Theodor Birt
Römische Charakterköpfe
Theodor Birt

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Lukull

Rom hatte seinen ersten Tyrannen erlebt. Er war es geworden kraft des Heeres. Marius schuf das Söldnerheer, Sulla eroberte sich mit Hilfe des so geschaffenen Soldatentums, das nicht dem Vaterland, sondern nur seinem Feldherrn dient, die Hauptstadt, die Welt. Aber Sullas Herrschaft währte nicht lange, und die Verhältnisse blieben so unsicher, wie sie waren. Die Krisen häuften sich, und etliche große Menschen sollten sich noch zerreiben, bevor in der Welt ein endgültig befriedigender Zustand hergestellt wurde; drei erhebliche junge Männer gab es im Reich, als Sulla starb: Sertorius, Lukull und Pompejus.

Sertorius, ein prächtiger Mann des Volkes, in dem Marius gleichsam weiterlebte, kein Kind der Hauptstadt, sondern aus den italischen Gebirgsstädten zugewandert: er verwirft die reaktionäre Reichsverfassung, die Sulla gegeben, und gründet im fernen Spanien ein kleines römisches Reich für sich, umgibt sich da mit einem Senat, dem er auch wirklich sein Ohr leiht, und so ist es dieser Sertorius, der damals der Welt wirklich und in schöner Weise die Durchführbarkeit einer konstitutionellen Monarchie bewies. Er war eigentlich der Idealheld seiner Zeit, gerecht, besonnen, tapfer, voll Entschlossenheit und unbesieglich: alles schwärmt für ihn. Dies spanische Reich des Sertorius hielt sich unerschüttert in den Jahren 80–76. Er hoffte auf eine Zeit, wo er Rom selbst für sich gewinnen könnte, und in ihm lebte der Geist der Gracchen. Aber er endete im Jahr 72 durch Meuchelmord. In Wirklichkeit konnte damals allerdings nur von Rom aus Geschichte gemacht werden, und das Auge wendet sich also den beiden anderen hervorragenden Männern zu, Lukull und Pompejus. Sie waren Stadtrömer. Wir handeln zunächst vom Lukull.

Der Name Lukull hat bis auf heute einen guten Klang: lukullisches Leben! Die Eßlust regt sich, und wundervolle Gerüche strömen aus der Küche! Ein Festessen mit sieben Gängen, Austern und Truthühnern taucht vor uns auf, ein Traum des Wohlgeschmacks, und vor allem die Kirsche. Lukull ist der, der 93 die Kirsche zuerst nach Europa brachte.Vgl. außer anderen Zeugnissen Hieronymus epist. 31, 3. Jeder, der heut in Sommerszeiten bei uns von dieser Frucht nascht, jeder Bub, der im Sommer in den hohen Kirschbaum klettert, soll dabei pietätvoll Lukulls gedenken. Die Hauptsache ist aber vielleicht den wenigsten Kirschliebhabern bekannt: daß nämlich Lukull einer der größten Feldherren war, die je gelebt haben, jedenfalls einer der kühnsten und treffsichersten, und uns öffnet sich, indem wir seinen Heerzügen folgen, zum erstenmal das märchenhafte Morgenland.

Im Jahr 78, als Sulla starb, blickte man auf Lukull und auf Pompejus mit Spannung. Wer von ihnen sollte der Erbe der Machtstellung Sullas werden?

Ein solches Blutvergießen, wie Marius und Sulla es über Rom gebracht, war bei ihnen nicht zu befürchten. Überhaupt hört das Römertum, das, wie Marius, die griechische Bildung ablehnt, jetzt ganz auf. Die griechische Bildung hat von jetzt an mit Hilfe des Schulwesens alle Familien durchdrungen, und das Prinzip der Scipionen, der Geist der Cornelia hatte gesiegt. Alles ist jetzt vom griechischen Kunstleben und Gedankenleben erfüllt. Bei Sulla war das noch recht äußerlich gewesen. Sulla hatte zwar die Originalmanuskripte des Philosophen Aristoteles aus Athen nach Rom geschleppt. Aber er hat selbst nicht hineingesehen, er wußte nichts mit ihnen anzufangen, und erst Lukull brachte den Griechen Tyrannio aus Amisos nach Rom, der diese Schriften wirklich erschloß. Für Sulla waren solche Bücher lediglich ein Renommierstück seiner Kriegsbeute, und in Wirklichkeit ergötzten ihn nur, wie wir sahen, die niedrigen, burlesken Leistungen des griechischen Theaters.

Lukull dagegen, Cäsar und alle weiteren sind aus Liebe und Überzeugung Vollgriechen; das Griechentum ersteht in ihnen neu, aber mit dem großen Knochenbau des Römers: Kolossalcharaktere mit Walfischknochen, im Vergleich zu den forellenartig zartgebauten Griechen.

Lucius Licinius Lucullus war vornehmen Geschlechts, aber 94 verarmt. Dazu drückte auf ihn der üble Leumund seiner Vorfahren, besonders seiner Mutter, aber auch seines Vaters, der wegen Bestechung verurteilt worden war. Aber Sulla wollte ihm wohl; auch wurde die erste Tat des jungen Lukull allgemein beachtet: er trat als Ankläger des Mannes, der seinen Vater zur Verurteilung gebracht hatte, des Augurn Servilius, auf. Das war brav; das erregte die Massen; denn alle Rechtsprechung geschah ja in freiester Öffentlichkeit; das Volk ergriff Partei, und es gab Krawall, Verwundete.

