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Tun wir zunächst in das Hausleben solcher kleinen Grundherren einen Einblick.
Das Herrenhaus ist geräumig, und in ihm waltet, da der Mann viel aushäusig, die Hausfrau mit dem Troß der Mägde und der Schaffnerin. Die griechische Frau, das schöne Geheimnis, nur Homer lehrt sie uns intimer kennen; nicht in der späteren Literatur, nur bei ihm lebt sie sich vor uns aus. Sie ist ganz nur Weib, aber stolz in ihrer Würde und selbständiger Entschlüsse fähig, auch nicht ans Haus gefesselt. Frei bewegt sie sich durch die Gassen der Stadt, und die Bürger blicken auf sie mit Ehrfurcht. Sie hütet den Hausvorrat, sorgt durch Spinnen und am Webstuhl persönlich mit den Mägden für die Bekleidung aller und trägt die Sorgen 31 um das Schicksal des Hauses auf ihrem Herzen; denn sie hat Zeit nachzudenken.
Und sie ist stets nur eine. Es wird jung geheiratet, und es herrscht im Stil der europäischen Völker die Monogamie. Einen Harem hält sich nur Priamus, der Fürst Trojas; er ist von den asiatischen Sitten beeinflußtIlias XXIV 495. Eigentümlich ist den trojanisch-asiatischen Helden auch das εσφήκωντο πλοχμοί XVII 52, sowie die Kopftracht der Andromache, X 468. und hat von den verschiedenen Frauen 50 Söhne, die alle als echte Söhne gelten. Läßt dagegen ein Ajax oder seinesgleichen sich mit der Magd im Hause ein, so ist der Sohn Bastard und nicht erbberechtigt; er wird zum Knecht seines Bruders.Dazu gibt es freilich Ausnahmen, die als solche hervorgehoben werden, wie die Auferziehung des Teukros, des νόϑος, durch seinen Vater Telamon: Ilias VIII 281.
Natürlich werden die Frauen leicht eifersüchtig, wie Hera, die Göttin, auf Zeus. Aber zu tragischen Konflikten führt das nie, und es herrscht große Nachsicht in sexuellen Dingen. Denn auch die Frauen sündigen; sie sind nicht alle wie Penelope, die, das Idealbild des Weibes, geduldig und klug zugleich, bis zum letzten auf des fernen Gatten Heimkehr harrend, die zudringlichen Freier täuscht. Am hellen Tag schleicht sich der kecke Liebhaber aus der Nachbarschaft bei seiner Schönen ein und wird dann in ihrem Bett ertappt;Es ist die Geschichte von Ares und Aphrodite. der Gatte zetert nur. Oder nach Sparta kommt ein fremder Prinz zu Besuch; er lockt; das Schiff liegt nahe am Strand; er flieht mit dem Weib seines Gastgebers davon, und der Geprellte hatte das Nachsehen; er hat keinen Schnellsegler, um die Fliehenden einzuholen. Aber er zürnt seinem Weib wiederum nicht; denn sie ist eine Schönheit. Sie bereut; im Krieg wird sie seine Beute, und nun thront sie neben ihm wieder als Herrin im Herrenhaus, von Glanz umgeben, als wäre nichts geschehen. Wozu noch grollen? Das ist die Geschichte der Helena. Nur Klytemnestra schreitet zum Mord. Aus Furcht tötet sie den heimkehrenden Eheherrn Agamemnon im Bade; denn Ägisth lebt als ihr Buhle im Haus. Aber sie tötet nicht selber. Kein Weib faßt ein Schwert an in der Welt Homers. Ägisth muß den Mord vollführen.Äschylus hat dieses in seiner Orestie geändert, um Klytemnestras Schuld zu steigern.
Toilettengeschichtlich interessant ist, wie das vornehme Weib es anstellt, will sie mit ihrem säumigen Gatten eine 32 zärtliche Stunde haben. Sie löst oder lüftet nicht etwa ihre Kleidung nach Art unserer Schönen, die, um begehrenswert zu scheinen, sogar auf der Straße heute mit Kleiderstoff sparen. Im Gegenteil macht sie, nachdem sie sich ambrosisch parfümiert hat, große Toilette: das Haar wird neu geflochten, das Gewand mit goldenen Spangen geschlossen, der Gürtel umgetan, die Ohrringe eingehängt, in denen Edelsteine schimmern, der Schleier genommen, sogar die Sandalen angelegt, die man sonst nur beim Ausgang trug. So tritt sie vor ihn hin. Sie muß dazu freilich auch noch von der Göttin Venus den Reiz entlehnen. Die Bezauberung wirkt; das Weitere zu schildern, vermeidet indes der Erzähler.So Hera und Zeus. Man vergleiche dazu die Selinunter Metope.
