Alfred Bock
Der Flurschütz
Alfred Bock

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Es war noch völlig dunkel am anderen Morgen, als die Schnappersgritt an Jakobs Kammer pochte. Dieser hatte einen dreistündigen Marsch in die Stadt vor sich, gegen neun Uhr ging sein Zug nach Düsseldorf. Flink kleidete er sich an und begab sich in die Stube hinunter, wo der Vater bereits seiner harrte.

»Wie ist's dann mit Geld, Jakob?« fragte der Flurschütz.

»Ich hab' schon noch,« versetzte Jakob, »aber dessentwegen könnt' ich doch was brauchen.«

Der Flurschütz langte aus dem Wandschrank eine Geldrolle hervor und übergab sie seinem Sohn.

13 »Guck, Jakob, ich hab' mit deiner Mutter nie nix vorgehabt, nur über dich haben wir uns als gekappelt. Kein Wunder! Sie hat sich's vom Mund abgespart, daß sie dir die Markstücker schicken konnt'. Das hat mich gewurmt. Meine Sprach' war, man soll sich nicht ehnder ausziehen, als bis man schlafen geht. Ich weiß wohl, wann ich draußen war, sein die Brief' von dir gekommen. Als ein Lamentier'n um Geld. Mir hast du die Gunn gar nicht angetan, dadrum anzuhalten, hast gemeint, du mußt dich hinter die Mutter stecken.«

»Ich hab' mich scheniert,« wandte Jakob ein, »wo du doch schon deine achtzig Mark den Monat giebst.«

»Und fünfundzwanzig der Weißbinder Möhl – daß du's nicht vergißt.«

»Ja, Vater, 's ist barbarisch teuer da drunten.«

»Kann sein.«

Der Flurschütz ging ein paarmal in der Stube auf und ab und blieb dann vor seinem Sohn stehen.

»Wie lang' denkst du dann noch die Hosen auf der Kunstschul' zu verrötschen?«

»Noch ein halbes Jahr, hat der Professor gemeint, hernach könnt' ich ankommen, wo ich wollt'.«

»Ich leg' dir nichts in den Weg, wann du deine Sach' nicht vertust.«

»Bei Leib nicht, Vater.«

Der Flurschütz sah den Burschen scharf an.

»Guck, Jakob, ich bin nicht für das Heimscheln, und was ein Duckmäuser ist, mit dem sein ich schnell fertig.«

14 Jakob senkte vor dem durchdringenden Blick des Vaters den Kopf.

Dieser kreuzte die Arme über der Brust und sagte:

»Acht Tag' nach Pfingsten ist dem Briefträger Becker sein Heinz herunter ins Westfälische gemacht. Und ist auch in Düsseldorf bei dir gewest –«

»Ei dadevon weiß ich ja gar nix,« unterbrach Jakob den Vater.

»Dessentwegen sprech' ich dadrüber. Der Heinz hat's dernacher haarklein verzählt. He klopft in aller Früh' an deine Stüb'. 's tut ihm keins auf. He klopft wieder. Etz geht die Tür auf, und so'n struwwelig Weibsbild steckt den Kopf heraus. Der Herr Schwalb, sagt die, tät noch schlafen. No, der Heinz ist nicht auf den Kopf gefallen, hat sein Teil gedacht und hat sich fortgemacht. Sag' mal, wen hatt'st du dann da bei dir einlogiert?«

»Hab's schier vergessen,« stotterte Jakob puterrot.

Der Flurschütz hatte ihn auf dem Korn.

»Guck, Jakob, da geh'n die Markstücker hin. Etz zissel' dich heraus. 's ist akrat wie beim Militär, wo du dein Geld für das Weibsgeschirr verjuckert hast.«

»Sacht, Vater, sacht,« wollte sich Jakob verteidigen. Der Flurschütz aber schnitt ihm das Wort ab.

