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Die Fahrt nach den Ägaden

»Immer noch in Neapel!« stöhnte Tòni allmorgendlich nach dem ersten Blick durch das Bullauge seiner Kabine. »Wieder vierundzwanzig Stunden verloren!« Und ingrimmig stellte er fest, daß die Nereide nun schon zehn Tage fahrbereit im Handelshafen ankerte.

Dann kalkulierte er, was das Schiff mittlerweile hätte einbringen können – der Nutzen wäre zwar ausschließlich dem Kapitän zugute gekommen, doch das hinderte Tòni nicht, sich wegen des entgangenen Gewinns tief zu grämen. Seine Entrüstung ging so weit, daß er den Kapitän schließlich unter allerlei Vorwänden im Hotel aufsuchte.

Ferragut freute sich, ihn zu sehen, gab aber auf alle Fragen nach dem Termin der Ausreise nur ausweichende Antworten, worauf Tòni nichts anderes übrig blieb, als mißmutig zu seinem monotonen Leben an Bord zurückzukehren. Wie hatte sich sein Kapitän verändert! Der jetzt ganz kurz gestutzte Bart, die eleganten Anzüge – alles deutete darauf hin, daß er gefallen wollte. »Ah, die Frauen! … Wie ein Schoßhündchen hängt der Teufel an ihren Unterröcken!«

Eines Morgens lief der Ruf über Deck: »Der Kapitän!« Und hoffnungsvoll eilte Tòni zum Fallreep, um das Boot zu empfangen,

»Du wirst mit mir zufrieden sein«, begrüßte ihn Ferragut. »Wir gehen in See.«

Sie betraten den Salon, in dem Ulysses sich mit einer gewissen Verwunderung umsah, wie jemand, der von einer langen Reise zurückkehrt. Details, denen er nie Beachtung geschenkt hatte, sprangen ihm heute in die Augen.

Innerhalb von Sekunden durchlebte er nochmals die letzten beiden Wochen, und zum ersten Male wurde er sich über die große Wandlung klar, die seit Freyas Besuch an Bord in seinem Leben vorgegangen war.

Er sah sich ihr in seinem Hotelzimmer gegenübersitzen.

»Ich bin eine Deutsche und …« – wieder hörte er, wie sie stockte – »hier im Dienste meines Landes. Der moderne Krieg fordert das Massenaufgebot, nicht allein der Männer. Auch die Frauen müssen sich in den Dienst des Vaterlandes stellen, sei es, daß sie sich in Fabriken und Lazaretten, sei es, daß sie sich vermöge ihrer Intelligenz außerhalb der Grenzen betätigen.«

Überrascht durch diese brutale Enthüllung, saß Ferragut schweigend da. Schließlich wagte er, seinen Gedanken zu formulieren.

»Demnach bist du eine Spionin? …«

Mit Verachtung wies sie dieses Wort zurück. Ein veralteter Ausdruck, der seine ursprüngliche Bedeutung verloren hatte! Spione konnte man jene niedrigen, wohlfeilen Menschen nennen, die sich in früheren Zeiten, als nur Söldner die Kriege führten, berufsmäßig verkauften, um die feindlichen Vorbereitungen zu überwachen. Heute indes gab es einzig und allein Patrioten, die es drängte, für ihr Land zu arbeiten – die einen mit der Waffe in der Hand, die anderen mit ihrer Klugheit und List.

Den Kapitän machte diese Theorie ganz verwirrt.

»Dann ist die Frau Doktor? …«

»Meine Freundin«, antwortete Freya respektvoll, »ist eine hervorragende Gelehrte, die ihre ganzen Gaben in den Dienst ihres Landes stellt. Ich verehre sie sehr, sehr. Sie ist meine Gönnerin und hat mich in den schwierigsten Momenten meines Lebens gerettet.«

»Und der Graf?«

Hier wurde Freya reserviert.

»Ein großer Patriot …, aber reden wir nicht von ihm!«

Ein langes Stillschweigen trat ein, während dessen sie hartnäckig in der Miene ihres Geliebten forschte.

»Jetzt, da du mich kennst«, sagte sie endlich schmerzlich bewegt, »geh fort! Du kannst mich nicht lieben: ich bin ja, wie du es nennst, eine Spionin, ein verächtliches Geschöpf. Geh! Es war ein schöner Traum – Ich weiß nicht, welches mein Schicksal sein wird – aber was mir am Herzen liegt, ist deine Ruhe.«

Sie ließ sich auf den Diwan fallen, vergrub das Gesicht in den Händen, und ein heftiges Schluchzen erschütterte ihren Körper.

»Fort! Nur fort!« hatte bei den ersten Worten ihrer Enthüllung die Stimme der Klugheit Ulysses zugeflüstert. »Was hast du mit dem Lande dieser Abenteurerin zu schaffen? Warum Gefahren auf dich nehmen für eine Sache, die dich nichts angeht? … Was du von ihr wolltest, hast du erreicht. Sei Egoist, mein Sohn!« Aber eine andere Stimme, die ihn stets getrieben hatte, die Gefahren zu suchen, gab ebenfalls ihr Urteil ab: »Willst du die Niederträchtigkeit begehen, eine Frau im Stich zu lassen? Nur ein Feigling ist dazu imstande.« Und mit all seinem südländischen Überschwang hob er die Weinende auf, streichelte sie wie ein krankes Kind.

