Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Berufen wurde ich an die Königlichen Museen in Berlin als Assistent der Gemäldegalerie oder richtiger – da 1872 kein Assistentenposten an dieser Abteilung vorhanden war – als Assistent der Antikensammlung mit dem Auftrage, auch an der Galerie den gleichen Posten zu versehen. Wenige Monate nach mir war der etwa zwanzig Jahre ältere Dr. Julius Meyer, der sich durch die Vorbereitungen zu einem großen Künstlerlexikon, einem neuen Nagler, bekannt gemacht hatte, als Direktor der Galerie angestellt worden. Zehn Jahre lang haben wir die Leitung der Sammlung gemeinsam geführt; dann blieb Meyer zwar noch (sogar bis 1890) erster Direktor, überließ mir aber infolge seiner Kränklichkeit die Leitung, namentlich die Entscheidung über die Anschaffungen, so gut wie allein. Meyer war ein durchaus vornehmer Charakter, aber das Zusammenarbeiten mit ihm war trotzdem schwierig, da er schwer nervenleidend war und sich, schon beim Antritt seiner Stellung, nur durch tägliche Morphiumeinspritzungen hochhielt. Dadurch wurde er so sehr beeinflußt, daß er vor jeder Entscheidung zurückschreckte oder gar seinen Entschluß widerrief. Was uns auf diese Weise an hervorragenden Gemälden entgangen ist, ist fast bedeutender, als was wir in jener Zeit an wirklichen Meisterwerken erworben haben.
Wir waren beide auf Vorschlag des Grafen Usedom berufen worden; aber dieser alte, von Bismarck beseitigte Diplomat, dem Kaiser Wilhelm die Stelle des Generaldirektors als Entschädigung verliehen hatte, betrachtete und behandelte die Beamten seines Ressorts nur als seine Handlanger und behielt sich die Entscheidung über alles vor; da er jedoch ebenso bequem und vergeßlich wie eigenwillig war, war es fast unmöglich, anders als auf dem langwierigen Wege der Beschwerde beim Minister oder beim Protektor der Museen wichtige Erwerbungen durchzusetzen. Auch dann noch hat Usedom sie nicht selten zu vereiteln gewußt. Solche Erschwerungen und Rücksichtslosigkeiten wirkten besonders empfindlich und lähmend, wenn wir behufs Erwerbungen auf Reisen waren. Das sollten wir gleich zu Anfang unserer Tätigkeit erfahren, als wir im Herbst 1872 mit dem Auftrag, über Ankäufe von Bildern zu verhandeln, nach Italien gingen. Hier war Graf Usedom als Gesandter lange beschäftigt gewesen, daher hatte er für Italien und seine Kunst eine besondere Vorliebe; für italienische Kunst schwärmte auch der Kronprinz-Protektor, und Mittel zu Ankäufen waren in Höhe von 100000 Talern bewilligt: so machten wir uns mit den besten Hoffnungen auf den Weg. Fast den ganzen Winter über, einen naßkalten, unfreundlichen Winter, blieben wir in Italien, nahmen in Venedig, Florenz und Rom unsere Standquartiere und machten von dort aus Ausflüge an Orte, an denen uns hervorragende Gemälde als käuflich bezeichnet wurden. Wir hatten uns aber die Sache doch gar zu leicht gedacht! Beide waren wir im Kunsthandel unbewandert; Meyer hatte geradezu eine Abneigung dagegen, spielte den Händlern gegenüber den Kavalier und suchte mit Vorliebe durch Amateur-Marchands Verhandlungen anzuknüpfen. Dann war auch die Zeit ungünstig. Der Krieg hatte den Kunsthandel in Italien fast lahmgelegt, die Kunsthändler hatten kaum Vorrat an guten Bildern, waren zudem alt, und neue hatten sich in den schlechten Zeiten nicht herausgewagt. Die Besitzer, die bedürftig waren, waren mißtrauisch und nicht vorbereitet. Dazu wurden wir eines Tages durch den Besuch eines Kapitäns überrascht, der sich mit einem Brief vom Grafen Usedom als der offizielle Unterhändler für die Museen in Italien legitimierte. Wir hatten große Mühe, diesen lästigen Herrn, der dem Grafen wohl in seiner diplomatischen Tätigkeit gewisse Dienste geleistet hatte, los zu werden. Doch allmählich lebten wir uns leidlich ein. Namentlich durch Vermittlung meines alten Freundes und Gönners, des damals seit Jahren in Florenz ansässigen Karl Eduard v. Liphart, wurden wir in Florenz wie in Rom auf verschiedene wirklich hervorragende käufliche Gemälde aufmerksam gemacht, und so langwierig und unangenehm auch hier die Verhandlungen meist waren, soviel Enttäuschungen mit in den Kauf genommen werden mußten, schließlich brachten wir doch etwa ein halbes Dutzend wirklich wertvoller, für unsere Sammlung besonders geeigneter Bilder mit nach Berlin.
Der wertvollste Erwerb war Signorellis große Darstellung der Schule des Pan, ein dem Frühling Botticellis inhaltlich und an künstlerischem Wert nahekommendes Meisterwerk der italienischen Frührenaissance, das wahrscheinlich mit jenem Bilde zusammen die Mediceer-Villa Castello geschmückt hat. Die Londoner Nationalgalerie hatte vor dem Kriege 1870 Unterhandlungen über den Erwerb schließlich abgebrochen, weil den Direktor die Nacktheit der Figuren abschreckte. Dem Geschmack der Berliner Künstler, von deren Urteil damals unser Publikum noch allein abhängig war, entsprach mehr das imposante Bildnis des Generals Borro, früher Ribera und dann lange dem Velazquez zugeschrieben, jetzt meist Andrea Sacchi oder Giovanni di San Giovanni gegeben, jedenfalls eines der wuchtigsten und malerischsten Bildnisse italienischen Barocks. Aus der Galerie Sciarra ward die Landschaft mit dem Matthäus, eines der im Aufbau und in der kräftigen Färbung hervorragendsten Werke N. Poussins erworben. Kunsthistorisch besonders wertvoll war der Erwerb der anmutigen Madonna von Verrocchio. Ein durch seine Einstellung in eine echt nordische Landschaft besonders intimes Gemälde von Lucas Cranach – sein frühes Meisterwerk –, Die Ruhe auf der Flucht von 1504 in der Sammlung Sciarra, überließ mein Kollege Meyer damals freilich seinem späteren Schwiegersohn Dr. Conrad Fiedler, aber sicherte es uns doch für die Zukunft; das Bild ist seit 1902 eine Zierde der deutschen Abteilung unserer Galerie.
