Björnstjerne Björnson
Ein Fallissement
Björnstjerne Björnson

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Dritter Akt.

Tjäldes Kontor

Erste Szene

Tjälde, später Dora

Tjälde (allein. Er sitzt unbeweglich auf dem Stuhl neben der Tür. Nach einer Weile fährt er auf) Wie soll ich anfangen? – – Nach ihr die Kinder – – dann die Leute, – – und – alle anderen. – – Könnte ich doch weg, – weit weg! – – Luft! Ich muß Luft haben! – (Geht ans Fenster) Ein schöner Tag heute, – – für mich nicht. – (Er öffnet das Fenster) Der Fuchs? – – Mit dem Pferde kann ich den Außenhafen erreichen, ehe der Dampfer nach dem Auslande abfährt – (Sieht auf seine Uhr) – Ja, es wird noch gehen, – – und dann – – dann habe ich alles hinter mir – alles hinter mir. (Geräusch auf der Treppe. Er erschrickt) Wer? – wer? –

Dora (auf der Treppe.) Du hast mich rufen lassen.

Tjälde Ja. – (Er sieht sie forschend an.) Von da kommst du?

Dora Ich hatte mich etwas hingelegt.

Tjälde (teilnahmsvoll.) Ach – geschlafen, – und ich habe dich wecken lassen –

Dora Nein, geschlafen habe ich nicht. (Sie ist langsam heruntergekommen.)

Tjälde Nicht geschlafen? – (Ängstlich.) Hast du etwa – ?

Dora Was meinst du?

Tjälde Hm – ich wollte – (Er sieht, daß sie den Revolver betrachtet.) Ach, du wunderst dich wohl, daß ich den Revolver herausgenommen habe? – Ja, – ich will verreisen.

Dora (sich am Pult haltend.) So? Verreisen willst du?

Tjälde Ja, – Advokat Berent war hier, wie du vielleicht gehört hast, – – in Geschäften. – Ich muß sofort ins Ausland.

Dora (schwach.) Ins Ausland?

Tjälde Nur für ganz kurze Zeit. – Ich brauche nur meine gewöhnliche Reisetasche – und etwas Wäsche. – Aber ich muß die Sachen sofort haben.

Dora Ich glaube, die Reisetasche wird seit heute morgen noch gar nicht ausgepackt sein.

Tjälde Desto besser! – Willst du sie mir holen?

Dora Du willst sofort reisen?

Tjälde Ja, – mit dem Auslanddampfer – vom Außenhafen –

Dora Dann hast du freilich keine Zeit zu verlieren.

Tjälde Fühlst du dich nicht wohl?

Dora Gar nicht.

Tjälde Dein altes Leiden?

Dora Ja. – Ich werde die Tasche holen gehen.

Tjälde (der Dora beim Treppensteigen unterstützt.) Hoffentlich wird es bald besser mit deiner Schwäche.

Dora Hättest du es doch besser!

Tjälde Jeder hat seine Last.

Dora (das Geländer fassend.) Es wäre besser, wenn wir sie gemeinsam trügen.

Tjälde Ja, sieh, – von meinen Geschäften verstehst du nichts, – und ich habe kaum jemals Zeit gehabt, mich dir zu widmen.

Dora Ja, ja. (Sie geht langsam die Treppe hinauf.)

Tjälde Soll ich helfen?

Dora Danke, – es geht schon.

Tjälde (nach vorn gehend.) Ob sie etwas ahnt? – Ich habe wieder allen Mut verloren, – aber es gibt keinen anderen Ausweg. – Geld! Ein paar Goldstücke werden ja noch im Pult liegen. (Geht an das Pult, öffnet es und zählt Geld auf den Deckel. Steht nach kurzer Zeit auf und bemerkt, daß Dora auf der Treppe sitzt) – Hast du dich gesetzt, liebste Dora? –

Dora Mir wurde mit einem Male so schwach. – Aber jetzt wird es wieder gehen. (Sie geht langsam weiter)

Tjälde Ganz kraftlos ist sie, – die Ärmste. – – Nein, es geht nicht anders. (zählt) Fünf – zehn – fünfzehn – – das ist zu wenig. – Etwas muß ich doch noch haben. – (Sucht) Na, wenn es nicht reicht, habe ich ja Uhr und Kette. Zwanzig – fünfundzwanzig – nein, mehr finde ich nicht. Die Papiere! – Die darf ich nicht vergessen. (Nimmt Papiere heraus und legt sie aufs Pult.) Mir brennt der Boden unter den Füßen. – – Wo bleibt sie denn?! – Die Tasche war doch gepackt! – – Mein Gott, – wenn sie es erfährt. – Besser für sie, ich bin dann weg, – für die Kinder auch, – die Menschen werden Mitleid haben. – – – – Meine Kinder – – – Wäre ich nur erst weg! – Nur weg! – Für die Gedanken ist noch Zeit genug, wenn ich Ruhe habe. – – Endlich! – – Soll ich dir helfen?

Dora Willst du mir bitte die Tasche abnehmen.

Tjälde (geht Ihr entgegen und nimmt die Tasche. Dora steigt langsam herunter.) Ist sie nicht schwerer als heute morgen?

Dora So? –

Tjälde Ich muß noch einige Papiere hineinlegen. (Geht ans Pult, steckt das Geld ein, nimmt die Papiere und öffnet die Tasche.) – Aber, liebes Kind, hier ist ja Geld in der Tasche!

Dora (langsam zu ihm tretend.) Ein paar Goldstücke, die du mir manchmal gegeben hast. – Ich dachte, – du könntest sie vielleicht jetzt gebrauchen.