»Nein, ich verlasse dich nicht, mein einziges Glück. Mehr noch, ich bin bereit, dich gegen alle deine Feinde zu schützen … Was schert mich der Zwist dieser Nationen? Mein Wort: soweit ich darf, will ich dir helfen!«

So entschied in leidenschaftlicher Übereilung der Kapitän Ulysses Ferragut sein Geschick.

Die Rufe der Zeitungsverkäufer verkündeten furchtbare Schlachten im Zentrum Europas; ganze Städte gingen in Flammen auf und verwandelten sich unter den Schlünden der Kanonen zu Schutt; alle vierundzwanzig Stunden starben Tausende und Tausende von Menschen … Er las nichts, er wollte von nichts wissen. Als ruhte die Welt in paradiesischem Glück, lebte er einzig seiner Liebe.

Doch dann trat etwas ein, das ihn jäh aus seinem egoistischen Liebestaumel herausriß, etwas, das seine Stirn mit einer tiefen Falte furchte und ihn veranlaßte, an Bord zu gehen.

Als er im Salon seinem ersten Offizier gegenübersaß, legte er die Ellbogen auf den Tisch und zog an einer dicken, eben angesteckten Zigarre.

»Wir werden also in kurzem abfahren«, wiederholte er mit sichtlicher Befangenheit. »Du wirst zufrieden sein, Tòni. Ich glaube sicher, du wirst zufrieden sein.«

»Wohin geht es?« fragte der Erste voll Interesse.

Ferragut warf einen Blick zur Tür, als fürchtete er einen Lauscher. Dann neigte er sein Gesicht näher zu Tòni:

»Diese Fahrt ist ganz gefahrlos, muß aber geheim bleiben. Wir transportieren Kriegsmaterial … Eine kurze und gut bezahlte Arbeit.«

Er hielt einen Moment inne, als gälte es eine letzte Hemmung zu überwinden, und fuhr dann mit leiser Stimme fort:

»Für die Deutschen … Wir führen ihren Unterseebooten im Mittelmeer Brennstoff zu.«

Stumm blickte Ferraguts Steuermann vor sich hin. Dann erhob er sich.

»Nein!« sagte er ganz einfach.

Vollkommen überrascht sprang auch Ulysses auf.

»Nein? Und warum nein? … Als Kapitän verlange ich Gehorsam. Übrigens scheinst du zu vergessen, daß ich auch Eigentümer des Schiffes bin und mit ihm nach Belieben schalten und walten kann. Was bedeutet diese Rebellion?«

Doch anstatt Erklärungen zu geben, wiederholte Tòni nur dickköpfig:

»Nein! Und nochmals nein!«

Ferragut schaute ihn empört an. War das der Dank für das Vertrauen, mit dem er Tòni stets ausgezeichnet hatte?

»Ich will den Grund wissen. Heraus damit!« befahl er mit zornbebender Stimme.

Sein erster Offizier kratzte sich nachdenklich den Bart und begann schließlich stotternd:

»Wenn sie wenigstens nur bewaffnete Schiffe torpedierten! … Der Krieg ist eine Barbarei – man muß die Augen schließen vor allerlei hinterhältigen Aktionen, die als Heldentaten gerühmt werden … Aber sie versenken auch Handelsschiffe, Passagierdampfer, auf denen Frauen und Kinder sind … Nein! Ich will nicht!«

Gütig wie ein Vater, der sein störrisches Kind überzeugen will, redete ihm Ferragut zu.

»Diese traurigen Ereignisse, die sich in den nördlichen Meeren abspielten, wurden durch die Umstände erzwungen: erschütternde, unerhörte Schläge sollten – so hoffte man – den Krieg möglichst schnell beenden. Im Mittelmeer hingegen werden sich die Unterseeboote auf den Kampf mit feindlichen Kriegsschiffen beschränken. Personen, die es wissen müssen, haben es mir versichert, Tòni. Glaubst du, ich würde mich sonst dazu hergeben, ihnen zu helfen? Sie wollen die alliierte Flotte vor den Dardanellen überfallen. Und was schert uns das? … Als wir seinerzeit den Revolutionären in Südamerika Kanonen und Gewehre brachten, ist es uns auch gleichgültig gewesen, welchem Zweck sie dienten.«

Doch was er auch anführen mochte, Tòni ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen. Schließlich war Ferraguts Geduld erschöpft.

»Kein Wort mehr darüber«, sagte er in hochfahrendem Ton. »Auf diesem Schiff befehle ich. Die Reise wird gemacht!«

Tòni schwankte, als hätte er einen Hieb erhalten. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Schwerfällig streckte er dem Kapitän seine behaarte Hand hin.

»Adiós, Ulysses!«

Der lächelte boshaft.

»Du vergißt wohl, daß du in deiner Jugend Schmuggel getrieben hast?«

Jetzt war die Reihe an Tòni, sich hochmütig aufzurichten.

