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Wer's seinem Freund
Auch treu und redlich meint,
Ist, wie mich dünkt, werth,
Daß Gott und Welt ihn ehre.
Athenäos.
Windsteins blutiges Gemetzel bildete den ganzen Tag hindurch den fast ausschließlichen Inhalt des Gespräches in und außerhalb der Stadt. Man bewunderte des Junkers außerordentliche Stärke und Kühnheit. Erblickten auch nicht Alle in der Rettung des Mönches eine edle That, so wagte doch Niemand, Jenen zu widersprechen, die Heinrichs Heldenmuth und Edelsinn priesen.
Besondere Freude über Windstein's Blutarbeit empfand Ulrich von Hutten; denn er gedachte dieselbe zu des Nebenbuhlers Verderben auszubeuten. Er stellte eine wohlberechnete Anklage gegen Windstein zusammen, worin dessen grausames Verfahren gegen die Neugläubigen nicht den letzten Platz einnahm. Er hoffte mit Gewißheit, Sickingen zur Gewaltthat gegen einen Mann treiben zu können, mit dem er bei Verlust der Volksgunst nicht befreundet sein durfte. Auch unterließ er nicht, einige seiner Getreuen das Volk gegen Windstein hetzen und schüren zu lassen, so daß am Abende in den Weinschenken bittere Reden gegen den Junker fielen. Es wurden sogar gegen Sickingen Klagen laut, der als Hauptmann des freien Evangeliums dessen Anhänger durch Päpstler schlachten lasse.
Hutten frohlockte, als ihm am folgenden Morgen seine Späher derartige Aeußerungen berichteten. Er wollte nur den Schluß der Morgensitzung abwarten, um seinen finsteren Plan auszuführen.
Vor Beginn dieser Sitzung eilte Herr Ulrich hinab in den Garten, welcher sich hinter der Zwingburg befand. Leichten Schrittes, Haß im Herzen und ein rachesüchtiges Lächeln in den Zügen, durchschritt er die geschmackvoll angelegten Pfade. Der Lärm des Tages schwieg in dem Schlosse noch vollständig; denn die Herren wurden den Tag hindurch müde mit Berathen, und am Abend konnten sie nicht vom Humpen wegkommen, so daß die besten Morgenstunden dem Schlafe gehörten. Still und ruhig lag der Garten. Lieblicher Blumenduft würzte die Luft, Blüthen und Gesträuche wechselten in den mannigfaltigsten Farben und Formen, indeß im Gebüsche die Nachtigall ihr schönes Lied sang. Dazu kam das wohlthuende, heimliche Geplätscher des Brunnens, dessen mehrere Fuß hoher krystallener Strahl in das marmorne Becken herabfiel.
Hutten sah und hörte nichts. Seinen Gedanken vollständig hingegeben, schritt er sinnend durch die Pfade. Zufällig fiel sein Blick in die etwas entfernte Gartenlaube, wo er mit freudiger Ueberraschung die minnigliche Braut gewahrte. Das Edelfräulein saß hinter einem Tische, auf dessen Marmorplatte ihr Arm gestützt war, während das Haupt gedankenvoll in der Hand ruhte. Ihr schönes Auge war niedergeschlagen und die nassen Wimpern, so wie die hellen Tropfen auf dem Tische verriethen, daß sie geweint hatte. Ohne alle künstliche Zierde flossen die zarten Locken ihres Haares auf Schulter und Brust herab, um das Haupt von einem silbernen Reife zusammengehalten. Ebenso entbehrte ihre Kleidung jedes Schmuckes; ein himmelblaues Kleid, bis zum Halse hinaufreichend, umhüllte ihre schlanke Gestalt.
Leisen Schrittes und ganz dem Eindrucke dieser reizenden Erscheinung folgend, nahte Ulrich der Laube und nicht eher gewahrte ihn das Fräulein, bis er vor ihr stand. Durch den düstern Trauerflor tiefen Wehes, welcher über ihrem Antlitze lag, schimmerte es wie edle Entrüstung, als ihr Blick den Edelmann traf. Mit keinem Lächeln begrüßte sie ihn, und da Hutten nach einer überschwänglich süßelnden Begrüßung Miene machte, neben ihr sich nieder zu lassen, stand sie schnell auf. Dieser kalte Empfang verwirrte den Bräutigam nicht im Mindesten. Er wußte ja, daß Margareth ihn nicht liebe, daß sie nur das Opfer seiner Leidenschaft und Ränke war. Lediglich seiner Kunst und der Schwachheit des Freiherrn dankte er das Verhältniß zu ihr, auch war es ihm nicht unbekannt, daß sie mit den qualvollsten Empfindungen der nahen Vermählungsfeier entgegensah. So unnatürlich Huttens Benehmen erscheint, hängt dasselbe dennoch mit jenen freien Grundsätzen der Humanistik zusammen, die sich über alle Begriffe von Ehre und zarten Rücksichten hinwegsetzen. Aehnliche Verhältnisse trieben wohl manchen liebenden Jüngling in Tod und Verzweiflung; – Hutten dagegen hielt solchen Schritt für thöricht und lächerlich. Er gehörte zu Jenen, die rücksichtslos um des Genusses willen die Rose brechen, nach ihrem Verwelken aber die Dornen ihr entgelten lassen, die sich ihrem Pflücken entgegensetzten. Die Furcht allein beunruhigte den Junker, das Edelfräulein möchte mit Entschlossenheit sein Bewerben abweisen, selbst dem innigsten Wunsche des ehrgeizigen Vaters entgegen, die Tochter mit dem gerühmten Helden des Tages – nach neuerer Sprachweise – zu vermählen.
