Björnstjerne Björnson
Ein fröhlicher Bursch
Björnstjerne Björnson

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Sechstes Kapitel.

Ein halbes Jahr später, im Herbste nämlich (die Einsegnung war bis dahin aufgeschoben worden) saßen die Confirmanden der Muttergemeinde in einem Zimmer des Pfarrhauses, um zu erfahren, in welcher Reihenfolge sie je nach Ausfall der Prüfung confirmirt werden sollten; unter ihnen befanden sich auch Oeyvind und Marit von den Haidehöfen. Marit war gerade von dem Pfarrer herabgekommen, von dem sie ein schönes Buch und viel Lob erhalten hatte. Sie lachte und plauderte mit ihren Freundinnen nach allen Seiten hin und sah sich auch unter den Burschen um. Sie war jetzt ein vollkommen erwachsenes Mädchen, leicht und frei in ihrem ganzen Wesen, und die Burschen sowohl wie die Mädchen wußten, daß der beste junge Mann des Kirchspiels, Jon Batlen, um sie freite; wie sie so dasaß, hatte sie also wohl Grund, fröhlich zu sein. Unten an der Thür standen einige Dirnen und Burschen, welche die Prüfung nicht bestanden hatten; sie weinten, während Marit und ihre Freundinnen lachten; unter ihnen war ein kleiner Bursch in den Stiefeln seines Vaters und mit dem Tuche um den Hals, welches seine Mutter nur in der Kirche zu tragen pflegte. »Gott, o Gott,« schluchzte er, – ich wage gar nicht wieder nach Hause zu gehen!« Und dies ergriff alle, welche noch nicht zur Ablegung ihrer Prüfung zum Pfarrer heraufberufen waren, mit der Macht des Mitgefühls; es trat unter ihnen ein allgemeines Schweigen ein. Die Angst schaute ihnen aus den Augen heraus, sie konnten nicht klar sehen und nicht einmal schlucken, wozu sie ein unaufhörliches Bedürfnis empfanden. Einer saß da und rechnete nach, was er wüßte, und obgleich er erst wenige Stunden vorher herausbekommen hatte, daß er alles könnte, so kam er jetzt sicherlich zu dem Resultat, daß er gar nichts könnte, auch nicht einen einzigen Spruch mehr auswendig wüßte. Ein anderer zählte sein Sündenregister zusammen von den ersten Augenblicken seines Lebens, deren er sich entsinnen konnte, bis jetzt, wo er hier saß, und fand es durchaus nicht sonderbar, wenn ihn der liebe Gott nicht zur Einsegnung zulassen würde. Ein dritter saß da und ersann sich allerlei äußerliche Zeichen: wenn die Glocke, die gerade schlagen sollte, anfinge, ehe er bis zwanzig zählen könnte, so käme er durch; wenn der, welchen er draußen auf dem Gange hörte, der Bauerbursch Lars wäre, dann bestände er die Prüfung; wenn der große Regentropfen, welcher langsam draußen an der Fensterscheibe hinabrann, bis zum Fensterrahmen hinabgelangte, so käme er durch. Die letzte und entscheidende Probe sollte sein, ob er im Stande wäre, den rechten Fuß um den linken zu schlingen, und das war ihm völlig unmöglich. Ein Vierter war mit sich vollkommen darüber einig, daß er vorzüglich bestehen würde, sobald ihn der Pfarrer nur in der biblischen Geschichte nach dem Joseph fragte und im Katechismus nach der Taufe, oder nach Jesus, oder nach den Geboten, oder – – er saß noch da und berechnete seine Wissensfülle, als er abberufen wurde. Ein Fünfter hatte sich mit besonderer Vorliebe auf die Bergpredigt verlegt, weil er von ihr geträumt hatte; er war völlig überzeugt, nur über sie befragt zu werden, und er murmelte die ganze Bergpredigt vor sich her; er mußte sich draußen vor die Hinterthür stellen, um noch einmal die Bergpredigt durchzulesen, – da wurde er heraufgerufen, um über die großen und kleinen Propheten geprüft zu werden. Ein Sechster dachte an den Pfarrer, der ein so seelenguter Mann wäre und seinen Vater so gut kannte, dachte auch an den Schulmeister, der ein so liebevolles Gesicht hätte, und an Gott, der barmherzig wäre und schon vielen, wie dem Jacob und Joseph, geholfen hätte, und dann dachte er daran, wie jetzt seine Mutter und seine Geschwister daheim säßen und für ihn beteten, und