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»Oh, Herr Beck, Sie werden mir beistehen, nicht wahr? Er ist so eigensinnig – in unsrer Heiratsangelegenheit, meine ich. Aber ich habe ihm das Versprechen abgeschmeichelt, daß er Ihren Rat befolgen werde, und Sie müssen ihm raten, unsre Hochzeit zu verschieben.« Mamie Coyle stampfte, während sie so sprach, ungeduldig in Becks kleinem Wohnzimmer auf und ab. Er saß, sie beobachtend, im Sorgenstuhl, auf eine der Armlehnen gestützt, das Kinn in der Hand und einen wohlwollenden Ausdruck in seinem breiten Gesicht. Jetzt trat sie dicht an ihn heran, legte schmeichelnd ihr Händchen auf seine Schulter und schaute ihn mit einem bestrickenden Blick ihrer blauen Augen, dem schwer zu widerstehen war, lächelnd an.
Aber Beck veränderte keine Miene, während er sich zurücklehnte und bedächtig die Fingerspitzen aneinander legte. »Ach, Herr Beck!« platzte Mamie heraus, »mir reißt die Geduld mit Ihnen!« Sie versuchte ihn aus seiner Ruhe aufzurütteln; doch hätte sie ebensogut probieren können, einen Elefanten aus dem Gleichgewicht zu bringen. »Da sitzen und sitzen Sie, sagen gar nichts und geben sich alle Mühe, so einfältig als möglich auszusehen!«
Ihre Heftigkeit belustigte ihn nur. »Meine liebe junge Dame,« sagte er, »mein Geschäft ist eben jetzt zu hören und nicht zu reden.«
»Sie müssen aber versprechen, mir zu helfen – Sie müssen. Hab' ich doch niemand außer Ihnen, dem ich trauen könnte.«
»Gut, so trauen Sie mir.«
»Ach, jetzt verstehe ich! Sie wollen erst vernehmen, was Sie die Tatsachen nennen, ehe Sie Ihren Rat erteilen, da muß ich Ihnen freilich wohl den Willen tun. Wir haben nur so wenig Zeit; in einer halben Stunde wird Clive hier sein. Ich kam vor ihm, um Sie zuerst allein zu sprechen. Nun, wo soll ich denn anfangen?«
»Am Anfang.«
»Ja, das ist freilich zwei und ein halbes Jahr her. Wir machten in Kensington unsern Spaziergang, wir Mädchen, meine ich, immer zu zweien. Er fuhr langsam auf dem Fahrrad an uns vorüber und sah jeder von uns Pensionärinnen lächelnd ins Gesicht. Miß Gurdy, unser Drache, sozusagen, war in einer Aufregung, die sie kaum bemeistern konnte. Ein paar von den Mädchen kicherten; mir selbst war das Lachen nahe über Miß Gurdys steinernes Gesicht, als er mir plötzlich gerade in die Augen sah, daß mich ein kleiner Schauer durchrieselte und mir das Lachen verging. Er zog höflich den Hut und Miß Gurdy schalt mich einen unverschämten Kindskopf, weil ich rot wurde. Natürlich war es unrecht von mir, aber ich konnte ihn beinahe eine Woche lang nicht aus dem Kopfe bringen, bis eines Abends, als wir im Schlafsaal allein miteinander waren, die kleine Flora Burton – Sie kennen ja die kleine Flora; jedenfalls kennt Flora Sie, Sie haben etwas ganz Wunderbares für sie getan, aber ich weiß nicht mehr was. Flora hat mich ja zuerst Ihnen vorgestellt; erinnern Sie sich denn nicht? Sie fanden doch mein Armband mit den Brillanten, und da – doch wo war ich denn stehen geblieben?«
»Im Schlafsaal mit Flora Burton.«
»O, ja; ganz recht! Sie gab mir einen Brief von ihm mit einem Gedicht darin, voll von Liebesschwüren und dergleichen mit einem schönen Schluß:
Aus treuem Herzen, dir geweiht,
Durch alle Zeit – in Ewigkeit!
»Er war mit Flora bei ihrem Onkel, Herrn Warmington, zusammengetroffen, hatte sie über unsre Schule ausgefragt und, denken Sie nur, ihr erzählt, er erkenne mich immer an dem Grübchen im Kinn. Da hat sie ihm gesagt, daß ich ihr von allen Mädchen im Institut die liebste sei, und da hat er ihr den Brief gegeben. Hätte Miß Gurdy das gewußt, sie hätte uns beide aus der Schule geschickt, wenigstens mir hätte sie sicher den Laufpaß gegeben; was Flora anbetrifft, ja, wissen Sie, Flora ist Erbin eines großen Vermögens und hat einen Vetter, der ein Lord ist, die kann eben mit Miß Gurdy machen, was sie will.
»Seitdem bekam ich drei Briefe von ihm, ehe ich eine einzige Zeile schrieb. Aber er sagte, er werde sich umbringen, wenn ich ihm nicht schriebe, nun, da mußte ich es doch natürlich tun. Danach, meine ich, fing Miß Gurdy an, etwas zu merken. Flora mußte gar so oft zum Zahnarzt gehen und bestand immer darauf, ich müsse mit dabei sein, um ihre Hand zu halten. Eines Tages, denken Sie nur, hätte uns Miß Gurdy fast ertappt. Sie kam ganz plötzlich ins Empfangszimmer, als Clive und ich gerade allein waren. Glücklicherweise hatten wir aber eben einen kleinen Zwist gehabt und er saß, die Zeitung verkehrt in der Hand, im entferntesten Winkel des Zimmers, ich dagegen sah zum Fenster hinaus, so –«
Mamie warf einen Blick nach der Uhr, die auf Becks Kaminsims stand, und brach, atemlos und verwirrt von ihrer eigenen Hast, plötzlich ihren Bericht ab.