Der glatte Mann fing an, allerlei Süßigkeiten auszukramen, wurde aber durch eine abkühlende Bemerkung unterbrochen.
»Ihr habt wohl gehört von Windsteins heldenmüthiger That, sprach sie. Ich sah gestern mit Verlangen dem Besuche des Junkers entgegen, um meine Bewunderung und all mein Lob ihm zu bezeugen. Leider kam er nicht.«
»Wie, schönstes Kind?« sprach Hutten betreten. »Alle Bewunderung wollt Ihr ihm zollen? – Sagt, – was bleibt dann noch für Euren Ulrich?«
Er schwieg und lauschte der Entgegnung. Allein Margareth sah ihm fest und ruhig in's Auge, ohne ein Wort zu erwiedern.
»Zollt immerhin dem jugendlichen Helden Eure ganze Bewunderung,« versetzte er mit erzwungenem Lächeln; »bleibt mir nur all' Eure Liebe! Und diese besitze ich ja, nicht wahr, holde Margareth?«
»Unsere Neigungen stehen nicht immer in unserer Gewalt, Herr Ulrich,« entgegnete das Fräulein. »Selten können wir jene von unserer Liebe ausschließen, die wir bewundern müssen.«
Aus Huttens Auge blitzte es wie Rachedurst und schnell schlug er den Blick nieder, um diese Bewegung zu verbergen.
»Ei, da hätte ich ja alle Ursache eifersüchtig zu werden! scherzte er. Dank dem glücklichen Einfall Eures Vaters, noch hier zu Landau unsere Vermählung zu feiern,« fuhr er fort, nicht ohne das befriedigende Bewußtsein, dem Fräulein wehe zu thun; »denn eher wird der Stachel der Eifersucht die seligen Bewohner des Himmels geißeln, als mich, sobald das heilige Band der Ehe meines holden Weibes Treue, wo möglich noch unerschütterlicher gemacht, als meiner lieben Braut Zuneigung schon gewesen.«
»Allerdings sprach mein Vater von der nahe bevorstehenden Vermählung,« sagte sie, ohne den Blick vom Boden zu erheben. »Hoffentlich gibt er diesen Gedanken wieder auf, da ich um meine Zustimmung nicht einmal gefragt wurde.«
»Er that es nicht, weil er Eurer Zustimmung zu Allem gewiß ist, was ihn glücklich macht,« versetzte Hutten mit schlauem Lächeln. »Wäre es möglich, daß ein böses Geschick unsere Verbindung wieder auflöste, – ich glaube dies würde dem alten Manne das Leben kosten.«
Er sprach dies mit einigem Nachdrucke.
»Mir aber würde Euer Verlust das Herz brechen!« setzte er im Tone erkünstelter Vernichtung hinzu.
Das Fräulein schien diese Betheuerung nicht zu hören, lebhaft ergriffen und erschüttert durch den Gedanken, einen Entschluß durchzuführen, der ihres Vaters sehnlichsten Wunsch vernichten würde. Denn sie hatte wirklich beschlossen, Verhältnissen ein Ende zu machen, welche Huttens kluge Berechnung zusammengewoben und welche sie bisher aus Schonung gegen ihren Vater nicht gestört hatte.
»Unmöglich konnte es meinem Vater mit der Vermählung Ernst sein, sprach sie. Es wäre dies mehr, als übereilt. Ist ja doch über unsere Verbindung noch keine bestimmte Erklärung über meine Lippen gekommen!«
Gerade als das Gespräch diese für Ulrich peinigende Wendung genommen, erschien Herr Nikolaus im Garten. Kaum erblickte er Beide, so eilte er ihnen mit fröhlicher Miene entgegen.
»Ah, da seid ihr ja, meine Kinder!« rief er mit kräftiger Stimme. »So ist's recht! Für meine alten Augen gibt's keinen angenehmeren Genuß, als Euch vertraut beisammen zu sehen. – Wäre nur der verdammte Bundestag schon geschlossen! Der Teufel führte da einige Plaudertaschen aus Goslar und Augsburg herbei, die einen Floh zum Ochsen aufblasen durch ihre Rednereien. Müßte ich ihr Geschwätz nur fünf Minuten anhören, ich glaube, es würde mich zum Bersten bringen. Höre jede Sitzung zehn bis zwölf Sprecher, weiß aber zum Glück keine zehn Worte von Allem, was sie gesagt haben. Nur gut, daß mein alter Langenstein da ist, – wir thun uns gütlich in den Mohrenkriegen. – Aber damit zieht sich die Sache immer in die Länge. Seht Kinder, kaum kann ich's erwarten, bis des Priesters Segen Euren Bund geheiligt hat.«
Es lag einige Feierlichkeit in Fleckensteins letzten Worten, besonders aber jene Wärme, welche den innigsten Wunsch seines Herzens verrieth.
