gleich durch die Pforte lassen.«
»Hast doch noch einiges Christenthum im Leibe, obwohl Du Deinen Duzbruder erschlugst,« meinte Kurd. »Vorwärts jetzt, – fall' aus, – der sitzt! Potz Wetter, – piff – paff! Dank dem Schmiedehans für die Stahlhaube!« – rief Kurd zwischen die Stöße und Hiebe, welche er entweder empfing, oder austheilte.
Ihr Zweikampf wurde leider oftmals unterbrochen durch dazwischen stürmende Krieger, welche so rücksichtslos waren, beide Rottmeister ihren Handel nicht ruhig ausfechten zu lassen. Zuletzt wurden sie gar gezwungen, an dem Waffenstillstande Theil zu nehmen, wozu die Trompeten laut aufforderten.
Windstein hatte nämlich Drachenfels erblickt und durch die Rüstung getäuscht, in ihm Sickingen erkannt. Aus Furcht, der Feldhauptmann möchte abermals seinen Streichen entgehen, ließ er eine Herausforderung blasen; sogleich wurde diese erwiedert und es schwieg der Kampf. Zwischen beiden Gegnern bildete sich eine schmale Gasse. Während Beide ihre Waffen prüften, – was Windstein nur oberflächlich, Drachenfels hingegen mit aller Genauigkeit that und mehrere Lanzen zurückwies, deren Schaft für den beginnenden Streit ihm zu schwach schien, – erwarteten die beiderseitigen Waffengenossen in ängstlicher Spannung den Beginn des Streites. Man erkannte nämlich den bedeutungsvollen Ausgang des Zweikampfes für den Kampf im Allgemeinen, indem die betreffende Partei durch den Fall ihres Führers ebenso entmuthigt, wie die andere angefeuert wurde. Windstein hatte das Reichsbanner an Virnenburg abgegeben, und bevor er die Lanze einlegte, erhob er das Visir, dem Gegner mit einer von Leidenschaft zitternden Stimme zurufend:
»Franz von Sickingen, – Verräther an Kirche und Reich, bist Du in der Lage vor Deinem ewigen Richter zu erscheinen?«
Es erfolgte eine Erwiederung, welche in der Wölbung des Helmes zum unverständlichen, zornigen Brummen erstarb. Die Trompeten ertönten und Beide sprengten gegeneinander los. Krachend trafen die Ritter zusammen und ihre Lanzenschafte zersplitterten in viele Stücke. Drachenfels wankte augenblicklich, sogleich aber saß er wieder fest und dem Beispiele des Gegners folgend, griff er zum Schwerte. Nun war der Kampf schnell entschieden. Hans fing mit vielem Geschicke die verderblichen Streiche auf, oder wich ihnen aus. Dagegen suchte er mit seinem langen spitzigen Eisen durch die sich verschiebenden Fugen an Windsteins Rüstung durchzudringen, der sich unkluger Weise viele Blößen gab und bereits an mehreren leichten Wunden blutete. Die Empfindung der Wunden reizte den starken Junker zu außerordentlichem Grimme. Er trieb sein Roß hart an Drachenfels heran, faßte mit beiden Händen das Schwert, welches blitzschnell durch die Luft zischte, und im nächsten Augenblicke sank Hans mit gespaltenem Helm und Haupte vom Pferde. Stürmisches Siegesgeschrei begleitete des falschen Sickingen Fall. Heinrich blieb nicht einmal Zeit, nach Sitte und Brauch dem Gefallenen Gnade anzubieten, wenn anders er derselben noch bedurfte; denn wie ein reißender Strom brachen die Pfälzer und Hessen über die Leiche weg, Alles zusammenhauend, was nicht die Waffen wegwarf und sich ergab. Zu seinem größten Leidwesen mußte Kurd sehen, daß Christoph von einem Ritter niedergehauen wurde, wofür dagegen der erbitterte Rottmeister die Sickinger in doppeltem Maße die Kraft seines Armes fühlen ließ.
Der Feldhauptmann war indessen siegreich bis zum Koritzerthor vorgedrungen und hatte gerade dasselbe den außen Stürmenden öffnen lassen, als ein verwundeter Reisige die Kunde von der erlittenen Niederlage überbrachte. In demselben Augenblicke hörte man das ferne Waffengetöse wie daher brausender Sturm näher kommen. Windstein sprengte an der Spitze der Seinen heran. Anstatt dem nahenden Feinde die Stirne zu bieten, ließ Sickingen zum Rückzuge blasen, und die erstaunten Krieger sahen Franz unter den Vordersten, welche in stürmischer Eile durch das Thor flüchteten. Niemals wich unter ähnlichen Verhältnissen Sickingen dem Feinde, – aber diesmal überwog die Macht des Aberglaubens seinen unbändigen, trotzigen Muth.
Windstein verfolgte die Flüchtigen, welche erst hinter den Wällen des verschanzten Lagers gegen die Verfolgung des unersättlichen Würgers Schutz fanden.
Noch in derselben Nacht brach Sickingen das Lager ab und zog in Eilmärschen davon. Zum Danke für die glückliche Rettung aus der Hand beutegieriger und mordlustiger Feinde ließ der Erzbischof ein feierliches Tedeum anstimmen. Die altehrwürdigen Hallen der Kathedrale füllten sich mit Andächtigen, und selten mochte eine so zahlreiche Versammlung dem allgewaltigen Lenker menschlicher Schicksale innigeren, aufrichtigeren Dank dargebracht haben, als es hier geschah.
Auch Heinrich von Windstein befand sich unter den Andächtigen. Er hatte das blutbefleckte Eisenkleid abgelegt und seine jugendlich schöne Gestalt in prächtige Rittertracht gehüllt. Als er nach Vollendung des Gottesdienstes aus dem Dome trat, umringten ihn dichte Gruppen, in ergreifender Weise dem starken Helfer ihre Dankbarkeit ausdrückend. Hohe Schamröthe färbte hiebei das Angesicht des bescheidenen Jünglings, und als Greise, Mütter und Kinder den Saum seines Kleides küssten und seine Hände mit Thränen benetzten, wurde er selber bis zu Thränen gerührt. Bis zur Hofburg des Churfürsten folgten sie ihm, wo Heinrich Herberge genommen, und er war froh, Ehrenbezeugungen entronnen zu sein, die alles Maß zu überschreiten und jene Verehrung anzunehmen drohten, wie sie unter allen Geschöpfen nur den Heiligen gebührt.