»Und was ist dabei? Deine Vorfahren haben dasselbe getan, und in unserer Heimat gibt es nicht einen einzigen ehrenhaften Seemann, der frei von dieser kleinen Sünde wäre. Wer erleidet einen Nachteil dadurch? Höchstens der Staat, diese vage Persönlichkeit, deren Gesicht niemand kennt. Ich weiß aber auch, daß sehr, sehr reiche Reisende die Zollbehörden wegen geringer Beträge hintergangen haben – etwas vom Schmuggler trägt eben jeder in sich … Übrigens rauchen die armen Leute dank den Konterbandisten billiger und besser.«

Ulysses, durch diese einfach Logik entwaffnet, nahm jetzt seine Zuflucht zur Bitte: »Tòni, tue es meinetwegen; laß uns Freunde bleiben wie bisher! Bedenke, daß ich mein Versprechen gegeben habe.«

Die herzlichen Worte rührten den Seebären, trotzdem aber wiederholte er traurig:

»Ich kann nicht … ich bin Republikaner.«

»Was?« rief Ferragut. »Und du, der du die Freiheit liebst, stellst dich auf Seiten Englands? Vergißt du, daß sie es waren, die uns Gibraltar raubten? Vergißt du die Seeräubereien von Drake? Die Galeonen, die auf der Rückkehr von Südamerika methodisch durch britische Schiffe gekapert wurden? Ihre Landungen an unserer Küste, um die Ruhe der Halbinsel zu stören?«

»Nicht auf Seiten Englands stehe ich«, warf sein erster Offizier erregt ein, »aber auf seiten Frankreichs – das Land der großen Revolution. Sein Schicksal ist ein wenig mein Schicksal.«

Die Argumente des Kapitäns waren erschöpft. Wütend fuhr er los:

»Geh, du Dummkopf! Ich will dich nicht mehr sehen. Geh mit all deinen törichten Ideen, die dir den Kopf verwirrt haben.«

Damit drehte er ihm den Rücken und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Zaghaft kam Tòni näher, um sich Ferraguts schlaffer, kraftloser Hand zu bemächtigen. »Adiós, Ulysses!«

Als der Kapitän aufblickte, befand er sich allein. Das war der Abschied nach einem Leben brüderlicher Kameradschaft, dessen Monate den Wert von Jahren hatten …

Die Einsamkeit lastete plötzlich mit tödlicher Schwere auf seinem Vorhaben. Fast hatte er Furcht, seine Pläne ohne Tònis Hilfe auszuführen. Nahm Tòni nicht einen Teil des Prestige mit sich fort, das der Kapitän bei seiner Mannschaft genoß? … Wie sein Verschwinden am Vorabend einer illegalen Fahrt, die große Diskretion erforderte, erklären? Und wie sich des Schweigens aller versichern? …

Er sprang auf und ging an Deck: »Don Antòni soll kommen!«

Eilends lief der Befehl vom Heck zum Bug, bis Don Antòni, der das Schiff noch einer letzten Revision unterzog, aus einer Luke auftauchte.

Auf Ferraguts Gesicht spiegelten sich die widerstreitendsten Gefühle. Ärger über seine Niederlage neben der instinktiven Dankbarkeit dessen, der sich aus einer bösen Lage befreit sieht durch eine Hand, die mißhandelt und – rettet.

»Bleib, Tòni!« sagte er, ohne ihn anzusehen, mit heiserer Stimme. »Ich werde meinen Auftraggebern erklären, daß ich mein Versprechen nicht halten kann.«

Abends, kurz vor Sonnenuntergang, traf Ulysses seine Geliebte im Hotel. Nervös und unruhig kam er zu diesem Rendezvous, das er teils fürchtete, teils herbeiwünschte.

Er sprach mit der Brutalität eines Menschen, dem daran liegt, so schnell wie möglich über eine Sache hinwegzukommen.

»Es ist aus mit der Fahrt; mein erster Offizier will nicht mitmachen.«

»Aber du bist doch der Herr des Schiffes!« rief Freya. »Was brauchst du diesen Störenfried zu fragen?« Und von ihrem Ärger fortgerissen, tobte sie: »Oh, du Schwätzer … du Komödiant … Und ich habe an dich geglaubt, gab mich dir, weil ich dich für einen Helden hielt! Du Südländer! …«

Krachend flog die Tür hinter ihr ins Schloß.

»Jetzt geht sie zur Frau Doktor«, dachte Ferragut. »Und dann ist alles zu Ende.«

Er beklagte schmerzlich den Verlust dieser Frau, aber gleichzeitig wurmten ihn ihre beleidigenden Worte. Er hatte es satt, sich in verächtlichem Ton »Südländer« nennen zu hören, als sei dies ein Schandmal.

Sein erster Entschluß war, sofort an Bord zurückzukehren; dann aber fürchtete er, daß ihn in der Einsamkeit die Erinnerungen zu sehr quälen könnten. Besser schon, er blieb in Neapel, ging ins Theater und vertraute sich dem Zufall an, der ihm vielleicht eine angenehme Begegnung verschaffen würde. Und am kommenden Tag in See!

So verbrachte er den Abend in den Varietés, doch immer stand Freyas Bild zwischen ihm und den geschminkten Lippen der Artistinnen, die er an seinem Tisch bewirtete.

Um ein Uhr nachts stieg er die Treppe im Hotel hinauf, nicht wenig erstaunt, einen Lichtstrahl unter seiner Tür durchschimmern zu sehen. Er trat ein … Freya, lächelnd, ein Buch in der Hand, erwartete ihn.