»Wir lagen eben im Streite über den glücklichsten Zeitpunkt meines Lebens, sprach Hutten. Meine liebe Braut meint, Eure Feststellung unserer Vermählung hier in Landau sei nicht Ernst gewesen.«
»Nicht Ernst?« wiederholte der Freiherr. »In solchen Dingen scherzt man nicht, Margareth.«
»Gewiß nicht, Vater! Aber gerade um ihrer Wichtigkeit willen darf man sie nicht übereilen. Bisher dachte ich noch nicht an meine Verlobung mit Herrn Ulrich, noch weniger an meine Vermählung. Zwei Jahre Bedenkzeit wäre nicht zu lang, um solchen Schritt zu thun.«
»Was ist das?« sprach der Freiherr, indem er bedächtig seine Arme übereinander schlug, einen rauhen Blick seiner Tochter und einen forschenden Hutten zuwerfend.
Fleckensteins Aerger und Verwunderung entsprang der völligen Unkenntniß der Lage, worin das Fräulein Hutten gegenüber sich befand. Hätte er die Qualen geahnt, welche seine Wahl der Tochter verursachte, – oder hätte der biedere Herr Huttens völligen Abfall vom Glauben der Väter und dessen Streben gekannt, auf den Trümmern des alten Reiches ein neues, heidnisches zu errichten, Stud. u. Skzg. z. Gesch. d. Ref. S. 134-314 – – er würde ohne Zweifel den Junker von seiner Tochter hinweggepeitscht haben. Der Freiherr ahnte jedoch hievon nichts, obwohl er wiederholt Gelegenheit hatte, belehrt zu werden. Den ehrgeizigen Alten erfüllte nur der Gedanke, den Glanz seines Geschlechtes durch die Verbindung seiner Tochter mit dem vielgerühmten Ulrich von Hutten zu erhöhen. Darum übersah er Alles, was dieser leidenschaftlich erfaßten Bestrebung entgegen war. Dabei richtete der schlaue Junker Worte und Benehmen, in Fleckensteins Gegenwart, immer so ein, daß der Alte vollständig mit ihm zufrieden sein mußte. Das Fräulein las deutlicher in Ulrichs Seele; sie anerkannte zwar die vorzüglichen Eigenschaften des Junkers, theilte jedoch nicht die hohe Meinung des Freiherrn. Aber eine, – man möchte sagen, sündhafte Unterwürfigkeit unter ihres Vaters Willen, und eine mißverstandene Liebe, welche sich dessen Wunsch nicht widersetzte, aus Furcht, den alten Herrn zu betrüben, ließ sie niemals zu offener Erklärung kommen, obschon sie manchmal leichte Andeutungen ihrer Abneigung gegen den Auserkorenen durchblicken ließ.
Als sie nun des Vaters Auge in düsterm Unmuthe auf sich gerichtet sah, schwankte sie abermals zwischen ergebener Unterwürfigkeit und entschiedenem Widerspruche.
»Euer Wille war stets der meinige, lieber Vater! begütigte sie. Ihr habt mir die Wahl vorgezeichnet, – wäre sie auch für mein ganzes Lebensglück verderblich, – Ihr dürftet dieses Opfer fordern! – Nur um Aufschub bitte ich. Drängt mich nicht zum Altare.«
Diese Worte, denen ihr kindliches Zartgefühl jede Schärfe benahm, enthielten dennoch einen sehr deutlichen Fingerzeig. Herr Nikolaus verstand ihn aber nicht, sondern legte des Fräuleins Widerstreben in ganz anderer Weise aus, – zum Beweise, wie sehr Jenen das richtige Urtheil mangelt, die in Plänen, Vorurtheilen und Leidenschaften befangen sind.
»Pah, – mit deinem Aufschub! rief er. Ich weiß nicht, unter welchen Bildern Du den Ehestand Dir vorstellst; jedenfalls ist Deine Einbildung von der Sache viel zu finster. Aber das macht sich schon, Gretchen! Deine Mutter war das nämliche zimperliche Ding, wie Du, als ich sie freite. Immer Aufschub und Aufschub hieß es da, und als sie mit mir vor den Stufen des Altares stand, wurde sie so kreideweiß, wie Dein Brusttüchlein da. Nachdem aber die Handlung vorbei war, gab's kein liebenswürdigeres Wesen, als Deine selige Mutter. Also, laß Deinen Aufschub fahren Margareth! – Seht, Herr Ulrich, meine Greth hatte von Kindesbeinen an ihre Eigenheiten, dürft darum kein besonderes Gewicht darauf legen, wenn sie jetzt auf diesen Aufschub versessen ist; das ist eben wieder eine Eigenheit. So war's 'ne Eigenheit von ihr, alle Bewerber abzuweisen, die vor Euch kamen. Sogar der junge und schöne Herzog von Lothringen mußte wieder heimreiten. Man sollte fast glauben, sie sei für Euch bestimmt gewesen und habe nur auf Euch gewartet; denn vom ersten Augenblicke an wollte sie Euch gut.«
»Eurem Gaste durfte ich mein Wohlwollen nicht entziehen, Vater,« sprach das Fräulein, gleichsam zur Abwehr gegen die ihr unterschobene Neigung für Hutten. »Herzog Anton von Lothringen und die Uebrigen, kamen ja nicht als Gäste gegen Fleckenstein geritten, sondern als Bewerber um meine Hand, deßhalb konnte ich ihnen auch anders begegnen, als Herrn Ulrich.«
»Sieh nur die Spitzbübin!« lachte der Freiherr. »Ihr werdet Euer liebes Kreuz mit ihr haben, Freund Hutten! Sie will sich einmal in gewissen Dingen nicht gefangen geben.«
»Solche Eigenschaften machen sie nur liebenswürdiger,« antwortete Hutten, wie versunken im Anblicke des reizenden Wesens.
