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Tritt nur mutig näher, Vortrefflicher, und laß dich durch die vielen Hofschranzen nicht stören,« sagte Titus und schritt durch den Säulengang voran, um seinen Gast in sein Gemach zu führen. »Ohne Palastwachen, ohne Lakaien in allen Ecken geht es am Hof nicht ab. Wie bin ich froh, daß ich dich sehe!«
»Dies ist der Arbeitsraum des Titus?« sagte Hermogenes, der Alte, und sah sich erstaunt um.
»Du erwartetest einen Prunksaal? Aber ich bin kein Nero.«
»Und ich sehe dich nicht mit Helm und Schwert wie damals?«
»Hier in Rom bin ich Bürger unter Bürgern,« erklärte der junge Kaiser und warf nicht ohne Selbstgefälligkeit einen Blick in den großen silbernen Wandspiegel; seine junge, hohe Gestalt machte sich prächtig im Wurf der blendend weißen Toga mit dem Purpurstreifen. »Nimm Platz. Wie schön, daß du Anlaß fandest mich aufzusuchen!«
»Der Anlaß selbst ist schön,« sagte der Grieche (Titus sprach griechisch mit dem Gast). »Den Dank unserer Insel bringe ich dir. Es ist nicht auszudenken, wie groß die Entlastung unserer Gemeinde ist, da du unsere Schulden tilgtest, unsere Gläubiger, die römischen Geldleute, befriedigtest: rasch wie immer und großmütig wie immer.«
»Wozu bin ich Kaiser? wozu habe ich den vollen Fiskus?« lachte der junge Herrscher. »Mein Vater schafft das Geld und gestattet, daß ich, der Sohn, 142 es ausgebe, wie ich will. Vom Brand Jerusalems führte mich ein günstiger Zufall nach Andros, eurer friedseligen Insel; da lernte ich dich schätzen, dich liebgewinnen, weiser Mann, sah eure mißlichen Verhältnisse – was ist da weiter zu reden? Sitzt du dort angenehm?«
»Laß mich stehen, Göttlicher. Ein Lachen der Freude geht durch die Welt, seitdem du ihr Herr bist.«
»Ich und mein Vater Vespasianus,« ergänzte Titus. »Daß Rom jetzt gleichzeitig zwei Kaiser hat, bewährt sich gut.«
»Und es ist mir denkwürdig: so also sieht es in der Stube eines Kaisers der Welt aus?«
»Ah! Hermogenes ist Historiker. Ich merke, du willst über Titus Geschichte schreiben. Du wirfst die Augen forschend herum wie ein Luchs.«
»Und ich finde wenig. Da hängt ein Saitenspiel am Nagel.«
»Ich tändele gern auf den Saiten und singe gelegentlich mein Lied, aber nur allein oder mit meinem Töchterchen.«
»Hier ist Orpheus an die Wand gemalt, der mit seinem Gesang die wilden Tiere bezwingt.«
»Ja, Orpheus! Wer das auch könnte, was er gekonnt! Aber sieh nur: die Tiere sind schlecht gegeben; kein Maler kann einen richtigen Löwen oder den Bison in seiner tierischen Schönheit richtig malen. Um die zu kennen, da muß man in die Arena gehen. Tierkämpfe –«
»Du liebst die Tierhetzen?« fragte Hermogenes entsetzt.
143 »Und wie!« Des Kaisers Augen strahlten wie die eines Kindes, das nach der Traube greift.
Hermogenes spürte weiter. »Ich vermisse Bücher,« sagte er. »Nur dort der Schrank! Was für Bücher liest Titus in seinen stillen Stunden?«
»Ich lese nicht gern; wozu soll ich es? Die römische Geschichte habe ich ja schon als Bub' gelernt. Nur allerdings Senekas Schriften liegen hier. Es sind heilige Bücher, die ich bisweilen aufrolle. Sie handeln von der Menschenliebe. Eine schwere Sache!«
»Ich lerne dich verstehen,« sagte Hermogenes. »Aber hier auf der Staffelei ein verschlossenes Bild?«
»Oh! mein Gastfreund ist nicht wißbegierig, er ist neugierig. Ich schlage die Bretter zurück. Ein Weib! Du siehst Berenike, die Jüdin, meine Freundin . . .«
»Blendend schön!«
»Die Fürstin vom Berg Libanon in all ihrem üppigen Reiz. Hier ist sie auf Holz gemalt. Aber sie war gleichsam selbst ein Gemälde; denn sie schminkte sich stark. Das Bild hat sie mir hergeschickt zum Andenken an unsere Begegnung in Palästina, und sie wird auch selbst herkommen, mich zu besuchen.«
»Titus, ich warne dich!«
»Ich halte das Bild immer verschlossen, damit es mein Töchterchen nicht sieht.« Der Kaiser klappte die Bretter wieder zusammen.
»Und dort? in der hohen Nische die Statue aus Erz? Sie zog meinen Blick schon gleich anfangs auf sich, als ich eintrat. Zwei brennende goldene Lampen hängen davor; ein frischer Veilchenkranz im Haar, 144 welch edler Anblick! Es ist ein junger Römer ohne Frage. Ist es ein gestorbener?«
»Es ist Piso, mein Jugendfreund. Es ist Lucius Calpurnius Piso, er, mit dem ich aufwuchs. Du siehst, ich ehre ihn, so gut ich kann. Ich kann ihn nicht vergessen.«
Hermogenes stand ehrfurchtsvoll: »Ich frage nicht weiter,« murmelte er.
»Oh, frage nur, frage nur immer!« rief Titus dagegen lebhaft. »Es ist mir Wonne, über Lucius zu sprechen.«
»Du wolltest . . .?«
»Rede offen,« sagte Titus. »Du hast ein Geschichtswerk zu schreiben begonnen über die gegenwärtige Zeit?«
»Ja, ich tue es aus Dankbarkeit, denn ich preise mein Glück, daß ich dich, daß ich dein Leben, Titus, mit erlebe: ein Gnadengeschenk der Götter, und ich möchte es beschreiben.«
»Dann will ich dir helfen, dir selbst erzählen, damit du mich nicht zu gut machst. Das heißt, ich will dir von Piso, von meinem Freund Lucius erzählen. Denn durch ihn bin ich, was ich bin.«
In diesem Augenblick kam ein Offizier der Palastwache und meldete, die Personalien der Mörder seien festgestellt; was jetzt mit den Mördern geschehen solle?
Mörder? Hermogenes horchte auf.
»Bringt die Kerle, wenn wir zur Nacht speisen, hierher in den Palast; ich will sie noch einmal sehen. Verstanden? Heute noch. – Zwei junge Männer,« 145 erzählte Titus lachend, »aus reichem Rittergeschlecht, denke nur, die wollten mich heut' früh, als ich einen Kranken besuchte, erstechen. Sie wurden ergriffen. Ich fragte sie, was ich verbrochen hätte. Sie wußten mir nichts, nichts zu antworten. ›Wenn wir, ich und mein Vater, schlecht regieren, so sagt es uns!‹ wiederholte ich. Aber es war offenbar nur Tollheit, nur Abenteuerlust. Alle früheren Kaiser vor mir sind ja gewaltsam umgekommen: Caligula, Claudius, Nero, Galba, Piso, Otho, Vitellius – sie alle. Da denken die Leute, das kann so weiter gehen; warum soll man nicht auch Titus ermorden?«
»Und du tötest sie nicht?«
»Soll ich es nicht einmal auf anderem Wege versuchen? Ich möchte es wie jener Orpheus machen, der die Tiere gebändigt hat. Aber du brauchst Ruhe, Erholung. Laß dich von meinen Dienern ins Bad führen. Man wird dir dort auch Speise und Trank reichen. Nach einer Stunde sei wieder hier; dann will ich dir von Piso erzählen.«
Als Hermogenes nach einer Stunde zurückkam, erschrak er nicht wenig. Da lag langgestreckt ein Löwe zu Titus' Füßen, der langsam den schweren Kopf hob. Seine grünen Augen schillerten fremdartig wild. Titus schlug in die Hände vor Vergnügen: »Keine Angst, liebster Freund. Es ist ja mein Stubengenosse! das prächtigste Exemplar, zehn Jahre alt. Saevus nenne ich den Burschen. Sieh nur!« Und er zwang das Tier, auf den Hinterfüßen zu stehen, und umfaßte es, als ob er mit ihm ränge. Dann zauste er ihm mit Geknurr die dicke dunkle Mähne und führte den 146 Saevus rasch in den Hof hinaus. Hinter der Zypressenwand war der prachtvolle Löwenkäfig.
»Glaube mir! Es ist nichts wundervoller als die gezähmte Bestie,« sagte er. »Aber der Saevus würde uns stören; er würde über meine Erzählung die Geduld verlieren, dieselbe Geduld, um die ich dich jetzt dringend bitte.
Also Lucius, mein Freund! Willst du von ihm hören? Schon als Buben wurden wir Gespielen, rechneten zusammen mit Haselnüssen, als wären es Goldstücke, und ritten auf dem Holzpferd, kutschierten mit dem Hundewagen um die Wette: er der Patriziersohn und vornehme Urenkel des großen Pompeius, ich der Sohn des Emporkömmlings. Ich muß wohl zuerst von mir und meinem Vater reden.
Im Hinterland, im Bergnest der Abruzzen, in Reate, da wuchs Flavius Vespasianus, mein Vater, auf, ein verachteter Kleinstädter.«
»Aber guter Rasse . . .«
»Mag sein. Mein Vater schlägt sich ja manchmal noch auf die Schenkel vor Staunen und kichert vor sich hin, daß er jetzt der große Kaiser ist, und will es gar nicht glauben. Du weißt: in der Zeit, als Vitellius in Italien den Otho besiegte und als mein Vater und ich fern in Palästina Jerusalem belagerten, da riefen mich, mich die Legionen am Jordan zum Kaiser aus. Ich war nun einmal der Liebling der Truppe; warum sollte ich nicht auch so gut wie Otho und Vitellius den Kaiser spielen? Aber mein guter Vater war auch noch da, der hochverdiente Mann. Ich stellte also die Bedingung, daß vielmehr mein Vater als 147 Kaiser herrsche und ich ihm in gleicher Würde helfe, als sein Mitregent. So kam es. Aber von seinen Gewohnheiten läßt der Alte nicht. Nach dem Bergnest Reate geht er noch immer jedes Jahr, wo die Ziegenherden mit ihren Glöckchen am Hals durch die Dorfstraße ziehen. Wenn er dort im alten Familienhause seine Rüben und Linsen speist, kann es kommen, daß eine Kuh spreizbeinig in den Hausflur eindringt und ihr Gehörn wiegt und sich neben den Speisetisch legt, als spräche sie: willst du Milch, großer Kaiser Vespasianus? Hier ist mein Euter!
Zur Zeit, von der ich reden will, herrschte aber noch Kaiser Claudius in Rom, der alte mit dem Wackelkopf, den man immer verhöhnt hat, der es aber im Grunde ganz brav meinte. Ich war ihm herzlich zugetan. Er protzte nie und, hatte er seinen Becher Wein heruntergegossen, so vertrug er jeden Spaß. Aber er war schwach, und durch die Weiber, die Kaiserinnen Messalina und Agrippina, herrschten die abscheulichsten Zustände. Mein Vater war durchaus kein Tugendbold, aber er haßte die Kaiserinnen beide wie die Sünde. Das Entscheidende war, daß mein Vater über das Nordmeer ging und für Kaiser Claudius die Insel Britannien bis zum Themsefluß eroberte. Er war ein tadelloser Truppenführer. Von da an kam Kaiser Claudius öfter in unser simples Haus, am Aventin; er entdeckte mich; ich war ein ganz hübscher Junge, aber noch ohne alle besseren Manieren, und so kam ich als Kind an den Hof.
Am Hof waren die beiden Prinzen Britannicus und Nero. Sie waren Stiefbrüder: Britannicus des 148 Claudius rechter Sohn, Nero der Sohn Agrippinas von einem anderen Vater. Ich sollte fortan zu des Britannicus Gespielen gehören. Wir waren da zehn bis zwölf junge Bürschchen, darunter auch Lucius Piso. Für mich war das natürlich eine Wonne und Herrlichkeit. Der Prinz Britannicus war auch ein lieber, prächtiger Junge, rotwangig, kräftig, schlicht und gradweg. Wacker und ohne alles Großtun hat er unsere Lauf- und Raufspiele mitgemacht.
Da war Nero, sein Stiefbruder, anders. Neros Mutter, Agrippina, die allmächtige Frau, hatte damals schon durchgesetzt, daß nicht Britannicus, sondern Nero der Thronerbe und künftige Kaiser sein sollte. Daher wurde der liebe Britannicus im Palast arg zurückgesetzt, Nero dagegen wie ein Halbgott, wie ein Juwel behandelt. Von uns gemeinen Sterblichen wurde er möglichst ferngehalten; keiner durfte ihn je anfassen. Ich glaube, Nero hat sich zeitlebens nie körperlich mit jemandem gemessen. War es die Göttlichkeit seines Wesens? war es Feigheit? Dabei hatte er etwas Herausforderndes in den Mienen, und wir hätten ihn gar zu gern einmal angepackt. Schon damals hatte er etwas Weiches, Wiegendes im Gang, etwas Schwammiges im Gesicht, und wenn man ihn stramm ansah, da hielt er den Blick nicht aus.
Einmal waren wir in dem großen Brunnenhof, und Britannicus war durstig und fing sich in der Schale Wasser aus dem Springbrunnen, als Nero mit Otho, dem schönen, in den Hof kam. Otho war damals schon Neros Lieblingsgespiele, der bevorzugte, mit dem honigsüßen Gesicht und dem Weiberscheitel und der 149 dicken Pomade im Haar. Man roch ihn schon von weitem. Wer ahnte damals, daß Otho und Nero nacheinander Kaiser der Welt sein würden? Also am Brunnenhof war's. Hochmütig herrschte Nero seinen Bruder an: ›Laß mich zuerst trinken.‹ Er ärgerte sich, daß wir alle auf ihn gar nicht acht gaben. Britannicus trat zurück, lenkte aber mit seiner Trinkschale den Wasserstrahl aus Übermut so, daß die Nässe dem Nero sprudelnd ins Gesicht fuhr. Gleich liefen die Diener zusammen, als wäre ein Mord geschehen. Nero bekam vor Wut einen roten Kopf wie ein Truthahn, griff nach einem Eisenhaken und schmiß ihn aus der Entfernung auf Britannicus, der ihn fest ansah und, obschon es eine häßliche Schramme gab, ruhig stehen blieb und keine Hand rührte. ›Nero ist gut und weich,‹ hieß es hernach. ›Aber die Majestät regt sich früh in ihm, und man soll ihn nicht reizen.‹
Seitdem war er mir unheimlich, ja, zuwider. Lucius aber haßte ihn seitdem.
Lucius war in allem energischer als ich. Er war elternlos, und in dem fürstlichen Palast seines Oheims, des großen Calpurnius Piso, der damals an Reichtum der nächste nach dem Kaiser war, da lebte er. Die Pisonen sind der vornehmste Adel Roms. Was war ich armer Schlucker gegen ihn? Wie staunte ich, wenn ich ihn besuchte (und ich lief oft zu ihm) über die Masse der Statuen in den weiten Kolonnaden und die strahlenden Bilderwände und die bronzenen Rosse über den Portalen, die Treppen aus Porphyr und die versilberten Krippen im Stall und die tausend Menschen, vornehm und gering (darunter natürlich auch 150 ein Rudel von Dichtern), die da täglich als Gäste aus- und einliefen! Calpurnius war der große Mäcen jener Zeiten.
In einem Flügel zu ebener Erde, in prachtvollen Stuben wohnte da der kleine Lucius mit seiner eigenen Dienerschaft, die aus dem Elternhause stammte. Ich weiß es noch: auf den Achseln trug er köstliche Edelsteine als Spangen; ich bewunderte sie mit gierigen Augen; gleich riß er sie herunter und schenkte sie mir. So war er immer. Ihm waren alle Herrlichkeiten gleichgültig bis zum Überdruß.