»O! Ich habe ja nur noch sieben Minuten Zeit, und ich habe noch nichts von dem gesagt, was ich erzählen wollte.«
»Zeit genug,« beruhigte Beck, denn er hörte sie gern plaudern.
»Jetzt aber bleib' ich bei der Sache. Nachdem ich von der Schule abgegangen war, machte Clive meiner Mutter eines Tages seine Aufwartung, sagte ihr, daß er mich liebe, und eroberte sogleich ihr ganzes Herz. So sind wir nun verlobt und dürfen zusammen ausgehen, wohin es uns beliebt, aber er ist doch nicht zufrieden.«
»Was kann er denn aber noch mehr wünschen?« fragte Beck ganz ernsthaft.
»Ich soll ihn sogleich heiraten. Er ist eben Vierundzwanzigeinhalb und ich werde an meinem nächsten Geburtstag Neunzehn. Da meint er, wir seien alt genug zum Heiraten, und darin stimme ich auch mit ihm überein, aber, ach! es ist zu schrecklich!«
»Was ist schrecklich?«
»Daß er nicht Vernunft annehmen will. Sehen Sie, er ist der einzige Sohn seiner verstorbenen Eltern, und ich traue seinem Onkel Marmaduke gar nicht. Ich will's nur gleich erklären, ich werde ihm niemals trauen.«
»Was hat denn Marmaduke mit der Sache zu tun?«
»Clive lebt mit seinem Onkel in einem schönen Hause in Park-Lane, aber das Haus gehört Clive, das heißt es wird einmal Clive gehören; und außerdem hat er einen wundervollen Besitz in Kent, mit Wäldern und Flüssen, einem großen Wildpark und dem reizendsten Schlößchen. Ich habe letzte Woche all das gesehen. Aber in dem Testament seines Vaters steht eine grausame Klausel: daß er nicht eher in den Besitz des Erbes treten soll, als nach seinem vollendeten fünfundzwanzigsten Jahr, falls er sich nicht mit seines Onkels Einwilligung vorher verheirate. Heiratet er aber vor seinem vollendeten fünfundzwanzigsten Jahr ohne die Einwilligung seines Onkels, so geht das ganze Besitztum auf den Onkel über. Der Onkel Marmaduke Meredith ist ein großes Tier mit einem häßlichen, grinsenden Lächeln, was ich hasse, und ich bin sicher, er wird seine Einwilligung niemals geben. Clive behauptet aber, er werde es tun und keinesfalls würde er zwei Jahre warten, selbst wenn es um eine Million ginge. Nun sind es ja gar nicht mehr zwei Jahre, wissen Sie, nur anderthalb, und Clive sagt, er wolle sich als Advokat niederlassen und viel Geld für uns erwerben. Etwas eigenes Vermögen habe ich ja auch, was uns einigermaßen zu statten käme. Aber es ist mir gar nicht um das Geld, ich habe nur Angst, er möchte es später einmal bereuen, und das würde ich nicht überleben. Wenn ich ihm nun aber nicht den Willen tue, könnte er denken, ich wolle nur das Besitztum haben und nicht ihn. – O, tun Sie mir die Liebe, helfen Sie mir, Herr Beck! – ich weiß mir keinen Rat.«
Während sie sprach, hatte sie in ihrer nervösen Aufregung Beck auf die Schulter geklopft. Jetzt brach sie plötzlich in Tränen aus und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Da war es auf einmal um Becks Ruhe geschehen. Er konnte kein Frauenzimmer weinen sehen. Rasch sprang er vom Stuhle auf, drängte das weinende Mädchen, seinen Platz einzunehmen, beugte sich über sie und suchte sie mit beruhigenden Worten zu trösten. Es sah sich an, als ob ein großer Neufundländer ein kleines Kind umschmeichelte.
Mamie aber fuhr fort, bitterlich zu weinen, teils weil es ihr so ums Herz war, teils weil sie wohl wußte, daß sie zu den wenigen Frauen gehörte, denen das Weinen gut steht, hauptsächlich aber, weil sie sah, daß es die wirksamste Methode war, Herrn Beck zu rühren. Ganz plötzlich aber kehrte ihr Beck den Rücken und war eifrig beschäftigt, ein Stück Zucker zwischen die Gitterstäbe am Käfig seines Kanarienvogels einzuklemmen, während er ihm zupfiff. Seinem feinen Ohr war ein schneller, leichter Tritt auf der mit dickem Teppich belegten Treppe nicht entgangen. Im nächsten Augenblick vernahm man ein ungeduldiges Klopfen an der Tür. Mamie sprang vom Stuhl, hörte plötzlich auf zu schluchzen. »Herein!« rief Beck, ohne sich umzuwenden. Er mußte wohl recht ungeschickt sein, denn es dauerte eine ganze Weile, bis es ihm gelang, das Stückchen Zucker am Käfig zu befestigen. Als er sich endlich umwandte, sah Mamie glückstrahlend aus, obgleich noch eine Träne auf ihrer roten Wange zitterte, wie der Tautropfen auf dem Blatt der wilden Rose.
