Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Während die Polizeiorgane unter der Anführung eines ausgedienten Cavalleristen das Haus und den Garten des russischen Edelmannes in militärischer Ordnung besetzt hielten, war der Rittmeister Cavaroc mit dem festen Entschlusse daheim angelangt, sich sofort zu Bette zu legen, um von seinen Mühen und Anstrengungen auszuruhen und in einem Zuge bis zum nächsten Morgen zu schlafen.

Doch der Mensch denkt und Gott lenkt, selbst wenn man Rittmeister bei den Kürassieren ist.

Daheim angelangt, traf Cavaroc seinen Groom, der die Abende regelmäßig außerhalb des Hauses verbrachte, im Vorzimmer an, wo er in einem Fauteuil saß und die Zeitung las.

Cavaroc war ein nachsichtiger Gebieter, und da er selbst immer spät nach Hause kam, so hatten seine Dienstleute die Erlaubniß, bis Mitternacht auszubleiben, wovon natürlich ausgiebig Gebrauch gemacht wurde. Daß nun Médard heute Abends von dieser Freiheit keinen Gebrauch gemacht hatte, mochte seinen Grund jedenfalls darin haben, daß er die Heimkehr des Rittmeisters nicht versäumen und mit diesem sprechen wollte, bevor er zu Bette ging. Offenbar hatte er ihm etwas Wichtiges mitzutheilen.

Diese Erwägungen zogen in dem Zeitraume einer Secunde durch den Kopf des Rittmeisters, als er beim Oeffnen der Thür seinen Groom erblickte, der ihn zu erwarten schien, und sofort richtete er ohne jede Einleitung die Frage an ihn:

»Was giebt es?«

»Herr Rittmeister,« erwiderte Médard; »ich muß Ihnen mittheilen, daß – daß –«

»Nun, was denn?«

»Daß eine Dame –«

»Was sprichst Du da? Was für eine Dame? Und weshalb diese geheimnißvolle Miene wie jüngsthin, als Du mir beim Frühstücke auch eine Dame meldetest?«

»Es ist dieselbe Dame, Herr Rittmeister.«

»Wie! Die große, brünette Dame, die Du damals in mein Rauchzimmer führtest?«

»Ja, Herr Rittmeister, die ist wieder gekommen.«

»So? – Und was wollte sie denn?«

»Das weiß ich nicht, Herr Rittmeister.«

»Sie hat sich also entfernt, ohne es zu sagen?«

»Nein, Herr Rittmeister, sie hat sich nicht entfernt. Es war neun Uhr, als sie kam, und ich sagte ihr, daß Sie nicht zu Hause seien und erst nach Mitternacht nach Hause kommen würden. Darauf erwiderte sie mir, daß sie unbedingt mit Ihnen sprechen müsse und im Nothfalle bis morgen auf Sie warten würde.«

»Und Du hast ihr gestattet zu bleiben?«

»Ich wagte es nicht, ihr die Thür zu weisen, auch hätte sie sich nicht an mein Verbot gekehrt. Ihre Ordonnanz war nicht da und wenn ich den Portier zu Hilfe gerufen hätte, so wäre es ohne Aufsehen nicht abgegangen.«

»Schon recht; Du bist entlassen.«

»O, Herr Rittmeister!« sprach Médard flehenden Tones, denn ihm war an seiner guten Stelle sehr viel gelegen.

»Du bist entlassen, und darüber kannst Du Dich nicht einmal beklagen. Ich könnte Dir Deine Tölpelei nachsehen, wenn Du erst seit acht Tagen in meinen Diensten stündest; doch hattest Du bereits reichlich Gelegenheit, meine ganze Lebensweise kennen zu lernen.«

»Ich bekenne ja, Herr Rittmeister, daß ich ein Unrecht begangen habe; doch wenn Sie wüßten – wenn Sie die Dame gesehen hätten –«

»Und wenn ich sie schon gesehen hätte? Was wäre dann gewesen?«

»Die Dame hatte eine ganz verstörte Miene, als sie anlangte – gewiß war ihr ein Unglück zugestoßen. – Sie kam förmlich hereingestürmt, als wäre sie von jemandem verfolgt, der sie tödten wollte. – Sie war so aufgeregt, daß sie kaum sprechen konnte und unzusammenhängende Worte redete. ›Ich muß mit ihm sprechen,‹ sagte sie; ›wenn ich nicht mit ihm sprechen kann, bevor ich nach Hause gehe, so bin ich verloren.‹ Mehr habe ich nicht verstanden – und ich getraue mich zu schwören, Herr Rittmeister, daß sie nicht bloß aus lieber Lust hierher kam. Ich hatte also nicht einmal den Muth, sie fortzuweisen – doch kann ich das noch immer thun, wenn Sie wollen. – Die Dame hat Sie nicht kommen gehört, und wenn es Ihnen erwünscht ist, so sage ich ihr, daß Sie heute überhaupt nicht nach Hause kommen, und daß sie nicht hier bleiben kann.«

Cavaroc beeilte sich nicht mit seiner Antwort; die Mittheilungen seines Dieners gaben ihm zu denken.

Der unerwartete Gast war Fräulein Wanda, und obschon er ihr so manche Unbesonnenheit zumuthete, glaubte er doch nicht, daß sie so unüberlegt sein könnte, eine förmliche Komödie aufzuführen, nur um einer Laune nachzugeben. Dagegen konnte angenommen werden, daß Wanda, nachdem sie gewissermaßen an dem Drama betheiligt war, dessen Hauptscene sich in dem Atelier Vitrac's abgespielt hatte, so manche Dinge wußte, und hatte sie möglicherweise etwas erfahren, was sie einer befreundeten Person anvertrauen wollte. Wenn dies der Fall war und sie Cavaroc zu ihrem Vertrauten auserkoren hatte, so wäre es unrecht von ihm gewesen, einer Begegnung mit ihr aus dem Wege zu gehen.

»Wo ist die Dame?« fragte der Rittmeister nach einer kurzen Pause.

»Im Rauchzimmer – wie jüngsthin,« erwiderte Médard, ganz glücklich, daß er den Sturm beschworen hatte. »Soll ich Sie melden, Herr Rittmeister?«

»Das ist nicht nöthig. Bleibe hier, lasse niemanden und unter gar keinem Vorwande ein und rühre Dich nicht von der Stelle, als bis Du mich klingeln hörst.«

Cavaroc, der die Sachlage mit einemmale von einem anderen Gesichtspunkte aus ins Auge faßte, wollte Wanda sozusagen überraschen; er gedachte ihre vertraulichen Mittheilungen entgegenzunehmen, ohne sich selbst zu solchen anregen zu lassen. Die Geheimnisse, die ihm durch einen Zufall offenbar geworden, betrafen nicht allein ihn, und seine Pflicht als ritterlicher Mann erheischte es, dieselben für sich zu behalten, insbesondere was die Flucht Helenen's anbelangte, und das Asyl, welches sie bei Julius von Jonville gefunden.

Was die Mittheilungen anbelangte, die ihm Wanda möglicherweise machen wollte, so gedachte er von denselben nur in dem Falle Gebrauch zu machen, wenn das Interesse seines Freundes dies erheischte. Derart für die bevorstehende Unterredung gewappnet, ergriff der Rittmeister einen Leuchter mit zwei brennenden Kerzen, um durch den Salon zu schreiten, und trat ohne anzuklopfen in das Rauchzimmer, wohin Médard die Dame geführt hatte.

Diese saß auf einem Divan und war derart in Gedanken vertieft, daß sie seine Schritte nicht vernahm und er unbemerkt dicht vor sie hintreten und heiteren Tones sagen konnte:

»Welch glücklicher Zufall führt Sie um diese Zeit zu mir, verehrtes Fräulein?«

In der nächsten Secunde stand Wanda aufrecht vor ihm und sprach bleich vor Erregung:

»Endlich sind Sie da! Ich fürchtete bereits, Sie würden gar nicht nach Hause kommen.«

»Ja, weshalb denn? Was ist Ihnen? Sind Sie vielleicht unwohl?«

»Nein – aber verloren bin ich!«

»Verloren! Wetter, das ist bedenklich!« sagte der Rittmeister mit einem Versuche, die Sache ins Lächerliche zu ziehen.