›Meinst du,‹ sagte er, ›mein großer Herr Oheim käme mir wunder wie groß vor? der wie eine Frau nicht Kissen genug haben kann, um weich zu liegen, der selbst, wenn er bös wird, flüstert und zirpt wie eine Grasmücke und sich tausendmal am Tag anlächeln läßt, weil er der reiche Mann ist, der bis ans Knie im Gold watet? Was tut er sonst? Stundenlang sitzt er vor dem Schachbrett und schiebt da die dummen Puppen hin und her. Es ist keine Kunst, beliebt zu sein, wenn man eine Futterstelle für alle Faulen und Eckensteher errichtet. Da ist meine Schwester Calpurnia anders. Wenn du die kenntest! Die ist streng und heilig und gut; sie ist viel älter als ich, und sie ist Vestalin. Im Kloster, im Vestalinnenhaus eingeschlossen lebt sie, hütet das Feuer der Vesta, und ich sehe sie nur bisweilen, wenn Festtag ist. Und die Schwester, die sagte mir: Romulus schlief nachts auf der bloßen Erde. Romulus war Roms erster großer König. Darum mache ich es auch so.‹
151 Ich mußte lachen: ›Du hast ein Bett, und das ist von Ebenholz, und du schläfst nicht drin?‹
Da biß er die Lippen zusammen. Sein Gesicht war fein und schmal, hager und zäh. Die Backenknochen sprangen eckig vor. Dabei senkte er gerne die Stirne und, hätte er Hörner gehabt, er hätte damit gestoßen. Aber es stand ihm nur ein dicker Wirbel krauser schwarzer Haare über der Stirn.
Wir waren so verschieden! Aber gerade darum hingen wir fest aneinander: er immer so ernsthaft und zielbewußt, ich nur gar zu lustig und immer zerstreut. Und da war noch eine Sache, die uns eng verband, ein Ammengeschwätz.«
»Das wäre?« warf Hermogenes dazwischen; er konnte seine Neugier nicht bezähmen.
»Ja, meine Amme und seine Amme, zwei gute und treue Seelen, die trafen sich einmal, und wir Jungen waren auch zugegen. Wir waren schon sieben oder acht Jahre alt, aber immer noch etwas unter ihrer Aufsicht. Da sagte seine Amme: ›Lucius wird einmal Kaiser werden.‹
›Unmöglich!‹ sagte da meine Amme und blickte ganz zornig. Die andere aber fuhr fort: ›Wir haben ein sicheres Vorzeichen. In derselben Stunde, als mein süßer Lucius geboren wurde, legte eine Taube in unserm Taubenschlag ein purpurnes Taubenei. Ja, purpurn, sag' ich. Die Gärtnersfrau brachte es mit Geschrei gleich in den Saal. Ganz purpurn war das Ei an allen Seiten rund herum, ein wahres Wunder zu sehen, und alle, die sich darauf verstehen, sagten gleich: Lucius wird einst den Purpur tragen.‹
152 ›Nein! nicht Lucius, Titus wird Kaiser,‹ rief da meine Amme, und ihre Erregung wuchs. ›Denn als hier unser süßer Titus als Kindlein, drei Wochen alt, in seiner Wiege schlief, da geschah auch ein Wunder. Eine Schlange schlüpfte in die Wiege, kroch hinan und legte sich sanft um des Kindes Stirn und um sein kleines Köpfchen wie ein Krongewinde, das in metallenen Schuppen glitzerte. Ich habe es selbst mit Augen gesehen; und alle, die sich darauf verstehen, sagten gleich: das ist ein sicheres Zeichen. Das Kind wird einmal die Krone tragen, die Krone tragen.‹
Mit offenem Munde hörten wir Jungen das Gerede, griffen uns vor Vergnügen an den Händen und tanzten umeinander herum; das heißt: ich griff mir den Lucius, der ein Jahr jünger als ich war, und rief ihn hundertmal: Kaiser Lucius! und er sah mich groß und ernst an und nannte mich feierlich: Kaiser Titus!
Das war damals. Wir Ahnungslosen! Wir wußten nicht, was kommen würde, aber seitdem ließ uns beide der Gedanke nicht los. Mir erschien auch gleich der Romulus im Traume; von Romulus und Remus träumte ich, und die Wölfin säugte mich, und ich stieg auf's Kapitol und gründete Rom. Ja, die Sache führte noch zu einem wichtigen Begebnis.
Als wir wieder einmal am Hof mit Britannicus spielten und auch mit ihm speisen sollten, da reichte die Sitzbank nicht aus für uns alle. Aber da war ein Lehnsessel, auf dem der Kaiser Claudius, wenn er dorthin kam, höchstselbst zu sitzen pflegte. Den Sessel zog ich heran und setzte den Lucius darauf, und 153 dann salutierte ich ihn feierlich und laut: ›Kaiser Lucius sitzt auf dem Kaiserthron!‹
Britannicus, der Prinz, freute sich arglos daran; denn wir zankten uns gleich; Lucius sprang vom Stuhl und rief: ›Nein, Titus ist der Kaiser. Er soll darauf sitzen.‹ So stritten wir in unserer kindischen Dummheit, als aus dem Hintergrund eine ehrwürdige Gestalt auftauchte. Es war Seneka. Ich sehe ihn noch und werde die Erscheinung nie vergessen. Er kam aus Neros Gemächern . . .«
»O du Glückseliger! Du hast Seneka gekannt?« warf hier Hermogenes dazwischen. »Der Geheimnisvolle, der alles Gute wirkte, aber niemand erfuhr, daß er es war! einer der wenigen Weisen, der am Predigen nicht genug hatte, nein, der wirklich es wagte, die Welt zu beherrschen, indem er den Herrscher beherrschte.«
»Damals gehorchte Nero, der Knabe, ihm in der Tat noch aufs Wort. In weichen Schuhen ging er, leicht vorgebeugt; man hörte keinen Schritt auf dem glatten Marmor. Nur seine Kleidung aus leichter Seide raschelte leise. In dem Kleid steckte sein schmächtiger Körper: schmalschulterig; der Hals so dürr, die Arme so kraftlos; zeitlebens ein kränklicher Mann; aber in seinem weißen Gesicht standen ein Paar suchende Augen von wunderbarer Glut, schwarz wie Kohlen.
Ich fühlte die Augen auf mich gerichtet, als er fragte, was es gäbe. Ein stilles Lachen war in seinem Gesicht; denn er hatte unseren Streit doch wohl gehört. Ich strich mir gleich die zerzausten Haare glatt, stellte mich stramm hin und erzählte, vorlaut wie immer, die Sache.
154 ›Wer von euch Kaiser wird?‹ Sein Gesicht wurde tiefernst. ›Das ist nichts zum Scherzen, Knaben! Wehe dem, der Kaiser wird. Die Allmacht ist ein Fluch. Nur wer gut wie Gott ist, darf herrschen, und wer ist gut von euch?‹
Er küßte uns beide huldvoll auf die Stirn. Britannicus streifte er mit einem Blick tiefen Mitleids, ja, des Grames, und ging. Ich fühlte mich wie geheiligt durch seine Berührung. Aber er wandte sich noch einmal zurück, reckte den müden Körper hoch und fragte: ›Wißt ihr auch, was das Gutsein ist?‹
Wir schwiegen bestürzt.
›Sich opfern für andere!‹ sagte er mit einer Stimme von wunderbar tiefem Klang. Dann fielen die schweren Vorhänge hinter ihm zusammen. Er war verschwunden wie ein Geisterschatten im Traum, wie eine Lichtgarbe, die über den dunklen Himmel fuhr.
Seitdem standen wir ganz unter dem Einfluß dieses hochgestellten Mannes, obgleich wir ihn so selten, kaum zwei- oder dreimal wiedersahen . . .«
Titus sah sich wieder durch seinen Gast unterbrochen.
»Sich opfern für andere! Das Wort«, rief Hermogenes, »strahlt wie ein Stern in der Nacht. Das Wort schafft Genesung, Erlösung. Wer hätte zu hoffen gewagt, daß Rom daran noch genesen könnte?«
»Zweifeltest du?«
»Wo die Fäulnis bis ins Mark geht, ist die Genesung schwer. Mit welcher Begeisterung haben wir Griechen einst Rom, das göttliche, verherrlicht! Wohin sind die Zeiten der Scipionen, die Zeit des Pompeius, des Edlen, Freundlichen? Mit dem 155 Cäsarentum kam das Unheil, und wir sahen es mit Grauen. Seit Tiberius wurden die Kaiser, die in Rom sitzen, Würger ihrer Herde und sollten doch die Hirten sein. Alle Knechtung entsittlicht den Geknechteten und den, der knechtet. So blühte wuchernd bei euch das Laster auf und reckte sich bis zum Himmel: Rom die Stadt der Lüste und der Lüge; kein anständiger Mann, keine unbescholtene Frau; hirnloser Sinnentaumel, Schmeichelei und Hoffahrt, Bestechung und Käuflichkeit, Raubgier, Verwandtenmord. Eine Schändung der Menschheit. Die Welt war dessen Zeuge. Der Orkus soll dies Rom verschlingen: so dachten wir auf unserer stillen Insel.«
Titus lächelte: »Du schiltst ja wie ein Jude. Der Satan selbst hat in Rom seinen Thron errichtet, so predigten damals die Juden. Der Satan mit seinen Teufelskrallen, das Weltprinzip aller Bosheit: ich hab' es von den Juden selbst gehört, und ich wagte nicht zu widersprechen.«
»Aber die Genesung kam,« fuhr Hermogenes fort, »und sie kam durch euch Knaben.«
»Sagen wir lieber: durch Seneka. Aber ich will dir von meinem Lucius erzählen. In der Zeit, von der ich rede, gab es doch auch sonst allerlei brave Leute in Rom (wie sollte es anders sein?), die eifrig nach dem strengsten Sittenkodex lebten; aber diese Guten versteckten sich, hielten nur hübsch ihre eigene Seele sauber, aber sie wagten sich nicht in den Kampf des Lebens hinaus, und wir Knaben wußten damals von dieser Gemeinde der ›Guten‹ nichts. Lucius aber handelte triebhaft, der frühreife Junge; er war eine 156 Kampfnatur und merkwürdig planvoll in allem. Seine Amme, die kränklich wurde, hätschelte er wie seine Mutter, überhäufte sie mit Leckerbissen und Blumen und las ihr stundenlang aus Vergil vor, bis sie einschlief. Philetus, das Söhnchen der Amme, das Sklavenkind, war ein schlapper Bengel von einer lasterhaften Unordnung und Fahrigkeit; Lucius widmete sich ihm ganz und hielt ihn streng, bis er parierte. Aber jetzt begann er die Selbsterziehung. ›Wie schaffe ich, daß ich gut bin?‹
Hinten im Park stand ein marmornes Tempelchen; ursprünglich war es ein Brunnenhaus mit einem Nymphenbilde. Dahin schleppte er seinen Bücherkasten und warf sich auf Weltgeschichte: ein endloses Lesen, und ich mußte mittun. Es half mir nichts. Er wollte sehen, wie die großen und guten Staatsmänner und Feldherrn es gemacht hätten, Nutzen zu schaffen und den Staat zu retten. Auch ein Bilderbuch, eine Rolle mit Bildern, war dabei; die heftete er an die Wand und freute sich stundenlang, daß es noch Bilder gab von Lykurg und Solon und Aristides und Perikles und Romulus und Cincinnatus. Auch Lehrbücher der Philosophen kamen an die Reihe, und um unsere Köpfe schwirrte allerlei Weisheit, dunkel und wundervoll. Aber nur zu oft ertappte mich Lucius darauf, daß ich Unfug trieb, statt ordentlich zuzuhören. Ich warf ihn mit Brotkugeln, wenn er gerade beim Scipio war, der den Hannibal besiegte, und ließ den Hund über die Bank springen, wenn Marius eben die Cimbern und Teutonen schlug. Dann sah er mich traurig und tadelnd an und fragte: ›Soll ich aufhören?‹
157 ›Nein!‹
›Glaubst du an die Orakel oder nicht?‹
Ich zuckte die Achseln.
›Einer von uns beiden wird Kaiser!‹ fuhr er in dringendem Ton fort. ›Du oder ich. Die Orakel lügen nicht. Aber nicht ich, nein du wirst's! Ganz gewiß, du Herrlicher. Ich fühle es deutlich. Denn dich lieben alle Menschen, die dich sehen. Die Götter und Menschen sind mit dir. Um deinetwillen, Titus, bin ich so eifrig. Wie sollst du gut werden, wenn du nicht lernst?‹
Sollte es mich nicht rühren, wie er so sprach zu mir schlichtem Burschen? ›Auch Orest und Pylades waren Freunde,‹ sagte er mir oft; ›ich bin der trübe Orest, du bist der Pylades mit dem immer frohen Herzen, und ich liebe dich wie mein besseres Ich, und dein Glück ist mein Glück.‹
Aber Lucius liebte doch noch jemand anders. Denn bisweilen waren wir im Tempelchen drei Personen bei den Büchern. Verania war es, die kleine Nachbarin, aus hochadeligem Geschlecht, die bisweilen herbeischlüpfte, um mit zuzuhören. Verania ist heute noch meine Freundin, und wir sprechen noch oft von jenen Kinderzeiten. Mit großen staunenden Augen horchte das liebe Mädchen, wenn wir lasen; ihre Locken, die ihr tief über ihren Nacken fielen, regten sich nicht: so still in Andacht saß sie da. Zwischen Verania und Lucius war es eine rechte Kinderliebe. Und mir war das nützlich; denn nie war ich strebsamer, als wenn Verania zu uns kam; denn sie sollte mich an Eifer nicht beschämen.
158 So waren wir, er und ich; ich lebte gern in den Tag hinein und pfiff mein Lied; aber es half mir nichts. Mit beiden Händen seiner Seele hielt er mich fest. Dazu gehört auch noch folgendes kleine Erlebnis. In der Arena gab Kaiser Claudius Tierhetze, Löwenjagd, Pantherjagd. An die hundert Bestien! Das kam damals selten vor. ›Heut' laß, Lucius, die alten Bücher in ihrem Nest,‹ sagte ich; ›komm mit. Es wird wundervoll.‹
In Lucius' Augen blitzte es lebenslustig auf. Aber er bezwang sich. ›Ich hab' einmal eine Hetze gesehen, und tue es nicht wieder. Aber ich geleite dich bis zu den Eingängen.‹
Philetus, das Sklavenkind, kam mit, als wir gingen. Durch die Gassen drängte die Menschenwoge. Mir fiel ein, ich könnte bei dem langen Schauspiel verhungern. ›Hier hast du Geld,‹ sagte ich zum Philetus. ›Spute dich und hol' mir vom Budenmarkte Feigen und Schmalzgebackenes!‹
Kläglich weinend kam Philetus zurück; er brachte nichts; er hatte das Geldstück verloren. In Wut schlug ich ihm auf die Wange, daß es schallte.
Da hättest du den Lucius sehen sollen. Er sprang mir förmlich an den Hals: ›Mit welchem Recht schlugst du ihn? Weißt du denn, ob er schuld hat?‹ Weiter nichts. Er drehte sich schroff ab, legte den Arm um Philetus' Schulter und ließ mich ohne Gruß allein.
In der Tat war dem Knaben die Münze von einem Gauner aus der Hand geschlagen worden. Er war unschuldig.
159 Folgenden Tags traf ich Lucius beim Aventin, am Tiberfluß, wo die Kornspeicher, die großen Silos sind. Er war auf dem Weg zu mir; er wollte mich versöhnen. Das sah ich ihm an. Aber ich war ganz harmlos und unbefangen und erzählte ihm von der Hetze und wie aufregend das war und noch von einem besonderen Erlebnis, das ich da mit Nero hatte.
Vordem das öffentliche Schauspiel begann, hieß es, der Kaisersohn Nero habe sich in die Gewölbe begeben, wo die hungrigen Bestien in den Käfigen sind. Was wollte er da? Die Neugier packte mich. Der Zutritt war streng verboten; einerlei, ich bestach kurzweg einen Wächter. Düsternis; Menageriegestank; Hundegekläff, eine ganze Meute. Und da sah ich nun Nero und Otho, die beiden, mit den Tierkämpfern in einem Winkel, beim Wein; sie becherten und wieherten vor Lachen. Nero sollte sich Mut trinken. Er war mit den rohen, bärtigen Gesellen, afrikanischen Leuten, förmlich zärtlich und kniff ihnen gnädig in die Beine. Auf einen Tiger hatten sie es abgesehen; Nero sollte ihn füttern und hatte doch sichtlich Angst. Da nahmen die Kerle Eisenzangen, steckten lebende Tauben und Kaninchen in die Zange, und Nero mußte sie so durch das Käfiggitter stecken. Er heulte vor Aufregung und sah mit Gier, wie der Tiger jedesmal seiner Beute die Köpfe abriß. Der Wein stieg ihm zu Kopfe; denn er trank immer wieder. Es war schauderhaft. Ich schrie auf: da wurde ich entdeckt. Ich glaube nicht, daß man mich erkannt hat, aber der Wächter, der mich einließ, wurde jämmerlich mit der Peitsche verhauen. Ich hörte noch sein Gebrüll.
