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Völkerversöhnung! Weltfriede! Es gibt kaum ein Wort schöneren Klanges als dies, und wirklich schien der Weltfriede jetzt für lange Zeiten hergestellt. Denn was damals im fernen Westen, in Tunis, Karthago betrieb und was in Italien Rom plante, das eben jetzt erst begonnen hatte aus dem engen Umland Latiums gegen die Samniten loszubrechen, kümmerte den Herrn Babylons vorläufig wenig. So begann Alexander jetzt die Verwaltung des uralten, aber erweitert wiederhergestellten Weltreichs der Assyrer und Perser. Er hatte es unbedingt fester in Händen als alle seine Vorgänger großen Namens. Friede aber bedeutet nicht Muße und Rast, und auch jetzt gab es für ihn alle Hände voll zu tun und eine Fülle des erregenden Erlebens. Wir werden es sehen. Aber was folgte, war kein blindes Darauflosregieren. Durch alles hindurch läßt sich vielmehr ein durchdachter Plan des jungen Weltherrschers sehr wohl erkennenHier erscheint Alexander also als Schützer der εὐνομία. So, als Zeussohn und als ἀρωγὸν εὐνομίης ϑνητοῖσιν bezeichnet ihn das in des Sokrates Kirchengeschichte erhaltene Orakel, Anthol. Pal. ed. Didot III S. 482 Nr. 92. Wann mag dies abgefaßt sein?. Es sind, kurz gesagt, die Ideen des Plato, die, wie es scheint, Xenokrates, Plato's Schüler und Nachfolger, ihm noch einmal vorgetragen hatteXenokrates schrieb στοιχεῖα πρὸς Ἀλέξανδρον περὶ βασιλείας, Diog. Laert. IV 14. und die er in seiner Machtstellung zu verwirklichen gewillt war: Schaffung eines in sich geschlossenen Soldatenstandes und vollständige Absonderung desselben von den arbeitenden und erwerbenden Klassen. Dazu Förderung des Erwerbes. Denn die erwerbenden Klassen sollen den Soldatenstand sowie den Herrscher und das Beamtentum, das ihm dient, ernähren. Die Herrschaft aber führt der Philosoph; der Philosoph ist König, der die Maßnahmen seiner Herrschaft auf Recht und Gerechtigkeit, d. h. auf eine durchdachte Ethik gründet. So würde der platonische Idealstaat wunderbar und in kolossalem Ausmaß die Welt umfassen: der Nûs soll es sein, der in der Welt den Thymos und die Epithymie, die »Vernunft«, die den »Mut« und die »Begehrlichkeit« regiert. Wenn später in Römerreich Hadrian und Mark Aurel dasselbe versuchtenVgl. Römische Charakterköpfe8 S. 288 f., so war ihr Vorgänger Alexander gewesen.
215 Also Friede. Es gab Leute, die da behaupteten, der Selbstherrscher und Tyrann entarte, wenn er nicht Krieg führePlutarch, An seni sit gerenda rp. p. 792 A.. Alexander wollte diesen Satz widerlegen. Freilich wurde ihm dies anfangs schwer gemacht.