»Scherzen Sie nicht, ich bitte Sie darum! Die Sache ist viel zu ernst – und Sie bilden noch meine letzte Hoffnung –«

»Ich will Sie also in Ihrer Hoffnung nicht enttäuschen. Worum handelt es sich? – Sollten Sie sich mit Herrn Vitrac entzweit haben? Das kommt zwischen Verlobten sehr oft vor und wird am besten beigelegt, wenn sich niemand in die Sache mengt –«

»Was kümmert mich Herr Vitrac? Ich werde nie im Leben mehr mit ihm sprechen –«

»Das ist neu! Was hat er sich denn zu Schulden kommen lassen?«

»Er hat mich nie geliebt, wie ein Bräutigam seine Braut lieben soll, sondern hat eine Andere geliebt – jene Frau, deren Kopf in sein Atelier geschmuggelt wurde. – Wenn es aber nichts anderes wäre –«

»Was für ein Verbrechen hat er denn begangen?« fragte der Rittmeister eher neugierig als beunruhigt.

Wanda zog einen Brief aus dem Busen und reichte ihm denselben mit den Worten:

»Lesen Sie!«

Cavaroc war im höchsten Grade erstaunt. Er hätte eher alles andere erwartet, als daß ihn Wanda auffordern würde, einen an sie gerichteten Brief zu lesen, und daß der Brief an sie gerichtet sei, hatte er auf den ersten Blick erkannt, da auf dem Umschlage ihr Name stand. Er zögerte, das Papier entgegenzunehmen und so wiederholte sie:

»Lesen Sie! Weshalb zögern Sie denn?«

»Und wenn ich gelesen habe?«

»So werde ich Sie um Ihren Rath, um Ihren Schutz bitten.«

»Da es sich also darum handelt, Ihnen einen Dienst zu erweisen, so will ich es wagen,« sagte Cavaroc, während er den Brief aus dem Umschlage zog, das Papier entfaltete und darauf mit lauter Stimme zu lesen begann:

»Ich habe Ihnen Gutes erwiesen und bedarf jetzt Ihrer. Auf Ihre Dankbarkeit kann ich nicht gut rechnen, denn ich kenne die Frauen –«

»Der Mann hat offenbar Schopenhauer gelesen,« bemerkte der Rittmeister lachend, fuhr dann aber zu lesen fort:

»Doch Sie kennen mich und werden jedenfalls wissen, daß es Ihnen theuer zu stehen kommen würde, wenn Sie mir den Dienst, den ich jetzt von Ihnen erwarte, verweigern wollten. Ich halte, was ich verspreche; das wissen Sie aus Erfahrung. Ich habe Sie nie auf ein versprochenes Geschenk warten lassen, würde Sie also auch jetzt nicht auf Ihre Strafe warten lassen –«

»Ist das aber ein grober Patron!« rief Cavaroc aus. »Einer Frau vorzuwerfen, was man ihr geschenkt hat, ist die Art eines Lumpen.«

»Lump – Räuber – Mörder,« sprach Wanda mit dumpfer Stimme. »Das ist er alles und vielleicht noch etwas Aergeres.«

»Etwas Aergeres zu sein, wäre ziemlich schwierig. Auf welche Weise wurden Sie denn mit einem so vollkommenen Schurken bekannt?«

»Ein unglücklicher Zufall, für den ich schwer gebüßt habe, vermittelte einst unsere Bekanntschaft, die ihm nur dazu diente, seine sonstigen unlauteren Streiche zu verbergen. Ich gerieth in eine gewisse Abhängigkeit von ihm, die er jetzt mißbraucht, ohne daß man mir bei einiger Gerechtigkeit einen wirklichen Vorwurf machen könnte. Doch hat das keinen eigentlichen Bezug auf die vorliegende Angelegenheit –«

»Und was mag er denn jetzt von Ihnen begehren?«

»Lesen Sie weiter, dann werden Sie alles wissen.«

Die Sachlage spitzte sich ganz entschieden zu, und Cavaroc war es ganz recht, daß er diesem Geheimnisse auf den Grund dringen konnte.

Er ahnte noch nicht, daß die Reihe jetzt an die brieflichen Enthüllungen gekommen sei und Jean Dangelas dem Großvater Auguste's am nächsten Morgen einen Brief vorlesen werde, welcher die dunklen Ränke und Geheimnisse, die sich auf einige Personen unserer Erzählung bezogen, nach einer anderen Richtung hin aufklären würde.

Er fuhr also in der Lectüre dieses gemeinen Drohbriefes fort:

»Was ich von Ihnen verlange, richtiger gesagt, fordere, ist Folgendes: Ich habe an einer Frau, die mich beleidigt hat, Rache geübt, indem ich sie tödtete. Ich gedenke jetzt Frankreich zu verlassen, um nie wieder dahin zurückzukehren, und morgen abzureisen. Doch kann ich heute Abends nicht mehr in das von mir bewohnte Haus zurückkehren, da es von der Polizei besetzt gehalten wird; ich benöthige daher ein Obdach für diese Nacht, und dieses Obdach werden Sie mir gewähren. Bei Ihnen wird mich niemand vermuthen. Um Mitternacht werde ich mich bei Ihnen einfinden und hoffe Sie allein anzutreffen. Ihre Kammerfrau können Sie für heute Abends entlassen, und morgen werde ich Sie noch vor Tagesanbruch verlassen, nicht ohne die Gastfreundschaft, die ich von Ihnen beanspruche, reichlich belohnt zu haben. Weiter verlange ich nichts.«

»Meiner Treue, das ist genug!« sprach der Rittmeister höhnisch, »der Brief hat aber eine Nachschrift. Sehen wir einmal.«

»Derselbe Dienstmann, der Ihnen diesen Brief übergiebt, wird auch einen Koffer mit sich bringen, welchem Sie in Ihrer Wohnung einen Platz anweisen wollen, nicht für lange, denn morgen Früh werde ich ihn mit mir nehmen. Der Koffer enthält Geld und Werthpapiere; Sie sehen, ich habe noch Vertrauen zu Ihnen. Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß, wenn Ihnen der Gedanke kommen sollte, mich zu denunciren, ich dies rechtzeitig erfahren und Sie zum Tode verurtheilen würde. Ich habe einen Freund, nennen Sie ihn meinethalben einen Mitschuldigen, in Paris, der die Strafe zur Ausführung brächte. Ich würde zwar dabei meinen Koffer verlieren, aber auch Sie würden keinen Vortheil von seinem Inhalte haben, denn mein Verderben würde Ihren Tod bedeuten. Um Mitternacht also! Ich werde viermal klingeln, je zweimal immer in gleichen Abständen, öffnen Sie daher nur bei diesem Signal.«

»Eine Unterschrift fehlt,« sagte Cavaroc, nachdem er die Lectüre des absonderlichen Schriftstückes beendet hatte; »doch begreife ich, daß der Schreiber seine Anonymität beizuhalten wünschte. Sie haben diesen angenehmen Auftrag also ernst genommen?«

»Sie fragen noch?«

»Gewiß, denn das Ganze macht den Eindruck eines verfrühten Aprilscherzes auf mich –«

»Sie vergessen, daß ich den Schreiber dieses Briefes kenne –«

»So viel ich aus dem Briefe entnommen zu haben glaube, ist er ein Ausländer?«

»Ich glaube, er ist ein Grieche; sein Name ist Constantin Caritides.«

»Caritides, sagen Sie?« rief der Rittmeister maßlos erstaunt aus.

Er erinnerte sich an die Mittheilungen, welche Helene seinem Freunde Jonville gemacht hatte, und nun wurde ihm der Zusammenhang mit einemmale klar. Caritides war der Gatte und Mörder Irene's, der Freund des falschen Grafen Borodino, der Schurke, der verschwunden war, nachdem er seine Frau ermordet hatte. Diese war in Folge ihres unglücklichen Ehelebens naturgemäß auf Trost und Liebe angewiesen gewesen und hatte die Freundschaft des schönen, genialen Künstlers angenommen. Der Gatte aber konnte dieses Freundschaftsbündniß, welches ihm ein Zufall enthüllt hatte, nicht dulden, und um die Gattin exemplarisch zu bestrafen, hatte er sie getödtet und ihren Kopf inmitten eines Costümfestes Vitrac zu Füßen geworfen.

