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V.

Als Alexis Marlan in das Lesezimmer des Exzentrikklubs trat, erhob sich Fred Wronker eben aus einem Klubsessel; er wollte gehen, wurde aber durch einen Zuruf Marlans festgehalten, der mit raschen Schritten auf ihn zuging.

»Endlich treffe ich Sie mal wieder; ich hörte, daß Sie verreist waren.«

»Allerdings. Gestern kam ich erst zurück.«

»Sie werden doch der Jahresversammlung des Klubs beiwohnen? Ich denke, daß Sie deshalb zurückkehrten.«

Fred Wronker machte eine abwehrende Bewegung:

»Daran dachte ich dabei am wenigsten. Aber da ich da bin, werde ich selbstverständlich an diesem Jahrestag nicht fehlen.«

Die Brauen über den dunklen Augen in dem sonnverbrannten Gesichte Marlans schoben sich wie in unangenehmer Erinnerung zusammen, als er darauf die Bemerkung hinzufügte:

»Es wird doch auch bald ein Jahr, daß jenes Verbrechen an Professor Marschall begangen wurde.«

Aber diese Bemerkung schien für Fred Wronker keine erfreuliche zu sein, da er gleichsam wie abwehrend erwiderte:

»Ich weiß, ich weiß! Aber in der Öffentlichkeit ist die Angelegenheit wohl schon vergessen. Wer bekümmert sich heute noch um den Fall des Professor Marschall?«

Doch da wehrte Alexis Marlan ab:

»Ganz stimmt das nicht. Freilich, die große Masse hat die Sensation, die der Fall einmal hervorrief, schon wieder vergessen. Aber in meinem Amt ist die Erinnerung an jene Tat noch so lebhaft wie in den ersten Tagen, und ich kann sogar behaupten, daß mein Inspektor Wendland heute noch ebenso verbissen der Spur des Mörders nachfolgt.«

Da unterbrach Fred Wronker mit der hastigen Zwischenfrage:

»Und sein Erfolg?«

Der Gefragte zog wie bedauernd die Schultern hoch:

»Leider kann ich keine bestimmte Auskunft geben; dieser Doktor Steffen, in dem wir heute immer noch den Mörder sehen müssen, scheint über eine außergewöhnliche Energie zu verfügen, da er noch immer entschlüpfte, wenn er gerade in äußerster Gefahr war. Abenteuer an Abenteuer bedeutet seine Verfolgung. Aber einmal werde ich von meinem Inspektor Wendland doch die ersehnte Nachricht bekommen.«

»Zu wünschen wäre es!«

Da erinnerte Alexis Marlan an etwas anderes:

»Aber Fräulein Anita? Diese war doch so erfolgsicher! Sie wollte den Mörder des Professors noch vor der Polizei zur Strecke bringen. Hat sie das Ziel vielleicht erreicht?«

Unwillig darüber, daß er gerade daran erinnert wurde, entgegnete Fred Wronker:

»Ich weiß nichts.«

»Sie müßten doch am ehesten Nachricht haben. Wo hält sich denn Fräulein Anita auf?«

»Ich bedaure, denn ich weiß darüber genau so wenig wie Sie selbst. Ich erhalte von ihr keine Nachricht mehr.«

Der Chef der Sicherheitspolizei zeigte ein überlegenes Lächeln:

»Das geschieht wohl deshalb, weil sie selbst die Aufgabe als ergebnislos aufgeben mußte. Das kommt öfters vor, wenn Dilettanten auf kriminellem Gebiet Zufallserfolge hatten und deshalb klüger sein wollen als der Berufskriminalist. Jedenfalls wird sie sich bei dem Jahrestage nicht vermissen lassen.«

»Mir teilte sie von einer beabsichtigten Rückkehr nichts mit; ich kann daher auch nicht sagen, ob sie da zu sehen sein wird.«

»Ich begreife deren Verhalten nicht. Wenn Sie ihr nun Nachricht geben wollen?«

»Nachrichten empfängt sie; aber nur durch ihren Anwalt, der allein ihren Aufenthalt zu kennen scheint, und durch den sie mir auch gelegentliche Mitteilungen macht, die aber nie etwas von ihrem Aufenthalt verraten; Sie selbst wissen, wie selbstständig sie noch in all ihren Entschlüssen war.«