»Schweig still, da giebt's nix zu verdutscheln. Guck, deine Mutter hat nie nix bei mir auszustehn gehabt. Ich hab' sie hochgehalten und ästemiert. Und doch hatt' sie als junge Frau ihren Brast. Von wegen ihrem Vater. In seinem Ort haben sie ihn den Waldbock geheißen. 's ist einem, weiß Gott, zu schamelich, dadrüber zu schwätzen. No kurz und gut. 15 Der hat sich als geheirater Mann in den Wald gelegt und hat auf die Mädercher Jagd gemacht, die da durchpassiert sind. Und hat auch vor Gericht gestanden. Und ist an seiner Schlechtigkeit zu Grund gegangen. Wann man sich das so vorstellt und dich etz betracht', kommt man auf artliche Gedanken: Das Gelüstrige, sag' ich, steckt dir im Blut. Jakob, seh' dich vor! wann du in der Bredullje bist, ich helf' dir nicht heraus. Und streck' dich nach deiner Deck'. Und halt' dich sauber!«

Es schlug halb sechs. Jakob warf seinen Ranzen über den Rücken, bot dem Vater die Hand und schied. Die Schnappersgritt gab ihm bis zu ihrem Häuschen das Geleit.

Als der Tag graute, legte der Flurschütz seine Dienstabzeichen an und verließ das Haus. Draußen blieb er nachdenklich stehen, bog dann in eine Seitengasse ein und stieg den Hang zum Friedhof hinauf. Über Nacht war reichlicher Schnee gefallen, der mählich bei lindem Südwest wieder schmolz. Auf glitschigem Pfade setzte der Flurschütz den Knotenstock ein, daß sein Körper Halt gewann. Jetzt hatte er die Höhe erreicht. Noch ein paar Schritte vorwärts, und er stand am Grabe seiner Frau. Er legte den Stock beiseite und faltete die Hände. Wie hatte der Pfarrer gesprochen? Als Christin hat sie gelebt, und selig ist sie abgeschieden. Da hatte er recht. Sie war eine fromme Frau. Die Krankheit hatte sie schreckhaft überfallen, aber wie's aufs Letzte ging, hatte sie doch einen schönen Tod, tat keinen Ruck und Zuck. Ja, ihr war wohl. Wenn er auch 16 erst so weit wäre! Zwar stand er noch mitten in seiner Mannheit und Kraft, allein wie sollt es künftighin werden? Wenn man vierundzwanzig Jahre beweibt war, und die Frau starb einem jählings weg, das war grausam hart. Drüben am Geiersberg standen zwei Blutbuchen, ihr Geäst hatte sich verschlungen. Hieb man die eine nieder, mußte man auch die andere fällen. Und kam ihre Zeit, so sanken sie mitsammen. Mann und Frau, die in guter Eheschaft lebten, waren selbander verwachsen. Und doch geschah's gar selten, daß der Sensenmann sie beide traf. Eines mußte vor dem andern fort. Ja, der Mensch war kein Baum und hatte seine Vernünftigkeit. Freilich, freilich! Und doch kam man sich jetzt überhüppelt vor und verspürte inwendig ein Zoppeln und Nagen, daß man am liebsten gleich abfahren tät'.

Er bückte sich nieder und schüttelte den Schnee von den Totenkränzen. Dabei sank er tief in das lockere Erdreich ein. Rasch trat er zurück. Ja, abfahren! Das schwätzte man so hin. Es starb sich nicht so schnell. Wenn man lebig war, war's eben nicht auszudenken, wie man da drunten hausseß sein konnte. Das Simelier'n half nichts. Man mußte sich aufrappeln, unter das Menschenvolk gehen und seine Arbeit tun.

Er nahm seinen Knotenstock wieder zur Hand und schritt langsam dem Ausgang des Friedhofs zu.