»Sag, daß du mir nicht mehr grollst! … Sag, daß du mir verzeihst! … Ich weiß, daß ich mich abscheulich gegen dich benommen habe.«

Sie hatte ihn umschlungen und rieb, wie ein Kätzchen schnurrend, ihren Mund sanft an seinem Hals, und bevor er noch sprechen konnte, fuhr sie schmeichelnd fort:

»Mein Hai! Mein Seebär! Mich bis jetzt warten zu lassen! Schwöre mir, daß du mir nicht untreu gewesen bist … Warte – ich merke sofort die Spuren einer anderen Frau.« Ihr feines Naschen schnüffelte an seinem Bart, an seinem Gesicht. »Nein, du warst treu … noch spüre ich mein Parfüm. Oh, Ulysses! Mein Held! …«

Sie küßte ihn, und ihr Kuß ließ Ulysses alles vergessen: Beleidigungen, Kummer und Verdruß – und seine Absicht, am nächsten Tage in See zu gehen.

Eine Stunde später ertönte ihre Stimme durch das Dunkel und kleidete das in Worte, was sie beide gedacht hatten.

»Laß dein Schiff mit diesem häßlichen Faun abfahren. Drüben, in deiner Heimat, mag es auf dich warten. Und du bleibst … bei mir!«

Es war Ulysses Ferraguts Bestimmung, dieser weichen Stimme gehorchen zu müssen … Am nächsten Morgen erhielt sein erster Offizier Befehl, mit der Nereide sofort nach Barcelona zu dampfen und dort das Eintreffen des Kapitäns abzuwarten.

Wenige Tage später änderte sich Ferraguts Leben ganz und gar. Freya, die sich durch die Neugier oder das verstohlene Lächeln von Gästen und Personal belästigt fühlte, hatte dankbar die Einladung ihrer Freundin, zu ihr überzusiedeln, angenommen.

Der Kapitän staunte über die Geräumigkeit dieser Wohnung. Hinter dem Salon der Frau Doktor lag noch eine endlose Reihe meist unmöblierter Zimmer, ein Labyrinth von Verschlägen und schmalen Gängen, in dem er sich nur mit Mühe zurechtfand.

Am äußersten Ende dieser Zimmerflucht quartierte sich das Paar in einem großen Salon ein, dessen eine Tür direkt mit dem Treppenhaus in Verbindung stand. Decke und Wände waren überreich mit vergoldetem Stuck und Ornamenten geschmückt, aber das Mobiliar beschränkte sich auf das Notwendigste. Drei Sessel, ein Diwan, ein Tisch, über den Freya ihre Toilettegegenstände verstreute, und ein ziemlich schmales Bett bildeten den ganzen Komfort ihrer neuen Einrichtung.

Wie Jungvermählte lebten sie hier in verliebter Einsamkeit und schickten sich mit kindlichem Vergnügen in all die tausend Mängel und Unzulänglichkeiten ihres Hausstandes. Das erste Frühstück bereitete Freya auf einem kleinen Spirituskocher, wobei sie Ulysses, der sich als Seemann in kulinarischer Hinsicht für kompetent hielt, energisch abwehren mußte.

Da Frau Doktor Fedelmann häufige Reisen unternahm, kam während ihrer Abwesenheit bisweilen der Büroangestellte mit der Bitte zu Freya, an ihrer Stelle die Besucher zu empfangen.

In diesen Momenten des Alleinseins erwachte in Ulysses der Mann, der er vor der Begegnung in Pompeji gewesen war. Er sah sein Schiff, sein Heim in Barcelona.

»Wie soll das alles enden?« regte sich mahnend sein Gewissen.

Aber kaum ertönte ihr Schritt im angrenzenden Zimmer, so fiel ein dunkler Vorhang über sein Gedächtnis, und vorhanden war nur die Wirklichkeit des Augenblicks.

Jedes Gefühl für Zeit ging ihm verloren; die Tage verwirrten sich in seinem Hirn. Eine Woche war verflossen, seit er in dem goldenen Salon lebte, und manchmal glaubte er, daß diese süße Haft erst vierundzwanzig Stunden dauere; manchmal hingegen wieder, daß wohl ein Monat verstrichen sein müsse.

Haremstage waren es! Ihrer Schönheit sicher, tanzte Freya, farbige Schleier um den makellosen Körper geschlungen, wie auf Java vor dem schrecklichen Siva oder sang auch wohl mit halblauter Stimme mysteriöse orientalische Weisen … Und er lächelte verzückt, um von neuem die Hand nach dem flaschenbeladenen arabischen Taburett auszustrecken.

Hatte der Tanz sie ermüdet, so öffnete sie einen Kasten aus Sandelholz und holte ihre Schmucksachen hervor, in einer nervösen Hast, als fürchtete sie, daß die Juwelen sich im Innern der Schatulle in Rauch aufgelöst haben könnten.

»Fühle!« sagte sie, ihm eine prachtvolle Perlenkette reichend.

Für sie waren diese Körner mit dem weichen Schimmer des Mondes lebendige Wesen, die den Kontakt mit ihrer Haut zum Leben notwendig hatten.

