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Im folgenden Jahre, 1856, begann der König sich mir wieder zu nähern; Manteuffel (vielleicht auch Andre) fürchteten, ich könnte auf seine und ihre Kosten Einfluß gewinnen. Unter diesen Verhältnissen machte mir Manteuffel den Vorschlag, ich solle das Finanzministerium übernehmen, er werde das Präsidium und das auswärtige Ressort behalten, später aber mit mir tauschen, so daß er als Vorsitzender Finanzminister, ich Auswärtiger würde. Er that, als ginge der Vorschlag von ihm aus. Obwohl mir derselbe sonderbar erschien, lehnte ich nicht grade ab, sondern erinnerte nur daran, daß die Zeitungen, als ich zum Bundesgesandten ernannt war, den Scherz des witzigen Dechanten von Westminster über Lord John Russell auf mich angewandt hatten: der Mensch würde auch das Commando einer Fregatte oder eine Steinoperation übernehmen. Wenn ich Finanzminister würde, so könnten dergleichen Urtheile mit mehr Geltung auftreten, obschon ich die unterschreibende Thätigkeit Bodelschwingh's als Finanzminister allenfalls auch würde leisten können. Es komme alles darauf an, wie lange das Interimisticum dauern solle. In der That war der Vorschlag vom Könige ausgegangen; und als der Manteuffeln fragte, was er ausgerichtet hätte, antwortete derselbe: »Er hat mich gradezu ausgelacht.«
Wenn der König mir wiederholt mündlich das Portefeuille Manteuffel's nicht anbot, sondern zu übernehmen befahl mit Worten, wie: »Wenn Sie sich an der Erde winden, es hilft Ihnen nichts, Sie müssen Minister werden,« so behielt ich doch immer den Eindruck im Hintergrunde, daß diese Kundgebungen dem Bedürfniß entsprangen, Manteuffel zur Unterwerfung, zum »Gehorsam« zu bringen. Auch wenn es dem Könige Ernst gewesen wäre, so würde ich doch das Gefühl gehabt haben, daß ich ihm gegenüber eine annehmbare Ministerstellung nicht dauernd würde haben können.S. o. S. 108. 160.
Im März 1857 waren in Paris die Conferenzen zur Schlichtung des zwischen Preußen und der Schweiz ausgebrochnen Streites eröffnet worden. Der Kaiser, über die Vorgänge in Berliner Hof- und Regirungskreisen stets wohl unterrichtet, wußte offenbar, daß der König mit mir auf vertrauterm Fuße stand als mit andern Gesandten und mich wiederholt als Ministercandidaten in's Auge gefaßt hatte. Nachdem er in den Händeln mit der Schweiz eine für Preußen äußerlich, und namentlich im Vergleich mit der Oestreichs, wohlwollende Haltung beobachtet hatte, schien er vorauszusetzen, daß er dafür auf ein Entgegenkommen Preußens in andern Dingen zu rechnen habe; er setzte mir auseinander, daß es ungerecht sei, ihn zu beschuldigen, daß er nach der Rheingrenze strebe. Das linksrheinische deutsche Ufer mit etwa 3 Millionen Einwohnern würde für Frankreich Europa gegenüber eine unhaltbare Grenze sein; die Natur der Dinge würde Frankreich dann dahin treiben, auch Luxemburg, Belgien und Holland zu erwerben oder doch in eine sichre Abhängigkeit zu bringen. Das Unternehmen hinsichtlich der Rheingrenze würde daher Frankreich früher oder später zu einer Vermehrung von 10 bis 11 Millionen thätiger, wohlhabender Einwohner führen. Eine solche Verstärkung der französischen Macht würde von Europa unerträglich befunden werden, – »devrait engendrer la coalition«, würde schwerer zu behalten als zu nehmen sein, – »un dépôt que l'Europe coalisée un jour viendrait reprendre«; eine solche an Napoleon I. erinnernde Prätension sei für die gegenwärtigen Verhältnisse zu hoch; man würde sagen, Frankreichs Hand sei gegen Jedermann, und deshalb würde Jedermanns Hand gegen Frankreich sein. Vielleicht werde er unter Umständen zur Befriedigung des Nationalstolzes »une petite rectification des frontières« verlangen, könne aber ohne solche leben. Wenn er wieder eines Krieges bedürfen sollte, würde er denselben eher in der Richtung nach Italien suchen. Einerseits habe dieses Land doch immer eine große Affinität mit Frankreich, andrerseits sei das letztre an Landmacht und an Siegen zu Lande reich genug. Eine viel pikantre Befriedigung würden die Franzosen in einer Ausdehnung ihrer Seemacht finden. Er denke nicht daran, das Mittelmeer grade zu einem französischen See zu machen, »mais à peu près«. Der Franzose sei kein Seemann von Natur, sondern ein guter Landsoldat, und eben deshalb seien Erfolge zur See ihm viel schmeichelhafter. Dies allein sei das Motiv, welches ihn hätte veranlassen können, zur Zerstörung der russischen Flotte im Schwarzen Meere zu helfen, da Rußland, wenn dereinst im Besitz eines so vortrefflichen Materials, wie die griechischen Matrosen, ein zu gefährlicher Rival im Mittelmeer werden würde. Ich hatte den Eindruck, daß der Kaiser in diesem Punkte nicht ganz aufrichtig war, daß ihm die Zerstörung der russischen Flotte eher leid that, und daß er sich nachträglich eine Rechtfertigung für das Ergebniß des Kriegs zurecht machte, in den England unter seiner Mitwirkung nach dem Ausdruck seines Auswärtigen Ministers wie ein steuerloses Schiff hineingetrieben war – we are drifting into war.
Als Ergebniß eines nächsten Krieges denke er sich ein Verhältniß der Intimität und Abhängigkeit Italiens von Frankreich, vielleicht die Erwerbung einiger Küstenpunkte. Zu diesem Programm gehöre, daß Preußen ihm nicht entgegen sei. Frankreich und Preußen seien aufeinander angewiesen; er halte es für einen Fehler, daß Preußen 1805 nicht wie andre deutsche Mächte zu Napoleon gehalten hätte. Es sei wünschenswerth, unser Gebiet durch die Erwerbung Hanovers und der Elbherzogthümer zu consolidiren, um damit die Unterlage einer stärkern preußischen Seemacht zu gewinnen. Es fehle an Seemächten zweiten Rangs, die durch Vereinigung ihrer Streitkräfte mit der französischen das jetzt erdrückende Uebergewicht Englands aufhöben. Eine Gefahr für sie selbst und für das übrige Europa könne darin nicht liegen, weil sie sich ja zu einseitig egoistisch-französischen Unternehmungen nicht einigen würden, nur für die Freiheit der Meere von der englischen Uebermacht. Zunächst wünsche er sich der Neutralität Preußens zu versichern für den Fall, daß er wegen Italiens mit Oestreich in Krieg geriethe. Ich möge den König über dieses Alles sondiren.
