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IV.

Ein wenig unterhalb der Mühlen von Poissy an der Seine, an einer üppig grünen Uferstelle lag ein hübsches Vergnügungsschiff vor Anker, ein niedlicher Dampfer, wie solche nach Trouville und Dieppe zu kommen pflegen, wenn daselbst die Wettrennen stattfinden; groß genug, um sich auch auf dem Meere behaupten zu können, und mit genügend seichtem Tiefgange, um auf den Flüssen fortzukommen. Ziemlich häufig machte der Dampfer einen Ausflug bis Havre, um im Canal zu kreuzen, und zuweilen gelangte er sogar nach Paris, doch ohne sich daselbst längere Zeit aufzuhalten; sein bevorzugter Ankerplatz war zwischen Boiel und Poissy.

Die in dieser Gegend wohnenden Fischer und Flußschiffer kannten das Fahrzeug, hatten aber den Eigenthümer der mit großem Glanze eingerichteten Yacht noch niemals gesehen, deren Bemannung aus einigen wenigen Leuten bestand, die Engländer, Norweger oder Russen, auf jeden Fall aber Ausländer waren, da sie kaum einige französische Worte sprachen und nur in den seltensten Fällen, wenn sie neuen Mundvorrath einkaufen mußten, das Land betraten.

Die ganze Uferstrecke entlang war man bereits daran gewöhnt, die Yacht in unregelmäßigen Zeiträumen erscheinen und dann wieder abdampfen zu sehen, so daß man ihr keinerlei Beachtung mehr schenkte. So war sie Ende Februar abgedampft, war im März wieder zum Vorschein gekommen und schien offenbar im Begriffe, eine neuerliche Fahrt anzutreten, denn seit vierundzwanzig Stunden heizte sie bereits und wartete allem Anscheine nach bloß auf die Ankunft ihres Eigenthümers.

Sobald der Frühling ins Land zieht, beginnen auch die Ausflüge zu Wasser, und gewiß wollte sich der Besitzer der Yacht das herrliche Wetter zunutze machen, um den englischen oder französischen Küsten einen Besuch abzustatten. So calculirten nämlich die Fischer, die ihre Netze unterhalb des Mühlenwehres von Poissy ausgeworfen hatten; doch diesmal täuschten sie sich. Der Eigenthümer des Dampfers befand sich bereits an Bord und gedachte eine viel weitere Reise anzutreten als nach den britischen Inseln.

Für den Moment hatte er gerade sein Frühstück beendet, ebenso wie sein Gefährte, der mit ihm an einem Tische saß, auf welchem eine halbleere Rumflasche stand, die sie gänzlich zu leeren im Begriffe waren. Der Schiffseigenthümer war niemand Anderer als der angebliche Graf Borodino und sein Tischnachbar die geheimnißvolle Person, welche in dem Atelier des Malers Vitrac eine so unerklärliche Rolle gespielt hatte, der Grieche Caritides, den Fräulein Wanda Dubois kannte.

Er war fast ebenso groß und stark wie der falsche russische Edelmann; er sah ihm sogar sehr ähnlich, obschon er viel jünger war.

Die Ellbogen auf den Tisch gestützt, plauderten sie ruhig miteinander in einer im Hinterdeck der Yacht gelegenen großen Cabine, die als Speisezimmer diente. Sie bedienten sich der griechischen Sprache in ihrer Unterhaltung und machten von Zeit zu Zeit lange Züge aus den Pfeifen, die sie in der Hand hielten. Es war das ein echt orientalisches Gespräch, langgedehnt und von zahlreichen Pausen unterbrochen, und hätte es bloß der orientalischen Costüme bedurft, um die Täuschung vollständig zu machen.

Sie waren aber ganz nach europäischer Art gekleidet und niemand hätte sie für die Nachkommen Epaminondas' angesehen, zumal sich ihre Unterhaltung durchaus nicht um das Schicksal des heutigen Griechenlands drehte.

»Unser Schlepper will noch immer nicht anlangen,« sagte Caritides.

»Er wird noch vor Anbruch der Nacht hier sein und das genügt,« erwiderte Borodino. »Sobald wir ihn ins Schlepptau genommen, dampfen wir ab.«

»Selbst auf die Gefahr hin, auf eine Sandbank zu gerathen, wie? Nach Sonnenuntergang ist es sehr schwierig, auf der Seine fortzukommen.«

»O, wir werden ganz langsam fahren und das Versäumte bei Tage einholen; in achtundvierzig Stunden sind wir dann in Havre. Im Hafen werden wir das Umladen vornehmen, und haben wir unsere lebende Waare einmal an Bord, so lassen wir den Schlepper zurück und dampfen mit voller Kraft den Canal entlang. In etwa zwölf Tagen sind wir dann im Bosporus eingelaufen, gerade vor dem Hause Rustem Paschas.«

»Allerdings, wenn wir im Golf der Gascogne keinen Sturm zu bestehen haben.«

»Das könnte uns höchstens eine Verspätung eintragen, uns aber nicht am Anlangen hindern, denn die Yacht behauptet sich vorzüglich auf hoher See.«

»Ich weiß ja, daß sie nicht leck würde, nur käme Deine Waare in einem erbärmlichen Zustande an, denn eine Pariserin wird unbedingt von der Seekrankheit befallen. Doch ist das schließlich Deine Sache, denn ich mache keine Geschäfte mehr mit Rustem, dessen Laune Dich und mich theuer zu stehen kam. Denn hättest Du die Kleine nicht gefangen genommen, so wäre uns die Polizei vom Halse geblieben.«

»Ich würde es auch nicht wieder thun, wenn sich mir die Gelegenheit dazu bieten sollte. Die Dinge lagen zu günstig und so ließ ich mich verführen; eine bessere Gelegenheit, dem Auftrage dieses verrückten Rustem nachzukommen, hätte sich mir nie wieder geboten.«

