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Ich darf es gewiß für einen Fortschritt unseres Volkes halten, daß dieses Stück jetzt zur Aufführung gebracht werden kann und gleichzeitig in dritter Auflage verlangt wird – die vorhergehenden waren nicht klein. Als das Stück vor jetzt bald zehn Jahren erschien, wurde ich in der damals einflußreichsten Zeitung des Landes mit Zuchthaus bedroht. Man begegnete mir im allgemeinen in allen drei Ländern öffentlich und privat mit einer Schroffheit, die kaum ein Seitenstück in unserer Literatur gehabt haben dürfte.
Aber ich beeile mich, hinzuzufügen, daß ich mit »Fortschritt« nicht Fortschritt in der Entwicklung zur Republik meine, jedenfalls nicht in Norwegen, und das, obgleich wir jetzt zweifellos mehr Republikaner haben als wir vor zehn Jahren hatten; die Entwicklung bringt es ja mit sich, daß ihre Zahl in zivilisierten Ländern wächst. Aber die Unzufriedenheit, die damals in Norwegen gärte, ist in ernste Versuche übergegangen, nutzbar zu machen, was wir besitzen. Wenn mich nicht alles täuscht, sind wir heute weiter von der Republik entfernt, als wir es vor zehn Jahren waren.
Aber der Friede, den das Königtum jetzt erlangt hat, darf nicht als Schweigen über dessen Erbfehler angesehen werden, oder gar als Unterdrückung der Stimmen, die da fordern, daß es mit allem übrigen im Volke vorwärtsschreiten soll, daß es sich nach unseren neuen Bedürfnissen umformen soll.
Darüber ist man jetzt einiger als je: Ein künstliches Schweigen, eine künstliche Ehrerbietung wird nur gefordert, solange die Repräsentanten einer Minorität die Macht haben. Das ist an sich so künstlich, daß es mit künstlichen Mitteln erhalten werden muß. Die Mehrzahl hat in Kampf und Unterdrückung gelernt, was die freie Meinungsäußerung wert ist. In der Geistesfreiheit hat unser Volk die Fortschritte gemacht.
Nicht so große, wie wir es gewünscht hätten, das hat sich gerade vor kurzem gezeigt. Aber doch so große, daß es für uns, die wir seit zehn, seit zwanzig Jahren an der Entwicklung teilnehmen, eine große Freude ist. Geistesfreiheit! Warum wird nicht immer und immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß für das große Volk, dem sich so mannigfacher Ersatz dafür bietet, die freie Meinungsäußerung eine Lebensbedingung unter vielen anderen ist, aber für uns, das kleine Volk, eine unerläßliche?
Wenn man zu den großen Völkern zählt und zu den großen gezählt wird, so wird dadurch eine klare Anschauungsweise und eine Unternehmungslust gewonnen, die kein politisches Verbot mehr zu einem Minimum herabdrücken kann; aber in kleinen Verhältnissen kann es außerordentlich leicht geschehen, daß das ganze Volk einschläft. Eine lebhafte Aufklärungsbewegung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung ist für uns das Erste und Letzte.
Haben wir diese, dann kann auch die allgemeine Aufmerksamkeit erweckt werden und – besser festgehalten im kleinen Volk – weiterführen als im großen; die Einzelheiten können gewissenhafter behandelt werden, denn das kleine Volk teilt nicht das Schicksal des großen, zersplittert zu werden von gewaltigen Vorsätzen, fernen Begebenheiten und zum Teil von jenen stoßweisen Erschütterungen, die gerade daher rühren, daß das eine oder das andere in der nächsten Nähe versäumt worden ist.
Diesen unseren Vorrang kann man beinahe moralischer Art nennen, und er ist, soweit ich sehe, der einzige, den ein kleines Voll erringen kann. Aber er ist dafür groß genug.