»So viele Nächte schliefen sie auf meiner Brust«, murmelte sie zärtlich, »meine Wärme hat ihnen diesen Ambraton gegeben.«

Stück für Stück ließ sie all diese Kleinodien durch die Finger gleiten. Kostbare Kolliers und teure Ringe wechselten mit exotischen Schmucksachen von bizarren Formen, und alles mußte Ulysses prüfen und bewundern.

Ihre Mahlzeiten nahmen sie meist in einem nahe gelegenen Restaurant ein, dessen Speisesaal eine mittelalterliche Halle nachzuahmen trachtete: Getäfel aus Gips, das wie Eichenholz angestrichen war, und gotische Fenster. Eines Abends zeigte ihnen der deutsche Wirt als Kuriosität einen mit grotesken Figuren verzierten Krug, den er zwischen den Bierseideln über dem Büfett hervorholte.

»Eine alte peruanische Vase«, stellte der Kapitän ohne Zögern fest.

»Stimmt«, pflichtete Freya ihm bei, »es ist ein Huaco. Ich kenne solche Gefäße von meinem Aufenthalt in Peru … Wir fabrizierten damals Antiquitäten.«

Freya mißverstand Ferraguts Geste, und im Glauben, daß ihn die Fabrikation von Inka-Erinnerungen verblüffte, fuhr sie fort:

»Diese peruanischen Antiquitäten verkauften wir an Reisende, die das alte Reich der Inka besuchten, wobei unseren Indianern die Aufgabe zufiel, sie bei passender Gelegenheit auszugraben. Augenblicklich ist die Kunst der Schwarzen mehr in Mode, und die Sammler begehren hauptsächlich die aus Holz geschnitzten Idole der innerafrikanischen Stämme.«

Doch dies alles wollte Ferragut gar nicht wissen; ihn interessierte nur das »wir«. Wer hatte diese Huacos fabriziert? Ihr Gatte, der Gelehrte? …

»Nein«, gab sie ruhig zur Antwort, »ein anderer, ein Münchener Künstler. Er besaß wenig Talent für die Malerei, aber desto mehr Geschick für Geschäfte. Von Peru kamen wir mit einer Mumie zurück, die wir allen Museen Europas anboten, ohne einen Käufer zu finden. Der Inka stand in unserem Hotelzimmer und …«

Ferragut hörte nicht mehr zu. Noch einer! Jede vertrauliche Erzählung Freyas förderte aus dem Nebel der Vergangenheit einen neuen Vorgänger zutage.

Als sie das Restaurant verließen, ging er mit finsterer Miene neben ihr her, während sie sich über dieses Abenteuer ihrer Boheme-Epoche und den von einem Hotel zum anderen geschleppten Inka köstlich amüsierte.

Plötzlich brach Ulysses' Zorn los … Der holländische Offizier, der gelehrte Naturforscher, der Sänger, der sich erschoß, und jetzt dieser Antiquitätenfälscher! … Zum Teufel, wieviel Männer gab es denn in ihrem Leben? Wie viele blieben noch übrig, die allmählich auftauchen würden? … Warum sie nicht lieber alle auf einmal loslassen? …

Freya war anfangs wie erstarrt durch die Heftigkeit dieses Ausbruchs. Dann aber hob sie ein lachendes Gesicht zu ihm empor.

»Eifersüchtig! Mein Hai ist eifersüchtig! Sprich weiter. Du weißt nicht, wie glücklich mich das macht. Beklage dich! … Schlage mich! … Zum ersten Male in meinem Leben sehe ich einen eifersüchtigen Mann. Ah, ihr Südländer! Nicht umsonst beten die Frauen euch an.«

Sie sagte die Wahrheit. Dieser männliche, von Liebesgram erzeugte Zorn brachte ihr eine neue, nie gekannte Sensation. Wie wenig glich Ulysses den Männern, denen sie bislang begegnet war, kalten Egoisten, die sich allem anzupassen wußten.

»Wie ich dich liebe! Komm, komm, mein Spanier … ich muß dich belohnen.« Hastig zog sie ihn in eine dunkle Seitenstraße, drehte dem Kandelaber an der Ecke den Rücken und küßte ihn mit einem dieser Küsse, die dem Kapitän die Besinnung raubten.

Sein Zorn war besänftigt. Doch mit dem Sadismus des Eifersüchtigen, der darauf beharrt, in seiner Wunde zu wühlen, forschte er hartnäckig weiter.

»Du gehörst mir; folglich habe ich ein Recht, alles zu wissen.«

Dieses Recht, das er, eigensinnig wie ein Kind, immer wieder betonte, entlockte Freya ein schmerzliches Lächeln. Lange Jahrzehnte der Erfahrung schienen in dem melancholischen Schürzen ihres Mundes aufzutauchen. Die Weisheit des Weibes, die in bezug auf Liebe vorsichtiger und voraussehender ist als diejenige des Mannes, regte sich in ihr.

»Warum willst du es wissen? Glaubst du etwa, daß du dann glücklicher bist? Ein wenig Geheimnis hält die Illusion lebendig und wehrt der Übersättigung. Die Wahrheit mag in allen Lebensumständen von Vorteil sein, aber für die Liebe ist sie verhängnisvoll. Ähnelt die Liebe nicht gewissen Frauen, die in künstlicher Beleuchtung schön wie Göttinnen sind, erschreckend jedoch unter dem grausamen, klaren Licht der Sonne? Weise sie zurück, die Schimären der Vergangenheit! … Bringt dir die Gegenwart nicht alles Glück?«

Und um ihm dieses Glück zu beweisen, füllte sie in dieser Nacht das Mysterium ihres Schlafzimmers mit einer endlosen Reihe wilder Zärtlichkeiten, die Ulysses' Sinne schwer und süß vergehen ließen.