»Ja, verrückt ist er und noch verrückter seine Idee, seinen Harem mit einer Pariserin zu vermehren. Immerhin bleibe ich dabei, daß es unklug von Dir war, diesen Auftrag zu übernehmen; die Sache ist mit zu großen Gefahren verbunden.«

»Rustem bezahlt auch dem entsprechend, und jedenfalls ist die Sache weniger gefährlich, als der eigenen Frau den Kopf abzuschneiden. Was hat es Dir denn eingetragen, daß Du die Deinige getödtet hast?«

»Und das Vergnügen der Götter, die Rache nämlich, die gilt Dir nichts? Irene war mir zur Last geworden und seitdem ich wußte, daß sie mit diesem Maler bekannt geworden, hatte ich keine ruhige Stunde mehr. Wie leicht hätte es sich treffen können, daß sie ihm einiges aus unserer Vergangenheit erzählte! Dem mußte also ein Ende gemacht werden.«

»Hättest Du Dich damit begnügt, Irene ganz einfach zu tödten, so hätte kein Hahn nach ihr gekräht; es hieß aber den Teufel versuchen, diese Komödie mit dem abgeschnittenen Kopfe aufzuführen!«

»Ich gebe es zu, doch war ich zu sehr aufgebracht über Vitrac, und dann war die Geschichte zu amüsant und zu gut ausgetüftelt! Die jüngere Schwester, die ich aus Wien kommen ließ, damit man sie für die Todte halte, und dann mein Einfall, sie für stumm auszugeben –«

»All dies war viel zu verwickelt und ich war ein Narr daß ich mich dazu hergab. Du siehst ja, was wir davon haben!«

»Ach, wir werden uns schon wieder zurechtfinden, zumal ich ohnehin nicht die Absicht hatte, in Frankreich zu bleiben. Nur das Eine thut mir leid, daß wir Helene nicht mit uns nehmen können. Wie konnte es Dir nur passiren, daß sie Dir ausriß?«

»Dieser einfältige Untersuchungsrichter ließ sie entkommen, und ich hatte keine Zeit, um ihr nachzueilen. Ich wußte, daß ich verhaftet werden sollte, und das wäre auch geschehen, wenn ich daheim geblieben wäre. Uebrigens tröste Dich, Helene wäre niemals Deine Frau geworden.«

»Ich hätte sie nicht gefragt, ob sie will oder nicht; außerdem wäre es am besten gewesen, auch sie aus dem Wege zu schaffen, denn sie wird uns zweifellos verrathen.«

»Das glaube ich selbst; doch werden wir zum Glücke bis dahin bereits über alle Berge sein und vor der Polizei habe ich keine Angst. Die ist ja so vernagelt, daß sie niemals entdecken wird, welchen Streich ich ihr gespielt habe. Ich fürchte mich nur vor dem Vater der kleinen Modistin, denn das ist ein alter Hitzkopf, der Himmel und Erde in Bewegung setzen wird, um seine Enkelin zurückzubekommen. Ich habe Dir wohl noch gar nicht gesagt, daß er mich erkannt hat?«

»Wo hatte er Dich denn gesehen?«

»Oft genug während des Krimkrieges, als ich noch meine Brigg commandirte. – Er ist unschuldig daran, daß ich bei Thermia nicht gehängt wurde – er befand sich auf dem französischen Kriegsschiffe, welches das meinige enterte – und er versetzte mir auch den Säbelhieb, dessen Spuren ich noch heute auf meiner Stirn trage. – Wäre ich nicht schwimmend entkommen –«

»Du bist aber entkommen und wiederholen wird sich die Sache nicht. Der Patron ist schon zu alt und hat schwerlich eine feinere Nase als die Polizeiagenten seiner Heimat.«

»Das schon, aber der Geliebte oder der Verlobte seiner Enkelin begleitet ihn, und das ist ein Schüler Vitrac's, der auch zugegen war, als Du mit dem Sacke erschienst.«

»Herrgott, das ist Pech! Aber der Bursche hat Dich doch nicht erkannt?«

»Nein – ich glaube nicht – wir waren ja sehr gut verkleidet, ich als Mönch und Du als Lastträger – und trotzdem sind wir im Café Américain zwei Gästen des Malers aufgefallen. Allerdings hat mich einer derselben oft mit Irene durch das Bois de Boulogne fahren gesehen, noch bevor Helene nach Paris kam. Und am nächsten Tage hatte ich Helene mit mir, als ich ihnen im Bois begegnete. Ich kam ihnen auf kühne Weise zuvor und erzählte ihnen die rührende Geschichte meiner angeblichen Nichte. Helene verstand nicht, was ich sprach, da ich mich des Französischen bediente; ihre Rolle als Stumme spielte sie dagegen recht gut. Sollte sie aber mit den jungen Leuten wieder zusammentreffen, so wird sie niemand hindern können, deutsch oder griechisch zu schwatzen – wie sie es bereits in dem Zimmer des Untersuchungsrichters gethan.«

»Ja, wir hätten ihr die Zunge ausreißen sollen,« erklärte Caritides mit einem höhnischen Lachen. »Doch läßt sich das nicht mehr gut machen. Jetzt will ich Dir aber über einen gelungenen Streich berichten, den ich gestern Abends ausführte, bevor ich Paris verließ.«

»Wem hast Du denselben gespielt?«

»Der einstigen Verlobten Vitrac's – Du kennst sie doch?«

»Ja; aber eine Unklugheit wird wohl auch das gewesen sein!«

»Bah! Sie hat mich auf dem Balle nicht einmal gesehen und meine Frau kannte sie auch nicht. Ich hatte nun ein Mittel gefunden, um den Leichnam bei ihr einzuschmuggeln. Du erinnerst Dich doch an die Hinrichtung in Deinem Garten, die wir einen Tag vor der Ankunft Helenen's daselbst vornahmen?«