Ich antwortete, ich sei doppelt erfreut, daß der Kaiser diese Andeutungen grade mir gemacht habe, erstens, weil ich darin einen Beweis seines Vertrauns sehn dürfe, und zweitens, weil ich vielleicht der einzige preußische Diplomat sei, der es über sich nehmen würde, diese ganze Eröffnung zu Hause und auch seinem Souverän gegenüber zu verschweigen.Thatsächlich finden sich in den Berichten an Manteuffel vom 11. und 24. April, sowie vom 1. Mai 1857 (Preußen im Bundestage IV 257 f., III 91 ff. 94 ff.) Ich bäte ihn dringend, sich dieser Gedanken zu entschlagen; es läge außer aller Möglichkeit für den König Friedrich Wilhelm IV., auf dergleichen einzugehn; eine ablehnende Antwort sei unzweifelhaft, wenn ihm die Eröffnung gemacht würde. Dabei bleibe im letztern Falle die große Gefahr einer Indiscretion im mündlichen Verkehr der Fürsten, einer Andeutung darüber, welchen Versuchungen der König widerstanden habe. Wenn eine andre deutsche Regirung in die Lage versetzt würde, über keinerlei Mittheilungen über diese Unterredung, ebensowenig in dem Briefe an Gerlach vom 11. April 1857, Bismarck's Briefe.S. 311 ff.; daß er dem letztern davon erzählt hat, geht aus Gerlach's Denkwürdigkeiten II 521 hervor. dergleichen Indiscretionen nach Paris zu berichten, so werde das für Preußen so werthvolle gute Benehmen mit Frankreich gestört werden. »Mais ce ne serait plus une indiscrétion, ce serait une trahison,« unterbrach er mich etwas beunruhigt. »Vous vous embourberiez!« fuhr ich fort.
Der Kaiser fand diesen Ausdruck schlagend und anschaulich und wiederholte ihn. Die Unterredung schloß damit, daß er mir für diese Offenheit seinen Dank aussprach und ich ihm Schweigen über seine Eröffnung zusagte.
In demselben Jahre benutzte ich die Ferien des Bundestags zu einem Jagdausfluge nach Dänemark und Schweden.Vgl. die Briefe vom 6., 9., 11., 16. bis 23. August in Bismarck's Briefen an seine Braut und Gattin, S. 378 ff. In Kopenhagen hatte ich am 6. August eine Audienz bei dem Könige Friedrich VII. Er empfing mich in Uniform, den Helm auf dem Kopfe, und unterhielt mich mit übertriebenen Schilderungen seiner Erlebnisse bei verschiednen Gefechten und Belagerungen, bei denen er garnicht zugegen gewesen war. Auf meine Sondirung, ob er glaube, daß die (zweite gemeinschaftliche vom 2. October 1855 datirte) Verfassung halten werde, erwiderte er, er habe seinem Vater auf dem Todtenbette zugeschworen, sie zu halten, wobei er vergaß, daß diese Verfassung beim Tode seines Vaters (1848) noch nicht vorhanden war. Während der Unterhaltung sah ich in einer anstoßenden sonnigen Gallerie einen weiblichen Schatten an der Wand; der König hatte nicht für mich, sondern für die Gräfin Danner geredet, über deren Verkehrsformen mit Sr. Majestät ich sonderbare Anekdoten hörte. Auch mit angesehnen Schleswig-Holsteinern hatte ich Gelegenheit, mich zu besprechen. Sie wollten von einem deutschen Kleinstaate nichts wissen; »da sei ihnen das Bischen Europäerthum in Kopenhagen noch lieber«.
In Schweden stürzte ich bei der Jagd am 17. August auf eine Felskante und erlitt eine ernste Verletzung des Schienbeins, die ich leider vernachlässigte, um nach Kurland auf die Elchjagd zu gehn. Auf der Rückreise von Kopenhagen traf ich am 26. August in Berlin ein, machteDie – erst nachträgliche eingefügte – Zeitangabe in der ersten Ausgabe – am 3. Sept. – beruht auf Irrthum; Bismarck verließ Berlin bereits am 27. Aug., war am 28. Aug. in Memel, am 4. Sept. in Kalleten; vgl. Bismarck's Briefe an seine Braut und Gattin S. 884 ff. – Die hier erwähnte Revue fand entweder am 27. August Vorm. oder später statt; am 16. Sept. wohnte Bismarck der Parade bei Spandau zu Ehren des Zaren Alexander II. bei, der am 14. Sept. in Berlin eingetroffen war. eine große Revue mit, auf der ich zum ersten Male die ebenDurch Königliche Cabinetsordre vom 20. August 1857; vgl. Preuß. Staatsanzeiger 30. Aug. 1857, No. 204. eingeführte weiße Uniform des damaligen »schweren Reiter«-Regiments trug, und reiste dann nach Kurland.
Am 8. Juli hatte der König dem Kaiser von Oestreich von Marienbad aus einen Besuch in Schönbrunn gemacht. Auf dem Rückwege war er am 13. Juli zum Besuch des Königs von Sachsen in Pillnitz eingetroffen, wo er an demselben Tage von »einem Unwohlsein« befallen wurde, das in den Bulletins der Leibärzte aus der bei großer Hitze zurückgelegten Reise erklärt wurde und die Abreise um mehre Tage verzögerte. Nachdem der König am 17. nach Sanssouci zurückgekehrt war, bemerkte seine Umgebung Symptome einer geistigen Ermüdung, namentlich Edwin Manteuffel, der ängstlich bemüht war, jede Unterhaltung des Königs mit Andern zu hindern oder zu unterbrechen. Die politischen Eindrücke, die der König bei seinen Verwandten in Schönbrunn und Pillnitz erfahren, hatten auf sein Gemüth deprimirend, die Discussionen angreifend eingewirkt. Bei dem Exerciren am 27. Juli neben ihm reitend, hatte ich im Gespräch den Eindruck des Versiegens der Gedanken und Anlaß, in die Lenkung seines Pferdes im Schritt einzugreifen.
Der Zustand wurde dadurch verschlimmert, daß der König am 6. October den Kaiser von Rußland, einen starken Raucher, nach dem Niederschlesisch-Märkischen Bahnhofe in dem kaiserlichen geschlossenen Salonwagen begleitet hatte, in Tabaksdampf, der ihm ebenso unerträglich war wie der Geruch des Siegellacks.Daß auch seine eigenhändigen Schreiben nicht in seiner Gegenwart gesiegelt wurden, hatte seine sehr bedenkliche Seite.
Es folgte, wie bekannt, ein Schlaganfall. In hohen militärischen Kreisen war die Vorstellung verbreitet, daß ein ähnlicher Zustand ihn schon in der Nacht vom 18. zum 19. März 1848 befallen habe. Die Aerzte beriethen, ob sie einen Aderlaß machen sollten oder nicht, wovon sie im ersten Falle Störungen im Gehirn, im zweiten Tod befürchteten, und entschieden sich erst nach mehren Tagen für den Aderlaß, der den König wieder zum Bewußtsein brachte.Man vgl. jetzt Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, Aus meinem Leben II, 95 ff.