Tjälde Das ist ja aber viel Geld.

Dora (traurig lächelnd) Du weißt wohl kaum, wieviel du mir gegeben hast.

Tjälde (sieht Dora erst starr an) Dora! – (Er umarmt sie.)

Dora Henning! – (In seinen Armen, schluchzend) Soll ich die Kinder holen? (Sie macht sich los.)

Tjälde Nein, sage Ihnen jetzt noch nichts – – erst später (Er umarmt sie wieder, dann nimmt er die Tasche.) Stell' dich ans Fenster – Wenn ich aufs Pferd steige, – möchte ich dich noch einmal sehen. (Verschließt die Tasche, geht ab und bleibt in der Tür stehen.)

Dora

Dora Henning!

Tjälde Verzeih' mir –

Dora Alles, Henning.

Tjälde (wendet sich um. Ein Diener kommt ihm in der Tür entgegen und gibt ihm einen Brief. Der Diener geht wieder). Von Berent? – (Er öffnet, in der Tür stehend, den Brief, liest ihn, kommt zurück und liest ihn noch einmal halblaut.) »Als ich Sie verließ, sah ich vor Ihrem Hause ein gesatteltes Pferd. Um etwaigen Mißverständnissen vorzubeugen, erlaube ich mir die Mitteilung, daß die Polizei vor Ihrer Tür steht. Ergebenst: Berent«

Dora Kannst du nicht reisen, Henning?

Tjälde Nein. (Pause. Er setzt die Tasche ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn.)

Dora Henning, – wir wollen zusammen beten.

Tjälde Was soll uns das jetzt nutzen!?

Dora Wir wollen beten, – um Hilfe zu dem allmächtigen Gott. (In Tränen ausbrechend.) – – Henning – Sieh', – menschliche Weisheit ist hier zu Ende.

Tjälde Und das Beten wird uns auch nicht helfen.

Dora Versuche es, Henning, – jetzt, in der schwersten Not! – – Du hast es ja nie gewollt. – Hast dich niemals Gott anvertraut, – nie zu uns von deinen Sorgen gesprochen, – nicht einmal mir hast du dein Herz ausgeschüttet. –

Tjälde Dora – nicht – –

Dora Aber was du am Tage verschweigen konntest, das hast du mir des Nachts erzählt in unruhigen, fiebernden Träumen, – ganz schweigen können wir Menschen nun einmal nicht von dem, was uns am schwersten auf der Seele lastet. – Ich habe schon lange alles gewußt, – hab's von dir selbst gehört. – Sieh', deshalb konnte ich an nichts mehr Freude haben, – zu nichts mehr Kraft. – In der Nacht keinen Schlaf, – zum Tage kein Vertrauen, – ich habe vielleicht mehr gelitten als du. (Tjälde wirft sich in den Lehnstuhl am Kamin. Sie tritt zu ihm.) Du wolltest fliehen – aus Furcht vor den Menschen. – Den da oben, den brauchen wir nicht zu fürchten. Er bleibt uns treu. – Hätte ich nicht so fest auf Gott vertrauen können, glaub's, Henning, ich lebte nicht mehr.

Tjälde Auf den Knien habe ich zu ihm gefleht, – aber es hat nichts genutzt.

Dora Henning – Henning! –

Tjälde Warum hat er meine Arbeit und meinen Kampf nicht gesegnet? – Jetzt ist mir alles gleichgültig.

Dora Du – dann werden wir noch Böses erleben.

Tjälde (steht auf.) Ja. Das Schlimmste kommt ja erst.

Dora Das Schlimmste hast du in dir selbst.

(Pause.)

Zweite Szene

Die Vorigen. Walborg.

(Walborg erscheint auf der Treppe, wo sie stehen bleibt.)

Dora Was willst du, Kind?

Walborg (mit unterdrückter Erregung.) Von meinem Fenster aus sah ich Polizei vor unserem Hause – und jetzt kommen Beamte vom Gericht –

Dora (setzt sich auf den Stuhl am Kamin.) Ja, Kind. – Dein Vater hat sich nach einem beispiellosen Kampf, von dem nur Gott und ich wissen, – – fallit erklärt.

(Walborg ist einige Stufen herabgekommen, – bleibt wieder stehen.)

Tjälde Jetzt sage mir nur alles ins Gesicht, – alles, was Nanna ihrem Vater gesagt hat.

Dora (aufstehend.) Walborg! Das wirst du nicht tun! – Hier hat Gott allein zu richten.

Tjälde Sag's doch! – – Ich habe dich so gedemütigt, – daß – du mir niemals verzeihen kannst, – daß ich für immer deine Liebe verloren habe.

Dora Kind! Kind!

Tjälde – kein Mensch kann dir eine größere Schmach antun – –

Walborg (ist die Treppe vollends herabgekommen.) Vater – – Vater – (Geht schnell durch die Kontortür wieder hinaus)

(Tjälde folgt ihr einige Schritte, bleibt aber an der Treppe stehen, an der er sich festhält. Dora sinkt in den Stuhl zurück.)

Dritte Szene

Tjälde. Dora. Jakobsen.

Jakobsen kommt durch die äußere Kontortür herein. Er ist noch im Gesellschaftsanzug, hat aber anstatt des Rockes einen leinenen Kittel an. Tjälde bemerkt ihn erst, als er dicht hinter ihm steht. Er streckt ihm wie flehend und abwehrend die Arme entgegen.)

Jakobsen Ich komme mit dem Gericht her. – Die Bücher und Papiere in der Brauerei sind mit Beschlag belegt worden. Der Betrieb hat aufgehört! In der Fabrik auch.

Dora O Gott! O Gott!