»Ihr hättet nur sehen sollen,« plauderte der Alte weiter, »wie sie mich ansah, da ich Eure Bewerbung ihr vortrug. Sie wußte ihre Freude so geschickt zu verbergen, was eben wieder eine ihrer Eigenheiten ist, – daß selbst mein geübtes Auge Mühe hatte, den Herzensjubel unter dem finstern Schleier herauszufinden, den sie über ihr schönes Gesichtchen gezogen. Fast meinte ich, der ruhmreiche Held und Poet bekäme einen Korb, wie der arme Herzog von Lothringen.«
»Hätte Herzog Anton Herrn Ulrichs Fürsprecher gehabt,« entgegnete sie ernst, »würde auch er dieselbe schweigende Antwort erhalten haben, – weder »ja« noch »nein,« um Eures Fürspruchs willen, Vater!«
»So, – um meines Fürspruchs willen? Was soll das heißen, Margareth?« rief der Fleckensteiner, die Augenbraunen zusammenziehend.
Hutten begab sich außer den nothwendigen Hörerkreis und machte sich mit herabhängenden Weinreben zu schaffen, indem er vor sich hinmurmelte: »Kommt nur die Zeit, wo ich Dich hassen kann, wie ich jetzt Dich lieben muß, stolzer Engel, – dann erkenne Deinen Herrn!«
»Keine Umschweife, Margareth,« rief der Freiherr in rauhem Tone; »hast du Bedenken, heraus damit!«
»O drängt mich nicht, Vater! bat sie. Nehmt Eure Bestimmung zurück, vergönnt mir wenigstens Aufschub, wenn Eure Wahl« –
»Zum Teufel mit Deinem Aufschub!« brach der Fleckensteiner los. »Glaubst Du, man trifft solche Vorbereitungen, um sie wegen Eurer Weiberlaunen wieder aufzugeben? Blitz und Wetter! Der halbe Adel weiß schon von der Sache, – die grüngelbe Agnes von Leiningen erzählte mir eben davon, und fast wäre die Eidechse vor Neid geborsten, indem sie von dem Handel sprach! Und jetzt kommst Du mit Deinem vermaledeiten Aufschub? Willst Du ihnen die spitzigen Zungen wetzen, – Deinen Vater für einen alten Narren und Dich für ein dummes Gänschen auspfeifen lassen? Bei St. Georg und allen Heiligen, daraus wird nichts, – das müssen wir besser verstehen! Trat jemals eine Fürstin feierlicher zum Altare, wo mehr adelige Herzen unter dem blanken Harnisch schlugen, als bei der Vermählung Margareths von Fleckenstein, dann will ich die Klinge meines Dolches verschlucken. – Es bleibt dabei! schloß er. Solchen wackeren, edelgesinnten, ruhmreichen Bräutigam haben und Aufschub begehren, das ist fürwahr die lächerlichste Weiberlaune von der Welt.«
Ohne Antwort zu erhalten, wandte er sich ab und rief Hutten zu, welcher in einiger Entfernung stand und lauschte.
»Kommt Herr Ulrich! Wir müssen uns jetzt droben in der Rathstube vorplaudern lassen, – wär's nur das letzte Mal!«
Den schmerzlichsten Empfindungen preisgegeben, blieb das Fräulein in der Laube zurück. Anfänglich stand sie da mit gefalteten Händen, und zum Himmel emporgerichteten Blicken, gleichsam zur leblosen Bildsäule erstarrt. Allmählig kehrte ruhige Ueberlegung zurück und jetzt bemächtigten sich ihrer die widersprechendsten Gefühle. Sie erkannte, daß ihres Vaters Aerger lediglich einem Mißverständnisse entsprang; trotz ihrer deutlichen Sprache hatte er sie nicht verstanden. Allein gerade der Umstand, daß er sie nicht verstand, bestätigte des Freiherrn außerordentliche Meinung von Hutten. Wie sollte sie nun ihren Vater vom Gegentheile überzeugen? Welche Beweise hatte sie in Händen? Zeigte sich der Bewerber nicht immer als der edelgesinnteste, fromme Junker? Oder, – und sie erschrack bei diesem Gedanken, entsprang ihr Widerwillen gegen Hutten nicht ihrer Neigung für Windstein? Jedenfalls quälte sie die erkünstelte Verbindung weit mehr, seitdem sie den schönen Heinrich kannte, – dies fühlte sie klar. In Folge dieser Wahrnehmung setzte das Fräulein Mißtrauen in ihr bisheriges Urtheil gegen Hutten, und am Ende konnte er dennoch dieser edle, wackere Herr sein, für den ihn Herr Nikolaus hielt.