Die nächste Sorge war, daß sein Hausstand in Ordnung blieb. Viel war nicht zu leisten. Als Flurschütz hatte er seine Äcker in Pacht geben müssen, 17 das bischen Gartenland konnte er selbst bestellen. Die Schnappersgritt blieb wohl fürs erste im Haus. Sein Gusto war sie gerade nicht. Von der konnte man auch sagen – wie von vielen Weibsleuten – lange Haare, kurzer Sinn. Doch griff sie tüchtig zu und hielt auf ein schmackhaft Essen. Zudem war er den ganzen Tag draußen. Das Schlimmste war, wie man die Abende hinbringen sollte. Er war kein Wirtshausläufer, mußte sich höllisch in Acht nehmen; denn trank er auch nur ein Glas über den Durst, holterdipolter! war der Teufel los. Darum hatte ihn seine Frau selig abends nicht fortgelassen. Und er war gern geblieben. Da las er ihr das Kreisblatt vor, von A bis Z und machte jeweilig den Krittelfax. Dann lachte sie und sagte: »Du bist ein Gescheidigkeitskrämer und schwapperst wie ein studierter Mann.« Manchmal brachte der Kolportierer Melchior ein Buch aus der Stadt. Zuletzt eins, das hieß »Der Scharfrichter von Berlin«. Da watete man förmlich in Menschenblut. Schrecklich mußt' es zugehen in dem Berlin. Eng rückte man zusammen und war froh, daß man so weit von dem Teufelsgespüknis war. So ging gemach der Winter hin. Im Frühjahr und im Sommer verschlang die Arbeit alle überflüssigen Gedanken. Kein Unfriede wäre in ihrer Eheschaft aufgekommen, hätte der Jakob nicht Anlaß zu Streit und Gezänk gegeben. Den Heimduckser hatte er schon als Dreikäsehoch auf dem Strich. Die Mutter aber hielt ihm partu die Stange und meinte, ein junger Baum der lasse sich noch biegen. Prostemahlzeit! Der sich biegen. Gut, daß der Verdrußbub sein 18 Bündel geschnürt hatte und Farbenkleckser geworden war. Hier am Orte hätte er als Vater auf seinem Recht bestanden und ihn gehörig gezauselt.

Unter derlei Gedanken war der Flurschütz in die Gemarkung herabgestiegen, die er pflichtmäßig abzuschreiten hatte. Im Winter war das bald getan, denn die Bauern hoben sich den Feldfrevel für die gute Jahreszeit auf.

Er setzte über den Hollerbach und trat gleich darauf in den Gemeindewald. Das war ein gemischter Bestand von Eichen, Buchen, Fichten und Kiefern, so gut bewirtschaftet, daß es auch Wintertags eine Lust war, sich darin zu ergehen. Das taten freilich die Eschenröder nicht. Die hockten lieber am warmen Ofen oder rekelten sich in den Wirtshäusern herum. Nicht so der Flurschütz. Er liebte die Natur auf seine Art und hatte für die Waldespracht Herz und Sinn. Wie staats und still lag vor ihm der Forst, das Gezweig der Laubhölzer überzuckert, die Fichten und Kiefern von der Schneelast beschwert. Da nun die Sonne den Nebel durchbrach, vermeinte man sich in einem funkelnden Saal. Das Auge war geblendet von all dem Glanz. Kein Menschenwerk war so herrlich wie das. Und von den Stämmen rannen die blinkenden Tropfen, bei jeder Baumart mit eigenem Ton. Ja, wenn man horchte, klang's wie Musik. Da ward einem seltsam wohlig zu Mut, als schlüpfte man aus der alten Haut. Und der Brast zerging wie rings der Schnee.

Als der Flurschütz gegen Mittag in seine Behausung zurückkehrte, setzte ihm die Schnappersgritt Kraut mit 19 Speck und Salzstücke vor. Es schmeckte ihm, und er forderte auch die Alte auf, zuzulangen. Diese lehnte mit den Worten ab, es sei ihr nicht just, sie bringe keinen Bissen herunter.

»Oha!« machte der Flurschütz.

Die Alte schupperte sich.

»Hab's Magendrücken und Reißmatismus.«

Der Flurschütz sah sie teilnehmend an.

»Du wirst dich verkältet haben.«

»Möglich.«

»Du mußt einmal geherigd schwitzen. Das treibt's heraus.«

»Ja schon, aber wer soll dann bei dir die Arbeit tun?«

Der Flurschütz kratzte sich hinterm Ohr.

»Freilich, das paßt etz schlecht.«

Die Schnappersgritt nahm auf der Ofenbank Platz.

»Ich will dir was sagen, Daniel. Ich sein alt und klapperig. Ich hab's halt probiert, ich kann mich nicht so strabelezieren.«

»Sei doch nicht äbsch. Wer schwätzt dann von strabelezieren?«

Die Gritt runzelte die Stirn.