»Gewiß, davon mußte ich mich selbst schon überzeugen. Aber gerade diese Selbständigkeit wird es ihr um so schwerer machen, eine Niederlage auch zuzugestehen. Und das müßte sie wohl.«

»Möglich, aber das Zugeständnis würde ihr sicherlich dadurch leichter, da ja Sie in dem gleichen Falle auch zu keinem Erfolge kamen ...«

»Vorerst, immer nur vorerst! Ich habe den Fall Professor Marschall noch keineswegs aufgegeben.«

Darauf schwieg Fred Wronker, denn er wußte keine Antwort.

Alexis Marlan fügte dann hinzu:

»Jedenfalls erhoffe ich ein Wiedersehen am Jahrestag im Exzentrikklub. Vielleicht wird Fräulein Anita doch auch noch eintreffen.«

Darauf trennten sie sich, Fred Wronker, um das Lesezimmer zu verlassen, Alexis Marlan, um nach dem Billardzimmer zu gehen.

Aber Alexis Marlan war diesmal beim Spiel unruhiger als sonst und seine Hand führte das Queue nicht mit der sonstigen Sicherheit. Gegen seinen Willen beschäftigten sich seine Gedanken nach dieser Begegnung mit dem Fall Professor Marschall. Dieser hatte noch immer keine Erledigung gefunden, und auch er selbst war schon seit einiger Zeit wieder ohne Nachricht von dem Inspektor. Er hatte ihm wohl von dem Abenteuer auf dem Schiffe mitgeteilt, von der weiteren Verfolgung, die jenen Doktor Steffen wieder in der Person eines angeblichen Vicomte Duchesse aus der Hacienda eines Don Carena ausfindig machte, von der er jedoch wieder im letzten Augenblick wie von unbekannter Seite gewarnt entweichen konnte. Trotzdem Inspektor Wendland dann sogleich die ihm gewiesene Spur ausgenommen hatte, gelang es ihm nicht, den Verfolgten zu stellen. Die weiteren Berichte des Inspektors hatten dann nur noch von erfolglosen Versuchen, diesen angeblichen Doktor Steffen, oder wie nun dessen wirklicher Name lauten mochte, wieder ausfindig zu machen, gemeldet.

Sollte also bei dem kommenden Jahrestag von dem Verluste des Professors Marschall gesprochen werden, dann konnte auch er keine befriedigende Nachricht geben, die wenigstens die Sühne für jene Tat hätte erwarten lassen.

Um so erstaunter war daher Alexis Marlan, als er am Morgen des darauffolgenden Tages sein Amtszimmer betrat und ihm dabei ein Amtsdiener entgegenkam und ein Depeschenformular in der Hand schwenkte.

»Von Inspektor Wendland!« war dabei sein erster Gedanke.

Hastig griff er nach der Depesche und riß sie auf.

Er hatte sich auch nicht geirrt. Im letzten Augenblick kam doch noch die ersehnte Nachricht.

Und schon flogen seine Augen über die Zeilen hin:

»Doktor Steffen trifft mit dem Abendzuge um neun Uhr zehn ein; unter seinem Gepäck befindet sich der bewußte Koffer. Personalbeschreibung stimmt. Wendland.«

Also doch!

Es schien damit die letzte Gelegenheit geboten, die Person jenes geheimnisvollen Doktor Steffen zu stellen.

Diesmal wollte er sich diesen aber nicht wieder entgehen lassen wie damals auf »Adlerhorst«.

Diese Niederlage wollte er jetzt ausgleichen.

Und mit diesem Vorsatz gab Alexis Marlan als Chef sofort die ihm notwendig erscheinenden Anweisungen zur Festnahme des Angezeigten sofort beim Eintreffen mit dem von Inspektor Wendland angegebenen Zuge.

*

Die Bahnhofshalle zeigte das gewohnte Bild in Erwartung des Expreßzuges; Bahnbeamte, Kofferträger, Neugierige und solche, die die Ankunft von Angehörigen erwarteten, standen in langen Reihen, schwätzend und plaudernd.