Diese und ähnliche Betrachtungen bestürmten Margareth von Fleckenstein, und je nach dem Laufe ihrer Empfindungen fielen Thränen aus ihren milden Augen auf den Marmortisch herab. Zugleich zeigte die Blässe ihres Angesichtes von der Heftigkeit des Kampfes, worin sie endlich durch Gertruds lärmende Stimme gestört wurde. Durch die Zweige der Laube blickend, gewahrte sie einen Gewappneten, dessen rother Helmbusch sogleich Windstein verrieth. Hohe Röthe überflog ihr Angesicht, ihr Herz pochte fast hörbar und nicht ohne Zeichen der Verwirrung trat sie dem Jüngling einige Schritte entgegen.
Heinrich war ungewöhnlich ernst und schien seit wenigen Stunden, bezüglich der Kälte und Ruhe seines Wesens, um viel Jahre älter geworden zu sein.
»Ich komme, von Euch Abschied zu nehmen,« sprach er nach höflicher Begrüßung. »Churfürst Richard von Trier schickte einen Eilboten mit der Bitte, ich möchte mit meinen Lanzen zu ihm aufbrechen, da er von Feinden hart umdrängt würde.«
»Wenn Ihr fortgeht, sagte Gertrud, dann werden die Lutherischen noch heidnischer wirthschaften, als sie bisher thaten. Ach, wie haben sie den armen Mönch Fidelis zugerichtet! Wäret Ihr nicht dazwischengekommen, er hätte zu Stürzelbronn keine Messe mehr gelesen. Gott lohn's Euch, edler Herr, daß Ihr die Schelme zusammengehauen habt, – hättet Ihr doch keinen übrig gelassen.«
»Ja, Eure heldenmüthige Vertheidigung verdient alles Lob,« sprach Margareth. »Leider möchte sich nach Eurem Scheiden Niemand finden, der unseren verfolgten Mönchen gleichen Schutz gewährte.«
»Ihr überschätzt zu sehr mein geringes Verdienst,« entgegnete der Ritter. »Ich folgte nur einer natürlichen Aufwallung beim Anblicke des Gemarterten, und es will nichts heißen, wehrloses, in den Waffen unkundiges Volk niederzuhauen. Manche vom Adel möchten mich deßhalb tadeln, und mein Stolz findet einige Beruhigung darin, durch schnelles Entweichen aus Landau dergleichen unritterlichen Thaten zu entgehen.«
»Hierin verdient Ihr meinen Tadel, Herr Heinrich,« sprach das Fräulein mit sanftem Lächeln; »denn jene Handlungen müssen an Adel nur gewinnen, wodurch unsere Eitelkeit einigermaßen abgetödtet wird. Allerdings möchte es für Euren Waffenruhm schmeichelhafter sein, hundert Ritter erschlagen zu haben, statt dieses rohen Volkes. Indessen verliert Euer Ruf durchaus nichts durch die Rettung eines schutzlosen Mannes aus gräßlichem Feuertode.«
Ein liebevolles Lächeln schwebte um ihre Lippen, während sie dieses sprach und der Jüngling vor sich niedersah.
»Oder« – fügte sie mit einiger Laune bei, »soll wirklich Euer plötzliches und allzuschnelles Scheiden von uns durch Eure Furcht entschuldigt werden, abermals die Rolle von gestern übernehmen zu müssen?«
»O nein, nein!« versetzte rasch der Jüngling. »Ohne Bedenken würde ich abermals mein Schwert gegen nicht ebenbürtige Feinde ziehen, Euer Lob zu verdienen. Allein der Rittertag naht seinem Ende, – und mein Hiersein ist darum überflüssig, weil ich der Einigung niemals beitreten kann.«
Hätte Margareths Auge in Windsteins Seele lesen können, würde sie neben dem angegebenen Grunde noch einen triftigeren gefunden haben, der ihm sein schnelles Entfernen rieth.
Abgesehen von dem unerbittlichen Rufe der Pflicht, drängte ihn nämlich die gewonnene Ueberzeugung zur schnellen Entfernung aus Landau, daß die Flucht das einzige Mittel sei, die Leiden seiner hoffnungslosen Neigung nicht zu vermehren.
Obwohl er den Ritt nach Trier hätte verschieben können, blieb er dennoch bei dem gefaßten Entschlusse, und als er kam um Abschied zu nehmen, war bereits Alles zur Abreise fertig.