Jakobsen (erregt, aber warm) Für das Doppelte, was ich besitze, habe ich mich verpflichtet.

Dora Liebster Jakobsen –

Jakobsen (zu Dora) Habe ich ihm nicht immer gesagt, wenn ich Schuldscheine und Wechsel unterschreiben sollte: »So viel besitze ich ja gar nicht, ich darf es nicht.« – Er hat mir immer geantwortet: »Es ist nur eine Form, Jakobsen, – eine Geschäftsformalität, – alle Kaufleute machen es so.« – Was ich von kaufmännischen Dingen verstehe, habe ich von ihm gelernt, – deshalb habe ich ihm geglaubt. – (heftiger.) Und immer wieder hat er mich zum Unterschreiben verführt. – Jetzt bin ich mehr schuldig, als ich in meinem ganzen Leben bezahlen kann. – Ich werde als ein unehrlicher Mann sterben. – – Was sagen Sie dazu, Frau Tjälde? (Als sie schweigt) Siehst du's? – Sie sogar muß schweigen! – Schurke!

Dora Jakobsen!

Jakobsen (wechselnd in äußerster Erregung und ruhiger) Vor Ihnen, Frau Tjälde, habe ich ja die größte Hochachtung. – – Aber er hat mich dazu verführt, andere zu betrügen. – Die Leute haben Vertrauen zu mir gehabt, – und ich zu ihm. Ich habe ihnen gesagt, er wäre ein ehrenhafter Mann und ein Wohltäter des ganzen Landes, deshalb müsse man ihm in diesen schweren Zeiten helfen. – Manche brave Familie hat jetzt alles verloren, was sie besessen hat, – und ich habe mit Schuld daran, – er – er hat mich dazu verleitet! – (Heftiger.) Ich – ich vergreif' mich an ihm! – – Schurke! –

Dora (steht auf) Jakobsen! – Meinetwegen schone ihn.

Jakobsen (tritt von Tjälde zurück) Ja, – Ihretwegen, Frau Tjälde; – denn vor Ihnen habe ich die größte Hochachtung. – Wie soll ich den Menschen, die ich ins Unglück habe stürzen helfen, vor die Augen treten?! – Wenn ich Ihnen auch sage, wie alles gekommen ist, – – ihr täglich Brot bekommen sie davon nicht wieder! – Und – was soll ich meiner Frau sagen? – (heftiger.) Auf mich hat sie vertraut, – – und auf den – – an den hat sie geglaubt wie ich! – Und die Kinder! – Auf der Straße wird man Ihnen erzählen, was für einen Vater sie haben, – die Kinder der Leute, die ich elend gemacht habe, werden es Ihnen erzählen.

Dora Wenn Sie fühlen, wie schwer das ist, – dann müssen Sie auch Mitleid mit ihm haben.

Jakobsen Vor Ihnen, Frau Tjälde, habe ich die größte Hochachtung. Aber sagen Sie selbst, ist es nicht hart, nie wieder einen Bissen Brot essen zu können, der mir wirklich gehört? – In meinem ganzen Leben kann ich nicht bezahlen, was ich schuldig bin! – Das ist hart, Frau Tjälde, sehr hart. – – – – Er soll es aber von mir hören, – ich will ihn verfolgen, – nicht eine Stunde soll er Ruhe vor mir haben! (Tjälde ist nach dem Hintergründe zurückgetreten. – Der Konkursverwalter mit Sannäs und zwei Zeugen treten ihm entgegen. Tjälde wankt ans Pult zurück, an das er sich anlehnt – mit dem Rücken gegen die Eintretenden.)

Vierte Szene

Die Vorigen. Der Konkursverwalter. Zeugen. Sannäs.

Konkursverwalter. Verzeihung, – ich ersuche Sie um Ihre Geschäftsbücher und Papiere.

(Tjälde schreckt zusammen, geht zum Kamin und lehnt sich daran,)

Jakobsen (folgt ihm und raunt ihm zu:) Betrüger!

(Tjälde setzt sich auf einen Stuhl und verbirgt sein Gesicht in beiden Händen.)

Dora (halblaut zu Jakobsen). Jakobsen! – (Er tritt zu ihr hin.) – Absichtlich hat er nie einen Menschen betrogen. – Das Wort, das Sie eben gebraucht haben, – paßt nicht auf ihn, – er ist das nie gewesen – und wird es niemals sein. (Setzt sich.)

Jakobsen Vor Ihnen, Frau Tjälde, habe ich die größte Hochachtung. – Aber wenn der kein Betrüger ist, dann gibt es auf der ganzen Welt keinen! (Er weint.) (Dora weint heimlich – Kurze Pause. – Man hört in der Ferne vielstimmiges Gemurmel. Der Konkursverwalter und die Zeugen stellen ihre Arbeit ein. Alle anderen blicken auf.)

Dora. Was ist denn das!?

(Sannäs und der Konkursverwalter treten an das hintere Fenster, Jakobsen an das vordere.)

Jakobsen Die Arbeiter von der Werft, der Brauerei und der Fabrik! (Zu Dora.) Heute ist Zahltag, – aber kein Geld zur Ablöhnung da!

(Die anderen kehren an ihre Arbeit zurück.)

Tjälde (verzweifelt). Mein Gott! – Daran habe ich gar nicht mehr gedacht! –

Jakobsen (zu ihm tretend). Gehen Sie nur hinunter! Da können Sie hören, was Sie sind.

Tjälde (öffnet die Reisetasche. Leise zu Jakobsen). Hier ist Geld, – aber Gold. – Sie müssen es in der Stadt wechseln, – und dann bezahlen Sie die Leute.

