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Sie habe wundervolle Haare, sagten die Leute. Und mehr als das konnte wirklich nur ein Verliebter an Chloe finden, mehr fand sie selber vor dem Spiegel nicht als: von schön keine Rede, nicht einmal von hübsch. Bis auf die Augen, die blau oder grün, groß und dunkel bewimpert diese dünne aschblonde Zärtlichkeit überbreiteten, förmlich über die Ränder der ganzen kleinen Person hinausragten. Von dem Eigentümlichen dieser Augen her empfand sie schon als Backfisch Verpflichtung, sich wesentlich zu machen, und aus dem nun einmal Nichtvorhandensein leiblicher Reize gewissermaßen eine Tugend des Geistes. Es war nichts Besonderes, was dabei herauskam, aber man fand Chloe mit achtzehn Jahren »apart«, und dabei blieb sie. Richtiger Instinkt hielt sie davon ab, das Aparte bis zum Interessanten zu steigern, woran sie auch eine gute Gesundheit gehindert hätte, die ihrem zierlichen Körper eine kultivierte Geschmeidigkeit gab. Der schlanke Bogen dehnte eine klingende Saite, aber da war keine Schönheit, die sie als Pfeil hätte auflegen und abschießen können.
Bürgerlich einfache Eltern reizten in ihrer hinlebenden, mit Erziehung und Zukunftssorgen nicht plagenden Ruhe das einzige Kind zu keinerlei Widerspruch und dessen Folgen des Andersseinwollens. Ein für die dem Stande entsprechenden Bedürfnisse gut reichendes, ohne Sorgen sicheres Renteneinkommen machte Gedanken und Reden der bejahrten Alten über die künftige Mitgift Geldes oder häuslicher Talente überflüssig, und was Chloe betraf, so war ihr der Mann nichts weiter als ein im allgemeinen ganz amüsant gedachtes Faktum, das eben einmal ins Leben treten würde, worüber aber Spezielles nicht zu denken sei. Die kindhafte Leiblichkeit des Mädchens brachte keinerlei Überschüsse für eine sinnliche Phantasie hervor. Aus ihrer Lektüre dachte sie sich einen geistreichen Mann als den zu ihr passendsten -- das war alles.
Mit neunzehn hatte Chloe immer noch schlankdünne Arme und Beine eines Jungen, und ihre Brüste -- »meine gehen in eine halbe Zitronenschale«, sagte sie einer Freundin, welche das Ausmaß der ihren -- man war auf dem Wege ins Dampfbad -- mit einer nicht zu kleinen Teetasse angab.
Für alle war Chloe ein lustiges Ding. Aber auf ihrem Grunde war sie traurig, was beides sich zu einer melancholischen Gaminerie mischte, die der schlenkernden Physik vollkommen entsprach. Bar jeden praktischen Sinnes war sie intelligent und enthusiastisch, ohne doch irgend etwas ernst zu nehmen. Jede Verstimmung leerte ihr das Herz völlig aus, besonders wenn es regnete. In solchen Stunden ihrer Mondsüchtigkeit, wie es die Mutter nannte, riegelte Chloe die Zukunft ihres Lebens damit ab, daß sie sich diese als Krankenschwester mit keinerlei Überzeugung von ihrem Beruf vorsetzte. Ohne übrigens in den Zeiten der besten Laune das Glück der Zukunft in mehr zu sehen, als an der Seite eben des geistreichen Mannes in einem hübschen Palais zu wohnen und elegante Leute bei sich zu empfangen.
Das schlimme Schicksal ließ Chloe das Los ihrer glücklich vermeinten Zukunft ziehen, indem es sie Peregrin treffen ließ, den ihr halb zigeunerhaftes, halb mondsüchtiges Wesen bezauberte, auch dann noch, als er das Ganze nur unerzogen fand, und dessen dunkles Gesicht, tumultuöse Augen und fast mondäne Eleganz Chloe entzückten, auch dann noch, als sie fand, daß ihm noch der letzte Schliff fehle. Peregrin beschloß, Chloe zu erziehen, und Chloe nahm sich vor, ihm den letzten Schliff zu geben. Mit solchen Erkenntnissen und Absichten machten sie nach vierwöchiger Verlobung Hochzeit.
Bei der Hochzeit schwuren sie einander mit der erstaunlichsten Überzeugung eine unwahrscheinliche Treue ohne jede mentale Restriktion, denn sie waren jung und gesund, Peregrin um vier Jahre älter als die zwanzigjährige Chloe. Da er mit neunzehn Jahren Herr über ein sehr beachtliches Vermögen geworden war, hatte ihm eine kleine Reichtumshysterie so gut wie gar keine Zeit gelassen, irgend etwas mit einigem System zu treiben, das sein Beruf werden sollte. Er dilettierte nicht einmal, sondern begnügte sich darin, mit leidlich gutem Geschmack Geld auszugeben. Eitel und leichtsinnig, faul und schwach, war es nur natürlich, daß er in Affären mit Frauen das Leben fand, das ihm als Tätigkeit erschien, weil es ihm zu tun gab. Eifersüchtigen Wesens wie alle eitlen Männer, hatte er sich auf die ganz leichtfertigen Abenteuer der Straße nie eingelassen, vielmehr dem Theater seine Aufmerksamkeit geschenkt, das er in seinen drei Arten, Schauspiel, Oper, Ballett in je einem Exemplar geliebt hatte. Chloe war sein viertes Frauenerlebnis. Da er verliebt und hier für ein Verhältnis nichts zu erreichen war, kam ihm der Entschluß, Chloe zu heiraten, ohne besondere Überlegung wie eine ganz selbstverständliche Sache.