Fragen wir nach den Töchtern des Hauses? Sie sind früh entwickelt, frisch und munter, klug und energisch, und sie helfen im Hausstand, sorgen auch für die gesamte Hauswäsche und kutschieren damit auf die Wiese hinaus. So sehen wir Nausikaa. Aber auch die Göttinnen Artemis und Athene im Palast des Vater Zeus sind, wie Homer sie kreïert und geschildert hat, Idealtypen der griechischen Jungfrau jener Zeiten; Prachtgestalten.
Das Herrenhaus ist ein niederer Bau mit nur einem Oberstock, zu dem die schmale Stiege hinaufführt; Schlafräume dort oben; da arbeitet auch Penelope an ihrem Webstuhl. Zu ebener Erde dagegen die Badestube, die nie fehlt; nur das Volk badet nicht.Odyssee 24, 254. Im Meer badet man nur, um sich vom Schweiß zu reinigen, nach dem Kampfe, und nimmt danach noch ein Wannenbad: Ilias X 572 f. Kommt ein Gast weither, wird ihm das Bad alsbald bereitet, und er wird dabei von den Mägden, ja, bisweilen von der Tochter des Hauses selbst bedient.So badet Hebe den Ares, Ilias V 905. Bei den Sudanesen wird, wie ich in Brehms Reiseschilderungen lese, der Fremde heute als Gast von den Sklavinnen gewaschen. Ihre Schamhaftigkeit leidet nicht, und es gilt den Gast zu ehren.
Frauenbad
Von einer attischen Amphora aus Vulci im Berliner Museum (Nr. 1843), um 530 v. Chr. Nach von Lücken, Griechische Vasenbilder, Tafel 3.
Ein freies Leben, und allerlei Abenteuer sind möglich. Das Fräulein geht einsam auf dem Wiesenplan oder steht auf dem Söller des Hauses ungehütet. Das sind die Fälle, wo die Götter kommen; sie überfallen die Schöne, und Göttersöhne werden erzeugt. Es mag auch sonst sich Ähnliches oft genug zugetragen haben.
Auch an einem gottesdienstlichen Raum fehlte es in der 33 Herrensiedlung nie. Im eingehegten Vorhof steht der Altar für die Opferhandlungen. Oft aber wurden auch geheimnisvoll geschlossene Räume hergestellt; es sind die leeren Gaststuben für die Götter, die der Stadt oder dem Herrscher zum Segen dort einkehren. Eine Statue fehlt noch; nur ein Thron stand vielleicht für sie da. Zutritt in den Raum hat nur der Priester oder die Priesterin. Dies sind Leute von erlesener Schönheit, die in der Erscheinung die Gottheit selbst darzustellen versuchen; und das Mysterium herrscht. Sie tragen die Weihegabe, die den Gott gnädig stimmen soll, in den Raum und berichten alsdann: Athene war zugegen, und ich habe ihr die Gabe auf die Knie gelegt.Fälschlich wird zum Verständnis der Iliasstelle VI 294 ff. das Vorhandensein einer Athenestatue vorausgesetzt, eine Fehlinterpretation, die schon früh im Altertum geschah. Wäre es der Fall, daß Homer dortselbst an eine Statue dachte, so hätte er, der alles Wichtigere beschreibt, auch bei ihr verweilt und sie uns beschrieben. Genaueres hierüber gibt mein Aufsatz in der Philol. Wochenschrift 1921 S. 258 ff. Für den Kultus gibt es bei Homer neben den Hainen und freistehenden Altären auch νηοί, aber es sind schmucklose und leere Bauten, die auch δόμοι heißen. Athene kommt nach Athen und betritt da ihren δόμος (Odyssee 7, 81); Leto und Artemis halten sich zeitweilig im θηός Apolls in Troja auf und helfen da einem Verwundeten (Ilias V 446). So auch Athene, die, als die Priesterin ihr hilfesuchend im νηός mit einer Weihegabe naht, den Kopf zurückwirft (ἀνένευε), d. h. die zu gebende Hilfe ablehnt (Ilias VI 311); sie war kein Holzbild. Auch noch die homerischen Hymnen setzen so das Einkehren der Götter in den leeren Raum und das Fehlen der Kultbilder voraus (s. a. a. O. S. 260; dazu noch ib. 5, 27 vom Zeus: ἧστο πολυλλίστῳ ἐνὶ νηῷ κτλ.), und auch noch im carm. popul. 