Dora (leise). Ja, Jakobsen.

Jakobsen (leise). Wenn Sie mich bitten – – Hier in der Reisetasche ist das Geld? – (Er öffnet sie.) – Sie ist gepackt! – Also auch noch ausreißen hat er wollen – mit dem Wochenlohn seiner Arbeiter! – – Ist er nicht ein Schurke?!

(Der Lärm kommt näher)

Dora (während Tjälde sich abwendet). Machen Sie schnell, Jakobsen! – Sonst kommen die Leute her! –

Jakobsen Ich gehe.

Konkursverwalter (tritt Jakobsen in den Weg). Es darf von hier nichts weggetragen werden, ehe es durchgesehen und registriert ist.

Jakobsen Es ist der Lohn für die Arbeiter.

Dora Jakobsen wird es verrechnen.

Konkursverwalter Dann ist es gut. Jakobsen ist ein rechtschaffener Mensch. (Geht wieder an die Arbeit.)

Jakobsen (leise und bewegt zu Dora). Haben Sie es gehört, Frau Tjälde? – Er hat mich einen rechtschaffenen Menschen genannt. – Das wird bald niemand mehr tun. (Im Vorübergehen zu Tjälde.) Schurke! – Ich komme wieder. (Er geht hinaus.)

Konkursverwalter Hier bin ich fertig. – Verzeihen Sie, Herr Tjälde, ich muß jetzt um die Schlüssel zu den Wohnzimmern und den Schränken bitten.

Dora Die Haushälterin wird Sie begleiten. – Sannäs, – hier ist der Schlüssel zum Schlüsselschrank.

Konkursverwalter (Tjäldes schwere Uhrkette sehend). Sollte jemand Gegenstände von besonderem Wert – – – (Tjälde macht die Kette ab.) Nein, nein, – Sie können sie behalten. – Ich muß sie nur registrieren.

Tjälde Ich möchte sie nicht gern behalten.

Konkursverwalter Wie Sie wollen. (Ein Zeuge nimmt Uhr und Kette in Empfang.) – Ich empfehle mich.

(Signe und Hamar sind inzwischen eingetreten und haben die Abgabe der Uhr mit angesehen. – Der Konkursverwalter, die Zeugen und Sannäs wollen rechts hinaus, finden aber die Tür verschlossen.)

Konkursverwalter Die Tür scheint verschlossen zu sein.

Tjälde (wie aus einem Traume aufschreckend). Ja, ja. Ganz recht. (Geht und öffnet die Tür.)

Fünfte Szene.

Tjälde. Dora. Signe. Hamar. Sannäs. Später Walborg.

Signe (vorstürzend.) Mutter! – (Sinkt vor ihr auf die Knie.)

Dora Ja, Kind, der Tag der Prüfung ist da. Ich fürchte, er wird uns alle zu schwach finden.

Signe Mutter – Mutter – was soll aus uns werden – ?

Dora Das liegt in Gottes Hand.

Signe Ich gehe mit Hamar zu Tante Ulla –

Dora Es fragt sich, ob die dich jetzt noch aufnehmen will.

Signe Tante Ulla? – Aber Mutter –

Dora Du warst bis jetzt die Tochter eines sehr reichen Mannes und kennst das Leben und die Menschen nicht.

Signe Hamar – ist das möglich – daß Tante Ulla –? –

Hamar (unsicher.) Ich weiß nicht –

Dora Siehst du, Kind. – Du wirst in diesen Tagen jetzt mehr lernen als bisher in deinem ganzen Leben.

Signe (flüsternd.) Mutter – meinst du auch, daß –

Dora Still – mein liebes, armes Kind. –

(Signe verbirgt den Kopf in Doras Schoß. Man hört von draußen schallendes Gelächter.)

Hamar (eilt ans Fenster.) Was?! –

(Sannäs stürzt durch die Tür rechts herein ans hintere Fenster.)

Hamar Der Fuchs! Der Fuchs! – Er ist den Arbeitern in die Hände gefallen!

Sannäs Sie haben das Pferd auf die Treppe geführt und tun, als hielten sie eine Auktion darüber ab.

Hamar Der Fuchs! Der Fuchs! Sie mißhandeln ihn! (Sannäs geht hinaus. Alle sind aufgestanden.)

Hamar (nimmt den Revolver vom Pult und untersucht, ob er geladen ist.) Ich will doch –

Signe Was hast du vor? – (Hält ihn.)

Hamar Laß mich los!

Signe Erst mußt du mir sagen, was du vorhast. – Willst du hinunter zu den Leuten – du allein?

Hamar Ja.

Signe (ihn mit beiden Armen umfassend.) Ich laß dich nicht von der Stelle!

Hamar Nimm dich in acht – der Revolver ist geladen.

Signe Was willst du damit?

Hamar (macht sich los.) Dem Fuchs eine Kugel durch den Kopf jagen. – Er ist zu gut für das Pack. – Sie sollen ihn weder im Scherz noch im Ernst verauktionieren. – – Ich glaube, von hier aus treffe ich am besten.

Signe (in höchster Angst) Hamar! Nicht! Wenn du jemand triffst!

Hamar Ich schieße viel zu sicher. (Er zielt)

Signe Papa! – Wenn sie sehen, daß von hier aus geschossen wird!

Tjälde (stürzt aus Hamar zu) Das Pferd gehört zur Konkursmasse!

Hamar Ich lasse mich nicht mehr kommandieren!

(Tjälde greift nach dem Revolver. Es geht ein Schuß los. Signe stürzt mit einem Aufschrei zu Dora)

(Rufe von draußen: »Sie schießen auf uns! Sie schießen auf uns!« – Eine Fensterscheibe zerbricht klirrend. Steine fliegen ins Zimmer. Dazwischen tönt wieder Gelächter und Geschrei.)