Hatten wir in Italien käufliche Bilder mühsam entdecken und endlos darum markten müssen, so wurde uns bald nach unserer Rückkehr der Ankauf einer ganzen Galerie entgegengebracht. Freilich auch hier nicht ohne Mühe und Kampf. Der bekannte Industrielle Barthold Suermondt, von Geburt ein Holländer, aber in Aachen ansässig, hatte seit den fünfziger Jahren an den damaligen Hauptmärkten des Kunsthandels, die alle seinem Wohnsitz nahe lagen, alte Gemälde zu sammeln begonnen. Dank seiner großen Gastfreundschaft wußte er die tüchtigsten Kunstgelehrten für seine Sammlung zu interessieren: Mündler, Paul Mantz, Waagen und Burger (Thoré) berieten ihn, die beiden letzteren verfaßten ihm einen Katalog. Trotzdem war die Sammlung keineswegs eine gewählte; Suermondt war zu leidenschaftlich als Sammler, glaubte gar zu leicht große Meister zu finden, und jene Ratgeber schenkten ihm nicht immer reinen Wein ein. Ich hatte ihn schon im Frühjahr 1868 kennen gelernt; zusammen mit Burger besuchte er Braunschweig, wo ich (damals junger Jurist, aber Stammgast im Museum) ihr Führer war und auf ihre Einladung mit ihnen nach Kassel zur Besichtigung der dortigen Galerie fuhr. Im Sommer darauf suchte ich Suermondt in Aachen auf und konnte meine erste Reise nach Belgien und Holland mit seinen Empfehlungen machen, die mir jede Sammlung öffneten. Die schwere Krise nach dem Krieg 1870 hatte auch Suermondt stark betroffen; er sah sich gezwungen, einen Käufer für seine Galerie zu suchen, und stellte sie zu dem Zwecke im Frühjahr 1874 in Brüssel aus. Doch hier fand sich kein Käufer; Suermondt fragte daher vertraulich bei mir an, ob in Berlin Aussicht für den Ankauf wäre. Unser Protektor ging begierig darauf ein, so daß wir alsbald in Unterhandlungen eintraten. Unser Versuch, unter Ausschluß der Menge minderwertiger und zweitklassiger Bilder nur die Hauptwerke zu erwerben, mißlang, so daß wir uns schließlich auf den Ankauf der ganzen Galerie von nahezu 200 Bildern, einschließlich einer kleinen Sammlung guter Handzeichnungen, für den Preis von 1 Million Mark einigten. Die Galerie hat diesen Ankauf, wenn auch kaum der vierte Teil der Sammlung dauernd zur Aufstellung gekommen ist, gewiß nicht zu bedauern. Sind doch darunter Meisterwerke wie die Kirchenmadonna und Der Mann mit der Nelke von Jan van Eyck, zwei Bildnisse von Hans Holbein, vier Frans Hals, worunter die Amme mit dem Kinde und die Hille Bobbe, die Dame mit dem Perlenhalsband von Vermeer van Delft, der große Rabbiner von Rembrandt, zwei Landschaften von Hercules Seghers, der ausgezeichnete Sebastian von Ribera, neben wertvollen Werken wie dem großen Porträt der Gattin Kaiser Ferdinands III. von Velazquez, Bildern von A. Watteau, Nic. Elias, Terborch, Jan Steen, Paul Potter, A. van de Venne, A. van de Velde, Jan van Goyen, Jacob van Ruisdael, Th. de Keyser, Lucas van Leyden, Jan Mabuse u. a. m. Es waren Bereicherungen unserer Galerie fast nach allen, bisher z. T. recht schwach vertretenen Richtungen.
Der Ankauf wurde in Berlin sehr günstig aufgenommen; er hatte indirekt die gute Wirkung, daß man Vertrauen zu den neuen Leitern der Galerie faßte, während die Presse sich andauernd ablehnend gegen mich verhielt, weil sie die Künstler unterstützte, die auf die Posten an der Galerie reflektiert hatten. Eine gute Presse habe ich freilich auch später nie gehabt, wohl weil ich sie nie erstrebt habe. Ein Hauptgewinn aus dem Ankauf Suermondt war die Umstellung des Publikums bei Erwerbungen für die Galerie, das Ankäufe zu höheren Preisen, als sie bisher gezahlt waren, nicht mehr für unerhörte Verschwendung erklärte. Wir bekamen allmählich auch energische Unterstützung durch neue hervorragende Kollegen: durch Richard Schoene als Berichterstatter im Ministerium, Alexander Conze, dem die Museen neben Humann den Pergamonaltar verdanken, und den neuen Direktor des Kupferstichkabinetts Friedrich Lippmann. Als letzterer 1877 sein Amt bei uns antrat, erwarben wir aus seiner Privatsammlung ein paar treffliche deutsche Bilder: zwei Hauptwerke von A. Altdorfer und das vorzügliche Altarbild der Anbetung der Könige von Hans von Kulmbach. Einen Flügelaltar von Hans Baidung Grien und einige andere wertvolle frühe deutsche Gemälde seiner Sammlung verschmähten wir leider, weil das alte Prinzip, daß unsere Galerie von jedem Meister nur ein paar Bilder als Vertretung enthalten solle, damals noch aufrecht erhalten wurde. Und gerade von Baidung hatte ich schon 1872 das Gegenstück dieses für Kardinal Albrecht von Brandenburg gemalten Altars, den Altar mit der Anbetung der Könige von 1507, erworben und hatte damals jenen Sebastiansaltar aus derselben Sammlung Wilke in Halle Lippmann zum Ankauf empfohlen. Mittelalterliche Gemälde betrachtete mein Kollege Meyer überhaupt nicht als galeriewürdig; gab er doch unsere wertvollen westfälischen und sächsischen Altarbilder des 13. und 14. Jahrhunderts, die erst in den sechziger Jahren erworben waren, leihweise an den Kunstverein in Münster ab.