Dann war Lukull Offizier. Sulla zog ihn sich heran, zuerst im Kampf gegen die Italiker, sodann bei seinem Auszug gegen den Mithridates. Sullas Kriegskasse war damals leer, und er plünderte die griechischen Tempel aus; Lukull übernahm es, für ihn aus den geraubten Gold- und Silbersachen Münze zu prägen; sie hieß das Lukullische Geld und war besonders gut im Kurs. Aber Sulla hatte auch keine Flotte, und die Flotten seines Gegners Mithridat beherrschten alle Küsten. Da befiel Lukull die Abenteuerlust. Rastlosigkeit und rasche Beweglichkeit war ihm eigentümlich; kein Feldherr hatte das so vor ihm; Julius Cäsar war darin sein Schüler. Während überall die feindlichen Galeeren lauerten, zum Teil sehr kampffähige Kriegsschiffe mit fünf Ruderreihen übereinander, wagte sich Lukull mit zwei bis drei Schiffen mitten hindurch, zuerst nach Cyrenaika (jener Cyrenaika, wo neuerdings die Italiener, bei Derna, sich festgesetzt haben und von wo aus hernach die Senussi das englische Ägypten bedrohten). Da gab er einer Stadt, die ihn darum bat, beiläufig eine neue Verfassung; er stand etwa im Studentenalter, und es war das für ihn wie ein praktisches Staatsexamen: es machte ihm Spaß, zu zeigen, daß er Platos Schrift vom besten Staat gelesen hatte. Dann aber überfielen ihn die Seeräuber, die sich damals vieltausendköpfig als Seemacht aufgetan hatten und für Mithridat fochten. Als ausgeplünderter Mensch kam so Lukull in die Hauptstadt Ägyptens, Alexandrien, und wurde da gleich als Vertreter Sullas 95 von dem jungen König Ptolemäus wie ein Prinz empfangen, mit Geschenken und Schmeicheleien überhäuft; aber die ägyptische Flotte, auf die er es abgesehen hatte, bekam er doch nicht. Ägypten war vorsichtig; es fürchtete sich vor Mithridat.

Sonst sah sich jeder Römer, der nach Ägypten kam, gleich auch ein bißchen das alte Memphis und die Pyramiden, die Obelisken und Sphinxe an und kritzelte seinen Namen womöglich auf die Memnonssäule, die nach der Sage bei Sonnenaufgang wunderbar erklang; man reiste eben darum hin, um sie klingen zu hören. Aber Lukull hatte keine Zeit. Auf nach Cypern! hieß es, und in Cypern erwarb er sich endlich eine Flotte, wie er sie brauchte.

Der Winter trat ein; die feindlichen Admirale glaubten, er werde sich nicht auf die See getrauen, und verzogen sich. Denn ein antikes Kriegsschiff konnte sich tatsächlich im Wintersturm auf See nicht halten. Lukull jedoch wagte das Äußerste. Damit kein Feind ihn erspähte, setzte er nur nachts Segel auf und kam so glücklich weiter bis nach Rhodos. Rhodos war Seemacht und stets Freundin Roms; und schon nahm Lukull von dort aus im raschen Griff dem Mithridates etliche Hafenplätze weg, vor allem die Stadt Kyzikos, gewann auch eine Seeschlacht, und Sulla hatte jetzt also durch ihn den Küstenschutz, den er brauchte. Lukull war jetzt etwa 21 Jahre alt. Dabei zeigte er, daß Parteigängertreue damals mehr galt als Patriotismus. Denn auch ein anderer römischer Befehlshaber, mit Namen Fimbria, stand damals mit zwei Legionen in Kleinasien: ein genialer Kriegsmann, aber ein Mann der Volkspartei und dem Sulla verhaßt. Fimbria zernierte damals den Mithridat in einer der Hafenstädte von der Landseite und rief den Lukull zur Hilfe herbei. Kam Lukull von der Wasserseite heran, so konnten sie den Mithridat in der Stadt aufheben, der Erfolg war sicher, und damit wären alle weiteren Kämpfe überflüssig gemacht worden; die Weltgeschichte hätte sich ganz anders gewendet. Aber Lukull kam nicht, er wollte einem Gegner Sullas diesen Erfolg nicht zuwenden.

96 An den Metzeleien aber, mit denen Sulla hernach die Bürgerschaft Roms zerfleischte, war Lukull ganz unbeteiligt; ebenso auch an den Gütern der Hingerichteten, die Sulla an seine Kreaturen in Rom verschenkte und verschleuderte, hatte Lukull zum Glück keinen Anteil, und er stand vollkommen sauber da. Denn er war damals in Kleinasien zurückgeblieben, um dort die auferlegte gewaltige Kriegssteuer einzutreiben oder gerecht zu verteilen. Wohl aber machte ihn Sulla zu seinem Testamentsvollstrecker; ja, auch Sullas hinterlassenes Memoirenwerk mußte Lukull herausgeben.

