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Als er in Zwittau (Mähren) gerade hoffte, einen langen Schlaf zu tun, drang plötzlich mit der höflichen Unverschämtheit eines Franzosen ein älterer Herr bis vor sein Bett. »Ah, Graf Benedetti! Was verschafft mir die unverhoffte Freude?« Verdammt sei die feige Militärpolizei im Rücken des Heeres, die einem Botschafter von Frankreich nicht den Weg zu sperren wagt!
»Die außerordentlichen Zeitläufte entschuldigen meine Taktlosigkeit, für die ich Generalpardon erbitte. Jede Stunde ist kostbar. Ich muß Eure Exzellenz notifizieren, daß Frankreichs großzügige Friedensvermittelung sich genügend mit Wien in Verbindung setzte, um die nötigen Grundlagen zu schaffen.«
»Und die wären?«
»Unsere Politik besteht auf Integrität des k. k. Territoriums, ferner auf Festhaltung der Mainlinie als Südgrenze.«
»Grenze gegen was denn?«
»Gegen ein vergrößertes und Norddeutschland dominierendes Preußen, das sich jedoch um höchstens vier Millionen Seelen vergrößern darf.«
»Haben Sie das so genau ausgemessen?«
»O ja, denn Integrität Sachsens ist von seiten Österreichs conditio sine qua non.«
»Will das völlig besiegte Österreich vielleicht noch andere Bedingungen stellen? Die Andeutungen des F. M. L. Gablenz waren so arrogant, daß ich ihn aus dem Lager weisen ließ.«
»Es wird sich mit allem einverstanden erklären, was Sie in Norddeutschland vornehmen.«
»Das ist gütig, da ihm jede Macht fehlt, irgendwie in Deutschland noch dreinzureden.«
»Vergessen Sie nicht, daß unser Arbitrium das Wort hat.«
Otto wollte auf solche Drohung den Franzosen höflich zur Tür hinauswerfen, besann sich aber eines besseren und ließ sich auf längere Unterredung ein, wobei sich beide beobachteten. Benedetti, dem er den Decknamen »Lefebvre« gab, stach fast komisch von der gewaltigen Erscheinung und soldatischen Haltung des germanischen Staatsmannes ab. Seine ziemlich gebrechliche Gestalt, sein bartloses glattes Gesicht, das in keiner Weise sein Alter verriet – er war nicht so sehr viel jünger als Otto –, sein aus der Stirn über den fast kahlen Schädel des Hinterkopfes zurückgestrichenes Haupthaar sahen nicht sonderlich gefährlich aus. Seine Miene und sein Betragen atmeten sanfte Höflichkeit, auch wenn er die impertinentesten Dinge sagte. Hatte er einst eine charakteristische Individualität, so wischte er sie weg. Seine Züge schienen nur eine Maske, auf der sich die Ruhe verständnisvoller Rezeptivität ausdrückte. Doch seine scheinbar gleichgültigen, sorglos offenen Blicke saugten jeden Gegenstand schnell und scharf ein. Der ist verdammt interessiert! schloß Otto seine Abmessung. Hinter dieser Maske, die gar nichts sagt, steckt etwas sorgfältig Verhülltes, eine lebhafte Begierde. Er glaubt, daß man ihn schwer ausfinden und seine Bosheit entdecken könne. Siehe da, sein Sommeranzug ist höchst einfach, doch kein Flecken darauf, obschon er eine lange anstrengende Reise hinter sich hat. Und das schmächtige Figürchen bewegt sich elegant und elastisch, seine freundliche Beweglichkeit entspricht dem italienischen Namen. Ein beau idéal der alten Diplomatenschule. –
Der ihm von früher her bekannte Fürst Putbus erschien, geschmückt mit dem Johanniterkreuz. »Exzellens verzeihen die Störung, der kommandierende General des pommerschen Korps schickt mich, um Sie untertänigst zu inquirieren. Wir wissen nichts Authentisches über die Friedensbedingungen.«