(Walborg stürzt herein. Sie stellt sich mit dem Gesicht nach dem Fenster vor den Vater. – Eine einzelne Stimme von draußen: »Mir nach!«

Dora und Signe Jetzt kommen sie her!

Hamar (den Revolver wieder aus dem Fenster richtend) Sie sollen es nur versuchen!

Walborg (sich vor Hamar stellend) Hamar! – Du schießt nicht!

Tjälde Sannäs mit der Polizei!

(Durch den Lärm hört man einzelne Rufe: »Zurück!« Gemurmel und laute Befehle. Dann verklingt der Lärm. Es wird wieder still.)

Dora Wir wollen Gott danken! Er hat uns aus großer Gefahr gerettet. (Sinkt erschöpft auf einen Stuhl.) – – Henning – wo bist du?

(Tjälde geht zu ihr und legt Ihr die Hand auf den Kopf. Dann wendet er sich wieder aufgeregt ab. – Pause.)

Signe Ob sie auch nicht wiederkommen!? – Wollen wir nicht hier weggehen? –

Dora Wohin, Kind?

Signe Was soll aus uns werden?

Dora Was Gott will.

(Pause – Hamar geht vorsichtig in den Hintergrund, legt den Revolver auf einen Stuhl neben der Tür und entfernt sich.)

Walborg (leise) Signe – – sieh dich mal um.

Signe (die vor in Mutter gekniet hatte, steht auf, sieht sich um und schreit auf)

Dora Was ist? –

Signe Das habe ich mir gedacht!

Dora (ängstlich) Was ist geschehen?

Walborg Unserer Leutnant hat sich ohne Urlaub entfernt. Weiter nichts.

Dora (aufstehend.) Signe – armes, armes Kind.

Signe (die Mutter umfassend.) Mutter!

Dora Jetzt kommt alles Unwahre an den Tag – und verschwindet. Wir wollen nicht darüber klagen.

Signe (weinend.) Mutter – Mutter –

Dora Es ist am besten so, Signe. – Nicht weinen, hörst du.

Signe Darüber weine ich nicht. – Ich – ich schäme mich. (Weint.)

Dora Nein, Kind – ich müßte mich schämen, weil ich nicht Mut genug hatte, es zu verhindern. Ich habe gewußt, Signe, daß es ein Unrecht war.

Signe (unter Tränen.) Mutter –

Dora Jetzt sind wir bald ganz verlassen. – Aber es gibt ja auch nichts mehr, was sie uns noch nehmen können.

Walborg (in großer Erregung.) Doch, Mutter. – Ich gehe auch weg.

Signe Du? – Du willst uns auch verlassen – jetzt?

Walborg Der Hausstand wird ja aufgelöst – und jeder muß für seinen Unterhalt selbst sorgen.

Signe Aber was soll ich denn anfangen? – Ich verstehe ja nichts.

Dora (gebrochen.) Ich muß doch eine schlechte Mutter gewesen sein, daß ich in einem solchen Moment nicht einmal meine Kinder zusammenhalten kann.

Walborg Wir können doch nicht mehr beisammen bleiben, – können uns nicht auch noch dazu erniedrigen, von der Konkursmasse zu leben. – Wir haben ja lange genug zusammen herrlich und in Freuden gelebt.

Dora Walborg! Sei still! – Dein Vater ist hier!

(Kurzes Schweigen.)

Dora Aber wo willst du denn hin, Kind?

Walborg Ich werde Konsul Holst darum bitten, mich bei ihm im Kontor arbeiten zu lassen. – Ich will etwas lernen, damit ich selbst für mich sorgen kann.

Dora Du weißt nicht, welchen Gefahren du dich aussetzt.

Walborg Ich weiß aber, welchen ich entgehe.

Signe Und ich – ich bin euch allen nur zur Last –

Walborg Du kannst auch, wenn du willst! – Geh' in die Welt und arbeite – wenn es auch als Dienstmädchen ist! – Besser als hier leben! –

Signe Was soll denn aus der Mutter werden, Walborg?

Dora Ich bleibe hier.

Signe Allein? – Wo du so krank bist?

Dora Nicht allein. Der Vater wird bei mir bleiben.

(Tjälde tritt zu Dora, küßt ihre Hand, sinkt dann auf ein Knie und legt seinen Kopf in ihren Schoß.)

Dora (seinen Kopf streichelnd). Kinder! Verzeiht eurem Vater. – Das ist das Schönste, was ihr tun könnt.

(Tjälde steht auf und geht wieder in den Hintergrund. Ein Diener tritt mit einem Briefe ein.)

Signe (ängstlich). Etwa ein Brief von ihm? – Ich will nichts mehr von ihm hören – will den Brief nicht lesen.

(Der Diener bringt ihn Tjälde.)

Tjälde Ich nehme keine Briefe mehr an.

Walborg (auf den Brief sehend). Von Sannäs?

Tjälde Der also auch.

Dora Nimm du den Brief, Walborg, und lies ihn. Es ist das beste, wenn wir jetzt gleich alles Schlimme erfahren.

(Der Diener gibt Walborg den Brief und geht.)

Walborg (öffnet ihn, liest ihn erst schnell für sich durch und dann laut und mit sichtlicher Erregung vor).

      »Hochverehrter Herr Prinzipal!

