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» Plus cela change, plus cela reste la même chose«.
(Boulevardspott.)
Im April 1882 hat Bismarck erklärt, die äußere Politik mache ihm jetzt keine einzige schlaflose Stunde. Die Uhr sei seit zehn Jahren so aufgezogen, daß sie von selber ginge. Frankreich und England fragten Deutschland um Rat, Österreich tue nichts ohne Anfrage, Italien mache förmlich den Hof und nun komme selbst Rußland entgegen.
Wir waren niemand nachgelaufen. Und es waren nicht nur die Unwägbarkeiten des Zaubers geschichtlicher Größe, die von Bismarcks Person ausgingen, sondern die straffe Führung der an Stärke wie an Freiheit, an Klarheit ihrer Ziele wie an Ungezwungenheit ihrer Mittel, an schonender Rücksichtnahme auf Bedürfnisse des Gegners wie an Sicherheit des eigenen Entschlusses gleich natürlichen und deshalb Achtung fordernden deutschen Politik, die dem Reiche inmitten der eifersüchtigen Gegner von ehedem seinen unbestrittenen Platz verbürgte.
Im Gegensatze zu den Erwerbsgenossenschaften, mit denen das Balkanvorspiel dieses Weltkrieges eingesetzt hat, war das Bündnis mit Österreich-Ungarn für Bismarck »eine Assekuranz«. Noch einmal war es ihm im Jahre 1884 dann gelungen, eine Verständigung der drei Kaiser über eine wechselseitige, wohlwollende Neutralität zu erreichen. Aber es war ein letztes Aufflackern dieses Gedankens damals in den Tagen vor der Hirschbrunst im weltabgeschiedenen Leibgehege des Zaren zu Skierniewice, über dessen Achtzehn- und Sechzehnender nun auch alle Schrecken des Weltkrieges hingebraust sind. Schon bei der Erwiderung des Kaiserbesuches in dem mährischen Städtchen Kremsier am 25. August 1885 war die scheue Unbeständigkeit des mißtrauischen Alexander III. hervorgetreten, und seine Beziehungen zu den panslawistischen Führern ließen die Bedingtheit der russischen Versicherungen ahnen, die dann in der Sendung des General Kaulbarsch nach Bulgarien und der Vertreibung des Battenbergers ihre Bestätigung fand. In Bismarcks Politik freilich war diese Wendung vorgesehn. Die Österreich-Ungarn vorgeschlagene »Demarkationslinie«, die am Balkan Bulgarien als russisches, Serbien und Bosnien als österreichisches Interessengebiet erklärte, wurde deutscherseits auf alle Fälle festgehalten. Ebenso deutlich hatte Bismarck zu verstehn gegeben, daß die natürliche Entwicklung der Dinge an der unteren Donau nicht zugunsten Rußlands verliefe und er hatte andererseits erklärt, daß das Verteidigungs-Bündnis nicht sich in eine Angriffsgenossenschaft verwandeln und am Ende Herrn gar Layard, dem damaligen britischen Botschafter in Konstantinopel, einen Blanko-Wechsel für die Unterstützung der englischen Orientpolitik ausstellen dürfe. Ebensowenig dürfe sich das Deutsche Reich » als Hetzhund gegen russische Bosporusgelüste« mißbrauchen lassen, zumal Rußland für den Fall eines Krieges mit England nur der Neutralität mit der Pforte bedürfe, um die Dardanellen geschlossen zu halten. Nachdem es über den Fall des Battenbergers zum Bruche zwischen Wien und Petersburg gekommen war, schloß Bismarck den Rückversicherungsvertrag mit Rußland, der das Gleichgewicht, so gut es ging, wiederherstellte, und Deutschland blieb die Zunge an der europäischen Wage.