Denn kaum hatte er Indien verlassen, so gab es dort Aufstand hinter seinem Rücken, und einer seiner Satrapen wurde dort ermordet. Aber die zurückgelassenen Garnisonen reichten hin, die Ruhe herzustellen. Im Reich selbst aber fand er vielerorts schmähliche Mißwirtschaft vor, ja, Rebellion, und es galt blutig einzugreifen; denn Indien lag fernab hinter den Schneegebirgen, und man hatte wieder einmal geglaubt, der waghalsige König werde mit Tode abgehen und komme nicht wieder. Persische, aber auch mazedonische höchste Beamte waren strafbar. Griechen, die er in Städten angesiedelt hatte, waren ausgebrochen. Mazedonen hatten ihre Stellung als Satrapen dazu mißbraucht, Söldner anzuwerben, und so kleine Königreiche gegründet, andere aus Übermut und Religionshaß die heiligen Feuerstätten, die Andachtsstätten der Perser, zerstörtDie Schutzbauten für die heiligen Feuerstätten der Perser glichen gel. den Tempelbauten; s. Archäol. Anzeiger, Beiblatt z. Jahrbuch 1921 S. 274 ff.. Sogar das Grab des Kyros war ausgeplündert, die Leiche geschändet worden. Alexander war kein Zauderer; bängliches Erwägen ist wie Blei am Fuß, und wer wilde Hengste zähmen will, braucht scharfen Zaum. Der Tod kam über alle Missetäter. Die Beamten sind nicht dazu da, das Volk zu schinden und zu kränken, sondern seiner Wohlfahrt zu dienen, war sein GrundsatzArrian VI 27, 5: οὐκ ἐξῆν ὑπὸ τῇ Ἀλεξάνδρου βασιλείᾳ ἀδικεῖσϑαι τοὺς ἀρχομένους ὑπὸ τῶν ἀρχόντων.. Die Ruhe im weiten Reich war erstaunlich rasch wiederhergestellt.
Am tollsten aber war das freche Gebaren des Harpalus. Es zeigte sich da wieder einmal die Anhänglichkeit des Alexander an seine Jugendfreunde und wie gründlich er sich durch sie täuschen lassen konnte. Harpalus, den Jugendfreund, hatte er gleich nach den ersten großen Kriegserfolgen, da der junge Mann im Felde unverwendbar, zum Vorsteher der Finanz gemacht; der aber war bald danach aus Überdruß oder Abenteuerlust einfach davongelaufenNach Megara (Arrian III 6, 7). Ob damit irgendwie zusammenhängt, daß Megara dem Alexander hernach das Ehrenbürgerrecht anbot (oben S. 155)?. Alexander grollte nicht, strafte nicht; er rief ihn mit guten Worten wieder zu sich und machte 216 ihn abermals zum Schatzmeister in Ekbatana. Offenbar war der Mensch für geldwirtschaftliche Dinge hochbegabt. Den ganzen, enormen Reichsschatz, den Alexander erbeutet hatte, bekam er in die Hand, hatte gewiß auch die Münze, das Ausgeben des neugeprägten Geldes zu leiten. Kaum aber stand Alexander am Indus, brannte Harpalus unter Mitnahme des Reichsschatzes oder doch von Riesenmassen Goldes durch, ein Bankdirektor, der mit seiner Bank durchgeht, der größte Defraudant der Weltgeschichte – es ist unter Alexander alles großartig, so auch dies – und Alexander geriet am Indus in solche Geldnot, daß er den großen, für Nearchs Expedition bestimmten Flottenbau auf dem Indus auf Anleihe ausführen mußte. Er entlieh das Geld von seinen Generälen, die erstaunlich bei Kasse waren; sie hatten sich im Verlauf der Dinge gehörig bereichertPlutarch erzählt dies im Eumenes c. 2.. Eumenes selbst hielt da mit Geld zurück. Da brennt Alexander angeblich dessen Zeltbau nieder, wodurch mehr als 1000 Talent in Gold und Silber freigelegt wurden; aber auch das Archiv verbrannte da mit. Alexander nahm dann aber nichts von dem Geld, die Archivalien ließ er durch Duplikate an sämtliche Satrapen und Strategen ersetzen. Eumenes war nämlich Archivvorsteher und Leiter der Abfassung des königlichen Hofjournals..