Von dem Augenblick an, als ich als Knabe in Ihr Haus kam, verdanke ich Ihnen alles. Verstehen Sie diese Zeilen bitte nicht falsch. – Wie Sie wissen, habe ich vor acht Jahren eine kleine Erbschaft gemacht. Mit diesem Gelde habe ich mich auf eigene Hand in Geschäften versucht – besonders in solchen, die der Großhandel bisher noch nicht in die rechten Bahnen geleitet zu haben scheint. –

(Kleine Pause.)

– – Die Summe, die ich so erworben habe – etwa 30 000 Kronen – erlaube ich mir, Ihnen hierdurch anzubieten – im Gefühl ehrerbietigster Dankbarkeit. – Ihnen allein habe ich es ja im Grunde zu verdanken, daß ich mir das Geld habe erwerben können. – Sie werden die kleine Summe besser vervielfältigen können als ich. – Wenn Sie mich dabei gebrauchen können, habe ich keinen sehnlicheren Wunsch, als auch in Zukunft bei Ihnen zu bleiben. – Verzeihen Sie, bitte, daß ich Ihnen das Geld gerade jetzt anbiete. – Ich kann nicht anders. –

Hochachtungsvoll        

Sannäs.«

(Tjälde ist indessen wieder hinzugetreten und steht neben Dora.)

Dora Henning, wenn von allen denen, die dir etwas verdanken, in dieser Stunde auch nur einer zu dir kommt, – mußt du dich reich belohnt fühlen. – (Tjälde nickt mit dem Kopf und geht wieder in den Hintergrund.) Seht, Kinder – ein Fremder hält so treu zu eurem Vater!

(Pause. – Signe weinend am Pult. Tjälde geht im Hintergrunde auf und nieder, dann die Treppe hinauf)

Walborg. Ich würde gern mit Sannäs sprechen.

Dora Ja, Walborg, tue das. – Ich kann es jetzt nicht – und dein Vater auch nicht. Tu' du's. – (Sie steht auf.) Komm', Signe. Jetzt wollen wir beide miteinander reden – in aller Ruhe. – Wann haben wir das überhaupt je getan! (Signe geht zu Dora und schmiegt sich an sie.)

Dora Wo ist der Vater?

Walborg Hinausgegangen.

Dora So – ist er hinausgegangen? – Ja – er braucht am nötigsten etwas Ruhe. – Wenn er sie doch fände! – (Von Signe unterstützt, abgehend.) O Gott! Das war ein schwerer Tag! (Mit Signe durch die Tür ab.)

Walborg (zieht am Glockenzug. Ein Diener tritt ein). Wenn Herr Sannäs draußen ist, bitten Sie ihn für einen Augenblick her. (Der Diener geht.) Wenn er hört, daß ich ihn sprechen will, kommt er vielleicht gar nicht. (Lauscht.) Er scheint doch zu kommen.

Sechste Szene.

Walborg. Sannäs. Später Tjälde.

Sannäs (erscheint in der Tür. Als er Walborg sieht, bleibt er stehen und hält die Hände auf den Rücken). Sie sind hier? – –

Walborg Treten Sie bitte näher. (Sannäs geht einige Schritte.) So kommen Sie doch. (Sannäs macht wieder ein paar Schritte.) – Sie haben an meinen Vater einen Brief geschrieben.

Sannäs. (zögernd). Ja.

Walborg. Und ihm ein sehr schönes Anerbieten gemacht.

Sannäs. Hm – ja. – Das verstand sich ganz von selbst.

Walborg. Meinen Sie. Mir scheint es nicht so.

Sannäs. Ihr Vater schlägt es hoffentlich nicht aus.

Walborg. Das weiß ich nicht.

Sannäs. (traurig). Er nimmt es also nicht an.

Walborg. Ich kann Ihnen das wirklich nicht sagen. – Es fragt sich, ob er es annehmen darf.

Sannäs. Ob er – – –?

Walborg. Es darf. Ja. (Kleine Pause.)

Sannäs. Haben Sie sonst noch Befehle?

Walborg. (lächelnd). Befehle? Nein. – Sie haben sich auch bereit erklärt, bei meinem Vater zu bleiben.

Sannäs. Ja. – Natürlich nur, wenn Ihr Vater das will.

Walborg. Auch das kann ich Ihnen nicht bestimmt sagen. – Mein Vater, meine Mutter und Sie würden aber in Zukunft allein sein.

Sannäs. So? – Und Sie und Ihr Fräulein Schwester?

Walborg. Was meine Schwester tun wird, steht noch nicht fest. Ich verlasse noch heute das Haus.

Sannäs. Sie wollen also – –

Walborg. Eine Anstellung in einem Kontor suchen. – Ihr Dienst bei meinem Vater wird also recht einsam sein. – – So hatten Sie es sich wohl nicht gedacht?

Sannäs. Hm – In diesem Falle wird Ihr Vater mich um so nötiger brauchen.

Walborg. Gewiß. – Aber welche Pläne machen Sie sich denn für Ihre Zukunft, wenn Sie Ihr Geschick so fest an das meines Vaters knüpfen? –

Sannäs. Pläne?

Walborg. Ja. – Ein junger Mensch muß doch Pläne – muß doch Ziele haben.

Sannäs. Ja, ja, freilich. Ich denke daran, daß Ihrem Vater in der ersten Zeit alles sehr schwer werden wird.

Walborg. Aber Sie selbst? – Sie müssen doch auch Pläne für Ihre eigene Zukunft haben.

Sannäs (verlegen.) Ich möchte in diesem Augenblick nicht gern von mir selbst sprechen.

Walborg. Aber ich möchte es. – Wir dürfen Sie doch durch die Annahme Ihres Anerbietens nicht schädigen.

Sannäs. O – davon kann niemals die Rede sein.