Der junge Mann mußte sich durchschlagen; er hatte damals mehr Kredit als Geld; heiratete eine vornehme Dame, aber ohne Mitgift. Trotzdem brachte er es als Ädil fertig, glänzende Schauspiele in Rom zu geben, wobei er zum erstenmal auf dem sandbestreuten Marktplatz Elefanten mit Stieren öffentlich kämpfen ließ. Als er dann Afrika verwaltete, zeigte er sich als ehrlicher Verwalter; das wird besonders erwähnt; es war eine große Merkwürdigkeit wie etwa zu unserer Zeit im russischen Kaiserreich oder in Nordamerika.

Da kam der neue große Krieg. Gerade im Jahre 74, als Lukull Konsul war, rüstete König Mithridat von neuem ein Heer von gewaltiger Kopfzahl und warf sich zuerst auf das benachbarte Land Bithynien, dann auf das römische Gebiet in Kleinasien selbst. Pompejus und Lukull, beide Römer, verlangten nach dem Oberbefehl gegen Mithridat. Aber Lukull erhielt ihn. »Wo steckt die Frau?« Hier hören wir einmal von weiblichen Einflüssen. Man erzählt: unter den großen Damen der Halbwelt ragte damals eine gewisse Praecia hervor; sie war Maitresse und Vertraute der einflußreichsten Männer: Lukull eroberte ihre Gunst mit Huldigungen, und Praecia warb für ihn mit Erfolg. In der Tat aber hatte Lukull alles Recht auf diesen großen Posten. Denn er kannte Kleinasien wie kein anderer; er hatte dort schon gekämpft, hatte dort insbesondere Kyzikos, die Seestadt, aus Mithridats Händen befreit.

97 Und eben jetzt stürzte sich der griechische Sultan wieder auf die Seestadt Kyzikos, natürlich mit kolossaler Übermacht (die Angaben über diese asiatischen Heere gehen immer in die Hunderttausende, und man ist unwillkürlich geneigt, sie jedesmal durch Zehn zu dividieren). Ja, Mithridat hatte inzwischen sogar versucht, seine Truppen römisch zu bewaffnen und auszubilden, etwa so, wie wenn in unseren Tagen deutsche Offiziere in China preußischen Drill einzuführen versucht haben. Aber für das Verpflegungswesen war kläglich gesorgt. Das brachte Lukull in Erfahrung, nahm mit seinem Heer hohe Positionen (er hatte überhaupt nur etwa 30 000 Mann Fußvolk, 2500 Reiter), klemmte die feindlichen Massen auf engem Raum vor den Mauern der von ihnen belagerten Seestadt ein und schnitt ihnen hermetisch eine Woche lang alle Zufuhren ab; es war kein sog. Theaterkrieg; er kämpfte nur gegen die unzähligen feindlichen Magen. Bald waren Hunger und Seuchen da, und die gräßlichsten Zustände. In Verzweiflung drängten sich die verhungerten Scharen auseinander, und es war das reinste Vergnügen, sie zusammenzuhauen. Mithridat entkam mit seiner Flotte.

Dies der erste Erfolg. Kaum gönnte Lukull sich Ruhe (eine Rast in jenen Mittelmeerstädten war so schön!), da, heißt es, erschien ihm die Göttin Venus – die Schutzgöttin Sullas – im Traum und sprach: »Ruhe nicht, Jägersmann; Beute ist nah.« Er folgt der Traumstimme, kommt auf die Spur der Mithridatischen Flotte und besiegt nun auch diese wiederholt, Schlag auf Schlag. Mithridat flieht in höchster Not durch die Dardanellen ins Schwarze Meer, wird da von gräßlichen Sturmfluten überschüttet und rettet auf einem Kaperschiffe mit Mühe und Not sein nacktes Leben.

Woher hatte Lukull die Schiffe, mit denen er diese Schlachten schlug? Es waren die griechischen Städte, Rhodos voran, die sie ihm lieferten. Der römische Senat bot dem Lukull erst jetzt für einen Flottenbau 3000 Talente an. Aber er lehnte 98 dankend ab. Er wollte zeigen, daß der Krieg im Orient sich selbst bezahlt macht. Der Krieg sollte Rom nichts kosten. So hat später auch noch der große Napoleon seine Kriege geführt. Rom aber hat das dem Lukull schlecht gedankt.

Sein Kommando wurde damals verlängert. Und nun holte er weiter aus. Ein geschlagener Mithridat genügte ihm nicht; er mußte Mithridat greifen. Denn solange dieser Riese mit den tönernen Füßen existierte, war er eine ständige Drohung; der Riese war hungrig und hatte ein zähes Leben. Ohne Auftrag des Senats, ja, wie es später hieß, gegen den Willen der regierenden Autoritäten in Rom, und obschon ferner auch sein eigenes Heer mit sämtlichen Offizieren eben jetzt ein Halbjahr Ruhe verlangte, zog Lukull im Sommer 73 gegen den fernen Pontus, gegen das Kronland des Mithridat. Das Land lag da, wo heute das türkische Trapezunt liegt.