das würde gewiß helfen. Der Siebente saß da und ließ von dem, was er hier in der Welt hatte werden wollen, gewaltig viel ab. Einmal hatte er sich vorgenommen, nicht eher zu ruhen, als bis er es zum Könige gebracht hätte, ein anderes Mal wollte er wenigstens General oder Pfarrer werden; die Zeit war nun vorüber. Aber auf dem Wege nach dem Pfarrhause hatte er doch noch immer daran gedacht zur See zu gehen und Schiffskapitän, vielleicht auch Seeräuber zu werden und sich ungeheure Reichthümer zu erwerben; jetzt verzichtete er zuerst auf die Reichthümer, dann auf den Seeräuber, dann auf den Schiffskapitän, auf den Steuermann, und wollte sich damit begnügen, Matrose, höchstens Bootsmann zu werden, ja es war möglich, daß er gar nicht zur See ging, sondern auf dem Hofe seines Vaters blieb und ihm in der Wirthschaft half. Der Achte war seiner Sache mehr gewiß, wenn auch nicht sicher, denn selbst der Tüchtigste war nicht sicher. Er dachte an die Kleider, die er bei der Einsegnung tragen wollte, und wozu sie sich wohl verwenden ließen, wenn er in der Prüfung durchfiele. Bestände er sie aber, dann wollte er selbst nach der Stadt und sich Tuchkleider kaufen und wieder heim kommen und zu Weihnachten in ihnen zum Neide aller Burschen und zur Bewunderung aller Dirnen tanzen. Der Neunte rechnete anders: er stellte Gott gleichsam eine Art Contrabuch aus; auf die eine Seite desselben schrieb er sein Debet; dies lautete: er soll mich die Prüfung bestehen lassen; und auf die andre Seite schrieb er sein Kredit, nämlich: dann will ich nie mehr lügen, nie mehr schwatzen, beständig in die Kirche gehen, die Mädchen in Frieden lassen und mir das Fluchen abgewöhnen. Aber der Zehnte dachte, wäre der Ole Hansen im vorigen Jahre durchgekommen, so würde es mehr als ungerecht sein, käme er in diesem Jahre nicht durch, er, der in der Schule immer besser gewesen wäre und außerdem von besserer Familie stammte. Neben ihm saß der Elfte, der sich mit den furchtbarsten Racheplänen trug, falls er durchfallen sollte. Er hatte im Sinne, entweder die Schule in Brand zu stecken ober die Flucht zu ergreifen und später als vernichtender Richter des Pfarrers und der ganzen Schulverwaltung zurückzukehren, endlich aber edelmüthig Gnade für Recht ergehen zu lassen. Zum Anfange wollte er bei dem Nachbarpfarrer in Dienst treten und dort im nächsten Jahre bei der Einsegnung den ersten Platz erlangen und so antworten, daß sich alle verwundern sollten. Aber der Zwölfte saß ganz für sich allein unter der Glocke mit beiden Händen in den Taschen und blickte wehmüthig über die Versammlung fort. Niemand hier wußte, welche Bürde er trug, für welche schreckliche That er verantwortlich war. Zu Hause war eine, die es wußte, denn er hatte sich verlobt. Eine große, langbeinige Spinne kroch über den Fußboden und näherte sich seinem Fuße; sonst pflegte er das widerliche Insekt zu zertreten, aber heute hob er schonungsvoll den Fuß in die Höhe, damit es in Ruh und Frieden gehen könnte, wohin es wollte. Seine Stimme war sanft wie die eines frommen Pfarrers, seine Augen sagten unaufhörlich, daß alle Menschen gut wären, seine Hand machte eine demüthige Bewegung aus der Tasche zum Kopf empor, um das Haar glatt zu streichen. Könnte er sich nur leidlich durch dieses gefährliche Nadelöhr hindurchwinden, dann wollte er auf der andern Seite schon wieder wachsen und zunehmen, wieder Tabak kauen und nun seine Verlobung veröffentlichen. Aber unten auf einem niedrigen Schemel saß mit gekreuzten Beinen der unruhige Dreizehnte; seine kleinen, funkelnden Augen durchliefen drei Mal in der Sekunde das ganze Zimmer, und in seinem starken, struppigen Kopfe wälzten sich die Gedanken aller jener Zwölf in bunter Unordnung, von der zuversichtlichsten Hoffnung bis zu dem qualvollsten Zweifel, von den demüthigsten Vorsätzen bis zu den vernichtendsten Racheplänen.