Schon zeigten sich in der Ferne die Lichter des einfahrenden Zuges.

Das dumpfe, verworrene Lärmen schwoll etwas an, und schnaubend, und ratternd fuhr der Zug ein.

Türen wurden aufgerissen, Stimmen schwirrten, ein Rennen und Laufen.

In der Nähe des Gepäckwagens, dicht hinter der führenden Lokomotive, die schwarze, mächtige Rauchschwaden ausstieß, hatte sich Alexis Marlan, der Chef der Sicherheitspolizei mit zweien seiner Beamten eingefunden. Seine hellblauen Augen spähten ungeduldig über die Masse der Menschen hin; seine Hauptaufmerksamkeit galt jedoch in erster Linie den Gepäckstücken, die aus dem Wagen heraus ausgegeben wurden.

Da entdeckte er auch schon das Gesuchte.

Ein hellbrauner Rohrplattenkoffer mit Messingbeschlägen. Die Größe stimmte mit der gegebenen Beschreibung überein.

Aber wem gehörte er? Wer holte ihn ab?

Da sah er auch diese Gestalt.

Ein großer, schlanker Mann mit bartlosem Gesicht, frisch rasiert und leicht gepudert, mit unruhigen, graubraunen Augen hinter einem Klemmer trat heran und unterhandelte mit einem Kofferträger über das Fortschaffen jenes Rohrplattenkoffers.

Auch die Beschreibung stimmte.

Das mußte der Gesuchte sein, jener Doktor Edwin Steffen, der unbekannte Direktor Streitter aus Rotterdam und dann der Freiherr von Sassen, von dem Inspektor Wendland berichtet hatte.

Alexis Marlan gab seinen Beamten ein vereinbartes Zeichen und ging dann auf diesen Fremden zu und faßte dessen Arm.

Ein rascher Blick aus dessen Augen traf ihn; und Alexis Marlan erkannte in dem gleichen Augenblick, wie der Fremde bei dem Begegnen mit seinem Blick zusammenzuckte; ein kurzes, unverkennbares Erschrecken war es.

Dann eine ungeduldige Frage:

»Was wünschen Sie, mein Herr?«

Aber Alexis Marlan hatte die Sicherheit, die er nun behalten mußte.

»Ich ersuche Sie, mir möglichst unauffällig zu folgen. Der Koffer aber kann dabei mitgebracht werden.«

»Ihnen? Mit welchem Rechte? Wer sind Sie?«

Da zeigte Alexis Marlan auf der Innenseite seines Mantels die Legitimation:

»Chef der hiesigen Sicherheitspolizei! Ich muß Sie für verhaftet erklären.«

»Mich? Aus welchem Grunde?«

»Wegen dringenden Verdachts des Mordes an dem Professor Alban Marschall. Sie wurden als jener Doktor Steffen erkannt, der zuletzt in Gesellschaft des Ermordeten war.«

Das glattrasierte Gesicht des Fremden, den Alexis Marlan als Doktor Steffen bezeichnete, nahm einen spottenden Zug an, als er nun fragte:

»Sind Sie dieser Behauptung so sicher?«

»Gewiß, Herr Doktor Steffen! Sie wurden das bedeutsamste Beweisstück Ihrer Schuld nicht los! Da ist ja noch der Koffer des Professors Marschall, den Sie aus dessen Arbeitszimmer mitnahmen, und in dem nach sehr wahrscheinlicher Annahme noch die balsamierten und konservierten Leichenteile des Unglücklichen sein dürften. Sie werden einsehen, daß in diesem Augenblicke eine Flucht nicht mehr möglich ist wie aus dem Hotel Adlerhorst und von dem Schiffe. Auch ein Widerstand wäre zwecklos.«

Aber dieser Doktor Steffen blieb vollkommen ruhig; er zog nur die Uhr, blickte auf diese und sagte dann:

»Gut! Ich bin bereit! Wo soll ich hin?«

»Mit mir auf die Polizeiwache.«

»Einverstanden!«

Da gab der Chef der Sicherheitspolizei seinen beiden Beamten noch die Weisung, für das Nachschaffen des verhängnisvollen Koffers Sorge zu tragen und schritt dann neben dem Verhafteten zur Wache des Zentralbahnhofes.