Es war keine leichte Sache. Im Westen, um Smyrna und Milet, war Kleinasien das prangendste Gartenland, ein Land der Küstenparadiese, wo die Quitten und Birnen, Mandeln und Aprikosen wild wachsen und Rhododendron und Granaten, Oleander und Azaleen unter der freien Sonne blühen. Das ließ Lukull aber jetzt hinter sich und drang in die wüsten Steppen des Hochlandes. Die mit Urwald bestandenen Küstengebirge am Nordrand Kleinasiens nach dem Pontus zu erreichen eine Höhe von 1300 bis 1900 Meter. Eis, Schnee und Reif und lange Winter, das war es, was ihn in Pontus und Armenien erwartete.

So brauchte er denn wirklich anfangs einen Train von 30 000 Lastträgern (es waren Galater, Leute gallischer Herkunft), die allein dazu bestimmt waren, das Getreide für die Armee auf ihren Schultern hinterher zu schleppen. Im Pontus aber öffnet sich den Römern auf einmal ein ungeahntes üppiges Land, verschwenderisch reich an Vieh und Früchten. Und da fand Lukull auch die Kirsche. Aus dem Pontusland hat er den freundlichen Kirschbaum mitgebracht.

99 Die Legionssoldaten aber interessierten sich wenig für solches Obst und billiges Rindfleisch; sie wollten Geld, Geld! sie wollten wirkliche Beute und ärgerten sich, daß Lukull keine einzige Stadt, kein einziges der vielen Kastelle erstürmen ließ, in deren Kasematten die Reichtümer des Feindes lagen. Für den Soldaten lohnte ein Feldzug nur, wenn es Städte auszuplündern gab. Lukull dagegen bewährte sich als Träger der Humanität und schonte, solange es ging, besonders die Plätze, in denen Griechen wohnten.

Da kam man endlich nach Kabeira. Kabeira war die halb-barbarische Hauptstadt des Feindes. Da hatte sich Mithridat verschanzt. Der gehetzte Panther stellte sich. Wie ihn fassen? Es war ein langes Hinhalten und Zaudern. Auf einer Hirschjagd stoßen endlich die Pontusleute wider Willen auf die Römer. Die Römer aber reißen aus. Es war schmählich. Lukull muß sich persönlich in die vordersten Reihen werfen und das Gefecht herstellen. Die Soldaten, die geflohen waren, läßt er zur Strafe die Uniform ablegen, und wie die Landsklaven müssen sie im ungegürteten Rock vor den Augen ihrer Kameraden Erdarbeiten verrichten.

Mithridat mißtraute der Feldschlacht; aber es gab noch ein anderes Kampfmittel; das war der Meuchelmord. Bei dem König befand sich ein asiatischer Kleinfürst Olthakos; der unternahm den Versuch. Der geschmeidige Mann findet sich plötzlich bei Lukull ein, erklärt, daß er sich mit Mithridat verfeindet hat, gewinnt das Vertrauen, die Freundschaft des Römers durch sein blendend ergebenes Wesen und hat schließlich freien Zutritt im Kommandantenzelt. Es ist Mittag. Er stellt erst sein Pferd zur Flucht bereit, dann begibt er sich, »den Dolch im Gewande«, zum Zelt Lukulls und stellt das Verlangen, ihn zu sprechen. Lukull hätte ihn auch sicher vorgelassen; aber er schlief gerade, und der Schlaf rettete ihn. Denn sein braver Kammerdiener Menedem weigerte sich, ihn zu wecken (man hatte nicht nur Kammerdiener, sondern auch eigene Schlafwächter), und als 100 Olthakos dringender wurde, packte ihn Menedem und drängte ihn mit Gewalt hinaus. Jedes Geräusch wurde dabei vermieden. Aber der Angreifer merkte, daß sein Benehmen auffällig geworden, und er entfloh.

Bald darauf geschah die Schlacht, wo Mithridat alles verlor. In dem Chaos hatte er nicht einmal ein Pferd, um zu entfliehen. »Ein Königreich für ein Pferd!« Einer seiner Eunuchen rettete ihn. Hätten Lukulls Truppen sich nicht gleich blindlings auf das Plündern der Zelte gestürzt, Mithridat wäre sicher selbst ergriffen worden. Man kann sich die Empörung und Wut des Feldherrn denken; seine Befehle verhallten wirkungslos. Die Truppen glaubten, er gönne ihnen nur ihre Beute nicht. In der Stadt Kabeira selbst fand man die unermeßlichen Königsschätze; aber auch viele politische Strafgefangene zog Lukull dort aus den tiefen Kerkern wie aus einem Brunnenschacht hervor; sie schmachteten dort lange, und es war für sie wie Auferstehung.

Sodann der Harem des Königs. Er befand sich an einem anderen festen Platze in der Nähe. Mithridat konnte ihn nicht vor dem Feinde retten, daher ließ er jetzt seine sämtlichen Weiber umbringen, auch seine zwei Schwestern. Seine Schwestern waren unverheiratet und etwa vierzig Jahre alt, seine zwei Hauptgemahlinnen aber echt jonisches, griechisches Blut, Berenike aus Chios und Monime aus Milet.