Oeyvind saß am Fenster; er war droben gewesen und hatte alle Fragen, die ihm vorgelegt waren, beantworten können, aber weder der Pfarrer noch der Schulmeister hatte irgend etwas gesagt. Er hätte über ein halbes Jahr daran gedacht, was sie wohl beide sagen würden, wenn sie sich von dem Erfolg seiner Arbeit überzeugt hätten, und er fühlte sich in seinen Hoffnungen sehr getäuscht und zugleich gekränkt. Dort saß Marit, die für ungleich geringere Anstrengung und geringere Kenntnisse sowohl Aufmunterung wie Belohnung erhalten hatte. Gerade um in ihren Augen groß dazustehen, hatte er gearbeitet, und nun erreichte sie spielend, was er sich erst mit so großer Entsagung und Selbstverläugnung erarbeitet hatte. Ihr Lachen und Scherzen schnitt ihm in die Seele; die Ungezwungenheit, mit der sie sich bewegte, that ihm wehe. Seit jenem Abend hatte er sich sorgfältig gehütet, mit ihr zu reden, Jahre sollten erst vergehen, dachte er; aber als er sah, wie sie so fröhlich und überlegen dasaß, drückte ihn ihr Anblick zu Boden, und alle seine stolzen Vorsätze hingen da wie welkes Laub.

Er versuchte jedoch nach und nach, diesen Eindruck wieder abzuschütteln. Es handelte sich darum, ob er heute den ersten Platz erhalten würde, und darauf wartete er. Der Schulmeister pflegte noch einige Zeit bei dem Pfarrer zu bleiben, um ihm die Reihenfolge der Confirmanden bestimmen zu helfen und dann hinabzukommen und den Ausfall mitzutheilen. Es war das zwar nicht die endgültige Entscheidung, aber doch das Ergebnis, über welches der Pfarrer mit ihm vorläufig einig geworden war. Das Gespräch wurde unten im Zimmer immer lebhafter, je mehr die Prüfung glücklich bestanden hatten. Jetzt fingen die Ehrgeizigen an, sich von den Fröhlichen mehr und mehr abzusondern; letztere gingen, sobald sie Gesellschaft bekamen, um ihren Eltern ihr Glück zu verkünden, oder sie warteten auch auf andere, welche noch nicht abgefertigt waren; erstere dagegen wurden stiller und stiller und blickten voll gespannter Erwartung nach der Thür.