Eine besondere Aufgabe, für die mich Graf Usedom gleich bei meiner Berufung vorzugsweise in Aussicht genommen hatte: die Anlage einer umfassenden Sammlung von Gipsabgüssen der italienischen Plastik – daß noch Originale zu beschaffen wären, hielt er für ausgeschlossen – führte mich schon damals alljährlich wieder nach Italien, meist sogar zweimal. Ich benutzte die Gelegenheit, um mich dabei auch für die Galerie umzusehen, alte Beziehungen zu erneuern und neue anzuknüpfen. Schon 1875 gelang die Erwerbung von drei wertvollen Bildern beim Marchese Patrizi: das Rundbild der Begegnung von Signorelli und zwei vornehme Porträts, das eine von Franciabigio, und der Calatravaritter, angeblich von Sebastiane. Im Jahr 1877 kamen endlich auch die Unterhandlungen mit dem Principe Strozzi zum Abschluß; für die Galerie ergaben sie Tizians reizende Tochter des Roberto Strozzi, den Ugolino Martelli von Bronzino und Sandros Profilbildnis des Giuliano de' Medici. Ein Bildnis von Giulianos angeschwärmter Liebe Simonetta Vespucci, gleichfalls von Botticelli, hatten wir schon kurz vorher in Florenz erworben. Die Schätze des Palazzo Strozzi hatte ich im Jahre 1875 dem Kronprinzenpaar bei seinem Besuch in Florenz zeigen dürfen. Die Kronprinzessin, die außerordentlich davon angetan war, sagte dabei – nicht ohne mich fühlen zu lassen, dass sie durchaus nicht mit allen unseren früheren Erwerbungen einverstanden sei: »Sehen Sie, solche Stücke sollten Sie für Ihr Museum kaufen« Zwei Jahre später war ich so glücklich, sie wirklich zu erwerben, aber die Kronprinzessin war nicht zu bewegen, sie sich anzusehen.
Neben solch glücklichen Erfolgen hatte ich gerade in Italien auch sehr bittere Enttäuschungen, die mir bald die unglaubliche Bummligkeit des Grafen Usedom, bald Meyers krankhafte Unentschlossenheit bereiteten. Was uns dadurch in wenigen Jahren und für Spottpreise entgangen ist, würde eine köstliche kleine Galerie für sich bilden! Schon am Schluß der ersten italienischen Reise, Anfang 1873, hatten wir aus den dürftigen Resten der Galerie Manfrin in Venedig Giorgiones Meisterwerk, Das Gewitter, um etwa 20000 Mark erworben. Statt das Bild sofort zu übernehmen, machte Meyer einen Kontrakt, in dem die Übernahme gegen Zahlung nach ein paar Monaten ausgemacht wurde: »Sie werden sehen, daß Graf Usedom den Termin verbummelt, und dann werden wir ihn los« Er verbummelte ihn in der Tat, aber wir waren nur das Bild los, nicht unseren Chef! Einen ähnlich schweren Verlust verdankten wir der Unentschlossenheit Meyers. Der Antiquar Giuseppe Baslini in Mailand, einst Stallknecht bei den Visconti und unfähig, mehr als seinen Namen zu schreiben, aber – dank seinem künstlerischen Blick – der eigentliche Schöpfer der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand, erwarb für uns um 20000 Mark aus der Sammlung Mylius A. Solarios Meisterwerk, den Senator, der jetzt die Londoner Nationalgalerie schmückt. Baslini brachte selbst das Bild nach Berlin, aber Meyer lehnte nach langen Unterhandlungen ab, weil der damals schwebende Ankauf der Suermondt-Sammlung die Ausgabe nicht zuließe. Trotz der Verstimmung darüber ließ uns Baslini zwei Jahre später auf meinen Wunsch für die drei herrlichen großen Bildnisse von Moretto und Moroni und die Magdalena von Savoldo in der Sammlung Fenaroli in Brescia den Vorkauf; auch hier konnte sich Meyer nicht entschließen, und so zieren auch diese Bilder heute die Londoner Nationalgalerie. Schon früher hatte ich bei dem Florentiner Antiquar Riblet ein merkwürdiges Madonnenbild aus der Zeit des Jan van Eyck gefunden, und hatte es zusammen mit einem trefflichen Paradies von Cranach für etwa 5000 Mark ausgehandelt. Aber Graf Usedom wollte von dem Ankauf nichts wissen, wenn ihm die Bilder nicht zur Ansicht geschickt würden. Jene Madonna ist das bekannte Werk des Meisters von Flémalle, das später mit der Sammlung Salting in die Londoner Nationalgalerie gelangt ist; der Cranach ist seitdem nicht wieder zum Vorschein gekommen.
Andere Meisterwerke, deren Angebot für unsere Sammlung ich mir damals sicherte, sind aus gleichen traurigen Rücksichten in Berlin abgelehnt worden und schließlich in den Louvre gekommen. So u. a. Ghirlandajos köstlicher Großvater und Enkel, den ich um 6000 Lire in Florenz fest gekauft und nach Berlin mitgebracht hatte; er wurde nach Monaten von Meyer hinter meinem Rücken an Bardini zurückgegeben, der ihn für das Dreifache an den Louvre verkaufte. Noch schmerzlicher war der Verlust der beiden großen Fresken Botticellis aus der Villa Lemmi mit den phantasievollen allegorischen Darstellungen des jungen Ehepaares Tornabuoni; sie wurden zusammen mit dem großen Fresko der Kreuzigung des Fra Angelico von Meyer abgelehnt, weil Fresken sich in unsere Galerie nicht einfügen ließen. Ebenso betrüblich war die Ablehnung einer Auswahl seltenster Meisterwerke aus der Sammlung Torregiani, um deren Erwerbung ich mich mehrere Jahre, anfangs sogar zusammen mit Meyer, bemüht hatte. Unter den 13 Bildern, die ich wählte, befanden sich die beiden Hauptwerke Pesellinos, jetzt bei Lady Wantage, die beiden köstlichen Cassoni von Filippino, für die der Name Amico di Sandro erfunden ist (jetzt in Chantilly und im Louvre), Porträts von Signorelli, Botticelli und Bronzino u. a. m., zusammen für den Preis von 63000 Francs! Lange Jahre darauf gelang es mir, wenigstens eines dieser Bilder, das männliche Porträt von Signorelli, im Kunsthandel noch zu erwischen; ich hatte fast den gleichen Preis dafür zu zahlen, den ich für jene 13 Gemälde zusammen ausgemacht hatte!
Hätte ich nicht durch Erwerbungen für die andere mir anvertraute Abteilung, die Sammlung der Bildwerke christlicher Epochen, und bald auch durch Erwerbungen für andere Museen, und namentlich für Privatsammler die Enttäuschung, die solche erfolglosen, oft jahrelangen Unterhandlungen bei den Händlern hervorrief, einigermaßen wieder gutmachen können, so wären unsere Museen auf dem italienischen Kunstmarkt sehr ins Hintertreffen gekommen. Für mich persönlich wirkten solche Fehlschläge lange so verstimmend, daß ich mich damals mehr an den großen Kunstmärkten nördlich der Alpen umsah. Seit 1873 war ich wiederholt in Paris und London gewesen, und hatte hier Beziehungen zu den Händlern gesucht und gelegentlich an den Versteigerungen mich beteiligt. Aber es war schwierig, hier heimisch zu werden, da wir in Paris von den Franzosen unfreundlich und in London als quantité négligeable behandelt wurden. Erschwerend wirkte dabei, daß bald willkürlich durch den Grafen Usedom, bald verzögernd durch Künstlerkommissionen in den Geschäftsgang eingegriffen wurde. Nur ein hervorragendes Bild hatten wir hier in den ersten Jahren erwerben können, Die Mutter bei der Wiege von P. de Hooch in der Versteigerung Schneider zu Paris 1876. Wenn sich auf Versteigerungen, denen ich zufällig beiwohnte, einmal ein ausgezeichnetes Bild zu besonders billigem Preise bot, so musste ich einen mir bekannten Händler zu bewegen suchen, es auf sein Risiko zu kaufen, um es uns dann anzubieten. Auf diese Weise haben wir 1878 in der Versteigerung Munro in London den hl. Sebastian von Rubens und das große Martyrium der hl. Agathe von Tiepolo um je 100 Guineas und gleich darauf Rembrandts Hendrikje Stoffels am Fenster um wenig mehr als 300 Guineas erworben.