Um Monime hatte Mithridat dereinst mit fünftausend Goldstücken geworben; sie hatte aber geantwortet, er müsse ihr ein Diadem schicken und sie wirklich zur Königin machen; sonst komme sie nicht. Er tat es. Sie aber verweinte danach ihr junges Leben und trauerte um ihre Schönheit, die sie, fern der feinen griechischen Bildung, als Königin wie im Käfig verblühen lassen mußte. Jetzt kam der Befehl zu sterben. Sie nahm selbst ihr Diadem und schlang es sich am den Hals, um sich damit zu erdrosseln. Aber es zerriß dabei, und sie seufzte;»O elender Fetzen, nicht einmal dazu taugst du mir?« Dann 101 ließ sie sich erstechen. Von den Schwestern Mithridats nahm die eine schimpfend das gebotene Gift, die andere dagegen, Stageira genannt, lobte ihren Bruder und dankte ihm, daß sie frei und von keines Römers Hand vergewaltigt sterben durfte.

Lukull hätte diese weibliche Beute gern mit nach Rom geführt, so wie Alexander der Große die Frauen des Königs Darius erbeutete. Statt dessen entriß er dem Feinde jetzt einige glänzende griechische Küstenstädte, Heraklea, Sinope, Amisos, und ließ notgedrungen die Raublust der Soldateska auf sie los. Das schöne Amisos, die Tochterstadt Athens, ging dabei in Flammen auf. Dem Griechenschwärmer Lukull stürzten die Tränen, er flehte die Soldaten umsonst, den Brand zu löschen. Lukull hat Amisos dann wieder aufgebaut, die flüchtigen Einwohner zurückgerufen.

Plötzlich aber stand er vor einer noch größeren Aufgabe. Mithridat war nach Armenien geflohen. Tigranes von Armenien, der König der Könige, war Mithridats Schwiegervater; Armenien ein noch ganz unerschlossenes ausgedehntes Land, in Hochgebirge gepanzert; Tigranes selbst ein eroberungssüchtiger Mogul, wie er im Buche steht, bisher immer noch erfolgreich und daher dummstolz und aufgeblasen: der sich unlängst als neue Residenz die gewaltige Stadt Tigranocerta mit wundervollen babylonischen Palästen, mit griechischem Theater u. a. m. gegründet hatte. Um diese Stadt zu bevölkern, hatte er die Einwohner von zwölf eroberten griechischen Kleinstädten aufgehoben und dorthin geschafft: eine melancholische Bevölkerung. Wenn dieser Tigranes durch sein Land ritt, mußten immer vier unterjochte Könige zu Fuß neben ihm herlaufen in Sklaventracht, und wenn er auf dem Thron saß, standen dieselben vier und falteten die Hände: eine Gebärde der Knechtschaft.

Lukull stand nun ein Jahr im Feld, aber Rom schickte ihm keine Verstärkungen; er hatte jetzt nur noch 12 000 Fußsoldaten und gegen 3000 Reiter zur Verfügung. Der kühne Mann 102 kümmerte sich darum nicht; auch nicht um die Mißstimmung seiner Legionen, auch nicht um die Mißbilligung der maßgebenden Parteiführer in Rom.

Er tat aber erst noch ein Friedenswerk; er begab sich an die schöne Westküste, nach Pergamum und Ephesus zurück und rettete dort die Stadtgemeinden kraft seiner Stellung vor dem gänzlichen wirtschaftlichen Ruin. Denn Sulla hatte diesen reichen Städten die ungeheuerliche Kriegsbuße von 20 000 Talent, das sind 90 Millionen Mark, auferlegt. Sie erlagen unter der Last; die Tempelschätze und Götterbilder, die Kinder selbst verkaufte man; aber das Geld war dennoch nicht aufzubringen. Die römischen Großkaufleute des Ritterstandes, die Steuerpächter und Wucherer waren darüber hergefallen, streckten Geld und wieder Geld vor und nahmen dabei unermeßlich ruchlos hohen Zins. Lukull schaffte nun energisch Wandel, indem er bestimmte: kein Wucherer sollte seinen Schuldnern mehr abverlangen können als ein Viertel ihres Einkommens. Wer Zins vom Zins nahm, ging des ganzen Kapitals, das er vorgestreckt, verlustig usw. In vier Jahren war der unerhörte Druck geschwunden: ein rühmenswertes Werk der Menschlichkeit. Ihm zum Dank feierten damals die Städte große Huldigungsfeste, die sogenannten Lukulleen (»Lukulleia«). Sie leuchteten ihm ein; denn da hat der rüstige Mann jene Liebe zum Wohlleben und kulinarischen Genüssen gelernt, die ihn später berühmt machte. Aber die römischen Geldleute schrien jetzt Zeter-Mordio über Lukull.

Lukull war kein Politiker. Es hat viele bedeutende Militärs gegeben, denen das zänkische Parteigetriebe des Bürgertums und gar das Wettwerben um die Gunst der Masse widersteht und zuwider ist. So auch ihm. Er begriff auch nicht, daß er, um seine kriegerischen Pläne durchzuführen, selbst gelegentlich nach Rom zurückkehren mußte, um dort die Fühlung mit den entscheidenden Instanzen nicht zu verlieren. Statt dessen entfremdete er sich allmählich alle Kreise der Hauptstadt. 103 Vielleicht steckte ihm Sullas Beispiel im Kopfe; denn auch Sulla mied ja vier Jahre lang Rom, um dann plötzlich aus dem Orient als der Allmächtige heimzukehren. Aber Sulla war der Abgott seines Heeres; Lukull nicht. Nur zu bald sollte sich das zeigen.