Endlich hatte die Prüfung ihr Ende erreicht, die letzten waren hinabgekommen, und der Schulmeister besprach sich jetzt also mit dem Pfarrer. Oeyvind sah Marit an; sie war heiter wie immer, blieb jedoch sitzen, ob in ihrem eigenen Interesse oder um anderer willen, wußte er nicht. Wie schön war Marit doch geworden! Eine so blendend weiße, feine Haut hatte er noch an keinem andern Mädchen gesehen; ihr Näschen war ein wenig aufgeworfen, den Mund umspielte ein Lächeln. Die Augen waren, wenn sie nicht jemanden gerade ansah, halb geschlossen, aber dafür lag in ihren Augen, wenn sie sie aufschlug, eine ungeahnte Gewalt, – und als ob sie selbst zu verstehen geben wollte, daß sie von derselben keinen Gebrauch machen würde, war ihr Blick stets von einem bezaubernden Lächeln begleitet. Ihr Haar war eher dunkel als hell, aber es war etwas lockig und wallte auf beide Schultern hinab, so daß es mit den halbgeschlossenen Augen zusammen den Eindruck von etwas Geheimnisvollem machte, das man sich nie zu enträthseln vermochte. Man war nie völlig sicher, wen sie eigentlich ansah, wenn sie für sich allein oder zwischen andern Mädchen dasaß, auch nicht was sie eigentlich dachte, wenn sie sich an jemand wandte und mit ihm sprach, denn sie nahm, was sie gab, gleichsam sofort zurück. Hinter diesem allen liegt wohl eigentlich Jon Hatlen verborgen, dachte Oeyvind, blickte sie aber doch beständig an.

Da endlich erschien der Schulmeister. Ein jeder verließ seinen Platz und stürmte auf ihn zu. »Welchen Platz erhalte ich?« – »Und ich?« – »Und ich, ich?« – »Still, ihr wilden Buben, keinen Lärm hier! – Seid ruhig, dann sollt ihr es erfahren, Kinder.« Er schaute langsam im Kreise umher. »Du erhältst den zweiten Platz,« sagte er zu einem blauäugigen Bursch, der ihn flehend anblickte und nun jubelnd aus dem Kreise heraustanzte. »Du sollst der Dritte werden,« – damit legte er einem kleinen Rothkopfe, der ihn hinten am Rockschooße zupfte, die Hand auf die Schulter. – »Du erhälst den fünften, du den achten Platz« u. s. w. Als er Marit gewahrte, sagte er: »Du wirst unter den Mädchen die erste Stelle einnehmen.« Sie ward über Gesicht und Hals glühend roth, versuchte jedoch zu lächeln. »Du bist Nummer zwölf, bist ein Faulpelz und rechter Wildfang gewesen; du Nummer elf, war gar nicht anders zu erwarten, mein Junge; du Nummer dreizehn, mußt noch tüchtig lernen, noch eine Nachprüfung bestehen, sonst geht es dir noch schlecht . . .« Länger konnte es Oeyvind nicht aushalten. Nummer eins war zwar noch nicht genannt, aber er stand doch die ganze Zeit so, daß der Schulmeister ihn hatte sehen können. »Schulmeister!« – er hörte nicht. »Schulmeister!« – Dreimal mußte er es wiederholen, ehe er gehört wurde. Endlich sah ihn der Schulmeister an: »Nummer neun oder zehn, ich entsinne mich nicht genau des Platzes, den du bekommen sollst,« sagte er und wandte sich an einen andern. »Wer ist denn Nummer eins?« fragte Hans, Oeyvinds bester Freund. – »Du bist es nicht, Krauskopf!« sagte der Schulmeister und schlug ihn mit einer Papierrolle über die Hand. – »Wer ist es denn?« fragten mehrere, »wer ist es, ja wer ist es nur?« – »Das wird der schon erfahren, der die Nummer hat,« erwiderte der Schulmeister streng; er wollte alle weitern Fragen vermeiden. – »Geht nun hübsch nach Hause, Kinder, danket eurem Gott und machet euren Eltern Freude! Dankt auch eurem alten Schulmeister, ihr hättet schön dagesessen und vor Verlegenheit an den Fingerspitzen gesaugt, wenn er nicht dagewesen wäre.« – Sie dankten, lachten und zogen jubelnd ihrer Wege, denn in diesem Augenblicke, wo sie nach Hause zu den Eltern sollten, waren sie alle froh. Nur einer blieb zurück, der mit seinen Büchern nicht sogleich in Ordnung kommen konnte, und welcher, als er sie fand, sich niedersetzte, als wollte er von neuem zu lernen anfangen.