Als sie dort angekommen waren, fragte jener angebliche Doktor Steffen mit beherrschter Ruhe:

»Jetzt darf ich wohl um genaue Angaben für dieses Vorgehen ersuchen?«

»Diese werden Ihnen erst gemacht werden, wenn dieser Koffer hier geöffnet und durchsucht worden ist.«

»Wenn ich aber meine Zustimmung dazu verweigere?«

»Das dürfte vollkommen zwecklos sein, da der Polizei das Recht zusteht. Nachher haben Sie ja das Recht einer Beschwerde.«

Dann wandte er sich an die beiden Beamten und bedeutete diesen den Koffer zu öffnen; dabei richtete er an den Doktor Steffen die Frage:

»Sind Sie bereit, den Schlüssel zu diesem Koffer freiwillig auszuliefern?«

Ehe aber noch eine Antwort darauf erfolgte, wurde die Türe des Polizeilokals geöffnet und erregt trat die Gestalt einer jungen Dame in einem einfachen Reisekleid ein.

Kaum aber fielen die Augen auf diese neue Erscheinung, da rief auch schon Alexis Marlan überrascht:

»Oh, Fräulein Wronker! Das ist eine Überraschung. Kein Zufall hätte Sie günstiger hierher führen können.«

Anita Wronker blickte suchend umher; nur zerstreut schien sie auf die Begrüßung durch Alexis Marlan zu hören; ihr Suchen galt einem anderen.

Als ihre Blicke auf Doktor Steffen trafen, da huschte ein Lächeln über ihr Gesicht und sie trat zu diesem heran.

Dem Chef der Sicherheitspolizei jedoch antwortete sie:

»Es ist wirklich kein Zufall, der mich hierher brachte. Ich suchte jemand.«

Alexis Marlan aber verstand diese Worte nur in einem Sinne und entgegnete darauf:

»Was Sie dabei beabsichtigten, das ist unterdessen schon durch mich geschehen. Ich bedaure, daß ich Ihnen dabei im Erfolg zuvorkam.«

»Im Erfolg?«

Und dabei zeigte auch das Gesicht von Anita Wronker einen überlegen lächelnden Zug; und sie trat noch näher an jenen Doktor Steffen.

Da erklärte Marlan:

»Gewiß! Ich erklärte soeben die Verhaftung des Doktors Steffen, des Mörders von Professor Marschall. Hier ist er!«

Dabei zeigte er auf den Fremden, den er Doktor Steffen nannte, und der nun lächelnd neben Anita Wronker stand.

Er schien auch antworten zu wollen, aber da kam ihm Anita Wronker schon zuvor:

»Das dürfte aber ein Irrtum sein, Herr Marlan.«

»Ganz gewiß nicht, wie ja das Öffnen des Koffers bald ergeben wird.«

Einer der beiden Beamten kniete schon neben diesem Koffer, um ihn mit dem von jenem Doktor Steffen abgegebenen Schlüssel aufzusperren.

»Sie werden sich aber doch zu meiner Ansicht bekehren müssen, denn Sie stehen im Begriffe, meinen Verlobten zu verhaften.«

Bei dieser Erklärung fuhr Alexis Marlan aber doch überrascht zurück und zeigte ein verwundertes Gesicht; so groß war das Erstaunen, daß er zunächst keine Antwort fand und nur bald auf Anita Wronker, dann auf den von ihm Verhafteten starrte.

Als aber Anita Wronker noch ihren Arm in den des Verhafteten schob, da entgegnete der Chef der Sicherheitspolizei mit erregter Stimme:

»Das kann nicht sein! Das hier ist jener gesuchte Doktor Steffen, der sich dann Doktor Streitter und später Freiherr von Sassen nannte.«

»Nein! Das ist mein Verlobter, denn einen Doktor Edwin Steffen hat es ja niemals gegeben.«

»Wer aber ist es dann?«

»Ich sagte es Ihnen ja! Mein Verlobter; Professor Alban Marschall, der in Wirklichkeit nie ermordet wurde.«

»Wie? Was?«

In unbegreiflichem, fassungslosem Erstaunen schaute Alexis Marlan auf.