»Ich habe nur zu gute Gründe, um mich daran zu erinnern,« sprach Borodino zwischen den Zähnen. »Ich habe Dir ja dabei geholfen und wenn ich vorausgesehen hätte –«

»So hättest Du mir trotzdem geholfen. Irene war mir im Wege, Dir nicht minder, und als ich Dir meinen Plan auseinandersetzte, hattest Du nicht die geringste Einwendung zu erheben. Als der Abend anbrach, führtest Du meine Frau unter dem Vorwande, ihr einige frisch erblühte Pflanzen zu zeigen, an das äußerste Ende der Terrasse, wo ich hinter einem dichten Gebüsche verborgen, bereits auf sie wartete. Als sie sich nun bückte, um die Blumen zu betrachten, da hieb ich ihr mit einem einzigen Streiche des krummen Schwertes, welches ich von meiner letzten Reise nach Indien mit mir gebracht hatte, den Kopf ab. Und ich schmeichle mir, daß ich meine Sache gut machte.«

»Ich hätte sie selbst nicht besser machen können, als ich jung war.«

»Du wirst auch nicht vergessen haben, daß wir ohne Zeit zu verlieren, den noch blutenden Kopf in einen mit Mehl gefüllten Sack steckten und den Körper, den wir vollständig entkleideten, in einer hölzernen Truhe verwahrten, die ich für diesen Zweck anfertigen ließ? Wir beförderten nun die Truhe und den Sack in Deinem großen Landauer, den Du selbst einspanntest und lenktest, nach Clignancourt, wo ich in einer einsam gelegenen Straße einen Hof mit einem Wagenschuppen gemiethet hatte, und dort ließen wir unsere zwei Gepäcksstücke zurück. Du saßest neben mir auf dem Kutschbocke und warst mir beim Abladen behilflich. Am nächsten Tage gegen Mitternacht kehrten wir zu dem Wagenschuppen zurück, um unsere Verkleidung vorzunehmen; ich hatte unsere Costüme als Lastträger und Einsiedler bereits vorbereitet und von der Chaussee Clignancourt ist es nicht sehr weit bis zur Place Pigalle, wo der Maler Vitrac wohnt. Zwei Stunden später erschienst Du auf dem Balle, den der Maler veranstaltet hatte, und zehn Minuten nachher fand ich mich mit meinem Sacke ein. Auf dem Boulevard de Clichy wartete Dein Coupé auf uns und wir fuhren nach unserer Garderobe zurück. Dort legten wir wieder unsere gewöhnlichen Kleider an, worauf Du noch ins Café Américain gehen wolltest, wo wir auch die beiden Gäste Vitrac's sahen.«

»Ja, und als ich ihnen am nächsten Tage im Bois de Boulogne neuerdings begegnete, da erachtete ich es für klüger, ihnen nicht auszuweichen, sondern ihnen keck die Stirn zu bieten. Doch weshalb erzählst Du mir alle diese Dinge, die ich ja ebenso genau kenne wie Du?«

»Um Dich zu erinnern, daß der Holzkasten, welcher Irene als Sarg diente, in dem Wagenschuppen zurückgeblieben war. Ich hatte die Absicht, denselben überhaupt dort zu belassen; doch kam mir gestern eine andere Idee. Wie Du weißt, hatte ich vor der Ankunft meiner Schwägerin Dein Haus in der Rue Berton verlassen, um Helene nicht sehen zu müssen, und eine Wohnung in der Nähe der Befestigungswerke bezogen.«

»Ja, auf dem Boulevard Ney. Dorthin schickte ich auch meinen Kutscher, um Dich zu benachrichtigen, daß ich bewacht werde und daß ich Dich auf der Yacht erwarte.«

»Wie Du siehst, habe ich mich pünktlich eingefunden; ich kam sogar früher als Du, da Du mit Deinem Schlepper zu thun hattest, auf welchem sich die für Rustem Pascha bestimmte kleine Modistin befindet. Doch bevor ich Paris verließ, veranstaltete ich eine kleine Ueberraschung für Wanda, durch die ich mich ebenfalls an Vitrac rächen wollte. Aus meinem Lastträgercostüm machte ich mir eine Tracht als Dienstmann zurecht, lud mir den hölzernen Kasten auf den Rücken und trug ihn in die Wohnung der Dubois, wo ich ihn nebst einem Briefe zurückließ, in welchem ich der Dame schrieb, daß ich mich um Mitternacht bei ihr einfinden werde, um die Nacht bei ihr zu verbringen.«

»Aber wozu denn?«

»Einen anderen Brief richtete ich an die Präfectur, um die Polizei zu benachrichtigen, daß sich der Mörder der unbekannten Frau heute bei seiner Mitschuldigen einfinden und man den Leichnam daselbst vorfinden werde. Nun wird man nicht mich, sondern sie verhaften –«

»Und welchen Nutzen hast Du davon?«

»Ich empfinde eine unbändige Freude bei dem Gedanken, daß man die Verlobte dieses verdammten Vitrac verhaften, anklagen und vielleicht sogar verurtheilen wird.«

»Und um Dir dieses Vergnügen zu bereiten, hast Du der Polizei einen Brief mit Deiner eigenen Handschrift geschickt?«

»Man kennt ja meine Schrift bei der Polizei nicht, und hätte ich Vitrac denselben Streich spielen können, so hätte ich keinen Augenblick gezögert.«

»Du bist von Sinnen! Wo es sich um Dein und mein Leben handelt, treibst Du alle möglichen Thorheiten! Ich hielt Dich für einen gesetzten, ernsten Mann, und bereue es bereits, mich mit Dir eingelassen zu haben.«