Die ersten zwei Jahre lebten sie von der Liebe, und das will sagen, sie probierten aneinander ihre Absichten, Peregrin die seine, Chloe zu erziehen, diese dawider, Peregrin die letzten Feinheiten beizubringen. Und so begannen zu irgendeiner Stunde des Tages diese seltsamen Verzweiflungen, wo jeder seine eignen Besonderheiten aufschnappen läßt wie die Klinge eines Federmessers, und diese Klingen -- man war in ratlosem Staunen darüber, wie man sich gegenseitig verwundete, sah dieser selbstläufigen Grausamkeit zu, suchend wie Einhalt schaffen, ohnmächtig. Zu irgendeiner Stunde jeden Tages begann dies und endete in einem nächtlichen Leib an Leib, verzweiflungshaft in den Umarmungen das zu erdrücken versuchend, was tagsüber wie boshafte Qual zwischen ihnen stand. So lebten sie zwei Jahre von der Liebe. Chloes knabenhafte Eckigkeit rundete sich, und um ihre Augen lag es bläulich wie das Innere von Muschelschalen. Zärtlichkeit, die der Tag sie entbehren ließ, suchte die Frau in diesen Nächten, und das drängte sie in Mannigfaltigkeit der Hingabe und Steigerung des leiblichen Vermögens ohne Grenzen. Aus den Ermattungen blieb dann so viel, daß es den Vortag überschattete und den Worten, fielen sie später, etwas von der grausamen Erbarmungslosigkeit nahm, die sie in der ersten Zeit hatten. Noch lebte man tagsüber nicht nebeneinander, aber das Miteinander war scheu und dumpf. Beide aber wären, gefragt, ob sie sich liebten, erstaunt über solche Frage gewesen. Chloe konnte sich Liebe, die über die ihre hinausginge, nicht denken. Denn nicht als Trübung dieser Liebe nahm sie ihr innerlich Widersprechendes, sondern als eben zu ihrer großen Liebe ganz besonders gehörend. Zudem gab es im ganzen nicht zu großen Kreis ihres Umgangs keinen, der bezweifelt hätte, daß sie das glücklichste Paar abgaben. Überall trafen sie auf das Lächeln, das man glücklichen Liebesleuten halb neidisch, halb wohlwollend schenkt.
Bis eines Tages Chloe über den offenen Teetopf einen Briefumschlag, dessen Parfüm sie intrigiert hatte, hielt, damit sich das Kuvert im Wasserdampf ohne Schaden löse. Sie las und sagte: »Also es ist aus. Er liebt mich nicht mehr. Der, den ich so liebte, liebt mich nicht mehr. Den ich so liebte. Lohnt das Leben noch die Mühe?« Und sie sank ohne Aufhalten in ihre große Mondsüchtigkeit, die sie vor das Nichts der großen Leere stellte. Lohnt das Leben? So über die Maßen groß hatte sie ihre Liebe gemacht, daß sie in ihrem Verlust nun den Verlust alles Sinnes zu leben sehen kann. »Es ist alles aus. Er liebt mich nicht mehr, da er mich betrog.« Die Vorsicht beim Brieföffnen war überflüssig gewesen, denn sie konnte ihn ja nun offen liegenlassen, wo er lag, da alles zu Ende ist. Peregrin war ausgegangen, und sie wußte, er kam nicht vor Abend. Sie hatte also alle Zeit für sich. Da sie den Selbstmord durch einen über sie wegfahrenden Eisenbahnzug beschlossen hatte, machte sie Toilette und zog, sehr sorgfältig wählend, ihre schönsten Dessous an. Denn er sollte von dem zerstückelten Körper sehen, wie schön sie gewesen, die er für weiß Gott für eine verlassen hatte, für ein Fräulein Nora Kersavenn, das so geschmacklos ist, ihre Briefe mit Chirpe zu parfümieren und Peregrin mit »mein Bibi« anzureden.
Der Schnellzug, den sie sich ausgesucht hatte, blieb aus, und sie erkannte den Umstand nicht im mangelhaften Lesen des Fahrplanes, sondern nahm es als Geheiß des Schicksals auf: du sollst leben. Das schien ihr auch die gutmütig langsam daherschnaufende Maschine des Lastzuges zuzustöhnen: schau, das Leben ist beschwerlich, aber man lebt.
Zu Hause löste sich der stärkste Schmerz in Tränen, die Chloe an Peregrins schöner Weste zerdrückte. Wort gab es keines zwischen den beiden. Der Untreue zog er bei der Offenkundigkeit seines Ehebruchs intelligent die reuevolle Zerknirschtheit vor, in die er sich so gut versetzte, daß, wie Chloe merkte, auch seine Augen feucht wurden. Von der Selbstmordabsicht blieb nichts als der rasch aufhuschende Gedanke, daß sie ihre besten Dessous immerhin ganz à propos angezogen hatte.
Ist das alles, was davon bleibt? dachte sie andern Morgens. Nicht mehr? Mit dem Enthusiasmus des Schmerzes hatte sie in den Tod gehen wollen, und heute soll davon nur etwas bleiben, das, in Worte gebracht, nicht mehr gab als ein »wie dumm«? Peregrin hat recht, ich nehme nichts ernst. Und sie machte den Versuch, die Sache ernst zu nehmen. Ein wenig mit Peregrins Nachhilfe, der am fünften Tage nach dem Vorfall einen ganz leisen Chipreduft mit nach Hause brachte.