Und jetzt gab auch der Verhaftete seine erste Erklärung ab:

»Es stimmt, Herr Marlan! Ich bin Professor Alban Marschall, allerdings etwas verändert, was sich aber notwendig machte, wenn ich meine Aufnahmebedingungen für den Exzentrikklub erfüllen wollte. Daß ich trotzdem eine Verlobte fand, die schönste und begehrenswerteste, das hat ja Fräulein Wronker schon verraten.«

Nun zeigte sich ein immer noch wachsenderes Erstaunen.

»Wie? Ich verstehe noch immer nicht.«

Da zeigte Professor Alban Marschall, wie sich der Verhaftete nun zu erkennen gab, auf den inzwischen durch den Beamten geöffneten Koffer und erklärte:

»Nun können Sie sich ja endlich von dem Inhalte des verhängnisvollen Koffers überzeugen.«

In der Hast dieser Überraschungen hätte der Chef der Sicherheitspolizei den Koffer bald vergessen.

Hastend irrten seine Blicke zu diesem hin und da sah er, wie der Beamte aus dem Rohrplattenkoffer weiter nichts als große Steine herausnahm und auf den Boden neben dem Koffer legte. Zum Schluß aber holte er ein Schriftstück hervor, das er Alexis Marlan hinreichte, der verwirrt danach griff und darin zu lesen begann.

In dieser Zeit schmiegte sich Anita Wronker mit der Zärtlichkeit des liebenden Weibes an den Verlobten und schauten zu ihm auf, wobei sie mit weicher Stimme sagte:

»Ich habe dich auch diesmal noch vor der Verhaftung retten wollen, damit du auch die letzte der Bedingungen erfüllen würdest. Leider kam ich zu spät und du mußtest daher das Spiel doch noch verlieren.«

Da schüttelte er dazu den Kopf und erklärte:

»Nein, ich habe gewonnen; ich schaute auf die Uhr! Genau um neun Uhr vierzig erklärte Herr Marlan als Chef der Sicherheitspolizei meine Verhaftung, aber schon um neun Uhr dreißig lief meine eigene Frist ab. Mit zehn Minuten Vorsprung habe ich die von mir selbst gestellte Aufnahmebedingung in den Exzentrikklub erfüllt. Stimmt es, Herr Marlan?«

Da ließ der Gefragte das Schreiben, das ihm der Beamte aus dem Koffer heraus hingereicht hatte, sinken und wandte sich an Professor Marschall:

»Ich habe die Aufzeichnung gelesen! Ja, Sie haben gewonnen und mir bleibt nichts anderes übrig, als Ihnen zu gratulieren, nicht nur, daß Sie ein solches Abenteuer bestanden, sondern daß Sie dabei noch eine Braut gewinnen konnten, um die Sie nur beneidet werden können.«

Und Alexis Marlan streckte die Hand dem Professor hin, der sie auch erfaßte; dann fragte aber Marlan sofort:

»Aber wie hat das alles so kommen können?«

»Davon später, in der Sitzung des Exzentrikklubs, wenn dort mein Aufnahmegesuch geöffnet wird. Auf Wiedersehen dort!«

*

Im Beratungszimmer des Exzentrikklubs herrschte Schweigen.

Um den großen, mächtigen Mitteltisch mit der Platte aus geflammtem Birnenholz saßen die vier Intimen des Klubs, die die engere Vorstandschaft bildeten, dann Professor Alban Marschall, bartlos und in dem Kneifer, den er als angeblicher Doktor Steffen trug, Anita Wronker und ihr Bruder Fred, sowie Alexis Marlan.

Der große Lüster brannte und warf seine Lichtfülle über die Gruppe am Mitteltische.

Der Vorstand des Exzentrikklubs aber trat von dem großen, eingebauten Stahlschrank zurück, aus dem er einen versiegelten Umschlag herausgenommen hatte, und setzte sich mit diesem wieder an den noch leeren Stuhl des Tisches.

