Friedrich Bodenstedt
Gräfin Helene
Friedrich Bodenstedt

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Viertes Kapitel.

Baroneß Ida, Graf Bender's Cousine, war eine sehr muntere kleine Dame, in deren Adern semitisches Blut, und in deren Börse semitisches Gold – Beides von väterlicher Seite – rollte. Obgleich ihr Vater einen beglaubigten Taufschein und ein theuer erstandenes Freiherrndiplom aufweisen konnte, wurde ihm doch der Eintritt in die gräflich Bender'sche Familie schwer gemacht, selbst dann noch, als er das Herz seiner Auserwählten schon gewonnen hatte. Recht gewürdigt wurde er von der angeheiratheten Verwandtschaft überhaupt erst nach seinem Tode; denn selbst der Obersthofmeister gestand nun, daß der Verstorbene ein wirklich einsichtsvoller Mann, dazu ein vortrefflicher Haushälter und Mehrer seiner Güter gewesen sei. Ida verlor ihren Vater als sie eben ihr fünfzehntes Lebensjahr zurückgelegt hatte, und sie war damals schon klug genug um zu begreifen, daß die plötzlich erwachende Zärtlichkeit des Onkels, der sich bis dahin blutwenig um sie bekümmert hatte, nicht einzig und allein christlicher oder gar verwandtschaftlicher Liebe entspringe. Allein er beharrte mit solcher Zähigkeit in der Ausführung seines Vorsatzes »sich des lieben verwaisten Kindes anzunehmen«, daß ihm auf die Dauer nicht zu widerstehen war. Trotzdem behauptete Ida ihm gegenüber immer eine gewisse Selbständigkeit, und da sie von Natur gewitzigter war als er, so brachte sie ihn mit all seiner äußern Würde und eingebildeten Unfehlbarkeit oft in's Gedränge durch ihre schlagfertigen Antworten. Kam er in's Schloß ihrer Mutter zum Besuch, so ließ man es an Aufmerksamkeiten gegen ihn nicht fehlen; lud er aber Ida zu seiner Familie ein, so that der kleine schlaue Goldkopf, als ob ihr nicht viel daran gelegen wäre, und der Onkel betrachtete es immer als einen diplomatischen Sieg, wenn es ihm gelang sie mit nach der Residenz zu bringen. Ganz sicher war nie auf sie zu zählen, und so schob sie auch jetzt ihre Kur in Baden-Baden, die nichts als eine Zerstreuungskur war, von einer Woche zur andern hinaus, um Seine mit wachsender Ungeduld sie erwartende Excellenz den Werth ihres Besuchs gehörig fühlen zu lassen.

Als nun der junge Graf von Paris aus zu ihr kam, empfing sie ihn lachend mit den Worten: »Ei, sieh da, mein lieber Otto! Du kommst mir gerade recht, obgleich ich gar nicht mehr auf Dich zählte. Hast Du den Weg von acht Stunden glücklich in acht Wochen zurückgelegt?«

»Wie meinst Du das, liebe Ida?« fragte er verwundert.

»Nun vor acht Wochen . . . nein! jetzt besinn ich mich; es war erst vor acht Tagen . . . doch wer kann bei diesem zerstreuenden Leben auch Alles so genau behalten! – Also vor acht Tagen schrieb mir Dein Vater, daß Du's vor Sehnsucht nach mir nicht länger aushalten könntest und, ungeduldig über mein langes Zögern, zu Euch zu kommen, Dich auf den Weg zu mir gemacht hättest, wo Du wahrscheinlich schon zugleich mit seinem Briefe eintreffen würdest.«

»Ich habe wirklich um Entschuldigung zu bitten, liebe Ida; aber ich wußte nicht, daß mein Vater mich so Knall und Fall bei Dir angemeldet hatte, sonst würde ich ohne Umwege gekommen sein.«

»Du brauchst Dich gar nicht zu entschuldigen; denn Deine Umwege dienen Dir bei mir zur Empfehlung: sie sind der erfreulichste Zug, den ich bis jetzt an Dir entdeckt habe.«

»Wie meinst Du das?« fragte er einigermaßen verblüfft.