»Ich möchte Sie sehen und sprechen. Fühlen Sie das gleiche Bedürfnis, so geben Sie mir Zeit und Ort an, einen neutralen Ort. Chloe.«
Nora Kersavenn gab das von Chloe kaum erwartete Rendezvous in der Herz-Jesu-Kirche, zu einer Stunde, wo kein Gottesdienst das Haus füllte. An einem Seitenaltar knieten vor der Schmerzhaften ein paar Frauen im Gebet, und eine von ihnen -- Chloe erschrak doch ein bißchen -- erhob sich, blickte sich nach ihr um. Nicht groß, dunkel gekleidet, einen Strauß Parmaveilchen am offenen Mantel, kam sie auf Chloe zu, lächelte ein wenig und zog ihr Gesicht in eine Frage. Chloe nickte, worauf die andere eine tiefe Verbeugung machte. Wie bei Hof, dachte Chloe. So müssen sich Marie Antoinette und Fräulein Dubarry begrüßt haben, dachte sie und knickste ebenfalls. Denn diese Formalität des Zeremoniells schien ihr zu dem Seltsamen dieser Zusammenkunft zu gehören. Sie ist kaum mehr gepudert als ich, dachte Chloe. Aber ihr Lippenrot ist besser als meines. Dafür sind meine Augen lebhafter. Gott, wie dumm, erst einundzwanzig Jahre alt zu sein! Man ist immer gegen die Ältere im Nachteil. »Gehen wir dort hinüber«, sagte Nora Kersavenn mit der zarten Stimme der vollendeten Hübschlerin, »in diese Seitenkapelle flüchte ich manchmal.«
Die beiden Frauen knieten nebeneinander nieder. Ich überrage sie trotz meiner Kleinheit, konstatierte Chloe, womit sie den Nachteil ihrer Jugend etwas ausgeglichen glaubte.
»Ich bin glücklich, Sie zu sprechen, gnädige Frau, ich habe immer schon den Wunsch gehabt, aber es sind Grenzen ... nun, Sie haben sie überschritten.«
Sie hat einen verblüffend echten Ton, dachte Chloe, sagte aber gar nichts, sondern ließ den Blick hart auf die andere fallen.
»Ich habe Ihnen so viel zu sagen -- Sie auch, nicht?«
»Nein«, sagte Chloe, und ihre Stimme klang glasig und spröd gegen das samtige Organ der andern. »Ich habe Ihnen eigentlich gar nichts zu sagen. Ich wollte Sie bloß sehen.«
»Das ist zu schmeichelhaft. An mir ist nicht viel zu sehen. Und hier in diesem Dunkel seh' ich leicht jünger aus, als ich bin. Und ich bin dreißig --«
Das lügt sie, dachte Chloe, an die Vierzig.
»-- und meine Gesundheit ... ich bin nur ein Nichtschen, meine Gesundheit gestattet mir keinerlei Exzeß, von keiner Art«, und Nora lachte reizend.
Chloe sah zu dem Altarbild hinauf und hörte wie von fern die andere sagen:
»Ihr Mann ist mein Freund, nichts sonst, fast mein Sohn.«
»Er hat schon eine Mutter«, meinte Chloe und schob die Lippen von den Zähnen, als ob sie lächelte. Aber Nora Kersavenn, von so wenigem nicht aus der Fassung gebracht, lächelte auch und meinte bescheiden:
»Aber ich, ich habe keinen Sohn, gnädige Frau.«
Chloe erhob sich. Sie hatte genug gesehen und, wie sie glaubte, in dieser kleinen Viertelstunde mehr gelernt als in allen ihren einundzwanzig Jahren. Wenn ihr auch nicht ganz deutlich war, was sie gelernt haben sollte.
Auch Nora Kersavenn hatte sich erhoben, stand nun vor Chloe, lächelnd.
»Wir sind Freundinnen, nicht?«
»Bis zur Kirchentür.«
»Dann -- bis dahin. Nehmen Sie die Veilchen, wollen Sie?« Und sie verbeugte sich leicht.
Chloe hielt den Strauß in der Hand und folgte der andern langsamen Schrittes. Sie trat vor die Tür, als der Kutscher eines korrekten Wagens um Nora Kersavenn die Wagendecke richtete. Chloe trat etwas näher und warf mit einer sicheren, leichten Geste den Strauß der Frau in den Wagen, die tat, als ob sie nichts merkte. Das Pferd zog an.
Da fiel es Chloe ein. Als sie damals nach der Trauung aus der Kirchentür trat, rief unter den Neugierigen ein junges Mädchen: »Hurra, die Braut!« Und da hatte sie übermütig dem Backfisch ihr Brautbukett zugeworfen. Und jetzt dieser Frau die Veilchen. Tut man immer wieder dasselbe? dachte sie und empfand auf einmal das Zusammentreffen mit der Geliebten ihres Mannes sehr sinnlos.
Von nun an lebten Chloe und Peregrin nicht mehr von der Liebe, sondern von der Geschicklichkeit ihrer Lüge. Der Kampf der Federmesser war nicht mehr, aber auch nicht mehr das nächtliche Ringen wie früher, das aus Schmerz und Verzweiflung die Wildheit bekommen hatte, die im zeitweiligen Vergessen ertränkte, was anders aus dem Bewußtsein nicht zu löschen war. Die laue Konjugalität in schlafschwerer Finsternis trieb nichts und vertrieb nichts. Kaum daß der Atem sich kürzte, der einen winzigen Seufzer, dem Lust nicht anzuhören, trug. Ihre verlangenden Sinne duldeten, mehr war es nicht. Riß sie früher Umarmung über sich selbst hinaus, weil sie auch die nach Zärtlichkeit hungernde Seele an den Leib spannte, so war es ihr jetzt, als bliebe sie mit ihrem Wesentlichen unbeteiligt, wodurch jede Liebkosung ins Gemeine der leeren Form sank. Peregrin deutete sich diese Wandlung als einen glücklichen Versuch Chloes, sich ihm neu zu zeigen und ihn die andere vergessen zu machen. Es sollte Anerkennung sein, als er zu Chloe sagte: »Es ist längst aus, du weißt ...« Aber Chloe verstand erst gar nicht, was er meinte, und daß er jene Nora meinte. Denn sie wußte schon um seine dritte Geliebte seitdem und gab dem keinerlei Gedanken. Sie hatte selbst zu tun.