Der Schulmeister ging zu ihm hin. »Nun, Oeyvind, willst du nicht mit den andern gehen?« – Er antwortete nicht. – »Weshalb schlägst du deine Bücher auf?« – »Ich will sehen, was ich heute falsch beantwortet habe.« – »Du hast nicht eine einzige falsche Antwort gegeben.« – Da sah Oeyvind ihn an, Thränen traten ihm in die Augen, unverwandt sah er seinen Lehrer an, während ihm eine Thräne nach der andern die Wangen hinabrollte, aber er sagte nicht ein Wort. Der Schulmeister setzte sich vor ihm hin. »Bist du nicht froh, daß du durchgekommen bist?« – Seine Lippen zitterten; aber er antwortete nicht. – »Deine Mutter und dein Vater werden sehr froh sein,« sagte der Schulmeister und sah ihn an. Oeyvind kämpfte lange, um ein Wort hervorzubringen, endlich fragte er leise und abgebrochen: »Ist es – –, weil ich – – ein Käthnerssohn bin, – – daß ich den neunten oder zehnten Platz erhalten habe?« – »Gewiß ist das der Grund,« erwiderte der Schulmeister. – »Dann hilft mir ja alle meine Arbeit nichts,« versetzte er tonlos, indem sich plötzlich alle seine Träume vor ihm auflösten. Mit einem Male richtete er den Kopf in die Höhe, hob die rechte Hand empor, schlug mit aller Macht auf den Tisch, warf sich auf sein Gesicht nieder und brach in leidenschaftliches Weinen aus.

Der Schulmeister ließ ihn liegen und weinen, sich recht ausweinen. Es dauerte lange, aber der Schulmeister wartete, bis es in ein mehr kindliches Weinen überging. Dann nahm er seinen Kopf mit beiden Händen, hob ihn in die Höhe und blickte in das verweinte Gesicht. »Ist es wohl möglich, daß du in den letzten Zeiten Gottes Nähe empfunden hast?« sagte er und zog ihn freundlich an seine Brust. Oeyvind schluchzte noch, aber kürzer; die Thränen rannen stiller, aber er wagte den Frager weder anzusehen noch ihm zu antworten. – »Oeyvind, du trägst selbst die Schuld. Du hast nicht gelernt aus Liebe zu deinem Christenthume und zu deinen Eltern, sondern aus Eitelkeit.« – Bei des Schulmeisters Worten wurde es still im Zimmer; Oeyvind fühlte, daß seine Blicke auf ihm ruhten, und wurde unter ihnen weich und demüthig. – »Mit einem solchen Zorn im Herzen hättest du nicht vor den Altar treten dürfen, um deinem Gotte das Gelübde der Treue abzulegen. Hättest du es gedurft?« – »Nein!« stammelte er, so gut er es vermochte. – »Und hättest du dagestanden mit eitler Freude darüber, daß du der erste unter den Burschen wärest, würdest du dich dadurch nicht versündigt haben?« – »Ja,« flüsterte er und seine Lippen bebten. – »Du hast mich doch noch immer lieb, Oeyvind?« – »Ja,« sagte er und schlug zum ersten Male die Augen auf. – »Dann will ich dir gestehen, daß ich es war, der dir einen niedrigeren Platz erwirkt hat, denn ich liebe dich, von ganzem Herzen, Oeyvind.« – Dieser sah ihn an, blinkte ein paar Mal mit den Augen, und abermals strömten ihm die Thränen die Wangen hinab. – »Du hast doch deshalb nichts gegen mich?« – »Nein,« er blickte voll und klar zu ihm empor, wenn auch die Stimme wie erstickt war. – »Mein liebes Kind, ich will mit dir sein, so lange ich lebe.«