Die Beobachtung, die ich auf diesen Versteigerungen und bei Besuchen der Händler namentlich in London machte, das Vorurteil gegen gewisse Motive, selbst gegen ganze Richtungen in der Kunst, und mangelhafte Kenntnis mancher Künstler, die Vernachlässigung im Besuch der Versteigerungen von Sammlungen ohne bekannte Namen, wie die kritiklosen Kataloge der Versteigerungen bewiesen mir, daß sich für unsere Museen hier hervorragend günstige Gelegenheiten zu Erwerbungen boten. Dies bewog mich, im Frühjahr 1879 einen Diensturlaub von ein paar Monaten zum gründlichen Studium der englischen Privatsammlungen zu erbitten. Dieser wurde mir aber mit der Begründung abgeschlagen, daß wir mit unseren ärmlichen Mitteln gegen den englischen Kunsthandel doch nie aufkommen könnten; indes wurde mir wenigstens ein Studienurlaub auf meine Kosten bewilligt. Meine dabei gewonnene genauere Bekanntschaft mit dem unerschöpflich reichen englischen Privatbesitz, namentlich an Gemälden, wie ich sie damals an der Hand von Waagens gründlichen Art Treasures erwarb und auf späteren regelmäßigen Besuchen erweiterte, wurde die Basis, auf der wir seither die systematische Erweiterung unserer Galerie nach andern Richtungen in Angriff nehmen konnten. Gleich ein paar hervorragende Bildnisse A. Dürers, die ersten Werke des deutschen Altmeisters in unserer Galerie, waren die Früchte dieser Bemühungen: die Halbfigur Friedrichs des Weisen in der Versteigerung des Duke of Hamilton 1882 und das Porträt von Jacob Muffel in der Versteigerung Narischkin in Paris 1883, dem der berühmtere Hieronymus Holzschuher, noch aus dem Besitz der Familie Holzschuher, im Jahre darauf folgte. Aus der Galerie Dudley, die durch Jahre freihändig verhökert wurde, bis 1892 der Rest meistbietend verkauft werden mußte, erwarben wir seit 1884 Fra Angelicos berühmtes Triptychon des Jüngsten Gerichts und Velazquez' faszinierendes Frauenporträt, in der Versteigerung schließlich Crivellis große Altartafel und Rembrandts Predigt Johannis d. T., letztere einst ein Hauptwerk in der Galerie von Rembrandts Gönner, dem Bürgermeister Jan Six.
An Werken Rembrandts hatten wir schon 1883 einen reichen Fischzug gemacht. Auf der Winterausstellung im Burlington House hatte ich die beiden hervorragenden biblischen Kompositionen des Meisters aus seiner mittleren Zeit wiedergefunden, die ich ein paar Jahre früher bei Sir Edmund Lechmere auf seinem Landgute The Rhydd kennen gelernt hatte. Da sie auf der Ausstellung wenig Anklang fanden – die Susanna war dem damaligen englischen Geschmack noch shocking, und die Vision des Daniel wollte man nur als Eeckhout gelten lassen – bat ich einen deutschen Kunsthändler in Paris, den Versuch zu machen, sie für uns zu erwerben. Sie seien bereits sein Eigentum, war seine Antwort; er erbot sich, sie zur Ansicht nach Berlin zu schicken. Da die Kommission sich nicht darüber einigen konnte, ob der Susanna oder dem Daniel der Vorzug gebühre, einigten wir uns zum Glück darauf, beide Bilder zu kaufen. Aus Freude darüber gab ich dem Händler den Auftrag, nun gleich noch auf ein Bild, das mir noch höhere Qualitäten zu haben schien, auf die Potiphar im Grittleton House, einen Angriff zu machen; obgleich der Besitzer als unzugänglich gelte, schiene es mir aussichtsvoll, hatte ich doch gerade in einer Rothschildschen Sammlung ein köstliches Bild von Metsu gesehen, das ich vorher in Grittleton kannte. Auch hier war das Gebot von gutem Erfolg.
Die große Wirkung, welche diese drei Bilder in Berlin hervorriefen, war um so günstiger, als hier erst einige Zeit vorher der Kauf eines Rubens in Wien, Neptun und Amphitrite vom Grafen Schönborn, der unter großem Aplomb von Ministerium und Kommission in Szene gesetzt war, vom Publikum unter Führung der Maler sehr schlecht aufgenommen war. Anton v. Werner ergriff das Wort gegen den falschen Rubens und machte mich dafür verantwortlich. Ich nahm den Kampf gern auf, obgleich mich der Kauf eigentlich gar nichts anging; aber wie später bei der Wachsbüste aus Leonardos Werkstatt, so hat es auch hier lange Jahre gedauert, bis dem Bilde die Stellung unter den früheren Werken des Meisters nach seiner Übersiedlung nach Antwerpen erstritten war.