Ein schlanker, hübscher junger Mann stand dicht neben ihr und schaute voll Liebe und Sehnsucht auf ihr lächelndes Antlitz nieder. »Nun?« fragte Beck nach einer Pause, denn sie sahen ihn scheu an, ohne zu sprechen.
»Es ist alles in Ordnung!« rief Clive Meredith fröhlich. »Onkel Marmaduke wird tun, was recht ist, davon bin ich fest überzeugt. Er hat es mir heute deutlich zu verstehen gegeben. Ich wußte ja, es würde sich alles machen, wenn ich ihm Mamie nur erst vorgestellt hätte. Natürlich, er konnte ja nicht umhin, sich in sie zu verlieben. ›Clive, mein Junge,‹ hat er gesagt, ›das ist ein süßes Geschöpf, ich gratuliere dir. Nicht einen Tag möchte ich dir da im Wege stehen. Pflücke die Rose, wenn sie blüht! sagt der Dichter. Ich habe natürlich eine heilige Pflicht deinem Vater gegenüber zu erfüllen. Gott segne dich, mein Junge, Gott segne dich,‹ der alte Onkel wurde wahrhaftig gerührt und war dem Weinen nahe. Da sehen Sie also, Herr Beck, daß wir keine besondern Maßregeln zu treffen brauchen.«
»Und doch traue ich ihm nicht, trotz seiner Krokodilstränen,« rief Mamie aus. »Er hat irgend einen Streich im Sinn. Du weißt doch, daß er Geld braucht – hast du mir das nicht selbst erzählt? – und was für häßliche Gerüchte über ihn im Umlauf sind. So teile doch Herrn Beck mit, was du mir gesagt hast.«
»Ich tu's nicht gern,« sagte Clive widerwillig. »Nicht durch seine Schuld ist er in die Klemme geraten; man hat ihn gedrängt und betrogen. Vor sechs Monaten, ich war damals verreist, kam ein Kerl zu ihm, ein unverschämter Schleicher, der sich Eingang in Onkels Arbeitzimmer verschaffte und eine angebliche Schuld bezahlt haben wollte. Es war eine ansehnliche Summe – über tausend Pfund glaube ich. Onkel stellte einen Scheck aus und ließ sich den Empfang bescheinigen. Bald darauf schwor der Jude, Onkels Scheck sei nur ein leeres Schema gewesen, als er ihn auf der Bank präsentiert habe. Er machte eine Klage anhängig und erzählte seine Geschichte vor Gericht. Aber in der Verhandlung mußte er eingestehen, daß er meinen Onkel selbst den Scheck hatte ausstellen und unterzeichnen sehen; damit war der Fall erledigt. Der Richter gab dem Juden einen Verweis, den er nicht sobald vergessen wird, die Geschworenen schlossen sich dem Verteidiger an, und – ja, das ist die ganze Geschichte.«
»Wo wohnt ihr Onkel, Herr Meredith?« fragte Beck.
»In unserem Hause in Park-Lane, aber ich sehe nicht ein, weshalb –«
»Natürlich, du kannst es nicht einsehen,« unterbrach ihn die aufgeregte Mamie, »aber dein Onkel sieht klar genug. Er hat das Haus, und er hat einen Anspruch im Testament. Gibt er seine Einwilligung zu unsrer Heirat, so wirft er beides fort. Nun frage ich Sie, Herr Beck, ist das wahrscheinlich?«
»Aber ich will ja nicht heiraten, ehe ich die Einwilligung in seiner eigenen Handschrift schwarz auf weiß in Händen habe,« erwiderte Clive heftig. »Ich hätte niemals geglaubt. Mamie, daß du eine so vorsorgliche kleine Person sein könntest!«
»Ich bin nicht vorsorglich, lieber Clive; nur um deinetwillen bin ich es. Du bist zu vertrauensvoll. Gewiß heckt er irgendwelche Winkelzüge gegen uns aus.«
Das Pärchen war auf dem besten Wege, in einen netten kleinen Streit zu geraten, als Becks milde Stimme wie Öl auf die erregten Wellen fiel: »Möchten Sie sich nicht ein kleines Weilchen gedulden, Herr Meredith?« fragte er freundlich.
»Nennen Sie zwei Jahre ein Weilchen?« rief Clive ungeduldig.
»Nur anderthalb!« flüsterte Mamie.
»Zwei Wochen würden ausreichen, denke ich,« sagte Beck, »wenn Sie tun, was ich Ihnen sage.«
Clive strahlte vor Vergnügen. »Da stehe ich ganz zu Ihren Diensten, Herr Beck!«
»Vor allem möchte ich Sie bitten, mir den Namen des Mannes zu verschaffen, der eidlich bezeugt hat, er habe Ihren Onkel den Scheck unterschreiben sehen, während hernach die Unterschrift fehlte. Ich will ein Wort mit ihm reden.«
»Wäre es Zeit genug, wenn Sie die Auskunft morgen erhielten?«
»Vollkommen!«
»Mit der heutigen Abendpost sollen Sie den Namen haben.«
»Das wäre also abgemacht. Ich vermute, Ihr Onkel hat ein besondres Arbeitzimmer zu seinem ausschließlichen Gebrauch in Park-Lane?«
»Jawohl, mit einem Bramahschloß und seinem eigenen Türdrücker.«
»Das dachte ich mir. Haben Sie mir nicht gesagt, er schreibe viel?«
Clive hatte das nicht gesagt, aber Beck wußte es. Es gab wenige Dinge, die Herr Beck nicht gewußte hätte. Clive lachte. »Ja, er schreibt eine Menge Artikel für die Journale, aber sie werden nie abgedruckt. Vor Jahren ist einmal einer erschienen und daraufhin hat er wenigstens hundert verfaßt und gibt sich das Ansehen eines Schriftstellers.«
»Wahrscheinlich hat er Gas in seinem Studierzimmer?«
Clive nickte. Die Frage kam ihm seltsam vor.