»Die Ursache, weshalb Churfürst Richard meinen Zuzug erbittet, ist für Sickingen eine höchst ehrwidrige,« fuhr er fort, seine Augen beinahe fortwährend niederschlagend, als fürchte er, in die bezaubernden Züge des Fräuleins zu blicken. »Ich theile sie Euch deshalb mit, um Euren Vater in Kenntniß zu setzen, damit er sich wohl hüte, in engere Verbindung mit dem Ritter zu treten. – Oberstein hob nämlich einige Kaufleute des Churfürsten auf; Sickingen trat in's Mittel unter der Bedingung, daß Richard für die entlassenen Gefangenen 5000 Dukaten erlege. Natürlich verwarf der Fürst diese widerrechtliche Zumuthung und sandte weder Geld noch Kaufleute an Oberstein zurück. Dafür sagte ihm Sickingen Fehde an. Bald werden seine raubgewohnten Knechte des Churfürsten Gebiet verheeren. Ich müßte mich übrigens sehr täuschen, wenn es nicht auf eine Reichsumwälzung abgesehen ist, und der Erzbischof nur das erste Opfer der Verschwörung sein sollte.«
»Abscheulich!« tadelte Margareth. »Gewiß, diese Kunde wird meinen Vater von des Ritters Sache wegscheuchen.«
Die Röthe der Entrüstung färbte hiebei des Fräuleins Angesicht. Der Junker benützte diesen Augenblick zum Abschiede.
Dies that er mit solcher Hast, daß seine Absicht durchschimmerte, er wünsche schnell über einen Gegenstand wegzukommen, der ihm schwer fiel.
»Eurem Vater meinen Gruß!« sprach er mit unsicherer Stimme. »Lebt wohl und seid glücklich, – auch ich will mich anstrengen, in der Entfernung von Euch es zu sein.«
»Gott geleite ihn!« rief die Zofe. »Heilige Mutter Gottes, mit ihm zieht der ganze Adel aus der Stadt! – Wie mögen jetzt die Mordbrenner hausen, da ihnen sein scharfes Schwert nicht im Nacken sitzt.«
Schweigend blickte Margareth dem scheidenden Ritter nach, indeß der Ausdruck tiefen Wehes ihr reizendes Antlitz umwölkte. Indem ihr mildes thränenfeuchtes Auge Windstein folgte, hätte man von ihr mit dem Dichter sagen mögen:
»Hinabgesunken ist mein lichter Stern,
Und ringsumher ist finstre Nacht.«
Als die letzten Tritte des Gewappneten durch die Gänge schallten, kehrte sie langsam in die Laube zurück. Sie ließ sich auf die Bank nieder und starrte im stummen Schmerze vor sich hin, bis ein heftiger Strom von Thränen hervorbrach.
»Du liebe Zeit!« rief Gertrud. »Der abscheuliche Hutten ist Schuld an allem Jammer. Ihr habt's ihm doch schon deutlich genug gesagt, daß er Euch nicht mehr kommen soll, – aber dieser Mensch hat keinen Funken Ehre im Leibe. – Warte nur, – ganz recht, dort kommt Euer Vater! Alles soll er hören, und er müßte ebenso ehrlos sein, wie der Hutten, wollte er diesen schäbigen Edelmann länger in seinem Hause dulden.«
Herr Nikolaus rannte in größter Aufregung durch den Garten der Laube entgegen. Margareth erschrack beim Anblicke ihres Vaters. Schmerz, Zorn, Scham und Entrüstung stürmten auf seinem Angesichte dergestalt durcheinander, daß man den Alten kaum erkannte. Sein langer Bart war verwirrt und struppig, das Barett hatte er weit zurückgeschoben und es ließ die tiefen dräuenden Furchen der hohen Stirne sehen. Sein Auge rollte und flammte, indeß die Hände fortwährend in leidenschaftlicher Bewegung begriffen waren.
»O – der Reichsverräther, der Gottesläugner, der Wicht – hole ihn der Teufel!« schrie er, während des Gehens. »Wo hatte ich die Augen? Blind muß ich gewesen sein, solchen Riesenschurken nicht zu erkennen! – Margareth – zur Stelle brechen wir auf! Fort aus Landau, – die Erde brennt unter meinen Füßen. Fort sag' ich, – fort! Der Hutten ist der größte, der nichtswürdigste Heuchler. O, wo hatte ich meine Augen!« rief er schmerzlich aus, mit der flachen Hand die Stirne drückend.
»Was ist denn vorgefallen, Vater?« fragte das Fräulein theilnahmsvoll, und obwohl der Sinn der Rede heilverkündend klang, vergaß sie doch über dem Zustande ihres Vaters die eigenen Leiden.
»Was vorgefallen ist?« rief der Freiherr. »Ha – der Elende! Frage mich um den Vorfall nicht, das bloße Erzählen könnte mich rasend machen. Dieser Ehrlose, meiner Tochter Bräutigam, – o Himmel!«
»Gottlob, die Schuppen fielen Euch von den Augen!« freute sich die Zofe. »Daß der Hutten ein Schurke ist, hätte ich Euch schon lange sagen können, – aber du liebe Zeit! Wer durfte etwas gegen diese fränkische Schlange sagen? Heilige Mutter Gottes, hundert Rosenkränze will ich beten, weil mein Herr zur rechten Zeit die welsche Pest gerochen hat.«
»Was, Du wußtest davon? Du wußtest es und schwiegst?« schrie der Freiherr.