Borodino und er hatten dies gemeinschaftlich vollbracht, hatten sich in die Rollen getheilt; der Eine war der Lastträger, der Andere der Einsiedler gewesen, und Letzterer zuerst erschienen, um das Terrain zu sondiren und seinem Kameraden das Zeichen zu geben, wann er mit seiner schauerlichen Last einzutreten hatte.

Was Borodino betraf, so war der Rittmeister im Klaren, Borodino war entwischt und die Polizei suchte ihn; ob sie seiner habhaft werden würde, konnte Cavaroc nicht voraussehen. Dagegen erfuhr er durch einen merkwürdigen Zufall, daß der andere Uebelthäter noch in Paris sei und die Nacht bei Wanda zubringen werde, die sehr klug daran gethan, daß sie sich um Rath und Hilfe an den Rittmeister gewendet hatte.

Dies schien eine Fügung der Vorsehung zu sein; doch war es zu schön, als daß Cavaroc sofort daran glauben konnte. Wie kam es, daß dieser Schurke einfältig genug war, um sich einer Person, die, wie er wissen mußte, nur Abscheu für ihn empfinden konnte, auf Gnade und Ungnade zu ergeben? Hatte er vielleicht die Absicht, sie in ihrem eigenen Heim zu tödten, um sich eines unangenehmen Zeugen seiner Vergehen zu entledigen? Cavaroc war geneigt, dies zu glauben, erwog aber dessenungeachtet die Frage, ob dieser Brief nicht eine Mystification sei, deren Zweck er nicht absehen konnte, außer dieselbe bezweckte die Irreführung der Polizei, wenn es Wanda in den Sinn kommen sollte, den Brief der Behörde zu übergeben.

»Ja,« nahm sie von neuem auf; »er heißt Caritides. Er wohnte in Passy und war verheiratet. Ich kann ihn Ihnen in zwei Worten beschreiben: Er ist ein Koloß, der mich mit einem Faustschlage niederstrecken könnte; ich hatte stets Furcht vor ihm, obschon ich nur selten Gelegenheit hatte, ihn zu sehen oder mit ihm zu sprechen.«

»Glauben Sie also wirklich, daß er sich um Mitternacht einfinden wird?« fragte Cavaroc.

»Ich bin so fest überzeugt davon, daß ich zu Ihnen flüchtete und um keinen Preis der Welt heute in meine Wohnung zurückkehren würde.«

»Aber wenn die Sache ernst zu nehmen wäre, so hätte er Ihnen ja bereits den Koffer geschickt, von welchem er immer spricht.«

»Er hat ihn mir auch bereits geschickt, gleichzeitig mit seinem Briefe. Ich war nicht zu Hause, und der Dienstmann, der den Brief brachte, trug auch den Koffer in meine Wohnung, wo ihn meine Kammerfrau, der ich keine darauf bezüglichen Weisungen ertheilt hatte, in meinem Schlafzimmer unterbringen ließ. Dort fand ich ihn auch, als ich nach Hause kam, und dort ist er noch jetzt.«

»Wie sieht dieser Koffer aus?«

»Er ist eher lang als breit, mit drei Schlössern versehen und ungeheuer schwer. Meine Kammerfrau sagte, der Dienstmann habe ihn kaum die Treppe emporbringen können. Wenn der Koffer mit Gold gefüllt ist, so muß mehr als eine Million darin sein.«

»Eine Million!« wiederholte Cavaroc. »Das ist eine niedliche Summe, und der Halunke würde verdienen, daß man ihm sie abnimmt.«

»O, ich werde nicht daran rühren!« rief Wanda aus; »ihm aber auch nicht seinen Koffer ausfolgen, denn ich werde nicht zugegen sein, wenn er heute Nachts an meiner Thür klingeln wird.«

»So wird Ihre Kammerfrau dort sein.«

»Auch die nicht, da ich ihr für heute Nachts Urlaub ertheilt habe.«

»Dann wird er mit Gewalt bei Ihnen eindringen.«

»Das befürchte ich nicht, denn das Geräusch würde das ganze Haus alarmiren und den Portier zum Einschreiten veranlassen.«

Seitdem Wanda von dem angeblich mit Schätzen gefüllten Koffer sprach, erwog der Rittmeister, der die Geschichte nicht recht glauben wollte, zum erstenmale die Frage, ob er nicht die Verpflichtung habe, die Behörden in ihren Bemühungen, den Mörder Irene's zu entdecken, zu unterstützen. Bisher hatte er sich nur nebenbei, wenn sich die Gelegenheit dazu bot, mit dem Verbrechen und dessen Urhebern befaßt; allerdings war er heute Abends nach der Rue Berton gegangen, um zu erfahren, was sich dort ereignet hatte, doch nur aus Neugierde, und nachdem er diese befriedigen konnte, hatte er sich wohlweislich gehütet, seinem ehemaligen Untergebenen Marchais zu sagen, wo sich die angebliche Nichte Borodino's befand.

Er hatte geschwiegen, weil er seinen Freund Jonville nicht bloßstellen wollte; Wanda gegenüber brauchte er diese Rücksicht indessen nicht zu beobachten, und hing es offenbar nur von ihm allein ab, diesen Caritides, der sich in seinem Briefe des an der eigenen Gattin verübten Mordes rühmte, festnehmen zu lassen.

Er sagte sich, daß bei dem neuen Stande der Dinge, welchen die völlig unerwarteten Mittheilungen Wanda's geschaffen hatten, eine längere Unthätigkeit einem Verbrechen gleichkäme, nicht bloß der sogenannten »Gesellschaft« gegenüber, ein Begriff das, um den er sich blutwenig kümmerte, sondern noch mehr der bedauernswerthen Helene gegenüber, die den größten Gefahren ausgesetzt war, so lange der Mörder ihrer Schwester sich der Freiheit erfreute.

Borodino befand sich gewiß schon jenseits der Grenze und in voller Sicherheit; Caritides aber hatte Paris noch nicht verlassen und Wanda sein baldiges Erscheinen in Aussicht gestellt. Durfte man also eine Gelegenheit versäumen, die sich niemals wieder darbieten würde, um die Erde von einem ruchlosen Verbrecher zu befreien? Cavaroc sagte sich, daß dies nicht gestattet sei; allerdings widerstrebte es ihm, sich als Vorsehung der Polizei zu geberden, dagegen war er bereit, mit seiner eigenen Person einzutreten, und so sagte er mit einemmale:

»Weshalb wollen Sie heute Abends nicht in Ihre Wohnung zurückkehren, nachdem Sie doch sicher sind, daß der Mann nicht ohne Ihre Erlaubniß bei Ihnen eindringen könnte?«

»Niemals!« erklärte Wanda energisch. »Ich würde vor Furcht umkommen, da mir der alte Bösewicht stets Angst und Schrecken eingeflößt hat.«

»Er ist also schon alt?«

»Jung ist er nicht, aber wild ist er wie ein Tiger und stark wie ein Türke, der er ja in der That ist.«

»Ein Türke? Sagten Sie mir denn nicht, daß er ein Grieche ist?«

»Das ist ja dasselbe,« erwiderte Wanda, deren geographische Kenntnisse nicht weit her waren.