Die Bewunderung jener Rembrandtschen Meisterwerke machte den Rubenskauf vergessen; ja, es gelang dem Generaldirektor Schöne sogar, eine außerordentliche Bewilligung für Ankäufe einer Anzahl ähnlicher Hauptwerke hervorragender Meister durchzusetzen. Trotz des schwerfälligen Apparats, den das neue Statut namentlich durch Einsetzung von Sachverständigenkommissionen für jede Abteilung, die in wichtigen Dingen sogar mit auf Reisen genommen wurden, geschaffen hatte, kamen durch die allgemeine Arbeitsfreudigkeit hervorragende Erwerbungen zustande. Fast gleichzeitig mit dem Ankauf der Hamilton-Manuskripte (darunter Botticellis Dante-Zeichnungen) glückte uns 1885 eine Auswahl aus der Galerie des Herzogs von Marlborough in Blenheim. Freilich nur eine sehr kleine Zahl, vier Gemälde, aber von besonderer Bedeutung für unsere Galerie: Rubens' Andromeda, ein Hauptwerk seiner letzten Zeit, das von Rubens mit A. van Dyck gemeinsam gemalte große Bacchanal, die sogenannte Fornarina von Sebastiano del Piombo und das Jünglingsporträt von Joos van Cleef. Für die beiden Rubens, zwei Meisterwerke seiner letzten, besten Zeit, hatten wir keine gefährliche Konkurrenz, da in England Darstellungen mit nackten Figuren in Ansehen und Preis noch niedrig standen; aber die Fornarina mit einzuhandeln, war schwierig, da sie in der Galerie als ein Werk Raffaels galt und mit 20000 Pfund Sterling bewertet war. Zum Glück war das Bild durch den Kamin, neben dem es seit alter Zeit hing, so verräuchert, daß es für verdorben galt; wir erhielten es schließlich zum Preise von 2000 Pfund Sterling.
Durch diese in kurzen Zwischenräumen gemachten Erwerbungen von lauter Werken erster Meister aus den bekanntesten Sammlungen Englands: vom Duke of Hamilton, Duke of Marlborough, Earl Dudley, Lechmere, Neeld u. a. waren wir gesuchte Käufer auf allen großen Kunstmärkten geworden. Wir konnten das, ohne hohe Preise zu zahlen, in der Folgezeit in gründlicher Weise ausnutzen, zumal jetzt auch in Deutschland, namentlich in Berlin, ernste Sammler sich bildeten, die sich auf unseren Rat und unsere Hilfe verließen, so daß fortan Berlin ein von fremden Händlern mit guter Kunst gern aufgesuchter Platz wurde. Dadurch gelang es uns aber zugleich, auch in Deutschland Kunsthändler zu fördern, die nach den in deutschem Privatbesitz weitverstreuten Kunstwerken Umschau hielten und mehr und mehr auch vom Ausland alte Kunst einführten. Durch diese ausgiebige Unterstützung der Sammler und Händler unsererseits hatten wir für unsere Museen reiche Gelegenheit, zu wählen und meist billig zu erwerben und vielfach auch als Geschenk zu erhalten, was uns zur Vervollständigung unserer Sammlungen besonders wichtig erschien. So auch für die Gemäldegalerie. Lücken hatte diese noch überall ; vor allem galt es uns aber, wirkliche Meisterwerke zu erwerben, wobei wir mit dem törichten alten Prinzip, daß die Galerie von jedem Meister, selbst von den größten, höchstens einige wenige Werke als Vertretung besitzen solle, völlig absahen. So gelangen uns in den achtziger und im Anfang der neunziger Jahre neben jenen größeren Ankäufen aus englischen Sammlungen noch eine Anzahl namhafter Einzelerwerbungen. Von Italienern besonders: Palmas ins Malerische übersetzte Kopie nach Leonardos Florabüste; von Masaccio, allmählich zusammengekauft, die Predella und einzelne Heilige zu der Altartafel, deren Mittelbild, die Madonna, jetzt die Londoner Nationalgalerie besitzt; von Duccio ein dreiteiliges Stück der Predella seiner großen Altartafel im Dom zu Siena; der hl. Georg von Antonio Pollajuolo, der große Sebastian von Buonsignori, der Herbst von Fr. Cossa, männliche Porträts von Signorelli und Antonello u. a. m.
Ein kleiner Ersatz für den herrlichen Giorgione ( Das Gewitter), der uns 1873 entgangen war, wurde uns in Giorgiones schönem Porträt eines jungen Mannes aus der Sammlung Giustiniani. Dies Bild war der Rest einer größeren Erwerbung aus dieser Sammlung, die wir schon zehn Jahre früher in Padua um den Preis von 32000 Francs gemacht hatten, um den wir aber in höchst eigentümlicher Weise geprellt wurden. Außer dem Giorgione umfaßte jener Kauf drei treffliche Bildnisse von Tizian, der Rest seines Nachlasses, der nach seinem Tode von der Familie Barberigo erworben war. Ich hatte die vier Gemälde durch einen deutschen Antiquar in Venedig fest gekauft, aber die Zahlung und damit die Übernahme der Bilder, wegen Geldmangels, erst für das folgende Jahr ausgemacht. Auf der Rückreise von Italien besuchte ich Lenbach und erzählte ihm von der Erwerbung. Erst lachte er mich tüchtig aus, wurde aber plötzlich hellhörig, als ich ihm sagte, daß der junge Giustiniani Tizians Studien zu Philipp II. und zum Profilbildnis von Franz I. mit sich in Florenz gehabt habe, als er dort in Garnison stand. Dort hatte Lenbach diese Bilder ja gesehen und bewundert, erinnerte er sich; sein höchster Wunsch sei, sie kopieren zu dürfen und eine Zeitlang um sich zu haben; ob ich ihm wohl erlaube, sie zu bezahlen und zu behalten, bis wir ihm das Geld zurückgeben könnten. Ich tat ihm gutgläubig gern den Gefallen, schrieb sogar zu seiner Einführung einen Brief an unseren Unterhändler. Lenbach reiste nach Padua, kaufte mit meinem Brief und dem Geld seines Freundes v. Heyl die Bilder, und als ich nach Jahresfrist sie zahlen und von ihm abholen wollte, lachte er mich aus; ich hätte ihm vor einiger Zeit einmal einen P. de Hooch ( Das geschlachtete Schwein), das gar nicht in unsere Galerie passe, nicht abtreten wollen, dafür entschädige er sich jetzt an diesen Tizians. Da kein Zureden nützte, reichte ich eine Klage gegen ihn ein, aber unser Minister zwang mich, die Klage zurückzunehmen, da sie – zumal bei Lenbachs Stellung bei Bismarck – einen zu üblen Eindruck machen würde!