Während dieser Tage, also mit der Möglichkeit eines sofortigen Regirungsantritts vor Augen – am 19. October –, machte der Prinz von Preußen mit mir einen langen Spaziergang durch die neuen Anlagen und sprach mit mir darüber, ob er, wenn er zur Regirung komme, die Verfassung unverändert annehmen oder zuvor eine Revision derselben fordern solle. Ich sagte, die Ablehnung der Verfassung würde sich rechtfertigen lassen, wenn das Lehnrecht anwendbar wäre, nach welchem ein Erbe zwar an Verfügungen des Vaters, aber nicht des Bruders gebunden sei. Aus Gründen der Politik aber riethe ich, nicht an der Sache zu rühren, nicht die mit einer, wenn auch bedingten Ablehnung verbundne Unsicherheit unsrer staatlichen Zustände herbeizuführen. Man dürfe nicht die Befürchtung der Möglichkeit des Systemwechsels bei jedem Thronwechsel hervorrufen. Preußens Ansehn in Deutschland und seine europäische Actionsfähigkeit würden durch einen Zwist zwischen der Krone und dem Landtage gemindert werden, die Parteinahme gegen den beabsichtigten Schritt in dem liberalen Deutschland eine allgemeine sein. Bei meiner Schildrung der zu befürchtenden Folgen ging ich von demselben Gedanken aus, den ich ihm 1866, als es sich um die Indemnität handelte, zu entwickeln hatte: daß Verfassungsfragen den Bedürfnissen des Landes und seiner politischen Lage in Deutschland untergeordnet wären, ein zwingendes Bedürfniß, an der unsrigen zu rühren, jetzt nicht vorliege; daß für jetzt die Machtfrage und innre Geschlossenheit die Hauptsache sei.
Als ich nach Sanssouci zurückkam, fand ich Edwin Manteuffel besorglich erregt über meine lange Unterhaltung mit dem Prinzen und die Möglichkeit weitrer Einmischung meinerseits. Er fragte mich, weshalb ich nicht auf meinen Posten ginge, wo ich in der gegenwärtigen Situation sehr nöthig sein würde. Ich erwiderte: »Ich bin hier viel nöthiger«.Vgl. den Brief vom 19. Dec. 1857 in Bismarck's Briefen an den General L. v. Gerlach S. 337 ff. und Gerlach's Antwort, Bismarck-Jahrbuch II 250 ff.
Durch Allerhöchsten Erlaß vom 23. October wurde der Prinz von Preußen zunächst auf drei Monate mit der Stellvertretung des Königs beauftragt, die dann noch dreimal auf je drei Monate verlängert wurde und ohne nochmalige Verlängrung im October 1858 abgelaufen wäre. Im Sommer 1858 war ein ernster Versuch im Werke, die Königin zu veranlassen, die Unterschrift des Königs zu einem Briefe an seinen Bruder zu beschaffen, in dem zu sagen sei, daß er sich wieder wohl genug fühle, um die Regirung zu übernehmen, und dem Prinzen für die geführte Stellvertretung danke. Die letztre war durch einen Brief des Königs eingeleitet worden, konnte also, so argumentirte man, durch einen solchen wieder aufgehoben werden. Die Regirung würde dann, unter Controlle der königlichen Unterschrift durch Ihre Majestät die Königin, von den dazu berufnen oder sich darbietenden Herren vom Hofe geführt werden. Zu diesem Plan wurde mündlich auch meine Mitwirkung in Anspruch genommen, die ich in der Form ablehnte, das würde eine Haremsregirung werden. Ich wurde von Frankfurt nach Baden-Baden gerufen und setzte dort den Prinzen von dem Plane in Kenntniß, ohne die Urheber zu nennen. »Dann nehme ich meinen Abschied!« rief der Prinz. Ich stellte ihm vor, daß das Ausscheiden aus seinen militärischen Aemtern nichts helfen, sondern die Sache schlimmer machen würde. Der Plan sei nur ausführbar, wenn das Staatsministerium dazu stille hielte. Ich rieth daher, den Minister Manteuffel, der auf seinem Gute den Erfolg des ihm bekannten Plans abwartete, telegraphisch zu citiren und durch geeignete Weisungen den Faden der Intrige zu zerschneiden. Der Prinz ging darauf ein. Nach Frankfurt zurückgekehrt, erhielt ich folgenden Brief Manteuffel's:
»Ew. Hochwohlgeboren benachrichtige ich ergebenst, daß es meine Absicht ist, nächsten Donnerstag, den 22. ds. M., Morgens früh 7 Uhr von hier nach Frankfurt a./M. zu gehen und am folgenden Morgen so zeitig als möglich nach Baden-Baden mich zu begeben. Es würde mir angenehm sein, wenn es Ew. Hochwohlgeboren convenirte, mich zu begleiten. Wahrscheinlich werden mich meine Frau und mein Sohn begleiten, welche zur Zeit noch auf dem Lande sind, aber morgen hier ankommen.
Ich wünsche nicht, daß in Frankfurt von meiner Durchreise vorher gesprochen werde, wollte mir aber doch erlauben, Ew. Hochwohlgeboren durch diese Zeilen ein kleines Aviso zu geben.
Berlin, den 20. Juli 1858.
Manteuffel.«Vgl. Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen II 272 f.
Der weitre Verlauf der Stellvertretungsfrage erhellt aus folgendem Briefe Manteuffel's:
»Unsre große Haupt- und Staats-Action ist inmittelst wenigstens im ersten Akt erledigt. Die Sache hat mir viel Sorge, Unannehmlichkeit und unverdienten Verdruß gemacht. Noch gestern habe ich darüber von Gerlach einen ganz empfindlichen Brief erhalten.Vgl. Manteuffel, Denkwürdigkeiten III 326 f. Er glaubt, daß damit die Souveränetät halb zum Fenster hinausgeworfen sei. Ich kann das beim besten Willen nicht erkennen, meine Vorstellung von der Sache ist folgende:
Wir haben einen dispositionsfähigen, aber regierungsunfähigen König; derselbe sagt sich selbst und muß sich sagen, daß er seit länger als Jahresfrist nicht hat regieren können, daß die Aerzte und er selbst anerkennen müssen, der Zeitpunkt, wo er wieder selbst würde regieren können, lasse sich auch entfernt nicht angeben, daß eine unnatürliche Verlängerung der bisherigen Vollmachts-Ertheilung nicht am Orte und dem Staate eine sich selbst allein verantwortliche Spitze nothwendig sei; aus allen diesen Erwägungen gibt der König dem zunächst zur Krone Berufenen den Befehl, das zu thun, was für solchen Fall in der Landesverfassung vorgeschrieben ist. Die Bestimmungen der letzteren, welche gerade in diesem Punkte correct und monarchisch abgefaßt sind, werden demnächst zur Anwendung gebracht und das, wenn auch nach der Erklärung des Königs überflüssige, immerhin aber in der Verfassung mit gutem Grunde vorgeschriebene Landtagsvotum wird eingeholt, aber streng auf Beantwortung der Frage beschränkt: Ist die Einsetzung einer Regentschaft nothwendig? mit andern Worten: Ist der König mit genügendem Grund von den Geschäften entfernt? Wie man diese Frage verneinen will, ist mir nicht ersichtlich; immerhin wird es noch manche, namentlich formale Schwierigkeit zu überwinden geben. Namentlich fehlt es für die in der Verfassung vorgesehene gemeinschaftliche Sitzung an einer Geschäftsordnung. Diese wird man improvisiren müssen, indessen hoffe ich doch, daß man in etwa fünf Tagen mit der Beschlußfassung zu Stande sein wird, so daß dann der Prinz den Eid leisten und die Versammlung schließen können wird. Andre Vorlagen, namentlich solche, welche auf Geldbewilligungen sich beziehen, werden natürlich für diese Sitzung gar nicht beabsichtigt. Wenn Ihre Geschäfte es erlauben, so würde ich wünschen, daß Sie sich zum Landtage hier einfinden und womöglich vor dessen Eröffnung hier sind. Ich höre von wunderbaren Anträgen der äußersten Rechten, die man vielleicht im allgemeinen Interesse, sowie in demjenigen dieser Herren verhindern könnte.