»Ich bin Dir darum gar nicht böse, mein alter Samoschraki, und glaube selbst, daß wir fernerhin nicht mehr gemeinschaftlich werden arbeiten können. Du warst ein Mann, wie ich sie liebe, aber nur zur Zeit, da Du eine stattliche Brigg unter Deinem Commando hattest. – Du hast große Thaten vollbracht und Dein Name wird den Inselbewohnern ewig unvergeßlich bleiben. – Heute bist Du ein reicher Mann und willst auf Deinen Lorbeeren ausruhen, was ich Dir gar nicht übel nehmen kann. Die kleinen Geschäfte, die Du mit Rustem und anderen Paschas machst, reichen vollauf hin, um Deine Mußestunden auszufüllen; ich kann aber dem Handel mit weißem Menschenfleisch keinen Geschmack abgewinnen, und dem Leben in den großen Städten noch weniger. Ich führe es bereits seit drei Jahren, weil ich die Thorheit begangen habe, Irene zu heiraten. Nun habe ich mich aber ihrer entledigt und wünsche nichts sehnlicher, als die herrliche Lebensweise der Klephten, die ich in meiner Jugend geführt, von neuem aufzunehmen. Ach! das waren schöne Zeiten, da noch die Bande von Marathon bestand! Wohl ist sie zersprengt worden; doch ist in den Bergen kein Mangel an wackeren Burschen, und ich fühle mich fähig, dieselben anzuführen. Ebenso mangelt es daselbst nicht an englischen Touristen, die reich genug sind, um angemessene Lösegelder zu zahlen.«

Schweigend hörte der alte Seeräuber diesen Lobgesang des Brigantenlebens mit an; doch seine Augen glänzten, und die Erinnerungen, welche sein Genosse erweckte, riefen auch seine alte Leidenschaft für das Piratenthum wach.

»Ich sage Dir das alles nur, mein Freund,« nahm Caritides von neuem auf, »um Dir erklärlich zu machen, daß ich Deine Gastfreundschaft nur mehr in Anspruch nehmen werde, so lange ich mich auf Deiner Yacht befinde, dagegen Abschied von Dir nehmen werde, sobald wir den Bosporus erreicht haben. Ich kann den Moment kaum mehr erwarten!«

»Ich ebenfalls!« stimmte Borodino bei.

»Je weniger Zeit wir hier verlieren, je früher langen wir an. Ich an Deiner Stelle würde diesen Schlepper, der wie eine Schnecke flußabwärts treibt, nicht abwarten; höchstens würde Rustem Pascha keine Pariserin bekommen, und das wäre weiter kein Unglück.«

»Gewiß nicht; doch kann ich meine Leute, die sich in dem Schlepper befinden, nicht treulos im Stiche lassen. Was sollten sie ohne mich anfangen? Man würde sich ihrer bemächtigen und sie würden zu Verräthern werden.«

»Da hast Du vielleicht recht; warten wir also noch. Doch sage einmal, wenn man uns selbst auf Deiner Yacht überfallen sollte – ich hoffe ja selbst, daß das nicht der Fall sein wird, doch muß man an alles denken – was würdest Du thun?«

»Ich würde mich sammt den Leuten, die mich festnehmen wollten, in die Luft sprengen.«

»Hast Du also Pulver in Vorrath?«

»Ich führe zwölf Tonnen mit mir.«

»Das ist mehr als genug,« sagte Caritides lächelnd. »Ich würde aber schwimmend zu entkommen suchen. Doch so weit sind wir ja noch nicht. Ich möchte lieber Ausblick halten, um zu sehen, ob dieser ver… Schlepper noch immer nicht kommt. Wenn ich auf der Commandobrücke oben bin, werde ich ihn vielleicht erblicken.«

»Woran würdest Du ihn denn erkennen? Hast Du ihn denn gesehen, als er am Quai de Passy verankert lag?«

»Ich achtete kaum auf ihn, würde ihn aber trotzdem an den zwei Kähnen erkennen, die ihn nach sich ziehen.«

»Ich gehe auch mit Dir, denn ich habe doch noch gute Augen.«

»Ich auch; doch war ich niemals Seemann, nicht einmal im Süßwasser, und so wird es von Vortheil sein, wenn Du mit mir kommst.«

Die beiden Genossen begaben sich auf die Commandobrücke, an deren Brüstung der wachehaltende Matrose in wollener Blouse lehnte, der niemand anderer war als der baumlange Lakai, mit dem Dangelas und Cordouan einen Faustkampf eröffnet hatten, als sie sich zu dem angeblichen Russen in der Rue Berton begaben, um nach der verschwundenen Modistin zu suchen. Sämmtliche Bediensteten Borodino's waren in zweifacher Eigenschaft zu verwenden: auf dem Lande als Diener, zu Wasser als Matrosen. Er hatte dieselben von den Archipelinseln aufgelesen und keiner von ihnen verdiente den Galgen weniger als er; ihm aber waren sie treu ergeben, so daß sie selbst durchs Feuer für ihn zu gehen bereit gewesen wären.

Der wachehabende Matrose ging auf seinen Gebieter zu und sagte:

»Dort unten, am Rande des Ufers sitzt ein Mann, der sich den Anschein giebt, als würde er angeln, in Wirklichkeit aber uns beobachtet.«

Borodino blickte in die bezeichnete Richtung und zuckte die Achseln, als er einen alten Mann sah, der mit einem schlechten Strohhute auf dem Kopfe am Ufer saß und seine ausgeworfene Angelschnur bewachte.

»Ich glaube wirklich, daß ich den Schlepper sehe!« rief Caritides mit einemmale aus.