160 Das war's, was ich Lucius erzählte.
›Bestochen hast du den Mann?‹ fragte er mit vibrierender Stimme. ›Woher das Geld?‹
›Ich borgte es rasch von einem Bekannten.‹
Er legte mir die Hand auf die Schulter: ›Aber das war nicht gut. Sollen wir nicht gut sein? Vergißt du es immer? Hat Seneka nicht auch zu dir gesprochen? und ich finde dich oft so anders.‹
Ich sah ihn reumütig an.
›Ich habe eine Herzensbitte,‹ fuhr er fort. ›Liebst du mich, Titus, so laß uns schwören, ich bitte dich; wir wollen ein Gelöbnis tun, gleich hier, wo wir eben sind. Hier ist es schön. Komm. Wir stellen uns auf die Brücke: da fließt der Tiber mächtig unter uns her und der Stromgott hört uns, und die Sonne über uns hört uns auch, und vom Kapitol schaut Jupiter auf uns her. Bei unserer Freundschaft! Bestechen ist Verführung zur Untreue. Wir wollen, wenn wir einst in Macht sind, nie jemanden schlagen und vorschnell strafen, bevor nicht die Schuld erkannt ist. Und wir wollen nie bestechen; denn es tötet die Ehrlichkeit. So steht es in den Büchern. Du hast es gelesen wie ich!‹
Da taten wir auf der Brücke den Knabenschwur zur Tugend, als sollten wir und nicht Nero Kaiser werden.
Der gute, eifrige Junge, in seinem hochgetriebenen Edelsinn, er hat den Schwur auch wirklich gehalten; ich bin noch oft gestrauchelt; aber es war mir zum Heile.
Aber die Ereignisse häuften sich. Am folgenden Tag war schon der Kaiser Claudius tot. Nero, der Knabe, wurde plötzlich Kaiser; 17jährig. Seine 161 Mutter, die Agrippina, hatte ihren Gatten, den Claudius, vergiftet. Das gab ein Gezischel und Geschrei. Des Lucius Wesen aber hob sich. Er sagte nichts, aber ich wußte, was er dachte: ein Kaiser ist tot; jetzt sind nur noch Britannicus und Nero am Leben.
Weshalb der Mord? Agrippina kämpfte gegen Britannicus für ihren Nero. Claudius war ihr zwar gefügig gewesen und hatte Nero im Testament schon zum Thronerben erklärt; in den letzten Tagen aber war seine natürliche Liebe zu Britannicus neu in ihm erwacht. Ich sah es bei der Tierhetze, von der ich erzählte, selbst mit an. Seit langem zum ersten Male wurde da der versteckt gehaltene Britannicus wieder dem großen Stadtpublikum gezeigt. In seiner Kaiserloge saß Claudius selbst strahlend mit ihm; in der Loge ihm gegenüber thronte Agrippina finster mit ihrem Nero, und beide hielten gleichsam Hof im Wettbewerb. Die Höflinge drängten sich zu beiden Prinzen; das Vivatgeschrei der Menge grüßte beide, aber den Britannicus viel lauter mit wachsender Begeisterung. Britannicus freute sich kindlich daran. In Agrippinas Augen war Gift. Die Wetten gingen jetzt in der Stadt: Nero gegen Britannicus wie drei zu zwei, nein, wie eins zu eins, als wären die Prinzen Rennpferde, die zum Ziele rasen und auf die man zu wetten pflegt.
Ich sehe Agrippina noch, wie sie da mit Nero auf der Estrade saß, von oben bis unten in Goldstoff gekleidet wie eine schillernde Schlange, blendend wie der Blitz, scharfschneidig wie ein persisches Messer, kalt wie eine Eisscholle, hart wie Granit, stolz wie ein Gott.
Sie hatte Claudius rasch beseitigt und glaubte jetzt 162 allein zu herrschen; denn Nero war in ihren Augen nur ein Kind. Britannicus lebte still gefügig im Palast fast wie ein Gefangener; Lucius und ich besuchten ihn noch oft. Aber die mächtige Frau irrte sich. Kaum fühlte sich Nero als Kaiser, als er dem Seneka die Staatsgewalt in die Hand legte und die Mutter zurückstieß. Sogar die Leibwache, die Agrippina hatte, entzog er ihr. Sie schäumte Wut und sann gleich auf Rache. Sie hätte, wie den Gatten, so auch den leiblichen Sohn ruhig umgebracht, um zu herrschen.
Nero aber schwamm indes in Wonne wie die Forelle im Wasserstrudel, nahm Gesangstunden, pflanzte Statuen auf die Postamente, fuhr im Zirkus mit dem Viererzug, machte die Kutscher zu seinen Freunden, streute Geld, trieb sich in Bordellen und Kneipen um und ließ Regieren regieren sein. ›Hätte ich doch nie schreiben gelernt,‹ seufzte er, als er unter das erste Todesurteil eines überführten Verbrechers seinen Namen Nero setzen sollte. Was sollte daraus werden?
Lucius aber war von seltsamer Unruhe. ›Das Bücherlesen ist aus,‹ sagte er. ›Komm mit zu Seneka. Heute ist Festtag; da hat er vielleicht Zeit für uns.‹
Senekas Palast stand auf weitem Areal, ein Labyrinth von Räumen. Wie sich zurechtfinden? Die Prunksäle unbenutzt; zum Empfange Neros wurden sie eben damals neu ausgeziert. Der Trakt mit den Finanzbureaus war heute geschlossen. Aber da kamen Kuriere aus England, aus Afrika; denen folgten wir bis zum Vorraum des öden Saales, wo der Philosoph und Staatsmann heut' wie alle Tage mit seinem Personal arbeitete. Schreiber hockten, Läufer standen 163 bereit. Die Tür ging auf, und da war auch mein Vater und Galba; Seneka stand im Gespräch mit ihnen.
Wir warteten scheu hinter einer Statue des Sokrates. ›Gleicht er nicht dem Sokrates?‹ flüsterte Lucius ehrfurchtsvoll.
›Nein,‹ sagte ich; ›hier ist mehr; denn Sokrates hat kein Weltreich verwaltet wie dieser Weise.‹
Drei Feldherrn hatte Rom damals, die sich auf den großen Krieg verstanden: Corbulo, Galba und meinen Vater. Galba war ein Sprößling des Hochadels, und mein guter Vater war nichts gegen ihn. Hier trat uns Galba zum erstenmal entgegen. Dies wurde entscheidend für meines Lucius Schicksal.
Seneka drehte den Kopf; er sah uns, und Galba und mein Vater traten auf seinen Wink in den Säulenhof.
›Oho! ihr Jungen! was wollt ihr von mir Alten?‹ frug er; er hatte ein liebewarmes Auge.
Lucius stammelte eine Erklärung.
›So? ihr seid Freunde? Orest und Pylades? Und ihr wollt gut sein? Sieh' da. Wozu? Habt ihr große Pläne?‹
Er sah uns scharf an. Wir wurden bleich. Große Pläne? Er durchschaute uns wohl gar.
›Das Schlechtsein ist der Werkmeister alles Unglücks,‹ fuhr er fort; ›der Gute aber braucht Grundsätze: wahrhaftig sein, gerecht sein, niemanden zum Trug verführen . . .‹
›Wir haben es schon beschworen, wir beide,‹ rief ich; ›auf der Tiberbrücke . . .‹
›Habt ihr? Ich dachte es mir, Kinder. Was wollt ihr weiter?‹
164 Er nahm uns rechts und links, lehnte sich mit beiden Armen auf uns und führte uns so sachte in den Säulenhof. ›Da ist dein Vater,‹ sagte er zu mir. ›Werde Soldat wie Vespasian; der Staat wird es dir danken. Und du, Piso, du bist vaterlos. Hier aber ist Galba, der letzte der Sulpicier. Wenn er deiner sich annimmt, kannst du einen zweiten Vater in ihm finden. Wie wär' es, Galba? Deine Frau ist bei den Toten, und sie gab dir keine Kinder. Einen Sohn wolltest du dir annehmen in dein leeres Haus. Hier ist ein Nachkomme des großen Pompejus. Nimm ihn, erzieh ihn dir zu deines Namens Erben und deiner Tugend!‹
Galba sah uns mit einem leeren Ausdruck an. Er zählte schon sechzig Jahre. Er knurrte halb unwirsch, halb verlegen vor sich hin (es klang, wie wenn ein Hund im Traum aufbellt); dann schien er zu erwachen, und sein Blick haftete auf mir. So ist es mir immer gegangen; man hat mich immer vorgezogen. Und er sagte zu meinem Vater: ›Ja, ja! ein Sohn! Ich beneide dich, Vespasian, um den deinen. So kommt denn beide, ihr jungen Leute, kommt beide und besucht mich oft, solange ich in Rom bin.‹
Wir waren gegangen. ›Galba liebt dich und nicht mich,‹ stammelte Lucius in Eifersucht und konnte sich der Tränen nicht erwehren. Aber das war nur eine flüchtige Regung. Er blieb tapfer und strebsam, wie er gewesen, und wir warfen uns nun auf das Rapierfechten, wir ritten und schwammen im Tiber um die Wette, schweiften Tag und Nacht auf der Wolfsjagd zusammen in den wilden Sabinerbergen umher. Es 165 war wundervoll. Unsere Freundschaft wurde männlicher, und sie wuchs. Auch zum Galba gingen wir oft; der unterwies uns in Heereswesen und Staatsverwaltung, oft bissig und barsch und voll Ungeduld, aber doch in gut väterlicher Meinung, wie Seneka es wollte.
Über Lucius aber hing es wie Schwermut, die Schwermut des Selbstlosen, der sich sagt: ich recke mich nach Zukunft, ich habe alles Recht auf Glück, aber ein anderer wird es finden, und es ist der, an den ich mein Herz gehängt.
Da schlug schon gräßlich ein neuer Schlag in unser Leben. Nero wurde zum Mörder. Britannicus, der geliebte, starb. Nero vergiftete unseren Britannicus, und wir beide waren dabei zugegen. Von da an wuchs in Lucius der Nerohaß.
Aus herrlichem Topas war der Becher, in dem der Bruder dem Bruder beim Mahle den Gifttrank kredenzen ließ. Die Brüder lagerten sich am Rundtisch gegenüber, ich dem Opfer zunächst. Aus Freundschaft ergriff ich den Becher; ich wollte vorkosten, meine Lippen berührten den Wein schon: da riß ihn mir Nero fort, und ich kam mit Erbrechen davon. Britannicus sank plötzlich weg. Ich griff nach ihm: da lag er schon am Boden, eine Leiche. Ein Jammer faßte mich, durchschauerte mich. Nero kaute an einem Hühnerbein und befahl ruhig, ihn fortzutragen, als ob nur eben ein Teller zerbrochen wäre. ›Mein Bruder war immer schon Epileptiker,‹ sagte er kalt und aß ruhig weiter.
Nero, der lustige – was hatte ihn so verändert?
Agrippina war schuld. Seit Nero seiner Mutter 166 nicht mehr gehorchte, sann ihr ruheloser Geist auf Palastrevolution, warb sie in allen Kreisen, beim Senat, bei der Garde, für Britannicus; Britannicus sollte Kaiser sein. Es ging für Nero um Sein oder Nichtsein. Nero aber entdeckte jetzt, wie leicht für einen Kaiser das Töten ist.
›Lucius, gib acht! Das Schicksal will sich erfüllen. Nun lebt nur noch Nero. Er ist der letzte des Kaiserhauses, das sich von Augustus herleitet. Nero ist achtzehn Jahre. Die Götter geben, daß er keine Söhne und Erben hat, und dann?‹
Und dann?
Die so sprach, war Calpurnia, des Lucius Schwester, die Vestalin, die jetzt öfters zu ihrem Bruder kam, mit wachsendem Stolz auf ihn sah und ahnungsvoll große Zukunftsgedanken nährte. ›Und dann?‹ Keiner sprach den Satz zu Ende; aber auch in mir festigte sich der Glaube, daß es Vorbedeutungen, Orakel, daß es eine Zeichensprache der Götter gibt, und sei es auch nur ein Purpurei oder eine Schlange, die sich als Krone um das Haupt eines Kindes legt. Denn zu welcher anderen Sprache sollen die Götter greifen, wenn sie zu uns reden, uns für unsere Zukunft rüsten wollen?
Nero war vermählt. Er hatte schon als Knabe auf der Mutter Geheiß Oktavia, die Schwester des Britannicus, den er jetzt umbrachte, geheiratet. Daß er dies Mädchen nie berührte, in einem Zwiegefühl von Scheu und Abscheu, kann mich nicht wundern. Was bedeutete uns jungen Leuten damals die Ehe? Auch ich, auch Lucius heirateten eben jetzt; ich zweimal; 167 ich griff voll Ehrgeiz zu den vornehmsten Weibern. Aber ich habe mich von ihnen sofort geschieden. Die Römerinnen sind falsch und herzlos wie Hyänen; ich hasse sie. Doch blieb mir ein köstlicher Schatz aus jenen Zeiten; es ist Julia, meine Tochter.
Lucius war unendlich viel glücklicher als ich. Er nahm seine Verania zum Weibe. Die Kinderliebe bewährte sich, und es wurde eine Musterehe wie aus den frommen Zeiten des Königs Numa. Wie traulich war es fortan in seinen Stuben! Ein Sohn stellte sich bald ein, ja, auch noch ein zweiter, und es war nun an mir, den Freund zu beneiden. Er stand in seiner Blüte.
Sein ganzes Wesen war wie hochgeschnellt. Unsere kriegerischen Leibesübungen gingen weiter. Obschon er der Schwächere war, kam er mit zäher Willenskraft dahin, es mir in allem gleich zu tun. Nur im Pfeilschießen nach Perser-Art übertraf ich ihn. Es war ein Triumph, es war ein reges Leben. Man nannte uns damals die Dioskuren, das heißt die Zwillingssöhne des Zeus.
Damals ist auch die Statue, die dort vor uns steht, sein ausdrucksvolles Ebenbild, gegossen worden. Da siehst du, wie er war: gespannt und herbe, ohne Lächeln; etwas übermenschlich Reines und Sonnenhaftes in ihm; aber eine Sonne, vor der ständig eine Wolke steht. Wie oft riß ich an der Wolke! Sieht nicht sein schwarzes Auge im klaren Augenweiß so aus, als wäre es feucht von heimlich vergossenen Tränen? Niemand hat diese Tränen gesehen.
Galba, der alte Knurrbär, war mit ihm und mir 168 wohl zufrieden; aber er verließ Rom und hatte die Adoption nicht ausgeführt. Er hatte nicht Lucius, er hatte mich adoptieren wollen, und mein Vater hatte dem auch schon zugestimmt. Denn mein Vater selbst hätte dabei nichts verloren, und für mich wäre es ein gewaltiger Vorteil, ein Aufrücken in den Hochadel gewesen. Aber Galba war ein sonderbarer Kauz; er kam nicht zum Entschluß: immer schneidig, eisern und entschlossen durchgreifend als Soldat und Beamter; da war er die Disziplin selbst, und der Staatswille stand gleichsam hinter ihm. Umso ratloser war er dagegen, wo es sich um sein eigenes Wohlergehen handelte. Da machten seine Diener, vor allem der findige Gauner Ikelus, für ihn alles. Gab es zu Tisch hier Kapaunen, dort Schnepfen, dann saß Galba verlegen und nahm nichts, bis Ikelus ihm den Kapaun hinhielt. So ging es auch mit seinen Stiefeln (er hatte gichtisch geschwollene Füße), so auch mit seinen Reitpferden. Ikelus mußte die Wahl treffen.
Als Galba plötzlich nach Spanien abging, wo sich gefährlicher Aufstand regte, trauerten wir ihm nicht nach, Lucius am wenigsten, der jetzt mit seiner Verania wohlgeborgen im Palast des großen Calpurnius hauste. Den Schaden hatte nur Galba selbst. Er hat dann in Spanien jenseits des Ebro den Aufstand glänzend niedergeworfen und das schöne Land dort weiter sieben Jahre lang trefflich und wie ein rechter König verwaltet. Sein Ruhm wuchs, aber auch sein Alter.
Soweit war alles gut. Da traf Lucius das Unglück.
In dem Kastell draußen jenseits des Viminal lag 169 damals wie heute die kaiserliche Garde der Prätorianer in Garnison. Was wären wir Kaiser ohne ihren Schutz? Ja, die Garde macht gelegentlich selbst den Kaiser; den Claudius hatte sie zum Kaiser gemacht. Wie kam Nero, der nichts Militärisches hatte, mit der gefährlichen Bande aus? Verschwenderische Geldgeschenke machten alles; auch suchte er seine Freunde geflissentlich unter ihren Offizieren.