»Ich muß Abschied nehmen«, sagte er zögernd, als drei Wochen seit der Abfahrt der Nereide verstrichen waren. »Man wartet in Barcelona. Und mein Schiff … ich bin ganz ohne Nachrichten.«

Die junge Frau schien seine zaghaften Andeutungen nicht zu verstehen. Abends aber überraschte sie ihn durch folgende Erklärung:

»Der Moment naht, dein Wort einzulösen und mir zuliebe unserer Sache einen großen Dienst zu erweisen. Ist es geschehen, so komme ich zu dir nach Barcelona, Ulysses, oder wir treffen uns sonstwo … Die Welt ist klein.«

Zwei Tage später ließ ihn die Frau Doktor um eine Unterredung bitten.

»Alles ist bereit, Kapitän!« In ihrer bisher so gütigen Stimme lag diesmal ein ganz leiser Befehlston. »Da Sie über Ihren eigenen Dampfer nicht verfügen konnten, habe ich ein anderes Schiff für Sie besorgt. Der Graf wird es Ihnen zeigen. Am besten sofort.«

Kaledine führte ihn zu dem kleinen Hafen der Insel dell' Ovo, an dessen Kai ein grünlich gestrichener Schoner lag.

»Achtzig Tonnen«, schätzte Ferragut und ging über die Laufplanke an Bord, um die Takelage sowie den Hilfsmotor zu examinieren, mit dem der Schoner bei Windstille sieben Meilen in der Stunde machen konnte. Die Lettern am Heck kennzeichneten ihn als sizilianischen Fischkutter aus Trapani. Ein Schiffszimmermann mit künstlerischem Einschlag hatte hinten einen großen Hummer angebracht, der zum Steuer hochkletterte, während vorn zu beiden Seiten des Bugs ein doppelter Reigen von Krebsen emporstieg – alles mit der naiven Genauigkeit mittelalterlicher Holzschnitzereien modelliert.

Durch die offenen Luken sah Ferragut, daß der Raum schon zur Hälfte mit Kisten gefüllt war, von denen jede zwei Blechbehälter mit Öl faßte.

»Gut«, wandte er sich an den Grafen, der ihn stumm bei seinem Rundgang begleitete, »und wo ist die Bemannung?«

Kaledine wies auf drei vorn am Bug hockende ältere Matrosen, drei dieser schweigsamen Veteranen des Mittelmeers, die automatisch alle Befehle ausführen, ohne sich um Fracht und Ziel zu kümmern.

»Mehr nicht?« fragte Ferragut und erhielt die Versicherung, daß noch einige Leute kommen würden, sobald die ganze Ladung, deren Übernahme gewisse Vorsichtsmaßregeln erforderte, an Bord sei.

»Halten Sie sich auf jeden Fall bereit, Kapitän. Vielleicht kann ich Ihnen den Termin der Ausfahrt erst zwei Stunden vorher mitteilen.«

Freya gegenüber machte Ulysses kein Hehl aus seiner Verwunderung, wie der Frau Doktor die glatte und diskrete Abwicklung einer so heiklen Affäre in einem Hafen gelingen konnte, in dem es von neugierigen Augen und Ohren wimmelte.

»Es ist nicht allein ihr Verdienst. Sämtliche deutschen Kaufleute in Neapel und auf Sizilien leisteten willig Hilfe«, antwortete Freya voll Stolz auf ihre Landsleute. Dann machte sie sich fürsorglich daran, alles, was Ulysses unterwegs notwendig hatte, in einen Handkoffer einzupacken.

Als am folgenden Tage die Dämmerung hereinbrach, meldete sich der Graf: das Schiff brauchte seinen Kapitän.

Die Herrin des Hauses verabschiedete sich von Ulysses mit einer gewissen Feierlichkeit. Sie flüsterte Freya etwas zu, worauf diese den Salon verließ und gleich darauf mit einer schlanken Flasche zurückkehrte. Ganz alten, für eine besondere Gelegenheit aufgesparten Rheinwein!

»Wo ist Norden?« fragte die Frau Doktor, sobald die vier Gläser gefüllt waren. Der Graf gab ihr die Richtung an. Und ernst und voller Würde hob sie ihr Glas zur Huldigung an das ferne Vaterland. »Kommen Sie bald zurück, Kapitän!« wandte sie sich dann an Ferragut. »Weil Sie für eine gerechte Sache arbeiten, wird das Glück Ihnen hold sein!«

In Freyas und Kaledines Begleitung schritt Ulysses die steilen Straßen von Chiaia hinunter. Jetzt erst fiel ihm die Veränderung in der Kleidung des Grafen auf; wie ein Sportsmann, der an einer Regatta teilnehmen will, trug er ein blaues, zweireihiges Jackett, weiße Hosen und eine Schirmmütze.

Im Park der Villa Nazionale machte Kaledine halt: »Weiter nicht, gnädige Frau!«

Sein Ton war kurz und befehlend, und sie gehorchte ohne Weigerung, als beuge sie sich einer höheren Autorität.

