Theodor Birt
Das Kulturleben der Griechen und Römer in seiner Entwicklung
Theodor Birt

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4. Athen und die Philosophen

In Athen war es inzwischen still geworden; aber sein Ansehen litt nicht darunter. Sein Ruhm wurde jetzt gleichsam unweltlicher Art. Die Volksversammlungen wurden uninteressant; sensationelle Prozesse gab es nicht mehr, an 179 denen die attische Redekunst groß geworden, und Demosthenes, Äschines, Hyperides hatten keine Nachfolger ihresgleichen. Auch um seine Bühnenspiele zu sehen, brauchte niemand mehr nach Athen zu reisen; denn die gab es jetzt überall. Die große Schauspielerinnung, die in Teos an Kleinasiens Küste ihren Zentralsitz hatte, versorgte die Welt bis Rom mit dem Neuesten an griechischer Musik und Schauspiel. Die Athener selbst siedelten, wenn sie konnten, in ihre Hafenstadt, den Piräus, über, wo es bessere Wohngelegenheit und viel mehr zu sehen gab.

So senkte sich in Athen jetzt eine Ruhe über Gassen und Markt, als wäre es Feierstunde, Ruhe und Beschaulichkeit. Das aber war für die Philosophen der rechte Boden, und neue große Lehrbetriebe hatten sich dort aufgetan. In einer der offenen Hallen am Markt lehrten die Stoiker oder »Hallenphilosophen« durch Vortrag und Gespräche; denn sie hatten kein eigenes Grundstück.Freilich scheinen die Stoiker sich nicht lange darauf beschränkt zu haben, in der Stoa am Markt vorzutragen. Chrysipp dozierte im Lyzeum unter freien Himmel (Diog. Laert. VII 185). Der Unterricht fand auch in der Weise statt, daß die Schüler auf Bänken (βάϑρα) saßen; ebenda VII 22. Ging man aus dem berühmten Doppeltor, dem Dipylon, ins Freie, so kam der Suchende am Garten Epikurs vorbei zur Akademie, wo einst Plato gelehrt hatte. Das Lyzeum, die Arbeitsstätte des Aristoteles, lag weiter ab im Osten. Diese Philosophenschulen waren geschlossene Gesellschaften oder Bünde mit Vorstand und bestimmten Verkehrsregeln, die auch eine mehr oder minder gepflegte Geselligkeit anbetrafen. Die aristotelische Schule, die Systematik und Forschung verband, war auch jetzt noch in regem Betrieb und sandte Schüler erheblichen Namens in die Ferne und an die Königshöfe. Auch die Akademie suchte immer noch Anhänger zu werben, indem sie sich auf Platos Andenken stützte. Wer aber aus dem Dipylon des Weges kam, blieb wohl zumeist schon in Epikurs schattigem Baumgarten hängen; denn die Lehre Epikurs und die Lehre der Stoiker, die sich bekämpften, kamen damals beide gleich sehr dem Zeitbedürfnis entgegen.

Die Philosophie fragt nach der Stellung des Menschen zum Weltall und zur Gesellschaft, sie fragt nach Leben und 180 Sterben und sieht dabei von der Volksreligion völlig ab; sie will sie ersetzen. Jetzt werden die verschiedensten Stimmen laut; so der Cyniker, der sich barfuß an die Straße stellt und lehrt: »Kehren wir zur Natur zurück! Der Hund ist treu, der Hund ist wach, der Hund ist zufrieden mit wenigem, der Hund ist international! Seien wir wie er.« Diese Sippe schrieb wenig; sie zehrte vom Schriftennachlaß des Antisthenes. Noch unfruchtbarer der ruhelose Skeptizismus, der da fragt: was ist Wahrheit?, alle Dogmen prüft und anfechtbar findet und selbst, wo er zweifelt, den Zweifel in Zweifel zieht.