Der Gegensatz zwischen England und Rußland hinderte immerhin nicht, daß auch Bismarck unter dem » cauchemar des coalitions« (Albdruck von Bündnissen) litt, den er bereits 1877 gegenüber dem Grafen Schuwalow offen zugegeben hatte. Die kühn-besonnenste Politik konnte nichts ändern an Deutschlands eingekeilter Lage zwischen feindlichen Mächten und an den Unterströmungen, die in den Nachbarstaaten immer wieder die amtliche Politik in ihrer Fahrt hemmten Siehe »Bismarcks erster und letzter Gedanke«.. Insbesondere seit dem Berliner Kongreß erfüllte ihn die »Verlogenheit der russischen Presse« mit Besorgnis und er beklagte als Erfolg ihrer Entstellung des geschichtlichen Herganges, »daß die öffentliche Meinung der Russen fortschreitend gegen Österreich und Deutschland verbittert wird, indem sie alle Mißerfolge der russischen Politik nicht auf das Ungeschick dieser, sondern auf die verräterische Hinterlist der benachbarten Reiche zurückführt«. Insbesondere galt diese Klage der Verdunkelung der Tatsache, daß Bosnien aus wohlerwogenen Gründen lange vor dem russisch-türkischen Kriege durch Gortschakow an Österreich überwiesen sei. »Auf diese Lüge baut sich die Verhetzung auf, durch welche die ›russische Volksseele‹ zum Kriege gegen die westlichen Nachbarn im Bunde mit Frankreich vorbereitet wird.« Um so wichtiger bleibt die Tatsache, daß es Bismarck ein halbes Jahr nach dieser Äußerung und trotz der beklagten Wirksamkeit des panslawistischen Führers Katkow gelungen ist, in persönlicher Verhandlung mit dem Zaren den Draht Berlin-Petersburg wiederherzustellen und so »den negativen Pol in Paris und den positiven in Petersburg« auseinanderzuhalten.
Die englische Politik und insbesondere der Prinz von Wales haben natürlich fortgesetzt versucht, »uns gegen Rußland zu engagieren«, wie Bismarck schon im Mai 1884 geäußert hat. Auch das freundliche Bemühen Lord Randolf Churchills vom September 1886, gegen Rußland in der bulgarischen Frage Stellung zu nehmen mit der Versicherung, daß England dann »voll und loyal mitgehen« würde, war sicher einer gleich liebenswürdigen Absicht entsprungen. Allmählich aber mußte England sich überzeugen, daß Deutschland für das seit zwei Jahrhunderten betriebene Spiel nicht mehr zu haben sei und es vorziehe, eigene Politik zu treiben.
Es berührt uns heute eigenartig genug zu lesen, daß Bismarck schon zur Zeit der Befreiung Schleswig-Holsteins »dieses England mit seinen paar tausend Mann Linientruppen und seiner – dadurch halbgezwungenen – Nichtinterventionspolitik eine ganz gleichgültige Großmacht« genannt hat, »die sich nur durch ewiges tantenhaftes Bevormunden einen gewissen künstlichen Einfluß geschaffen hat, den man auf seine reale Grundlage wieder zurückführen muß!« Aber schließlich beweisen doch die Niederzwingung durch unsere U-Boote und die Siege an unserer Westfront die Berechtigung der Bismarckischen Auffassung: insbesondere dann, wenn man berücksichtigt, daß die ungeheure Macht, die es heute uns gegenüberzustellen vermag, nicht sowohl seiner eigenen militärischen Stärke, als vielmehr der Politik zu verdanken ist, die von den entferntesten Enden der bewohnten Erde alle Hilfsvölker in das deutsche Feuer führt.
Diese Politik hat Bismarck zu verhindern gewußt durch die das ganze 19. Jahrhundert beherrschenden Pflege des Gegensatzes zwischen England und Rußland.