Eines Tages kam Otho, der Schöne, mit einem der Offiziere, dem frechen Tigellinus, zu Lucius und legte ihm nahe, Gardeoffizier zu werden. Lucius lehnte es ab.
Als er mir das erzählte, war ich außer mir: ›Weißt du nicht, was für Hoffnungen sich für den auftun, der das Kommando bei den Prätorianern hat?‹
›Ich weiß es wohl,‹ gab er zurück. ›Die 8000 Mann, die in der Zwingburg über Rom lagern und den Senat bedrohen, zeitlebens keine Schlachten schlagen, aber sich mit goldenen Waffen putzen, sich Dirnen in der Kaserne halten und den kaiserlichen Fiskus melken, indem sie mit Revolten drohen: das ist nichts für mich. Und dieser Tigellinus ist der schlimmste.‹
Die Straße war, als wir so sprachen, voll drängender Volksmassen, die aus dem Theater strömten. Denn Nero hatte an dem Morgen zum erstenmal im Theater vor dem Volke Roms gesungen. Da kam an uns eine Sänfte vorbei, die von zwölf arabischen Knechten getragen wurde. Lange Dolchmesser trugen die Kerle im Gürtel. Die Kaiserin-Mutter Agrippina saß in der Sänfte. Plötzlich ließ sie halten, neigte sich heraus und winkte uns. Auf dem Dach der Gondel schwebten 170 Amoretten auf silbernen Wolken. Ihr bleiches Gesicht stand stolz und kalt im Rahmen des Fensters wie eine Juno, die mit ihrem Groll den Himmel erfüllt; aber ein Nimbus von Goldlicht schien sie zu umschweben; es war der Widerschein ihres blendenden Geschmeides, in dem die Sonnenstrahlen sich verfingen.
›Ihr seid's! die Dioskuren! die Unzertrennlichen, von denen die ganze Stadt weiß,‹ sagte sie verbindlich; aber ihr Organ klang rauh. ›Nur auf ein Wort. Ich bin in Eile. Aber wollt ihr mich nicht aufsuchen? Es wäre eine Wohltat für mein Herz. Denn ihr seid es, die dem teuren Britannicus die Treue hielten.‹ Die eiserne Maske ihres Gesichts zerschmolz; eine bestrickende Huld strahlte aus ihm. Dann zog sie hämisch den Mund: ›Habt ihr den Nero vorhin, habt ihr meinen herrlichen Sohn bewundert, der da, statt in den Krieg zu ziehen, als Sänger sich zeigt? Es fehlte nur, daß er tanzte vor dem Pöbel.‹
Ein ohnmächtiger Haß schlug aus ihren Augen. Wir standen sprachlos, verneigten uns in pflichtgemäßer Huldigung, und keiner fand ein Wort, als Otho, der Schöne, mit Tigellinus des Weges daherkam. Die zwölf Araber setzten sich in Trab. Agrippina verschwand.
›Mit wem spracht ihr da? Ihr Unvorsichtigen!‹ näselte Tigellinus mit gespreiztem Gestus. Wir nannten den Kerl den Flamingo; denn er trug sich im schneeweißen Rock mit scharlachrotem Unterfutter und hatte unendlich lange Beine und eine vornübergekrümmte Nase wie ein Flamingoschnabel.
›Ja, Agrippina!‹ fiel Otho ein. ›Wißt ihr nicht, 171 daß es heute gefährlich ist, mit ihr zu sprechen? Sie geht um auf der Suche nach Freunden unter den werdenden jungen Größen Roms; sie schmiedet aufs neue Ränke gegen ihren Sohn, der nicht will, daß ein Weib ihn und die Welt beherrscht.‹
›Aber, natürlich: eure Begegnung war nur Zufall, und wir schweigen, wir verraten nichts,‹ fiel wieder Tigellinus ein, nickte gnädig mit einem schmierigen Lachen in seinem langen, verlebten Gesicht und wedelte dabei mit den Händen wie ein Vogel. Die Volksmasse drängte nach. Wir ließen sie ziehen.
Otho hatte recht: Nero sollte fallen. Agrippina suchte immer noch nach einem Ersatz für ihn. Lucius konnte Kaiser von Agrippinas Gnaden werden. ›Wie schön, daß sie unseres Britannicus gedachte,‹ sagte er bewegt. Aber wir widerstanden. Die mächtige Frau hatte uns umsonst gelockt.
Nicht lange danach war Zauberfest im Palast des Oheims, des großen Calpurnius. Die ganze leichtlebige vornehme Welt strömte zusammen; auch schöne Frauen fehlten nicht. Ein Orchester von hundert Harfen. Frische Rosen, die in Girlanden von Säule zu Säule sich wiegten. Indische Spezereien, die aus goldenen Schalen dufteten. Alles war in Erwartung, ob auch der Kaiser käme. Die Nackttänzerinnen warteten hinter dem Vorhang und lugten bisweilen neugierig durch den Spalt; sie wollten erst auftreten, wenn Nero da war. Er kam nicht. Und Otho, der Schöne, wurde mit Fragen bestürmt; aber er schwieg geheimnisvoll und flüsterte nur der Sabina ins Ohr, was er wußte. Was war es? In Sabinas Gesicht stand ein 172 Ausdruck der Verachtung. Es war Sabina mit den Sphinxaugen.
In einem der Vorsäle fand ich Verania mit anderen jungen Müttern, die von nichts als von ihren kleinen Kindern sprachen. Ihr behagten die Orgien der Üppigkeit nicht, und sie wollte eben sich entfernen: ihr jüngster Knabe, sagte sie, liege im Fieber. Da trat von draußen der Flamingo herein, Tigellinus, mit klirrenden Ketten behangen, das Schwert mit einem Diamantgriff an der Hüfte, und ich hörte, wie er zu Verania sagte: ›Wo ist Piso, dein Gatte, dein Abgott, schönste Frau?‹
Sie suchte ihm auszubiegen. Er grinste sie an, und sein großer Unterkiefer sprang vor: ›Hier, wo die Schönheit ihre Feste feiert, will eine Verania fehlen? Bleib' hier, und die schönste Rose für dich!‹
Der Geck riß eine Blume aus der Vase und gab sie ihr.
›Piso, den du suchst, ist im Büchersaal,‹ sagte sie kurz und beeilte ihre Schritte. Sie war fort. Erst draußen hat sie die Rose fortgeschleudert. Inzwischen führte ich Tigellinus zu Lucius.
›Ich weiß, du sehnst dich nicht nach mir, du Strengster der Gestrengen,‹ begann er zu ihm in leichtem Ton. ›Ich aber suche dich im Namen des Kaisers.‹
›Was ist?‹
›Ein frohes Wort hab' ich dir zu entbieten.‹
Lucius sprang aus dem Stuhl.
›Nero, unser Herr, läßt dich bitten, sein Freund zu sein und als sein täglicher Tischgenosse hinfort an der kaiserlichen Tafel teilzunehmen.‹
173 ›Mich?‹
›Schon morgen.‹
Lucius wurde bleich. Ich wußte, was er jetzt dachte: wenn Kaiser bitten, ist es Befehl. Aber war es nicht die günstigste Fügung? Dies war mehr als Gardeoffizier. Die Stellung als ›Freund des Kaisers‹ ist ein Hofamt, das, wie kein anderes in der Welt, Ehre und Ansehen, das aber auch Macht gibt, ja, unberechenbare Möglichkeiten eröffnet. Aber freilich, man muß dabei einen Nero in den Kauf nehmen, muß mittun im Guten und Bösen, man muß lächeln können, wenn man verachtet.
Tigellinus lachte auf: ›Dieser Mensch bleibt stumm. Wie er nur dasteht! Titus Flavius hier ist mein Zeuge: dies Gesicht strahlt nicht von Freude.‹
›Die unerwartete Gnade verwirrt mich,‹ sagte Lucius betreten. ›Ich bringe unserem Herrn die Antwort selber. Wann darf ich ihn sprechen?‹
›Danach frage seine Kammerdiener, nicht mich. Es gibt übrigens guten Wein und Braten am Hofe des Göttlichen. Ich fehle da selten und werde unserem Herrn morgen dies unser Gespräch erzählen. Sein Verlauf war wenigstens neu.‹
Danach tauchte Tigellinus im Meer der Gäste unter, die vielhundertköpfig den Hausherrn, den großen Calpurnius, umwogten, und überall flüsterte er bedeutsam: ›Ihr dürft euch heut' nicht stören lassen; der Göttliche kommt nicht. Warum kommt er nicht? Ihr wißt, er ist jung und er liebt.‹
Liebt?
Und alles raunte: ›Nero ist bei seiner Akte. Der 174 Kaiser bei einer Sklavin! Ist es nicht erhaben und außerordentlich? Sein Herz ist ohne Stolz. Der Gott läßt sich zu einer Zofe herab.‹
Die Harfen klangen; die Tamburine rasselten; das Fest wurde jetzt rauschend. Der Vorhang löste sich; die geschmeidigen syrischen Tänzerinnen tanzten ihren Schleiertanz. Der Bajazzo machte seine Possen und verteilte im Namen des Hausherrn kostbare Geschenke. Man aß und trank an den vergoldeten Tischen und kicherte, schrie und sang, und die Gespräche wurden schon loser und lärmender, als auf einmal alles aufsprang, als schlüge ein Blitz in den Raum. ›Der Kaiser kommt!‹ schrie man. Die Türen flogen auf, und da war er schon, Nero, würdelos, springend wie ein Junge; so rannte er durch die Flucht der Säle, fast atemlos, nach allen Seiten lachend und grüßend. Seine Stimme klang gellend: ›Wo ist er, unser Wirt? Nur nicht böse sein, Teurer, daß ich doch noch komme, so spät komme! Natürlich ganz unerwünscht! Aber ich komme gern.‹
Alles bildete Spalier und beugte sich dreimal tief (wie eine rollende Welle im Meer wogte die Verbeugung durch den Saal). Nero streckte die fleischigen Hände hin und ließ sich die beringten Finger küssen. Die ganz Devoten küßten ihm auch den Fuß, als er sich auf den Diwan warf. Ein dicker Lorbeerkranz saß ihm schief über den gebrannten gelben Locken. Das schleppende Seidenkleid, das in sieben Farben spielte, ließ den schwammigen Hals offen, und bei jeder Erschütterung, wenn er lachte, wackelte das Halsfleisch sonderbar. Aber er war so huldvoll, er schien so 175 arglos! Er war wie einer, der aus einem wollüstigen Traume eben halbwach in die Welt hinaustritt. Wer sollte ihm gram sein?
Die Nackttänze wurden wiederholt; währenddessen aber hörte man sein Geschwätz ohne Ende. ›Bin ich nicht der glücklichste Mensch?‹ ging es, und jedes Wort von ihm wurde natürlich bewundert. ›Ja, der Glückseligste! bin ich es nicht? Die Liebe, die Liebe! Die Liebe ist allmächtig. Was hilft's? Auch Jupiter liebte die Semele. Meine Semele hielt mich heut' so lange fest. Es ist alles ganz sauber bei ihr. Aber sie schmolz gleichsam in meinen feurigen Händen. Sie ist noch so zart und jung. Da mußte ich sie schonen, und da bin ich.‹
Plötzlich rief er: ›Eine Maske her! Ich will singen. Der Gott Apoll regt sich in mir. Eine Frauenmaske! Aber sie darf nicht zu schwer sein; denn mir ist warm.‹
Eine Maske kam. Da griff er sich gleich eine der vornehmsten jungen Frauen; es war jene Sabina, Poppäa Sabina war es, die neben Otho lagerte. ›Hilf mir, schönste Frau, daß ich mich als Phädra zurechtmache.‹ Und Sabina verschwand mit ihm girrend und lachend in einem der Seitengemächer. Sie schmückte den Kaiser.
Alles sah Otho an: das hatte etwas zu bedeuten! Otho der Schöne wechselte die Farbe. Sabina war damals die Gattin des Faustus, aber des Otho erklärte Geliebte. Jetzt griff der Kaiser nach ihr. Dem Kaiser gehörte alles in der Welt, warum nicht auch die Geliebte seines Freundes? Otho zog seinen 176 Spiegel aus dem Busen und betrachtete sich ängstlich; dann schminkte er sich mit Rot, wie die Frauen es tun, mit Hilfe einer Puderquaste; denn er dachte: ich bin kreidebleich, und man soll es nicht merken.
Den Gesang, der nun folgte, will ich nicht schildern. Nero sang den Tod der Phädra. Schön war es nicht. Die Leier spielte er höchstselbst dazu. Aber er blieb mitten im Text stecken und spitzte seinen kleinen, sinnlichen Mund in der Pause wie ein Windgott, der im Begriffe ist loszublasen. Umsonst! Er warf die Maske weg, verbeugte sich rasch, wie die Histrionen das tun, und stürzte zum Calpurnius: ›Habe ich Fortschritte gemacht? Du bist Musikkenner, und du sagst ja? Ja, so ist es. Das goldene Zeitalter ist unter Nero erschienen und die Freude, die Schönheit und der Gesang der Musen.‹
So war er damals, gutmütig und fiebernd eitel, strahlend in Gnade und nach Bewunderung und Liebe lechzend. Von Blutdurst war nichts mehr zu merken, Britannicus vergessen. Und in der Tat: Alles schwärmte für ihn, ganz aufrichtig, das kleine Volk, die Kutscher, die Mägde, die Soldaten, alle ehrgeizigen Weiber. Schwerer war es freilich für ihn, die Herzen der vornehmen Männerwelt zu berücken.
Der Schlemmer Calpurnius öffnete jetzt seine Thermen; Trompetenstöße verkündeten das. Es war der Schluß des Abends. In den Thermen war es wonnig kühl; man atmete Erfrischung. Die Gewölbe prunkten in Jaspis und Edelsteinen, in Gold und Elfenbein. Springbrunnen perlten, schlanke Marmorbilder spiegelten sich in den Becken. Durch die weiten Grotten 177 der Korridore schoben sich die plaudernden Menschengruppen dorthin. Ich hielt Lucius zurück.
›Sei klug! Tigellinus sprach schon mit Nero,‹ so warnte ich ihn. ›Willst du dich zugrunde richten? Du mußt dich endlich dem Kaiser nähern, für seine Gnade deinen Dank stammeln. Mut, Freund!‹
Eine bebende Erregung ging durch die Gestalt meines Freundes.
›Tischgenosse des Nero!‹ fuhr ich fort. ›Wer weiß? Es führt dich zum Ziel, zur Größe. Denke an die Zukunft. Nero ist unberechenbar, auch im Guten.‹
Unberechenbar? freilich! Denn da stand er leibhaftig dicht vor uns. Neros immer in Neugier herumschweifendes Auge hatte uns eben entdeckt.
›Da bist du, Piso!‹ rief er und zog Lucius am Rock näher zu sich heran. ›So muß ich dich suchen? Du sollst mein Freund sein. Es bestürzt dich; du wunderst dich. O, ich verstehe das. Aber es hilft dir nichts. Mein Herz verlangt gerade nach dir, du Seltener, Unverfälschter! Leute mit sogenannten strengen Grundsätzen: ich weiß, es gibt davon jetzt einen ganzen Haufen bei uns in Rom; die fürchten mich wie die Sünde, und es ist wahr: ich kann nicht sein wie sie. Aber ich brauche euch – eben darum! Ich brauche auch ernste Gesichter um mich, wahrhaftig, so wie deines. Wie stolz, wie stolz werde ich auf meinen Lucius sein!‹
So deklamierte er und küßte ihn auf beide Backen, legte den Arm um ihn mit zärtlicher Allgewalt und zog ihn so mit sich fort durch die Menschenmenge, und zu allen sagte er: ›Hier ist mein neuer Freund, Piso, 178 der Neffe. Seht ihn nur. Einer der ganz Tüchtigen aus unserer Jugend. Ich bin stolz, stolz auf ihn.«
Alles sah mit Staunen auf die zwei. Nur Otho und Tigellinus lachten; Otho lachte leise, Tigellinus frech und laut. Lucius war wehrlos. Ich habe nachher alles von ihm selbst gehört. Nero ließ ihn nicht los, als wäre er seine Geliebte, in Unzertrennlichkeit. Er war der Allbesieger.
Sabina ärgerte sich sichtlich. Sie ging. Otho schlich ihr nach. Da ging plötzlich auch Nero.