Unsere hervorragende Sammlung altniederländischer Bilder hatten wir, da seit Jahrzehnten nur ganz ausnahmsweise einmal ein bedeutendes Werk dieser Schule auf den Markt kam, als mehr oder weniger abgeschlossen ansehen müssen; ebenso schien nach der glücklichen Erwerbung der drei Bildnisse von Dürer und einiger deutscher Altarwerke wenig Aussicht, die leider früher außerordentlich vernachlässigte Abteilung der deutschen Schule noch wesentlich auszubauen. Aber ein paar zufällige Funde ließen mich gerade diesen beiden Bezirken erneut besondere Aufmerksamkeit zuwenden. In der Versteigerung Nieuwenhuis in London 1886 hatte ich unter moderner Wasserfarbenübermalung, fast intakt, ein kleines Meisterwerk von Jan van Eyck, das Brustbild von Giovanni Arnolfini, für 390 Guineas erwerben können. Zwei Jahre später kaufte unser damaliger Assistent Hugo v. Tschudi in der Versteigerung des Marquis of Exeter die kleine Madonna mit dem Kartäuser von Petrus Cristus (damals Jan van Eyck zugeschrieben), und kurz darauf konnte ich im Palazzo Manelli in Genua, wo mir ein Leonardo (eine elende Kopie nach Luini) angeboten war, das seit der Plünderung in Harlem 1573 verschwundene Hauptwerk von Jan van Eycks holländischem Schüler Albert Ouwater, die Auferweckung des Lazarus, unter Dürers Namen entdecken und glücklich um etwa 30000 Mark erwerben. In der unbeachteten Vente Hulot in Paris 1892 erwarb Tschudi zwei Werke von ähnlicher Bedeutung: die Madonna mit dem Stifter von Lucas van Leyden und die prächtige Kreuzigung vom Meister von Flémalle, um noch weit geringeren Preis. Auch für unsere deutsche Schule waren unsere Bemühungen nicht weniger erfolgreich. In der Versteigerung von Sir J. E. Millais konnten wir ein ausgezeichnetes Holbeinporträt um 3000 Pfund Sterling erwerben. Gleichfalls in England glückte uns die Erwerbung von zwei Hauptwerken Dürers aus der Zeit seines Aufenthalts in Venedig: die Madonna mit dem Zeisig und das Porträt der Agnes D(ürerin?), letzteres um nur 1000 Pfund Sterling. Dies kleine malerische Meisterwerk war vergeblich in London zum Kauf ausgeboten; da man die Stickerei am Brustlatz der Frau mit den Buchstaben A D als ungeschickte Fälschung ansah, wollte man das ganze Bild nicht als echt gelten lassen. Als ich nach dem Ankauf den reichen Spiegelrahmen, in dem das Bild halb versteckt war, entfernte, fand sich darunter Dürers echtes Monogramm. Dürers Maria als Schmerzensmutter brachte uns die Versteigerung Morosini in Venedig, wo das Bild als Kopie nicht einmal 400 Mark erreichte; glaubte man doch gerade in der Akademie zu Venedig das Original zu besitzen, das in Wahrheit eine auf Kupfer gemalte Kopie ist, etwa um 1600 entstanden. Zu unserem reichen Besitz an Meisterwerken des phantasievollen Kleinmalers Altdorfer kam als reizvollste die Geburt Christi, ein echt deutsches Weihnachtsbild; wenige Jahre früher hatten wir seine Kreuzigung als Geschenk erhalten.
In England boten sich damals besonders günstige Gelegenheiten zur Erwerbung hervorragender Stücke durch die sich immer steigernde Not der Großgrundbesitzer. Im Sommer 1894 glückte mir die Erwerbung unseres bedeutendsten Rembrandts, des Predigers Anslo, der einer Witwe Trost spendet, eines der umfangreichsten Hauptwerke des Meisters aus seiner mittleren Zeit. Lord Ashburnham verkaufte es uns um 20000 Pfund Sterling. Da ich ihm zu seinem Erstaunen dafür nicht gleich einen Scheck über diese Summe ausstellen konnte, verlangte er, dass ich, um mich zu legitimieren, »noch irgendeine Kleinigkeit aus seiner Galerie auswählen, aber sofort zahlen solle«. Ich wählte die köstliche Halbfigur eines jungen Mädchens im Profil, von Domenico Veneziano, und bot zögernd den Preis von 2000 Pfund Sterling. »Das hätte ich Ihnen auch um 200 Pfund Sterling gegeben,« war die Antwort. Die Unterhandlungen über jene kostspielige Erwerbung hatten mich längere Zeit in London festgehalten; sofort nach Abschluß eilte ich mich, nach Berlin zurückzufahren. Auf der Station erwartete mich ein kleiner Londoner Kunsthändler, der schon wiederholt in meinem Hotel vorgesprochen hatte, ohne mich zu treffen. Er beschwor mich nicht abzureisen; er könne mir einen der wichtigsten Ankäufe sofort vermitteln: Lord Northbrook habe ihm zehn seiner besten Bilder für zusammen 10000 Pfund Sterling an die Hand gegeben, darunter den Hieronymus von Antonello, den Ölberg von Mantegna, das Porträt von Petrus Cristus u. s. f. Da mehrere dieser Bilder zu den kostbarsten Kunstschätzen Englands gehören, kam mir das Angebot geradezu lächerlich vor; ich glaubte ihm um so weniger, als der Händler nicht lange vorher wegen bedenklichen Bankerotts verurteilt worden war, und ließ mich von der Rückreise nicht abhalten – leider, denn in Berlin erfuhr ich kurz darauf, daß das Angebot ein ernsthaftes gewesen, und daß die Londoner Nationalgalerie inzwischen die Hauptwerke erworben hatte, freilich um einen wesentlich höheren Preis.
Bald nach meiner Rückkehr nach Berlin befiel mich eine tückische Venenkrankheit, deren Nachwirkungen ich heute noch nicht ganz überwunden habe. Eine Venenentzündung folgte der andern, bis eine schwere Embolie mich für weitere Monate auf das Krankenlager warf. Wiederholte Rückfälle haben mich seither heimgesucht und mehrmals ebensolange Pausen in meiner Tätigkeit veranlaßt; auch wenn die Krankheit sich beruhigte, war ich sehr behindert und verdanke es der aufopfernden Beihilfe meines jungen Kollegen Max Friedlaender und mehrfach auch des Generaldirektors Schöne, daß die Erweiterung der Galerie ungeschwächt ihren Fortgang nehmen und unsere Pläne für den Bau eines Renaissance-Museums bald durch das Kaiser Friedrich-Museum verwirklicht werden konnten.
Die Lebensgefahr, in der ich damals und seither wiederholt schwebte, ließ mich in der unfreiwilligen Muße auf dem Krankenbett, neben dem Ausspinnen von Plänen für Neubauten, über Wege und Mittel nachsinnen, wie über mein Leben hinaus unsere Museen auf dem Kunstmarkt konkurrenzfähig erhalten werden könnten. Freilich hatten wir schon eine Reihe großer Sammler und Händler für unsere Museen warm interessiert. Um aber unseren Sammlungen eine dauernde Stütze und Beihilfe zu schaffen, entwarf ich den Plan zu einem Verein von Museumsfreunden, wandte mich an den Kreis uns befreundeter Sammler und hatte die Freude 1895, bald nachdem sich mein Zustand anscheinend gebessert hatte, einen solchen Verein eröffnen zu können. Da ihm damals als erste Aufgabe die Propaganda für einen Neubau zur Aufnahme unserer reichen Schätze der Renaissancekunst zufiel, deren Sammlung uns unter Protektion und lebhafter Förderung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm gelungen war, so nannten wir den Verein, der sich in wenigen Jahren sehr glücklich entwickelte, Kaiser-Friedrich-Museums-Verein. Der Name ist dann für das Museum, für dessen Einrichtung wir das Interesse des jungen Kaisers zu erregen wußten, beibehalten worden.