»Wissen Sie, wo er sein Scheckbuch aufbewahrt?«
»Nein,« sagte Clive mit wachsendem Erstaunen. »Wahrscheinlich im Schreibpult seines Studierzimmers.«
»Auch nicht, wer seine Gaseinrichtung gemacht hat?«
»Die Firma Carver & Picton; aber ich begreife wirklich nicht, Herr Beck, was dies alles mit dem zu tun hat, was – –«
Ohne seine Einsprache im geringsten zu beachten, fuhr Beck ruhig fort: »Jetzt komme ich zu meiner zweiten Bedingung. Zuerst der Name des Juden, der den sonderbaren Scheck bekam, vergessen Sie das nicht, zweitens möchte ich in ein Gasrohr von Ihres Onkels Arbeitzimmer ein Loch gebohrt haben. Können Sie das bewerkstelligen?«
»Vielleicht, wenn ich's versuche; aber um alles in der Welt, Herr Beck, was –«
Mamie legte ihm ihre kleine Hand auf den Mund, während sie ihm ins Ohr flüsterte: »Still, Clive, du darfst nicht so heftig dreinfahren; bedenke nur, du hast versprochen zu tun, was dir Herr Beck sagen würde.«
»Wollen Sie denn das Haus in die Luft sprengen, Herr Beck?« fragte Clive, sobald er den Mund wieder frei hatte.
»Im Gegenteil, Sie müssen sogleich die Aufmerksamkeit Ihres Onkels auf den Schaden lenken und sich erbieten, auf dem Wege nach Ihrem Klub bei Carver & Picton vorzusprechen, um zu bestellen, daß ein Arbeiter ins Haus geschickt wird.«
»Offen gestanden, weiß ich nicht recht, wie ich's anstellen soll. Ich bin niemals ohne meinen Onkel in dem Zimmer und ich habe nichts, womit ich Bleiröhren anbohren könnte.«
Statt der Antwort öffnete Beck eine der vielen Türen des breiten Mahagonischrankes, der beinahe eine ganze Wand des Zimmers einnahm. Aus einem der mit verschiedenen Aufschriften versehenen Fächer brachte er einen runden Ball von dunklem Holz zum Vorschein, woran ein kleiner Kork steckte. Als Beck den Pfropfen einen Augenblick entfernte, sah man eine Art flacher Nadel aus dem Ball hervorragen, die etwa einen Zoll lang und sehr scharf war. »Das geht durch Blei wie durch Butter,« sagte er gelassen. »Es wird im Geschäft gebraucht, wenn der Absatz ins Stocken gerät.«
Er setzte den Kork wieder auf die Nadel, während er sprach, und Clive ließ das kleine Instrument vorsichtig in seine Tasche gleiten. »Morgen um ein Uhr ungefähr werden Sie hier Ihren Arbeiter abholen. Sie verstehen mich doch, Herr Meredith?«
Clive nickte wieder, machte aber immer noch ein mürrisches Gesicht. Er hatte ein dunkles Gefühl, als halte man ihn zum Narren.
»So,« sagte Beck in ungetrübter Laune. »Jetzt habe ich einen notwendigen Gang und möglicherweise haben Sie beide sich noch etwas zu sagen, also – ich empfehle mich.«
Clive wußte kaum, ob er sich über diese plötzliche Abfertigung ärgern sollte oder nicht. Mamie aber warf Herrn Beck noch an der Tür eine Kußhand zu.
»Ist er nicht köstlich, Clive?« flüsterte sie, als die Verlobten zusammen fortgingen.
»Meinst du? Mir scheint er ein etwas schwerfälliger Geselle und nicht besonders höflich. Ich werde mir vorkommen wie ein boshafter Schuljunge, wenn ich ihm den Willen tue.«
»Du wirst es aber doch tun, nicht wahr, Clive?« fragte sie, mit einem Blick, dem nicht zu widerstehen war.
»Mein Versprechen werde ich wohl halten müssen, Mamie, aber daß mir die Geschichte gefiele, kann ich nicht sagen.«
Sie verstand sich jedoch trefflich darauf, den kleinen Verdruß durch Schmeichelworte zu verscheuchen, bis Clive wieder bei guter Laune war, dann schlenderten sie zusammen durch das Straßengedränge, gleichsam allein inmitten alles Lärms und Geschreis, als hätte die Rosenwolke der Liebe sie umhüllt. Es gab in ganz London kein glücklicheres Paar, – –
»Das ist ja ein abscheulicher Geruch hier im Zimmer, Clive,« sagte am nächsten Tage Herr Marmaduke Meredith, indem er von seinem großen offenen Schreibpult aufsah, an dem er beschäftigt war, einen Artikel für den »Contemporary« zu schreiben.
»Es muß wohl ein Schaden am Gasrohr sein, Onkel.«
»Du kannst recht haben. Es riecht nach Gas. Pfui Teufel! Das ist ja zum Ersticken. Nur gut, daß es nicht bei Nacht geschehen ist, sonst hätte es eine Explosion gegeben.«
Beide Herren schnüffelten einige Augenblicke an den Röhren, wie zwei Jagdhunde, die eine Fährte wittern.