Nicht alles, aber das meiste lernt die Frau vom Manne, dem ahnungslosen Lehrer. Chloe lernte so gut sie konnte von Peregrin. Sie log und betrog ungeschickt, aber untreu war sie mit großem Talente. Sie betrog so ungeschickt, daß Peregrin in der dritten Woche über Chloes Beziehungen zu Machaquito kaum mehr Zweifel hatte.
»Hast du ...? Schwöre!«
»Nie im Leben! Was denkst du!« log Chloe.
»Aber der Idiot hat dich geküßt!«
In diesem Akt sah Chloe kein Zeichen von Idiotie und begann darüber eine Diskussion, in die Peregrin mit einem »Ja oder Nein?« hineinfuhr. Chloe: »Nein.« Peregrin: »Aber du liebst ihn, diesen Strizzi!« Chloe: »Wieso Strizzi? Was ist das, ein Strizzi?« Sie stand auf. Sie wollte ein Wörterbuch holen. Da faßte sie Peregrin, ganz blaß bis in die Zähne, am Handgelenk, und sagte: »Ein Wort nur. Liebst du mich? Sag --«
Da fiel Mitleid in Chloes Herz. Sie sah ihren Mann an, und es zog sich schmerzend in ihrer Brust zusammen, denn nun mußte sie ihm weh tun, und er ist doch ein Mann.
»Liebst du mich, Chloe?« fragte Peregrin noch einmal, ganz ohne Ton in der Stimme, ganz grau in der Stimme, und ließ wie ohnmächtig seine Hand von ihrem Gelenk. Chloe aber mußte es nun sagen.
»Nein. Ich liebe dich nicht. Den andern.« Ihre Stimme war weich, als spräche sie zu einem kranken Kind. »Ich habe gelogen, nur damit Frieden ist. Aber jetzt sag' ich die Wahrheit. Ich liebe Machaquito.«
»Du warst seine Geliebte?«
So leise, wie er das fragt, Mund fast an Mund, kommt ihre Antwort:
»Ja.«
Sie fing die Hand auf, die sie schlagen wollte, und dann die andere, die ausholte, und es war ein böses, stummes Raufen auf dem Kanapee, in dem ihre schwachen Arme Kraft über die stärkeren des Mannes behielten. Der über ihr jetzt ihre Rechte und ihre Linke klammernd spreitete, daß sie schwer atmend eine Weile lag wie gekreuzigt und sie Blut über die Gelenke fließen fühlte. Da riß sie sich los und schlug ihn mitten ins Gesicht. Sein Kopf schwankte auf ihren, und er biß sie in die Wange.
Peregrin besaß in einer kleinen Landstadt ein Schlößchen, wo man in diesem Jahre den Sommer zu verbringen beschlossen hatte. Aber man ging schon im April hin, zwei Tage nach Chloes Geständnis. Die Situation war verworren und konnte es nicht bleiben, blieb es, wenn Chloes Freund und Peregrins Freundinnen schnell erreichte Zuflucht boten. So lagen neun Eisenbahnstunden zwischen jenen und dem alten gelben Haus, in dem die beiden mit sich und ihrer Sache allein waren in unvermeidbarem Gegenüber, aus dem es feiges Entrinnen nur zu sich selber gab, und das Gewissen, dachte Chloe, ist keine so beruhigende Gesellschaft wie eine gefällige Frau oder ein zärtlicher Freund.
»Ja«, sagte sie, und es war das erste Wort seitdem, und die Wunde hatte einen Schorf, »ja, jetzt sind wir ja, wie man sagt, quitt, mein lieber Peregrin. Wir haben einander betrogen und ganz besonders, als wir uns heirateten.«
Chloe hatte sich als Zeichen ihrer Witwenschaft, wie sie es meinte, einen kleinen Tüllschleier auf ihr blondes Haar gesteckt, was aussah wie eine Taube auf einem ganz kleinen Weizenschober, und flog vom Haus in den Park und aus dem Park ins Haus, sich rührend zwei Tage lang, daß die Wirtschaft in den rechten Gang kam, der auch das wenige galt, was sie mit Peregrin sprach. Bis zu dem Augenblick, da nichts mehr zu schaffen war und die Arme an den Leib fielen und es kein Ausweichen vor Peregrins Blick mehr gab -- »ja, ganz besonders, als wir uns heirateten«.
Peregrin glaubte den Ausweg gefunden zu haben.
»Du hast mich ja angelogen, Chloe, ja, ja. Du mußtest deine Rache haben und meine Bestrafung. Aber laß das nun. Es ist genug.«
»Angelogen?«
»Ich weiß es ja, du bist eine anständige Frau, wie tätest du das!«
»Ich sprach die Wahrheit, Peregrin.«
»Nein, Chloe, Wunsch vielleicht, rasch verscheuchter, möglich. Die Tat selber, nein. Sieh, es gibt Frauen, die durch den Ehebruch komisch werden. Du bist eine solche Frau. Und bist lieb wie immer, schön wie je. Du hast mich angelogen, Chloe.«
Chloe sah ihn an. Hatte er wirklich Tränen in den Augen?