»Ihr Mannsleut ästemiert das nicht: enz auf'm Boden, enz auf'm Hof, bald in der Stub', bald in der Küch' und alles blitzeblank. Das will geschafft sein.«

»Ja, ja.«

»Gelte? Da braucht eins gesunde Knochen. Ich pack's nicht, Daniel. Hier herein gehört eine kräftige Weibsperson.«

Der Flurschütz erhob sich und sagte besorglich:

»Du wirst mich doch nicht im Ungerück stecken lassen?«

20 »'s pressiert nicht auf Stund' und Minut,« versetzte die Alte, »ein paar Tag' schrackel' ich noch hin.«

»Das heiß' ich ein schön Geheugnis,« sagte der Flurschütz verdrießlich. »Wo krieg ich dann schnell eins her?«

Die Alte zuckte die Achseln.

»Ja, Daniel, du tust dein Gottsbestes und guckst dich um.«

Sie gingen die ganze Dorfschaft durch, Haus für Haus. Die Tochter eines wohlhabenden Bauern gab sich gewißlich nicht dazu her, dem Flurschützen die Wirtschaft zu führen. Da waren einletzig ein paar arme Weiber, allein denen konnte man nicht um die Ecke trauen. Guter Rat war teuer. Sie sannen hin und her. Zuletzt schlug sich die Gritt vor die Stirn.

»Etz fällt mir was bei.«

»No?« fragte der Flurschütz erwartungsvoll.

»Da ist meiner Schwester ihr Kind, die Christine. Wallbott schreibt sie sich und ist von Freienstein. Die dient beim Bäcker Klemmrath in der Stadt. Die hat was zuzusetzen und flenzt sich nicht, wann's arbeiten heißt.«

»Ja, geht dann die aufs Dorf?«

»Das ist die Frag'. Sie hat nix, ist arm wie eine Kirchenmaus. –«

»Arm mit Ehren kann niemand wehren.«

»Und geht dem Verdienst nach, du bist ja bei Geld, kannst schon was ausgeben. Am End', daß sie kommt.«

Ja, ausgeben! Da berührte die Alte einen wunden Punkt. Zwar war der Flurschütz nichts weniger als 21 ein Geizhammel und hatte für die Bedürftigen ein warmes Herz. Aber einer Dienstmagd ins Blaue hinein hohen Lohn verwilligen und noch nicht wissen, wofür? Das ging ihm gegen die Natur. Das mußte weislich überdacht sein.

Indessen lobte die Gritt ihrer Schwester Kind durchs ABC. Die Hauptsache war, die Christine wußte hauszuhalten und kam mit wenig aus. Dabei war sie eine leidliche Person. Freilich hatte sie bei aller Manierlichkeit einen Klotz am Bein.

Der Flurschütz horchte auf.

»Wieso dann?«

Die Gritt strich ein paarmal über die Schürze.

»Ei, da hat sie's vor zwei Jahr mit einem Soldat gehabt, einem Erzlump. Der ist auf und davon. Und etz hat sie natürlich ihr Kind.«

»Wo ist dann das?« forschte der Flurschütz.

»Bei braven Leut. Dem geht nix ab.«

»No, wann ich sonst mit ihr einig werd', das Kind tut mich nicht schenir'n.«

Da sie noch weiter dischkerierten, kam von ungefähr der Geometer aus der Stadt. Dieser wohnte auf dem Marktplatz dem Bäcker Klemmrath gegenüber und kannte die Christine gut. Wenn die den Dienst bei dem Flurschützen annehme, meinte er, könne er sich gratulieren, ein forsches Mädchen, früh bei der Hand und arbeitsam bis in die Nacht. Und treu wie Gold. Das hatte die Klemmrathen ihm selbst gesagt.

Solcherlei Rede war Wasser auf die Mühle der Schnappersgritt. Bei dem Flurschützen aber war's 22 nun beschlossene Sache: Wenn die Gritt Sonntag halbwegs auf den Beinen war, sollte sie mit dem Milchwägelchen in die Stadt. Und forderte ihr Schwesterkind nicht gar zu viel, so nahm er sie als Magd ins Haus.



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