Dort aber erklärte er mit langsamer Stimme:

»Ehe ich dieses Schreiben hier öffne, weise ich nochmals auf den Paragraphen 8 unserer Statuten hin, der folgenden Wortlaut hat: Mitglied des Klubs kann nur werden, wer eine außergewöhnliche, kühne Tat ausführt, die Aufsehen und Sensation hervorruft und Mut und Energie erfordert. Die Tat muß aber vorher in einem versiegelten Umschlag beschrieben werden und die Zeit bestimmen, innerhalb deren sie ausgeführt wird. Es muß mindestens innerhalb eines Jahres geschehen.« Dann blickte der Vorstand mit fragendem Blick um sich: »Stimmt dieser Wortlaut?«

Von allen Seiten wurden die Zustimmungen abgegeben.

Dann fuhr er mit seinen Ausführungen fort:

»In der Jahressitzung des vergangenen Jahres beantragte Professor Marschall, dessen Taten auf seinen Forschungsreisen berühmt genug sind, um jedes weitere Wort überflüssig zu machen, seine Aufnahme in den Klub. Versiegelt übergab er diese Urkunde, die enthalten soll, was er sich zur Aufnahmetat bestimmt hatte, und die statutengemäß genau so versiegelt bis zur nächsten Jahresversammlung aufbewahrt wurde, das ist bis zur heutigen. Ich ersuche, festzustellen, daß die Siegel unverletzt sind, daß inzwischen also niemand jenes Schreiben öffnete, daß also auch niemand wissen konnte, was dies Schreiben enthält.«

Damit gab er das versiegelte Schreiben an seinen Nachbar zur Linken, der es dann in gleicher Weise weitergab, bis von allen bestätigt wurde, daß das Schreiben unverletzt war.

Nun erklärte er wiederum:

»Jetzt erst habe ich ein Recht, das Siegel aufzubrechen und den Inhalt bekanntzugeben.«

Nach dem Loslösen der Siegel öffnete er den Umschlag und nahm aus diesem ein Schreiben heraus, das er auseinanderfaltete und dann vorlas:

»Da schon wiederholt die unwidersprochene Behauptung aufgestellt wurde, daß es bei dem heutigen Stande der Sicherheitspolizei unmöglich sein würde, spurlos zu verschwinden, so verpflichte ich mich, spurlos zu verschwinden und dabei noch als mein eigener Mörder verfolgt zu werden, ohne mich auch nur einen Augenblick von den scheinbaren Tatsachenbeweisen, die mich schuldig erscheinen lassen, zu trennen. Dies soll meine Aufnahmebedingung für den Exzentrikklub sein, die bis zum Termin vom 28. Februar abends neun Uhr dreißig als dem Jahrestag der Niederschrift durchgehalten werden muß. Professor Alban Marschall.«

Der Vorstand schwieg einen Augenblick und wandte sich darauf an Marschall:

»Stimmt der Wortlaut?«

»Ja!«

»Es ist nun innerhalb der Intimen des Klubs darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller seine Aufgabe, wie er sie beschrieb, erfüllte. Um dies beurteilen zu können, erteile ich Herrn Professor Marschall das Wort, damit er uns berichte, wie er seinen Auftrag ausführte.«

Die Augen aller Anwesenden wandten sich nun dem Bezeichneten zu, der die Fingerspitzen gegeneinander preßte und dann erzählte:

»Um wirklich spurlos zu verschwinden, schien mir die Vortäuschung eines Verbrechens, in diesem Falle eines Mordes, am gebotensten, bei dem meine Leiche unauffindbar bleiben sollte. Damit war ich dann nicht nur verschwunden, sondern es ergab sich daraus ohne weiteres, daß ich durch ein geschicktes Zusammenstellen von Indizienbeweisen als mein eigener Mörder verfolgt werden konnte. Ich traf zu diesem bestimmten Plane alle Vorbereitungen, die natürlich genau berechnet waren. Ich bereitete meinen Koffer, in dem die Leiche scheinbar fortgeschafft werden sollte, vor, füllte ihn mit Steinen, aber gleichzeitig legte ich eine genaue Darstellung der wirklichen Geschehnisse bei, falls ich doch ereilt und verhaftet werden sollte. Ich schickte dann meinen Diener fort, nachdem ich ihn auf das Kommen eines Doktor Steffen vorbereitet hatte. Seine Abwesenheit benützte ich dann, um mich in diesen Doktor Steffen umzuwandeln. Ich rasierte meinen Bart ab, färbte mein Haar, legte die Brille fort und kleidete mich um; einen völlig neuen, modischen Anzug hatte ich mir für diese Aufgabe vorher schon besorgt. Dann schaffte ich jene Unordnung, die ein Verbrechen vortäuschen mußte, schnitt mich selbst am Arme nahe an einer Schlagader, um so viel Blut zu erhalten, daß der Anschein eines Mordes entstehen sollte; ich legte dann noch in das geschaffene Chaos vorher besorgte chirurgische Instrumente, die ich gleichfalls mit Blut versah. Einen Scheck an mich stellte ich ebenfalls aus, der den Verdacht noch stärker gegen jenen angeblichen Doktor Steffen richten sollte, dessen Rolle ich natürlich selbst spielen mußte. Als alles dann geschehen war, erwartete ich als der so verwandelte neue Doktor Steffen meinen eigenen Diener. Was dann folgte, ist ja bekannt; es kam alles so, wie ich es berechnet hatte. Ich wurde auf Grund meiner systematischen Vorbereitungen als Doktor Steffen, also als mein eigener Mörder verfolgt. Geld hatte ich reichlich, um nun meine Flucht auch durchzuführen.«

Er schilderte darauf, wie ihm dies immer wieder gelang, bis er im Alpenhotel »Adlerhorst« von Anita Wronker entdeckt wurde, der er sich aber nicht verraten durfte; er befürchtete, daß ihm beim Bekanntwerden der Wahrheit sein Plan schließlich nicht bis zum Ende der Frist gelingen werde, weshalb er, als er entdeckte, daß diese ihn als den mutmaßlichen Mörder suchte, von neuem die Flucht ergriff.

In gleicher Weise erzählte er darauf, wie er seine Flucht abermals durchführte, bis er an Bord des »Merkuro« kam; er berichtete von dem Auftauchen der Contessa Pregoli-Amati, über die er aber im Zweifel war, ob diese Anita Wronker sein konnte, da sie sich in zu geschickter Weise verleugnete.

Als Professor Marschall mit seiner Erzählung so weit war und eine kurze Pause machte, löste ihn Anita Wronker ab und berichtete an seiner Stelle weiter:

»Als ich selbst auf dem Schiffe ankam, hatte ich immer noch den Glauben, einen Mörder suchen zu müssen; deshalb gelang es mir auch, die Rolle der Contessa Pregoli-Amati so gut zu spielen. Während eines Festes an Bord aber drang ich in der Verkleidung einer Stewardesse in die Kajüte des damaligen Freiherrn von Sassen ein und dabei gelang mir, was mir im Hotel ›Adlerhorst‹ nicht geglückt war; ich konnte jenen Koffer öffnen und lernte den Inhalt kennen und auch jene darin untergebrachte Aufforderung. Zuerst war meine Verwirrung darüber so groß, daß ich nicht wußte, was ich daraufhin tun sollte. Durch einen Zufall wurde ich aber am darauffolgenden Morgen Zeugin, daß Inspektor Wendland wieder die Spur aufgenommen hatte, daß also dem Verfolgten Gefahr drohte. Und da wußte ich, was ich jetzt nach dieser so ganz veränderten Situation tun mußte; ihn retten, damit er auch die Aufnahmebedingung bis zum letzten Ende durchführen konnte. Ich warnte ihn also und blieb daraufhin in steter Nähe des Inspektors Wendland, um immer wieder vereiteln zu können, falls er etwa doch wieder die Spur des Verfolgten ausfindig machen würde. Und mein Entschluß war gut, denn nur auf diese Weise gelang es mir, auch jenen letzten Angriff auf der Hazienda des Don Carena unschädlich zu machen.«

Nach dieser Erklärung begann Professor Marschall zu schildern, wie er an Bord des »Merkuro« gekommen und wie ihm dort die erneute, abenteuerliche Flucht gelungen war, durch die er eine Zufluchtsstätte bei Don Alonso Carena gefunden hatte; weiterhin berichtete er, wie dann die angebliche Tänzerin Peccadilla aufgetaucht war, wie er dabei von Zweifeln gequält wurde, wie ihn dann die Warnung erreichte, und wie er darauf Anita Wronker einholte und von ihr die Wahrheit erfuhr.