Er wartete auf Oeyvind, bis sich dieser wieder gefaßt und seine Bücher zusammengesucht hatte, und erklärte ihm dann, daß er ihn nach Hause begleiten wollte. Langsam gingen sie nach Oeyvinds Wohnung, anfangs war der Bursch still und verschlossen und schien mit sich selbst im Kampfe, aber nach und nach überwandt er sich. Er war so überzeugt, daß das Vorgefallene das Beste wäre, was ihm hätte widerfahren können, und dieser Glaube war, noch ehe er nach Hause kam, so stark geworden, daß er seinem Gott dafür dankte und sich auch gegen den Schulmeister dahin aussprach. »Ja, nun wollen wir auch daran denken, daß du im Leben etwas erreichst,« sagte der Schulmeister, »denn nun wirst du nicht mehr nach Irrlichtern und den ersten Plätzen jagen. Was sagst du zum Seminar?« – »Ach, ich möchte es gern besuchen.« – »Du meinst wohl die Ackerbauschule?« – »Ja!« – »Sie ist freilich auch die beste Schule für dich; sie gewährt andere Aussichten als eine Schulmeisterstelle.« – »Aber wie soll ich dorthin kommen? Ich habe aufrichtig Lust, aber keine Mittel.« – »Sei fleißig und brav, so werden sich schon Mittel finden.« –

Oeyvind fühlte sich von Dankbarkeit ganz überwältigt. Seine Augen begannen zu leuchten, seine Athemzüge wurden leichter, er fühlte sich von jenem Feuer einer unendlichen Liebe erfüllt, welches aufzulodern pflegt, wenn man unerwartet die Güte der Menschen erfährt. Die ganze Zukunft stellt man sich dann einen Augenblick wie ein Wanderer in frischer Bergesluft vor; man wird mehr getragen, als man geht.

Als sie bei Oeyvinds Eltern anlangten, saßen beide in stiller Erwartung in der Wohnstube, obgleich Arbeitszeit war und die Arbeit drängte. Der Schulmeister trat zuerst ein, hinter ihm Oeyvind, und beide lächelten. »Nun?« fragte der Vater und legte das Gesangbuch fort, indem er gerade das »Gebet eines Confirmanden« gelesen hatte. Die Mutter stand am Herde und wagte nichts zu sagen; sie lachte, aber ihre Hand zitterte; sie erwartete augenscheinlich etwas Gutes, wollte sich aber nicht verrathen. »Ich bin nur hergekommen, um euch selbst die freudige Nachricht zu bringen, daß er alle Fragen beantwortet hat, und daß der Pfarrer zugestand, er hätte noch nie einen besseren Confirmanden gehabt.« – »Das erfreut mein Herz,« sagte die Mutter und wurde sehr bewegt. – »Das ist ja schön,« sagte der Vater und räusperte sich etwas unsicher.

Nach längerem Stillschweigen fragte die Mutter leise: »Welchen Platz erhält er?« – – »Den achten oder neunten,« entgegnete der Schulmeister ruhig. Die Mutter sah den Vater, dieser erst sie und dann Oeyvind an und sagte: »Ein Käthnersohn kann nichts Besseres verlangen.« – – Oeyvind warf jetzt seinem Vater ebenfalls einen Blick zu. Wieder war es ihm, als wollte ihm etwas in den Hals empor steigen, aber er bezwang sich, indem er schnell an lauter Freundliches und Angenehmes dachte, bis er des hervorbrechenden Schmerzes wieder Herr wurde.

»Jetzt thu ich am besten, wieder zu gehen,« sagte der Schulmeister, nickte und wandte sich nach der Thür. Beide Eltern begleiteten ihn nach ihrer Gewohnheit bis auf die Flurtreppe; hier schob der Schulmeister ein Priemchen in den Mund und sagte lächelnd: »Er wird jedenfalls der Erste, allein er braucht es nicht vor dem Tage der Einsegnung zu erfahren.« – »Nein, nein,« versetzte der Vater und nickte. – »Nein, nein,« sagte die Mutter und nickte ebenfalls. Darauf ergriff sie den Schulmeister bei der Hand und sagte: »Empfange unsern Dank für alles, was du für ihn thust.« – »Ja, ja, sei herzlich bedankt,« sagte der Vater, und der Schulmeister ging, während sie noch lange stehen blieben und ihm nachschaueten.


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