Spalier und Handküsse, wie zu Anfang. Man hauchte: ›Die Sonne geht unter.‹ Lucius aber mußte den Allmächtigen zu seiner Sänfte begleiten. Fackelträger standen draußen, Soldaten, gätulische Neger, die die Gondel hoben.
›Also auf morgen!‹ sagte Nero, aus der Sänfte heraus. ›Du kommst morgen zu mir.‹
›Ich kann nicht,‹ stammelte Lucius.
Nero sprang wieder aus dem Tragbett.
›Ich kann es dir erst hier, wo wir allein sind, bekennen. Ich bin von deiner kaiserlichen Gnade beglückt; zürne mir nicht, wenn ich mich weigere.‹
›Bist du verrückt? und weshalb?‹
›Ich war Freund und Tischgenosse des Britannicus. Wie kann ich der deine sein? Denn du hast . . .‹
Weiter kam er nicht. Ein Hieb traf ihn. Nero hatte seine Gerte aus der Sänfte gerissen und hieb ihm damit übers Angesicht.
›Du hast den Satz nicht vollendet,‹ fauchte er. ›Geh' 179 mir aus den Augen, Undankbarer. Du hältst zu meiner Mutter; aber du sollst von Nero hören.‹ Der Schaum stand ihm auf den Lippen.
Tilgung aus der Bürgerliste; lebenslängliche Verbannung; ausgeworfen aus der Gesellschaft! Ein Deportierter! Damit war meines Freundes Zukunft entschieden. Tigellinus brachte den Befehl: ›In vierundzwanzig Stunden mußt du Rom verlassen haben. Die Schaluppe für Sträflinge liegt in Ostia bereit.‹
Grauer Himmel. Herbstliche Stürme. Auch Verania kam zum Hafen; auch sie bestieg mit den Kindern das Schiff; die Tapfere teilte seine Verbannung. Wohin? niemand wußte es. Es war ein großes Trauern. Mein Freund bereute nichts; er stand wie eine Granitmauer auf seinen Grundsätzen. Aber der Stoß ging tief. Wir preßten uns die Hände und starrten sprachlos, wortlos in die leere Ferne, auf das endlos anrauschende Meer, das Grab seiner Hoffnung.
›Sei du glücklich,‹ sagte Lucius nur immer wieder. ›Es bleibt nur noch dies, Titus, daß du glücklich bist.‹
Aber auch seine edle Schwester war zum Abschied erschienen, Calpurnia, die Vestalin. Sie war hochgewachsen, großzügig und herrlich, eine Feuerseele. ›Da steht ihr in Kleinmut! Ich aber glaube an Vorzeichen,‹ sagte sie fest. ›Sei wach, Bruder. Ich werde sorgen, daß du aus Rom nicht ohne Kunde bleibst. Das Gebet ist der Vestalin Beruf. Die Vestalin betet für Nero, weil sie muß; sie betet für ihren Bruder, weil sie will. Welches meiner Gebete wird Jupiter hören?‹
180 ›Du betest für Nero, der deinen Bruder ins Gesicht geschlagen,‹ ächzte Lucius. Er verschwand in der Öde. Wo war die Macht, den Hieb zu rächen?«
* * *
Hier verstummte Titus, der Erzähler. Es war, als ob er noch immer in die Öde starrte. Hermogenes, der Grieche, erhob sich gleich: »Du bist müde, Herr,« sagte er, »und ich raube dir die Zeit, die so kostbar ist.«
Titus schüttelte den Kopf und lauschte zum Ausgang. »Hörtest du nicht draußen das dumpfe Brummen? Saevus, mein Löwe, grollt und murrt, als fühle auch er den Hieb des Nero.«
Der Grieche achtete nicht darauf. »Darf ich aufschreiben, was du mir erzählst?« fragte er dringend.
»Ja, schreibe es auf in deiner schönen Sprache; das ist, worum ich dich bitte. Mein Freund soll mir in der Geschichte der Menschheit nicht vergessen werden, und wer von mir weiß, soll auch von ihm wissen. Du bringst mir das Werk, das du geschrieben, und ich prüfe es nach. Dann brauche ich heute nicht zu sagen, daß ich diesen Tag verloren habe.«
Titus eilte hinaus und öffnete den Käfig. Der Löwe war gut gefüttert und ohne Groll; so stand er erst breit auf seinen Füßen wie aus Bronze gegossen, reckte den Nacken königlich hoch und äugte, dann streckte er sich katzenhaft, gähnte laut und dröhnend, leckte sich die Schnauze und legte sich endlich fromm zu des jungen Herrschers Füßen, das schwere Haupt auf den Tatzen.
»Du fürchtest dich nicht mehr vor ihm?«
»Ich merke, solch' Tier ist ein Symbol,« versetzte der Grieche voll Andacht. »Was ist das höchste Gut? 181 Die gebändigte Leidenschaft ist es, und der gezähmte Löwe ist das Symbol der gebändigten Leidenschaft. Er ist wie ein Heiligtum.«
»Hörst du? Saevus, Saevus, du wirst heilig gesprochen von den Philosophen!« scherzte Titus. Da kam aus dem Seitengemach ein Mädchen herein.
»Julia! was willst du, meine Tochter?«
»O, Saevus ist doch sanft?« sagte Julia;»er tut meiner Canicula nichts? Canicula, mein Hündchen!«
Julias Windspiel war mit hereingeschlüpft, beschnüffelte keck verwegen den Löwen, der nur einmal die großen Augen aufklappte und sich nicht regte, und der Hund legte sich zu ihm an seine Flanke in aller Vertraulichkeit.
»Was bringst du, Julia?« wiederholte Titus. »Sieh, hier ist ein Tischgast, mein weiser Freund Hermogenes aus Andros.«
Julia, das reizende Mädchen (sie zählte erst dreizehn Jahre) streckte dem Griechen freudig die Hand entgegen. »O, Großvater läßt fragen, ob dir zu Tisch heut' Rüben genügen, Rüben und Speck.«
Ein schallendes Gelächter war die Antwort: »Da hast du etwas für dein Geschichtswerk, Hermogenes. Der große Kaiser Vespasian liebt die Rüben aus Nursia. Aber nein, mein Kind. Sag' dem Großvater, heut' sind der Gäste mehr; auch die zwei Männer, die nach mir stechen wollten, habe ich zu Tisch befohlen, und ich lasse um Wildschwein bitten.«
»Um Wildschwein?« Julia schlug die Händchen zusammen. »O, o, das ist ein Aufwand. Und die zwei Missetäter kommen auch?«
182 »Du siehst, Hermogenes, wie sparsam mein Vater ist. Wär' es anders, hätt' ich das Geld nicht, das ich streue.«
»Nun aber sag', Väterchen, was plaudert ihr hier nun schon so lange?« schmeichelte die Tochter. »Darf ich nicht mit zuhören?«
»Nein, das darfst du nicht, du bist noch zu jung.«
»Ich darf nicht? und ich darf auch das Bild nicht sehen?«
Julia wies auf das verschlossene Bild der Berenike. »Zu jung! Muß ich erst so alt werden wie dieser gute Freund? Ich beneide ihn um seinen Graukopf.«
»Nun geh', meine Tochter,« drängte der Kaiser. »Ist Verania nicht da? Geh' zur Verania, Kind.«
Julia trat zu dem Griechen und sagte feierlich ^»Die Götter mit dir! Du mußt gut sein; denn du gefällst meinem Vater.«
Dann griff sie ihr Windspiel am Halsband, umschlang und küßte das Väterchen und war fort mit einem Sprunge.
Eine Pause entstand. Titus schmunzelte vor sich hin.
»Welch' holdes Mädchen!« sagte Hermogenes.
»Und fügsam!«
»Wahrlich, du bist glücklich, Titus. Was dein Freund Lucius von dir hoffte, ist wahr geworden: das kaiserliche Diadem schmückt deine Stirn. Und Julia ist deine Tochter!«
»Verania war's, die Witwe meines Lucius, die das Kind mir so prächtig erzog. Ich hätte das nie vermocht. Ich bin zu weich mit dem Kinde. Verania, die 183 noch lebt, ihr hab' ich es zu danken. Ich begrüße sie oft in meinem Hause, die edle Zeugin jener fernen Tage. Du möchtest noch erfahren, wie Lucius sein Geschick vollendete? ob Jupiter die Gebete der Vestalin hörte? Wir haben noch Zeit genug; das Wildschwein ist noch nicht gebraten, und ich bringe meine Erzählung rasch zu Ende.
* * *
Ich muß aufs neue von mir reden. Zehn Jahre sah ich meinen Freund nicht wieder. Wir wechselten Briefe, aber das ist kein Ersatz. Ich bin durchaus kein Musterknabe; ich lebte darauf los, und mir ging es herrlich in der Welt. Zu den senatorischen Staatsämtern rückte ich glatt auf und kam als Offizier zu den Legionen draußen, an den Rhein und nach England, wo es immer zu kämpfen gibt. Ich machte es nicht besser und nicht schlechter als viele andere. Da draußen zu schalten und zu walten, das ist Hochgenuß. Im Norden die wundervollen Menschenrassen, die muß man im Urstand sehen. Eine Germanenjagd ist schöner als eine Löwenjagd. Im verkommenen Rom, da schämt man sich ein Römer zu sein; erst draußen an den Grenzen, da erwacht die alte Römertugend.
Was indes in Rom geschah, hörte ich nur aus der Ferne. Ich hörte es mit Spannung und mit Abscheu.
Nero begann mit den Dingen und Menschen wie ein übermütiges Kind zu spielen. Er wurde sich seiner Macht immer mehr bewußt. Um Sabina zu heiraten, schickte er Otho, den Freund, aus Rom zum Galba nach Spanien, und Sabina, das Weib mit den Sphinxaugen, wurde Kaiserin. Aber Oktavia, seine erste 184 Gattin, lebte noch. Oktavia mußte sterben. Das ging rasch. Vorher aber hatte schon Agrippina, die stolze Mutter, sich verblutet. Nero hatte immer Angst vor ihr, und auch der Sabina war sie verhaßt. So kam es zum Ungeheuerlichsten, zum Muttermord. Das Messer seiner Kriegsknechte drang in den Schoß, der ihn geboren.
Die Wirkung blieb nicht aus. Er hatte die Schranken der Natur übersprungen, und das Grauengefühl erstickte fortan in ihm alle natürlich gesunden Triebe. Und Rom lächelte noch immer; die Gesellschaft stieß ihn nicht nieder; er merkte, daß sie sich alles bieten ließ. Der Unglücklichste von allen aber war Seneka, der treue Hüter des Reiches, der immer noch auf seinem Posten der Reichsverwaltung ausharrte, bis Nero ihm ungeduldig die Zügel aus den Händen riß. Seitdem war Tigellinus der geschmeidige Berater Neros.
Jetzt endlich kam es zur Verschwörung. Denn bei den Legionen draußen an den Grenzen wuchs die Mißstimmung, weil Nero, kriegsscheu, sich nie persönlich beim Heere zeigte. Offiziere kamen aus dem Orient nach Rom mit dem Plan, ihn zu beseitigen; den großen Calpurnius, den fürstlichen Schlemmer, den wollten sie zum Kaiser machen. Man zauderte noch, und die Zahl der Verschwörer wuchs; aber Neros Sbirren, seine Spione, horchten gut; sie erkundschafteten alles, und das Blutgericht begann. Wie in Tollwut griff Nero seine Opfer, Schuldige und Unschuldige. Hinrichtungen zu Hunderten. Nicht nur Calpurnius, auch Seneka, der völlig Schuldlose, mußte nun sterben. Wie tief mich das traf, magst du dir denken. Es war ein Wunder, daß Lucius in seinem Exil am Leben 185 blieb; Nero hatte ihn vergessen. Ein Geschenk der Götter! Lucius lebte; das tröstete mich.
Nero war kerngesund trotz des Lotterlebens, das er führte; aber er hatte immer noch keine Leibeserben. Denn auch Sabina, die Kaiserin, starb plötzlich; Nero mißhandelte sie in der Trunkenheit, als sie gebären wollte. Einerlei! Er war noch nicht dreißig Jahre alt und in seiner Allmacht nunmehr völlig gesichert. Der Eigenwille der Senatsherrn war endgültig gebrochen; niemand wagte sich an ihn. Und jetzt enthüllte er seine phantastisch-großen Pläne: das Reich der Schönheit sollte beginnen. Rom ging in Flammen auf. Rom verbrannte. Über Esquilin und Quirinal, ja, über vier Hügel der Stadt fegte die Brunst, alles einäschernd, durch die tausend Winkelgassen des kleinen Bürgertums. Wer hat sie gezählt, die hunderttausend Obdachlosen, die aus Schutt und Brand ihr nacktes Leben retteten? Für Nero aber war es ein Freudenfeuer. Denn gleich begann er prachtvoll den Neuaufbau der Stadt nach seinen höchsteigenen Plänen. Tausend Werkmeister und Künstler hatten zu tun, alles roch nach Kalk, Mörtel und Tünche, und alle sperrten den Mund auf vor Staunen: Rom die Residenz der Schönheit, eine Herberge der Götter! Der beleidigte die Majestät, wer nicht ah und oh schrie vor Entzücken. Die reichen Steuern aus den Provinzen verschwanden dem großen Bauherrn unter den Händen.
Dann aber bemächtigte sich Nero meines Vaters. Mein biederer Vater im Dienst der Schönheit? Es war zum Lachen. Nero reiste als Sänger nach Griechenland; die Schönheit sollte da im Gesang aus der 186 kaiserlichen Kehle fließen. Dreitausend bezahlte Leute schleppte er mit sich, die in den altehrwürdigen griechischen Theatern für Beifallsstürme zu sorgen hatten; aber auch meinen Vater. Denn ein Römer in glänzender Feldherrntracht mußte dabei sein, um den Kaiser im Publikum zu vertreten, wenn er selbst oben auf der Bühne stand.
In zwanzig, dreißig Städten gab Nero Konzerte. Meinem Vater war Musik etwas Schreckliches. Er wurde seekrank, fingierte Zahnschmerzen, Kolik, um sich aus dem Theater zu retten. Als das nicht mehr half, schlief er rettungslos ein. Wenn Nero die Kassandra zu Ende gesungen hatte und sich zum Publikum herabließ und alles sich huldigend erhob, lag sein Feldherr schnarchend vor ihm im Stuhle.
Nero war giftig, er keifte fürchterlich, und wer weiß, was noch daraus geworden wäre (denn Nero konnte grenzenlos hassen), hätte nicht eben damals das Schicksal mächtig eingegriffen. Der Judenkrieg brach los, der wilde Judenaufstand: Jerusalem im Kampf gegen Rom, Jehova gegen Jupiter. Nero brauchte einen Feldherrn. Mein Vater war ihm dafür gut, und damit tat sich auch mir die Zukunft auf. Mein Vater stellte die Bedingung: »Gib mir meinen Sohn Titus als Legaten mit.« Ich stand in Köln. Nero beschied mich nach Rom zur Audienz. Den Feldzugsplan gegen Jerusalem entwarf mein Vater; ich aber sollte die Schlachten schlagen.
Freilich war ich nicht ohne Sorge. Ich durchschaute Neros Plan. Denn wie ging es mit Corbulo, dem großen Feldherrn, der in Armenien siegte? Als 187 Corbulo sein Kriegswerk vollendet hatte, lud ihn Nero gleißnerisch zu sich; Corbulo kam, und Nero ließ ihn gleich erstechen. So war es. Die bedeutenden Militärs mußten für Nero arbeiten, um dann zu sterben; denn er witterte in jedem von ihnen seinen Nachfolger. So würde es gewiß auch meinem Vater gehen.
Wie war mir, als ich nach Rom kam und mein Lucius fehlte! Auch Seneka war tot, Galba fern, das stolze Pisonische Haus verfallen; und ich erkannte die Stadt selbst nicht wieder. All die neugebauten Quartiere! Auf dem Quirinal ganze Straßen noch unfertig mit hohlen Wänden! Überall ein Hämmern und Pochen, starrendes Balkenwerk, Krane und Winden. Unzählige arme Leute lebten noch immer wie die Wilden in Zelten auf den freien Plätzen. Ihr leises Jammern wurde übertönt von der tollen Lustigkeit der Masse: Nerorausch, als wären ewig Saturnalien. Es roch gleichsam in Rom nach Brand, Blut und Sünde. Eine schwüle Stimmung.