Frankreich hatte sich dank dem Fleiße, der Findigkeit und Betriebsamkeit seiner Bevölkerung von den Schlägen des Krieges und der Kriegsschuld der fünf Milliarden ungewöhnlich schnell erholt und »Gambettas Mahnung« insbesondere darin befolgt, daß es uns die allgemeine Wehrpflicht nachahmte, ohne die Einrichtung des Einjährig-Freiwilligen-Dienstes festzuhalten, die für französische Verhältnisse auch wohl nicht besonders geeignet war. Sehr bald jedenfalls war das französische Heer an Zahl und Tüchtigkeit dem deutschen gewachsen und unsere Beziehungen zu dem besiegten Nachbarn konnten jeden Augenblick durch die Möglichkeit von Bündnissen gefährdet werden. Um dies zu verhüten, hat Bismarck die Aufmerksamkeit des Nachbarlandes von dem Belforter Loch damit abzulenken vermocht, daß er dem eroberungssüchtigen Volke neue Aufgaben wies, deren Bewältigung auch die Nebenwirkung haben mußte, einen allzu engen Anschluß Frankreichs an England zu verhüten. Insbesondere unter der kühnen Politik Jules Ferrys, dessen Verdienste sein undankbares Vaterland erst nach seinem Tode gebührend würdigen gelernt hat, benutzte Frankreich die Entfremdung zwischen der Hohen Pforte und ihren Schutzstaaten in Nordafrika dazu, 1881 die Oberherrschaft über Tunesien zu erklären. Ein alter Plan, der seit der Festsetzung in Algier immer gehegt, immer aber auch am Widerstande des auf seine Mittelmeerstellung eifersüchtigen England gescheitert war, ging damit seiner Verwirklichung entgegen. Nunmehr der englischen Zustimmung versichert, konnte Ferry das tunesische Unternehmen um so ruhiger durchführen, als Italien damals noch nicht im Dreibunde stand. Deutscherseits wurde die Landung der französischen Truppen sofort damit anerkannt, daß unser dortiger Konsul, Dr. Nachtigal, als erster von allen auswärtigen Vertretern, sich dem Bei von Tunis durch Vermittelung des französischen Geschäftsträgers vorstellen ließ. Einmal auf diese Bahn gewiesen, hat Jules Ferry dann auch die Pläne Leopolds II. zur Festsetzung am Kongo benutzt und diese noch kurz vor seinem Rücktritte durch das Vorkaufsrecht auf die Besitzungen der Kongo-Gesellschaft zum Abschlusse gebracht: wenige Tage, bevor auf der Berliner Konferenz die Begründung des neutralen Kongostaates als Ergebnis des deutschen und französischen Zusammengehens ihren Abschluß fand. Es ist jedenfalls nicht Deutschlands Schuld gewesen, wenn in Ägypten England die Verdrängung Frankreichs gelang, dessen großem Sohne Lesseps der Bau des Suez-Kanales zu danken war. Wenn man sich erinnert, mit welcher Weltfeierlichkeit einst Napoleon die Eröffnung dieser Verbindung zwischen Asien und Europa vollzogen hatte, wird man verstehen, wie sehr Clemenceau damit im Dienste Englands gearbeitet hat, daß er 1881 die Mehrheit der französischen Kammer dazu bestimmte, die Beteiligung Frankreichs an der Niederschlagung des Aufstandes von Arabi Pascha in Gemeinschaft mit England zu verweigern. England gewann damit freie Hand und konnte mit dem allem Völkerrechte Hohn sprechenden Bombardement von Alexandria und dem leicht erfochtenen Siege von Tel el Kebir im September 1882 seinen Einfluß im Nillande unter Ausscheidung Frankreichs befestigen, das dann folgerichtigerweise später in dem Marokko-Abkommen seine Entschädigung gefunden hat. Daß diese schwere Schlappe von Frankreich so leicht überwunden, daß jede Erinnerung an die siegreichen Heere des ersten Napoleon so leicht vergessen werden konnte, sprach bereits für die Stärke der Gegenströmung, die in Bismarcks Ratschlägen eine Ablenkung von Frankreichs »eigentlicher Aufgabe«, der Revanche, mit haßgeschärftem Blicke erkannte. Einstweilen hatte die Pariser Politik ihre kleine Rache gegen England darin gefunden, daß sie Frankreichs hinterindischen Besitz gewaltig ausdehnte. Wiederum hatte dies für Deutschland die gute Wirkung, daß Frankreichs entschiedenes Vorgehen gegen Anam und Tonking England ebenso auf unserer Seite hielt, wie Italien sich nach dem Verluste von Tunis zum Anschlusse an den Zweibund gedrängt fühlte. Im Frieden von 1884/85 erhielt Frankreich die Schutzherrschaft über Anam und Tonking und auch China öffnete einige Plätze seiner Grenze mit Tonking dem französischen Handel, so daß aus der Kolonie Kochinchina das nahezu eine halbe Million Quadratkilometer umfassende Indochina erwuchs, zu dem später dann auch noch siamesische Gebietsteile und im japanisch-chinesischen Frieden die Bucht von Kuangtschau durch Pacht hinzugekommen sind.