Westphalen's Entlassung gerade im gegenwärtigen Momente ist mir sehr unerwünscht gewesen. Einmal schon hatte ich, als er selbige verlangte, sie gehindert. Jetzt wollte der Prinz sie ihm aus ganz freier Entschließung und ohne seinen Antrag ertheilen und schickte mir ein darauf bezügliches Privatschreiben an Westphalen mit dem Befehle, sofort die Ausfertigung vorzulegen.Schreiben des Prinzen an Westphalen vom 6. October samt dem begleitenden Schreiben an Manteuffel s. in Manteuffel, Denkwürdigkeiten III 319 f. Ich that letzteres indeß nicht, und sandte auch das eigenhändige Schreiben nicht ab, sondern machte beim Prinzen Gegenvorstellungen bezüglich der Opportunität des Momentes, Gegenvorstellungen, welche nach nicht geringer Mühe auch durchschlugen. Ich ward ermächtigt, die Maßregel wenigstens aufzuhalten und den Brief bei mir liegen zu lassen. Da schrieb Westphalen am 8. d. Mts. an den Prinzen sowohl wie an mich ein ganz wunderbares Schreiben,Manteuffel, Denkwürdigkeiten III 325. worin er mit Zurücknahme früherer Erklärungen seine Contrasignatur der zu erlassenden und bereits festgestellten Ordres davon abhängig machte, daß auch noch die vom Prinzen zu erlassenden Ordres speciell dem Könige zur Genehmigung vorgelegt würden, ein Verlangen, welches in der That mit Rücksicht auf den in den letzten Tagen verschlimmerten geistigen Zustand des Königs an Widersinnigkeit grenzte. Da verlor der Prinz die Geduld und machte mir Vorwürfe, nicht sogleich sein Schreiben abgeschickt zu haben, und die Sache war nun nicht mehr zu halten. Flottwell's Wahl ist ohne all' mein Zuthun aus dem Prinzen selbstständig hervorgegangen, sie hat, wie Manches gegen sich, so auch Manches für sich.Vollständig ist der Brief nach dem Original im Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen II 274 ff. abgedruckt.
Berlin, den 12. October 1858.«
Ich stellte mich zu dem Landtage ein und trat in einer Fractionssitzung gegen die Herrn, von welchen der Versuch ausging, sich der verfassungsmäßigen Votirung der Regentschaft zu widersetzen, mit Entschiedenheit für die Annahme der Regentschaft ein, die denn auch stattfand.
Nachdem am 26. October der Prinz von Preußen die Regentschaft übernommen hatte, fragte Manteuffel mich, was er thun solle, um eine unfreiwillige Verabschiedung zu vermeiden, und gab mir auf mein Verlangen seine letzte Correspondenz mit dem Regenten zu lesen. Meine Antwort, es sei ganz klar, daß der Prinz ihm den Abschied geben wolle, hielt er für unaufrichtig, vielleicht für ehrgeizig. Am 6. November wurde er entlassen. Es folgte ihm der Fürst von Hohenzollern mit dem Ministerium der »Neuen Aera«.
Im Januar 1859Bismarck traf am 13. Jan. 1859 in Berlin ein und reiste am 27. Jan. nach Frankfurt zurück, nachdem er am 24. Jan. den Prinzen direkt hatte fragen lassen, ob ihm gestattet sein würde am 26. abzureisen. An diesem Tage wurde er vom Prinzregenten nach dem Hofbericht in Audienz empfangen; in dieser fand die entscheidende Unterredung statt, deren Ergebniß die Ernennung zum Gesandten in Petersburg war. Vgl. die Briefe vom 15. und 24. Jan. 1859, Bismarck's Briefe an seine Braut und Gattin S. 395 ff. machte mir auf einem Balle bei Moustier oder Karolyi der Graf Stillfried scherzhafte Anspielungen, aus denen ich schloß, daß meine schon mehrmals geplante Versetzung von Frankfurt nach Petersburg erfolgen werde, und fügte dazu die wohlwollende Bemerkung: Per aspera ad astra. Die Wissenschaft des Grafen beruhte ohne Zweifel auf seinen intimen Beziehungen zu allen Katholiken im Haushalte der Prinzessin, vom ersten Kammerherrn bis zum Kammerdiener. Meine Beziehungen zu den Jesuiten waren damals noch ungetrübt, und ich besaß noch Stillfried's Wohlwollen. Ich verstand die durchsichtige Anspielung, begab mich am folgenden Tage (26. Januar) zu dem Regenten und sagte offen, ich hörte, daß ich nach Petersburg versetzt werden sollte, und bat um Erlaubniß, mein Bedauern darüber auszusprechen, in der Hoffnung, daß es noch rückgängig gemacht werden könnte. Die erste Gegenfrage war: »Wer hat Ihnen das gesagt?« Ich erwiderte, ich würde indiscret sein, wenn ich die Person nennen wollte, ich hätte es aus dem Jesuitenlager gehört, mit dem ich alte Fühlung hätte, und ich bedauerte es, weil ich glaubte, in Frankfurt, in diesem Fuchsbau des Bundestags, dessen Ein- und Ausgänge ich bis auf die Nothröhren kennen gelernt hätte, brauchbarere Dienste leisten zu können als irgend einer meiner Nachfolger, der die sehr complicirte Stellung, die auf den Beziehungen zu vielen Höfen und Ministern beruhe, erst wieder kennen lernen müsse, da ich meine achtjährige Erfahrung auf diesem Gebiete, die ich in bewegten Zuständen gemacht, nicht vererben könnte. Mir wäre jeder deutsche Fürst und jeder deutsche Minister und die Höfe der bundesfürstlichen Residenzen persönlich bekannt, und ich erfreute mich, so weit es für Preußen erreichbar sei, eines Einflusses in der Bundesversammlung und an den einzelnen Höfen. Dieses erworbene und erkämpfte Capital der preußischen Diplomatie würde zwecklos zerstört durch meine Abberufung von Frankfurt. Die Ernennung von Usedom werde das Vertrauen der deutschen Höfe abschwächen, weil er unklar liberal und mehr anekdotenerzählender Höfling als Staatsmann sei; und Frau von Usedom würde uns durch ihre Excentricität Verlegenheit und unerwünschte Eindrücke in Frankfurt zuziehn.
Worauf der Regent: »Das ist es ja eben, daß die hohe Befähigung Usedom's sich nirgendwo anders verwerthen läßt, weil seine Frau an jedem Hofe Verlegenheiten herbeiführen würde.« Letztres geschah nicht blos an Höfen, sondern auch in dem duldsamen Frankfurt, und die Unannehmlichkeiten, welche sie in Ueberschätzung ihrer gesandschaftlichen Prärogative Privatleuten bereitete, arteten bis zu öffentlichen Scandalosen aus. Aber Frau von Usedom war geborne Engländerin und fand deshalb bei der Inferiorität des deutschen Selbstgefühls bei Hofe eine Nachsicht, deren sich keine deutsche Frau zu erfreuen gehabt haben würde.