»Ich kann ohne dich nicht sein, Chloe«, sagte er klagend.
Nur deshalb? dachte Chloe. Nur weil er ohne mich nicht sein kann? Und ich? Der weinende, um sich selber weinende Mann reizte sie, daß sie auffuhr:
»Kann auch Bibi nicht ohne mich sein?«
Diese naive Erinnerung an die fast schon vergessene Viertletzte ließ ihn denken, daß Chloe doch töricht sei, und davon bös gemacht, fragte er schief heraus:
»Weißt du, was Machaquito auf deutsch heißt? Bubi.«
»Das hat er mir selber oft genug gesagt«, log Chloe und dachte: Es ist wie mit dem Veilchenstrauß und dem Brautbukett. Das einmalige ist das, was sich auffallend wiederholt. Gott, Gott!
»Hat er es dir gesagt?«
»Und vieles noch, was man einer anständigen Frau nicht sagt.«
»Chloe!«
Aber schon war sie draußen und hielt sich am Türgriff. Das Herz schlug ihr aus dem Halse. So nicht, dachte sie. So geht's nicht. So schneiden wir uns den Hals ab und fahren doch zur Hölle.
Auf dem eilenden Weg in den Park stieß sie auf den Briefträger. Zwei Briefe von Machaquito. Sie lief mehr als sie ging dem Gewächshaus zu. Da war hinter den fleischigen Gummibäumen und frühem Flieder ein versteckter Winkel mit Rohrstühlen zu einem Sitzplatz gerichtet. Es roch nach Humus, Wärme und Pflanzenatem, aber Chloe war weit weg bei ihrem Freund, roch Tabak und Haut und das Haar im Nacken. Und hörte seine Stimme weich wie eine streichelnde Flaumfeder Worte sagen, dieses verliebte kinderhafte Fragen »Liebst du mich?« und wie er ihr Nicken in die Worte übersetzte: »Ich liebe dich, ich liebe dich mit meiner ganzen Seele.« Sie dachte: Du sagst Dummheiten, Lieber, aber sie sagte: »Ich finde deine Stimme schön warm.« Und er weiter: »Nicht wahr, wir werden uns immer lieben, mein Liebes?« Was für ein Geschwätz, dachte Chloe, aber sie sagte: »Immer.« Er wieder: »Sag mir, Kleines, daß du mich über alles in der Welt liebst.« Sie sah sein Herz schlagen. Und legte ihr Ohr daran, vorsichtig, die gerundete Hand wie eine Muschel davor. Dann die Lippen auf die Stelle und saugte den Herzschlag. Da zog Machaquito den Kopf an seinen Mund, und ohne ihre Lippen zu berühren, trank er tief ihren Atem. Ach, warum konnte er den Reiz der verbotenen Frucht nicht darin finden, daß sie verboten ist, dachte Chloe. Ist es denn die Frucht? Es gibt doch Menschen, welche Pfirsiche vorziehn. Die Männer sind alle dumm, der eine früher, der andre später.
Chloe hielt ein Häufchen Papierschnitzel in der Hand. Sie hatte die Briefe ungelesen zerrissen.
Es wurde dunkel in dem grünglasenen Gehäuse. Sie wischte die Augen. Aber es war der Gärtner, der draußen die Läden über die schiefen Fenster legte, einen nach dem andern, mit einem kleinen klappenden Geräusch. Die Sonne stand im Mittag. Man begräbt mich am hellichten Tag, dachte Chloe. Ich werde im Sommer sterben, dachte Chloe.
Sie ging ins Haus.
Vor ihrem Spiegel schnitt sie ihr Haar ab, das Machaquito so liebte, und schickte es ihm mit einem Brief:
»Ich liebe Dich. Ich liebe ihn nicht. Aber er ist unglücklich. Hier hast Du meine schönsten Federn als Zeichen meiner Trauer um Dich. Deine Chloe. P. S. Verbrenne meine Haare wegen der Milben, die sich draus entwicklen. P.S. Aber tu es auf dem Klosett, wegen des Gestankes.«
Sie sah aus wie ein Kanarienvogel in der Mause.
»Wir müssen uns ein Programm machen, Peregrin«, begann Chloe entschlossen am andern Tage beim ersten Frühstück, als sie aus den bettelnden Augen des Mannes fühlte, daß nun wieder ein Tag sinnloser Zwiesprache anheben würde, die dann weiß Gott wie endet. »Ich habe so für mich schon meine Pläne, aber du mußt auch etwas tun. Warum gehst du nicht auf die Jagd? Die sechs Pferde im Stall stehn zuviel, reite. Fang einen Prozeß mit einem Grundnachbarn an wegen der Flurgrenze. Bau dem Pfarrer einen neuen Kirchturm für den abgebrannten. Werde Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, des Gesangvereins, aber tu nur irgend etwas.«
»Es ist ja nur eines zu tun, Chloe.«
Sie blickte fragend.