Erheblicher im Interesse der Kultur die Hedoniker, die Prediger der Freude, die schon zu Platos Zeit mutig das Wort erhoben hatten. In gepflegteren Häusern, besonders bei den Lebemännern, fanden sie viel Anklang. Aristipp, der Weltmann, war ihr vornehmster Wortführer: sei kein Tor, genieße jede Stunde. Jeder Mensch braucht das und jeder will es, wenn er ehrlich ist. Aber genieße mit Maß. Geschmackvoll soll man leben und heiter. Es gibt zweierlei Schönes, das lebendige Schöne, das unsre Begierde weckt, und das bloß Kunstschöne, das bei aller Wirkung außer dir verharrt. Genieße beides. Bildung ist, es mit Klugheit und Kennerschaft zu tun. Bildung ist, mit anderen Worten, ganz ehrlich nur Mensch zu sein. »Anthropismus« ist das Wort.Diog. La. II 8. Das berühmte »Mensch bin ich, und nichts Menschliches sei mir fremd« geht somit dem Sinne nach auf diesen Mann der Eleganz, auf Aristipp zurück, der seinen Sohn als Nichtsnutz verstieß, »so wie man sich schnäuzt, wenn man am Schnupfen leidet«, aber seine feine Tochter zur Philosophie erzog, Aristipp, der den Sokrates um seinen Tod beneidete, aber eine volle Börse nicht entbehren konnte; gutmütig und etwas frivol. Für viele Gleichgestimmte hatte er so das Wort gefunden, den Typus in sich dargestellt.Vgl. dazu F. Ranke, Periplecomenus, Marburg 1900. Hier eine Anmerkung zur Chronologie. Ein Ausspruch Aristipps bei Diog. La. II 8. 72 setzt voraus, daß er schon steinerne Theater kannte; er lautet: ἐρωτηϑεὶς ὑπό τινος, τί αὐτοῦ ὁ υἱὸς ἀμείνων ἔσται παιδευϑείς, καὶ εἰ μηδὲν ἄλλο, εἶπεν, ἐν γοῦν τῷ ϑεάτρῳ οὐ καϑεδεῖται λίϑος ἐπὶ λίϑῳ Ist es sicher, daß Aristipp vor 356 starb (Pauly-Wiss. R. E. II S. 903), so muß der Ausspruch unecht sein, da das erste steinerne Theater doch wohl das athenische war, das Lykurgos erst in den Jahren 338–327 baute. Oder aber Aristipp hat die Zeit des Lykurgos doch noch erlebt.

In der Cyrenaika lebte und lehrte seine Familie weiter. Doch war es nicht seine Schuld, daß schließlich sein Schüler Theodoros, blasiert und frech zugleich, die übelsten 181 Konsequenzen zog, der das Vergnügen um jeden Preis und alles für erlaubt erklärte, ob Diebstahl, ob Tempelraub, ob Ehebruch. Einen Gott gibt es nicht. Der bare Atheismus wurde hier laut, der im Altertum sonst etwas ganz Seltenes ist. Dieser Theodoros heißt darum mit Beiwort der Atheist (ἄϑεος). Bezeichnend aber für den Freisinn der Ptolemäer in Ägypten ist es, daß sie diesen Mann gleichwohl an ihren Königshof zogen und mit politischen Aufträgen bedachten.

Ein Prediger der Freude war nun auch Epikur; aber er meint es anders. Um das zu verstehen, muß man sich der Zustände, die ihn umgaben, erinnern. Reichtum, Wohlleben und Üppigkeit waren zwar in der Welt gewachsen, gleichwohl das Leben noch voller Schrecknisse und Konflikte. Denn die ewigen Kriege zwischen den Potentaten von Mazedonien, Thrazien, Kleinasien, Ägypten und Syrien rissen nicht ab. Intrigen, Grausamkeit und Mord grassierten in diesen höchsten Familien. Aber auch in den Kleinstaaten standen oft unversehens Tyrannen auf, die nur mit Schandtaten sich behaupteten, bis es zur Verschwörung kam und die Rache sie traf. All das wirkte erschütternd, auch auf weitere Kreise unter den Gebildeten. Man hatte geträumt, der Weltfriede sei da, aber man mußte im Drang der Verhältnisse Stellung nehmen in tausend Fällen. Auch der Untertan war, ob tätig oder leidend, oftmals der Mitbetroffene. Was hatte ihm die Philosophie zu bieten? Weltflucht oder Kampf? und wo blieb die Freude?