5 (Bergk) wird Dionys angerufen, daß er seinen νηόν betreten möge. Daß in diesen νηοί ein leerer Thron stand, ist Reichels Vermutung. Als sodann die geschnitzten Götterbilder aufkamen, hören wir noch den Protest: σὲ δὲ παρόνϑ' ὁρῶμεν, οὐ ξύλινον οὐδὲ λίϑινον, ἀλλ ἀλήϑινον (carm. popul. 50). Auch noch in des Perikles Zeit sind die Statuen keine Ersatzvertretung der Götter, wie man sich die Darbringung eines Gewandes an sie dachte, zeigt z. B. der Parthenonfries (a. a. O. S. 262). Die zyklischen Epen also, die für Troja das Palladion erwähnten, waren, wie das Gesagte beweist, jünger als die Ilias. Weil Äneas das Palladion rettet, sagt dann Äschylus (Agamemnon 477 ff.), daß in Troja nur Tempel und Altäre zerstört wurden. Vgl. noch H. Herter, Rhein. Mus. 74, S. 164 f. Die frühesten Götterbilder, die Herodot erwähnt, fallen in die Zeit des Kyros; die auswandernden Phokäer führen sie mit sich (ἀγάλματα, Herodot I 664); es waren unbedingt ξόανα wie bei Äschylus (Sept. 166; 239; 248); gleichzeitig das vergoldete Holzbild des Apoll (Herod. I 69; Bronzeplastik gab es damals noch nicht). Mit Kultbildern, von denen hier die Rede ist, hat dagegen der Arion (ib. I 24) und Kleobis und Biton (ib. I 31) nichts zu tun. Übrigens wohnt bei Homer der Priester im Hain seines Gottes: Odyssee 9, 201. So lebendig war der Glaube an ein Erscheinen der Götter. Auch in die Schlacht mischen sie sich, um zum Kampf zu hetzen, ja, nahen in Liebe sterblichen Jungfrauen. Sie waren noch keine Götzen, noch nicht zur Statue erstarrt.
Für das häuslich gesellige Leben aber ist die große Diele oder der langgestreckte Saal, den man sogleich vom Vorhof aus betritt, das Zentrum und der einzige Raum; in seiner Mitte der Herd, über dem im Dachausschnitt der Himmel offen steht. Da wird getafelt; da sitzt der Hausherr noch abends beim Fackellicht mit seinen Gästen; im Hintergrund die Fürstin, spinnend, den Gesprächen lauschend, von ihren spinnenden Mägden umgeben (die Gäste sind nur Männer; es sind Bürgersleute, die mit dem Landesherrn treuherzig verkehren), bis die Frau das Zeichen gibt. Das Licht erlischt, und man geht schlafen.
Aber auch der zugereiste Fremde wird da empfangen. Nichts Großartigeres als die Gastfreundschaft in jenen Zeiten; es ist dieselbe schöne Gewohnheit, die der Südländer in gewissen Grenzen auch heute noch pflegt, die man auch bei den Beduinen erlebt. Aber sie ist nur zu begreiflich in den Zeiten – oder in den Ländern –, wo es noch keine Hotels gibt, kein »Gasthaus zur Traube« am Wege winkt, wo das Straßenwesen so unentwickelt und keine Wegweiser, keine 34 Anschrift den Namen des Orts, den man betrat, verriet. Daher ist für die Alten das Gastrecht heiliges Recht gewesen, über dem Zeus selbst waltet, der Schützer der Obdachlosen. Nur zu begreiflich ist aber auch die Neugier, mit der man den Fremdling aufnahm. Denn es fehlte auch noch jedes Nachrichtenwesen, die Post oder der Bote von Beruf, der in späterer Zeit alle Tatsachen weitertrug. Man lebte mit seinen Leuten in so kleinstädtischer Enge; mit Gier empfing man also einen Menschen, der aus der Fremde ganz Neues brachte, wahrte dabei jedoch äußerlich eine vornehme Reserve. Ob der Gast auch aus Feindesland kommt, »sei's von des Niedergangs, sei's von den Völkern des Aufgangs«, danach fragt man nicht; der Fremde plaudert schon von selbst, wie es ihm beliebt, wird dabei gebadet, gespeist, im Notfall gekleidet, sogar beschenkt, und erst beim Abschied nach dem Namen und der Herkunft gefragt.Auch bei den Lydiern herrscht übrigens dieselbe Zurückhaltung; s. Herodot I 35 über Krösus und Adrast.