Entschlossen rückte er jetzt in das ferne Armenien ein. Als jemand dem König Tigranes meldete, daß der Römer ins Land komme, ließ er vor Zorn den Boten einfach köpfen, und seitdem blieb er ganz ohne alle Nachrichten: bis Lukull ihm plötzlich gegenüberstand. Aber es kam nicht zur Schlacht; es war gleich ein allgemeines Fliehen. Danach erst sammelte Tigranes, während Lukull Tigranocerta belagerte, eines von den üblichen Riesenheeren und rückte nun von Süden wirklich heran. Es war das Jahr 69. Als man dem Großkönig die römische Truppe im Felde zeigte, amüsierte er sich: »für eine Gesandtschaft sind das zu viel Leute, sagte er, aber für eine Schlacht zu wenig.« Lukull stürmte, wie oft, persönlich mit gezücktem Schwert in die Schlacht voran; er war stattlich und hochgewachsen und war an seinem Schuppenpanzer und einem Mantel mit Troddeln kenntlich. Der Feind hatte Panzerreiter, die den Eisenrittern des Mittelalters glichen; Mann und Pferd steckten starr in Eisen. Die Leute konnten sich kaum rühren, und ihr Zweck war, im Anreiten mit eingelegter Lanze durch ihre Wucht den Feind niederzuwerfen. Aber diese steifen Puppen waren am Knie nicht gepanzert; Lukull ließ sie an den Knieen verwunden; gleich stoben sie auseinander und warfen das Heer des Tigranes nieder. Und sofort begann das allgemeine sauve qui peut. Das ganze war wie ein großer Scherz; es ist die Schlacht bei Tigranocerta vom 9. Oktober 69. Angeblich standen 15 000 da gegen 300 000, und die Römer hatten nur 5 Tote, 100 Verwundete, während wir für den Feind ungeheure Verlustangaben erhalten. Aber man hat die Leichen schwerlich genau nachgezählt. Lukull erbeutete sogar die Krone des fliehenden Tigranes: denn es war damals noch die Zeit, wo die Könige wirklich mit Kronen einhergingen. Dann wurde Tigranocerta 104 gehörig geplündert, seine griechischen Bewohner wieder in ihre Heimat geschafft, und die Stadt war leer.

So hatte Lukull zwei Großkönige in ihren Reichen besiegt. Sullas Leistungen waren damit bei weitem übertroffen. Es war der Stil Alexander des Großen. Alle Generäle waren voll Staunen oder voll Neid.

Es blieb noch eins: weiter zu ziehen ins Hochgebirge auf Artaxata. Artaxata war die alte, eigentliche Königsstadt Armeniens. Da aber kam die Wendung, und Lukulls Heldenleben wurde auf einmal mitten durchgebrochen. Es war Herbst. Das Hochland lag schon voll Schnee. Da weigerte sich das Heer, weiter zu marschieren. Ja, im Verfolg steigerte sich die Obstruktion; die Legionen legten sich, ohne den Feldherrn zu fragen, in bequeme Quartiere, fernab vom Feind. Gleichzeitig wurde dem Lukull der Oberbefehl entzogen. Das war das Werk seiner Neider in Rom, vor allem aber der einflußreichen Geldleute des Ritterstandes, die er sich zu Feinden gemacht hatte und die voll Haß dort gegen ihn vorgingen. Pompejus kam nach Kleinasien als Feldherr nach dem Willen des Volkes; an Pompejus mußte Lukull nach sechsjährigen Erfolgen das Heer abgeben. Es war eine peinliche Begegnung der beiden Männer.

So rächte sich Lukulls Verhalten. Die Verfassung, die Sulla dem Staat gegeben, war durch die Volkspartei längst zertrümmert, und daher hatte sich auch für den Sullaner Lukull die Stimmung längst verloren. Da er sich nun in Rom nicht zeigte, verlor er bei seinem Siegeslauf den Boden vollständig unter den Füßen.

Und das Heer? Söldnerheere sind eine selbständige Macht, mit der er hätte rechnen müssen, und die Legionäre waren längst gewohnt zu meutern; gegebenenfalls schlugen sie ihren General einfach tot oder jagten ihn doch aus dem Lager. Das hatte man noch vor kurzem erlebt. Die Leute Lukulls aber standen obendarein zum Teil schon siebzehn Jahre in Asien, sie waren zum Teil dreißig bis vierzig Jahre alt; sie wollten endlich heiraten, seßhaft werden; das ist nur zu natürlich. 105 So hatte denn Sulla wirklich für seine Veteranen mit großen Landansiedelungen vortrefflich gesorgt; dasselbe hatte eben jetzt auch schon Pompejus getanBei Plutarch Lukull c. 34 berufen sich die Soldaten hierauf.. Volk und Senat mußten das auf Antrag des Feldherrn jedesmal bewilligen. An diese soziale Fürsorge dachte Lukull nicht. Er war wohl im allgemeinen human und Philanthrop, aber er war kein »Philostratiot«.d. h. Liebhaber des Soldatenstandes; Plutarch c. 34. Sein eigener Schwager Publius Clodius, der Volksmann, wühlte darum im Feldlager gegen ihn. Umsonst ging Lukull mit Tränen bittflehend von Mann zu Mann, von Zelt zu Zelt; die Leute lehnten seinen Händedruck ab und warfen ihm ihre leeren Geldbeutel vor die Füße. Wenn Lukull für sich selbst damals große Reichtümer erwarb und die Kostbarkeiten auf Kamelen in langen Karawanenzügen durchs Land beförderte, so machte man ihm das mit Unrecht zum Vorwurf; denn er handelte damit nicht anders als Scipio, Mummius Flamininus und Sulla.Auch gab Lukull natürlich dem Staat seinen Anteil an der Beute; s. Plutarch c. 37 fin. Sein Versäumnis war, daß er keine jungen Truppen anwarb und den alten keine Sicherung gab für eine Altersversorgung und eine seßhafte Existenz.