»Doch nicht ganz, indessen handelt es sich jetzt nicht um seine Nationalität. Sie wollen also unter gar keinen Umständen in Ihre Wohnung zurückkehren?«

»Nein – und hundertmal nein. Lieber verbringe ich die Nacht auf offener Straße, aber in meine Wohnung kehre ich heute nicht zurück.«

»Nicht einmal in meiner Begleitung?«

»Wie! Sie wollten mich begleiten?«

»Weshalb nicht? Ich kann ja nicht zugeben, daß sich eine schöne junge Dame allerlei Unannehmlichkeiten aussetzt, indem sie die Nacht auf offener Straße verbringt!«

»Ich danke Ihnen, Herr Rittmeister,« sagte Wanda, von dem Anerbieten sichtlich gerührt; »doch fürchte ich mich nicht davor, allein nach Hause zu gehen, sondern ich fürchte mich, allein in meiner Wohnung zu bleiben, denn da Sie mich an der Hausthür verlassen werden –«

»Nein, nein, so ist's nicht gemeint.«

»Sie wollen also doch heute mit in meine Wohnung kommen?«

»Gewiß – und Ihnen daselbst Gesellschaft leisten, so lange es erforderlich ist. Ich will zugegen sein, wenn der Grieche an Ihre Thür pocht, damit er sieht, daß er es mit keiner schwachen, schreckhaften Frau zu thun hat.«

»So würden Sie ihm die Thür öffnen?«

»Natürlich, und eine kleine Auseinandersetzung mit ihm herbeiführen.«

»Das darf nicht sein!« sprach Wanda angstvoll. »Er würde Sie tödten.«

»Das geht nicht so leicht, wie Sie meinen!« behauptete Cavaroc lachend. »Bevor er die Hand gegen mich erheben könnte, läge er bereits todt zu meinen Füßen, denn ich würde keinen Augenblick zögern, ihm aus meinem Dienstrevolver eine Kugel durch den Kopf zu jagen.«

»In meiner Wohnung ein Mord! Damit wäre das Maß voll!«

»Verehrtes Fräulein! Man kann keinen Eierkuchen backen, ohne Eier aufzuschlagen, und wenn, was ich keinen Augenblick bezweifle, Ihre Mittheilungen auf Thatsachen beruhen, so ist sein Kopf noch weniger werth als ein Ei. Ich hoffe übrigens, daß es nicht so weit kommen wird. Ich werde mich darauf beschränken, die Polizei zu benachrichtigen und ihr meinen Gefangenen zu übergeben, ja, meinen Gefangenen, denn in erster Reihe würde ich mich seiner Person bemächtigen.«

»Sie kennen ihn nicht und wissen nicht, mit was für einem Banditen Sie es zu thun hätten.«

»Ich weiß es wohl und werde dementsprechend meine Vorsichtsmaßregeln treffen. In welchem Stockwerke wohnen Sie?«

»Im ersten Stocke, Straßenfront.«

»Die Fenster gehen also auf die Straße; das trifft sich sehr gut. Nun bürge ich für alles.« Und ohne Wanda Zeit zu einer Einwendung zu lassen, klingelte der Rittmeister und fragte den sofort eintretenden Groom: »Ist meine Ordonnanz bereits zu Hause?«

»Ja, Herr Rittmeister. Sie ist im Stalle und reibt die Stute ab, die noch ein wenig hinkt.«

»Gut! Hole mir auf der Stelle einen Fiaker und benachrichtige mich, sobald er vorgefahren ist. Ich werde mich mit Fräulein Dubois hier in den Wagen setzen und darauf wirst Du mit meiner Ordonnanz einen zweiten Fiaker besteigen und miteinander Rue Condorcat – welche Nummer, mein Fräulein?« wendete er sich zu Wanda, die zur Antwort gab:

»Nummer neunundvierzig.«

»Also Rue Condorcat Nummer neunundvierzig fahren. Ein wenig vor dem Hause werdet Ihr absteigen,« fuhr er wieder zu Médard gewendet fort; »und dem Thore gegenüber, auf der anderen Seite der Straße Stellung nehmen. Dort werdet Ihr bleiben, bis ich Euch nach Hause schicke.«

»Ja, Herr Rittmeister.«

»Ihr könnt dort einige Schritte auf und ab gehen, dürft aber keinen Moment die Fenster des ersten Stockes im Hause Nummer neunundvierzig aus den Augen lassen. Sollte ich Euerer benöthigen, so werde ich ein Fenster öffnen und Euch rufen. Hast Du verstanden?«

»Ja, Herr Rittmeister.«

»Also vorwärts, und sei in fünf Minuten mit den beiden Wagen vor dem Thore. Machst Du Deine Sache gut, so kannst Du in meinem Dienste bleiben, wenn nicht, so ziehst Du Deines Weges.«

Als Médard die Thür hinter sich geschlossen hatte, sagte Wanda mit schlecht verhehlter Rührung, während sie ihm die Hand reichte:

»Herr Rittmeister, ich danke Ihnen von ganzem Herzen und bin bereit, mit Ihnen zu gehen.«

»Nun, das freut mich, daß Sie sich nicht mehr zu fürchten scheinen,« erwiderte er heiter. »Ich wußte ja, daß Sie ein tapferes Mädchen seien.«

»Ich hatte ja nur Ihrethalben Angst.«

»Ich danke Ihnen, und da Sie nun Vertrauen zu mir haben, so wird alles gut gehen.«

Jetzt kam Médard zu melden, daß die Wagen vorgefahren seien, und da weder Wanda, noch Cavaroc ihre Ueberkleider abgelegt hatten, so konnten sie sofort aufbrechen. Der Rittmeister steckte noch seinen Revolver zu sich und wenige Secunden später saßen Beide in dem Wagen, der sie nach der Rue Condorcat brachte.

Sie sprachen nur wenig während der Fahrt. Wanda bemühte sich, eine möglichst unbefangene Haltung zur Schau zu tragen; doch im Stillen war sie weit besorgter, als sie es sich selbst gestehen wollte, über die Folgen dieses Abenteuers, welche sie weder vorhergesehen, noch gewünscht hatte. Cavaroc, der die eigentliche Ursache davon war, daß die Sache diese Wendung genommen, verhehlte sich nicht, daß er ein gefährliches Wagniß unternommen, und er war auf alles gefaßt.

Das Haus, welches Wanda bewohnte, war ein schönes, elegantes Gebäude, welches im Inneren noch schöner und eleganter eingerichtet war. Die Wohnung, welche die junge Dame innehatte, bestand aus mehreren Räumen, die alle jedoch bequem und behaglich, wenn auch nicht gar sehr glänzend eingerichtet waren.

»Ihr Heim ist sehr hübsch und anheimelnd,« bemerkte der Rittmeister, als man im Salon angelangt war und Wanda ihren Mantel abgelegt hatte. »Nur war es unbedacht von Ihrer Zofe, daß sie Thüren und Fenster so fest verschloß. Finden Sie nicht, daß hier ein ganz eigenartiger Geruch herrscht, den ich nicht zu erklären oder zu beschreiben vermag?«

»Ja. – Sie haben recht – ich bemerkte das gar nicht, als ich in meiner Aufregung zu Ihnen eilte,« erwiderte Wanda. »Doch steht es Ihnen frei, ein Fenster zu öffnen.«

»Das will ich auch thun, und mich dabei überzeugen, ob meine Leute auf ihren Posten sind.«

»Oeffnen Sie dieses Fenster hier,« sagte Wanda, auf ein Fenster ihres Schlafzimmers deutend, wo man während dieses Gespräches angelangt war.

Der Rittmeister kam ihrem Geheiße nach, blickte auf die Straße hinunter und sprach dann:

»Beide sind unten, und nun können wir den Dingen, die da kommen sollen, mit Ruhe entgegenblicken, denn meine Leute sind mir treu ergeben. – Wenn Sie aber gestatten, so lasse ich das Fenster einen Moment offen. Es scheint mir, als wäre in diesem Gemache der Geruch noch stärker.«

»Wir werden ja nicht hier bleiben, sondern ins Speisezimmer hinübergehen, wo es viel behaglicher ist. Ich will Ihnen nur erst den famosen Koffer zeigen; dies ist er,« sagte Wanda und stieß mit der Fußspitze gegen einen länglichen Holzkoffer, den man in eine Ecke gestellt hatte. »Und sehen Sie nur, wie schwer er ist. Ich mag noch so sehr daran rütteln, ich kann ihn nicht von der Stelle rücken. Was soll ich nur damit anfangen, wenn Sie seinen Eigenthümer der Polizei übergeben?«

»Darüber werden wir hernach nachdenken,« erwiderte Cavaroc, während er den Kasten von allen Seiten betrachtete. »Wie viel Uhr ist es denn?« fragte er dann und blickte auf seine Taschenuhr. »Halb zwölf Uhr. – Und der Halunke schrieb Ihnen, er werde sich um Mitternacht einfinden?«