»Mußte ich nicht? Habt Ihr nicht mit Stock und Thurm gedroht?« vertheidigte sich Gertrud. »Aber wißt, lieber hätte ich mich zehn Klafter tief eingraben, als unser Fräulein an diesen Höllenbrand wegwerfen lassen. Alles hätte ich zur rechten Stunde ausgekramt.«
»Genug!« sprach Herr Nikolaus, als das Fräulein beide verwundert ansah und um Aufklärung bat. »Was dem Hutten fehlt, kannst Du nicht hören, ohne tausend Jahre lang roth zu werden. – Heute noch reitest Du nach Marienthal zur Base. Ich muß nach Germersheim zum Bruder und werde auf dem Rückwege im Kloster Dich abholen. Jetzt fort, – kein Wort mehr von der Sache.«
Damit schritt der Freiherr voraus, dem Eingange des Palastes zu. Das Fräulein folgte mit einem dankbaren Blicke zum Himmel und die Zofe erging sich in lauten Ausbrüchen der Freude.
Als Herr Nikolaus durch den Eingang schritt, welcher dem Hauptthore gegenüberliegt, trat ihm ein Fremder entgegen, dessen würdevolles Aeußere zu jeder andern Zeit des Alten Aufmerksamkeit würde verdient haben. Er trug einen langen, bis zu den Fersen hinabreichenden Talar von violetter Farbe, und darüber einen weiten, luftigen Oberrock mit reich verzierten Umschlägen. Das Angesicht des Mannes war schön, noch erhöht durch das sanfte Lächeln um seinen Mund, und die klaren geistreichen Augen.
Einige Schritte hinter ihm stand in der unterwürfigen Haltung des Dieners ein rothwangiger, reichgekleideter Knabe, allen Bewegungen des Gebieters mit besorgten Blicken folgend.
Der Fremde ging Fleckenstein entgegen und redete ihn nach höflicher Begrüßung an.
»Könnt Ihr mir nicht sagen, wo Ritter Franz von Sickingen zu treffen ist? Ich bin unbekannt hier und möchte in den vielen Gängen lange irre gehen.«
Der Freiherr blieb stehen, sah den Fremden mürrisch an und entgegnete:
»Nach Ritter Franz fragt Ihr? Seid Ihr etwa ein Verbündeter dieses Verräthers? Nein, – Verräthern zeige ich keinen Weg.«
Nach dieser unhöflichen Erwiederung ließ er den Fremden stehen und ging. Dieser schaute ihm verwundert nach, ohne jedoch über des Fleckensteiners grobe Antwort den geringsten Aerger zu zeigen.
Kaum verschwand Herr Nikolaus hinter der nächsten Biegung des Ganges, als Hutten von der entgegengesetzten Seite daherkam. Der Junker schien sehr verwirrt, seine gewöhnliche bleiche Gesichtsfarbe überzog ungesundes Roth, wie bei Fieberkranken, und auch sein Gang trug Merkmale einer heftigen Gemüthsbewegung. Manchmal eilte er wie von Angst getrieben dahin, dann blieb er unschlüssig stehen, – schlug die Arme übereinander, überlegte, – schüttelte das Haupt, bis er wieder langsamen Schrittes den Weg fortsetzte.
Bei Huttens Anblick schlichen durch die edlen Züge des Unbekannten Zeichen des Mitleids; offenbar hielt er den Junker für geisteskrank. Er würde ihn auch gar nicht angeredet haben, wäre nicht Hutten stehen geblieben und hätte ihn fragend angesehen.
»Wollt Ihr mir den Weg zu Sickingens Kammer nicht sagen, guter Herr?« bat er.
Ulrich deutete den Gang entlang und sprach: »Dorthin, – dann rechts!«
Der Unbekannte folgte der Weisung. Kaum gelangte er an das Ende des Ganges, als heftiges Geschrei von der andern Seite erscholl und dazwischen ein Gepolter, als würde Jemand die Stiege herabgeworfen. In der That sah man im nächsten Augenblicke Herrn Ulrich auf den Steinplatten des Ganges in sehr schneller Bewegung ankommen, und es war kein Zweifel, daß er von starker Hand die Stiege hinabgeschleudert wurde. Der Fremde entfernte sich eilig, um Hutten die Beschämung zu ersparen, die etwa Zeugen des Herabwerfens für ihn haben mochten.
Der Junker schäumte und knirschte vor Wuth. An die Stelle der vorigen Verwirrung und Beklommenheit waren Grimm und hellauflodernde Rachsucht getreten. Er schritt der nahen Fenstervertiefung zu, nachdem er sich nach etwaigen Zeugen seiner Schande umgesehen und starrte in stiller Wuth in's Ungewisse. Allmählig nahm sein rachesüchtiges Hinbrüten den Ausdruck finsterer Ueberlegung an, bis er höhnisch auflachte.
»Auf diesem Wege wird sie dennoch mein! Glücklicher Einfall! Mein Weib kann sie nicht werden, – gut! Sie werde also meine Metze. Göttliche Rache, doppelt köstlicher Genuß, – Margareth, die stolze spröde Greth meine Dirne – ha! und dieser Bärenhäuter, das Opfer meiner Rache.«
Abermals versank er in kurzes Nachsinnen, ordnete seinen Anzug, welcher durch das Ringen in Unordnung gekommen war, und stieg die nahe Treppe hinauf.
An der Thüre vorüberkommend, auf welcher das Wappen der Fleckensteiner prangte, ballte er die Faust, stieß einen furchtbaren Fluch aus und eilte davon, bis er des Alchimisten Kammer erreichte.