Walborg. Sie haben also noch etwas, worauf Sie sich verlassen können.

Sannäs. Wenn ich es durchaus sagen soll, – ich habe reiche Verwandte in Amerika, die mich schon seit Jahren bitten, herüberzukommen. – Ich kann dort in jedem Augenblick in ein gutes Geschäft eintreten.

Walborg. So? – Warum haben Sie denn das aber nicht schon längst getan? – Hier haben Sie, soviel ich weiß, keine Angehörigen. – – Ein Opfer muß es doch für Sie gewesen sein, so lange bei uns auszuharren. – – Und ein größeres würde es sein, jetzt noch bei uns zu bleiben.

Sannäs (verlegen.) Ich muß offen gestehen, – so habe ich mir die Sache nicht gedacht.

Walborg. Mein Vater kann das unmöglich annehmen.

Sannäs (erschrocken.) Warum denn nicht?

Walborg. Es wäre doch zu viel. – Wir würden Ihrer Zukunft schaden. – Dem werde ich mich unter allen Umständen widersetzen.

Sannäs (bitter.) Sie –?

Walborg. Ja, ich. – Die Zeit des Mißbrauchs anderer muß jetzt zu Ende sein.

Sannäs. Das ist kein Mißbrauch, wenn Ihr Vater annimmt, was ich ihm mit vollem Bewußtsein – und aus eigenem Antriebe anbiete.

Walborg. Wenn ich mit meinem Vater gesprochen habe, wird er meiner Ansicht sein.

Sannäs. Ich kann beim besten Willen nicht einsehen, warum Sie sich widersetzen wollen, wenn er selbst – –

Walborg. Weil ich hier klarer zu sehen glaube als er – weil ich mehr weiß.

Sannäs. Was denn –?

Walborg. Ich habe von Kind an gelernt, nach den Triebfedern menschlicher Taten und menschlicher Worte zu forschen.

Sannäs (sehr ruhig.) Sie haben aber auch gelernt, bitter, hart und ungerecht zu sein.

Walborg (erstaunt.) Sagen Sie das nicht. Sannäs! – Es ist nicht Härte und Bitterkeit, – wenn ich Sie – – vor – – einer Enttäuschung bewahren möchte.

Sannäs (etwas scharf.) Ich möchte doch – –

Walborg. Seien Sie doch aufrichtig gegen sich selbst, – dann werden Sie besser verstehen, was ich Ihnen jetzt gesagt habe.

Sannäs. Haben Sie sonst noch Befehle?

Walborg. Ich habe keine Befehle. – Aber Lebewohl möchte ich Ihnen jetzt sagen, – und Ihnen herzlich danken für alles, was Sie uns Gutes getan haben. – Leben Sie wohl, Sannäs. – Sollten wir uns nicht wiedersehen, – dann um so herzlicher: Leben Sie wohl. (Sannäs verbeugt sich leicht.) Geben Sie mir Ihre Hand! – Ich weiß – ich habe Sie gekränkt – und bitte Sie jetzt um Verzeihung. – Und verzeihe Ihnen, daß Sie mich zuerst beleidigt haben.

Sannäs. Beleidigt – habe ich Sie nie.

Walborg. O, doch. Eine Frau vor anderen lächerlich machen – das ist eine Beleidigung. (Sannäs verbeugt sich und will gehen) – Aber Sannäs! Wir wollen doch als gute Freunde auseinandergehen. – Sie reisen nach Amerika, – ich gehe zu fremden Leuten, – jeder auf seine Art mit schmerzlichen Erinnerungen, – mit enttäuschten Hoffnungen und ungewisser Zukunft. Wir wollen uns einander alles Gute wünschen. – Wir haben beide das Beste gewollt. –

Sannäs (bewegt.) Leben Sie wohl. (Geht.)

Walborg. Sannäs – Ihre Hand!

Sannäs (bleibt stehen.) Nein!

Walborg. Seien Sie nicht unhöflich! Das habe ich nicht verdient! (Sannäs will weitergehen, sie ruft gebieterisch) Sannäs!

Sannäs. (stehen bleibend.) Sie dürfen sich nicht Ihre Finger rot färben. (Richtet sich auf.)

Walborg. (sich bezwingend.) Nun ja – wir haben einander gekränkt. – Aber wir können uns doch auch wieder vergeben. – Jetzt, wo wir Abschied nehmen.

Sannäs. Sie haben mich heute wieder beleidigt – und schwerer als das erstemal.

Walborg. Nein, das ist zu arg! – Ich habe mit Ihnen gesprochen, weil ich es mir selbst, – vor allem aber Ihnen schuldig zu sein glaubte. Ich habe Sie beizeiten gewarnt, – Sie vor Enttäuschungen bewahren wollen. Und Sie nennen das eine Beleidigung!? – –

Sannäs. Ja, so nenne ich's, daß Sie so etwas von mir deuten konnten. Sie haben mir die freudigste Tat meines Lebens grausam verbittert.

Walborg. Dann habe ich es aber wahrhaftig ganz unabsichtlich getan. Es soll mich freuen, wenn ich mich geirrt habe.

Sannäs. So?! – Freuen Sie sich wirklich, wenn ich kein Lump bin?!

Walborg. Wer spricht denn davon?