»Ja; wir haben also noch eine halbe Stunde,« gab Wanda zur Antwort, hatte aber noch nicht ausgesprochen, als die Vorzimmerklingel von einer ungestümen Hand in Bewegung gesetzt wurde, daß es laut durch alle Räume tönte. Wie von einem elektrischen Schlage getroffen, zuckte Wanda zusammen; der Rittmeister aber sprach zwischen den Zähnen:

»Da ist er schon!«

Mehr todt als lebendig stammelte Wanda:

»Beschützen Sie mich!«

Um in seiner geplanten Auseinandersetzung mit dem Manne, der sein Erscheinen in solcher Weise ankündigte, nicht gestört zu werden, geleitete Cavaroc die junge Dame vorerst mit sanfter Gewalt in ihr Schlafzimmer, worauf er der Vorzimmerthür gegenüber Stellung nahm und wartete. Mit einem schnellen Blicke durch das offen stehende Fenster hatte er sich davon überzeugt, daß sein Groom und seine Ordonnanz auf ihren Posten stünden und die Hand auf den Griff seines Revolvers gelegt, verhielt er sich regungslos. Er hatte nicht die Absicht, mit seiner Waffe den Kopf des Eindringlings zu zerschmettern, sondern gedachte sich mit derselben den Mann bloß vom Leibe zu halten, sofern die Unterredung mit dem Halunken eine ungemüthliche Wendung nehmen sollte, was mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen war.

Der Rittmeister hatte sich keinen eigentlichen Plan zurechtgelegt; dagegen hielt er sein Ziel, sich der Person des Mörders Irenen's zu versichern, unverrückt im Auge. Leistete der Elende Widerstand, nun so mochte er die Folgen sich selbst zuschreiben; der Rittmeister mußte seine Zuflucht sodann zu gewaltsamen Mitteln nehmen und wollte er von den Umständen sein ferneres Verhalten abhängig machen.

Es wurde ein zweitesmal geklingelt, und zwar viel stärker als zum erstenmale; Herr Caritides begann offenbar ungeduldig zu werden.

Dem mußte ein Ende gemacht werden. Cavaroc näherte sich der Thür und schickte sich an, dieselbe zu öffnen, wobei er sich derart stellte, daß ihn der Thürflügel beim Oeffnen verdecken mußte. Hierbei war er darauf bedacht gewesen, die Verbindungsthür zwischen dem Vorzimmer und den übrigen Räumen, die alle in einer Reihe lagen, offen zu lassen; er rechnete darauf, daß der mitternächtige Besucher an ihm vorbeieilen werde, ohne ihn zu erblicken, und direct in das letzte Zimmer gehen werde, da er glauben mußte, daß sich Wanda daselbst versteckt habe.

Hätte sich Cavaroc beim Oeffnen der Thür gezeigt, so konnte Caritides, der sich völlig unvermuthet einem Manne gegenüber sah, noch rechtzeitig die Flucht ergreifen und über die Treppe hinab ins Freie eilen. Die Leute des Rittmeisters, die noch keine Weisung erhalten hatten, den Mann festzuhalten, würden ihn sicherlich unangefochten passiren lassen, und Cavaroc wollte nicht gezwungen sein, ihm nachzustürzen und zu rufen: »Haltet den Dieb!«

Gerade wollte er die Hand auf das Schloß legen, als eine tiefe, derbe Stimme lauten Tones die Worte sprach:

»Oeffnet! Im Namen des Gesetzes!«

Der Rittmeister war auf alles vorbereitet gewesen, nur nicht auf diese geheiligten Worte, deren sich ausschließlich die Polizeicommissäre bedienen, wenn sie in der Ausübung ihrer Amtspflicht begriffen sind. Er vermeinte, eines großen Verbrechers habhaft zu werden, und statt dessen aber fand sich die Polizei ein.

Dies konnte billig wundernehmen und Cavaroc war auch so erstaunt darüber, daß er im ersten Augenblicke glaubte, Caritides habe dieses Vorgehen der behördlichen Organe nachgeahmt, um bei Wanda den Einlaß zu erzwingen. Wie dem aber auch sein mochte, die Thür mußte geöffnet werden, und indem er sich hinter den Thürflügel stellte, öffnete er.

Das, was er erwartet hatte, geschah. Ein Mann trat rasch ein und schritt durch das Vorzimmer, ohne sich umzudrehen. Der Besucher, den Cavaroc nicht erkannte, entsprach nicht im geringsten der Schilderung, welche Wanda von dem schrecklichen Griechen entworfen hatte, denn er war mittelgroß und sehr schmächtig. Auch folgten ihm zwei Männer, die recht gut für Polizeiagenten angesehen werden konnten, und auf der Treppe vernahm man die Schritte anderer Personen.

Cavaroc war bereits im Reinen mit sich. Diese Leute gehörten thatsächlich zur Polizei. Hatten sie von dem bevorstehenden Besuche des Griechen Wind bekommen und wollten sie denselben bei Wanda verhaften?

Cavaroc neigte schließlich dieser Annahme auch zu und war nicht sonderlich betrübt darüber, denn wenigstens würde ihn diese Wendung der Dinge der Nothwendigkeit entheben, diese unangenehme Aufgabe selbst zu erledigen. Inzwischen aber mußte er selbst eine Erklärung darüber abgeben, wieso er sich zu dieser Stunde an diesem Orte befand, und er gedachte, sich dieser Nothwendigkeit auch nicht zu entziehen. Er trat hinter der Thür hervor, und ohne sich um die Agenten zu kümmern, die sich noch im Vorzimmer befanden, rief er mit lauter Stimme:

»Mein Herr! Mein Herr!«

Der derart Angerufene machte Kehrt und kam einige Schritte zurück, und auch seine Untergebenen traten näher, so daß der Rittmeister im nächsten Augenblicke von ihnen umringt war; der Mann aber, der die nächtliche Expedition anzuführen schien, sagte:

»Wer sind Sie? Was suchen Sie hier?«

»Nichts; ich bin nur eben hier und haben Sie es hoffentlich nicht mit mir zu thun,« erwiderte Cavaroc. »Ich gehöre der Armee an und bin Rittmeister.«

»Sind Sie in der Lage, dies nachzuweisen?«

»Wenn Sie mir die Zeit dazu lassen, gewiß, denn Sie werden doch nicht denken, daß ich mein Officierspatent bei mir trage.«

Der Anführer, der kein Anderer war als Grisaille, schien nicht sonderlich geneigt, sich mit dieser Antwort zu begnügen, doch ergriff einer der Agenten, die nach ihm eingetreten waren, das Wort, um zu sagen:

»Ich kenne den Herrn sehr genau, da ich unter ihm gedient habe.«

Cavaroc musterte den Mann, der ihm in solcher Weise zu Hilfe kam, und erkannte den Brigadier Marchais, mit dem er zwei Stunden vorher in der Rue Berton gesprochen. Auch Grisaille kam von dort; Cavaroc hatte ihn in dem Hause Borodino's gesehen, war aber von jenem nicht gesehen worden, denn er hatte sich wohlweislich gehütet, sich während der Hausdurchsuchung blicken zu lassen.

»So ist dieser Herr,« fragte Grisaille, »thatsächlich –«

»Rittmeister beim neunten Kürassierregiment,« erwiderte Marchais.

»Hörer der Kriegsschule, Avenue de Lamotte Picquet wohnhaft und Jean Cavaroc geheißen,« ergänzte der Rittmeister.

Der Name besagte Grisaille nichts, denn weder Cavaroc, noch sein Freund Jonville befand sich in der Liste der Personen, die dem Balle bei Vitrac beigewohnt hatten, und waren die Beiden im Laufe der Untersuchung nicht einmal genannt worden.