Clive fand das Leck zuerst. »Es ist hier, Onkel,« rief er nicht ohne schamhafte Verlegenheit, »und ein tüchtiges Leck obendrein; ich kann ordentlich den kalten Gasstrom auf meiner Hand fühlen.«
»Da muß sogleich ein Arbeiter her,« sagte Meredith, »ich habe noch heute abend eine Menge wichtiger Schreibereien vor.« Schon faßte er nach der Glocke, als Clive ihn zurückhielt. »Klingle nicht, Onkel! Ich gehe ja so wie so in den Klub. Ich werde bei Carver & Picton vorsprechen und bestellen, daß sie sogleich einen Mann herschicken.«
»Recht so, mein Junge!« Der Onkel legte die Hand auf des Neffen Schulter. Clive krümmte sich unter dem gütigen Druck und kam sich unaussprechlich schlecht vor.
Marmaduke Meredith war ein stattlicher Mann mit hellblauen Augen, deren Lider gewöhnlich gesenkt waren, und vortretendem Mund und Kinn; er war gescheit, lebhaft, aber wenig beliebt. In den Klubs liefen unsichere Gerüchte um, daß mit seinen Angelegenheiten nicht alles richtig sei. Er galt auch für einen sehr schäbigen Menschen, aber er brauchte viel Geld und verdiente keines. »Ich danke dir, Clive,« fuhr er mit salbungsvoller Stimme fort, seinem Neffen immer noch mit einer Hand auf die Schulter klopfend, während die andre mit den schweren Ringen seiner goldenen Uhrkette spielte. »Du bist mir immer ein guter, gehorsamer Neffe gewesen, und ich hoffe mich nicht als harter Onkel zu erweisen, wenn die Zeit kommt. Du merkst schon, wo ich hinauswill, wie?«
Clive verstand, was er meinte, und ihm war jämmerlich zu Mut. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wo Beck mit seinem Kunstgriff hinauswollte, aber die dunkle Vorstellung, daß sein Onkel ein Opfer der List werden könnte, verließ ihn nicht. Er fühlte sich tief beschämt von seiner vertrauensvollen Güte. »Ich gehe sofort und werde den Mann herbringen,« sagte Clive plötzlich, um der Sache ein schnelles Ende zu machen. Und er ließ Marmaduke bei seinen vergeblichen Bemühungen zurück, das Loch im Gasrohr mit einem winzigen Kügelchen von Löschpapier zu verstopfen.
Becks Haustür gegenüber stand ein junger Mensch mit dem Werkzeugkasten eines Arbeiters unter dem Arm müßig da. Als Clive aus der Droschke stieg, schritt jener über die Straße und sprach ihn an, ehe er die Hausklingel zog. »Herr Clive Meredith?« fragte er in unterwürfigem Ton. Es war ein kräftiger, gutgebauter junger Mensch, gekleidet wie ein anständiger Handwerker, aber mit einem breiten, schwarzen Schmutzflecken im Gesicht.
»Ja, das ist mein Name,« antwortete Clive.
»Ich bin bestellt, Herr, und stehe zu Diensten.«
»Wißt Ihr, was zu tun ist?«
»Jawohl; ich habe meinen Auftrag; ich mache mich gleich an die Arbeit.«
»Ihr könntet eine Droschke nehmen.«
»Besten Dank, Herr, der Omnibus ist gut genug für mich und geht hier am Haus vorbei. Da ist er schon – entschuldigen Sie mich.« Damit rannte er die Straße entlang und sprang auf einen Omnibus, der gerade um die Ecke bog. Clive stand verwirrt vor Becks Tür. Auf seine Frage erhielt er zur Antwort, Herr Beck sei ausgegangen und werde vor zwei Stunden nicht wiederkommen.
»Ob der Herr nicht seinen Namen zurücklassen wolle?«
»Nein!« – das wollte er nicht. Verdrossen und betreten ging er nach seinem Klub. Er konnte nun einmal aus der ganzen Angelegenheit nicht klug werden. – –
»Ich soll das Gasrohr ausbessern,« sagte der Handwerker dem Diener, der ihm die Tür in Park Lane öffnete.
»Sie kommen von Carver & Picton? Recht so! Herr Meredith ist beim Frühstück. Er hat befohlen, Sie sofort ins Studierzimmer zu führen. Der Schaden soll gleich ausgebessert werden. Das ganze Haus ist voll Gasgeruch.«
Sobald der Arbeiter eingetreten war, verriegelte er die Tür sorgfältig von innen und fing an, das Zimmer mit Neugierde zu durchforschen. Besonders schienen ihn die Schreibmaterialien anzuziehen. Er untersuchte Papier und Löschblatt, die Federn und die Tinte mit der peinlichsten Genauigkeit. Auf dem großen Mahagonischreibtisch zwischen den Fenstern standen zwei Tintenfässer. Er roch daran, prüfte den Inhalt mit der Zunge und schüttelte den Kopf. Dann ging er zu einem kleineren Pult von amerikanischer Machart, dessen Klappe zum Aufrollen war; er versuchte diese zu öffnen, fand sie aber verschlossen.