Aha! Die Armee will dreinreden. »Durchlaucht werden zur königlichen Tafel befohlen werden und dort wohl aus höchster Quelle manches erfahren«, wich er aus. »Das Leben als Johanniter war gewiß interessant? Wie steht's mit der Verpflegung?«
Putbus lachte. »Man kann nicht klagen. Unsere Offiziere können alles, sogar Kochkünstler werden ohne das Buch der Hausfrau von Henriette Davidis.« Dies damals klassische Werk kennzeichnete der alte Maßmann höchst treffend, indem er es der befreundeten Frau X. mit einer Verswidmung schenkte: »Wer aus dem Buch hier kochen will, der muß schon kochen können.« In dieser altmodischen anheimelnden Zeit versuchte auch ein Baron Vaerst ein Gastrosoph vom Schlage Brillet-Savarins zu werden, leider ohne Erfolg. »Eier und Speck in die Pfanne schlagen sind Anfängertaten. Doch Ungeheuerlichkeiten geschahen im Schweiße unseres Angesichts, unmögliche Beefsteaks, unwahrscheinliche Ragouts, halb oder auch ganz verbranntes Federvieh. Doch ich glaube, ein Leutnant v. Schwanenfeld konnte sich seine Tat andächtig unter den Tornister schieben (Kopfkissen gibt's ja nicht).«
»Was vollbrachte denn dies Sonntagskind?«
»Er sollte an einem Bahnhof ein Souper für Herrn v. Benedetti bereithalten. Doch der gute Mann fand nur dünnen Tee, keinen Rum, Sahne, keinen Zucker, dazu ein Stückchen Kommißbrot. Denn die dazugehörigen Setzeier und ein bißchen Schinken hatten Schwanenfeld und seine Kameraden sich eigenhändig zu Gemüte geführt.«
»Selbst ist der Mann.« Otto lachte behäbig. »Das tut mir im Magen wohl, daß der Franzose gehungert hat. Dieser Schwanenfeld scheint trotz seines poetischen Namens ein Realpolitiker. Offenbar ein Jüngling von großer Begabung und entschiedenem Verdienst. Wer sich solche Aufgaben politischer Kochkunst stellt, hat bedenklich hohe Anlagen zum Genie. Seine Setzeier seien gepriesen, weil ein königlich preußischer Verdauungsprozeß ihnen die reglementmäßige Weihe gab. Benedetti ist ein Feinschmecker, wie ich höre, er mag nicht schlecht über deutsche Barbaren gekeift haben. Ja, ja, die Hunnen essen rohes Fleisch, unterm Sattel weichgeritten.«
»Na, das würde Ihnen auch nicht passen,« lachte Putbus. »Sie halten viel von gutem Essen.«
»Nun ja, aus Vernunft und Ästhetik. Wer mir schlechtes Essen gibt, ist mein Feind, er setzt meine Arbeitskraft herab. Das feinste Diner ist aber schlechtes Essen, wenn schlecht zubereitet und zweifelhaft in der Ware, ein gutes Butterbrot kann ein Leckerbissen sein. Bei uns im Hauptquartier war Schmalhans Küchenmeister, doch Hunger ist der beste Koch.« Mit solchen weitläufigen Gesprächen hielt er sich die erbetene Auskunft vom Leibe. »In Feindesland hat man selten das liebe Stück täglich Brot oder Fleisch, dafür genossen die Offiziere am Abend vor Münchengrätz, recht müde und hungrig geschlagen, ungesalzene Kartoffeln und – Champagner! Vielleicht keine üble Zusammenstellung! Im Leben geht's oft so: mäßige Nahrung und prickelnde Hochgefühle!«
Am anderen Tage fand im Hauptquartier Czernahora ein »Generalsvortrag« statt, denn den Ausdruck Kriegsrat verpönten die Militärs, weil darin – nach Napoleons und Friedrichs des Großen Vorgang, die derlei verpönten – eine zaudernde Schwäche des einheitlichen Oberkommandos sich kundgebe. Daß der König als Vorsitzender der tatsächlichen Beratungen stets den Minister zuzog, mißfiel Moltke und seinen Beisitzern ungemein.
Otto erschien wegen dringender Geschäfte etwas später und fand die Verhandlung in vollem Gange, wie man die Floridsdorfer Befestigungen vor Wien bewältigen könne.