Borodino hielt sich die Hand schützend vor die Augen und erwiderte sodann:

»Er ist es in der That. Es hat lange gedauert, doch endlich ist er da; er langt sogar im günstigsten Momente an. Es dunkelt bereits und niemand wird unser Manöver beobachten können; der Alte, der da unten hockt, kümmert sich nicht einmal um uns.«

»Der Alte, der da unten hockte,« wie sich der alte Seeräuber ausdrückte, schien sich in der That nur dort niedergelassen zu haben, um den auf der Wasserfläche tanzenden Kork seiner Angelschnur zu bewachen, und Borodino hielt sich nicht damit auf, seinen in einen Matrosen umgewandelten Diener zu fragen, wieso er auf den Gedanken gekommen, daß jener das Schiff beobachte. Borodino war so erfreut über die endliche Ankunft des schwimmenden Gefängnisses, in welchem er Auguste eingeschlossen hatte, daß er an nichts anderes dachte als daran, seine Yacht mit dem Lastschiffe im Schlepptau zur Abfahrt bereit zu machen.

Es war thatsächlich der Schlepper, der durch einen recht engen Arm des Flusses, welcher an dieser Stelle durch eine sehr lange und sehr felsenreiche Insel in zwei Theile geschieden war, dahergeschwommen kam. Zwei Boote, deren jedes mit zwei Männern besetzt war, zogen ihn von der Strömung unterstützt langsam nach sich, und wenn Dangelas zur Stelle gewesen wäre, so hätte er nach der Beschreibung des alten Asticot das Schiff sofort erkannt: es ragte hoch aus dem Wasser empor, weil es nur wenig belastet war, die Seitenwände waren dunkelroth und der Vordertheil grün gestrichen, sämmtliche Luken sorgfältig verschlossen und niemand am Steuer zu sehen, dessen Ruder an der Ankerwinde festgebunden war.

Das schwerfällige Fahrzeug glitt langsam daher, mußte aber in wenigen Minuten die Yacht erreichen, von wo man bloß ein Seil auszuwerfen hatte, um es ins Schlepptau zu nehmen und sich damit in Bewegung zu setzen. Die Bootsruderer, die den Dampfer bereits erblickt hatten, legten sich jetzt mit voller Kraft gegen ihre Ruder, um möglichst rasch bei demselben anzulangen.

»Sieh' einmal!« sprach Caritides plötzlich; »der Angler dort ruft Deinen Leuten etwas zu. Was mag er wohl von ihnen wollen?«

In der That war der Angler aufgestanden und indem er beide Hände wie einen Schalltrichter vor den Mund hielt, rief er den Ruderern etwas zu, was dieselben verstehen mußten, da ihnen der Wind die Worte zutrug, von welchen man auf der Yacht nichts zu verstehen vermochte. Er unterstützte seine Worte durch Geberden, deren Bedeutung unschwer zu errathen war.

»Ich verstehe schon,« fügte Caritides hinzu; »Deine Leute sind dem linken Ufer zu nahe und er will ihnen mittheilen, daß das Wasser dort zu seicht sei und sie scheitern müßten. Man findet eben überall wackere Leute. – Wenn sie ihn nur verstehen! Ja, ja – sie drehen rechts bei, der Alte eifert sie noch mehr an – die Leute legen sich kräftig in die Riemen und die Schute gleitet wie eine Schwalbe über das Wasser.«

Er sprach noch und begeisterte sich förmlich über die Dienstfertigkeit des unvorhergesehenen Lootsen, der seine Beschäftigung unterbrach, um fremden Schiffern, die er nicht kannte, den richtigen Weg zu weisen, als ein plötzliches Geräusch seinen Lobeserhebungen ein Ende machte. Es war das ein heftiger Stoß, dem ein langgezogenes Krachen folgte. Zu gleicher Zeit begann die Schute vorn zu sinken, und war der Stoß ein so gewaltiger gewesen, daß die Seile, mit welchen die Boote den Schlepper nach sich zogen, rissen und die Boote selbst gegen das Ufer geschleudert wurden.

»Der Halunke!« knirschte Borodino ergrimmt. »Das hat er absichtlich gethan!«

Ob der alte Angler das absichtlich gethan oder nicht, änderte nichts an dem Umstande, daß die Situation durch diesen Schiffbruch sich bedeutend schwieriger gestaltete. Ein Zweifel konnte nicht obwalten, der Schlepper war gegen einen nur wenig vom Wasser bedeckten Felsen gestoßen, hatte seinen Rumpf beschädigt und sank, sehr langsam allerdings, aber er sank, und selbst wenn er sich auf der Wasserfläche erhalten hätte, so wäre es ihm durch die schwere Beschädigung, die er erlitten, unmöglich gemacht worden, seine Reise fortzusetzen.

Es mußte an eine Rettung gedacht werden; doch auf welche Weise?

Sollte man die Schute sinken lassen, auf welcher sich Auguste befand? Daran konnte nicht einmal gedacht werden. Borodino hätte sich noch über den Verlust seiner Gefangenen trösten können, wenn er sicher gewesen wäre, daß sie ertrinken wird; doch war der Fluß nicht tief genug, um den hochgebauten Schlepper mit Wasser zu bedecken und es war mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß das Fahrzeug noch emporragen werde, wenn es bereits den Grund des Flußbettes erreicht hat.

Die Uferbewohner eilten herbei und der Angler würde gewiß nicht verfehlen, sie von dem Unfalle in Kenntniß zu setzen. Der Mann war sicherlich nicht schwimmend auf die Insel gekommen und mußte irgendwo unter dem Ufergebüsche einen Kahn haben, mit welchem er über den schmalen Seinearm setzte. Im Uebrigen hatte er seinen Platz, wo er geangelt, bereits verlassen und war nirgends zu sehen.

Die vier Insassen der Boote, welche den Schlepper nach sich gezogen hatten, waren offenbar der Ansicht, daß die Sachlage eine derartige sei, daß sie die Weisungen ihres Gebieters einholen müßten, denn sie beeilten sich sichtlich, bei dem Dampfer anzulangen.