Dem französischen Kapitale bot sich mit diesen weltpolitischen Unternehmungen eine glänzende Gelegenheit zur großzügigen Spekulation, und zwar, wie durchaus festgehalten werden muß, wirklich der Geschäfte und nicht der imperialistischen Politik wegen. Aber der Tonkinger Feldzug hatte allein 322 Millionen Franken verschlungen und doch Frankreich kurz vor dem Friedensschlusse noch eine Niederlage eingetragen. Den Anhängern des Revanchegedankens und Gegnern des deutsch-französischen Einvernehmens wurde es damit ein leichtes, Jules Ferry 1885 zum Rücktritte vom Amte zu nötigen, und so mußte er zunächst den Schlußstein seiner kolonialpolitischen Pläne fallen sehen: die Eroberung von Madagaskar. Frankreich erlangte zwar im nächsten Jahre die Schutzherrschaft über die Insel, aber erst 1895 konnte die Herrschaft der Howas gebrochen und Madagaskar dem großen Kolonialreiche angegliedert werden.
Das Zusammengehen Deutschlands und Frankreichs hat uns leider in jenen Breiten um den Anspruch auf die paradiesischen Komoren gebracht, auf denen Dr. Karl Schmidt im Mai 1887 namens der Gesellschaft für deutsche Kolonisation mit dem Sultan Haschim von Bajini einen Vertrag geschlossen und die deutsche Flagge gehißt hatte. Die Inseln wurden Frankreich überlassen, das sie 1887 besetzte. Es erscheint vielleicht nicht überflüssig, heute daran zu erinnern, daß wir auf die den fruchtbaren Lavainseln gegenüberliegende Mosambikküste in dem sagenhaften deutschbritischen Abkommen, über das noch kurz vor Ausbruch des Krieges als unser damaliger Botschaftsrat Herr von Kühlmann in London verhandelt hat, einen papierenen Anspruch erworben haben, auf den der Staatssekretär Dr. Solf ja auch jetzt wieder aufmerksam macht. Diese Ansprüche gleichen als solche ihrem klassischen Vorbilde, dem Vertrage der Dido über Karthago: es hat immer ein Ochs dazu gehört, aus dessen Haut die Riemen geschnitten wurden und eine Macht, die mit Schwertgewalt den Vertrag aufrechterhielt!
Bismarck hat nicht alle kolonialpolitischen Blütenträume reifen lassen können. Aber im allgemeinen haben wir, solange er die Geschäfte führte, nicht aus unserer Haut die Riemen schneiden lassen, haben vielmehr auf tatsächlichem Machtgrunde aufgebaut. Wenn er gegenüber England nicht weiter gegangen zu sehn wünschte, als den tatsächlichen damaligen Machtverhältnissen zur See entsprach, so hatte das seine guten Gründe Siehe die Schrift: »Bismarcks erster und letzter Gedanke«. in der Verlagerung der europäischen Politik. Unser gelegentliches Nachgeben gegen französische Wünsche und das darin beruhende gute Einvernehmen mit Frankreich in Fragen starker gemeinsamer Belänge hat auch nach Ferrys Rücktritte immer noch gute Folgen gehabt, bis Bismarcks Nachfolger am 17. Juni 1890 den Vertrag mit England schloß, der unseren ost- und südwestafrikanischen Besitzungen, sowie der Kolonie Togo ihre bis zum Kriege bestandenen Grenzen gegeben hat. Wie bekannt verzichtete Deutschland in diesem Vertrage auf Witu, dessen Häuptling mit der Niedermetzlung der Expedition Künzel für diese Preisgabe quittierte, sowie auf Somali-Land und Uganda und erkannte die englische Schutzherrschaft über Sansibar an, wogegen Helgoland in deutschen Besitz kam. Über die Bedeutung dieser letzteren Erwerbung hat niemals an irgendeiner unterrichteten Stelle, am allerwenigsten beim Fürsten Bismarck, der geringste Zweifel bestanden. Wenn gleichwohl der Vertrag getadelt ist, so war dies begründet: einerseits in dem berechtigten Bestreben des Altreichskanzlers, vorzeitigem und unklugem Jubelgeschrei über die Bedeutung der neuen Erwerbung einen Dämpfer aufzusetzen, andererseits aber darin, daß tatsächlich die Erwerbung Helgolands damals um einen billigeren Preis zu haben gewesen wäre, als um die Preisgabe Sansibars, das als Insel vor den Mündungen aller ostafrikanischen Ströme den eigentlichsten Mittelpunkt des gesamten dortigen Handels bildete und ewig bilden wird. Insbesondere aber entscheidend war der schwere Fehler, daß mit diesem Sansibar-Vertrage Deutschlands afrikanische Politik von der Frankreichs für alle Zeiten getrennt wurde.