»Also gut, mein Herr,« nahm Grisaille von neuem auf; »Sie wissen doch, wo Sie sich befinden?«

»In der Wohnung einer ehrenwerthen jungen Dame.«

»Wieso befinden Sie sich aber zu dieser Stunde hier?«

»Die Dame,« gab Cavaroc zur Antwort, »hatte heute einen Drohbrief erhalten, der ihr großen Schrecken einflößte. – Sie kennt mich einigermaßen, denn wir begegneten einander wiederholt in Gesellschaft, und da kam sie zu mir, um mich um Rath zu fragen und mich zu bitten, sie hierher zu begleiten, da sie allein nicht nach Hause zu gehen wagte. Es ist noch keine halbe Stunde her, daß ich hier bin.«

»Einen Drohbrief, sagen Sie?«

»Ja, von einem Herrn, mit dem sie vor einiger Zeit zufällig bekannt wurde, der ihr verschiedene Dienste erwies, und der sie um ein Obdach für eine Nacht bat. Sie fürchtete sich, mit dem Herrn allein zu sein und darum bat sie um meinen Beistand. Wäre er gekommen, so hätte er mich angetroffen, und als Sie klingelten, dachte ich, daß er es sei.«

»Und die junge Dame ist noch hier?«

»Gewiß; nur erschrak sie, als Sie klingelten, derart, daß sie in ihr Schlafzimmer entfloh.«

»Schön. Ich werde die junge Dame einem Verhöre unterziehen und wünsche, daß Sie diesem Verhöre beiwohnen, mein Herr.«

Cavaroc nickte mit dem Kopfe, zum Zeichen dessen, daß er damit gänzlich einverstanden sei. Grisaille zog Marchais auf die Seite und ertheilte ihm mit leiser Stimme einige Weisungen, die sich offenbar auf die Bewachung der Wohnung bezogen, worauf er zu dem Rittmeister sagte:

»Wollen Sie mir gefälligst den Weg weisen.«

Cavaroc trat in das an das Vorzimmer grenzende Speisezimmer und führte Grisaille durch den Salon in das Schlafzimmer, wo Wanda mehr todt als lebendig die Rückkehr ihres Beschützers erwartete, der wie sie meinte, in einer Auseinandersetzung mit dem gefürchteten Caritides begriffen war. Im ersten Moment erblickten die Herren die junge Dame nicht, denn der Raum war kaum genügend durch die im Salon brennenden Kerzen erleuchtet, und zum Ueberflusse hatte sich Wanda in die dunkelste Ecke ihres Schlafzimmers geflüchtet.

»Fräulein Dubois,« sprach der Rittmeister, »wo sind Sie? Dieser Herr ist Polizeicommissär und wünscht mit Ihnen zu sprechen.«

Die wenigen Worte waren von zauberischer Wirkung, Wanda stand hastig auf und nun sah Cavaroc, daß sie sich, offenbar um sich besser zu verstecken, auf den von Caritides gesandten Koffer gesetzt hatte.

Die unerwartete Nachricht von der Ankunft des Polizeicommissärs hatte Wanda augenscheinlich nicht erschreckt, sondern eher beruhigt, woraus Cavaroc den Schluß zog, daß sie lieber mit der Polizei, als mit Caritides zu thun habe. Grisaille, der des beabsichtigten Verhöres wegen einen besser erleuchteten Ort vorzog, forderte die junge Dame auf, in den Salon herüberzukommen, welchem Wunsche Wanda ohne Zögern Folge leistete.

»Ich brauche Sie nicht erst nach Stand und Namen zu fragen,« hub der Commissär an; »denn ich kenne Sie, mein Fräulein. Sie sind die Verlobte des Malers Paul Vitrac.«

»Ich war es, bin es aber nicht mehr,« erwiderte Wanda.

»Das ändert nichts an der Sache, denn Sie sind es doch, die auf dem Costümball, den Herr Vitrac in seinem Atelier gab, die Rolle der Hausfrau spielte?«

»Allerdings, aber –«

»Sie waren auch zugegen, als ein als Lastträger verkleideter Mann den Kopf einer ermordeten Frau in das Atelier warf?«

»Ich und noch viele andere Personen.« Wanda wollte hinzufügen: »Dieser Herr war auch zugegen.« Doch ließ ihr Grisaille keine Zeit dazu, denn er fragte weiter:

»Sie kannten die Ermordete?«

»Ich?« rief Wanda aus. »Ich hatte sie ja niemals gesehen!«

»Das ist nicht wahr!«

»Ich spreche die Wahrheit, mein Herr! Ich schwöre es Ihnen bei dem Andenken meiner Mutter.«

Grisaille zuckte mit den Achseln und sprach strengen Tones:

»Lassen wir die unnützen Worte, mein Fräulein. Sie kannten die Ermordete, da Sie auch den Mörder derselben kannten. Trotzdem Sie die Verlobte des Herrn Vitrac waren, fanden Sie Gefallen an den Huldigungen eines reichen Ausländers –«

»Sie meinen vielleicht Caritides? Er hat jene bedauernswerthe Frau getödtet.«

»Sie gestehen es also?«

»Ich wußte es ja nicht – habe es erst heute erfahren.«

»Und Sie behielten diese Entdeckung für sich?«

»Ich suchte diesen Herrn auf – denn er ist ein Ehrenmann, ist Officier – theilte ihm alles mit, was ich erfahren hatte und flehte ihn an, mich nach Hause zu begleiten, um mich gegen diesen Mann zu beschützen, der sich um Mitternacht einfinden sollte. – Ach, wie froh wäre ich, wenn er jetzt kommen würde, denn jetzt würden Sie ihn festnehmen.«

»Herr Rittmeister,« wendete sich Grisaille jetzt an diesen; »es handelte sich also um den Mörder, als Sie vorhin von einem bevorstehenden Besuche sprachen?«

»Allerdings,« erwiderte Cavaroc.

»Sie wußten es und sagten es mir nicht?«

»Sie ließen mir ja keine Zeit dazu. Ich wollte es Ihnen gerade sagen, als Sie mich aufforderten, Sie hierher zu führen.«

»Und der Mann kam nicht?«

»Bis jetzt wenigstens nicht, und ich glaube sogar, daß er gar nicht kommen wird.«

»Ich glaube, daß er überhaupt nicht zu kommen gedachte. Er ahnt jedenfalls, daß er denuncirt worden und dieses Haus bewacht wird; er wird also nicht so thöricht sein, dem Löwen in den Rachen zu laufen. Doch lassen Sie mich mein Verhör fortsetzen.«

Wanda hob die Augen zur Decke empor und rang die Hände, was aber Grisaille nicht hinderte, etwas weniger höflichen Tones als bisher zu sagen:

»Hören Sie mich an. Die Untersuchung in dieser Angelegenheit befand sich anfänglich im Irrthume, indem man einen Mann, der sich anderer Verbrechen schuldig machte, auch für den Mörder hielt. Doch jetzt kennen wir den Schuldigen bereits. Es ist das derselbe Mann, dessen Huldigungen Sie sich gefallen ließen und dessen Gattin mit Herrn Vitrac ein Freundschaftsbündniß schloß, welches den Zorn des Ersteren herausforderte. Er rächte sich an Beiden und Sie unterstützten ihn dabei, indem er seine Gattin in Ihrer Wohnung ermordete, nachdem er sie unter irgend einem Vorwande dahin gelockt hatte.«

»Das ist sehr unwahrscheinlich,« bemerkte Cavaroc.

»Wollen Sie mich gefälligst aussprechen lassen. Man ermordete die Frau und schnitt ihr den Kopf ab, welchen man Vitrac inmitten eines Costümballes zu Füßen warf. Niemand erkannte den Kopf und der dazu gehörige Körper wurde nicht gefunden. Heute aber wissen wir bereits, wo sich dieser Körper befindet.«

»Wirklich?« rief der Rittmeister aus.