Früher waren wir eine schwächliche Nachahmung, ein mißvergnügtes Auswanderervolk, ein feiger Haufen von Gewohnheitsanbetern. In früherer Zeit konnte ein solches Volk für sich allein bestehen, in der unseren wäre es unmöglich. Denkt, wenn wir jetzt beginnen würden, ernsthaft in Angriff zu nehmen, was dem kleinen Volk am nächsten liegt? Wenn wir versuchen würden, durchzusetzen, daß die moralische Kritik just bei uns am schnellsten und nachhaltigsten in den Volkswillen umgesetzt würde, daß von uns viele der Reformen der Übergangszeit ausgehen würden, oder hier am fruchtbarsten durchgeführt werden könnten, weil große Teile der »Menge« sich bei uns am schnellsten zu Individuen auflösen. Ist das nicht gerade das, wonach wir jetzt streben?
Denkt, wenn die Bedingungen, die uns lange unendlich klein gemacht haben, sich verwandelten und uns einen Vorteil gewähren würden? Das Kleine ist zugleich das Übersichtliche, das Vernachlässigte ist auch dasjenige, was lange geruht und natürliche Kräfte gesammelt hat, die Abgeschlossenheit mit allen ihren Entbehrungen ist auch jenes Element, das die Eindrücke am tiefsten bewahrt. Die Enge, die Einfachheit ist trotz ihrer Beschränkungen auch eine Schärfung des Willens auf das Eine. Denkt, wenn wir, die wir Frieden und Muße dazu haben, in unserem Innern die Provinzen gewännen, die wir nach außen verloren haben, die Kolonien, die wir nicht erobert haben, die Völker, die wir nicht unterworfen haben? Denkt, wenn wir, denen das Bewußtsein dessen nicht einmal schmerzende Wunden verursacht – es gibt solche böse Wunden unter Ehrenzeichen und Trophäen – unsere starke Moral, unseren Frieden zu mehr verwenden würden, als über eine Sonntagspredigt zu schwätzen oder einander gegenseitig voll Nächstenliebe Belehrungen zu erteilen – politische, soziale, religiöse? Im Moment, wo wir Aufgaben erhielten, würde es geschehen.
Denkt, wenn wir unsere Sendung erfassen würden, die aus unseren besonderen Bedingungen entspringt und unsere Ehre darin sehen. Stolz, daß unser kleines Volk etwas besitzt, womit wir den anderen vorangehen. Stellt euch das vor. Und erinnert euch daran, daß die Geistesfreiheit, d.h. die volle Anwendung der ganzen geistigen Kräfte des Volkes und seine Aufklärung, die unerläßliche Bedingung hierzu ist.
Als ich dieses Stück schrieb, war mein Hauptziel dieses: Die Grenzen der freien Meinungsäußerung zu erweitern. Dasselbe, was ich später auf religiösem, dasselbe, was ich vor kurzem auf sittlichem Gebiet versucht habe. Wenn meine Widersacher meine Charakteristik in wenige Worte fassen wollen, so sagen sie gerne: »er greift Thron und Altar an« (nebenbei bemerkt bin also nicht ich derjenige, der den Thron voransetzt.) Ich glaube, daß ich der Geistesfreiheit einen Dienst erwiesen habe und in ihrem Interesse glaube ich heute um die Erlaubnis zu einer Entgegnung bitten zu dürfen.
1. Über die Angriffe auf das Christentum. Es mag vielleicht im Lande der Staatskirche ganz nützlich sein, manchmal in Erinnerung zu rufen, was das Christentum ist. Es ist keine Institution, noch weniger ein Buch, am wenigsten ein Priesterkleid oder ein Obdach. Es ist ein Leben in Gott nach den Lehren und dem Beispiel Jesu.