Ich suchte Nero. Er hatte am hellen Mittag mit Schauspielern, Künstlern und Buhldirnen im offenen Zirkus gespeist; der Pöbel füllte die Ränge und sah der Gasterei von oben zu. Es war eine besondere Gnade, daß der Göttliche mich nicht morgens, sondern nach dem Mahl und nach seiner Mittagsruhe empfangen wollte. Ich betrat sein unermeßliches goldenes Haus; endlose Vorräume, Galerien, Höfe und Säle, deren Wände und Decken in numidischem Marmor, Achat, Edelsteinen, Gold und echten Perlen strahlten von oben bis unten. Durch die Spaliere von 188 Kriegsknechten und Lakaien hindurch! Ich gab auf nichts acht. Dort, hinter der vergoldeten Tür, da würde ich Nero sehen, den Mann, der seine Mutter gemordet, der meinen Lucius geschlagen hatte.
Und da stand er vor mir. Der kreisrunde Prunksaal war künstlich verdunkelt. An den hohen Wänden bis zur Kuppel spielten im Zwielicht weiße und goldene Schatten. Der Herrscher hatte sich wie ein Theaterkönig so gestellt, daß ein Lichtstreifen blendend auf ihn von der Seite fiel, und er schien selbst zu leuchten.
Er maß mich mit mißtrauisch scheuen Blicken, als dächte er, ich wäre stärker als er und könnte ihn packen. Dann löste sich sein gekniffener Mund: ›Ei, Titus Flavius, sei deinem Herrn willkommen.‹ Seine Rede ging hochstimmig, fast im Fistelton. ›Immer noch ehelos? wie? Man erzählt gar keine Abenteuer von dir. Die Ehe ist eine Schinderei! Brutanstalt, von den Banausen ersonnen. Freiheit über alles! Du denkst wie ich. Aber warte nur: in Palästina sind schöne Weiber!‹
Er küßte mich zudringlich (mir zuckte es in den Fäusten, als müßte ich ihn niederschlagen) und preßte mich lachend auf einen der Throne nieder; auch er selbst setzte sich, und seine Rede ergoß sich weiter: ›Krieg, Krieg! Wozu diese leidigen Kriege? Sie reißen nicht ab. Ich will, es soll endlich auf dem Erdenball Friede sein. Dem danke ich, der mir endlich den Krieg erstickt. Das sollst du tun, du und dein Vater. Die dummen Juden! wozu existieren sie? wozu überhaupt die Verschiedenheit der Völker? Warum spielt sich das Gesindel mit seinem jüdischen Gott auf? Ich 189 könnte das tolle Volk ja selber niederschlagen; ich brauchte nur hinzufahren. Aber nein! es lohnt mir nicht, und ich bin hier in Rom nötig. Auch ich führe Krieg, den Krieg gegen das Häßliche. Die Künstler sind meine Armee. Ich liebe mein Rom zu sehr, zu sehr . . .‹
›Ich komme, um dir für dein Vertrauen zu danken,‹ sagte ich, um doch etwas zu sagen. ›Es wird aber kein leichter Krieg sein. Und Galba? Du hast uns dem Galba vorgezogen, dem hochverdienten, erprobtesten deiner Generäle? Galba wird uns beneiden.‹
Nero bekam einen roten Kopf: ›Beneiden? ich will allen Neid erdrosseln. Galba hat schon Verdienste genug. Der Mensch ist nun alt genug geworden.‹
Alt genug?
›So wie auch Seneka. Auch Seneka hatte sein Leben erfüllt. Dann starb er. Ich strich ihn aus wie einen Buchstaben auf der Schreibtafel. Es war gut von mir. Große Männer sollen sich nicht überleben.‹
Was sagte er da? War er betrunken? Waren solche Worte ernst zu nehmen?
Nero stellte sich wieder so hin, daß der einfallende Lichtstreifen ihn geheimnisvoll überstrahlte, und sagte theatralisch: ›In Palästina stehen schon die vier Legionen aus Armenien bereit. Die fünfte holst du aus Ägypten dorthin. So fahre hin als ein Strahl der Sonne. Die Sonne wandelt nicht; sie steht und entsendet nur ihr Licht in alle Fernen. Du bist begnadet, ein Strahl aus der Sonne Nero zu sein.‹
Er machte ein Gesicht, als ob er eine Arie singen wollte; dabei sah ich, daß ihm zwei Oberzähne fehlten. 190 Es gab ihm den Anstrich der Verkommenheit. Laut gähnend ließ er sich dann auf ein Faulbett fallen und dehnte sich träge, als wäre ich nicht zugegen. ›Wo ist Sporus?‹ flüsterte er hinter den Vorhang. ›Sporus, Sporus!‹ lispelte er süßlich. ›Sporus soll jetzt bei mir sein.‹
Zwischen den Falten des Velums sah schon der Knabe dieses Namens hervor, ein schön frisiertes lammfrommes Jüngelchen mit langen, weichen Locken und einem müde schmachtenden Blick. Mir wurde übel.
›Also die Juden!‹ so schloß er unser Gespräch hastig, indem er sich halb aus den Kissen hob. ›Ich gebe euch nur sechs Monate Frist. Bis dahin muß Jerusalem, dieser Fettfleck auf meinem Kleide, ausgetilgt sein, oder ich will euch nicht wiedersehen.‹
Ich war entlassen. Was sprach er von Galba? Es ließ mir nicht Ruh'. In drei Tagen wußte ich's: Nero plante wirklich den alten Galba, wie Corbulo, durch Gift oder Dolch zu beseitigen; demnächst sollten die Mörder nach Spanien abreisen. Einen der Kammerdiener bestach ich, der das wußte. Bestechen! Einst als Knaben hatten wir es abgeschworen; aber solcher Schwur gilt nicht im Kampf gegen Nero.
Tags darauf fuhr ich zu Lucius, dem Verschollenen. Zu Lucius! Endlich! Wie sollte ich in den Krieg ziehen, ohne ihn gesehen zu haben? Nach Korsika fuhr ich. Denn da lebte er all' die Zeit. Bei Viriballum, an der steilen Westküste der Insel, landete ich, wo die azurene Brandung mächtig anrauschte in grenzenloser Einsamkeit. Es war wie das Brausen der 191 Großstadt Rom; aber die See ist rein, die Großstadt Schlamm, und ich dankte den Göttern, ihr fern zu sein.
Da sammelten sich schon ein paar Strandleute. Wie die meine Flotte, vor allem mein Admiralschiff anstarrten und meine Feldherrntracht! Denn ich trug, eitel genug, den prunkvollen Harnisch. Und wer saß da unter der Pinie an der Lagune und flickte sein Fischernetz, die Brust offen, die Arme entblößt? Lucius war's. Lucius! Lucius! bärtig, nußbraun gebrannt. Das war er.
›Ich, ich bin es, Titus!‹
Das war ein Wiedersehen in der Wildnis, wie im Märchen.
›Elf Jahre!‹^ rief er; er erkannte mich gleich. ›Und du? Du bist der große Mann geworden. Ich wußte, du würdest mich nicht vergessen.‹
›Und du?‹ Ich suchte sein Auge. Aber sein Auge fremdete; es wich mir aus.
›Auf dem Kriegszug bist du gegen Jerusalem?‹ warf er hin.
›Das weißt du?‹
›Ich bin hier besser unterrichtet, als du glaubst.‹
Da waren auch seine drei Buben – denn es waren jetzt drei –, die lieben Jungen, wie die Wildlinge. Halb nackt patschten sie im Wasser und griffen sich Seeigel und Taschenkrebse, die sie zerbissen und noch lebend zerkauten. Da kamen sie gesprungen und bestaunten mich mit hungrigen Blicken. ›Die sind wohlgediehen, Lucius. Ich beneid' dich um die drei!‹
›So will ich dich gleich zur Verania führen.‹
Und wir kletterten das schroffe Gebirge hinan; das 192 Meer versank unter uns und wuchs an Größe. ›Das Meer! Sieh nur, wie herrlich!‹ Aber das Wort verstummte. Wir sprachen nicht. Es war wie eine unsichtbare Scheidewand. Wir suchten uns mit den Augen und fanden uns nicht. Elf Jahre der Trennung! Keiner wagte am Schicksal des anderen zu rühren.
›Aber erzähle doch, Freund. Du hast tausend Dinge erlebt, ich nichts,‹ begann er endlich. Ich sah zu meiner Freude: er war nicht mürrisch, er war nicht gebrochen. Stahlhart schien er mir und fest gefügt, ernst und still wie die Heiligen in der Wüste Syriens, in seinem schlichten Rock, einen Wust wirrer Haare um die Schläfen.
Ich blieb stumm. Was war mein armseliges Kriegshandwerk, was war das prahlerische Rom, was war aller Menschenehrgeiz in dieser weltverlassenen erhabenen Natur, die nun des Lucius Heimat war? Dicker Urwald klomm mit uns die Flanken der Berge hinauf, und über ihm hing das urewige Schweigen, das aus der Tiefe kam und Himmel und Erde und uns umarmte. Nur der klagende Schrei eines Falken, das Summen eines Käfers hörte ich und einmal aus der Ferne die Schläge der Axt eines Holzfällers. Lucius wies nach oben: ›Der Adler nimmt sein Sonnenbad. Wie königlich in lautloser Majestät zieht er seine Kreise!‹ In der Ferne Rauch. Brennt da Rom? O nein! Ein Wald brennt; der Wald muß fallen, damit wir hier Kornfelder gewinnen.
Endlich kamen hängende Wiesen. Zwischen wilden Ölbäumen und Myrten kletterten die Ziegen, und 193 Menschen tauchten auf, Menschen mit Banditengesichtern. ›Es sind Barbaren, diese Korsikaner im Fellkleid, und sie verstehen unsere Sprache nicht.‹
Dann zeigten sich dürftige, strohgedeckte Hütten: ein Dorf. Gärten mit Feigenbäumen und blühenden Granaten. Ein Reiter trieb seine stampfende Rinderherde vor uns auf. Am Brunnen lagerten Hirten mit langen Spießen.
›Hier ist mein Königreich,‹ sagte Lucius in munterem Ton. ›Die Leute sind Barbaren, wie du sagst, freilich, und leben als Jäger einsam wie die Tiere im Buschwald verstreut. Aber vierzig Familien habe ich hier gesammelt; ich hab sie gezähmt. Es war mein bescheidenes Lebenswerk: eine Gemeinde von zweihundert Seelen. Sie lernen unsere Sitten, unsere Sprache. Ja, dort oben auf der Höhe verehren wir den Jupiter Roms. An Geld fehlt es mir nicht, und man muß etwas schaffen im Leben. Ist es nicht so?‹
Ein Taubenschwarm flog um den Turm der kleinen Villa, in der mich Verania empfing. Die Villa war wie ein Kastell gebaut. Auch an einer Waffenkammer fehlte es nicht. Auch Verania war wortkarg; mit großen stillen Augen sah sie mich prüfend an. Die Befangenheit wollte nicht aufhören.
Nur die Söhne füllten die Stuben mit ihrem Gejauchze. Welch' glückliches Leben! Nach dem Mahl kletterten die Buben auf den Turm und untersuchten die Taubennester. ›Lauter weiße Eier!‹ rief der Jüngste vom Turm aus uns zu, ›kein einziges Purpurei! Die Purpureier sind selten, und wer eins findet, der wird Kaiser!‹
194 Meines Freundes Gesicht zuckte nicht. Er schien das Geschwätz nicht zu hören. Zur Jupiterhöhe führte er mich, als eben glühend die Sonne im Meer versank. Das Meer stand in Flammen. Da sprach er auf einmal den Namen Galbas aus. ›Dort im Sonnenuntergang, da liegt Spanien,‹ rief er; ›da lebt Galba. Wie oft dachte ich: könnte ich zu Galba fliehen! er würde mich schützen! Weißt du noch? einst dachte der Alte daran, dich oder mich zu seinem Sohn zu machen.‹
Ich fuhr auf: ›Wenn er sich nur selber schützt! Die Mörder Neros sind hinter ihm,‹ und ich erzählte Lucius, was ich wußte.
›Und du hast ihn nicht gleich gewarnt?‹ schrie er auf, ›und bist hier so müßig nach Korsika gekommen? Die Mörder über Galba!‹
Ich rechtfertigte mich: ›Nur von hier aus können wir ihn heimlich warnen.‹
›Dein Kurierschiff muß hin. Augenblicks!‹ Er rannte ins Haus zurück. Aus der Bücherkammer griff er eine Brieftafel. ›Morgen in erster Frühe muß dein Schiff laufen; in fünf Tagen kann es in Taragona sein, und unser Brief kommt früher als die Mörder. Was schreiben wir?‹
Und er entwarf den Brief: ›Sulpicius Galba, den Ehrwürdigen, grüßen seine jungen Freunde Titus Flavius und Lucius Calpurnius Piso. Wir warnen dich. Dein Tod ist in Rom beschlossen. Als Roßhändler verkleidet, werden die Mörder zu dir kommen. Hilf dir, wie du kannst. Niemand weiß den Inhalt dieser Tafel.‹
Er verschnürte, versiegelte die Tafel, und fort ging's 195 im Abenddunkel, wir zwei, den schwindelnden Felsenpfad bis ans Meeresufer hinab, wo neben der Kriegsgaleere der Schnellsegler, mein Kurierschiff, lag. Ich gab meine Befehle; der Segler machte sich reisefertig.
Die Nacht kam; die Austernfischer fuhren mit Fackellicht aufs Meer hinaus; die See war weithin wie ein dunkles Gewand, das in Diamanten funkelte. Und wir? Wir legten uns in eine Fischerbarke, die auf dem Wasser lag und uns wohlig wiegte. Die hohen Sterne sahen auf uns nieder, der Mond lichtete die Nacht; das Meer rauschte ein weiches Klagelied. Wir schliefen nicht. Nein! Endlich öffneten sich unsere Herzen. Ich sah, wie seine klugen, warmen Augen wieder auf mir ruhten mit innigem Wohlgefallen. Er war der Alte, und unsere Seelen stürzten ineinander wie mit Jubelschrei.
›Weißt du noch?‹ so fing jeder Satz an, den wir sprachen, und wir faßten uns an den Händen wie die Kinder mit warmem Druck und ließen uns nicht los, als sollten wir ewig so zusammen bleiben. Die Gegenwart versank.
›Weißt du noch, wie wir die Dioskuren hießen? Und wie wir schwuren, gut und treu zu sein? und wie wir vom Kaisertum träumten? unser Kindertraum! Die schönen Vorzeichen! Was ist statt dessen aus mir geworden?‹ (Er lächelte.) ›Ein König im Dorf der vierzig Häuser. Und weißt du noch, wie wir in all den Büchern lasen? Ich zwang dich, und es war dir eine Pein. Ich wette, Titus, du liesest auch jetzt nicht gern in Büchern.‹
›Wer hat im Heerlager dazu Zeit?‹
196 ›Aber ich hier in der Bergesstille, ich habe Zeit. Calpurnia sandte mir Senekas letzte Schriften.‹
›Seneka? Was steht darin?‹
›Tausend gute Worte, und das Wort von der Menschlichkeit und daß das Herrschen ein Dienen ist. Und was ist der Ruhm? was ist der Reichtum? Die Liebe ist alles. Und die Liebe? was ist die Liebe? das Leben in Gott. Das Leben in Gott, Titus. Ist das nicht neu und groß? Wer so lebt, erfüllt jede harte Pflicht, sie sei groß oder klein, mit Freuden, ob er Jerusalem stürmt und ein ganzes Volk bändigt, oder am Strande sitzt und sein Fischernetz flickt.‹
Ich streichelte ihm das Haar: ›Oh, könntest du mir oft so predigen, wie du es schon damals tatest! O süße Erinnerung, du Einziger! Dich hat das gemeine Leben nie berührt, und du kennst den Neid nicht und die Bitterkeit.‹
Er wurde plötzlich still, als hätte ihn dies Wort schwer getroffen. Auch ich schwieg, und so harrten wir, bis Mond und Sterne verblaßten und über den steilen Felsenspitzen im Osten das erste Morgendämmern aufleuchtete. Da gab ich Befehl, und das Kurierschiff lief aus nach Spanien, das Schiff, das den Brief trug. Bald kamen auch aus den Bergen des Lucius Söhne gesprungen, um uns zu suchen, und ich sah Vater und Söhne noch einmal beisammen. Meine Seele sog sich fest an ihrem Anblick, und ich ahnte das Ende nicht.