Dann aber vermochte er sich von ihr nicht mehr zu trennen, denn er hatte erkannt, daß diese nur aus einer Liebe zu Professor Marschall, der er ja selbst geblieben war, den Entschluß gefaßt hatte, die an ihm scheinbar begangene Tat sühnen zu wollen, und die ihn dann aus den gleichen Motiven heraus wieder nur gewarnt hatte.

Als er noch jene letzte Episode geschildert hatte, bei der ihn Alexis Marlan verhaftete, allerdings zehn Minuten nach jenem in seinen Aufzeichnungen angegebenen Termin, da schwieg er und blickte wie auf eine Antwort wartend den Vorstand des Exzentrikklubs an.

Dieser jedoch richtete sich jetzt an Alexis Marlan:

»Wie lautet nun Ihr Urteil, nachdem Sie die beiden daran Beteiligten selbst gehört haben?«

Alexis Marlan hob den Kopf:

»Ich kann alles nur bestätigen, soweit ich selbst dabei in Betracht komme. Jedenfalls hat Herr Professor Marschall die sich gestellte Aufgabe gelöst, denn ich glaubte an ein Verbrechen, bis ich aus jenem Koffer die Gegenbeweise herausholte.«

Ein Blick glitt darauf über die vier Intimen des Klubs, die die Entscheidung über die Aufnahme in ihrer Hand hatten, und der Vorstand stellte die entscheidende Frage:

»Gilt nach diesen Berichten der Antragsteller, Herr Professor Alban Marschall, als gleichwertiges Mitglied des Exzentrikklubs aufgenommen?«

Und darauf erfolgte auch ein zustimmendes Ja von allen vieren.

Unterdessen befanden sich draußen im großen Gesellschaftsraum des Klubs wieder die vielen Gäste und Mitglieder, die sich an jenem Festabend des Jahrestages stets einzufinden pflegten; da sah man in plaudernden Gruppen die bekannten Gestalten und Erscheinungen, die waren William Holladay, Vanmeeren, Francis Lewalter, Newton und Seydlitz vertreten, wie auch Viktorienne Sellin und Daisy von Mellenthin nicht fehlten.

Und wieder glitten die Augen wiederholt zu der Türe hin, vor der die beiden Klubdiener in der enganliegenden, silbergrauen Livree mit den hohen Strümpfen und den Schnallenschuhen standen.

Endlich öffnete sich die Türe und die Erwarteten erschienen; allen voran der Vorstand des Exzentrikklub; er erklärte auch gleich allen Herandrängenden:

»Meine Damen und Herren, mir obliegt es, Ihnen hiermit unser jüngstes Mitglied, den Herrn Professor Marschall, vorzustellen; aber es gilt nicht nur dessen Aufnahme, sondern gleichzeitig auch dessen Verlobung mit einem anderen Mitglied unseres Klubs, mit Fräulein Anita Wronker zu feiern. Wirkliche, von Herzen kommende Glückwünsche haben beide verdient. Wie sie sich aber verlobten, ist ein Abenteuer für sich, wie es nur innerhalb des Exzentrikklubs möglich ist. Vielleicht erzählen die beiden selbst noch einmal ihre Geschichte.«

Dann gab er den Weg frei.

Und da stand Professor Marschall, äußerlich allerdings ein anderer als vor einem Jahr, und neben ihm an seinem Arm eingehängt die schöne Braut Anita Wronker, die sich ihren Geliebten erst verdienen mußte.

Und die Glückwünschenden drängten sich an die beiden heran.

Bild: Ernst Dietrich

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