»Das dachte ich mir,« murmelte er, während er einen Eisendraht, der am Ende seltsam gedreht und gebogen war, ins Schloß steckte. Zweimal machte er mit leisem Druck den Versuch, das Schloß zu öffnen und zweimal bog er den Draht mit starken Fingern in eine neue Form. Dann auf einmal, als ob das Schloß das Ding für seinen eigenen Schlüssel hielte, gab es freiwillig dem sanften Drucke nach; die Klappe des Pultes ließ sich zurückrollen und erschloß zugleich sämtliche Schubfächer an den Seiten. Rasch durchsuchte der sonderbare Einbrecher das Innere mit Auge und Hand. Bei einem hübschen silbernen Tintenfaß machte er einen Augenblick Halt und setzte es beiseite. Dann stürzte er sich auf ein gewöhnliches Tintenkrüglein von braunem Steingut, das in einem Fach des Pultes weit nach hinten geschoben und mit mehreren Papieren verdeckt war. Er untersuchte seine Beute eifrig, goß sogar ein paar Tropfen der Tinte auf ein Blatt Papier, roch und leckte daran, während sich ein befriedigtes Lächeln über sein Gesicht verbreitete. Dann schrieb er mit der Tinte eine kurze Notiz auf ein Blatt Papier, schwenkte es hin und her, bis es ohne Löschblatt getrocknet war, und steckte es in die Tasche.
Nach einer Viertelstunde war der Tintenkrug wieder an seinem Platz, das Pult verschlossen und das Loch im Gasrohr ausgebessert – nicht zu früh, denn als der Handwerker aus dem Studierzimmer trat, traf er in der Vorhalle auf Herrn Meredith, der nach einem besonders üppigen Frühstück in bester Laune war. »Was, schon fertig, guter Freund?« sagte er lächelnd. »Das nenne ich rasch bedient! Da habt Ihr eine Kleinigkeit für Euch.« Herr Meredith war in der Regel nicht freigebig mit Trinkgeldern, so wie diesmal hatte er sich aber niemals mit einem solchen vergriffen.
Den ganzen Nachmittag war Herr Marmaduke in der besten Stimmung. Ihm ahnte nichts Böses, und er pfiff leise bei seiner Schreiberei, wie jemand, der mit dem Lauf der Welt wohl zufrieden ist. Nach dem Mittagsmahl, bei seinem vierten Glas guten alten Portweins, als er Clive, der sich nicht wenig vor sich selber schämte, scheu und zerstreut fand, berührte der gute Onkel aus eigenem Antrieb die Heirat in der freundlichsten Weise.
»Ich bin nur um dein Glück besorgt, lieber Clive,« sagte er im feierlichen Ton eines Bühnenvaters (er hatte viel Geschmack und Talent für das Theatralische), »aber du bist noch sehr jung. Bist du deines eigenen Herzens auch gewiß? Bist du ganz sicher, daß dein Glück durch diese Verbindung gegründet werden wird?«
Natürlich war Clive auf das feurigste und innigste davon überzeugt.
»Dann werde ich kein Hindernis sein,« erklärte der Onkel. »Aus freien Stücken werde ich meine Einwilligung geben.«
Clive sprang von seinem Stuhl auf; er zitterte vor Freude. »Onkel, ich kann es nicht aussprechen, wie dankbar ich dir bin!« rief er in ehrlicher Einfalt. »Ich werde dafür sorgen, daß deine Großmut dich nicht gereuen soll.«
Aber sein Onkel wies des Neffen Beteuerungen und Versprechen voll Edelmut zurück. »Ich brauche keinen Lohn,« sagte er; »mir genügt das Bewußtsein, zwei junge Wesen glücklich gemacht und ihnen das quälende Warten auf die Erfüllung ihrer Wünsche erspart zu haben. Die Leute meinen, ich sei mit meinem Gelde leichtsinnig umgegangen; aber sie irren sich. Ich habe, dank deinem armen Vater, viele Jahre eine hübsche Einnahme gehabt und habe genug zurückgelegt, um für den Rest meiner Tage ein behagliches Leben zu führen, wenn auch nicht im Überfluß. Aber ich will ja nicht von mir sprechen. Das Leben gehört der Jugend. Möge dein Leben, Clive, reich an Glück und Freude sein.«
Er hielt einen Augenblick inne, wie von Gemütsbewegung überwältigt, und Clive saß schweigend in tiefer Rührung da. Gleich darauf faßte sich Herr Marmaduke Meredith ein wenig. »Wenn etwas Gutes unternommen werden soll, so kann es nicht rasch genug geschehen,« sagte er leise. »Trink dein Glas aus, mein Junge und komm mit mir in mein Arbeitzimmer.«
Dort schloß er das amerikanische Pult auf, legte einen großen Bogen Papier vor sich hin und tauchte eine Goldfeder in den kleinen, braunen Steinkrug. Dieser war voller als er erwartet hatte, und ein dicker Tintentropfen fiel auf das Papier. Meredith zerriß den Bogen in kleine Stücke, warf sie in den Papierkorb und nahm ein neues Blatt. In schöner, fließender Handschrift schrieb er seine Einwilligung zu Clives Vermählung, fügte dann das Datum bei und setzte seinen Namen mit einem kühnen Schnörkel unter das Dokument.
»Ist's recht so?« fragte er, indem er Clive das Papier reichte.
»Wie kann ich dir nur danken, Onkel!«
»Das brauchst du nicht.«
»Mamie wird überglücklich sein. Ich hab's ja immer gewußt, daß ich recht hatte, aber sie meinte –« Er unterbrach sich verlegen – er konnte seinem Onkel doch nicht sagen, daß sie ihn für einen Heuchler hielt.