Um die Schwere dieses Fehlers zu ermessen, muß im Auge behalten werden, wie selbst zu Ferrys Zeiten, insbesondere aber seit seinem Sturze, der Gedanke der Revanche allen außereuropäischen Ablenkungen zum Trotze sich in demselben Maße verstärkte, als Frankreichs Wunden vernarbten. Bismarck nahm sehr wohl wahr, wie »die Franzosen sich in einen Rausch hineinredeten oder schrieben« und wie auch seine meisterhafte Staatskunst nicht eine zwar langsame, aber merklich sich vollziehende Achsendrehung der europäischen Politik verhüten konnte. Seine große Rede vom 6. Februar 1888 galt zwar sachlich einem Gesetz-Entwurfe betreffend Änderung der Wehrpflicht und er erklärte, daß sie nicht im Zusammenhange stehe mit der europäischen Lage; seine Begründung ließ aber keinen Zweifel am Gegenteil. Französische und russische Federn und Reden hatten hinreichend für die Klarstellung der Begründung gesorgt und die Damen am dänischen Hofe hatten das Ihrige getan. Das in Brüssel erscheinende Blatt des Ministers v. Giers sprach mit bekannter Überheblichkeit von der »Aufrechterhaltung des Friedens und des europäischen Gleichgewichtes durch ein russisch-französisches Bündnis«. Wenn etwas geeignet erschien, den aufschäumenden gallischen Übermut und das frevelhafte Spiel der Parteiführer mitsamt dem dichterischen Überschwange im Stile Déroulèdes zu dämpfen, so war es gewiß der Hinweis auf die Gerechtigkeit unserer deutschen Sache und die trotz unserer gefährdeten geographischen Lage gegebene militärische Stärke:
»Wir haben das Material an Offizieren und Unteroffizieren, um die ungeheure Armee zu kommandieren. Das ist, was man nicht nachmachen kann. Dazu gehört das ganz eigentümliche Maß der Verbreitung der Volksbildung in Deutschland, wie es in keinem anderen Lande wieder vorkommt ...
Mit der gewaltigen Maschine, zu der wir das deutsche Heerwesen ausbilden, unternimmt man keinen Angriff. Werden wir angegriffen, dann wird das ganze Deutschland von der Memel bis zum Bodensee wie eine Pulvermine aufbrennen und von Gewehren starren ...
Wir können durch Liebe und Wohlwollen leicht bestochen werden, vielleicht zu leicht, aber durch Drohungen ganz gewiß nicht. Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt, und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen läßt, wer ihn aber trotzdem bricht, der wird sich überzeugen, daß die kampfesfreudige Vaterlandsliebe, welche 1813 die gesamte Bevölkerung des damals schwachen, kleinen und ausgesogenen Preußens unter die Fahnen rief, heutzutage ein Gemeingut der ganzen deutschen Nation ist, und daß derjenige, welcher die deutsche Nation irgendwie angreift, sie einheitlich gewaffnet finden wird und jeden Wehrmann mit dem festen Glauben im Herzen: Gott wird mit uns sein!«
Die wuchtige Rede hat den beabsichtigten Eindruck wohl nur dort verfehlt, wohin sie am wenigsten gerichtet war: in Rußland ist sie als eine durch die dortigen Rüstungen hervorgerufene Herausforderung empfunden und dem entsprechend gegen Deutschland verwertet worden. Es ist die Tragik der deutschen Politik gewesen und hinfort in wachsendem Maße geblieben, daß unsere Bemühungen, zu dem Nachbarreiche, auf das wir schon unserer langgestreckten Grenze wegen hingewiesen waren, in eine annehmbare freund-nachbarliche Stellung zu gelangen, scheitern mußten am Emporsteigen der französischen Macht, die damit für Rußland als Nachbars Nachbar zum natürlichen Bundesgenossen wurde.