Inzwischen hatte König Mithridat mit raschen Siegen sein ganzes Reich Pontus zurückgewonnen; er drang schon wieder in Bithynien ein; Armenien war für Rom ganz verloren; Lukulls Erfolge waren vollständig vernichtet. Pompejus mußte den Krieg von vorne beginnen.

Wie Lukull sich tröstete? Er war nicht etwa der reichste Mann Roms, aber er wußte seinen Reichtum zu brauchen. Bei seinem Triumphzug ließ er die Glanzstücke der Beute, z. B. 110 Kriegsschiffe, deren Vorderteil gepanzert, so und soviel massiv goldene Betten, vor allem Bargeld, und zwar annähernd 3 Millionen Drachmen, letzteres auf dem Rücken von hundert Maultieren in Rom durch die Straßen tragen. Dann bewirtete er die ganze Hauptstadt, wozu er 20 000 Hektoliter (100 000 cadi) griechischen Wein aus Asien mitgebracht hatte.Varro bei Plin. 14, 96. Dann aber wurde es fast still um ihn. Er war eben kein Politiker. Während der Hader der Parteien und Parteiführer den Staat erschütterte, 106 hielt er sich fast ganz zurück und spielte fortan nur noch mit dem Leben, d. h. er ergötzte sich an Kunst und Philosophie nach Art des Weltmanns, aber mit vollster Hingabe. Denn es gab noch mehr Lebensgüter außer dem Kriegsruhm, die geeignet waren, seinen Ehrgeiz und Sinn für das Großartige zu befriedigen, und er war voll von Interessen. Er sprach ein erlesenes Griechisch; als er aber selbst ein griechisches Buch verfaßte, brachte er absichtlich Sprachfehler in den Text, um merken zu lassen, daß er keiner von den lieben kleinen Griechen, sondern ein Römer sei. Mit grenzenloser Gastfreiheit nahm sein Palast alle zugereisten Griechen auf, und unvergeßlich ist, was Lukull für die Wissenschaft und Gelehrsamkeit getan. Nicht nur den Gelehrten Tyrannio, den Dichter Archias brachte er nach Rom: er gründete in Rom die erste Bibliothek großen oder größten StilsÜber sie auch Cicero de fin. 3. 7., mit weiten Säulenhallen und Lesesälen, die zwar sein Privatbesitz blieb, aber wie eine Volkshalle für jedermann offen stand und immer von fleißigen Griechen überfüllt war. Das ist das Vorbild für die späteren öffentlichen oder kaiserlichen Bibliotheken Roms gewesen; grundsätzlich wurde da stets freiester Eintritt, auch freiester Zugang zu den Büchersälen selbst gewährt. Welch kümmerlichen Rückschritt zeigt dagegen das heutige preußische Bibliothekswesen, wo jeder arme Student jedes Semester seine Benutzungsgelder zahlen muß!

Lukull war aber auch Philosoph. Als Philosoph gehörte er nicht der stoischen, sondern der platonischen Richtung an, befaßte sich eingehend mit der Lehre der jüngeren Akademie und den schweren erkenntnistheoretischen Fragen und behandelte diese Dinge auch gern in Gesprächen. Daher spielt er in Ciceros philosophischen Dialogen keine geringe Rolle.Ich erinnere an Ciceros »Lukull«; auch an den »Hortensius«, wo Lukull den Wert der Geschichtschreibung hervorhob.