»Der Körper befindet – sich hier, in diesen Räumen, welche ich durchsuchen werde, wenn sich Fräulein Dubois weigern sollte, mir den Ort anzugeben, wo sie denselben versteckt hat.«

Wanda ließ statt jeder Antwort ein dumpfes Aechzen vernehmen; sie war völlig niedergeschmettert, und irre gemacht durch die bestimmte Sprache des Commissärs, begann Cavaroc einigermaßen an ihrer Unschuld zu zweifeln. Mit einemmale erinnerte er sich auch an den Geruch, an die unangenehme Empfindung, die sich seiner bemächtigt hatte, als er mit Wanda in das Schlafzimmer getreten war. Und als hätte Grisaille seine Gedanken errathen, nahm er von neuem auf:

»Der Leichnam ist auch gar nicht weit von hier. Leugnen Sie nicht, denn ich fühle ja seinen Geruch. Sie hätten wahrhaftig besser daran gethan, ihn in Ihrem Keller zu verscharren. Ich weiß ja, daß Sie im Begriffe waren, sich des Leichnams zu entledigen und ich denselben nicht mehr angetroffen hätte, wenn ich später gekommen wäre. Nun aber wird die Sache eine recht einfache sein. Meine Leute werden bloß einige Bretter des Fußbodens loslösen müssen und dabei wird der Geruch ein vortrefflicher Führer sein.«

Cavaroc blickte Wanda unverwandt an, während der Commissär sprach. Sie flößte ihm Mitleid ein und er sah, daß ihr Gesicht seit einigen Minuten einen ganz verschiedenen Ausdruck angenommen hatte; dasselbe verrieth nämlich weder Furcht noch Verzagtheit, sondern Ekel und Abscheu. Sie hatte das Aussehen einer Person, die unvermuthet in den Unrath gerieth, sich von demselben befreite und noch immer von dem widerlichen Geruche verfolgt wird; ihre Hände streiften glättend über die Falten ihres Kleides, als wollte sie sich von dem Unrathe befreien, der darauf haftete.

Grisaille erfaßte einen Armleuchter und schritt mit den Worten in das Schlafzimmer hinüber:

»Hier muß gesucht werden.«

Und indem er den Leuchter auf einen weißen Marmortisch stellte, auf welchem sich eine Menge Toilettegeräthschaften aus Silber und Elfenbein befanden, schloß er vor allem das Fenster. Er gebrauchte diese Vorsichtsmaßregel nicht gegen den Wind, der die brennenden Kerzen auslöschen konnte, und Cavaroc errieth alsbald die Gründe seines Handelns. Ein mephitischer Geruch schlug den Eintretenden entgegen, so daß sie unwillkürlich zurückwichen; Wanda schwankte förmlich, und Cavaroc sah, daß ihre Augen hartnäckig nach der dunklen Ecke blickten, wo er sie angetroffen hatte, als er eingetreten war.

»Wir befinden uns auf der richtigen Spur!« erklärte Grisaille. »Es ist ja hier kaum auszuhalten, und ich muß mich mit den Nachforschungen beeilen, sollst ersticke ich. Es scheint mir, als käme der fürchterliche Geruch aus dieser Richtung,« fügte er hinzu, in die Ecke deutend, wo sich der Koffer befand, und gleich darauf rief er aus: »Nun hab' ich's! Sie haben entschieden das schlechteste Mittel unter allen, deren man sich bedient, um einen Leichnam verschwinden zu lassen, benützt. Alle Mörder, die dasselbe anwendeten, sind abgefaßt worden; ich könnte Ihnen wenigstens ein halbes Dutzend nennen. Und dann haben Sie wirklich zu lange gewartet. Der Kopf war frisch abgeschnitten worden, als man ihn in das Atelier schmuggelte und niemand ahnte, was der Mehlsack enthielt. Der Körper aber modert schon seit sechs Tagen und das macht sich bemerkbar; diesen Koffer hätte man auf allen Bahnhöfen zurückgewiesen.«

Cavaroc verstand noch immer nicht, was Grisaille sagen wollte und wieso er mit einemmale auf die Bahnhöfe zu sprechen kam; dagegen begann ihn Wanda zu verstehen.

»Seit wann befindet sich dieser übelriechende Koffer hier?« fragte der Beamte.

»Seit – seit heute Abends,« brachte Fräulein Dubois mühsam hervor.

»Vielleicht ein Geschenk das?«

»Nein – bloß ein Depot – welches ich zurückgewiesen hätte, wenn ich zu Hause gewesen wäre, als man es brachte.«

»Und Sie bemerkten nicht, daß der Koffer die Luft in Ihrer Wohnung verpestete?«

»Nein, denn ich war, wie gesagt, nicht zu Hause.«

»Nun, wir wollen der Sache sofort auf den Grund kommen,« sagte Grisaille, und damit begab er sich durch den Salon in das Speisezimmer zurück, wo er mit lauter Stimme rief:

»Marchais!«

Der ehemalige Cavallerist eilte aus dem Vorzimmer herbei und Grisaille befahl ihm:

»Schaffen Sie einen Hammer, eine Zange und einen Meißel herbei; man findet derartige Werkzeuge bei jedem Hausbesorger. – Gehen Sie hinunter und wenn Sie die Werkzeuge haben, so kommen Sie mit zweien Ihrer Leute hierher zurück; wählen Sie die stärksten aus, denn es gilt, einige schwere Schlösser zu sprengen. – Den Kopf hatten wir schon früher – nun müssen wir noch den Körper dazu finden – und der befindet sich hier in diesem Koffer.«

Jetzt ließen die Worte des Polizeibeamten keinen Zweifel mehr zu, und Cavaroc ward es endlich klar, daß der Commissär Fräulein Dubois beschuldige, den kopflosen Körper Irenen's in ihrer Wohnung versteckt und in einem Koffer verwahrt zu haben.

Es währte aber nicht lange, so ermannte sich Wanda von ihrem ersten Schrecken, um sich energisch gegen diese Beschuldigung zu wehren.

»Ich weiß nicht, was darin enthalten ist,« rief sie aus; »doch schwöre ich, daß man diesen Koffer heute Abends hierherbrachte, während ich vom Hause abwesend war. Caritides sandte mir denselben in Begleitung eines Briefes, in welchem er mir mittheilte, daß er sich um Mitternacht bei mir einfinden werde – und daß er morgen den Koffer wieder mit sich nehmen werde. – Er schrieb mir auch, daß derselbe mit Gold gefüllt sei.«

»Selbstverständlich! Es giebt eben Dinge, die man nicht einmal einer Mitschuldigen offenbart. Er rechnete darauf, daß Sie zwischen den Zeilen lesen und ihm ein provisorisches Asyl bei sich gewähren werden. All dies ist aber nur in der Voraussetzung gesagt, daß Sie die Wahrheit sprechen.«

»Werden Sie mir Glauben schenken, wenn ich Ihnen den Brief zeige, welchen ich erhalten habe?«

»Sie brauchen denselben nicht zu suchen, mein Fräulein,« sagte Cavaroc, in der Tasche seines Ueberrockes suchend; »denn da ist er.«

Und damit übergab er den Brief Grisaille, der ihn an sich nahm und aufmerksam durchlas.

»Das ist merkwürdig!« murmelte er.

»Ja sogar unerklärlich,« bekräftigte der Rittmeister. »Ein sonderbarer Halunke das, der ein Vergnügen daran findet, ein schriftliches Bekenntniß des von ihm verübten Verbrechens niederzulegen. Daß er von einer Dame, die das Unglück hatte, mit ihm bekannt zu sein, Obdach und Unterkunft für eine Nacht verlangte, kann ich zur Noth begreifen; dagegen wundert es mich über alle Maßen, daß er das Bedürfniß empfand, ihr über die Ermordung seiner Gattin Aufschluß zu ertheilen. Noch sonderbarer ist aber der Gedanke, den Leichnam hierher zu schaffen.«

Grisaille schenkte den Ausführungen des Rittmeisters keine Beachtung; er hatte seine Brieftasche herausgezogen und derselben ein Papier entnommen, welches er eifrig mit dem Briefe verglich.