Herr Marmaduke schaute ihn einen Augenblick scharf an, dann lächelte er wie aus Mitleid mit seiner Verlegenheit. »Die arme kleine Mamie,« sagte er in sanftem Ton, »sie hält mich vermutlich für ein boshaftes Ungeheuer, wie es im Märchen steht. Wir wollen sie aber deshalb nicht schelten, Clive, sie kennt mich ja nicht, wie du mich kennst. Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich sie wohl eines Besseren belehren.«
Er nahm Clive das unterzeichnete Papier aus der Hand, faltete es zusammen und steckte es in einen Umschlag, den er sorgfältig mit einem großen roten Siegel verschloß. »Ich will sie lehren, uns zu vertrauen,« erklärte er. »Versprich mir, Clive, ihr dies Dokument nur von außen zu zeigen und das Kuvert erst nach der Trauung zu öffnen. Du kannst es ja mit zur Kirche nehmen und in der Sakristei lesen, wenn du willst. Ich mache aber keine Bedingungen – jedenfalls hast du ja meine Einwilligung.«
»Natürlich, Onkel, ich tue ganz nach deinem Wunsch,« antwortete Clive voll Dankbarkeit. »Mamie wird sich auf mein Wort verlassen oder auf das deinige,« setzte er nach einer Pause hinzu. Mamie war aber keineswegs zufrieden, als sie die ganze Geschichte erfuhr und ihr nur gestattet wurde, mit vergeblich forschenden Augen das versiegelte Dokument von außen zu betrachten.
»Dir glaub' ich ja schon, Clive; ihm traue ich aber nicht. Seine Süßigkeit ist nicht natürlich. Ich bin überzeugt, er betrügt dich.«
Clive liebkoste, streichelte und küßte sie, bis sie sich fügte und nach Frauenart doch schließlich bei ihrer Meinung blieb. Zum zweiten Male wurde beschlossen, Herr Beck solle entscheiden, und sie gingen sogleich miteinander nach seinem Hause. Mamie wollte eben eine beredte Auseinandersetzung beginnen, als Herr Beck seine große Hand erhob, um sie zu unterbrechen. »Ich kann mir schon denken, was sich zugetragen hat,« sagte er zu Clive, »Ihr Onkel hat seine Einwilligung unterschrieben?«
Clive nickte.
»Er erbot sich wohl von selbst dazu?«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Fragen Sie mich nicht. Ich bin in meinem Leben schon ganz andern Dingen auf die Spur gekommen. Nicht wahr, nachdem er die Schrift unterzeichnet hatte, tat er sie in einen Umschlag, den er versiegelte, und ließ Sie versprechen, ihn erst nach Ihrer Trauung zu öffnen?«
Clive war zu erstaunt, um zu antworten. »Siehst du, sagte ich dir's nicht?« rief Mamie. »Herr Beck hat den Kniff von vornherein erraten. Natürlich hat er das Papier, das du ihn unterschreiben sahst, mit einem leeren Blatt vertauscht.«
Clives Antlitz verdüsterte sich. »Ach was, Mamie, ich habe ganz deutlich gesehen,« fing er an; da unterbrach ihn Beck sehr ruhig: »Versteht sich, Herr Meredith; Sie können heiraten, sobald es Ihnen beliebt.«
»Morgen hole ich den Erlaubnisschein!« rief Clive fröhlich, und die hartnäckige Mamie ergab sich ohne weiteres.
Es sollte eine recht stille Hochzeit sein, denn das Paar wünschte mit seinem Glück nicht vor der Gesellschaft zu prahlen. Gleich nach der Trauung gedachten sie nach Rom aufzubrechen, um dort Weihnachten zu feiern. Dies hatte der Onkel vorgeschlagen, der sich ziemlich im Hintergrund hielt, aber die Güte und Rücksicht selber war und sich, wie er Clive versicherte, so warm für das Glück der jungen Leute interessierte, als ob es sein eigenes wäre. Selbst Mamie wurde durch seine fortdauernde Freundlichkeit besänftigt.
Der 10. Dezember war der glückliche Tag. Der Hochzeitsmorgen war wolkenlos, wie die Freude der Liebenden, der Himmel klar, die Sonne strahlend, und ein scharfer Frost in der Luft ließ das Blut mit verdoppelter Lebenskraft durch die Adern rinnen. Die kleine Kirche war hell erleuchtet und mit grünen Stechpalmen geschmückt. Der Brautführer hatte sich pünktlich eingefunden und fühlte ängstlich in der Westentasche, ob der Trauring auch sicher an seinem Platze sei. Flora Burton, die zehnjährige Brautjungfer, sah zauberhaft aus in weißem Atlas mit einer himmelblauen Schärpe und ihren langen blonden Locken. Den gutmütigen Brautführer behandelte sie mit so würdevoller Geringschätzung, daß er sich beinahe versucht fühlte, sie mitten in der Kirche aufzuheben und zu küssen. In einem stillen Winkel weinte die Mutter der Braut über die nahe Trennung von der Tochter; nur die Bewunderung für den neuen Sohn milderte ihren Kummer. Drüben im Schatten einer Säule stand Beck, dessen Gegenwart bei der heiligen Handlung Mamie gebieterisch gefordert hatte. Da sowohl die Braut als der Bräutigam allgemein beliebt waren, hatte sich das Schiff der Kirche mit Zuschauern gefüllt; es waren meistens junge Leute beiderlei Geschlechts, auf die eine Trauung dieselbe geheimnisvolle Anziehungskraft übt, wie das Licht auf die Motte.