Aristipp hatte in günstigeren Zeiten gelebt, flott, regsam, agil und sorgenlos, und fand die Freude noch in ständig neuen, Lust erweckenden Erlebnissen. Epikur lehrt jetzt die Ruhe. Lebe in der Stille, das gibt Zufriedenheit, zwar nicht einsam, aber mit Gleichdenkenden. Jede Erregung ist der Feind der wahren Freude. Das ist ein pflanzenhaftes Behagen am Leben; Quietismus, mimosenhaft. Der Lärm der Welt braust an uns vorüber; wir hören es nicht.

Epikur war ein grundfleißiger Mann, fleißiger als Aristipp; 182 er diktierte unermüdlich und füllte so Serien von Büchern mit Lehrinhalt. Er haßte Aristoteles und suchte gegen ihn den mißachteten Demokrit hochzuheben: ein Haß, der seine Seelenruhe nicht störte. Es handelte sich da also um die Grundfragen der Physik; die Atomenlehre Demokrits galt es endlich durchzusetzen von der Materie, die sich gesetzmäßig bewegt, die sich mechanisch gestaltet; es gibt kein Wunder, das das Gesetz durchbricht. Viel Originelles, aber auch viel Naives las man darüber in Epikurs Schriften angehäuft. Aber das alles war nicht Selbstzweck; denn er war Seelsorger, und die immerhin großartige Lehre von der Natürlichkeit in der Natur sollte nur zur Beruhigung der Menschen dienen, die wie die blöden Weiber an Wunder und Gespenster, Zauberei und widernatürliches Eingreifen höherer Mächte glauben, die vor allem Angst vor dem Tode und dem Schattenleben der Hölle haben. Erst dadurch wurde Epikur eine Weltgröße. Durch persönlichen Zuspruch und reichen Briefwechsel wirkte er weit über seine Ortsgemeinde hinaus im Ton der Güte und des zärtlich liebenden Interesses, nie pathetisch, oft schlicht bis zum Trivialen. Das war es, was viele brauchten, und es bildeten sich sogleich überall Epikur-Gemeinden, das Werk geräuschloser, aber unhemmbarer Propaganda. Man muß sich erinnern, wie Aberglaube und Wundersucht, die als Religion galten, in allen Hirnen steckte, um das zu verstehen. Im Epikureismus ist Epikur selbst alles gewesen; er war der Befreier, er wurde zum Gott für die Seinen. Mochten die Menschen draußen sich bekriegen und überlisten: dies war nun eine Sekte oder Loge der Stillen im Lande, die wie unter einer Glasglocke saßen, mit Staatsdingen nichts zu tun haben wollten, einfach lebten, Freundschaft pflegten, den Logenbrüdern alle Hilfe boten, die Götter mit unnützen Gebeten nicht behelligten und alle bemitleideten, die der Ehrgeiz in den Welttrubel riß. Natürlich konnte sich das nur gestatten, wer einigermaßen auskömmlich zu leben hatte.

Der Trieb, sich von der Welt zurückzuziehen, sei es aus 183 Menschenverachtung oder nur Schlaffheit der müde gewordenen Nerven, hatte vereinzelt schon andere ergriffen; auch im Lustspiel wurde damals schon solche Person vorgeführt.Timon von Athen ist das berühmte Beispiel; dazu die Komödie Μονότροπος des Phrynichos (frg. 18). Jetzt ergriff es viele. Aber der Staat hat sich gerächt. Einer der Seleuciden machte eine Epikureerhetze; er drohte mit dem Tod; sie mußten aus dem Land. Die Wohltaten des mühsam geordneten Staates wollten diese Leute genießen, ohne etwas für ihn zu tun? Das schien Verbrechen.Vgl. »Alexander d. Gr.« S. 407. Schon Lysimachus, König von Thrazien, veranstaltete übrigens eine Philosophenverfolgung (Athenäus p. 610 E).