»Genau so wie ich es sage. Wärst Du zugleich mit dem Brief angekommen, so würd' ich gedacht haben: der Onkel hat den Brief zur Post gegeben und dieser ist richtig eingetroffen; der Onkel hat desgleichen seinen Herrn Sohn zur Post befördert, und dieser ist ebenfalls richtig eingetroffen, nicht wie ein gewöhnlicher Brief, sondern wie ein rekommandirtes Packet mit fünf Siegeln und Begleitschein.«

»Ich verstehe Dich immer noch nicht.«

»Und willst ein Diplomat sein? Kannst Du denn nicht begreifen, daß mir ein Mensch, der weiß was er will, lieber ist, als einer, der sich zur Sache herabwürdigen und wie ein Ball aus einer Hand in die andere werfen läßt?«

Der junge Graf fühlte sich verletzt, aber er wußte aus Erfahrung, daß er im Wortgefecht gegen seine Cousine nicht aufzukommen vermochte, und so begnügte er sich zu erwidern: »Du hast doch immer noch Deine lose Zunge!«

»Der Himmel erhalte sie mir!« entgegnete Ida: »Denn ich hasse alles von außen Gebundene, und von innen sitzt sie fest genug. Binde meine Zunge und Du bindest mich selbst; denn sie ist die Erlöserin meiner Gedanken, die Offenbarerin meiner Gefühle, das Ausrufungszeichen meines Lebens. Ohne meine Zunge, oder mit gebundener Zunge, würde ich nur ein stummes Bild sein, oder eine Glocke ohne Klöppel, oder ein Clavier ohne Saiten . . .

»Oder eine Aeolsharfe ohne Wind!« unterbrach er sie: »Du siehst ich fange an zu begreifen.«

»Doch nicht so ganz!« entgegnete sie, »denn Dein Gleichniß trifft nicht zu; aber wir wollen es für diesmal gelten lassen. Du gehörst, eben wie Dein Vater, zur schweren Cavallerie des Geistes und bist ans leichtes Geplänkel nicht eingeübt.«

»Da hast Du Recht,« sagte er, weil ihm im Augenblick nichts anderes einfiel.

»Natürlich!« erwiderte sie hellauflachend: »Die Frau soll noch geboren werden, die nicht immer Recht zu haben glaubte.«

Diese Wendung befreite ihn einigermaßen aus seiner verlegenen Stimmung und ermuthigte ihn zu fragen, was sie mit den fünf Siegeln gemeint habe auf dem Packet, womit sie ihn vorhin verglichen.

»Damit habe ich,« erwiderte sie, »die fünf Siegel gemeint, welche Dein Vater auf Deine fünf Sinne gedrückt hatte, um Dich zu verhindern nach eigenem Antrieb zu hören, zu sehen, zu riechen, zu schmecken und zu fühlen. Deine verspätete Ankunft hat mir zu meiner Freude gezeigt, daß die Siegel gelöst sind, darum können wir jetzt ein vernünftiges Wort mit einander sprechen. Du weißt, wir sollen nach der Absicht Deines Vaters eine Liebeskomödie zusammen spielen, und ich denke, es ist doch besser, wir thun dies mit offenen als mit verbundenen Augen. Seien wir also gehorsame Kinder und erfüllen wir die Wünsche Deines Vaters, welche mit denen meiner Mutter übereinstimmen, aber gehen wir nicht weiter in der Bezeigung unseres guten Willens, als Herz und Verstand damit Hand in Hand gehen; denn obwohl ich keine Neigung verspüre, eine alte Jungfer zu werden, so könnte ich mich doch eher dazu entschließen, als zu einer Verbindung mit widerstrebenden Gefühlen. Bis jetzt ist meine Herzenswärme für Dich noch nicht bis zum Siedepunkt der Leidenschaft gestiegen, und wenn Du mir gegenüber das Gleiche von Dir behaupten kannst – ich freue mich, zu sehen, daß Du zustimmend nickst – so können wir der Gefahr sorglos entgegengehen. Ueberwältigt sie uns, gut; überwältigt sie uns nicht, auch gut. Der erste Fall soll uns einigen, aber der zweite uns nicht entzweien; denn in jedem Falle bleiben wir gute Freunde. Bist Du damit einverstanden?«

»Durchaus! Dein Vorschlag ist so bündig, als ob er dem Haupte eines alten Weisen entsprungen wäre und nicht dem Schelmenköpfchen eines jungen Mädchens.«