Möglich, daß es Menschen gibt, die glauben das Christentum anzugreifen, wenn sie die historische Entstehung eines Dogmas untersuchen oder auch dessen Moral – ich denke nicht so. Durch ehrliche Untersuchung kann es nur gewinnen. Das Christentum wird mit oder ohne seinen Dogmenapparat (und es hat ja immer Christen gegeben, denen das erste wichtig war, das zweite nicht) im wesentlichen Jahrtausende nach uns bestehen; es wird immer fromme Menschen geben, die durch seine Kraft zu edlen, manche sogar zu großen Menschen werden. Alle edlen ehre ich. Ich habe unter den gläubigen Christen Freunde, die ich liebe; niemals habe ich auch nur einen Augenblick daran gedacht, ihr Christentum anzugreifen. Ich habe keinen höheren Wunsch, als sie den Versuch machen zu sehen, das eine oder andere in unserer Gesellschaft umzuwandeln.
Aber auf jeden Christen, d.h. jeden, der durch das Christentum zum wahren Menschen geworden ist, kommen hundert, die es nicht geworden sind. Viele von ihnen würden vielleicht die Voraussetzungen besitzen, ebenso vollkommen zu werden, aber auf diesem Wege werden sie es nicht. Was wird aus diesen Hundert? Im besten Fall finden einige von ihnen den Weg zu einer anderen Überzeugung; andere lassen alle fünfe gerade sein, wieder andere sind Selbstbetrüger und suchen und streben, oder sie verdecken und vertuschen oder sie lügen geradezu.
Wenn einer von uns versucht, einen der Gleichgültigen, der Selbstbetrüger, ja selbst wenn es einer der Heuchler und Vertuscher ist, zum Nachdenken und Wählen zu bringen, so rufen die Hirten im Chorus: »Er greift das Christentum an.« Diese Pfütze von Redensarten sollte Christentum sein? Selbst wenn ein Gelehrter sich erdreistet zu untersuchen, z. B. ob Tischendorf das letzte Wort über die Entstehung des Neuen Testamentes gesprochen hat (und es ist nur allzu sicher, daß er das nicht getan hat), selbst damit greift er das Christentum an. Würde sich das Christentum auf eine Grundlage stützen, die als zweifelhaft angesehen werden könnte?
Dieser Lärm über die Angriffe auf das Christentum ist ebenso töricht als feig. Wenn die Christen bei dem Bekenntnis oder der Ausübung ihres Glaubens verletzt werden, dann wird das Christentum angegriffen. Von derartigen Angriffen bin ich aber ein abgesagter Feind.
2. Über die Angriffe auf das Königtum. Das Königtum hingegen ist eine Institution; selbstverständlich ist das Verhältnis hier ein anderes. Das Königtum habe ich angegriffen und will ich angreifen. Aber – und dieses »aber« bitte ich zu beachten.
Kurze Zeit vor der Julirevolution, als ihre ersten Anzeichen sich bemerkbar machten, sprach Chateaubriand mit dem König, der frug, was denn das alles zu bedeuten habe? Das Königtum ist »fertig,« erwiderte der Royalist, denn er war auch Prophet.
Gewiß hat es in Frankreich seither sowohl ein Königtum als ein Kaisertum gegeben. Und wenn dort auch keins mehr entstehen sollte, so existieren sie doch in anderen Ländern und werden Menschenalter nach uns noch bestehen. Aber »fertig« sind sie nichtsdestoweniger; die Kündigung ward ausgedrückt durch die französische Revolution. Sie gilt nicht überall und für alle zugleich, es sind Termine angesetzt, verschieden für die verschiedenen Länder, die längsten für die Eroberungsreiche. Aber der Republik geht es entgegen und jedes zivilisierte Volk kommt beim ersten, zweiten oder dritten Termin an die Reihe. Es bedarf gewiß weder besonderer historischer oder psychologischer Einsicht, um das zu erkennen. Es ist soweit gekommen, daß selbst Bismarck in Preußen seine Widersacher »Republikaner« nennt und sie beschuldigt, ihm im »republikanischen Geist« entgegenzuarbeiten. Da erklärt alles übrige sich von selbst.
