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Wenn sich ein Herz zum Herzen fand,
In Freud und Leid sich zu verbinden.
Da gleiten
Zwei mit Sang vom Strand,
Wo
Einer kaum den Weg kann finden.
Das junge Ehepaar begab sich noch am Hochzeitstage selbst nach seiner Wohnung in der Stadt, und da verlebte es seine Flitterwochen.
Nie hatte sich Peter Dam von einer vorteilhafteren Seite gezeigt, als in dieser Zeit, wo sein Gesicht lauter Sonnenschein war. Das Echteste in seiner Natur – das kindlich Naive – hatte für eine Weile die Oberhand gewonnen über das Sinnliche, das ihm sonst eigen war. Er war gleichsam in eine reinere Luft versetzt worden. Diese behaglichen Zimmer, die er mit Kaja bewohnte – dieses nach seinen Verhältnissen vollständig luxuriöse Heim, das er mit Recht sein eigen nennen durfte, übte einen eigenartigen weichen Einfluß auf ihn aus. Und dazu war er bis über die Ohren in seine junge Gattin verliebt. Es gab nichts Schönes, das er ihr nicht sagte, und keine Blumen, mit denen er sie nicht überschüttete. Wenn sie einander bei Tisch gegenüber saßen, konnte er plötzlich Messer und Gabel wegwerfen und sie ganz hingerissen anstarren. Abends mußte sie ihm stundenlang vorsingen; aber dann lauschte er nicht auf die Musik, er betrachtete nur immerfort ihr Gesicht und sorgte dafür, daß stets ein roter Lampenschirm über dem Lichte war.
»Ich sehe deinen Nacken so gerne in dieser Beleuchtung,« sagte er, »es ist ein geradezu vollendet künstlerischer Genuß.«
Sie wäre nicht ein Weib gewesen, wenn diese Art der Huldigung keine Wirkung auf sie ausgeübt hätte. Und sie verlebte denn auch die ersten Monate ihres Ehestandes in dem guten Glauben an ihr Glück und wärmte sich in den Strahlen der Sonne, die Peter Dam ihr immer scheinen ließ.
Wenn Peter Dam ins Theater mußte, war sie daheim fleißig, begoß die Blumen und stäubte die Zimmer ab. Sie hatte nie ein Verlangen, auszugehen; oft konnte sie ganz still dastehen und sich in den Räumen umschauen, die ihr und ihm gehörten; sie liebte jedes Stück darin, aber sie konnte sich darauf ertappen, daß sie mehr an die Sachen, als an ihren Gatten dachte. Kaja hatte eine fast leidenschaftliche Liebe zu ihrem Heim gefaßt. Wenn sie die Falten an irgend einer Portiere glatt strich, die ihr und Onkel Franz beim Aufhängen besondere Mühe verursacht hatten, kam es vor, daß sie von einer heftigen Unruhe erfaßt wurde – von einer Angst vor dem Nachdenken. Sie dachte überhaupt nicht nach in dieser Zeit, das fühlte sie wohl. »Nur leben! leben! Nicht denken!« wie Peter Dam sagte. Das Leben war es, das sie nun ergriffen hatte. Wenn sie an die Anfechtung dachte, die sie vor dem Altar gehabt hatte, mußte sie lächeln. Onkel Franz hatte ja unter der ganzen Trauung so ruhig dagesessen, während es ihr gewesen war, als müsse sie vor Angst ersticken. Onkel Franz heiraten, das hätte so viel geheißen, als das Leben fortsetzen, das sie immer gelebt hatte; aber das jetzige, das war etwas Neues, wonach sie sich ja immer gesehnt hatte.
»Schreibe nur zu, herrliches Leben du!« summte sie vor sich hin, während sie von Zimmer zu Zimmer flog.
Ohne daß sie sich erklären konnte warum, hielt sie sich in dieser Zeit fern von Onkel Franz. Sie wurde immer rot, wenn sie seinem Blick begegnete, und das ärgerte sie; sie hatte sich ja über nichts zu schämen.
Etwa vier Wochen nach der Hochzeit hatte sie ihn zum Essen eingeladen. Sie flog ihm nicht an den Hals wie sonst, und sie sah, daß ihm dies weh tat – sie merkte es an dem leichten Zug des Unmutes um seinen Mund – aber er sagte nichts. Ruhig trat er hinter ihr ins Wohnzimmer und setzte sich ans nächste Fenster.
Es war ihr überhaupt auffallend, daß er sich gar nicht in den Zimmern umsah, sondern entweder die Person anschaute, mit der er sprach, oder zum Fenster hinausblickte. Sie hätte gern zu ihm gesagt: »Ist es nun nicht reizend hier? Und dies? Und dies?« Aber etwas hielt sie zurück.