»Ich kann nicht leben ohne dich!«
Unter fünf Tränen, die Peregrin weinte, konnte manchmal eine echte sein. Chloe schlug einen Haken, um dem Gespräch zu entgehen. Sie setzte sich die seidene Teehaube auf den Kopf, daß die blonden Zacken darunter verschwanden. »Ohne meine Haare«, sagte sie, »ist an mir gar nichts zu finden.«
»Was ist dir da auch eingefallen, Chloe?«
»Das hängt mit meinen ernsten Absichten zusammen. Ich will mich in der Philanthropie betätigen. Du wirst deine Geschäfte haben, und am Abend erzählen wir uns davon. Sieh, Peregrin, das andere, was wir reden, wie wir es auch anfangen und damit umgehen, als ob es alte venezianische Spitzen wären, es ist doch nur unsere schmutzige Wäsche, die wir waschen.«
»Meine?«
»Und meine.«
Peregrins echte Gefühle haben nicht immer alle einen echten Boden. Die wenigen Tage, die er hier war, hatte er doch schon gefunden, was er nicht erst zu suchen brauchte, so ganz war seine Bereitschaft immer auf das Finden wie selbstverständlich gerichtet. Ein so kleines Nest konnte es gar nicht geben, daß es für Peregrin nicht etwas beherbergt hätte. Das Judenmädchen hatte ihm beim dritten Treffen erlaubt, sie hinter das Ohr zu küssen, nachdem er mit den Haarspitzen angefangen und dann bis zu den blanken Zähnen gekommen war. Was heute an der Reihe sein würde? dachte Peregrin und fühlte sein Blut zu Chloe erregt aus einem zwittrigen Gefühl, daß es köstlich sein müsse, sie damit zu strafen, daß er sie umarme, ohne ihr Wissen um seinen Betrug.
Chloe sah den Mann, fühlte ihn. Sie traute sich alles zu, jeden Widerstand. Aber er mußte mit dem größten Einsatz gewonnen sein. Die mächtige Teehaube über dem Gesichtchen, stand sie mit halbgeschlossenen Augen, lächelnd offenen Lippen gegen das von der Veranda herströmende Licht, das durch das ganz Leichte ihres Morgenkleides den Körper deutlich schattierte, stand und hielt mit zwei Fingern jeder Hand ganz leicht ihr Kleid dort, wo es die Spitzen der Brüste berührte, stand so ein paar Sekunden nur, denn sie hatte sich zuviel zugetraut. Peregrin hob sie auf wie ein ganz Leichtes, stieß die gefallene Teehaube mit dem Fuß weg und trug Chloe in sein Schlafzimmer.
»Aus mir ist schon nicht klug zu werden«, sagte Chloe am Nachmittag und strich verzweifelt mit den Händen über ihren aufrecht schlanken Körper, wie um ihm zu sagen, daß der nicht schuld sei. Aber wer? Wer?
Peregrin war es, der nun vom Programm anfing. Anderntags wollten beide richtig darangehen. Er seinerseits wollte heute schon anfangen und auf den Anstand. Chloe nickte nur. Sie spürte etwas Falsches in dem, wie er die Worte in diesen mitteilenden Satz brachte, der allzu korrekt konstruiert war, als daß er einen spontanen Einfall ausdrückte, wie es Peregrins Gesicht haben wollte. Als er etwas später unten an der Terrasse vorbeiging, sah sie ihm nach und sagte unwillkürlich halblaut: »Adieu, Bibi.« Sie erschrak darüber ein bißchen, denn es war keinerlei Bitterkeit in ihrem Herzen.
Die Nacht lag schon blau um das Weiße auf dem Korbstuhl, als Peregrin nach Haus kam. Er trat auf Chloe leise zu, die mit offenen Augen lag und um den Tod, um die Liebe, um Gott ihre Gedanken gehen ließ, wie man um ein Haus geht, die Eingangstür zu finden. Ganz erschöpft und in einem Fieber lag sie so, als Peregrin sein Gesicht über das ihre beugte. Sie drehte nur die Augen von ihm weg, aber er blieb über ihrem Mund -- will er hören, ob ich noch atme? Im Sommer erst kann er mir den Flaum auf den Mund legen. Erst ist April. Und da er sein Gesicht nicht wegtat, blies sie und blies noch einmal nach ihm, wie nach einer Fliege, die man verscheuchen will.
Chloe besuchte die fünf Damen des Ortes, die sich die Wohltätigkeit auferlegt hatten, und unterrichtete sich über die ortsüblichen Aufgaben und Möglichkeiten des sozialen Liebeswerkes. Gott, es gebe ein Spital und ein Armenhaus, und dann sei auch noch ein Waisenhaus da, welches letztere aber nur eine sehr bedingte Aufmerksamkeit verdiene, denn es seien da, nun, unter uns, und da die Frau Baronin ja unterrichtet sein müsse, es seien da auch Waisenkinder, die nur gewissermaßen von einem Vater her wären, kurz und gut, es gebe einige Jungfernkinder darunter, und das dürfe man eigentlich nicht unterstützen, im Gegenteil. Überhaupt erschwere die Unsittlichkeit der unteren Stände außerordentlich das soziale Fürsorgewerk. Um diesem heiklen, aber, wie es schien, die fünf Frauenspersonen sehr beschäftigenden Thema zu entgehen, sagte Chloe, sie denke sich hauptsächlich dem Spital zu widmen und würde sich freuen, die Damen bei sich zum Tee begrüßen zu dürfen. Die Aussicht, sagen zu können, man sei auf das Schloß geladen, machte die fünf in übertriebener Weise liebenswürdig, und jede wollte nun zeigen, daß sie nicht die Nächstbeste sei, und welche Verdienste, Titel und Orden Vater, Gatte, Onkel oder Großvater besitze, und was der Landeshauptmann bei seinem letzten Besuch von ihnen gesagt habe. Chloe hielt aus bis zum Schluß, wo sie die guten Weiber wieder damit perplex machte, daß sie mit größtem Ernst erklärte: »Ach, sehen Sie, das Charitative, das meine ich gar nicht, daraus mache ich mir nicht so viel. Ich tue das nur aus Sozialismus. Ich kann die armen Leute nicht ausstehen. Wir in der Stadt sind jetzt alle im Sozialismus.«
»Wir in der Provinz sind noch nicht soweit«, glaubte die Bürgermeisterin die Autorität wahren zu müssen.