»Adiós, mein Ulysses!«

Die Gegenwart des gestrengen Zeugen vergessend, schlang sie die Arme um seinen Hals. Ihr Körper bebte in verhaltenem Schluchzen, und Ferragut hatte den Eindruck, daß sie noch nie so aufrichtig gewesen war. Mit sanfter Gewalt löste er ihre Arme, und ohne sich noch einmal umzusehen, folgte er rasch dem vorangegangenen Grafen.

Von fern sah er sein altes Hotel am Strande von Santa Lucia, das aus allen Fenstern eine Lichtflut in die Nacht ergoß. Vor dem Eingang empfing der Portier gerade einen neu ankommenden Gast, und vielleicht war eine flüchtige Ähnlichkeit die Ursache, daß sich plötzlich die Gestalt seines Sohnes Esteban in des Kapitäns Gedanken drängte. Eine wenig angebrachte Erinnerung, über die er im Weiterschreiten bitter lächelte.

Seine Mannschaft hatte sich um sieben blonde, kräftige Burschen vermehrt. Sie sprachen Italienisch, doch kam es dem Kapitän trotzdem nicht einen Moment in den Sinn, sie für Italiener zu halten.

Als die Taue losgeworfen wurden, blickte er fragend hinüber zum Grafen.

»Ich komme mit«, äußerte dieser. »Die kleine Promenade reizt mich.«

Ferragut, der sich vorgenommen hatte, bei dieser ungewöhnlichen Fahrt über nichts zu erstaunen, beschränkte sich auf ein höfliches: »Um so besser!« Gleich darauf widmete er sich ganz der Aufgabe, den Schoner aus dem kleinen Hafen zu bringen. Die Scheiben am Ufer von Santa Lucia zitterten bei dem Knattern des ehrwürdigen Motors, der das Keuchen eines heiseren Hundes nachzuäffen schien. Dann gingen die Segel hoch und blähten sich unter den ersten Windstößen.

Drei Tage dauerte die Fahrt. Der Graf und Ferragut sprachen nicht viel miteinander, aber sie verbrachten lange Stunden gemeinsam am Steuerrad, und ganz allmählich ging der angebliche Diplomat ein wenig aus seiner Reserve heraus. Sowohl die Sicherheit, mit der er sich an Bord bewegte, als auch seine Kenntnis aller technischen Ausdrücke nahmen Ferragut jeden Zweifel über seinen wahren Beruf.

»Sie sind auch Seemann«, meinte er am zweiten Tage.

Graf Kaledine, der es für nutzlos hielt, sich weiter zu verstellen, nickte.

Aber warum hat man dann mir das Kommando gegeben? … fragte sich Ulysses erstaunt. Sicher gehörte Kaledine zur Kriegsmarine, genau wie die blonden, disziplinierten Matrosen, die Ferraguts Befehle zwar prompt ausführten, deren Verhalten jedoch kundtat, daß für sie der eigentliche Chef an Bord der Graf war.

Nachdem der Schoner den Lipari-Archipel passiert hatte, folgte er der sizilianischen Küste von Kap Gallo bis zum Kap San Vito, um hier den Bug nach Südwest mit Kurs auf die Ägaden zu richten.

Kaledine versagte der meisterhaften Navigation Ferraguts nicht seine Anerkennung.

»Fabelhaft, wie Sie Ihr Meer kennen!«

Lachend zuckte Ulysses die Achseln. Ja, es war wirklich das seinige!

Als könnte er durch einen einfachen Blick aufs Wasser den Meeresgrund erraten, hielt er den Schoner dicht am Rande der weitausgedehnten Bank der Abenteuer. Zwei Tage kreuzten sie hier, langsam, nur die notwendigsten Segel gesetzt. Dann begann eine sichtliche Unruhe Kaledine immer wieder hinauf in die Wanten zu treiben, wo sich ihm ein größeres Gesichtsfeld bot.

Von dort oben gab er Ferragut am vierten Morgen einen neuen Kurs an. Man kam …

Und nach Verlauf einer halben Stunde erschienen hintereinander zwei langgezogene Schiffe, die ganz wenig aus dem Wasser ragten und mit großer Schnelligkeit fuhren; eine Art Zerstörer – doch ohne Masten und Schornsteine –, deren grauer Anstrich sie in der Entfernung mit dem Wasser verschmolz. Sie schossen heran, nahmen den Schoner in die Mitte; Stahltrossen flogen auf sein Deck und vereinigten die drei in der schwachen Dünung gemächlich schaukelnden Schiffe zu einer einzigen Masse.

Ein Hurra! Dann das Gellen von Pfeifen. Ferragut sah zwei Reihen Matrosen sein Schiff überfallen, und im Nu waren die Luken des Schoners geöffnet. Man hörte das Krachen von brechendem Holz; nach links und nach rechts verschwanden die Petroleumbüchsen, während ein Wirrwarr von offenen Kisten und zertrümmerten Brettern auf dem Wasser umherschwamm.

Niemand beachtete den Kapitän Ferragut. Manchmal erhielt er sogar einen Stoß von den eiligen, nur auf ihre Arbeit bedachten Männern. Was war er denn auch? Ein kleiner Schiffer, ein Zivilist, für den es keinen Platz gab auf der Rangleiter dieser Krieger!