Sannäs. Sie! – Sie kennen meine Schwäche, – und Sie haben geglaubt, ich hätte mich auf die Lauer gelegt und auf das Unglück Ihres Vaters spekuliert. – Das – – Nein, einem Menschen, der so von mir denkt, kann ich nicht die Hand reichen. – – Und nun – – nun sollen Sie auch die volle Wahrheit von mir hören. – Diese Hände (streckt sie vor) sind rot geworden, – erfroren im Dienst Ihres Vaters. – Deshalb sollte seine Tochter sich für zu edel halten, mich darum zu verhöhnen! (Geht und kehrt wieder um.) – Nein, noch eins: Halten Sie jetzt Ihres Vaters Hand recht fest, anstatt ihn an dem Tage zu verlassen, von dem an er Ihnen das frühere schönere Leben nicht mehr gewähren kann! – Das wäre besser, als sich um meine Zukunft zu kümmern. Mit der werde ich schon allein fertig werden. (Geht und kehrt wieder um.) Und wenn Sie einmal in Ihres Vaters Dienst, der gewiß streng sein wird, in ehrlicher Arbeit so rote Hände bekommen haben wie diese, – dann werden Sie auch begreifen, wie tief Sie mich gekränkt haben. – (Geht zur Kontortür.)

Walborg (heiter.) Er war ja ganz wütend! – (Ernst.) Aber sehr aufrichtig. (Sieht ihm nach.)

Tjälde (oben auf der Treppe.) Sannäs!

Sannäs (in der Tür, noch aufgeregt.) Ja!

Tjälde (kommt die Treppe herab.) Sannäs! Sannäs! – Ich sehe Jakobsen kommen! (Eilt ängstlich nach vorn. Sannäs folgt ihm.) Er will wieder her! – Ich weiß wohl – es ist feige von mir – aber ich kann es nicht ertragen, mich von ihm beschimpfen zu lassen. – Heute nicht – nicht mehr – ich bin fertig mit meiner Kraft. – Bitte, halten Sie ihn zurück, lassen Sie ihn nicht hierher! – Ich werde den Kelch bis auf die Neige leeren – (fast flüsternd) – aber langsam – langsam. –

(Er bedeckt sein Gesicht mit den Händen.)

Sannäs Sie können sich darauf verlassen – er kommt nicht herein. (Sannäs geht schnell mit festen Schritten ab.)

Tjälde O, es ist schwer – gar zu schwer! –

Walborg (geht an seine Seite.) Vater – (er síeht sie furchtsam an) das Geld, das dir Sannäs angeboten hat, kannst du ruhig annehmen.

Tjälde (erstaunt.) Wie meinst du das?

Walborg Und – – ich werde auch bei euch bleiben.

Tjälde Du, Walborg?

Walborg Ja. – In ein Kontor will ich gehen – aber am liebsten in deins.

Tjälde Ich verstehe dich wohl nicht recht – –

Walborg Du verstehst mich nicht, Vater? – Ich will mich in einem Kontor nützlich machen – und recht tüchtig werden. – Und – – dann können wir von neuem beginnen, – können mit Gottes Hilfe versuchen, alle deine Gläubiger zu befriedigen.

Tjälde Kind! Was für ein Gedanke! – Wer hat dir den eingegeben!?

Walborg (legt einen Arm um seinen Hals.) Sei mir nicht böse, Vater, um all das, was ich bisher versäumt habe. – Ich will jetzt alles wieder gutmachen – und arbeiten! – arbeiten!

Tjälde Kind! – Kind! –

Walborg Ich sehne mich danach, zu lieben und zu arbeiten. (Legt auch den anderen Arm um ihn.) Vater – Wie hab' ich dich lieb! – Wie will ich arbeiten für dich!

Tjälde Walborg! Jetzt erkenne ich dich wieder. – So warst du als Kind! – So, habe ich früher gehofft, würdest du einmal werden. – Aber die tausend Geschäfte – – und dann die Jahre der Not haben uns entfremdet.

Walborg Laß die Vergangenheit! – Sieh vorwärts, Vater, vorwärts! Wie schrieb doch Sannäs: – »Die Geschäfte, die der Großhandel bisher noch nicht in die rechten Bahnen geleitet hat.« – Hieß es nicht so?

Tjälde Ist dir der Satz auch aufgefallen?

Walborg Das ist jetzt etwas für uns! – Irgendwo draußen an der Küste ein stilles Plätzchen – ein ganz kleines Haus – und Signe, die Mutter und ich helfen dir. – Dann fängt ein ganz neues Leben an.

Tjälde Du – – welches Glück – –

Walborg Vorwärts, Vater, vorwärts! – Das ist jetzt unsere Losung! Eine Familie, die zusammenhält, kommt auch durch!

Tjälde Eine solche Hilfe in diesem Augenblick!

Walborg Ja, jetzt arbeiten wir alle, – bisher hast du's allein getan. – Wie gute Geister wollen wir um dich sein, – den ganzen Tag sollst du fröhliche Gesichter und fleißige Hände sehen, – und es wird bei Tisch und am Abend wieder werden, wie es früher war, – als wir noch kleine Kinder waren. –

Tjälde Soviel Glück – nach all der Not – und Qual!

Walborg (leicht lachend) Nach dem Regen singen die Vögel! – Dieses neue Glück kann uns niemand rauben, – und alle haben wir nur ein Ziel!

Tjälde Jetzt komm' zur Mutter! – Das ist jetzt etwas für sie.

Walborg Mein Gott – – erst heute – erst jetzt weiß ich, daß ich die Mutter lieb habe.

Tjälde Und von nun an wollen wir alle für sie arbeiten.

Walberg Ja. Für die Mutter! – Sie braucht jetzt Ruhe. – Komm'.

Tjälde Erst muß ich dich küssen, Walborg. – (Bewegt) – Es ist lehr lange her, daß – –

Walborg (ihn küssend) Lieber Vater –

Tjälde Jetzt komm' – zur Mutter!

(Beide gehen ab)

(Ende des dritten Aktes )


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