»Die Sache wird immer complicirter,« sagte Caritides; »und bleibt uns nur mehr ein Mittel, um mit heiler Haut zu entkommen; Deine lebende Waare muß geholt und hierher geschafft werden und dann heißt es mit voller Kraft vorwärts, ohne eine Secunde zu verlieren. Soll ich die Uebersiedlung bewerkstelligen?«

»Du würdest zu spät kommen,« erwiderte der alte Seeräuber zähneknirschend. »Man hat uns bereits wahrgenommen – alle Flußschiffer dieser Gegend werden herbeieilen, um die Schiffbrüchigen zu retten – ja, sie kommen sogar schon.«

Ein Kahn, der aus dem anderen Flußarme kam und zwei Männer trug, glitt in diesem Momente um die Inselspitze. Der eine derselben war der alte Angler, schon von weitem an seinem Strohhute zu erkennen, und der andere, der das Steuer führte, trug einen kurzen, groben Mantel, dessen Kapuze über seinen Kopf gezogen war.

»Das habe ich ja befürchtet!« rief Caritides aus. »Doch sie kommen auf uns zu, statt sich um den Schlepper zu kümmern – noch ist nicht alles verloren. – Lassen wir sie nur an Bord kommen und haben wir sie einmal da –«

»So entkommen sie uns nicht mehr,« ergänzte Borodino, der die Absicht seines würdigen Genossen errathen hatte.

»Sobald sie hier sind, hole ich die Pariserin mit einem der beiden Boote und bringe sie an Bord. – Doch da sind bereits Deine Leute, und ich möchte zuvor Rücksprache mit ihnen nehmen. Wenn ich ihren Bericht vernommen, so werde ich die Kräftigsten unter ihnen mit mir nehmen, um zu Deiner Waare zu gelangen.«

Die vier Halunken, die in den Diensten des falschen Grafen standen und vor keiner Frevelthat zurückschraken, erklommen behend die an Bord führende Leiter und ohne die Aufforderung ihres Gebieters hierzu abzuwarten, begannen sie alle zu gleicher Zeit sprechend, zu berichten, daß der Schlepper auf eine Sandbank gerathen und der Angler daran schuld sei, denn er hatte ihnen zugerufen, sie mögen nach rechts abschwenken, da das Wasser auf der linken Uferseite sehr seicht sei, während gerade das Gegentheil der Wahrheit entsprach. Und sie seien fest überzeugt, daß der Mann das Scheitern ihres Schiffes absichtlich herbeigeführt habe.

Borodino und Caritides waren derselben Ansicht; doch fügten die Leute hinzu, sie hätten am linken Ufer viele Menschen gesehen, und einer der Männer glaubte sogar die silberne Borte an dem Helm eines Gendarmen wahrgenommen zu haben.

Die letztere Meldung war bedenklicher als alles weitere und man konnte nichts anderes thun, als mit voller Dampfkraft die Flucht ergreifen, die Gefangene ihrem Schicksal überlassen und in entsprechender Entfernung bei einem am Flusse gelegenen Städtchen mit Eisenbahnverbindung das Schiff verlassen und die Flucht mit der Bahn fortsetzen. Dabei würde ein jeder für die eigene Sicherheit sorgen. Es war eine völlige Niederlage, die man erlitt, doch nur auf diese Weise eine Rettung möglich, und Caritides war entschlossen, den Versuch zu wagen. Der alte Seeräuber weigerte sich nicht, zu fliehen; doch fiel es ihm schwer, daß er sein letztes Opfer, welches Zeugenschaft gegen ihn ablegen könnte, am Leben lassen sollte, und er hoffte, daß ihm noch so viel Zeit bleiben werde, das arme Kind wenn auch nicht auf seine Yacht zu befördern, so doch in dem Cabinenraum des Schleppers, wo er es eingeschlossen hatte, zu tödten. Es kam ihm auf einen Mord mehr oder weniger nicht an, und dieser letzte Mord speciell konnte ihm Straflosigkeit sichern.

Das Boot, in welchem sich der alte Angler und der Mann mit der Kapuze befanden, kam immer näher, war aber noch ziemlich weit entfernt, und Samoschraki schickte sich bereits an, in einen der Kähne hinunterzusteigen, um die düstere That, die ihn von Auguste befreien sollte, mit eigener Hand auszuführen, als Caritides seinen Arm erfaßte und schweigend auf einen Mann deutete, der an der Stelle erschienen war, welche der Angler verlassen hatte.

Der Mann war nicht hierhergekommen, um den theilnahmslosen Zuschauer abzugeben oder sich in tiefsinnigen Betrachtungen zu ergehen, denn ohne einen Augenblick zu zögern, sprang er völlig angekleidet ins Wasser und schwamm mit kräftigen Armstößen dem Schlepper zu, der immer tiefer sank. Damit war die letzte Hoffnung der Banditen geschwunden, denn Auguste hatte nunmehr einen Vertheidiger.

Der Maschinist des Dampfers war auf Deck erschienen, um Weisungen einzuholen, und schon wollte ihm der falsche Borodino den Befehl ertheilen: »Mit voller Dampfkraft vorwärts!«, als der Mann, der das Steuerruder des Kahnes führte, in welchem sich der alte Angler befand, sich emporrichtete und die Kapuze seines Mantels zurückwarf. Borodino erkannte ihn und sagte zu seinem Maschinisten:

»Noch nicht. Doch halte Dich bereit, um beim ersten Zeichen, welches ich mit meiner Pfeife geben werde, mit allem Dampf die Fahrt anzutreten.«

Sein Entschluß war gefaßt; er sah, daß er verloren sei, doch wollte er nicht ungerächt sterben. Wenn ihm schon die Enkelin entschlüpfte, so wollte er sich wenigstens den Großvater nicht entgehen lassen; er hatte auf den ersten Blick den ehemaligen Quartiermeister erkannt, der ihm einst mit einem Säbelhiebe fast den Kopf gespaltet hätte.