»Ich muß Sie orientieren«, wandte sich der immer höfliche und rücksichtsvolle König an ihn, »daß wir den General Hindersin und Oberst Mertens in Dresden beauftragten, einen schweren Belagerungspark bereitzustellen, um sie sofort per Bahn zu verladen. Der Transport aus Magdeburg wird leider zwei Wochen kosten.«
»Ist Beschießung unumgänglich?«
»Ja. Nach Breschelegung wird gestürmt, Moltke nimmt etwa 2000 Mann Verlust an. Was ist Ihre Meinung?«
»Als Politiker warne ich dringend vor Zeitverlust von zwei Wochen. Solches Abwarten verleiht Frankreich eine Vorbereitungspause, um das Gewicht seiner Einmischung zu erhöhen. Als Militär, wenn ich es wagen darf, in diesem illustren Kreise mich so zu nennen, frage ich aber, ob Umgehung nicht dem gewaltsamen Angriff vorzuziehen sei?«
»Wie denken Sie sich das?« Der König horchte auf.
»Mit Viertelschwenkung nach links könnte man die Donau bei Preßburg überschreiten. Das setzt den Feind in schlechte Lage, eine Schlacht südlich des Stromes mit Front nach Osten aufzunehmen. ›Verkehrte Front‹ ist ja Wohl der technische Ausdruck. Ein Vorspiel der Niederlage. Wagen sie das nicht, müssen sie nach Ungarn zurück, wobei dann Wien unverteidigt uns in den Schoß fällt.«
»Ich bitte um eine Karte.« Der König studierte sie und nickte beifällig. »Ich finde, daß unser Major Bismarck sehr reife strategische Ansichten hat. Mir widerstrebt ein Frontalangriff mit Menschenopfern. Unsere braven Leute schonen ist mir Pflicht. Was unser Ministerpräsident sonst politisch sagt, ist sehr beherzigenswert. Ich entscheide mich für seinen Vorschlag.« Die Militärs fühlten sich zwar sehr verletzt, der Einsicht eines Zivilisten nachzugeben, mußten sich aber unterwerfen, Moltke entwarf die entsprechende Disposition.
Mittlerweile lief die Hiobspost ein, daß sich in Prag die Cholera ausbreite. Das kann gut werden, wenn wir nach Ungarn hineingehen! dachte Otto. Gräßliche schattenlose Hitze, unreife Pflaumen und Melonen und selten Wasser. Natürlich darf man Benedetti nicht zeigen, daß wir Frieden wünschen, wenigstens ich. An Goltz nach Paris werde ich später schreiben, daß der König nach solchen Opfern eher abdanken würde als nach Hause zurückkehren ohne bedeutende Vermehrung des preußischen Territoriums. Das hat noch Zeit. Fängt der Feind die Depesche auf, um so besser. Das gibt einen Schreckschuß. –
General v. Stosch, ein geistig hochstehender und charaktervoller Mann von großer Bedeutung, sprach sich unverhohlen dahin aus, daß der Kronprinz um seine Entlassung bitten werde. »Exzellenz Blumenthal beruhigte den Herrn trotz seiner eigenen Aufregung. Uns allen aber geht die Galle über, die unablässigen ungerechten Klagen des Herrn v. Moltke empören jeden, der unsere ungeheueren Anstrengungen kennt. Man schickt mich her, um den Irrtum mit dem Zirkel in der Hand zu beseitigen.«
»Und was wurde daraus?«
»General v. Moltke heißt jetzt alles gut, was wir taten.« Doch dauerte es nicht lange, daß durch einen Rittmeister Plötz erneut Beschwerden Moltkes und des Generalquartiermeisters Podbielski über langsames Marschieren einliefen, als ob die überanstrengten Truppen fliegen könnten. Blumenthal drang auf eine Untersuchung, »um solchen ungerechten Anschuldigungen ein Ende zu machen«.
» Tout comme chez nous, dachte der Staatslenker, hinter den Kulissen Zank und Hader, nach außen Einigkeit. Der Feind ahnt nie, daß unsere Freunde und Kollegen uns stets ärgere Schwierigkeiten machen als er. Was steht mir noch bevor, wenn der König und die Militärs inne werden, daß mein diplomatischer Feldzug mit dem ihren nicht parallel läuft!
Bald dröhnte der Marschschritt preußischer Heerscharen auf dem Pflaster von Brünn. Otto fuhr mit Roon nach einsamer Naturschönheit spazieren, wo Vögel den Sonnenuntergang besangen und tiefer Frieden die Sinne einlullte.