Dabei nennt man zugleich stets den Namen des Vaters; ja, es gilt im Gespräch bei der Anrede als unhöflich, den Namen des Vaters nicht mitzunennen, wie »Agamemnon, du Sohn des Atreus, ruhmvoller Völkerfürst«. Der bloße Rufname genügte zur Feststellung der Person nicht,Vgl. z. B. Ilias IX 644 und 651; dazu X 68. und auch Zeus, der Gott, heißt daher ständig der Kronide; denn er ist der Sohn des Kronos.
Die Schicksale aber spielen oft wunderbar; Fürstensöhne können auch zu Knechten werden. Auf dem Meer treiben sich die phönizischen Kauffahrer um; sie sind zugleich Piraten. Eumäus ist Fürstensohn, wird aber als Knabe von solchen Piraten geraubt und in Ithaka an Laërtes, den Vater des Odysseus, verkauft. So wird er zum Sauhirten des Odysseus, der sich dann zeitlebens als treuester Diener bewährt. Anders wieder der Lebensgang des Patroklus. Er stammt aus der Landschaft Lokris; als Knabe erschlägt er im Zorn einen Gespielen; um ihn der Rache zu entziehen, verschleppt ihn sein Vater übers Gebirge nach Thessalien. Da wird er der Freund Achills, und diese Freundschaft ist es nun, die die Ilias 35 verherrlicht. Er lebt mit Achill vor Troja im selben Zeltbau, aber in dienender Stellung, kocht und brät, deckt den Tisch, führt Achills Rosse zur Schwemme, und doch ist er der Heißgeliebte. Als Patroklus stirbt, von Hektor erlegt wird, wird der Zorn Achills zur Raserei, und keine Grausamkeit kann ihm genügen.
Durch keine Andeutung von Erotik entweiht Homer die Schilderung dieser Freundschaft. Ist die Odyssee die Verherrlichung der ehelichen Treue, so die Ilias die der Männerfreundschaft. Sie blieb das Ideal der Griechen.Das Thema der Ilias ließ sich verschieden formulieren. Helena weissagt VI 358, daß sie und Paris der Mittelpunkt des künftigen Heldengesangs sein werden. Die Ilias selbst beginnt dagegen mit der Themasetzung »singe mir, Göttin, die Menis Achills«; hier heißt μῆνις nun aber nicht etwa der Zorn, die Erzürnung, sondern die Anlage zum Zorn, die Zornmütigkeit, und der zweite Teil des Epos ist da schon mit angezeigt; daher heißt es im Proöm des 1. Buches weiter, daß seit der Entzweiung Achills mit Agamemnon die Menis viele Helden zum Hades forderte; dies tut sie im zweiten Teil der Ilias viel unmittelbarer als im ersten; ja, sie tut es nur im zweiten. Denn im ersten Teil der Ilias geschehen die Tötungen, wie sie z. B. Diomedes vollführt, doch nicht durch Achills Zorn, sondern des Diomedes Motiv ist lediglich Trojas Eroberung zu betreiben und dem Menelaos schließlich zu seinem Weibe zu verhelfen. Erst im zweiten Teil wird der Zorn Achills auf dem Schlachtfeld der tötende Blutvergießer, und nur hierauf treffen die Worte von der μῆνις im Proöm v. 3 zu: μῆνιν ἣ πολλὰς ἰφϑίμους ψυχὰς Ἄιδι προΐαψεν ἡρώων. Von dieser Erkenntnis hat m. E. die ganze Beurteilung der Ilias auszugehen. D. h. der Zorn Achills gegen Hektor ist als der Gipfel des Ganzen schon gleich im Vorwort mit angedeutet, welchem Zorn die Freundschaft des Achill und des Patroklus zugrunde liegt. Alles hängt organisch zusammen: der Zorn Achills auf Agamemnon hatte den Tod des Patroklus, der Tod des Patroklus den Zorn Achills auf Hektor zur Folge, welcher Zorn nun erst mit dem Blutvergießen anhebt. So war denn, wie ich sagte, die Dichtung von vornherein als eine Verherrlichung der Männerfreundschaft gedacht. Freilich nur das Ideal; wir finden nicht, daß sie es oft verwirklicht haben.