Cordouan war der Yacht jetzt schon ziemlich nahe gekommen und sein verwittertes Profil zeichnete sich an dem von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne erhellten Abendhimmel deutlich ab. Dagegen hatte der einstige Seeräuber den Mann nicht erkannt, der den Schlepper soeben erreichte und sich mit Händen und Füßen anklammernd, gewandt wie eine Katze das Schiff erkletterte.

Dieser Mann war Jean Dangelas, der mit seinen beiden Verbündeten früh genug aufgebrochen war und rechtzeitig anlangte, um Auguste zu befreien. Man hatte einen schweren Tag hinter sich und der günstige Erfolg war zum größten Theile dem alten Asticot zu danken, der die kleine Expedition mit bemerkenswerther Umsicht und Sicherheit geleitet hatte.

Die drei Männer hatten, immerfort dem Schifferpfad folgend, ein wenig unterhalb der Ortschaft Pecq das Schleppschiff erreicht, welches inmitten der Nacht seine Thalfahrt angetreten hatte, durch die zahlreichen Schleusen aber aufgehalten worden war. Dies traf sich sehr günstig, war jedoch nicht genügend; man mußte ja dicht an den Schlepper herankommen und dazu hätte es eines Kahnes bedurft und den besaß man nicht; ebenso wenig verfügten sie über irgend eine bewaffnete Macht. Es wäre die reine Zeitverschwendung gewesen, wenn man sich an die Behörden von Pecq gewendet hätte, um denselben zu melden, daß man auf diesem schwerfälligen, für den Transport von Waaren eingerichteten Lastschiffe ein junges Mädchen entführe; obendrein wären sie vielleicht noch ausgelacht worden.

Da hatte der alte Fischer eine glänzende Idee. Er wußte, daß die Yacht unterhalb der Mühlenwehr von Poissy vor Anker lag, ein wenig tiefer als eine gewisse Insel, welche die Seine in zwei Arme scheidet; auch erinnerte er sich, daß er den Gendarmeriewachtmeister in Poissy kenne, der gleich ihm ein Freund des Fischfanges war und diesem Zeitvertreibe häufig auf dieser Uferstrecke oblag. Diesen Mann konnte der alte Asticot in die Sachlage einweihen und erforderlichenfalls auch um Beistand angehen; er entwarf also dementsprechend seinen Operationsplan.

Die Schute trieb sehr langsam stromabwärts, und auf einem Bauernwagen, den man in Pecq gemiethet hatte, langten die drei Verbündeten viel früher als sie in Poissy an. Asticot hatte also vollauf Zeit, mit dem Gendarmeriewachtmeister Rücksprache zu nehmen und den Hinterhalt auf der Insel vorzubereiten. Er hatte sich mit seiner Angelschnur an einer Stelle des Ufers niedergelassen, wo der Schlepper unbedingt scheitern mußte, wenn sich die Ruderer durch die perfiden Zeichen, die er ihnen geben wollte, irreführen ließen. Cordouan und Dangelas hatten in einem Boote, welches sie von einem Fischer erhielten, sich hinter die Insel zurückgezogen, wo sie der Dinge harrten, die da kommen sollten.

Der Schiffbruch fand, wie erwartet, statt, und die auf so gewaltsame Weise von ihrem Schlepper getrennten Ruderer trachteten die Yacht zu erreichen. Auguste war also von keiner unmittelbaren Gefahr bedroht, denn die Schute, deren Kiel bereits den Grund des Flußbettes berührte, konnte nicht mehr tiefer sinken.

Cordouan, der es für kein Unglück ansah, wenn die Rettung seiner Enkelin mit einigen Minuten verzögert wurde, gedachte sich vorerst dem alten Seeräuber zuzuwenden, der sie ihm geraubt. Er hatte noch ein Hühnchen mit ihm zu pflücken und wollte seine Flucht um jeden Preis vereiteln, indem er ihn mit eigener Hand auf seiner Yacht und inmitten der aus lauter Banditen bestehenden Bemannung festnahm. Es war das ein gefährliches Wagniß; doch befanden sich die Bewohner dieser Gegend bereits am linken Ufer und man sah unter ihnen auch mehrere Gendarmen, die sich unter der Anführung ihres Wachtmeisters hier eingefunden hatten.

Die drei Verbündeten hatten die Rollen unter sich vertheilt. Während Cordouan und der alte Angler der Yacht zuruderten, eilte Dangelas quer über die Insel und sprang ins Wasser, um schwimmend das Schleppschiff zu erreichen. Als er an der Seitenwand desselben emporgeklettert war, langten die beiden anderen Vertheidiger der jungen Putzmacherin bei dem Dampfer an und der alte Asticot sagte zu Cordouan:

»Halten Sie das Gelichter hin, bis ich die Gendarmen hole; der Wachtmeister hat mir bereits gewinkt, ich möchte ihn mit zwei oder drei seiner Leute hierher bringen und inzwischen wird Ihr bloßer Anblick genügen, um den Banditen Respect einzuflößen. Machen Sie aber keine Dummheiten! Reizen Sie die Halunken nicht unnütz, denn sie könnten Ihnen einen üblen Streich spielen.«

Cordouan stand bereits auf der Falltreppe, und ohne sich sonderlich an die weisen Rathschläge des alten Asticot zu kehren, erfaßte er seinen Revolver und kletterte die Treppe empor, als hätte es sich darum gehandelt, ein ihnen feindliches Schiff zu entern.

Auf dem Verdecke erwarteten ihn bereits Caritides und Samoschraki.