Es war kurz gewesen, dies unser letztes Zusammensein. Ich wollte der Rührung nicht nachgeben und nahm rasch Abschied. Da, als ich mich wendete und mein Admiralschiff besteigen wollte, da war ein Schrei, 197 ein bebender Angstschrei. Lucius war es; er brach zusammen. In meinen Armen fing ich ihn auf. Ein Krampf befiel ihn, und er stammelte: ›Ich kann nicht mehr!‹
›Lucius, was ist dir?‹
›Wozu dies Leben?‹ brach es hervor. ›Und es war alles vergebens! Ich habe Kräfte wie du! ich habe Verheißungen wie du! Aber das Glück ist mit dir und nicht mit mir. Warum? warum? Verzicht ist der Tod. Wo ist die Gerechtigkeit des Himmels? Wie soll ich es ertragen?‹
Es erschütterte mich sehr. Die mühsam verklebte Wunde war aufgebrochen. Mir kamen die heißen Tränen. Da raffte er sich schon und drängte mich fort.
›Lucius!‹ rief ich.
Er faßte meine beiden Hände: ›Vergiß, wie du mich jetzt gesehen, und laß mich von dir hören, wenn du große Taten tust. Dein Glück ist mein Glück! War es nicht so? So soll es sein. So oft dir ein Werk gelingt, denke: Lucius ist mit dir! Ein Stück von deinem Lucius ist in dir! Kraft von meiner Kraft! O, wär' es so! Dann habe ich nicht vergebens gelebt und gelitten.‹
So war unser Abschied. ›Kraft von meiner Kraft,‹ sagte er. Wann habe ich das zur Wahrheit gemacht?
Korsika versank hinter mir und Lucius mit ihm. Ich hatte ein leichtes Herz; dem Gram nachzuhängen ist mir nicht gegeben. Die Woge des Meers, die Woge des Lebens trug mich herrlich dahin. Der Orient tat seine Wunder auf, der Krieg am Jordan begann, und Berenike kam über mich, das schöne Weib vom Libanon.
Wo die Palmen in Wäldern rauschen, die 198 Lilienfelder wie Paradiese prangen, die Luft flimmert und gleißt wie ein Zaubertraum des Überhimmels, wer soll nicht berückt sein, wenn er dorthin kommt?
Jerusalem starrte in Felsenmauern unersteiglich. Es galt der Stadt alles Vorland wegzunehmen, Galiläa, Samaria, wo einst jener Jesus wandelte, von dem die Christen fabeln. Und es war ein Spaß: den Berg Tabor nahm ich; auf dem See Genezareth gab es eine Seeschlacht in Fischerkähnen; ein fester Platz nach dem anderen fiel. Ich war 29 Jahre alt, jung genug, um das Gefecht zu lieben. Dann aber kam eine andere Liebe.
Im Land der Zedernwälder, an den Hängen des Libanon, da herrschte Agrippa, der jüdische Königssohn, mit seiner Schwester Berenike. Sie waren beide aus Jerusalem von den fanatischen Strenggläubigen vertrieben, wo sie ihre Paläste hatten; die Paläste waren verbrannt worden, und sie hofften nun auf römische Hilfe. Berenike ist älter als ich, aber heißblütig und klug und schwelgerisch schön. Die Juden erzählen von der Königin von Saba, die einst in ihrer Pracht zu Salomo kam; so kam Berenike zu mir ins Heerlager, den Hals in klirrenden Ketten, goldene Spangen in den Ohren, das Haar wie ein Turm, ihr Duft wie Balsam, wie Narde und Myrrhen, und ihre Liebe lieblicher als Wein. Nach jedem leichten Sieg, den ich erfochten, war sie es, die mich mit Rosen krönte, mit den Rosen Jerichos. Weiche Pagen und Kastraten um uns her, die über unsrem Lager den Fächer schwangen. Mein Vater zog einen schiefen Mund: ›Die Jüdin, die sich freut an Jerusalems Fall, welche 199 Niedertracht!‹ Ich junger Laffe aber ging jetzt in Purpur und Diadem im Feldlager einher, eine alberne Maskerade. Berenike verlangte es so, und ich dachte: das Orakel hat sich schon jetzt erfüllt; Lucius ist Fürst bei seinen Wilden in Korsika, ich bin es unter den Fischern in Galiläa. Welch' ausgelassenes Leben! Hätte Lucius mich so gesehen!
Da ging ein Schlag durch die ganze Welt: Nero tot! Es war wie ein Erdbeben von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Nero tot! Eilboten aus Caesarea brachten die Nachricht in mein Zelt: ›Nero tot. Galba ist Kaiser Roms und Piso mit ihm!‹ Der junge Piso mit ihm Kaiser! Lucius und Galba Kaiser Roms!
Unglaublich fabelhafte Kunde. Die Tribunen kamen gerannt. Ein Jubelgeschrei ging durch das Lager stundenlang. Es warf mich völlig um. Die Maskerade war zu Ende. Berenike spie Gift: ›Dein Freund Kaiser und nicht du? Dein Orakel hat getrogen!‹ Ich lachte vor Freude, ließ Jerusalem stehen, wo es stand, und war schon folgenden Tages in Caesarea auf der Reise nach Rom, um ihn zu sehen, ja, um Lucius zu sehen, um Galba und meinem Freund zu huldigen, und schon in Caesarea erfuhr ich Genaueres.
Galba war von uns rechtzeitig gewarnt. Er griff, er entlarvte die Mörder, die Nero nach Spanien sandte. Das aber war das Signal zur Empörung. Selbigen Tages rissen die spanischen Legionen Neros Bildnis von den Feldzeichen herunter und riefen Galba zum Kaiser aus. Die Provinzialtruppen machten jetzt den Kaiser. Die Empörung sprang nach Gallien und Germanien hinüber; auch an der Rhone, am Rhein, 200 suchten die Legionen nach einem neuen Kaiser. Der Senat in Rom atmete auf. Nero merkte, daß der Senat drohend wurde, und verlor gleich die Besinnung. Er saß in seinem Harem und machte immer noch Musik mit Harfen und Gitarren. Tigellinus zog sein langes Gesicht in bedenkliche Falten; er wartete ab und gedachte seine Treue an den Meistbietenden zu verkaufen. Hätte Nero sich mutig vor seine Garde gestellt mit dem Schlachtruf: »Ich kämpfe für mein Recht; wer hilft mir?« die Garde hätte bis zum letzten Mann für ihn gefochten; Tigellinus hätte ihm wohl noch die Treue gehalten. Aber er hatte Angst vor dem Schwert. Da entzieht ihm Tigellinus die Leibwache; er ist vogelfrei. Wohin sich wenden? er will nach Ägypten, von Ägypten weiter nach Palästina; mein Vater und ich, wir sollen für ihn kämpfen! Aber er wagte es nicht. Es war, als ob die Geister seiner Blutopfer, der Geist des Britannicus, des Seneka, der Oktavia, der Geist seiner Mutter furiengleich aus ihren Grüften stiegen und ihn in Wahnsinn hetzten, und es gibt noch Gerechtigkeit.
Vor der Stadt liegen die kaiserlichen Gärten; da versteckt er sich. Der Senat befiehlt ihn greifen zu lassen. Einen Sack füllt er sich noch mit Juwelen und Gold, und wie ein gemeiner Dieb und Vagabund läuft er davon, wirft sich auf die Landstraße, verkriecht sich, als er müde wird, in irgendein Haus am Weg, als schon die berittenen Häscher kommen. Er hört mit Grauen den Hufschlag der Tiere. Keine Rettung! Der Schwächling muß nun doch zum Messer greifen. Alle anderen Mordtaten ließ er durch andere verrichten, den Selbstmord muß er selber tun.
201 Galba kam mit seinem starken Heer nach Rom. Aber er war von Gicht schwer gelähmt und schon 74 Jahre alt. Hatte es noch Sinn, daß er, ein so brüchiger Mann, ein Mann ohne Sohn und Erben, ein neues Kaisertum begründete? Da entsann er sich des Einsiedlers auf Korsika, der ihn gewarnt; er ließ Lucius nach Rom holen, führte ihn vor den Senat und sagte: ›Hier ist der Mann der Zukunft. Ich nehme ihn zum Sohne. In ihm fließt das edle Blut des großen Pompejus. Die Götter schützten ihn wunderbar, und er ist der Trefflichsten einer in der Jugend Roms. Wer weiß, wieviel Tage ich noch lebe? Er soll mit mir Kaiser und nach meinem Tode mit seinen Söhnen des Reiches Erbe sein. Es blühe das Kaiserhaus der Pisonen!‹
So war es geschehen. Kannst du ermessen, wie ich mich freute? Kein Gottesbild war, das ich nicht dankend grüßte. Der große Jupiter hatte Calpurnias Gebete in Gnaden erhört. Meines Freundes heiliger Eifer fand seinen Lohn; seine Selbsterziehung war nicht vergebens. Auf die Demütigung folgte die Erhöhung, und die Vorzeichen hatten nicht getrogen. In Neros goldenes Haus, die Herberge der Schande, zog jetzt mit Lucius Verania ein. Eine neue Zeit begann, wie Seneka es wollte: Gerechtigkeit und Glück für alle, und ein Ende der Blutgerichte! Und ich, ich durfte meines Lucius Diener und Helfer sein! Unermeßliche Hoffnungen taten sich auf.
Freilich: alle Erfahrung fehlte ihm. Er hatte nie ein Staatsamt bekleidet, er hatte nie eine Kohorte geführt. Zwölf Jahre in die Einsamkeit verpflanzt, hatte 202 er sich gewöhnt an die schlichte Größe der Natur, die sich ewig unwandelbar gleicht, wo die Adler Gottes hoch oben im reinen Äther kreisen. Rom kannte ihn nicht, und er kannte Rom nicht mehr. Die Aufgabe war die schwerste. Aber Galba war da! Ein Glück, daß Galba noch lebte. Es war klug ersonnen, daß Vater und Sohn gleichzeitig herrschten; so halten auch wir es heute, mein Vater und ich; ihr Vorbild war es, dem wir gefolgt sind.
In sechs Tagen kam ich über Korinth bis nach Patras. Von Patras wollte ich über die Adria setzen und harrte dort auf das Eilschiff aus Brundisium mit fiebernder Ungeduld: wann endlich würde ich in Rom sein? Die Berge Ätoliens hingen in Wolken, ein Sturm brach aus Norden, ein Ungewitter. Das Meer stand in Schaum. So mußte ich noch fünf qualvolle Tage warten. Auf dem Molo, der in die Brandung vorstieß, stand das Erzbild des Poseidon träge auf seiner Säule; warum hob der Gott nicht den Dreizack und gebot den Wellen? – bis endlich das Schiff wirklich einlief, das mich nach Italien mitnehmen sollte. Ich stürzte zum Schiffspräfekten an Bord: »Es lebe das neue Kaisertum! Wie steht es in Rom? Was bringt ihr?«
»Das neue Kaisertum?« grunzte der Seebär mit rohem Auflachen. »Es lebt schon nicht mehr. Die Welt reißt sich um den Thron Neros. Heut ist Otho Kaiser. Gestern war es Galba. Wer wird es morgen sein?«
»Was ist geschehen?« rief ich. »Was ist mit Galba?«
»Tot ist er.«
203 »Und Piso?«
»Tot.«
»Tot? Unglaublich.«
»Beide erschlagen! Es ist gefährlich im Kaiserpalast zu schlafen.«
Das war der Ausgang? Große Götter! Der Mann wußte nichts Genaueres. Aber ich reiste nicht. Wozu noch reisen? Zum Otho? Nimmermehr. Ihm wollte ich nicht huldigen. Zerschlagen, tiefstes Weh im Herzen, kehrte ich zu meiner Truppe an den Jordan zurück. Was sich in jenen acht Tagen in Rom abgespielt hat – Verania war Zeugin; von ihr hab' ich später das meiste erfahren. Galba riß Lucius mit in den Untergang. Warum hatte er nicht mich zum Sohne genommen? Dann war ich das Opfer, und Lucius war gerettet!
Die Ereignisse gingen rasch, und es waren Tage unerhörter Spannung in der Hauptstadt. Neros ganze Herrlichkeit plötzlich weggefegt; statt seiner Galba, diese alte Ruine, und Lucius, ein Mensch, den niemand kannte. Gleichwohl stand alles gut. Die Garde der Prätorianer hatte sich in die Lage gefügt, und Tigellinus zeigte die beste Laune. Vor allem waren die spanischen Regimenter treu ergeben, die, 20 000 Mann stark, auf dem Land vor der Stadtmauer jenseits des Janikulus und des Vatikan ihr Lager hatten. Diese Spanier hielten die Prätorianer in Schach; gar zu gern wären sie auch in Rom selbst eingezogen. Aber sie durften nicht. Es ist altes Gesetz, daß kein Militär in Waffen Rom betritt. Nur die Palastwache macht 204 davon eine Ausnahme, die aus fünfzig Köpfen besteht und aus dem Prätorianerlager mit Musik täglich anrückt, um den Kaiserpalast zu hüten.
Auch Otho, Neros Jugendfreund, war in Rom; in Galbas Gefolge war er mit aus Spanien gekommen (immer noch frauenhaft schön, obschon er neuerdings falsche Locken, eine Perücke trug) und floß über von Freundschaft und Entzücken, so oft ihn Lucius sah: »Ich bin einer der wenigen Glücklichen, die dich hier kennen, noch aus unserer goldenen Knabenzeit. Es ist mir unvergeßlich. Nun will ich in der Stadt den Ruhm deines Edelsinns verkünden.«
Lucius' Seele war von mächtigem Schwung getragen. Er war am Ziel. Jetzt endlich begann er voll zu leben. Galba lag krank (Füße und Hände waren ihm gichtisch geschwollen), und Lucius konnte handeln, konnte herrschen. Die Schwierigkeiten türmten sich hoch, aber es beirrte ihn nicht. Nero hatte nur groteske Schulden hinterlassen, und aus den Provinzen flossen zunächst keine Gelder. Aber ein Kaiser hat immer Kredit; der kapitolinische Tempelschatz stellte sogleich Summen zur Verfügung, und die erste Not schien beseitigt.
Schlimmer ging es ihm, als er auf dem Forum von der Rednerbühne, auf der einst schon die Scipionen und die Gracchen standen, zum Volke sprach; denn das Volk Roms sollte ihn doch kennen: »Habt Vertrauen, Quiriten,« rief er mit Herzenston. »Alle Bestechung, aller Argwohn, alle Verleumdung hat ein Ende. Ein Priester der Gerechtigkeit will ich sein. Nero ist tot; das glückliche Jahrhundert des Augustus, die Zeit der Menschenliebe soll sich erneuern, wir 205 wollen sie verewigen, und kein Bürgerblut soll mehr fließen auf den Gassen Roms.«
»Kein Bürgerblut?« Er sprach noch; da trugen kaiserliche Diener (man erkannte sie an der Hoftracht) an langen Spießen die bluttriefenden Köpfe etlicher römischer Bürger über das Forum. Bürgerblut! Er erbleichte. Eine Hetze auf alle Nerofreunde hatte in den Straßen begonnen. Wie kam das? Galba lag gelähmt; seine Diener und Kreaturen, Ikelus voran, gingen in Galbas Namen auf Raub aus. Sie schrien: »Galba gegen Nero!« plünderten die Häuser, töteten die Männer, und Galba konnte es nicht wehren.