Meine Erwiderung dem Regenten gegenüber lautete ungefähr: »Dann ist es also ein Fehler, daß ich nicht auch eine taktlose Frau geheirathet habe, sonst würde ich auf den Posten, auf dem ich mich heimisch fühle, denselben Anspruch haben wie Graf Usedom.«
Darauf der Regent: »Ich begreife nicht, wie Sie die Sache so bitter auffassen können; Petersburg hat doch immer für den obersten Posten der preußischen Diplomatie gegolten, und Sie sollten es als einen Beweis hohen Vertrauns aufnehmen, daß ich Sie dahin schicke.«
Darauf ich: »Sobald Ew. Königliche Hoheit mir dieses Zeugniß geben, so muß ich natürlich schweigen, kann aber doch bei der Freiheit des Wortes, die Ew. Königliche Hoheit mir jederzeit gestattet haben, nicht umhin, meine Sorge über die heimische Situation und ihren Einfluß auf die deutsche Frage auszusprechen. Usedom ist ein brouillon, kein Geschäftsmann. Seine Instruction wird er von Berlin erhalten; wenn Graf Schlieffen Decernent für deutsche Sachen bleibt, so werden die Instructionen gut sein; an ihre gewissenhafte Ausführung glaube ich bei Usedom nicht.«
Gleichwohl wurde er nach Frankfurt ernannt. Daß ich ihm mit meinem Urtheil nicht Unrecht gethan, bewies sein spätres Verhalten in Turin und Florenz. Er posirte gerne als Stratege, auch als »verfluchter Kerl« und tief eingeweihter Verschwörer, hatte Verkehr mit Garibaldi und Mazzini und that sich etwas darauf zu Gute. In der Neigung zu unterirdischen Verbindungen nahm er in Turin einen angeblichen Mazzinisten, in der That östreichischen Spitzel, als Privatsekretär an, gab ihm die Akten zu lesen und den Chiffre in die Hände. Er war Wochen und Monate von seinem Posten abwesend, hinterließ Blanquets, auf welche die Legationssekretäre Berichte schrieben; so gelangten an das Auswärtige Amt Berichte mit seiner Unterschrift über Unterredungen, die er mit den italienischen Ministern gehabt haben sollte, ohne daß er diese Herrn in der betreffenden Zeit gesehn hatte. Aber er war ein hoher Freimaurer. Als ich im Februar 1869 die Abberufung eines so unbrauchbaren und bedenklichen Beamten verlangte, stieß ich bei dem Könige, der die Pflichten gegen die Brüder mit einer fast religiösen Treue erfüllte, auf einen Widerstand, der auch durch meine mehrtägige Enthaltung von amtlicher Thätigkeit nicht zu überwinden war und mich zu der Absicht brachte, meinen Abschied zu erbitten.Vgl. Bismarck-Jahrbuch I 76 ff. Indem ich jetzt nach mehr als 20 Jahren die betreffenden Papiere wieder lese, befällt mich eine Reue darüber, daß ich damals, zwischen meine Ueberzeugung von dem Staatsinteresse und meine persönliche Liebe zu dem Könige gestellt, der erstern gefolgt bin und folgen mußte. Ich fühle mich heut beschämt von der Liebenswürdigkeit, mit welcher der König meine amtliche Pedanterie ertrug. Ich hätte ihm und seinem Maurerglauben den Dienst in Florenz opfern sollen. Am 22. Februar schrieb mir S. M.:Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen I 189.
»Ueberbringer dieser Zeilen [Cabinetsrath Wehrmann] hat mir Mittheilung von dem Auftrage gemacht, den Sie ihm für sich gegeben haben. Wie können Sie nur daran denken, daß ich auf Ihren Gedanken eingehen könnte! Mein größtes Glück ist es ja, mit Ihnen zu leben und immer fest einverstanden zu sein. Wie können Sie Sich Hypochondrien darüber machen, daß meine einzige Différenz Sie bis zum extremsten Schritt verleitet! Noch aus Varzin schrieben Sie mir in der Différenz wegen der Deckung des Déficits, daß Sie zwar andrer Meinung wie ich seien, daß Sie aber bei Uebernahme Ihrer Stellung es sich zur Pflicht gemacht hatten, (daß), wenn Sie pflichtmäßig Ihre Ansichten geäußert, Sie Sich meinen Beschlüssen immer fügen würden. Was hat denn diesmal Ihre so edel ausgesprochene Absicht von vor 3 Monaten so gänzlich verändert? Es giebt nur eine einzige Différen, ich wiederhohle es, die in F. a./M.Die Regierung hatte am 1. Februar 1869 im Landtage einen Gesetzentwurf vorgelegt, betr. die Auseinandersetzung zwischen Staat und Stadt Frankfurt, die auf einem Gutachten der Kronsyndici beruhte, vom Ministerium berathen, vom Könige genehmigt worden war. Der Frankfurter Magistrat erlangte, während die Verhandlungen über den Entwurf noch schwebten, vom Könige die Zusage, daß der Stadt Frankfurt zur vergleichsweisen Erledigung der von ihr erhobenen Ansprüche 2 000 000 Gulden aus der Staatskasse überwiesen werden sollten. Der Gesetzentwurf mußte entsprechend abgeändert werden. Die Usedomiana habe ich gestern noch ganz eingehend nach Ihrem Wunsch besprochen schriftlich; die Haus-Angelegenheit wird sich schlichten; in der Stellen Besetzung waren wir einig, aber die Individuen wollen nicht! Wo ist da also Grund zum Extrême?
Ihr Name stehet in Preußens Geschichte schöner als der irgend eines Preußischen Staatsmanns. Den soll ich lassen? Niemals. Ruhe und Gebeth wird Alles ausgleichen. Ihr treuster Freund
W.«
Von dem folgenden Tage ist der nachstehende Brief Roon's:
»Berlin, 23./2. 1869.
Seit ich Sie gestern Abend verließ, mein verehrter Freund, bin ich unausgesetzt mit Ihnen und Ihrer Entschließung beschäftigt. Es läßt mir keine Ruhe. Ich muß Ihnen nochmals zurufen, fassen Sie Ihr Schreiben so, daß ein Einlenken möglich bleibt. Vielleicht haben Sie es noch nicht abgeschickt und können noch daran ändern. Bedenken Sie, daß das gestern empfangene fast zärtliche Billet den Anspruch der Wahrhaftigkeit macht, sei es auch nicht mit voller Berechtigung. Es ist so geschrieben und mit dem Anspruch, nicht als falsche Münze betrachtet zu werden, sondern als gute und vollgültige, und erwägen Sie, daß das beigemischte unächte Gut nichts andres ist als das Kupfer der falschen Scham, die nicht eingestehen will und in Betracht der Stellung des Schreibers auch vielleicht nicht kann: ›Ich, ich habe sehr Unrecht gethan und will mich bessern.‹
Es ist ganz unzulässig, daß Sie die Schiffe verbrennen. Sie dürfen das nicht. Sie würden Sich damit vor dem Lande ruiniren, und Europa würde lachen. Die Motive, die Sie leiten, würden nicht gewürdigt werden; man würde sagen: er verzweifelte sein Werk zu vollenden; deshalb ging er. Ich mag mich nicht ferner wiederholen, höchstens noch in dem Ausdruck meiner unwandelbaren und treuen Anhänglichkeit.
Ihr
von Roon.«
Nachdem ich meinen Antrag auf Verabschiedung zurückgenommen hatte, erhielt ich folgenden Brief:Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen I 195 ff.