Chloe zog sich sehr schön und mit vielem Schmuck an, als sie das Armenhaus besuchte -- man muß sie doch zu einem verführen, und anders, einfach angezogen, wie du meinst, Peregrin, hätte ich keine Sicherheit vor ihnen, denn man geniert sich doch, nicht?
Chloe bekam von den Armen recht, die sie entzückt anstarrten wie ein Wunderbild, das zu ihnen niedersteige und ihre Armut nicht zu armselig finde und ihren Schmutz nicht zu stinkend, daß der Reiche einen Staubmantel über seine goldenen Kleider anzieht, um sie zu schützen.
Schöner als die Kaiserin war sie, sagte eine Neunzigjährige, die seit siebenundzwanzig Jahren erzählte, wie die Kaiserin aussah, die damals das Armenhaus besucht hatte. Nicht die Speisung mit Wein und Braten machte das alte Spittelvolk glücklich, sondern der Blick auf den Reichtum und des Reichtums voller Blick auf ihre Armut, was ihnen etwas wie eine Gewißheit menschlichen Zusammenhanges gab, wozu aber die deutlich wahrnehmbaren Unterschiede nötig sind. Der in all seinem Reichtum herkommende Mensch gibt dem Armen das Mitgefühl, ein Mensch zu sein. Der Reiche, der sich einfach macht in Gehaben und Kleidung, verbittert den Armen zum armen Teufel.
»Ja«, sagte Chloe, als sie am Abend das Peregrin auseinandersetzte, »man muß unter die Menschen gehen, damit man ein Maß der Dinge bekommt.«
Peregrin hatte unterdessen das Judenmädchen besucht, was ihn nicht hinderte, Chloe in ihr Schlafzimmer zu begleiten und darin zu verweilen bis in den Morgen. Er liebte Chloe ohne jeden Gedanken an Rache oder Strafe, und sie ließ es geschehen und dachte nur zwischendurch: Gott ... Gott ...
Die Baronin besuchte das Spital. Sie hatte Weiß aufgelegt, um vor den Kranken nicht zu gesund auszusehen, obwohl sie blaß genug war und um ihren Mund es leicht grünlich schimmerte. Ganz früh war sie zu dem Gang aufgestanden, denn man dürfe es sich nicht bequem machen, wenn es den Sinn haben solle, Hilfe zu bringen vor dem eigenen Leben. Ob sie nicht gelben Puder nehmen solle, hatte sie sich überlegt. Er macht krank aussehend.
»Zeigen Sie mir den Fuß«, sagte sie tapfer zu einem, dem ein stürzendes Faß das Bein zerquetscht hatte.
»Erzählen Sie mir, wie das passiert ist.« Der Mensch streckte seinen Stumpf hin, von dem die pflegende Schwester die Bandagen abwickelte. Chloe wurde übel, aber sie nahm sich zusammen und sagte: »Na, schön schaut das ja nicht aus«, legte rasch ihre Bonbons und Blumen dem Patienten auf die Decke und entfernte sich. Verärgert war sie, daß sie nicht das leiseste Mitgefühl empfand, und mußte doch hinken, als sie ging. Sie schämte sich ihrer gesunden Füße und hinkte wahrhaftig ein bißchen mit dem linken Bein, als sie durch die magere Stadtanlage schritt, in der es mehr Aufschriften als Bäume gab.
Sie erkannte erst nach den paar Begrüßungsworten das hagere, verschrumpfte Wesen, das auf sie zugekommen war, als eine der Wohltätigen, die Frau Posthalterin, die ohne Übergang vom Spital auf den allgemeinen Satz sprang: »Ja, wenn wir Frauen nicht zusammenhielten« und auf das Gesicht Chloes hin gleich anfügte: »Unsere Männer.«
Wenn man die sechste wohltätige Dame ist, muß man das mit hinnehmen, dachte Chloe, denn es wird dazu gehören. Also die Posthalterin habe es von ihrem Mann, und der habe es vom Apothekereiprovisor. Der ist nämlich ein großer Botaniker und viel im Wald. Kurz, Chloe erfuhr das Judenmädchen in den vertraulichen Andeutungen, die eine Frau Posthalterin einer Frau Baronin machte, wo Post und Baronie zur Andeutung, daß beide aber Ehefrauen sind, zur Vertraulichkeit verpflichtet. »Der meine hat mir auch manches in der Hinsicht aufgeführt«, wollte die Säuerliche zu trösten anfangen, aber Chloe blieb stehen und verabschiedete sich.