Dank diesen mannigfaltigen Unterstützungen und Förderungen gelang uns eine ausgiebige Weiterbildung unserer Sammlungen, insbesondere auch der Gemäldegalerie. Vom Bette aus habe ich diese stärker systematisch als bisher zu fördern gesucht, wenn mir auch hohe künstlerische Qualität erster Grundsatz beim Sammeln blieb. Einige rüstige junge Händler, die wir namentlich in England und Italien zu gewinnen und jahrelang an uns zu ketten wußten, haben uns damals mit gutem Erfolg zur Vervollständigung unserer primitiven Meister der verschiedenen Schulen geholfen, Charakteristische und tüchtige, meist kleinere Werke von Jan van Eyck (die Kreuzigung und das Bildnis des Balduin von Lannoy), Roger van der Weyden (besonders das herrliche Frauenbildnis), Memling, Bouts, Gertgen van St. Jans, Gerard David, das Porträt des Nic. Strozzi vom Meister von Flémalle, Porträts von Scorel, A. Mor, verschiedene Bilder und kleinere Altäre der Antwerpener Manieristen, von Hieronjnnus Bosch u. a. m. verdanken wir diesen Beziehungen. In ähnlicher Weise konnten wir auch den Bestand unserer italienischen Primitiven bereichern: die kleine Grablegung von Simone Martini, die prächtigen vier Heiligen von Masaccio, die stimmungsvolle Predella mit der Aufbahrung des h. Franz von Fra Angelico, denen später noch Giottos Altartafel mit dem Tode der Maria folgte, füllten Lücken aus, die unsere Galerie später wohl nie zu füllen imstande gewesen wäre. Auch einige besonders wertvolle frühe französische Bilder konnten jetzt und in den folgenden Jahren erworben werden: namentlich Fouquets Porträt seines Gönners Estienne Chevalier mit dem h. Stephan und die beiden breiten Altartafeln von Simon Marmion.
In London hatten wir uns im Jahre 1898 beim Ankauf einer bekannten englischen Sammlung, der Galerie Pelham Clinton Hope, beteiligt, der uns einige treffliche Niederländer des 17. Jahrhunderts, darunter Vermeers Besuch, Jan Steens Kindtaufe, ein Meisterwerk von A. van de Velde und zwei Landschaften von Rubens einbrachte. Eine ganze Reihe ansehnlicher Geschenke brachte die Eröffnung des Kaiser Friedrich-Museums 1904 auch der Galerie. Vor allem mit der Stiftung von Dr. James Simon die köstliche frühe Madonna von Mantegna, eine Madonna mit Engeln von Raffaellino und das Jünglingsporträt von Bronzino, und in der gleichzeitig gekauften Sammlung Adolf Thiem mit ihren ausgezeichneten Stilleben, Porträts und primitiven Bildern, als Geschenk das außerordentlich vornehme Porträt der Marchesa Geronima Spinola des A. van Dyck, von dem wir schon einige Jahre vorher aus der Sammlung Peel zwei herrliche große Porträts erworben hatten. Ein stattliches Männerbildnis Gainsboroughs, das Alfred Beit damals zur Eröffnung stiftete, wurde die Veranlassung zu einer kleinen Sammlung der großen englischen Meister des 18. Jahrhunderts, namentlich Bildnissen von Reynolds, Raeburn und Romney, um auch von dieser Schule wenigstens eine Vorstellung zu geben.
Um diese Zeit etwa setzte eine ernsthafte Konkurrenz der Amerikaner im Sammeln alter Kunst ein. Sammler, wie Quincy A. Shaw oder Henry Marquand hatten schon wesentlich früher manches Gute über den Ozean geholt, aber ihre Erwerbungen waren noch vereinzelt und bewegten sich in Preisen, wie sie auch die Sammler und Museen in Europa zahlten. Mit John Pierpont Morgan tauchte der erste Amerikaner auf, der à tout prix alles Gute haben wollte, was im Privatbesitz nicht niet- und nagelfest war. Sein Vorgehen ermutigte unternehmende Händler, für ihn und für Konkurrenten, die in wenigen Jahren in größerer Zahl sich meldeten, Preise für Kunstwerke anzulegen, die das Vielfache der bisherigen Preise waren. Den Auftakt dazu gab der Ankauf unserer Berliner Sammlung O. Hainauer; während deutsche Händler der Witwe kaum eine Million Mark dafür zu bieten wagten, entschloß sich die Firma Duveen sofort, die vierfache Summe dafür zu zahlen. Da die Sammlung mit unserer Hilfe zusammengebracht war und für uns gesichert zu sein schien, war dieser Einbruch in unser Bereich ein böses Omen. Der Verkauf der Sammlung Rudolf Kann an dieselbe Firma um den Preis von 20 Millionen Francs folgte gleich im nächsten Jahre. Auch hier hatten wir Aussicht gehabt, mit einem Teil der herrlichen Sammlung, an deren Bildung ich wesentlich beteiligt war, bedacht zu werden. Der Besitzer, ein Junggeselle, hatte daran gedacht, die primitiven Bilder dem Louvre, die Werke der flämischen Schule seiner Vaterstadt Frankfurt und die der holländischen Schule unserer Galerie zu vermachen, aber er starb, ehe er sein Testament niedergeschrieben hatte. Ähnlich erging es uns mit einem anderen großen Sammler, der fast gleichzeitig mit seinem Freunde Kann gestorben war, Alfred Beit; seine Absicht, uns einen wesentlichen Teil seiner ganz gewählten, zum großen Teil unter meiner Beihilfe gebildeten Sammlungen zu hinterlassen, wagte der fast ausschließlich in Großbritannien begüterte Hamburger bei der ausgesprochenen Feindschaft König Eduards gegen Deutschland nicht zur Ausführung zu bringen.