»Berlin, den 26. Februar 1869.
Als ich Ihnen am 22. in meiner Bestürzung über Wehrmann's Mittheilung ein sehr flüchtiges, aber desto eindringlicheres Billet schrieb, um Sie von Ihrem Verderben drohenden Vorhaben abzuhalten, konnte ich annehmen, daß Ihre Antwort in ihrem Endresultat meinen Vorstellungen Gehör geben würde – und ich habe mich nicht geirrt. Dank, herzlichsten Dank, daß Sie meine Erwartung nicht täuschten!
Was nun die Hauptgründe betrifft, die Sie momentan an Ihren Rücktritt denken ließen, so erkenne ich die Triftigkeit derselben vollkommen an, und Sie werden Sich erinnern, in wie eindringlicher Art ich Sie im Dezember v. J. bei Wiederübernahme der Geschäfte aufforderte, Sich jede mögliche Erleichterung zu verschaffen, damit Sie nicht von Neuem der vorauszusehenden Last und Masse der Arbeit unterlägen. Leider scheint es, daß Sie eine solche Erleichterung (nicht einmal die Abbürdung Lauenburgs) nicht für angänglich gefunden haben und daß meine desfalsigen Befürchtungen sich in erhöhtem Maaß bewahrheitet haben, und zwar in einem Grade, daß Sie zu unheilvollen Gedanken und Beschlüssen gelangen sollten. Wenn Ihrer Schilderung nach nun noch Erschwernisse in Bewältigung einzelner Geschäftsmomente eingetreten sind, so bedauert das Niemand mehr wie ich. Eine derselben ist die Stellung Sulzer's. Schon vor längerer Zeit habe ich die Hand zu dessen anderweitiger Placirung gebothen, so daß es meine Schuld nicht ist, wenn dieselbe nicht erfolgt ist, nachdem Eulenburg sich selbst auch von derselben nunmehr überzeugt hat. Wenn eine ähnliche Geschäftsvermehrung Ihnen die Usedom'sche Angelegenheit verursachte, so kann dies auch mir nicht zur Last gelegt werden, da dessen Vertheidigungs Schrift, die ich doch nicht veranlassen konnte, eine Beleuchtung Ihrerseits verlangte. Wenn ich nicht sofort auf die Erledigung des von Ihnen beantragten Gegenstandes einging, so mußten Sie wohl aus der Ueberraschung, welche ich Ihrer Mittheilung entgegenbrachte, als Sie mir Ihren bereits gethanen Schritt gegen Usedom anzeigten, darauf vorbereitet sein. Es waren Mitte Januar, als Sie mir diese Anzeige machten, kaum drei Monate verflossen, seitdem die La Marmora'sche Episode sich anfing zu beruhigen, so daß meine Ihnen im Sommer geschriebene Ansicht über Usedoms Verbleiben in TurinS. Schreiben vom 8. Aug. 1868 aus Ems im Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen I 175 f. noch dieselbe war. Die mir unter dem 13. Februar gemachten Mittheilungen über Usedoms Geschäfts Betrieb, der seine Enthebung vom Amte nunmehr erfordere, wenn nicht eine disciplinar Untersuchung gegen ihn verhängt werden solle, ließ ich einige Tage ruhen, da mir inzwischen die Mittheilung geworden war, daß Keudel mit Ihrem Vorwissen Usedom aufgefordert, einen Schritt entgegen zu thun. Und dennoch, ehe noch eine Antwort aus Turin anlangte, befragte ich Sie schon am 21. Februar, wie Sie sich die Wiederbesetzung dieses Gesandschaftspostens dächten, womit ich also aussprach, daß ich auf die Vacantwerdung desselben einginge. Und dennoch thaten Sie schon am 22. d. M. den endscheidenden Schritt gegen Wehrmann, zu welchem die Usedomiade mit Veranlassung sein sollte. Eine andre Veranlassung wollen Sie in dem Umstande finden, daß ich nach Empfang des Staatsministerial Berichts in der Angelegenheit Fa/M, vor Feststellung meiner Ansicht, nicht noch Einmal Ihren Vortrag verlangt hätte. Da aber Ihre und der Staatsminister Gründe so endscheidend durch Vorlage des Gesetz-Entwurfs und den Begleitungs Bericht dargelegt waren, ja, meine Unterschrift in derselben Stunde verlangt wurde, als mir diese Vorlage gemacht ward, um sie sofort in die Kammer zu bringen, so schien ein nochmaliger Vortrag nicht angezeigt, um meine Ansicht und Absicht festzustellen. Wäre mir, bevor im Staats-Ministerium dieser in der Fa/M Frage einzuschlagende Weg, der ganz von meiner früheren Kundgebung abwich, festgestellt wurde, Vortrag gehalten worden,Dazu (wäre) Freiheit der Zeit erforderlich (gewesen). Randbemerkung Bismarck's. so würde durch den Idéen Austausch ein Ausweg aus den verschiedenen Auffassungen erzielt worden sein, und die Divergen und der Mangel des Zusammenwirkens, das Umarbeiten, was Sie mit Recht so sehr bedauern, zu vermeiden gewesen. Alles was Sie bei dieser Gelegenheit über die Schwierigkeit des Imgangehaltens der constitutionellen Staats Maschine sagen u. s. w., unterschreibe ich durchaus, nur kann ich die Ansicht nicht gelten lassen, daß mein so nöthiges Vertrauen zu Ihnen und den anderen Räthen der Krone mangele!Bismarck am Rande: Usedom Sie selbst sagen, daß es zum 1tenmal vorkomme seit 1862, daß eine Différenz eingetreten sei zwischen uns, und das sollte genügen als Beweis, daß ich kein Vertrauen zu meinen Regierungs-Organen mehr hätte? Niemand schlägt das Glück höher an als ich, daß in einer 6jährigen so bewegten Zeit dergleichen Différenzien nicht eingetreten sind; aber wir sind dadurch verwöhnt worden, glücklich verwöhnt worden, – so daß der jetzige Moment, mehr als gerechtfertigt ist, ein Ebranlement erzeugt! Ja, kann ein Monarch seinem Premier ein größeres Vertrauen beweisen als ich, der Ihnen zu so verschiedenen Malen und nun auch jetzt zuletzt noch privat Briefe zusendet, die über momentan schwebende Fragen sprechen, damit Sie sich überzeugen, daß ich nichts der Art hinter Ihrem Rücken betreibe? Wenn ich Ihnen den Brief des Grls von Manteuffel in der Memeler AngelegenheitEs handelte sich um die Eisenbahn Memel-Tilsit. Der König war durch einen Brief des Generals von Manteuffel bestimmt worden, von einer auf Vortrag der Ressortminister getroffenen Entscheidung wieder abzugehen. sendete,Bismarck am Rande: Ordre! weil er mir ein Novum (:Tottleben:) zu enthalten schien und ich deshalb Ihre Ansicht hören wollte, wenn ich Ihnen Grls von Boyen Brief mittheilte, ebenso einige Zeitungs-Ausschnitte, bemerkend, daß diese Piecen genau das wiedergäben, was ich unverändert seit Jahr und Tag überall und officiel ausgesprochen hätte – so sollte ich glauben, daß ich mein Vertrauen kaum steigern könnte. Daß ich aber überhaupt mein Ohr den Stimmen verschließen sollte, die in gewissen gewichtigen Augenblicken sich vertrauensvoll an mich wenden, – das werden Sie selbst nicht verlangen.