»O ich bin gar nicht so jung mehr; ich habe die Lerchen schon zwanzigmal den Frühling begrüßen hören und die Verhältnisse haben meine Gedanken in Bezug auf Liebe vielleicht eher gereift als gut war. In Gedichten und Romanen hab' ich soviel gelesen, aber im Leben noch so wenig Schönes davon gesehen! Man heirathet einen Namen, ein Vermögen und stellt das übrige dem lieben Himmel anheim. Wer weiß, ob ich's nicht auch einmal so mache! Allein bis jetzt habe ich mich nicht dazu entschließen können. An Bewerbern hat mir's seit meinem sechzehnten Jahre nicht gefehlt, da ich aber nie wußte, ob sie mehr mich liebten oder mein künftiges Erbe, so bin ich frei geblieben und befinde mich ganz wohl dabei. Auch bei Dir, lieber Otto, gebe ich mich keiner Täuschung hin. Meine Mutter wünscht mich durch unsere Verbindung zu einer Gräfin Bender, und Dein Vater Dich zu einem reichen Manne zu machen. Das ist der Grund und Boden, dem die Blüthen unserer Liebe entsprießen sollen. Die Erde ist durch meinen Vorschlag hinlänglich gelockert; sehen wir nun, was daraus erwächst. Jedenfalls scheint es mir vernünftig zu sein, da der freie Verkehr, welchen unsere Verwandtschaft gestattet, uns mehr Gelegenheit bietet einander näher kennen zu lernen, als wenn wir uns ganz fremd gegenüberständen.«

Die menschenscheue Verstimmung, in welcher Graf Bender nach Baden-Baden gekommen war, wich bald dem belebenden Einflusse, welchen seine muntere Cousine auf ihn übte. Anfangs fühlte er sich wohl ein bischen gedrückt ihr gegenüber, da sie ihm entschieden in Mutterwitz und geistiger Beweglichkeit überlegen war; allein die Auszeichnung, mit welcher sie ihn vor Andern behandelte, hob ihn rasch wieder empor. Auch ließ sie ihn nur selten zu ernsterem Nachdenken kommen, denn er mußte die lebenslustige kleine Dame in die Concerte, in's Theater führen, auf Spaziergängen und auch häufig auf größeren Ausflügen zu Pferde oder zu Wagen begleiten, was er gern that, da er ein geschickter Reiter und Rosselenker war und sie ihm die Zeit angenehm durch ihre unerschöpfliche Unterhaltungsgabe zu vertreiben wußte, ohne ihre Ueberlegenheit je in verletzender Weise fühlbar zu machen. So vergingen ihm Wochen schneller, als sonst Tage, denn die wenigen Stunden, die er morgens für sich erübrigen konnte, reichten kaum aus zum Schreiben der dringenden Briefe, und er saß noch oft bis spät in die Nacht hinein über alten und neuen Büchern, um die Einfälle witziger Schriftsteller für die Unterhaltung des folgenden Tages zu verwerthen. Seine Cousine wirkte entschieden anregend auf ihn, während er ihr überaus bequem war; so kamen die Beiden vortrefflich mit einander aus, aber trotz ihres täglichen, langen Beisammenseins kam es zu eigentlichen Zärtlichkeiten zwischen ihnen nicht, obgleich sich Gelegenheit dazu oft genug bot. Wenn in einsamen Stunden das Bild Helenens vor ihm aufstieg, so konnte er nicht umhin, Vergleiche zwischen ihr und Ida zu ziehen. Diese war hübsch, lebhaft, liebenswürdig, und, trotz ihres prickelnden Witzes, im Grunde sehr gutmüthig; sie fesselte ihn so lange er in ihrer Nähe war, aber es fehlte ihr jener geheimnißvolle Zauber, der auch in der Ferne nachwirkt, das Herz mit süßen Schauern und den Kopf mit wonnigen Träumen durchzieht. Ida gab sich immer, ganz wie sie war, klar und bestimmt; ihre Worte waren der unzweideutige Ausdruck ihres Wesens; sie ließ nichts zu errathen übrig. Helene sagte ebenfalls nichts, was sie nicht fühlte oder dachte, aber sie fühlte und dachte mehr, als sie sagte. Sie war nicht so freigebig mit Worten wie Ida, aber von unendlich reicherem Gemüthsleben und nachhaltig wirkendem Reiz. Das fühlte Graf Bender nur zu tief, so oft er an sie dachte, aber er gab sich alle Mühe, immer seltener an sie zu denken, und Ida unterstützte ihn darin redlich, denn sie ließ ihn vor lauter Anstrengung selten zur Einkehr in sich selbst kommen.