Jetzt begriff er auch, weshalb man ihm das Kommando des Schoners anvertraut hatte. Der Graf trat auf ihn zu und reichte ihm mit kameradschaftlicher Liebenswürdigkeit die Hand.

»Wir trennen uns jetzt. Haben Sie vielen Dank, Kapitän! Solchen Dienst vergißt man nicht. Vielleicht sehen wir uns nie wieder; aber wenn Sie mich einmal brauchen sollten … ich bin der Kapitänleutnant von Kramer. Mein diplomatischer Charakter war übrigens keine freie Erfindung, denn ich habe an mehreren Botschaften als Marineattaché Dienst getan.«

Hierauf folgten noch Instruktionen für die Rückfahrt. Vor dem Hafen von Palermo sollte Ulysses warten, bis der Eigentümer des Schoners an Bord kommen würde, um sein Schiff zu übernehmen. Die Schiffspapiere in der Kajüte waren in bester Ordnung.

»Grüßen Sie die Damen … Sagen Sie auch, daß man bald von uns hören wird. Wir werden uns zu Herren des Mittelmeers machen.«

Mit der letzten Ölkanne verschwanden auch die letzten deutschen Matrosen; die Trossen wurden gelöst. »Gute Fahrt!« schrie ein Offizier Ulysses zu. Dann begannen die Unterseeboote sich rasch zu entfernen.

Allein auf der Brücke, wurde Ferragut von einer plötzlichen Unruhe ergriffen. »Was hast du getan?« rief eine Stimme in seinem Hirn.

Aber es blieb ihm keine Zeit zur Überlegung. Er mußte sich gehörig tummeln, um den Mangel an Armen auszugleichen, denn auch die sieben blonden Matrosen waren fort. Zwei Nächte und einen Tag bediente er selbst Steuer und Motor, da er, nur auf die drei alten Sizilianer angewiesen, nicht alle Leinwand zu setzen wagte, und erst als die Hafenlichter von Palermo grüßend durch das Morgengrauen blinzelten, konnte er zum ersten Male wieder schlafen, während der Schoner mit gerefften Segeln vor der Hafeneinfahrt kreuzte.

Mittags weckten ihn Stimmen: »Wo ist der Kapitän?«

In Begleitung des Schiffseigentümers war ein Herr an Bord gekommen, der Ferragut an Land bringen wollte – ein Agent der Frau Doktor, wie dieser vermutete.

Eine halbe Stunde später stand Ulysses auf dem Kai, und begierig, so schnell wie möglich wieder in Neapel zu sein, verabschiedete er sich Hals über Kopf von seinem Begleiter und fuhr direkt zum Bahnhof.

Welch eine ungewöhnliche Bewegung herrschte auf den Straßen? … Überall standen eifrig diskutierende Gruppen, überall wurden Zeitungen laut vorgelesen. Aus vielen Fenstern wehte die italienische Fahne im Verein mit der englischen, der französischen und der belgischen …

Auf dem Bahnhof erfuhr auch der Kapitän Ferragut endlich, daß tags zuvor Italien den Zentralmächten den Krieg erklärt hatte.

Die Reise war lang und beschwerlich. Immer wieder hielt sein Zug endlose Zeit, um Militärtransporte durchzulassen, so daß Ulysses ganz erschöpft von diesen achtundvierzig Stunden Fahrt in Neapel ankam. Auch der Wagen, der ihn nach dem alten Palast in Chiaia führte, schien ihm im Schneckentempo zu zockeln.

Als er das Vestibül durchschritt, überfiel ihn die Pförtnerin, eine fette Frau mit staubigem Krauskopf, die er früher nur flüchtig in der Tiefe ihrer Höhle wahrgenommen hatte, mit der Nachricht, daß die Damen abgereist seien und die blonde Signora ihr das Gepäck des Herrn in Verwahrung gegeben habe.

»Ich werde es holen lassen«, antwortete Ulysses, und einem anderen Wagen winkend, befahl er dem Kutscher, ihn zum Albergo von Santa Lucia zu fahren.

Bei seinem Eintritt in die Hotelhalle malte sich ein grenzenloses Staunen auf den Zügen des Portiers. Und ehe Ferragut, dem eine vage Hoffnung einredete, Freya könnte im Hotel sein, sich nach ihr zu erkundigen vermochte, sprudelte er heraus:

»Herr Kapitän, Ihr Sohn hat Sie hier gesucht.«

Sein Sohn? … Was für ein Sohn? … Doch schon wies der Mann mit den gestickten Schlüsseln auf die Eintragung im Fremdenbuch: Esteban Ferragut, Barcelona.

Ulysses erkannte die Handschrift seines Sohnes, und eine unerklärliche Angst schnürte ihm die Brust zusammen.

»Er hat überall nach Ihnen gefragt«, fuhr der Portier fort. »Schließlich reiste er in der Annahme, daß Sie inzwischen schon die Heimfahrt angetreten hätten, wieder ab. Zwölf Stunden eher, Herr Kapitän, und Sie hätten ihn noch hier angetroffen!«

Ferragut warf einen zweiten Blick auf das Fremdenbuch, las das Datum.

Ah, jener Reisende vor dem Hotelportal … am Abend der Ausfahrt nach den Ägaden … das war sein Sohn gewesen!


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