Ganz anders die Stoa. Sie stellte sich trotzig in die neue Welt, eine Lehre des Ringens und der Tapferkeit, kämpfend sich abzufinden mit dem Leben. Daher ihre Wirkung; sie griff kulturell und politisch ungleich weiter und tiefer, da sie bis in die höchsten Kreise griff, ihre anfangs oft allzu krassen Forderungen mehr und mehr der Wirklichkeit akkommodierte und Staatsmänner und Cäsaren noch später Jahrhunderte erzogen hat. Der Stoiker, heißt es, ist ein Mensch der Öffentlichkeit und des Handelns.S. Diog. Laert. VII 123: ἀνὴρ κοινωνικὸς καὶ πρακτικός.

Auch diese Schule hielt es für nötig, zum Teil im Anschluß an Aristoteles, ein vollständiges philosophisches System aufzubauen, und ihre Schriften strotzten von Definitionen und Begriffsspaltereien, die den Laien abschrecken mußten. Drei Lehrfächer standen nebeneinander, die Logik oder Erkenntnislehre, die Ethik und die Physik. Die Physik, die bis zum Wesen Gottes hinaufführt, galt als das Höchste; die Ethik war das Wirksamste; die Erkenntnislehre beschäftigte sich u. a. auch mit der menschlichen Sprache, und hier wurde nun für die Grammatik, wie wir sie noch heute betreiben, die Grundlage geschaffen. Es war ein Gewinn für alle Zeiten, daß man jetzt, und erst jetzt, Subjekt und Prädikat im Satz, Adjektiv und Partizip, daß man Aktiv und Passiv, daß man die Fälle des Hauptworts, die Zeiten am Zeitwort, ob Präsens, ob Perfekt usf. endlich unterschied. Von den Stoikern stammen die Benennungen.

Nun aber die Ethik und der Gott, auf den sie sich gründet.

Der Begründer der Stoa war ein Asiat, und er zog 184 auffallend viel Asiaten als Schüler. Es war Zeno, ein Mensch phönizischen Geblüts aus Zypern. Mit Persien war man seit dem Wirken Alexanders des Großen in nächste Fühlung gekommen; das betraf auch die Religion. Zarathustra, der Baktrer, lehrte (und schon Aristoteles wußte dies), daß der Gott, der gute Weltschöpfer, Licht und Feuer sei.νοῦς κόσμου πύρινος oder νοερὸς ϑεὸς πῦρ τεχνικόν (Stob. Ekl. I 58 u. 64). Man setzte aber auch den leichten Äther, Kleanthes sogar die Sonne dafür ein (Diog. La. VII 139). Das lehrte jetzt auch die Stoa. Ja, schon Heraklit hatte das einst aufgegriffen (oben S. 137). Heraklits Lehre erneuerte also jetzt Zeno, und er tat es, wie jener, im pantheistischen Sinne: nicht neben der Welt steht Gott; ein Feuerhauch geht durch das All und alle seine Teile; er ist das schöpferisch wahre Leben, ist die Gottheit in der Materie selbst, er ist zugleich das Weltdenken oder die Urvernunft; die Menschenseelen aber kommen von ihm, ein Hauch aus seinem Hauche.

Was soll es, daß ich mich zerquäle?
Ein Hauch aus Gott ist meine Seele.
Gott atmet aus, Gott atmet ein.
Wie sollt' ich je ihm ferne sein?

Diese Lichtreligion, vom Parsismus angeregt, eroberte sich in wechselnden Formen jetzt die Welt; denn auch Jesus sollte oder wollte das Licht der Welt sein. Die reine Weltseele verlangt nun auch reine Menschenseelen. Nur die Tugend reinigt, sie also ist das einzig wahre Gut; sie ist zu fordern um unsres Ursprungs, um Gottes willen. Nur im Dienst der Menschheit, nur im Konflikt bewährt sie sich; es gilt also, und ob es das Leben kostet, für das Richtige kämpfend einzutreten.

Ob über dir die Welt zusammenbricht
Und die Trümmer drohn dich zu erschlagen:
Wanke nicht.
Furchtlos sollst du den Einsturz tragen.Horaz c. III 3, 5.