»Sie hielten Ihren Schwur und rächten Olmütz«, frohlockte Roon. »Diese Demütigung Österreichs wiegt unsere einstige Schmach auf. Na, der Alte Fritz hatte es schwerer als wir, doch unsere jungen Fritze machten ihre Sache auch ganz gut. Benedetti, der faule Kopf, meinte neulich bei Tafel, er habe an unserer Überlegenheit gezweifelt, doch er nehme alles feierlich zurück. Der König ist ruhig und heiter, warum machen Sie ein so dösiges Gesicht? Ach, Ihre Nerven? Wieder nervöses Rheuma im Bein? Den halben Tag verschlafen und die ganze Nacht arbeiten! Unverbesserlich!«
»Es ist nicht das«, versetzte Otto düster. »Doch dies endlose Morden! Der Krieg ist eine Dornenkrone der Menschheit. Die Töne des großen Schlachtfeldes werden mir ewig im Ohre gellen.« Es war in der Tat gräßlich gewesen. Georg Bleibtreu, der so viele Schlachten erlebte, erklärte nachher die Nervenprüfung von Königgrätz für die schlimmste. Wo die deutschen Schwerverwundeten lagen, hörte man nur dumpfes Stöhnen, doch ein grauenhaftes Geheul der Slawen, ein wahnsinniges Beten und Fluchen machte den Hörer schaudern. Ein Offizier, Graf Wartensleben, mit Aufräumung des Schlachtfeldes betraut, verfiel in Wahnsinn. Ein tapferer Major, v. Salpius, erschoß sich später, weil er die Töne nicht loswerden konnte. »Ich melde Nervenbankerott an. Und doch muß ich auf dem Posten bleiben. Ich schrieb an Eulenburg, er soll um Gotteswillen die Kammern berufen. Das Parlamentskorps muß als Reserve in den Krieg.« »Was wollen Sie nur von den Schwätzern?« Roon machte eine unmutige Bewegung. »Ich dachte, die Schwätzer wären für immer beseitigt.«
Otto seufzte tief auf. Grauenvoll, immer allein zu sein! Brave tüchtige Menschen, Spezialisten auf ihrem Gebiete, doch im Grunde einseitige Toren mit Scheuklappen. »Es ist nicht immer Krieg«, lenkte er kühl ab. –
Eben wollte er einschlafen, als »Monsieur Lefebvre«, der Franzose, ihn weckte. Nächtliche Verhandlung bis 3 Uhr morgens. »Der Kaiser hat Ihre Aufklärung erwogen, findet aber die Forderungen exorbitant. Seine großherzige Vermittlung muß beiden Teilen gerecht werden.« Für ein solides Honorar, der Großmütige hatte eine so eigentümliche Auffassung. Von Österreich Venetien, wofür er sich verpflichtete, zu dessen Gunsten zu intervenieren, doch für das linke Rheinufer wollte er auch gern ein von Preußen bestochener edler Schiedsrichter sein. »Sie verlangen Ausschluß Österreichs aus dem Deutschen Bund, Errichtung eines neuen Bundes unter Preußen und außerdem noch Erwerb gewisser Länder, die bisher Ihre freie und natürliche Entwicklung hemmten?« forschte Benedetti.
»Sehr wahr. Und wir sind gesonnen, diese drei Punkte bis aufs äußerste durchzusetzen.«
»Gegen Ihre Annexionen wird Frankreich nichts einwenden, dagegen faßt es einen besonderen unabhängigen süddeutschen Bund ins Auge.« Soll heißen: einen neuen Rheinbund. »Dies würde uns sehr erfreulich scheinen.«
»Nicht uns. Wir wollen also, wie ich Ihnen schon neulich sagte, das Thema fallen lassen.« Deutschland wieder in Teile zersplittern, divide et impera! »Dazu brauchten Sie mich nicht aus dem Schlafe zu klopfen.«
»Pardon, ich habe neue Befugnisse. Frankreich würde nichts gegen einen norddeutschen Bund haben. Süddeutschlands sonstige Integrität vorausgesetzt, welches jedoch eine nationale Gemeinschaft mit Norddeutschland unterhalten dürfte.« Welche unermeßliche Gnade und Güte! Die Deutschen dürfen wirklich unter sich Gemeinschaft unterhalten. Und von der preußischen Tyrannei müssen diese edeln verschiedenen Völkerschaften behütet werden. Die lächerliche Unwissenheit des Auslands hält heute noch Holstein für ein von Dänen, Elsaß von Franzosen, Posen ausschließlich von Polen besiedeltes Gebiet. Doch freilich, wenn die posenschen und schlesischen Wasserpolacken begeistert für ihren »König« kämpfen, so hörten ja französische Emissäre in Darmstadt oder Oberbayern von den »verfluchten Preißen« in einem Tone reden, als seien sie gar keine Deutsche. So haßten in Germaniens Urwäldern die Markomannen die Chatten, die Sachsen die Franken und Burgunder und diesen bei andern großen Völkern seit Jahrhunderten erloschenen Stämmehader bewahrten die Deutschen so lange, psychologische Folge ihres Individualismus, der stets nach eigener Fasson selig werden möchte.