»Hier ist kein Irrthum möglich,« murmelte er; »die beiden Briefe rühren von derselben Hand her.«

»Wie! Die beiden Briefe?«

»Der andere hat keine Unterschrift und war an den Polizeichef gerichtet; es ist das eine regelrechte Denunciation. – Hören Sie selbst: ›Die Frau, deren Kopf abgeschnitten wurde, ist bei dem Fräulein Dubois, der Verlobten des Malers Paul Vitrac, ermordet worden. Die Dame wohnt in der Rue Condorcat Nummer neunundvierzig, und der Körper der Ermordeten befindet sich heute noch bei ihr, wird aber morgen nicht mehr dort sein. Wenn die Polizei also heute Nachts eine Hausdurchsuchung bei ihr vornehmen will, so wird sie den Leichnam daselbst vorfinden und das Fräulein Dubois sammt ihrem Genossen verhaften können. Doch müßte das unverzüglich geschehen, denn morgen wird es bereits zu spät dazu sein.«

»Das ist ja noch weit eigenthümlicher als alles andere!« rief Cavaroc aus. »Ein Mörder, der die Polizei unterrichtet, auf welche Weise sie sich seiner bemächtigen kann, das ist noch nicht dagewesen! Denn daß der Mörder die beiden Briefe geschrieben hat, kann keinem Zweifel unterliegen. Das Fräulein hat die Schrift des Griechen in dem an sie gerichteten Briefe erkannt, und da diese Schrift mit der des Denunciationsschreibens vollkommen gleich ist, so ist jeder weitere Zweifel ausgeschlossen.«

»Ja, so ist es. Und er gab sich nicht einmal die Mühe, seine Handschrift zu verstellen.«

»Die Sache ist mir vollkommen unbegreiflich! Welchen Zweck er wohl verfolgt haben mag?«

»Das können Sie nicht errathen?« fragte Wanda mit einemmale.

»Meiner Treue, nein!« erwiderte Cavaroc.

»Er hatte beschlossen, mich ins Verderben zu stürzen – und wollte es veranlassen, daß man mich heute Nachts verhafte und den Leichnam, den er hierher schaffen ließ, bei mir finde. Damit ich aber meine Wohnung ja nicht verlasse, schrieb er mir, daß er um Mitternacht selbst erscheinen werde, und wenn ich nicht zugegen sein sollte, um ihn zu empfangen, so würde mir dasselbe Los zutheil werden wie jener Unglücklichen, die er bereits getödtet hatte.«

»Und zu gleicher Zeit schrieb er an den Polizeichef, damit man eine Hausdurchsuchung bei Ihnen vornehme und Sie verhafte; dabei aber wäre auch er verhaftet worden, wenn er sich eingefunden hätte!«

»Eben darum hütete er sich ja zu kommen – und er wird auch nicht mehr kommen. Mitternacht ist schon längst vorüber. – Ich fürchtete mich vor dem Manne – und der Herr Rittmeister kann es Ihnen bestätigen, daß ich lieber auf offener Straße die Nacht verbracht hätte, als daß ich allein hier geblieben wäre. Nun fürchte ich mich nicht mehr vor ihm, denn ich bin überzeugt, daß er Paris bereits verlassen hat. Offenbar that er dies sofort nachdem er den Brief zur Post gegeben und den Koffer zu mir geschickt hatte.«

»Wer hat den Koffer gebracht?« fragte Grisaille.

»Ein Dienstmann.«

»Dann werde ich vielleicht in Erfahrung bringen können, woher er denselben brachte. Wo wohnte dieser Caritides?«

»Das weiß ich nicht und wußte es auch niemals.«

Jetzt trat Marchais wieder in das Zimmer, die erforderlichen Werkzeuge zur gewaltsamen Eröffnung des Koffers mit sich bringend.

»Erbrechen Sie den in dem Schlafraume befindlichen Koffer,« befahl ihm sein Chef, und gehorsam begab sich Marchais mit seinen beiden Agenten in das bezeichnete Zimmer, wo sie sich sofort ans Werk machten. Da sie aber mit ihren Werkzeugen einen wahren Höllenlärm vollführten, kehrte Grisaille mit Cavaroc und Wanda in das Speisezimmer zurück, wo man von dem fürchterlichen Geruche, welcher die ganze Wohnung verpestete, weniger belästigt wurde.

»Herr Rittmeister,« hub Grisaille von neuem an, »den Brief, den Sie mir übergeben haben, werde ich für mich behalten.«

Und als Cavaroc eine Bewegung machte, wie um zu sagen: »Thun Sie damit, was Ihnen beliebt!« fügte der Commissär hinzu: »Ich werde ihn dem Untersuchungsrichter übergeben, der Sie morgen vor sich bescheiden wird.«

»Es entgeht eben niemand seinem Schicksale,« dachte sich Cavaroc im Stillen.

»Sobald ich die Besichtigung des Leichnams, welchen meine Leute jetzt bloßzulegen im Begriffe sind, vorgenommen habe, werde ich Sie nicht länger zurückhalten. Und was Sie, mein Fräulein, anbelangt,« wendete sich Grisaille zu Wanda, »so will ich Sie nicht zwingen, der Eröffnung des Koffers beizuwohnen; doch mache ich Sie darauf aufmerksam, daß derselbe bis morgen hier bleiben und der Leichnam vor dem Anlangen des Untersuchungsrichters nicht berührt wird. Vier meiner Leute werden die Nacht hier verbringen, so daß Sie keine Furcht zu haben brauchen.«

»Das heißt mit anderen Worten, ich bin verhaftet?« fragte Wanda.

»Allerdings; doch nur provisorisch. Der Untersuchungsrichter wird morgen entscheiden, ob Sie auch verhaftet bleiben.«

»In dem Falle bitte ich Sie, mir die Gunst zu erweisen, mich ins Gefängniß zu führen. Lieber will ich sterben, als die Nacht hier zu verbringen.«

Wanda sprach die Wahrheit und diese Aufrichtigkeit schadete ihr nicht in den Augen des hohen Polizeibeamten, der für den Moment über ihr Los zu entscheiden hatte. Eine Person, die es für eine besondere Gunstbezeigung betrachtet, wenn sie ins Gefängniß geführt wird, kann kein sonderlich belastetes Gewissen haben.

»Es sei,« sprach Grisaille mit einem leisen Lächeln; »ich werde Sie also nach der Centrale bringen lassen, wo Sie sich übrigens verhältnißmäßig recht behaglich fühlen werden.«

Jetzt erschien Marchais in der Thür und winkte seinem Vorgesetzten. Dieser leistete dem Rufe Folge und kam nach etwa fünf Minuten wieder zurück, während welcher Zeit Cavaroc und Wanda kaum einige Worte miteinander gewechselt hatten.

»Sie dürfen mir dankbar sein, daß ich Ihnen diesen Anblick erspart habe,« sagte Grisaille zu ihnen; »denn das ist fürchterlich. Ich habe während meiner fünfzehnjährigen Thätigkeit gar viel gesehen, was schauerlich und ekelerregend war – aber etwas derartiges noch nie. Dieser kopflose Leichnam –«

»Sie ist es also wirklich?« fragte der Rittmeister.

»Das unterliegt keinem Zweifel. Der arme Leib ist vollständig nackt, zeigt aber keinerlei Spuren von Gewaltthätigkeit. Der Kopf war auch ganz unversehrt. Die Aerzte werden hierüber schon ihre Meinung abgeben. Ich meinerseits glaube, daß man der Unglücklichen mit einem einzigen Hiebe eines Yatagans den Kopf abgeschnitten hat, wie das bei den Orientalen gebräuchlich ist.«

Cavaroc ließ sich über diesen Punkt in keinerlei Auseinandersetzungen ein. Er wollte sich bereits entfernen und gedachte seinen Freund Jonville zu benachrichtigen, der sich in einer schwierigen Lage befand, seitdem die arme Helene unter seinem schützenden Obdache weilte.

Wanda hielt sich tapfer, und um ihr zu beweisen, daß er sie frei von aller Schuld halte, reichte er ihr beim Abschiede mit festem Drucke die Hand. Er vergaß auch nicht, dem Brigadier Marchais mit einigen Worten dafür zu danken, daß er sozusagen Bürgschaft für ihn geleistet und nachdem er Grisaille versichert hatte, daß er den Behörden zu jeder Zeit zur Verfügung stehe, nahm er Abschied von ihm.

Auf der Straße fand Cavaroc seine Leute vor, die er nach Hause schickte und deren er gar nicht bedurft hatte. Daheim angelangt, versank er alsbald in den Schlaf der Gerechten, wobei ihm in seinen Traumbildern gar oft die Gestalt der schönen Wanda erschien.


 << zurück weiter >>