Dazu kommt die schroffe Lehre: Mitleid soll es nicht geben; denn die Nachsicht schädigt das Gesellschaftsleben.Diog. La. VII 123.

Aber die drei ersten Hauptvertreter dieser Lehre zeigten 185 sich nicht als Helden; sie fanden dazu keine Gelegenheit und begnügten sich damit, das große Programm zu schaffen mit sorgsamer Ausarbeitung einer Pflichtenlehre, die von der christlichen Kirche zum Teil dankbar übernommen worden ist, zum Teil auch nicht. Daß der Knecht dem Freien, die Frau dem Mann gleichsteht, riefen damals diese Leute in die Welt. Die Kirche hat den Ruf damals nicht aufgenommen, sondern das »er soll dein Herr sein« bis in unsre Tage weitergegeben. Die griechische Literatur kennt meines Wissens keinen ähnlichen Ausspruch.

Man hat die Philosophen, von denen hier die Rede ist, mit Herkules verglichen und nannte ihre Schriften heilig;So im Epigramm des Athenäus bei Diog. La. VII 30: δόγματα ταῖς ἱεραῖς ἐνϑέμενοι σελίσιν. Zum Hohn sprach man dann auch die Kochkunst heilig: Menander frg. 130. sie selbst aber galten nicht als Heilige; war doch ihre eigene Meinung, daß kein Mensch auf Erden vollkommen war und ist und je sein wird. Von Zeno erzählte man, daß er als Jüngling zuerst unter die Zucht eines derben Zynikers geriet. Der dachte, der Junge ist zwar häßlich, aber zu manierlich, und zwang ihn, einen Topf voll Linsenbrei über die Straße zu tragen. Der Zeno gehorchte, aber deckte sich dabei vor Scham das Gesicht mit dem Mantelzipfel zu. Da schwingt der Lehrer den Stock und zerschlägt den Topf, daß sich der Brei über den Rock des armen Sünders ergießt. Zeitlebens aber hat Zeno wie das Evangelium den Wert der Armut gepredigt, so daß es auf der athenischen Bühne von ihm hieß:

Ein neu System hat dieser Philosoph erdacht,
Er lehrt den Hunger, und die Schüler beißen an.
Ein Brot, 'ne Feige und Wasser trinken, das genügt.Philemon bei Diog. La. VII 27.

Aber die höchsten Instanzen, die Könige, gaben sogleich acht, so starr und unweltlich paradox auch oft die Lehrsätze lauteten, so schulmeisterlich auch oft die Vortragsweise war. Wie leicht ließ sich schon gleich der Determinismus dieser Leute verhöhnen! Weil Gott allwissend, weiß Gott auch alles Zukünftige voraus. Also ist alles, was wir tun und lassen, vorherbestimmt. Wo bleibt da unser freier Wille, der erst dem 186 sittlichen Handeln den Wert gibt? Es ist die große Vexierfrage, die ein Jahrhundert dem anderen weitergibt. Der Hausdiener stiehlt irgendwas; Zeno schlägt ihn. Der Diener sagt frech: »es war ja doch vorherbestimmt, daß ich stahl«. »Aber auch, daß ich schlug«, versetzte der Weise, der sich zum Glück zu helfen wußte.

Aber man muß die Querköpfe nehmen, wie sie sind. Der König von Mazedonien suchte persönlich in Athen Zenos Verkehr, stiftete ihm dort für seine Schriftstellerei ein Schreibbureau mit Personal. Sogar ein Landgut besaß Zeno bald in Mazedonien,Diog. La. VII 36: τὰ χωρία αὐτοῦ. und der Ptolemäer ruft einen Jünger seiner Schule an seinen Hof.Sphairos, genauer ein Schüler des Chrysipp: Athenäus p. 354 E. Die Stoiker prägten das Wort: »nur der Weise ist König«. Der König will jetzt umgekehrt der Weise sein.Wenn Chrysipp Königen keine Bücher widmete, so zeigt sich darin eine Marotte, ein Stolz vor Königsthronen, der ihm eigentümlich war. Sonstige Gönner aber sorgten für die Vervielfältigung seiner Schriften; s. »Alexander der Große«² S. 492, Anm. 34.