Der alte Obersthofmeister war ganz glücklich über die Nachrichten, welche er von Ida's Mutter über den so lebhaften und freundlichen Verkehr der jungen Leute erhielt, und er beschloß, das Eisen zu schmieden, so lange es warm war. Er mußte mit seinem allergnädigsten Herrn auf ein paar Tage nach Baden-Baden, wo eine Zusammenkunft verschiedener hoher Häupter zu politischen Zwecken stattfinden sollte, und er hoffte, bei der Gelegenheit die Verlobung gleich in's Werk setzen zu können. Die jungen Leute waren, das nach mehreren Regentagen plötzlich wieder eingetretene schöne Wetter benutzend, gerade auf einem längeren Ausfluge begriffen, als er ankam. Er hatte sie überraschen wollen, und war nun selbst überrascht sie nicht zu finden, aber keineswegs unangenehm, denn er freute sich, sie beisammen zu wissen und hatte so viele Besuche zu machen, daß er ihre Rückkehr ohne Ungeduld abwarten konnte. Sie hatten versprochen zu Tisch wieder da zu sein und hielten auch Wort. Er konnte zwar ihr Mahl nicht theilen, da er bei seinem hohen Gebieter speisen mußte, kam aber doch auf einen Augenblick um sie zu begrüßen und Weiteres mit ihnen zu verabreden, vor allen, um ihnen an's Herz zu legen, ja das Concert im Kurhause nicht zu versäumen, wo sie eine ganz wunderbare Erscheinung sehen würden: eine junge italienische Sängerin, die er bei der Herzogin von Hamilton getroffen, welcher sie durch die Königin von England empfohlen sei. Er sprach so begeistert von ihr, daß Ida nicht umhin konnte zu sagen: »Lieber Onkel, Du bist ja ganz in Extase über Deine italienische Sängerin; so begeistert hab' ich Dich nie gesehen.«

»Ja,« erwiderte er, »sie ist auch geschaffen um zu begeistern; ganz was Apartes; ein wahres Wunder ihres Geschlechts.«

»Wie heißt denn dies Wunder des Geschlechts mit Namen?« fragte Ida.

»Das weiß ich wirklich nicht mehr genau zu sagen; es war so dem Klange nach wie Leonardi, oder Leopardi, oder dergleichen; nun wir werden's ja auf dem Zettel sehen!«

»Wenn sie Leopardi heißt, so ist sie wohl eine Verwandte des berühmten Dichters,« bemerkte Ida.

»Nein, das glaub' ich nicht; sie soll von guter Extraction sein.«

»Das wäre kein Hinderniß ihrer Verwandtschaft mit dem Dichter Leopardi, der einer alten gräflichen Familie angehört.«

»Was Du nicht alles weißt! Aber wie mir Se. Königl. Hoheit, Prinz Leopold, sagte, trägt sie als Sängerin nicht ihren wirklichen Namen. Daß sie übrigens von angeborenem Adel ist, sieht man auf den ersten Blick, nicht blos an ihren feingeschnittenen Händen und distinguirten Manieren, sondern an ihrer ganzen Haltung; dergleichen läßt sich nicht äußerlich anlernen. Sie ist noch sehr jung, ein Bild der reinsten Jungfräulichkeit und erst ganz kürzlich in die Oeffentlichkeit getreten, hat aber gleich solches Furore gemacht, daß der alte Rossini, den ich mit ihr bei der Herzogin von Hamilton traf, eigens von Paris herübergekommen ist um sie zu hören, wie er mir selbst sagte. Doch ich muß jetzt fort. Adieu! Kinder auf Wiedersehen im Concert.«

Der junge Graf hatte die Unterhaltung über die Sängerin mit angehört ohne äußerlich mit daran Theil zu nehmen. Er schien in seltsamer Erregung zu sein, sah sehr ernst, fast traurig aus und antwortete zerstreut auf die Fragen, welche Ida an ihn richtete, so daß sie nicht wußte, was sie aus ihm machen sollte. Doch blieb nicht Zeit zu langen Erörterungen, sie hatte noch allerlei mit ihrer Toilette zu thun, und er mußte vor dem Concert noch einmal nach Haus, um zu sehen was die Post gebracht.

Als die Beiden nach dem Curhause fuhren, hatte das Concert schon begonnen und der Saal war so gedrückt voll, daß sie die erste Abtheilung abwarten mußten, ehe sie zu ihren Plätzen gelangen konnten.