Aber die übrige Welt haben Bismarcks Worte in geradezu beschwörender Kraft durchzuckt. Mich traf ihre Wirkung auf meiner einsamen ostafrikanischen Station Usungula. Von Sansibar war der Bote mit fälliger Post unterwegs. Noch bevor er eintraf, kamen die Häuptlinge meines Umkreises einer nach dem anderen zu mir, um das Wort zu erfahren, das Bismarck gesprochen habe. Als ich nach Empfang meiner Briefe ihnen vorlas, was der Kanzler gesprochen hatte, ward ich an ihrem nachdenklichen »E-häh-äh!« gewahr, wie aus ihren Kokosnußschädeln das zaghafte Mißtrauen schwand, mit dem sie in letzter Zeit auf die arabisch-englischen Anzettelungen an der Küste hingeblickt hatten. Der einsamste Pionier auf weltverschollenem Posten durfte sich unter dem Schutze dieser starken Wirkung Bismarckischer Worte fühlen. Aber an der Bedingtheit dieses Schutzes haben wir alten Afrikaner am allerwenigsten gezweifelt im Hinblicke auf die Unzulänglichkeit einer Kolonialpolitik ohne entsprechenden Flottenschutz. Die »gemeinschaftliche« Blockade der ostafrikanischen Küste unter den Admiralen Deinhardt und Freemantle sollte uns das bald genug anschaulich vor Augen führen Siehe »Bismarcks erster und letzter Gedanke«..
Die hinreißenden Worte vom 6. Februar 1888 sind Bismarcks letzte große Rede geblieben. Wie zittert sie noch heute in unsern Herzen nach; wie hat sich bewahrheitet und verwirklicht, was er vorschauend damals verkündet hat!
Unzweifelhaft hat dieser heilsame Hinweis auf unsere realen Garantien damals auch in Frankreich abkühlend gewirkt. Den Elsässern hatte Bismarck wiederholt erklärt, daß ihnen entsprechend dem deutschen Verfassungsleben ein kraftvolles stammliches Eigenleben gegönnt sein möge. »Fühlen sie sich erst vollständig als Elsässer, so sind sie zu logisch, um sich nicht gleichzeitig als Deutsche zu fühlen.«
Auch das hat der Krieg über alle Halbheiten und Albernheiten der letzten Jahre hinweg gerechtfertigt. Aber andererseits hat Bismarck die Schelme, die alle »Schwobe zum Ländle nüs« wünschten, schon am 30. 11. 1874 nicht im Zweifel darüber gelassen, aus welchen Notwendigkeiten der blutige Krieg von 1870/71 geführt war.
»Das möchten die Herren doch sich vergegenwärtigen und sich nicht ihrer Stellung in dem Maße überheben, daß sie einer Körperschaft von 40 Millionen darüber Vorwürfe machen, daß sie nicht die Kirchturmsinteressen von Elsaß-Lothringen, sondern in erster Linie die Reichsinteressen verfolge. Im Reichsinteresse haben wir diese Länder in einem guten Kriege, in einem Verteidigungskriege, wo wir uns unserer Haut zu wehren hatten, erobert; nicht für Elsaß-Lothringen haben unsere Krieger ihr Blut vergossen, sondern für das Deutsche Reich, für seine Einheit, für den Schutz seiner Grenzen! Wir haben die Länder an uns genommen, damit die Franzosen bei ihrem nächsten Angriff, den Gott lange hinausschieben möge, den sie aber doch planen, die Spitze von Weißenburg nicht zu ihrem Ausgangspunkt haben, sondern damit wir ein Glacis haben, auf dem wir uns wehren können, bevor sie an den Rhein kommen.«
Diese Auffassung von der entscheidenden Bedeutung militärischer Gesichtspunkte war auf französischer Seite stets gehegt. Ludwig XIV. hatte zu oft in Baden und im Elsaß den Erfolg seiner Waffen als von Straßburg und der Sicherheit des Rheinüberganges abhängig erkannt, als daß er auf den Besitz des festen Platzes hätte verzichten können. Für ihn und Louvois handelte es sich um die militärische Sicherung gegen Habsburgs Macht. Deshalb war für ihn hinfort Baden das Glacis der Festung Straßburg und diese selbst der Angelpunkt der Stellung, die Frankreich, wie wir gesehen haben, vom Ärmelmeere bis zu den Schweizerbergen vorzuschieben und zu begradigen fortgesetzt bestrebt war.