Wenn ich hier einige der Punkte heraushebe, die Ihr Schreiben als Gründe anführt, die Ihre jetzige Gemüthsstimmung herbeiführten, während ich andere unerörtert ließ, so komme ich noch auf Ihre eigne Aeußerung zurück, daß Sie Ihre Stimmung eine krankhafte nennen; Sie fühlen sich müde, erschöpft,Bismarck am Rande: wodurch? Sehnsucht nach Ruhe beschleicht Sie. Das alles verstehe ich vollkommen, denn ich fühle es Ihnen nach; – kann und darf ich deshalb daran denken mein Amt niederzulegen?Bismarck am Rande: nein, aber vertrauen, was man nicht selbst sehn kann bei 30 Mill. und glauben, was ein Minister amtlich versichert! Ebenso wenig wie ich dies darf, ebenso wenig dürfen Sie es! Sie gehören sich nicht allein, sich selbst an; Ihre Existenz ist mit der Geschichte Preußens, Deutschlands, Europas zu eng verbunden, als daß Sie sich von einem Schauplatz zurückziehen dürfen, den Sie mit schaffen halfen. Aber damit Sie sich dieser Schöpfung auch ganz widmen können, müssen Sie sich Erleichterung der Arbeit verschaffen und bitte ich Sie inständigst mir dieserhalb Vorschläge zu machen. So sollten Sie sich von den Staats Ministerial Sitzungen losmachen,Randbemerkung Bismarck's: thue ich wenn gewöhnliche Dinge verhandelt werden. Delbrück steht Ihnen so getreu zur Seite, daß er Ihnen Manches abnehmen könnte.Randbemerkung Bismarck's: thut er Réduciren Sie Ihre Vorträge bei mir auf das Wichtigste u. s. w.Randbemerkung Bismarck's: noch mehr? Vor Allem aber zweifeln Sie nie an meinem unveränderten Vertrauen und an meiner unauslöschlichen Dankbarkeit!!
Ihr
Wilhelm.«
Usedom wurde zur Disposition gestellt. Se. Majestät überwand in diesem Falle die Tradition der Verwaltung des Königlichen Hausvermögens so weit, daß er ihm die finanzielle Differenz zwischen dem amtlichen Einkommen und dem Wartegelde aus der Privatchatoulle regelmäßig zahlen ließ.
Ich kehre zu dem Gespräche mit dem Regenten zurück. Nachdem ich mich über den bundestäglichen Posten geäußert, ging ich auf die Gesammtsituation über und sagte: »Ew. K. H. haben im ganzen Ministerium keine einzige staatsmännische Capacität, nur Mittelmäßigkeiten, beschränkte Köpfe.«
Der Regent: »Halten Sie Bonin für einen beschränkten Kopf?«
Ich: »Das nicht; aber er kann nicht ein Schubfach in Ordnung halten, viel weniger ein Ministerium. Und Schleinitz ist ein Höfling, kein Staatsmann.«
Der Regent empfindlich: »Halten Sie mich etwa für eine Schlafmütze? Mein auswärtiger Minister und mein Kriegsminister werde ich selbst sein; das verstehe ich.«
Ich deprecirte und sagte: »Heut zu Tage kann der fähigste Landrath seinen Kreis nicht verwalten ohne einen intelligenten Kreissekretär und wird immer auf einen solchen halten; die preußische Monarchie bedarf des Analogen in viel höherm Maße. Ohne intelligente Minister werden Ew. K. H. in dem Ergebniß keine Befriedigung finden. Das Innre berührt mich weniger; aber wenn ich an Schwerin denke, so habe ich auch meine Sorgen. Er ist ehrlich und tapfer und würde, wenn er Soldat wäre, wie sein Vorfahr bei Prag fallen; aber ihm fehlt die Besonnenheit. Sehn Ew. K. H. sein Profil an; dicht über den Augenbrauen springt die Schnelligkeit der Conception hervor, die Eigenschaft, welche die Franzosen mit primesautier bezeichnen, aber darüber fehlt die Stirn, in welcher die Phrenologen die Besonnenheit suchen. Schwerin ist ein Staatsmann ohne Augenmaß und hat mehr Fähigkeit einzureißen als aufzubauen.«
Die Beschränktheit der Uebrigen gab mir der Prinz zu. Im Ganzen blieb er bei dem Bestreben, mir meine Mission nach Petersburg im Lichte einer Auszeichnung erscheinen zu lassen, und machte mir den Eindruck, als fühle er eine Erleichterung, daß auf diese Weise die auch für ihn unerfreuliche Frage meiner Versetzung durch meine Initiative der Besprechung erledigt war. Die Audienz endete in gnädiger Form auf Seiten des Regenten und auf meiner Seite mit dem Gefühl ungetrübter Anhänglichkeit an den Herrn und gesteigerter Geringschätzung gegen die Streber, deren von der Prinzessin unterstützten Einflüssen er damals unterlag.
In der neuen Aera hatte die hohe Frau zunächst ein Ministerium vor sich, als dessen Begründerin und Patronin sie sich ansehn durfte. Aber auch unter diesem Cabinet blieb ihr Einfluß nicht dauernd gouvernemental, sondern gewann bald die Natur einer Begünstigung derjenigen Minister, welche der obersten Staatsleitung unbequem waren. Am meisten war dies vielleicht der Graf Schwerin, beeinflußt von dem nachmaligen Oberbürgermeister Winter in Danzig und andern liberalen Beamten. Er trieb die ministerielle Unabhängigkeit gegen den Regenten so weit, daß er schriftliche Befehle schriftlich damit erledigend beantwortete, dieselben seien nicht contrasignirt. Als das Ministerium den Regenten einmal zu einer ihm widerwärtigen Unterschrift genöthigt hatte, leistete er dieselbe in unlesbarer Gestalt und zerstampfte die Feder darauf. Graf Schwerin ließ eine zweite Reinschrift machen und bestand auf einer leserlichen Unterschrift. Der Regent unterschrieb nun wie gewöhnlich, knüllte aber das Blatt zusammen und warf es in die Ecke, aus der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet, zu den Acten genommen wurde. Auch an meinem Abschiedsgesuche von 1877 war zu sehn, daß der Kaiser es zum Knäul geballt hatte, bevor er darauf antwortete.
Ich wurde am 29. Januar 1859 zum Gesandten in Petersburg ernannt, verließ Frankfurt aber erst am 6. März und verweilte bis zum 23. desselben Monats in Berlin.Vgl. Bismarck's Briefe an seine Braut und Gattin S. 397-404. Während dieser Zeit hatte ich Gelegenheit, von der Verwendung der östreichischen geheimen Fonds, der ich bis dahin nur in der Presse begegnet war, einen praktischen Eindruck zu gewinnen. Der Bankier Levinstein, welcher seit Jahrzehnten bei meinen Vorgesetzten und in deren vertraulichen Aufträgen in Wien und Paris mit den Leitern der auswärtigen Politik und mit dem Kaiser Napoleon in Person verkehrt hatte, richtete am Morgen des Tages, auf den meine Abreise festgesetzt war, das nachstehende Schreiben an mich:
»Ew. Excellenz erlaube ich mir noch hiemit ganz ergebenst gutes Glück zu Ihrer Reise und Ihrer Mission zu wünschen, hoffend, daß wir Sie bald wieder hier begrüßen werden, da Sie im Vaterlande wohl nützlicher zu wirken vermögen als in der Ferne.