Dangelas dachte in diesem entscheidenden Momente weder an diese beiden Verbrecher, noch an seine zwei Verbündeten. Er war zu einer in dem Verdecke des Schleppers sichtbaren und hermetisch verschlossenen Fallthür geeilt und bemühte sich aus Leibeskräften den Holzverschluß zu entfernen, welcher den Zugang der Treppe verdeckte, die in den Innenraum des Schiffes hinabführte. Er riß sich dabei die Finger wund und fürchtete schon, daß er den Verschluß, welcher ihn von der armen Gefangenen trennte, in Ermangelung eines geeigneten Werkzeuges nicht werde entfernen können. Auguste befand sich hier und lebte noch, denn sie rief um Hilfe und er vernahm deutlich ihr Rufen. Er antwortete ihr mit beruhigenden Worten, ohne daß er darauf rechnete, daß sie ihn hören könnte; doch hoffte er auf die Ankunft seiner Freunde, die ihm jeden Moment zu Hilfe kommen mußten. Auf dem Dampfer spielte sich inzwischen eine andere Scene ab.

»Ergebt Euch, auf Gnade und Ungnade!« mit diesen Worten hatte der alte Cordouan die Verhandlungen eingeleitet. Und da natürlich niemand diesen Worten nachzukommen Miene machte, hatte er in demselben Tone hinzugefügt: »Ihr seid verloren, nichtswürdiges Gelichter, denn die Gendarmen sind bereits zur Stelle. – Ihr könnt mich tödten, doch habe ich sechs Schüsse abzugeben. Mein Leben käme Euch theuer zu stehen und selbst wenn Ihr mich tödtet, so nützt Euch das nichts. Der Telegraph hat die Meldung von Eueren Unthaten bereits nach allen Orten befördert und bei Nantes werdet Ihr schon von den Gendarmen erwartet!«

Die Mannschaft machte bei diesen Eröffnungen eine bestürzte Miene und auch Caritides büßte seine Zuversicht zum größten Theile ein.

»Springe über Bord!« sagte Samoschraki in griechischer Sprache zu ihm, und ohne die Antwort seines würdigen Genossen abzuwarten, verschwand er auf der Treppe, die in das Innere der Yacht führte.

Zur selben Zeit wurde auf dem Schlepper der Verschluß der Fallthür, welche Dangelas vergebens zu öffnen suchte, von innen emporgehoben, und gleich darauf kam nicht das reizende Köpfchen Auguste's, sondern der schwarze, kraushaarige Kopf des Negerknaben zum Vorschein, der seit vier Tagen für die Bedürfnisse der Gefangenen zu sorgen hatte. Dangelas erfaßte ihn bei den dichten Kraushaaren und hob ihn an denselben in die Höhe, als hätte er einen Maulwurf aus seinem Loche gehoben, und warf ihn gleich einem leblosen Gegenstande zu Boden. Der Neger richtete sich empor, ließ die Augen einen Moment erschrocken um sich rollen und sprang dann mit einem Satze kopfüber ins Wasser.

Dangelas nahm sich nicht einmal Zeit, ihm nachzublicken, um zu sehen, ob er wieder an die Oberfläche des Wassers emporkomme, sondern eilte über die Treppe in das spärlich erhellte Zwischendeck hinab, wo sich Auguste in seine Arme warf.

Sie hatte ihn nicht erkannt und stammelte bloß:

»Luft! – Hilfe! – Ich ersticke!«

Die Aermste wog kaum schwerer als eine Feder und es währte einige Secunden bloß, so hatte er sie auf das Verdeck emporgetragen, wo er sie sanft aus den Armen gleiten ließ und beruhigenden Tones sprach:

»Fürchten Sie nichts. – Ihr Großvater ist dort!«

Er deutete dabei auf eine Yacht, die unbeweglich auf ihrer bisherigen Stelle verharrte, deren Umrisse aber in dem abendlichen Nebel bereits undeutlich zu werden begannen.

»Wo bin ich?« fragte sie mit schwacher Stimme.

»In der Nähe von Paris. – Heute werden Sie bereits in Ihrem kleinen Zimmerchen in der Rue du Port Mahon schlafen können.«

Dangelas sprach noch, als mit einemmale eine blendende Helligkeit aufzuckte, während zugleich ein furchtbarer Stoß das Lastschiff erschütterte und mit unwiderstehlicher Gewalt gegen das Ufer schleuderte. Wenig fehlte, so hätte dieses Erdbeben zu Wasser Dangelas und Auguste ins Wasser geworfen, und auf ein Haar wären sie von den von allen Seiten heranprasselnden Trümmern, die die Explosion in die Luft geschleudert hatte, zerschmettert worden.

Der alte Seeräuber hatte das sich selbst gegebene Versprechen, lieber unterzugehen als sich zu ergeben, gehalten und die Yacht war mit allen Personen, die sich auf ihr befanden, Caritides mitinbegriffen, da er dem Rathe seines Genossen nicht schnell genug gefolgt war, in die Luft geflogen.

»Großvater! – Wo ist mein Großvater?« schrie das junge Mädchen.

Dangelas hatte nicht den Muth, ihr zu erwidern: »Er ist gerettet!« denn er war vom Gegentheile überzeugt; sein Schweigen aber besagte genug und Auguste wußte es zu deuten.

»Er ist todt!« stöhnte sie. »O! warum haben die Ungeheuer, die ihn getödtet, nicht auch mich ermordet? Ich wäre dann nicht völlig einsam und verlassen zurückgeblieben, denn ich besaß ja nur mehr ihn allein auf Erden!«

»Noch bin ich Ihnen geblieben,« sprach Dangelas zärtlichen Tones. »Sind wir denn nicht verlobt? Und bald werden Sie auch eine Mutter haben – die meinige nämlich –«


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