Die letzten Töne der Ouvertüre zum Barbier von Sevilla waren verrauscht, als geführt von einem ältlichen Herrn eine junge Dame vortrat, in welcher Graf Bender sofort seine ihm so lange entschwundene Helene erkannte, obgleich sie in einer Weise verändert erschien, daß ein minder scharf prüfendes Auge sie kaum wieder erkannt haben würde. Sie sah zugleich schlanker und voller aus als früher. Trotz der anmuthigen Fülle des hohen Halses, des prächtig gewölbten Nackens und der wohlgebauten Brust, hatte ihre ganze Erscheinung etwas Feenhaftes, Aetherisches, und all ihre Bewegungen zeigten edelgeschwungene Linien. Sie trug ein weißes, hinten lang herabwallendes Spitzenkleid mit blauen Schleifen, und eine blaue Schleife im offenen Haar. Man sah es ihr an, daß sie noch nicht an öffentliches Auftreten gewöhnt war; in ihrem Gesichte zeigte sich ein Anflug von jungfräulicher Schüchternheit, der aber ihren Reiz nur erhöhte und allmählich verschwand, als sie über ihren Gesang die lautlos horchende Menge vergaß. Sie sang die Cavatine aus dem Barbier: Una voce poco fa qui nel cor mirisuonô u. s. w. und als sie zu Ende war, scholl ihr ein Beifallssturm entgegen, der nicht enden zu wollen schien.

Nur Einer unter allen Zuhörern rief nicht Bravo und klatschte nicht in die Hände, obgleich er tiefer bewegt war als sie Alle. Aber seine Bewegung war aus Schmerz und Entzücken gemischt, und jener schien dieses zu unterdrücken. Als Graf Bender mit seiner Cousine in der Pause sich zu den reservirten Plätzen durchdrängte, wo Ida's Mutter mit ihrer Gesellschafterin schon lange auf die Beiden gewartet hatte, sah er todtenbleich aus und vermochte sich kaum auf den Beinen zu halten. Er war nicht im Stande das Concert zu Ende zu hören, entschuldigte sich bei den Damen sie wegen heftigen Unwohlseins verlassen zu müssen, und taumelte fast bewußtlos zum Saal hinaus. Draußen in der frischen Luft kam er wieder etwas zu sich, doch nur um sich noch unglücklicher zu fühlen als vorher, denn Helene schien ihm jetzt, wo sie ihm unerwartet so nahe gebracht war, ferner und unerreichbarer zu sein als je. Aus seinen wirr durcheinander stürmenden Gedanken und Gefühlen hob sich nur Eines mit Klarheit hervor: daß irgend ein entscheidender Entschluß gefaßt werden müsse um seinem unerträglichen Zustande ein Ende zu machen. Er kehrte in's Curhaus zurück, um eine kleine Erfrischung zu nehmen, und sich nach Helenens Wohnung zu erkundigen. Wie erstaunte er zu erfahren, daß sie in demselben Hotel abgestiegen war, wo er sein Quartier genommen, also gewissermaßen Wand an Wand mit ihm wohnte! – »Und von ihrer Nähe keine Ahnung gehabt zu haben!« sagte er sich mit der Hand auf die Stirn schlagend, als er wieder im Freien war. »Es ist unbegreiflich!«

Er eilte in sein Hotel und begann einen Brief an Helene zu schreiben; doch wie er den Kopf auch anstrengte und die Feder zwischen Daumen und Zeigefinger drehte: es wollte mit dem Schreiben nicht vorwärts: er war noch zu aufgeregt um Ordnung in seine Gedanken zu bringen und ihnen klaren Ausdruck geben zu können. Allein indem er so grübelte, verging die Zeit schneller als er dachte, und er war nicht wenig überrascht als plötzlich ein Diener mit einem Billet von Ida eintrat, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Das Concert mußte also längst zu Ende sein. Er fertigte den Diener mit der Antwort ab, daß es etwas besser gehe, legte seinen angefangenen Brief bei Seite und schellte einem Kellner, dem er eine Karte an Helene gab mit der Bestellung, wann er die Ehre haben könne, ihr seine Aufwartung zu machen?

Der Kellner kam bald zurück mit der Antwort: »Der Herr Graf würde sehr willkommen sein.«

Er folgte dem Kellner, der ihm die Wohnung Helenen's zeigte, und trat mit hochklopfendem Herzen ein.

Doch bevor wir das Wiedersehen der Beiden schildern, müssen wir, um es recht zu verstehen, erst einen schnellen Rückblick auf die Erlebnisse werfen, welche Helene nach Baden-Baden geführt.


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