Otto verschluckte seinen Ingrimm und ging glatt auf die Anregung ein. Denn daraus ließ sich etwas machen, nur nicht für die unschönen Augen der Pariser. »Also auf Wiedersehen in Nikolsburg, wo Graf Karolyi und Baron Brenner als Bevollmächtigte erscheinen werden.«
»Ist das nicht ein Schloß, wo Napoleon nach der Schlacht von Austerlitz wohnte?«
»Ich bin mehr in der deutschen als in der französischen Geschichte bewandert«, versetzte Otto kalt auf diese fein perfide Anspielung. »Die Schlacht von Königgrätz kenne ich z. B. sehr gut, und wir wollen es für ein sieghaftes Omen halten.« –
Das Wiedersehen mit Karolyi und dem schönen Baron Brenner, der nicht mehr so schön war wie in Frankfurt, schmeckte sauersüß. »Da sehen Sie, lieber Graf, wie ich Ihnen prophezeite. Dies Schloß gehört Graf Mensdorff, wie ich höre, der an Rechbergs Stelle trat. Wäre der geblieben, so hätte sich wohl alles in Frieden und Freundschaft gelöst.«
»Wie in Frankfurt, Exzellenz,« bemerkte Brenner halb scherzhaft, halb bitter. »Was Sie schon so lange beschlossen – ach, die gute alte Frankfurter Zeit! – haben Sie halt durchgeführt. Fortes fortuna adjuvat, wir sind die Leidtragenden und mußten bluten.«
»Um unser Machtgelüst zu befriedigen, nicht wahr?« lachte der Preuße herzlich. »Sintemal das arme, unschuldige Kaiserreich Österreich niemals schnödem Ehrgeiz huldigte, nie uns kränkte und von uns so oft hintergangen wurde.«
»Was helfen die Rekriminationen!« seufzte Karolyi. »Sie haben es so gewollt, und da sind wir nun. Die Präliminarien können beginnen.«
»Was haben Ew. Exzellenz?« frug Brenner inmitten der Verhandlungen. »Sie sehen leidend aus, in der Tat.« Otto war zusammengezuckt, sein linkes Bein schmerzte.
»Ja, mein bester Baron, an uns beiden hat der Zahn der Zeit, dies vielberufene Instrument, auch herumgeknabbert. Ich habe Rheuma wie ein alter Herr in vorgerückten Jahren.« Der schöne Brenner mochte an sein Alter nicht erinnert werden, er unterließ daher weitere Betätigungen boshaften Mitleids.
Aus den Präliminarien wurde so viel klar, daß Österreich aus Deutschland austreten und Preußen dort durchaus das Feld räumen wollte, sich dort nach Belieben zu bedienen. »Auch Bayerns Schicksal kümmert uns nicht, das militärisch seiner Bündnispflicht höchst mangelhaft genügte. Er versprach in besonderer Abmachung, uns nach Böhmen zu unterstützen, beschränkte sich aber egoistisch auf Schutz seiner eigenen Erblande.« Österreich forderte immer naiv den größtmöglichen Mangel an Selbstsucht von – anderen. »Dagegen ist mein allergnädigster Herr unerbittlich auf einem Punkt: Sachsen, das so ritterlich sein Schicksal mit dem unsern verknüpfte und auf dem Unheilsfeld von Königgrätz –«
»Sein Rautenbanner neben dem schwarzgelben wehen ließ«, ergänzte Otto rasch, da er schwungvolle Weihe fürchtete. Er wußte, was hinter dem Pathos steckte: Sachsen als vorgeschobenen Keil österreichischen Einflusses zu behalten. »Ich zweifle sehr, daß der König solchen gemütvollen Erwägungen zugänglich sein wird. Doch wir müssen uns erst über andere Punkte verständigen.« –
Am 19. Juli kam Benedetti atemlos aus Wien, strahlend von edler Zufriedenheit: »Mit unsäglicher Mühe habe ich Kaiser Franz Josef bewogen, unsere Anregung als Friedensbasis anzunehmen. Dieser erste Erfolg unserer uneigennützigen Vermittelung darf uns wohl mit Genugtuung erfüllen.« Er stand triumphierend und doch so harmlos und unschuldig da. Allons, mon cher confrere, strömen Sie über von Dankbarkeit und vernünftiger Mäßigung!