Weil er kein Stoiker, so hinderten ihn zum Glück keine philosophischen Grundsätze daran, auch noch anderen Dingen nachzuhängen, und durch sie hat sich Lukull seinen ewigen Namen erworben. Er hatte in Asien gesehen, was königlicher Luxus sei, er beschloß ihn in Rom einzuführen, und er ist darin der 107 große Lehrmeister Roms geworden.Hierüber klagt Cicero de fin. II, 107. Das betraf die Gastmähler und die Gärten oder »Paradiese« (wer heut auf dem Monte Pincio steht, steht in Lukulls Gärten), aber auch den Palast- und Villenbau. Im hochgelegenen Städtchen Tusculum bei Rom baute er sich z. B. Aussichtstürme und ein kleines Palais mit luftigen Säulenhallen ohne Wände. Pompejus kam und sagte: »wie ungemütlich im Winter!« Lukull lachte ihn aus: »Glaubst du, daß ich nicht so viel Verstand wie die Kraniche habe, die im Winter anderswohin ziehen?« Sein Tafelluxus war Stadtgespräch; er feierte jetzt gleichsam ständig »Lukulleen«. Wenn die griechischen Gäste überwältigt waren und sagten: »Wir bedauern unendlich, daß du dir soviel Unkosten machst,« sagte er: »es geschieht ja freilich für euch; vor allem aber esse ich selbst gern gut.« Als er einmal alleine tafeln muß, hat der Koch ein einfacheres Essen hergestellt; Lukull zankt ihn aus mit Humor: »Wußtest du nicht, daß heute Lukull bei Lukull speist?« Cicero und Pompejus trafen ihn oft auf dem Forum, und Cicero sagte einmal: »wir möchten gern heut bei dir essen, aber so, daß du nichts extra für uns vorbereitest.« Sie hielten ihn sorglich fest, so daß er mit seinem Koch keine besonderen Verabredungen treffen konnte. Aber Lukull wußte sich zu helfen; er hatte nämlich mehrere Eßsäle, die bestimmte Namen führten; der eine Saal hieß nach Apoll, der andere etwa nach Merkur oder Herkules: im Merkur- und Herkulessaal gab er geringere Gelage, im Apollosaal die hochfeinen. Er sagte also nur einfach zu seinem Lakeien: »Wir speisen heut im Apollosaal,« und Cicero und Pompejus bekamen da ein feudales Essen, das 50 000 Sesterz kostete: das Gedeck also vielleicht zu 2000 oder 3000 Mark. Solches Schlemmen ist barbarisch, urteilt Plutarch; allerdings, es war asiatisch. Aber die ganze römische Kaiserzeit hat das hernach fortgesetzt.

Lukull, der Schlemmer: kann man in ihm den großen Feldherrn wiedererkennen? Ich sage: gewiß. Denn auch dazu, ein großes Festessen zu geben, gehört Strategie; zumal im 108 Altertum.So sagt auch Horaz Sat. II 3, 78: der Geist des Gastgebers kommt wie der Geist des Feldherrn erst im Unglück zur Geltung. Ein gut verlaufenes Konvivium war wie eine gewonnene Schlacht. Und dazu brauchte der Feldherr noch eins: Lukull legte sich Vogelgehege, Volieren, an, und Fischteiche, große Becken für Seefische, Muränen und Austern: diese Fische und Vögel, das waren die »Reserven« des Feldherrn. Um Seewasser zu haben, durchstach er einen ganzen Berg an der Küste des Neapler Golfs, und das Meer floß durch einen Tunnel in seine Behälter. Pompejus erkrankte; sein Arzt empfahl ihm leichteste Kost und darum Krammetsvögel zu essen; allein es war für Krammetsvögel nicht die Jahreszeit; sie waren nirgends aufzutreiben außer in den Volieren des Lukull. Aber Pompejus verzichtete auf die Delikatesse und sagte aufgebracht: »Das fehlte noch, daß ein Pompejus nicht leben könnte ohne den tollen Aufwand eines Lukull!«

Aber die Sache bekam dem Lukull selbst nicht gut, obgleich er stets einen besonderen Lakaien bei sich stehen hatte, der ihm sagen mußte, wann er aufhören sollte zu essen.Plin. 8, 19. In den letzten Jahren wurde er schwachsinnig.Aurel. Victor 74. Gestorben ist er etwa im Jahre 56, und zwar, wie es heißt, an einem Liebestrank.Plin. 25, 25. Ein Liebestrank setzt immer einen Roman voraus, und es ergibt sich also, daß der alte Herr noch einmal Feuer fing (er war zweimal verheiratet, beidemal unglücklich) oder daß irgendeine Person sein müdes Herz noch einmal hat bezaubern wollen. Als er starb, gab es eine gewaltige Fischauktion. Das erstaunliche Ergebnis dieser Auktion ist von den Historikern sorglich aufnotiert worden;Plin. 9, 170. sein denkwürdigster Nachlaß aber war die Kirsche, cerasus, die Süß- und Sauerkirsche. Im Pontus, ihrer Heimat, war die Kirsche an harte Winter gewöhnt, und so verbreitete sie sich damals rasch, auch durch Pfropfung, über Italien, weiter nach Frankreich, an den Rhein, an die Donau und nach England. Es ist das einzige Obst, das den Menschen schon mitten im Sommer erquickt; daher wollten es gleich alle Länder haben. Das deutsche Wort »Kirsche« aber ist sicher nicht aus dem Französischen »cerise«, sondern direkt aus dem 109 Lateinischen cerasus (sprich »kerasus«) selbst entlehnt. Also kam die Frucht schon etwa im 2. Jahrhundert n. Chr. an unseren Oberrhein und in unsere Nassauische Ebene.Ich lese, daß Kirschkerne auf der Saalburg in Schichten gefunden worden sind, die spätestens dem 2. Jahrhundert angehören. Als Lukullus starb, war er schon ein halbvergessener Mann; aber er konnte sich auf seinem Sterbebette sagen, daß er trotz allem nicht fruchtlos gelebt, da er eine solche Frucht in die Welt gebracht, von der noch heute mit Dank so viele brave Menschen zehren. 110

 


 


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