Es liegt durchaus im Wesen dieses geschichtlichen Kampfes, daß auch jetzt wieder in dem zwischen unseren Feinden geschlossenen Geheimvertrage das linke Rheinufer Frankreich als Grenze versprochen ist.
Als nach der Entlassung Bismarcks und dem Zerschneiden des russischen Drahtes durch Caprivi der Anschluß des negativen Poles in Paris an den positiven in Petersburg hergestellt war und die französische Politik damit gegenüber Deutschland freie Hand bekam, mußte ihr die Wiederaufnahme der Überlieferung von Louvois selbstverständlich erscheinen. Die gewaltige Verstärkung, die diese Auffassung durch Delcassés und Eduards VII. Politik erfuhr, liegt heute ebenso klar vor unseren Augen, wie daß seit dem Frühjahr 1899 kein Fleckchen der bewohnten Erde noch dem Deutschen Reiche gegönnt sein sollte. Daß Frankreich bei diesem Löwenvertrage wieder einmal die Treulosigkeit des britischen Löwen außer Betracht gelassen hatte, ist sein Verhängnis geworden und jeder Hinblick auf die Einzelheiten des Verlaufes dieser geschichtlichen Abwandlung bestätigt, wie sehr es sein furchtbares Unglück verdient hat. Vielleicht würde das Schicksal Europas eine andere Wendung genommen haben, wenn nicht zur Zeit der ungeheuren Erregung, die infolge Marchands am 19. September 1898 durch Kitchener zu Faschoda erfolgter Vergewaltigung in Frankreich ausbrach, ein Ministerwechsel sich vollzogen hätte, der Herrn Théophile Delcassé an Stelle von Hanotaux an die Spitze der Geschäfte des Äußeren brachte. Hanotaux würde doch wohl versucht haben, durch Anlehnung an Deutschland, dessen Kaiser Frankreich unverwandt mit gesuchter Zuvorkommenheit behandelt hatte, der englischen Überheblichkeit Grenzen zu setzen. Aber als der durch die Niederholung der französischen Flagge gedemütigte Marchand nach Paris heimkehrte, war der Wechsel des Ministeriums vollzogene Tatsache.
Zugleich der Umschwung in der französischen Kolonialpolitik. War diese bisher als großzügiges Geschäft der herrschenden Geldmacht betrieben, so trat nunmehr der »imperialistische« Zug auch in ihr in wachsendem Maße hervor. Zunächst allerdings in einem Geschäftsfrieden mit England. So überraschend dieser kam, so verständlich war er doch im Hinblicke auf die Erklärung, die Frankreich nach den Krügerdepeschen des deutschen Kaisers abgegeben hatte: es habe nur einen einzigen Feind und diesen auf dem Festlande, England möge seine Politik danach einrichten. Jetzt reifte die Frucht dieser französischen Geduld. Herr Delcassé, der sich als Vollstrecker des Vermächtnisses Gambettas fühlte, steckte unbekümmert um die Betrübnis der Kolonialspekulanten, das kleinere Übel von Faschoda ein in der Hoffnung, das größere, Deutschlands Siege von 1870/71, mit Englands Hilfe aus der Welt schaffen zu können. Und für diese, ihres Erfolges sich in jeder Hinsicht sicher fühlende Politik mußte das Deutsche Reich als politischer Zwischenfall erscheinen, sobald sie ihr Augenmerk auf die inneren Züge des deutschen Lebens richtete. Den Engländern galt dies von vornherein als selbstverständlich. » Germaniam esse delendam «, schrieb damals »Saturday Review« und » Why not?« war die Losung in allen Klubs. Von den Subalternen-Gepflogenheiten unserer Politik waren sie stets innerlich angewidert gewesen mit den einzigen beiden Ausnahmen der Zeiten Friedrichs des Großen und Bismarcks. »Starker Arm, schwacher Kopf«, blieb englisches Urteil über Preußen-Deutschland.