Vor allem wurde die Residenzstadt Pergamum alsbald ein zweites Athen; denn eine stoische Gelehrtenschule wurde von den Herrschern dort großgezogen, die es nun versuchte, sogar Homer und die uralten Religionsvorstellungen im gereinigten Sinn nutzbar zu machen. Da werden Homers muntere Götter zu blassen Allegorien umgedeutet, und Bacchus ist der Wein, Hera die Luft, Demeter das Mehl usf. In naivster Weise, aber mit bester Absicht verballhornte man so die große Dichtung; denn Homer war als Schulbuch immer noch nicht zu entbehren. Als Zeichen des Dankes schmückten die pergamenischen Könige die Stadt Athen mit Prachtbauten und Statuen, wofür Athen wieder sich dankend verbeugte; es hatte sich gewöhnt, von Königen Geschenke anzunehmen. Man wußte jetzt auch, was ein Fußfall wert ist, den man vor Majestäten tut. »Die Fürsten hören nur mit den Füßen«, hieß es.Dies ist als Ausspruch Aristipps bekannt.

Noch eins. Weil nach persisch-stoischer Lehre Gott Feuer und Licht ist, daher entstand in Pergamum nun auch der berühmte große Feueraltar, den der Gigantenkampf im Relief umgürtet. Er stand allein; kein Göttertempel gehörte dazu. Es war dies nach persischer Denkweise nichts anderes als 187 eine offene Feuerstätte, die 250 Meter hoch über der Unterstadt ragte und weithin sichtbar bis zum Meer mit immerwährendem Flammenschein der Welt die Lehre vom Feuer, das Gott ist, verkündete. Die Johannesapokalypse nennt ihn voll Abscheu den Thron des Satans. Der Altar war also als Thron gedacht, auf dem der ewige Feuerhauch sichtbar als Gott thronte. Für den Juden und Judenchristen war es der Satan.

So wanderten also, wie dies Beispiel zeigt, auch Philosophen an die Königshöfe ab. Aber auch Gesindel. In Athen höhnte man laut von der Bühne herunter:

Ich mein', mit Leuten im Hofdienst läßt sich nicht prunken.
Nur Flüchtlinge, Hungerleider sind's und Halunken.Diphilus frg. 572.

Hiernach ist aber noch der Geschichtsschreibung zu gedenken, die von jetzt an mehr und mehr unter den Einfluß der ethischen Philosophie und der Sittenprediger gerät. An die Stelle objektiver Tatsachenerzählung tritt in auffallender Weise der moralisierende Ton, der jeden Menschen und jede Tat nach Gut und Böse beurteilen zu müssen glaubt. Wichtig ist, ob jemand verschwenderisch oder geizig, grausam oder milde, ob er Alkoholiker war usf. Das war ein Vorteil; die Geschichte wird zur Handhabe der Erziehung, aber auch ein Nachteil; denn das Wichtigste in den Hergängen bleibt dabei oft ganz unverstanden. Dabei werden aber große Stoffmassen bewältigt. Lokalgeschichte genügt nicht mehr. Da man für die Welt schreibt, muß man Weltgeschichte schreiben; und man schreibt jetzt voll rednerischer Bewegung und sucht den Stoff mit dramatischen Effekten aufzubauen, so daß das Ganze oft geradezu romanhaft wirkt.

Das sind in der Tat die Wurzeln des Prosaromans gewesen, ohne den wir heute nicht leben können und für den eben damals die ersten Proben entstanden.Ich erinnere nur an den Alexanderroman. Freilich war schon Xenophon mit seiner Cyropädie vorangegangen, aber diese hatte lehrhaften Zweck.

Die Prosa, die man da schreibt, ist beiläufig die sogenannte 188 »Koiné«, ein Gemein- oder Weltgriechisch, durch das die klassische Prosa eines Plato und Demosthenes verdrängt wurde.

 


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