Bei Tisch hatte er ein Hoch auf die Neuvermählten ausgebracht und ihr dabei mit seinem alten Lächeln zugenickt; aber da waren ihr plötzlich die Tränen in die Augen getreten, und sie mußte sich tief über ihren Teller beugen, damit es niemand sah. Am Abend verlangte Peter wie gewöhnlich, daß sie einige Lieder singe. Aber da hatte sie die Lampe mit dem roten Schirm weggerückt und gesagt, sie könne am besten im Halbdunkel singen. Niemals konnte sie später verstehen, warum sich ihrer eine so sonderbare Schwermut bemächtigt hatte; aber es kam wohl daher, daß Onkel Franz, die Augen mit der Hand bedeckt, da hinter ihr saß – sie hatte sich zwar nicht umgesehen, aber sie wußte, daß er so dasaß.
Zuerst hatte sie eines der Lieder aufgeschlagen, das sie am häufigsten vor sich hinsang:
Wenn sich ein Herz zum Herzen fand,
In Freud und Leid sich zu verbinden,
Da gleiten
zwei mit Sang vom Strand,
Wo
einer kaum den Weg kann finden.
Aber dann hatte sie plötzlich das Notenblatt niedergelegt und war in Gedanken versunken.
Glücklich hatte sie sich gefühlt während dieser Wochen, und jeder Tag war wie ein neues Fest für sie und Peter Dam gewesen, aber trotzdem hatte sie den »Gesang im Boot« vermißt und ein deutliches Gefühl davon gehabt, daß sie es allein vorwärtsbringen müsse – jetzt mehr als vorher. Dies fiel ihr in diesem Augenblick so sehr auf, daß sie es um jeden Preis von sich wegschieben mußte. Dann hatte sie plötzlich lustige Lieder angestimmt, um die Fröhlichkeit wieder herbeizurufen. Aber als sie vom Klavier aufstehen wollte, hatte Onkel Franz mit seiner ruhigen Stimme gesagt – und es war, wie wenn die Worte aus weiter Ferne durch die Dunkelheit zu ihr drängen –: »Nun hast du so viel für andere gesungen. Kannst du nun nicht zum Schluß noch ein ganz kleines Lied für mich singen?« Und da hatte sie die beiden kleinen Strophen gesungen:
Was ist das Leben für die Meisten?
Leid! Leid!
Was ist der Kern vom allermeisten?
Leid! Leid!
Was ist der Zweck, daß wir verlieren?
Sieg! Sieg!
Der Zweck, daß Böses darf regieren –?
Sieg! Sieg!
Aber nachher hatte sie sich selbst gelobt, daß es lange dauern solle, bis sie Onkel Franz wieder zu Tisch einladen werde.
Wenn sie ihn nicht sah, war sie immer vergnügt, aber wenn er kam, wurde sie von einer unerklärlichen Unruhe ergriffen, und es war, als zögen Wolken über die Sonne hin.
Peter Dam gab ihr eines Tages eine unbeabsichtigte Erklärung dafür. »Das ist ein merkwürdiger Mann, dein Onkel Franz,« sagte er. »Es ist, als zwinge er die Leute zum Nachdenken.«
»Da hast du recht,« erwiderte sie, und er sah ihr am Gesicht an, wie tief sie es empfand.
»Doch das ist dumm,« fügte er rasch hinzu. »Wenn man jung ist, soll man leben und nicht denken. So wie du und ich, wir denken auch nicht nach – nicht wahr, Schatz?«
Aber das hätte er nicht sagen sollen. »Nein, wir denken nicht nach,« sagte sie und machte sich sanft aus seinen Armen los. »Wir leben wie zwei große Kinder miteinander. Wenn du nicht Theatergeschichten erzählst, dann sprechen wir von Liebe, und wenn wir nicht von Liebe sprechen, erzählst du Theatergeschichten.«
»Als ob das Leben der Kinder nicht das glücklichste wäre!« sagte er, eigentlich nur, um etwas zu sagen. Aber ihr ging eine ängstliche Ahnung auf, daß dies Leben das einzige war, das er mit ihr zu führen imstande sei.
Wenn Onkel Franz nun zu Besuch kam, was selten genug geschah, saß sie ganz ruhig da und beobachtete ihn heimlich. Es war ihr, als sei er gleichsam ein größerer Mensch für sie geworden als vorher. Er hatte auch seinen Teil an dem Werktagskleid des Schicksals gehabt, er auch; das Leben hatte es für ihn in kleine schmale Streifen geschnitten, aber als der Kummer über ihn kam, da war es, als seien seine Kleider nun nicht genäht, sondern durch und durch gewirkt; denn es gibt nichts, was den Menschen so adelt, wie ein großer Schmerz. Onkel Franz hatte immer klein von sich selbst gedacht und immer bis aufs äußerste getan, was in seiner Macht stand. Er gehörte zu den stark ausgeprägten Menschen, die den Mut haben, zu bekennen, daß sie Ideale haben. Und diese Menschen sind es, die den Gipfel erreichen – das Ziel in höchster und letzter Instanz. Peter Dam hatte seine eigene Kleinheit nie erkannt – deshalb erreichte er auch nie den Gipfel.