Doch Otto war nun mal ein undankbarer Mensch. Je länger er zuhörte, desto mehr verfinsterte sich sein Gesicht. »Wo bleiben dabei die territorialen Annexionen? Darüber gehen Sie leicht hinweg. Ich finde die Rechte des Siegers nicht gebührend gewahrt.« Benedetti war moralisch empört, daß man dem bekanntlich so generösen Frankreich Knauserei vorwarf.
»Aber was sind denn Ihre Bedingungen?«
»Fünftägiger Waffenstillstand wird von uns nur auf der Basis zugestanden, daß außer Hannover und Hessen auch Sachsen an uns fällt. Wir haben diese Staaten ausdrücklich gewarnt. Die harte Notwendigkeit und das Bedürfnis Deutschlands zwingen uns, die Priorität gegenüber sentimentalem Mitleid für Gefallene zu beanspruchen.«
»Ah, Sie können unmöglich ernst dabei bleiben, Sie lächeln, Sie scherzen, nicht wahr, Herr Graf? Das sind ja ungeheuerliche Forderungen. Wir leben nicht mehr zur Zeit Friedrichs des Großen, der einfach behielt, was er wegnahm.«
»Das bißchen Schlesien? War das so viel? Niemand wird ernstlich unsere Absicht durchkreuzen.«
»England, durch dynastische Bande mit Hannover verknüpft –«
»Heut auch mit Preußen. Was tat denn England für Dänemark?«
»Und Rußland wird schwerlich ruhig zusehen.«
Otto zuckte vielsagend die Achseln und lächelte. General Manteuffel sollte nach Petersburg gehen und dort die Aussicht eröffnen, daß man sich vom Schwarze Meer-Vertrag freimachen könne, die sonstige europäische Verwickelung benutzend.
»Nun ja, ich kenne das hübsche Bonmot des Kanzlers Gortschakow: ›Rußland schmollt nicht, es sammelt sich.‹ Aber wenn dies Reich Zurückhaltung bewahrt, was erwarten Sie von Frankreich?«
»Der Kaiser hat mir oft persönlich sich verbürgt, er würde nie unser Recht auf Annexionen anfechten.«
»Vielleicht nicht.« Benedetti senkte die Stimme. »Doch wie denken Sie über Kompensationen? Die kaiserliche Regierung wünscht, um es offen zu sagen, die Herstellung unserer alten Ostgrenze mit Mainz.«
Der Deutsche ballte unwillkürlich die Faust, aber ließ sich nichts merken. Sich umschauend, als fürchte er Lauscher, flüsterte er vertraulich: »Darüber läßt sich reden, doch erst nach Friedensschluß mit Österreich, was für uns die dringendste Tagesfrage bedeutet. Noch sind wir lange nicht so weit.«
»Sehr wohl, einverstanden. Unziemlich drängen will ich Sie nicht. Nur eins: Sachsen würde der Scheideweg sein, wo unsere Interessen sich trennen. Herr v. Beust beschwor meinen Souverän, sich an Sachsens Treue für Napoleon I. zu erinnern, und Se. Majestät, tief gemütvoll und hochherzig wie immer, wird dieser Bitte willfahren.«
Damit er uns einen Nagel in den Fuß schlagen und den Norddeutschen Bund zersplittern kann! dachte Otto. Laut aber sagte er: »Ich glaube nicht, daß wir darüber zerfallen werden. Sachsen ist uns nicht so nötig wie Hannover und Hessen. Indessen muß ich erst meinen Herrn, den König, zu dieser Ansicht bekehren. Er ist sehr scharf auf Sachsen. Nun, das wird sich geben.« Benedetti ging sehr befriedigt.