»Wir wollen reisen«, sagte Chloe. Peregrin war sofort bereit, auf der Stelle. Chloe dachte, man erfährt es immer erst, wenn es bei ihm schon wieder aus ist. Wozu es dann überhaupt wissen? Ändert denn das Wissen etwas? Es bleibt doch alles ganz gleich. Peregrin nahm das Reisen auf und machte Vorschläge, holte Baedeker, Landkarten, disponierte Zeiten, sprach von Hotels, in denen man absteigen könne, daß man ein Auto mitnehmen müsse, oder die Reise vom Hause weg mit dem Auto -- es sei nur die Gepäckfrage da anders zu lösen. Er brachte mit seinem lebhaften Sprechen schon die ganze bewegte Unruhe des Reisens in die nachmittägige Stille, daß Chloe darüber den Atem verlor und auf einmal sich ganz matt und schwach fühlte, unfähig zur kleinsten Anstrengung einer Reise. Ihre Stimme klang kaum, so sehr zog sie den fehlenden Atem der Worte nach innen, als sie sagte: »Man muß überlegen. Nächste Woche vielleicht. Im Juni vielleicht.« Im Sommer wollte sie noch sagen, aber sie fürchtete sich vor dem Wort wie als Kind vor einem dunklen Zimmer. Und mußte die Hände auf die Brust legen. Da fühlte sie und erinnerte sich an den Brief, den sie auf dem Wege ins Hospital bekommen und in die Taille gesteckt hatte. Unbekümmert öffnete sie den Umschlag und las die paar Zeilen:
»Mein Liebstes, meine Freude im Leben, meine Freude im Tode. M.«
Das letzte Benedicite, dachte Chloe und machte Papierfetzchen. Sie sah auf Peregrin, der eine Autolandkarte studierte und sein bestes Gute-Jungen-Gesicht aufhatte.
Ja, du, Peregrin und der andere, beide scharmante Tiere in den Stunden der Liebe, aber beide so irgendwelche. Das hat mich entzückt und hat mich in Verlust gebracht, auch eine Irgendeine, die vorbeiging. Dazu wohl geschaffen vorbeizugehen. Die Liebe ist wohl sehr selten auf der Erde wie das Genie, und um dessentwillen muß man ihr alles verzeihen. Wäre ich ihr begegnet, vielleicht wäre mein kleines Herz zu schwach dafür gewesen. Denn was bin ich denn? Kreatur muß leiden.
Immer kleiner wurden die Papierschnitzel, die Chloe nun über Peregrins rundem, gebeugtem Kopf fallen ließ, wo sie sich auf dem braunwelligen Haar zerstreuten wie eine Blütendolde.
»Siehst du, es schneit noch im Mai, man kann mit dem Auto nicht reisen. Man muß noch warten.«
»Heute nacht träumte mir, Peregrin, ich hätte ein Kind bekommen.«
»Und du warst begeistert?«
»Nein.«
»Nicht?«
»Nein. Warum soll ich neun Monate lächerliche Leiden haben, einen komischen Bauch, einen lamentablen Rücken, alles, um am Ende nichts als so ein verzweifeltes Etwas in die Welt zu setzen, die mehr als voll davon ist?«
Peregrin entrüstete sich, sprach, daß sie nicht normal sei und der wahre Beruf der Frau das Kinderkriegen. Er redete mit Furia Gemeinplätze, an die er aus Erziehung und Gewohnheit glaubte.
Er ist zu jung für einen Vater, dachte Chloe und sagte: »Gut, Peregrin. Aber ich finde, es gibt schon genug so Gewürm auf der Welt, das Eltern brauchte. Das ließe sich doch nutzbringend für alle Teile erledigen. Wenn du willst, adoptiere ich ein Schock.«
Peregrin erklärte, Scherze in so ernsten Sachen nicht zu lieben und stand auf, um auszugehen.
Ich muß es ihm verbergen, daß es so ist, dachte Chloe. Denn ich werde es nicht von mir geben. Ich werde es mitnehmen.
Peregrin wurde besorgt. Eine traurige Chloe, das hätte ihn nicht beunruhigt. Aber eine, die so gleichmäßig, so sicher schien, das erschreckte ihn.
»Was kann ich für dich tun, Chloe?« fragte er mit zärtlicher Lustigkeit.
Und als er in ihren Augen das kleine Funkeln merkte, mit dem sich immer die zigeunerhafte Chloe ankündigte, da hoffte er, es würden ihm gleich eine Menge lustiger Dinge einfallen, die er ihr vorschlagen wollte. Eine Herde kleiner weißer Lämmer, fing er an. Eine Jacht in den dalmatinischen Gewässern, wilde Tiere von Hagenbeck, die man im Park ausläßt. »Oder willst du einen Geliebten haben, Chloe?« In seiner Stimme war weder Lustigkeit noch Schlechtigkeit, als er weiter sagte: »Einen Bubi?«
Chloes grüne, vielleicht blaue Augen blinkten wie Phosphor im Dunkeln, denn sie kämpfte mit den Tränen.
Da legte er -- es war dämmerig geworden -- hinkniend den Arm um sie und gab seinen Kopf an ihre Brust. Sie neigte den ihren tief und sprach zu ihm, ganz leise, obgleich kein Mensch im Zimmer war, sprach lang zu ihm, bis er auf ein Wort aufschrie und hinsank. Chloe wandte den Kopf in die Seitenlehne des Stuhles und sah in die blaue Nacht. Ihre schmalen Wangen und ihre Stirn waren ganz naß von Tränen und von Fieber.
In den langen Stunden des Vergehens fragte sich Chloe, wie ein Kind, das sich mühevoll auf die Zehen stellt, eine Tür zu öffnen, die in ein geheimnisvolles Gemach führt:
Warum kam ich in diese Welt? Ich kann ja nicht einmal leben, um Mutter zu werden. Wer hat die Schuld? Großer Gott, hast du mich ins Leben geworfen, wie man zerstreut einen Stein in den Teich wirft? Werd' ich auf der andern Seite des Lebens wissen, warum dies hier alles war?
Da traten das große Schweigen in sie ein und zärtlich verhüllende Schatten. Und Chloe ging, wie sie gelebt hatte, ohne zu wissen warum und wie.