Knirschend vor Wut und Scham stürmte Lucius zu ihm, der nun sein Vater war: »Du mußt sie strafen, ans Kreuz schlagen mußt du die Plünderer!«
Galba jammerte in seinen Schmerzen: »Es sind meine Diener; sie haben mich gepflegt mein Leben lang. Ich kann nicht leben ohne sie. Wie soll ich von meinem Ikelus lassen? Habe Nachsicht, Sohn, und warte, bis ich tot bin, es währt nicht lange. Neros böser Geist geht noch um; wenn ich verreckt bin, dann kannst du es besser machen.«
Lucius verstummte. Er mußte sich in Geduld fassen. Der achte Tag des jungen Kaisertums begann. Die Palastwache wurde in der Frühstunde abgelöst. Da trat Tigellinus an Lucius heran; seine lange, stelzbeinige Gestalt knickte unterwürfig zusammen, als er sagte: »Es ist Zeit, Herr, an das Kronengeld zu denken!«
»Das Kronengeld?«
»Die Schenkung aus dem Kronschatz, die beim Thronwechsel geschieht. Du wirst damit nicht zögern 206 wollen. Wir wissen wohl zwischen dir und Galba zu unterscheiden. Galba ist geizig; alle Leute sind das, die Gicht in den Händen haben. Die Hand wird steif und kann nicht mehr geben. Aber du . . .«
»Erwartest du Antwort?«
»Ich unterfange mich nur, Herr, dich an das, was üblich ist, zu mahnen. Es ebnet die Verhältnisse, und du warst zehn, zwölf Jahre fern von Rom; dir wird manches, was geläufig, entfallen sein.«
»Die Garde hat ihren Sold erhalten. Ich habe den Sold ihr vorausbezahlt.«
»Und wir haben ihn mit Dank erhalten. Aber es handelt sich nicht darum. Kaiser Claudius gab überdies beim Regierungsantritt jedem der Achttausend als besondere Schenkung fünf Goldstücke und ein Pfund Silber; Caligula und Nero gaben mehr, weit mehr: ein goldener Gruß, der Treue wirkt. Du weißt: Treue ist Goldes wert, und sie wächst mit dem Golde.«
Sie wächst mit dem Golde? »Ich danke dir, daß du mich mahntest,« versetzte Lucius kurz. »Heute noch werde ich in das Lager der Garde kommen.«
»Geld! Geld! Ich habe keins!« fauchte Galba und krallte seine Finger zusammen, als Lucius an sein Nachtlager trat. Es ging Galba just an diesem Morgen besser, aber er schwankte noch, mit welchem seiner lahmen Beine er zuerst sich aus dem Bett heben sollte. »Ich habe kein Geld,« wiederholte er mit knarrender Stimme. »Alles, was ich habe, brauche ich für meine Spanier. Hast du, Piso, Geld für diese Bande?«
»Ich hätte es wohl,« sagte Lucius, »aber ich gebe es 207 nicht; ich gebe es nur, wenn du es verlangst. Die Tagediebe machen mir keine Sorge; sie leben ohnedies wie die Fürsten. Schlachten schlagen sie nicht, aber der Sold ist doppelt so hoch, wie der der Feldtruppen. Da weiß ich mir eine bessere Pflicht. Nero hat Rom niedergebrannt. Noch immer liegen ganze Quartiere im Schutt; Hunderte von Abgebrannten lungern noch immer in den Baracken wie die Bettler. Da eilt es, da gilt es, Geld zu streuen, und ich habe schon damit begonnen.«
Galba sprang auf; er konnte auf den Füßen stehen, und sein bitterböses Gesicht verklärte sich: »Ich wußte es, du bist herrlich, mein Sohn, und alle niederen Mittel sind dir zuwider. Gehe denn hin, wenn du den Mut hast, und verkünde den Soldknechten Neros, was du gesagt hast.«
Lucius hatte den Mut. Gleich im Palasthof stand die Prätorianerwache. Er ließ sie in Reihen treten und redete ihnen mächtig ins Gewissen. Die Krieger hörten es stumm und ehrerbietig und salutierten wie immer. Er glaubte ihr Gewissen getroffen zu haben; sie hatten ihn verstanden.
Otho war da. Er zeigte sich täglich im Palast zum Morgengruß; so hatte er in des Lucius Gefolge eben jetzt alles mit angehört und rief gleich: »Welch' außerordentliche Zeit, in der wir leben! Wunderbar, göttlich, o Piso, hast du gesprochen. Ich hätte solche Wirkung nicht für möglich gehalten. Ich eile, Piso, wenn du gestattest, ins Prätorianerlager voraus (du wirst auch dort sprechen), um dir einen guten Empfang zu bereiten.«
208 Die Garnison der Garde ist wie eine Festung. Im riesigen Kasernenhof steht eine marmorne, mit goldenen Adlern geschmückte Rednerbühne, der Stand für den kaiserlichen Redner. Neros zerschellte Kolossalbüste lag noch in Scherben zu ihren Füßen.
Die Rednerbühne harrte auf den Redner. Lucius aber trieb es noch einmal zu seiner Verania. Verania Kaiserin der Welt! Es schien ihm immer noch wie ein Traum. In innigen Gesprächen verbrachte er mit ihr voll munteren Geistes wohl eine Stunde und freute sich an seinen Söhnen: »Es blühe das Kaiserhaus der Pisonen!« Was war es, das ihn so lange festhielt? Verania wunderte sich. Die Zeit verrann. Ahnte er, daß ihm das Schicksal nahte? Als er sich losriß, bebten seine Lippen. Es war wie Hektors Abschied von Andromache, aber wortlos, lautlos, tränenlos. Er richtete sich hoch auf und küßte noch einmal flüchtig die Seinen. Verania ordnete ihm noch den schleppenden, golddurchstickten Purpurmantel. »Wie schön du bist, Vater!« riefen die Jungen; »der Purpur und der goldene Lorbeer im Haar! Könnten wir mit!«
Er winkte fröhlich zurück. Mit großem, vielhundertköpfigem Gefolge wandelte er langsam, wie in Prozession, über den Quirinal und weiter durch die endlos engen Gassen zum Viminalischen Tore. Das Volk in den Gassen kannte ihn nicht; es merkte nur an dem prunkvollen Aufzug, daß dies der neue Kaiser sei, und schon erhoben sich Heilrufe, vereinzelt, hier und dort von den Söllern und Dächern; Frauen warfen Blumen, schwenkten Ölzweige und Tücher zum Gruß: »Salve, Piso Cäsar, bleibe ein Freund des Volkes!«
209 Dankend hob er die Rechte, und sein dunkles Auge strahlte.
»Steht es nicht wie eine Flamme auf seiner Stirne, wunderbar?« flüsterten fromme Leute, denen er nahe kam. »Ja, silberhell schimmert es um seine Locken, und die Götter sind mit ihm.« Was wie eine Flamme in ihm strahlte, war die Sehnsucht nach Zukunft, der feste Glaube an seinen Herrscherberuf, war Tatendrang, unermeßliche Hoffnung.
Er stand auf der Rednerbühne. Die Korona der Achttausend umgab ihn. Er war nie Soldat gewesen, hatte noch nie zum Heer gesprochen, aber er fürchtete sich nicht. Wüste, verwöhnte Gesellen, immerhin, aber es waren doch lauter Bürger Roms und echte Söhne Italiens, zu denen er sprach. Sie mußten ihn verstehen.
Und er redete nun mit wachsender Erregung von dem, was ihn erfüllte, von dem, was Rom einst groß gemacht: es war der Opfersinn, der alle verbindet, der strenge Geist, der da freudig hilft, wo Hilfe not tut, und auf Gewinn verzichtet, wo die Vernunft es heischt. Das ist die echte Soldatenehre. Nero hat sie geschändet; Galba, der wackere, stellt sie wieder her.
»Laßt euch daran genügen, Kameraden, daß ihr dem tüchtigsten Manne dient,« so schloß er seine Rede. »Versteht mich wohl: wir wollen eure Treue nicht erkaufen. Denn Geld ist nicht das höchste Gut. Wohltat übt, wer den Armen gibt; wer aber den Besitzenden Geld schenkt, der übt Bestechung.«
»Bestechung?« Ein Gejohle entstand. Bestechung! Das war das Wort, das Lucius haßte. Aber ein freches Auflachen war die Antwort, das von Reihe zu 210 Reihe ging. Ein dumpfes Rasseln mit den Waffen. Die Reihen lösten sich und strömten durcheinander; sie wollten nichts weiter hören.
Wütend schrie Lucius: »Euer Kaiser ist es, der mit euch spricht. Die Spanier, die 20 000, liegen vor Rom; sie sind fest in unserer Hand. Aber ich lasse sie nicht in die Stadt, denn ich baue auf euch, auf euch, auf euch, ihr Prätorianer! Sollen euch die Fremdlinge, die Spanier, beschämen?«
Der Lärm legte sich. Es wurde plötzlich still, unheimlich still. Es war ein eisiges Schweigen. Lucius verließ hohen Hauptes das Tribunal. Man ließ ihn gehen. »Es fehlte nur, daß sie mich mit Steinen schmissen,« das dachte er wohl, als er draußen war; ich glaube, ihm war wie dem Schauspieler zumut, der seine Rolle schlecht gespielt hat. Wehe ihm, wenn er wieder auftritt!
Otho aber blieb im Lager zurück. Kaum war Lucius gegangen, da sprang Otho auf die Bühne. »Der Geiz ist ein Laster, Kameraden!« rief er in die Masse. »Der Geiz, sag' ich. Soll der Geiz fortan König sein?«
Ein wieherndes Gebrüll erhob sich.
»Piso gab euch schöne Worte zu hören, aber Piso begreift nicht, was dem Herrscher ziemt. Wie anders Nero! Seht mich an. Ich, Salvius Otho, war Neros nächster Freund. Wir liebten uns schon als Knaben.«
Ein Juchheh und Jubel kam von allen Seiten.
»Nero ist tot; nein, Nero lebt. Ich bin wie Nero,« schrie Otho noch lauter. »Wär' ich euer Kaiser, ich würfe jedem von euch schon heute, jawohl, schon heute, 211 zweitausend Sesterzen in die Hände. Glaubt mir: jedem von euch. Denn ich weiß, was man euch schuldig ist.«
»Das Krongeschenk! Er weiß, was man uns schuldig ist!« ging das Echo. »Er ist's, den wir brauchen.«
Es waren zunächst nur einzelne Stimmen. Schon aber brach es von rechts und links und aus der Tiefe los: »Otho soll Kaiser sein!« Die ganze Masse, Offiziere und Gemeine, fiel brüllend ein. Die Schwerter fuhren ans den Scheiden, die Hörner bliesen. »Den Purpur her!« Man kleidete Otho, den Schönen, in Purpur. »Die Kaiserbinde!« Man legte ihm eine goldene Binde ums Haupt. »Seht nur, wie schön er ist! Den Spiegel her!« Da brachte Tigellinus grinsend den Spiegel, und man freute sich, wie sich der Schöne im Spiegel besah. Seine falschen Locken hatten sich nicht verschoben.
War das bloß Mummenschanz? Es war gefährlich. Woher sollte Otho die Gelder nehmen? Danach fragte niemand. Wer Kaiser ist, kann schenken. Das stand fest.
Die Mittagsstunde war da. Im Kaiserpalast ahnte man noch nichts. Zu seiner Verania war Lucius noch nicht gegangen. Er gab Galba von dem, was er erlebt, Bericht. Der Alte ballte die verknorpelten Hände und schnob und polterte grimmig: »Warte nur! Es soll ihnen übel gehen«, als sich auf dem weiten Forum zu Füßen des Palastes wüstes Geschrei erhob. Das Volk? Nein! Die Kohorten sind da, die Prätorianer in Waffen, zu Fuß, zu Pferde! Das harte Basaltpflaster dröhnte und klirrte unter den Hufen. Alle Tempeldiener flüchteten; die Verkaufsbuden schlossen ihre Türen; die Bürgerschaft stob angstvoll 212 auseinander. Was schrien sie? Empörung! »Nieder mit Galba!« schrien sie aus tausend Kehlen, daß es vom Kapitol bis zur Velia dröhnte. »Nieder mit Galba! Otho unser Herr!«
Die Palastwache, die das Kaiserhaus schützte, hörte es; sie stimmte plötzlich mit ein und ging zu den Aufständischen über. Lucius suchte sie umsonst zu halten. Wehrlos, waffenlos, wie er war, stürzte er aufs Forum. Aber auch Galba hielt es nicht; voll Entsetzen und Wut warf er sich in seine Sänfte und ließ sich mitten in die tosende Menge tragen. Verania flog mit den jungen Pisonen auf die hohe Terrasse des Palatin und starrte, bleich vor Schrecken, in den Aufruhr.
»Ruchlose Bande!« krächzte Galbas Stimme. Der Alte reckte den Kopf weit aus der Sänfte und drohte mit den Fäusten: »Ich,« schrie er, »ich bin euer Kaiser! was ist euer Verlangen?«
Da sprang ein Riesenkerl vor und hieb ihm mit einem Hieb den Kopf herunter. Es war ein Gladiator aus dem Lukanerland. Der Kopf rollte in den Schmutz. Die Menge wogte darüber hin. Otho stand nahe; er reckte die Hände beschwörend, als entsetzte er sich. Er trug immer noch Diadem und Purpur. Lucius drang furchtlos auf ihn ein; er wollte sprechen; aber vom ungeheuren Getöse wurde er übertäubt. »Was will er? Auf ihn! Auf ihn! Er ist nicht besser wie der Alte!«
Er schien verloren.
Da drangen aus dem nahen Heiligtum der Vesta in wallenden Schleiern und Gewändern die Vestalinnen überraschend mitten in den Haufen, und, die Arme streckend, warf sich Calpurnia schützend vor ihren 213 Bruder. Herrlich, furchtlos und gebieterisch stand sie da, hochgereckt, überirdisch, unantastbar und rein, ein erhabenes Abbild der Vesta selber, der allerheiligsten Göttin Roms. Sie brachte kein Wort hervor; sie war stumm wie ein Götterbild. Die Schwerter und Spieße zuckten zurück. Lucius war gerettet. Calpurnia faßte den Bruder an der Hand und zog ihn in den Tempel.
Da war er. Kein männliches Wesen, außer dem Kaiser, darf je das Vestalinnenkloster und das Tempelhaus der Göttin betreten und sich dem heiligen Herdfeuer nahen, das, solange Rom steht, von den frommen Jungfrauen Tag und Nacht gehütet wird und nie erlischt.
Calpurnia sank in sich zusammen; sie bebte vor Angst. »Galba ist tot,« hauchte sie. »Lucius, Lucius! Jetzt bist du, Bruder, allein der Kaiser Roms. Du bist's! aber für wie lange? Wie dich retten?«
»Die Spanier her! schafft mir einen zuverlässigen Boten«, herrschte er und horchte hinaus. »Die Spanier müssen in die Stadt; sie sollen mir Otho greifen.«
Eine der Tempeldienerinnen schaffte wirklich den erwünschten Boten. Es war schon gegen Abend. In geschlossener Tafel gab ihm Lucius den kaiserlichen Befehl, ausgefertigt an Rusticus, den Kommandanten der spanischen Legionen, sofort einzurücken in die Tore Roms, die Prätorianer zu werfen, den Kaiserpalast zu entsetzen.
Der Bote lief aus; aber er wurde sofort ergriffen, die Tafel erbrochen, gelesen. Ein schauriges Wutgeheul entstand. Die letzten Bande der Scheu zerrissen. Der mordsüchtige Haufe drang an, zerhieb 214 krachend die Türen des Heiligtums; die Dolche starrten. Die Flamme des Stadtherdes schlug unter dem Windzug entsetzt empor. Lucius schrie: »Freie Bahn, ihr Knechte!« und rannte in die Dolche. Das war das Ende. Von Wunden bedeckt, taumelte er nieder. Er war in seinen Tod gerannt. Aber das genügte nicht; es sollte auch niemand leben, der seinen Tod rächen könnte. Der Kaiserpalast selbst wurde erstürmt und des Lucius Söhne erstochen. Veranias Jammerschrei verhallte.
So ist es geschehen. Galbas Kopf flog von Hand zu Hand; sein Rumpf wurde mißhandelt, zerrissen. Des Lucius Leichnam dagegen schonten die Entmenschten, als fühlten sie den Frevel, den sie an ihm begangen, als schützte ihn der Adel seiner Gestalt, der göttlich reine Schimmer der Jugend und der Seelengüte, der sein bleiches Antlitz umfloß.
* * *
Titus hatte geendet. Es war eine große Stille. Die goldenen Lampen vor Pisos Standbild flackerten auf und erloschen, als wäre er noch einmal gestorben. Saevus, der Löwe, erhob sein königliches Haupt und brüllte dumpf grollend vor sich hin. Es klang wie Wehklage der Natur, wie Götterzorn.
Aus dem Nachbarraum stürzten die Diener herein.
»Das Tier wird unruhig,« sagte Titus. »Bringt ihn in den Käfig. Der Saevus könnte seinem Namen Ehre machen.«
»Verstehst du nun,« fuhr er fort, »warum ich gern von meinem Lucius rede? Heilung der Menschheit! Der Sehnsucht danach fiel er zum Opfer. Er starb – 215 ein Blutzeuge seines Glaubens an die Tugend – als ein rechter Gehilfe Gottes.«
»Im Norden,« sagte Hermogenes versonnen, und in seinen Augen war ein tiefer Glanz, »im Nordland jenseits des Balkan und der Alpen gibt es die langen Winter. Die Blume, die da auf den Wiesen zu früh erblüht, erliegt dem Frost, ein Vorbote des Frühlings. Solch' Vorbote ist auch dein Freund gewesen. Er kam zu früh, und der Frost hat ihn getötet. Aber der neue Frühling ist nun erschienen. Er blüht unter dir, Titus. Du heißt nicht umsonst die Liebe und Wonne des Menschengeschlechts.«
Titus machte große Augen: »Auch du, Hermogenes, redest wie die Unweisen zu mir in Schmeicheltönen? Warte, bis Berenike kommt; sie wird kommen. Gib acht, ob ich auch dann meine Probe bestehe!« 216