Bei den vorgeschrittenen Völkern hat die Entwicklung eine strenge Gesetzmäßigkeit erreicht. Was geschieht um sie aufzuhalten, beschleunigt sie, was geschieht um sie gewaltsam durchzuführen, hindert sie.
Aus diesem Gesichtspunkte heraus arbeite ich. Könnte das Königtum seine eigene Stellung erkennen, so würde es selbst versuchen, sich dessen zu entledigen, was überlebt ist und dadurch unwahr wirkt und andere zur Unwahrheit zwingt. Es würde damit sowohl seinen Vertretern als der Gesellschaft endlose Plagen und viele Sünden ersparen. Aber diese Selbstreformation wird dem Königtum vom Volk schwer gemacht. Im Stück ist angeführt, warum es der König selten zum Reformator bringt.
Das ist der Inhalt des »Königs«. Vielleicht wird man jetzt sowohl meinen Plan als seine Ausführung loyaler finden, als man sie vor zehn Jahren zu finden imstande war. Vielleicht erscheinen die »Stützen der Gesellschaft«, von welchen der General spricht, nicht mehr so karikaturenmäßig, nachdem Ibsen sie dargestellt hat, sowohl im Stück gleichen Namens, als im »Volksfreund« oder Rielland in »Fortuna«, ja in nahezu allen seinen Büchern. Auch dürfte der »Graue« in den Wolken nicht mehr so unverständlich und Unnatürlich erscheinen, seitdem man die »Gespenster« gelesen und gesehen hat. Vielleicht werden manche glauben, daß ich abgeschwächt habe, andere, daß ich aktueller gestaltet habe. Nein, ich habe es stehen lassen, wie es stand. Hier und dort habe ich ein wenig verbessert. Das ist alles. So habe ich aus technischen Gründen den Straßenauflauf etwas breiter ausgeführt. Ferner habe ich das vierte Zwischenspiel eingefügt, dessen Idee mir zugleich mit dem Stück gekommen war oder vielmehr etwas früher, das ich aber erst ein paar Jahre später schrieb.
Ist ein Geisteswerk den nordischen Verhältnissen entsprungen und steht vor dem moralischen Richterstuhl – laßt es zur vollen Wirkung gelangen; sonst kommt auch nicht die volle Gegenwirkung. Ist das Ideal nicht das stärkste der Gesellschaft, dann kommt eine Gegenarbeit, die stärker ist. Dabei gewinnen alle. Wenn man ihm aus dem Wege geht und versucht es zu vernichten – so kann das in einem großen Gemeinwesen nicht viel daran oder dazu tun; die Möglichkeiten, daß etwas anderes an seine Stelle tritt, sind so reich; aber in einem kleinen Gemeinwesen kann es leicht dasselbe bedeuten, als risse man sich ein Auge aus.
Wenn es nun aber gerade das kleine Gemeinwesen wäre, welches das Königtum am ehesten zeitgemäß umformen könnte? Es von jenen Erbteilen reinigen, die das Gefühl des Volkes verletzen, von jenen Ansprüchen, die zum Unglück geworden sind?
Es ist so. Die ausgeglichenen Verhältnisse des kleinen Gemeinwesens, die geringeren ökonomischen Mittel, die schärfere Kontrolle, das strengere Gefühl für Wahrheit haben ihm diese Aufgabe auferlegt. Und ebenso hundert andere.
Lösen wir sie, so winkt uns eine Zukunft, um die uns die größten Völker beneiden können; lösen wir sie nicht, so verlieren wir unser Recht auf ein selbständiges Leben, – ja allmählich auch die Lust dazu.
Jene, welche das noch nicht sehen können oder es trotz allem leugnen – können doch darüber nicht im Irrtum befangen sein, daß wir ein Ziel und eine Moral haben, die Achtung verdienen.
Da versteht es sich von selbst, daß sie uns eine gebührende Stellung im Kampfe einräumen müssen, wenn sie Achtung verdienen wollen.
Paris, im Oktober 1885.