Die sonst so lebhafte Mamie war jetzt sehr still; ihr hübsches Gesicht sah blaß aus unter dem Zweig von Orangenblüten und dem durchsichtigen weißen Schleier und die süßen Lippen bebten ein wenig. Aus dem Antlitz des Bräutigams sprach nur freudiger Triumph. Ein lieblicheres Paar hatte wohl nie vor den Altarstufen gekniet. Zehn Uhr, die festgesetzte Stunde kam und ging vorüber; eine Minute nach der andern verging, aber ein Hochzeitsgast fehlte noch immer. Marmaduke Meredith, der fest versprochen hatte, zugegen zu sein, war noch nicht erschienen.
Clive war ungeduldig, und als sich die Minuten immer endloser dehnten, beschlich ihn ein Gefühl des Unbehagens. Aber er tröstete sich damit, daß er ja das kostbare Dokument sicher in der Brusttasche seines Hochzeitsfrackes trug. Er flüsterte dem Brautführer neben ihm ein paar Worte zu, worauf dieser sich leise in die Sakristei begab. Gleich darauf trat der Geistliche auf die Altarstufen und der Trauungsakt begann. Clives Antworten waren klar und fest, wie es dem Manne zukommt; Mamies lieblich und leise, wie es für die Frau paßt. So vollzog sich die heilige Handlung, die zwei Leben mit Leib und Seele vereinigte. Das Mädchen, Mamie Coyle, verschwand aus der Welt, und die junge Frau Mamie Meredith legte schüchtern, aber vertrauensvoll die kleine Hand auf ihres Gatten Arm, während sie zusammen nach der Sakristei gingen, wo der erste Kuß ehelicher Liebe den Bund besiegelte. In dem ganzen Raum herrschte fröhliche Aufregung und die kleine Brautjungfer wehrte sich vergebens dagegen, sich von dem Brautführer umarmen zu lassen. Mamie Meredith hatte soeben mit zitternder Hand ihren neuen Namen ins Kirchenbuch geschrieben, als draußen ein Wagen in rasender Eile vor die Tür gerasselt kam. Mit gerötetem Gesicht brach Marmaduke Meredith ungestüm in die Versammlung herein und sah sich voll zorniger Bestürzung im Kreise um. »Mein Gott! Komme ich doch zu spät!« rief er aus.
Mamie wich bei seinem Anblick erschrocken zurück, aber sein Neffe trat ihm mit ausgestreckten Händen lächelnd entgegen.
»Nicht zu spät, um uns deinen Segen zu bringen, Onkel. Wir haben bis zum letzten Augenblick auf dich gewartet.«
Sein Onkel starrte ihn an wie versteinert. »Untersteh' dich nicht, mit mir zu sprechen! – Was bedeutet dieser ganze schimpfliche Vorgang?«
»Onkel! Wie kannst du meine Hochzeit so nennen! Hast du mir nicht selbst deine Einwilligung gegeben?«
»Das ist erlogen!« schrie Meredith wütender als je und ganz außer Fassung. »Es klingt sehr unwahrscheinlich, daß ich meinen Neffen an ein unmündiges Kind verheiraten würde, das keinen Heller besitzt.«
Das heiße junge Blut strömte Clive zu Kopf und seine Hände ballten sich unwillkürlich; aber Beck, der sich leise zur Seite gestellt hatte, berührte seinen Arm. »Nur ruhig,« flüsterte er, »das Papier –«
Clive hörte ihn und riß das versiegelte Dokument aus seiner Tasche. »Hier habe ich deine Einwilligung, die du mit eigener Hand geschrieben hast. Seht her,« rief er den erstaunten Gästen zu, die sich um ihn drängten, »jetzt wird sich zeigen, wer der Lügner ist!«
Er riß den Umschlag auf und hielt das Papier in die Höhe, damit es alle sehen konnten – das Blatt war ganz leer. Marmaduke Meredith stieß ein hartes, höhnisches Gelächter aus. »Bist du jetzt zu Ende mit deinen Narrheiten?« fragte er verächtlich.
»Halten Sie das Blatt ans Feuer,« flüsterte Beck mit befehlendem Ton Clive ins Ohr. Betäubt und verwirrt gehorchte Clive mechanisch. ... Da, vor aller Augen erschienen langsam auf dem Papier, in der großen klaren Handschrift von Marmaduke Meredith die Worte:
»Hierdurch gebe ich meine volle und freie Einwilligung zu der Heirat meines Neffen, Clive Worthington Meredith mit Miß Mamie Coyle.
21. November 1893. Marmaduke Meredith.«
Herrn Merediths Gesicht wurde erdfahl. Einen Augenblick rang er in seiner Bestürzung vergeblich nach Atem. Dann brach er verzweifelt in die Worte aus: »Was für ein verfluchter Streich ist das!« und wollte sich des Papiers bemächtigen. Aber Becks große Hand legte sich gleich einer eisernen Klammer um seinen Arm.
»Ruhig, mein werter Herr,« sagte er im mildesten Ton, »Verhalten Sie sich so still als möglich, Herr Meredith; Sie haben ein Spiel um einen großen Einsatz gewagt und haben es verloren. Wohl hatten Sie gute Karten, aber wir haben Sie übertrumpft. Von verschwindender Tinte hatte ich schon lange gehört; vielleicht ist Ihnen etwas von unsichtbarer Tinte zu Ohren gekommen, Herr Meredith? Zusammen geben Sie eine gute Mischung, und ich habe mir erlaubt, sie in dem kleinen, irdenen Tintenkrug zu vermischen, als ich vor etwa drei Wochen das Gasrohr in Ihrem Arbeitzimmer ausbesserte. Das ist alles.«