Er traf Faust in größter Aufregung, welche bei diesem ruhigen, verschlagenen Charakter höchst wichtigen Ursachen entspringen mußte. Obwohl Hutten gekommen war, den Doktor mit bitteren Vorwürfen zu überhäufen, wurde er doch bald davon abgebracht.
»Ihr kommt eben recht!« rief ihm Faust entgegen. »Beim Siebengestirn, mein Verstand reicht kaum aus, der Klippe zu entrinnen, an der unser kaiserliches Schiff zu stranden droht.«
»Aber zu elenden Streichen ist Euer Verstand groß genug,« zürnte Hutten. »Ihr allein habt diesen Unfall ausgeheckt.«
»Wovon schwatzt der Mensch?« versetzte Faust, den Junker musternd.
»Wovon? Ist Euer Gedächtniß so kurz, Herr Doktor?« höhnte Ulrich. »Zeigt her den Brief, – ich schwöre d'rauf, er ist unächt!«
»Zum Teufel mit Euren Weibsgeschichten!« fluchte der Astrologe. »Fürwahr, diesem Menschen schrumpft Leib und Geist zusammen über seinem Weiberjagen! – Mir da kommen mit Briefen, Weibern und Liebeshändeln, – im Augenblick, wo der Bau zusammensinken will, an dem wir Jahre lang mühsam bauten!« – und der Doktor lief im Zimmer hin und her, rückte das Barett auf dem Kopfe bald vorwärts bald rückwärts, so daß Hutten sogleich erkannte, es müsse Wichtiges vorgefallen sein.
»Nun, was ist's denn?« fragte er im Tone leichten Spottes. »Habt Ihr etwa einen feindseligen Planeten am hellen Tage entdeckt?«
»Ja wohl,« – versetzte Faust, dem Junker mit kaltem Hohne in's Gesicht blickend; »einen Sternschnuppen mit langem Schweife, mit Eselsohren und einem Armensündergesicht geradeso, wie das Eure. Jetzt fort, – packt Euch hinaus, hab' keine Zeit mit solchem Narren zu schwatzen.«
»Wahrhaftig, Faust, Deine Hasenfurcht ist ansteckend! – Was ist denn vorgefallen?«
Der Doktor erwiederte nicht sogleich, sondern setzte seinen unruhigen Gang durch das Zimmer fort, bis er Hutten zurief:
»Denkt nur, Sickingens Schwäher ist angekommen, der Domsänger aus Speyer!«
»Philipp von Flersheim?«
»Gut, laßt ihn angekommen sein!« sprach Hutten gleichgiltig.
»Was?« rief Faust. »So wenig kennt Ihr unseren Franz? Ihr kennt die Macht nicht, welche der Dompfaff auf den Ritter ausübt? Alle Teufel, – weder Ihr, noch ich, noch alle Planeten zusammengenommen, haben Franz so fest im Sack, als dieser schlaue Domherr.«
»Pah« – machte Hutten. »Sickingen kann nicht mehr zurück! Der Feldherrnstab liegt in seiner Faust, des Churfürsten Trotzbrief ist eingelaufen, unsere Lanzen ziehen sich bereits im Elsaß zusammen, – die Kaiserkrone ist in den Gesichtskreis hereingerückt und der Flersheimer soll dies Alles rückgängig machen? Lächerlich!«
»Lächerlich für Euch, Herr Poet! Mir ist die Sache fürchterlich ernst. Hättet Ihr in Sickingens Seele tiefer gelesen, Ihr würdet, trotz aller Betheuerung gefunden haben, daß er so wenig für Luthers Unsinn schwärmt, als Ihr oder ich. Dabei ist er fest von des Nazaräers Lehren überzeugt, – ich glaube, er könnte sterben für die Wahrheiten römischer Erfindungen; – ungesehen mag er immer noch vor dem gekreuzigten Propheten knieen. Die einzige Kraft, welche den Ritter in die Strömung hineinzieht, ist sein unbändiger Ehrgeiz. Gegen dieses Bollwerk wird der schlaue Flersheimer sein Geschütz richten und es zu Fall bringen. Gelingt's ihm, – dann könnt Ihr sehen, wie Franz heimzieht und Klöster baut.« Stud. u. Skizz. z. G. d. Ref. S. 161-162.
»Die Berechtigung Eurer Befürchtungen angenommen,« sprach Hutten nach einigem Nachsinnen, »müssen wir darauf denken, jenen Eindrücken schnell zu begegnen, welche der Domsänger übt.«
»Auf flacher Hand liegt das, – nicht aber, wie dies geschehen mag,« war des Doktors Antwort. – »Ich denke so,« – fuhr er fort, »wir müssen unsere Schlachtreihen dergestalt aufstellen, daß Sickingens schwache Seiten alle angegriffen werden. Wir beide rufen seinen Ehrgeiz wach, indeß die Reformatoren das närrische Ding, – Gewissen genannt, zur Ruhe bringen müssen. Geht darum zu Amsdorf, unterrichtet ihn von der Sache, indeß ich Bucer aufsuche.«
Hutten billigte des Doktors Vorschlag, und nachdem sie über das Eintreten verschiedener Möglichkeiten sich weiter berathen, verließen Beide das Zimmer.