Unsre Zeit bedarf der Männer, bedarf Thatkraft, das wird man hier vielleicht etwas zu spät einsehen. Aber die Ereignisse in unsrer Zeit gehen rasch, und ich fürchte, daß für die Dauer doch der Friede kaum zu erhalten sein wird, wie man auch für einige Monate kitten wird.
Ich habe heut eine kleine Operation gemacht, die, wie ich hoffe, gute Früchte tragen soll, ich werde später die Ehre haben, sie Ihnen mitzutheilen. –
In Wien ist man sehr unbehaglich wegen Ihrer Petersburger Mission, weil man Sie für principiellen Gegner hält.
Sehr gut wäre es, dort ausgesöhnt zu sein, weil doch früher oder später jene Mächte sich mit uns gut verstehen werden.
Wollen Ew. Excellenz nur in einigen beliebigen Zeilen an mich sagen, daß Sie persönlich nicht gegen Oestreich eingenommen sind, so würde das von unberechenbarem Nutzen sein. – Herr von Manteuffel sagt immer, ich sei zähe in der Ausführung einer Idee und ruhe nicht, bis ich zum Ziele gekommen – doch fügte er hinzu, ich wäre weder ehr- noch geldgeizig. Bis jetzt, Gott sei Dank, ist es mein Stolz, daß noch Niemand aus einer Verbindung mit mir irgend einen Nachtheil gehabt.
Für die Dauer Ihrer Abwesenheit biete ich Ihnen meine Dienste zur Besorgung Ihrer Angelegenheiten, sei es hier oder sonst wo, mit Vergnügen an. Uneigennütziger und redlicher sollen Sie gewiß anderswo nicht bedient werden.
Mit aufrichtiger Hochachtung bin ich Ew. Excellenz
ganz ergebenster
B. 23./3. 59.
Levinstein.«
Ich ließ den Brief unbeantwortet und erhielt im Laufe des Tages, vor meiner Abfahrt zum Bahnhofe, im Hotel Royal, wo ich logirte, den Besuch des Herrn Levinstein. Nachdem er sich durch Vorzeigung eines eigenhändigen Einführungsschreibens des Grafen Buol legitimirt hatte, machte er mir den Vorschlag zur Betheiligung an einem Finanzgeschäft, welches mir »jährlich 20 000 Thaler mit Sicherheit« abwerfen würde. Auf meine Erwiderung, daß ich keine Capitalien anzulegen hätte, erfolgte die Antwort, daß Geldeinschüsse zu dem Geschäft nicht erforderlich seien, sondern daß meine Einlage darin bestehn würde, daß ich mit der preußischen auch die östreichische Politik am russischen Hofe befürwortete, weil die fraglichen Geschäfte nur gelingen könnten, wenn die Beziehungen zwischen Rußland und Oestreich günstig wären. Mir war daran gelegen, irgendwelches schriftliche Zeugniß über dieses Anerbieten in die Hand zu bekommen, um dadurch dem Regenten den Beweis zu liefern, wie gerechtfertigt mein Mißtraun gegen die Politik des Grafen Buol war. Ich hielt deshalb dem Levinstein vor, daß ich bei einem so bedenklichen Geschäft doch eine stärkre Sicherheit haben müßte, als seine mündliche Aeußrung, auf Grund der wenigen Zeilen von der Hand des Grafen Buol, die er an sich behalten habe. Er wollte sich nicht dazu verstehn, mir eine schriftliche Zusage zu beschaffen, erhöhte aber sein Anerbieten auf 30 000 Thaler jährlich. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß ich schriftliches Beweis-Material nicht erlangen würde, ersuchte ich Levinstein, mich zu verlassen, und schickte mich zum Ausgehn an. Er folgte mir auf die Treppe unter beweglichen Redensarten über das Thema: »Sehn Sie sich vor, es ist nicht angenehm, die ›Kaiserliche Regirung‹ zum Feinde zu haben.« Erst als ich ihn auf die Steilheit der Treppe und auf meine körperliche Ueberlegenheit aufmerksam machte, stieg er vor mir schnell die Treppe hinab und verließ mich.
Dieser Unterhändler war mir persönlich bekannt geworden durch die Vertraunsstellung, welche er seit Jahren im Auswärtigen Ministerium eingenommen, und durch die Aufträge, welche er von dort für mich zur Zeit Manteuffel's erhielt. Er pflegte seine Beziehungen in den untern Stellen durch übermäßige Trinkgelder.
Als ich Minister geworden war und das Verhältniß des Auswärtigen Amts zu Levinstein abgebrochen hatte, wurden wiederholt Versuche gemacht, dasselbe wieder in Gang zu bringen, namentlich von dem Consul Bamberg in Paris, der mehrmals zu mir kam und mir Vorwürfe darüber machte, daß ich einen »so ausgezeichneten Mann«, der eine solche Stellung an den europäischen Höfen habe, wie Levinstein, so schlecht behandeln könnte.
Ich fand auch sonst Anlaß, Gewohnheiten, die in dem Auswärtigen Ministerium eingerissen waren, abzustellen. Der langjährige Portier des Dienstgebäudes, ein alter Trunkenbold, konnte als Beamter nicht ohne Weitres entlassen werden. Ich brachte ihn dahin, den Abschied zu nehmen, durch die Drohung, ihn dafür zur Untersuchung zu ziehn, daß er mich »für Geld zeige«, indem er gegen Trinkgeld Jedermann zu mir lasse. Seinen Protest brachte ich mit der Bemerkung zum Schweigen: »Haben Sie mir, als ich Gesandter war, nicht jederzeit Herrn von Manteuffel für einen Thaler, und, wenn das Verbot besonders streng war, für zwei Thaler gezeigt?« Von meiner eignen Dienerschaft wurde mir gelegentlich gemeldet, welche unverhältnißmäßigen Trinkgelder Levinstein an sie verschwendete. Thätige Agenten und Geldempfänger auf diesem Gebiete waren einige von Manteuffel und Schleinitz übernommne Canzleidiener, unter ihnen ein für seine subalterne Amtsstellung hervorragender Maurer. Graf Bernstorff hatte während seiner kurzen Amtszeit der Corruption im Auswärtigen Amte kein Ende machen können, war auch wohl geschäftlich und gräflich zu stark präoccupirt, um diesen Dingen nahe zu treten. Ich habe meine Begegnung mit Levinstein, meine Meinung über ihn, seine Beziehungen zu dem Auswärtigen Ministerium später dem Regenten mit allen Details zur Kenntniß gebracht, sobald ich die Möglichkeit hatte, dies mündlich zu thun, was erst Monate später der Fall war. Von einer schriftlichen Berichterstattung versprach ich mir keinen Erfolg, da die Protection Levinstein's durch Herrn von Schleinitz nicht blos zum Regenten hinauf, sondern an die Umgebung der Frau PrinzessinVgl. was in dem Proceß gegen den Hofrath Manché, October 1891, zur Sprache gekommen ist. hinan reichte, welche bei ihren Darstellungen der Sachlage keinen Beruf fühlte, die Unterlagen objectiv zu prüfen, sondern geneigt war, die Anwaltschaft für meine Gegner zu übernehmen.