Bei den ganz außerordentlichen Preisen, welche die amerikanischen und nach Amerika verkaufenden Kunsthändler zahlten und glatt erhielten, mußten wir einsehen, daß uns ein Kampf gegen sie nur in seltenen Fällen möglich sei; wir machten es also, wie wir es mit gutem Erfolg schon seit mehreren Jahrzehnten mit angesehenen Händlern in Europa gemacht hatten: wir suchten ihnen behilflich zu sein und dadurch zugleich für unsere Sammlungen Nutzen zu ziehen. Auch hier ist es uns gelungen. Vor allem haben wir unsere Sammeltätigkeit seither besonders auf Gebiete eingestellt, die weniger Interesse für Privatsammler haben, oder die als Zimmerschmuck wenig geeignet erscheinen. So hatten wir bei der Erwerbung der höchst eigenartigen großen Aufbahrung des Leichnams Christi von Carpaccio und der Auferstehung Christi von Giovanni Bellini damals (im Jahre 1905) noch keine Konkurrenz von amerikanischer Seite zu fürchten, ebensowenig wie bei dem erst im Anfang des Kriegs gelungenen Ankauf von Tizians Venus mit dem Orgelspieler. Dies Meisterwerk aus Tizians späterer Zeit wurde – wie ich erst neuerdings erfuhr – schon vor dem Kriege Duveens angeboten, aber (trotz mäßiger Forderung) wegen der Nacktheit abgelehnt. Eigentümer war einer der in Italien lebenden spanischen Bourbons, wodurch die Herkunft des Bildes aus Madrid gesichert ist, auf die schon das Porträt des Orgelspielers – der junge Philipp II. – hinwies. Aus gleichem Besitz stammt das tief empfundene Gemälde der Anbetung der Hirten von Hugo van der Goes, dessen Erwerbung schon wegen seiner eigentümlichen Form uns weit weniger Mühe und Kosten machte als der Kauf der noch meisterhafteren großen Altartafel, der Anbetung der Könige vom gleichen Meister, die gerade zehn Jahre nach dem ersten Bilde, am Weihnachtstage 1913, im Kaiser Friedrich-Museum eintraf.
Am wenigsten bestritten war uns das Gebiet der primitiven deutschen Malerei; zumal wenn sich Werke derselben im Ausland befanden. Da aber auch für solche Bilder allmählich wesentlich höhere Preise gezahlt wurden, so kamen sie eigentlich erst jetzt auf den Markt. Noch vor etwa fünfzehn Jahren hatten wir Bilder wie die acht großen Altartafeln von Multscher in London um 600 Pfund Sterling erwerben können. Die köstliche kleine Anbetung der Hirten von Martin Schongauer wurde uns, wie eine Photographie zwischen zwei Pappbogen verpackt, zur Ansicht aus London zugesandt und um geringen Preis angeboten. In der gleichen Zeit erwarben wir hier das Kölner Diptychon um 1350 und die kleine Klage um den Gekreuzigten von Konrat Witz. Ein kleines Diptychon mit besonders zart empfundenen Darstellungen der Kreuzigung und der Erscheinung Christi (etwa von 1400), fanden wir um 700 Mark im Münchener Kunsthandel. Umfangreiche Altarwerke des 14. Jahrhunderts boten sich in Deutschland selbst. So vom sogenannten Meister Wilhelm von Köln ein Flügelaltar in reicher Einrahmung aus westfälischem Besitz, sowie zwei thüringische Altäre aus Heiligenstadt und Flötz; vor allem das treffliche große Prager Madonnenbild mit Erzbischof Ernst als Stifter. Nach derselben Richtung konnten wir auch in den großen Versteigerungen, die einige Zeit vor und während dem Kriege in Berlin stattfanden, weitere wichtige Erwerbungen machen. So in der Versteigerung Weber das kleine burgundische Altärchen um 1390 und ein Diptychon, das als Arbeit des jungen Dürer während seines Aufenthalts am Oberrhein in Anspruch genommen werden darf; in der Versteigerung R. von Kaufmann vor allem die böhmische Kreuzigung und in der Versteigerung L. Knaus Cranachs kleine Lucretia, deren elfenbeinfarbener Körper sich leuchtend vom tiefschwarzem Grund abhebt; endlich die hervorragende Madonna von Geertgen van St. Jans aus der Sammlung von Hollitscher. Gleichzeitig konnten wir auch den bisher recht schwachen Bestand an deutschen Werken des 17, und 18. Jahrhunderts wesentlich vermehren, namentlich durch ein paar treffliche Werke von Lys und Elsheimer, von Graff, Chodowiecky, Tischbein, Ziesenis, A. D. Therbusch u. a.
Ähnliches gilt für Erwerbungen aus der Nachblüte der italienischen Malerei, deren malerisch ausgezeichnete Werke von A. Canale, F. Guardi, Tiepolo und Piazzetta erst neuerdings in einem der Seitenkabinette des Spreeflügels vereinigt werden konnten. Daß eine langsame Vermehrung unserer Bilderbestände, namentlich nach der Richtung der ältesten Tafelmalerei nördlich der Alpen, auch in Zukunft noch möglich und daher – zur Erforschung dieser wenig gesammelten und bekannten Kunst – auch unsere Pflicht sein wird, beweist die Erwerbung solcher Bilder im letzten Jahre: des großen Augsburger Tod der Maria von 1432, der südfranzösischen oder savoyischen Kreuzigung um 1415 und einer kleinen Zahl norddeutscher und böhmischer, um 1400 entstandener Täfelchen. – Eine recht beträchtliche Zahl dieser Vermehrungen kam als Geschenke oder als Ankäufe unseres Museums-Vereins an die Galerie. Sie wurden gerade jetzt bei der 25. Wiederkehr des Stiftungsjahres in einer besonderen Ausstellung gezeigt.
Während dieser Bereicherungen mußten wir leider mit gefesselten Händen zusehen, wie uns dank dem famosen Friedensvertrag die wertvollsten Werke unserer Galerie, die ihren Weltruf begründet hatten, die zwölf Tafeln der Brüder van Eyck samt zwei ausgezeichneten Bildern von Dirk Bouts entführt wurden. Durch die Revolution ist uns das Vermächtnis einer ausgezeichneten kleinen Sammlung holländischer Meisterwerke entgangen. Überhaupt ist jede Hoffnung auf Stiftungen und Vermächtnisse für lange Zeit aussichtslos; sind doch auch die Privatsammlungen mit hervorragenden Kunstwerken, die wir zusammenbringen halfen, damit sie in späteren Zeiten, im Fall ihrer Veräußerung, die Reserven für Vermehrung unserer Galerie bilden könnten, bereits zum größeren Teil verkauft oder werden meist in kurzer Zeit diesen Weg gehen müssen. Für unsere Berliner Sammlungen droht zurzeit, neben allen anderen Nöten, eine schwere Sorge in der Verwilderung der alten Museumsbauten und der planlosen Fortführung der Neubauten, durch die jetzt die Sammlungen selbst bereits wesentlich gelitten haben und für die Zukunft aufs schwerste bedroht sind.