Die Franzosen lernten nun wieder ebenso denken und die Erinnerungen an die Bedientenhaftigkeiten des Erfurter Fürstentages und die Rheinbundzeit frischten sich auf. Was sie nun an Deutschland am tiefsten befremdete und mit Widerwillen erfüllte, war nicht der Gegensatz zwischen dem jungen Herrscher und dem Begründer des Deutschen Reiches. Zwar haben sie die zartfühlenden Aufmerksamkeiten und Höflichkeiten, die der Kaiser ihnen erwies, oft genug mit unziemlicher Taktlosigkeit beantwortet. Aber für die Tragik in dem zwischen dem Kaiser und Bismarck aufklaffenden Risse haben doch ihre besseren Köpfe oft genug Verständnis bewiesen. Mit Ekel dagegen mußte sie wie alle Welt die Beobachtung der Stellung erfüllen, die breite Kreise unsres Volkes zu diesem Falle einnahmen.
Als der Altreichskanzler im Jahre 1891 vom Reichstagswahlkreise Geestemünde als Kandidat aufgestellt wurde, erhielt er beim ersten Wahlgange 7635 Stimmen, der sozialdemokratische Zigarrenhändler Schmalfeld 3810, der deutschfreisinnige Adloff 2576, der Welfe Freiherr v. Plate 2308. In der Stichwahl stimmten die Welfen für Bismarck, der infolgedessen 10 549 Stimmen erhielt, während auf Schmalfeld 5504 Stimmen fielen. Im Wahlkampfe hatte der freisinnige Führer Theodor Barth kein Bedenken getragen, zu erklären, daß er einen Sozialdemokraten lieber wählen würde als Bismarck!
Ehre den Welfen von Geestemünde, die damals deutschbewußt gehandelt haben, obwohl sie noch nicht in der Lage gewesen sind, die Politik ihres Fürstenhauses mit Bismarcks Augen auch unter dem Gesichtspunkte des englischen Einflusses in Deutschland zu betrachten, wie sie heute versöhnteren Sinnes es wohl tun! Den anderen hat der französische Konservative Granier de Cassagnac in seinem Blatte » Le pays« das Urteil gesprochen:
»Die Deutschen versagen Bismarck einen elenden Reichstagssitz; sie haben kein Herz: da, wo es sein sollte, haben sie nur einen Bauch, um ihn mit Sauerkraut und Blutwurst zu füllen. Hätte Bismarck für uns die Hälfte dessen getan, was er für Deutschland tat – hundert Wahlkreise würden sich um die Ehre reißen, ihn ins Parlament wählen zu dürfen.«
Im Abstande, wie die Betrachtung zwischen nachbarlich-feindlichen Ländern ihn bietet, erscheinen derartige Fehler bezeichnend für die Gattung. Die leitenden Persönlichkeiten verkörpern die schlimmen Anlagen ihres Volkes, sie erhalten und verstärken sie. So stellen im Lande des gleichen allgemeinen Wahlrechtes die Fehler eines politischen Zigarrenmachers sich nicht minder schlimm dar als die gleichen eines Staatsmannes, und aus dem Querschnitte des Ganzen mußte sich für Frankreich das Urteil ergeben, daß die Kreise, die in Deutschland das anwachsende Unheil mit der Klarheit sahen, in der es heraufzog, ohne jede Bedeutung blieben, daß dagegen die überwiegende Mehrheit des Volkes hinter der Presse und den Parteien stünde, die für das Wesen der französisch-englischen Einkreisungspolitik und die von Rußland her drohenden Gefahren keinerlei Verständnis zeigten.