Inzwischen schlemmte Harpalus in Babylon voller Freuden, schmiß mit Geld um sich, ließ sich aus der Halbwelt Athens eine der berühmtesten Schönheiten kommen – Pythionike hieß die üppige Person –, ließ ihr, als sie am Klimafieber alsbald wegstarb, Grabmäler und Denkmäler setzen, die an Ausmaß und klotziger Pracht alles Dagewesene überbotenAthenäus p. 595 A. (sie wurde dabei als Göttin frisiert, und ihr Grabbau galt als Tempel), und gab ihr in den Orgien, die er feierte, eine noch üppigere Nachfolgerin. Denn Athen lieferte damals nicht nur die großen Philosophen, sondern auch die elegantesten Verkehrsdamen von unzweideutiger Zweideutigkeit. Damals ließ Alexander in seinem Feldlager am Indus ein Theaterstück spielen, in dem Harpalus mit seinen Weibern auf die Bühne gebracht wurde; Satyrn bildeten den Chor im Stück und umtanzten meckernd den weinestollen Helden. Das Drama war improvisiert; nach Einigen sollte es gar Alexander selbst verfaßt habenDas Drama hieß Ἀγήν; s. Athenäus p. 595 E. Die Reste sind dürftig und machen keinen verlockenden Eindruck. Harpalos hieß darin Pallides, worüber Hoffmann, Die Mazedonen S. 165.. Als aber Alexander plötzlich in Persien erschien, floh der Sünder in heillosem Schreck nach Kleinasien, aber Riesengelder nahm er mit und beschloß sich einmal als Rebell zu versuchen, warb ein kleines Söldnerheer an, versuchte damit die Griechen im Peloponnes zum Aufstand zu verlocken, deponierte seine Gelder im 217 Burgtempel Athens, spielte aber auch dem Demosthenes eine Summe in die Hand, der sie wohl gelegentlich zu politischen Zwecken brauchen wollte; denn Demosthenes, der zähe Patriot, nährte immer noch seinen Alexanderhaß und hoffte noch immer auf einen völligen Umschwung der Dinge. Die Folge war, daß Athen dem großen Redner, als habe er Gelder unterschlagen, den Prozeß machte und ihn in die Verbannung schickte. Der verbitterte Mann, der mit all seinen politischen Zielen gescheitert war, mußte auch das erleben. Alexander bekam indes den Harpalus nicht zu fassen; aber der Mensch fand gleichwohl das Ende des Abenteurers, das ihm zukam, und der groteske Schwindel war damit abgetan.
Alexander aber schmiedete jetzt Heiratspläne; sie beruhten auf weitsichtiger Überlegung und betrafen nicht nur ihn selbst und seine Dynastie. Heirat und Regelung der Fortpflanzung schien ihm das erste und wichtigste Friedenswerk.
Niemand schildert uns leider sein Wiedersehen mit Roxane. Die Weltgeschichte plaudert von diesen Dingen nicht und verrät uns nur allzu selten das Erleben liebender junger Frauen. Roxanes Vater hatte Alexandern, als dieser seine Indusfahrt machte, dort aufgesucht, ihm vielleicht, um modern zu reden, Grüße von seiner Tochter gebracht, wurde von Alexander dort auf das liebreichste aufgenommen und zum Satrapen in seinem Heimatlande, im Bergland des Hindukusch erhoben. Aber auch dem Bruder Roxanes war Alexander freundlich gesonnen und brachte ihn eben jetzt in eine bedeutende PositionArrian VII 2, 1; dieser Bruder hieß Histanes.. Trotzdem mußte Roxane ihren König jetzt mit andern Frauen teilen.
In Mazedonien hatte Alexander als Jüngling deshalb nicht geheiratet, weil ein Sohn aus solcher Ehe reiner Mazedone und zur Erbfolge in Persien ungeeignet gewesen wäre. Die Heirat mit Roxane war ein Liebesbund; aber auch diese Frau war nicht echte Perserin, sondern aus Baktrien gebürtig. Darum beschloß er jetzt eine rein politische Heirat; die Hochzeit aber, die er da beging und veranstaltete, warf alles in Erstaunen, und die Weltgeschichte hatte etwas Ähnliches noch nicht erlebt. Er war der 218 Mann, der das Beispiellose liebte. Man muß sich dabei aber gegenwärtig halten, daß die Vielweiberei etwas durchaus nicht Ungewöhnliches und im Auge der Männerwelt völlig ohne Anstoß war.
Er beschloß, in Susa, wo auch die ehrwürdige Sisygambis lebte, jetzt auch noch die Tochter des Darius, die Enkelin der Sisygambis, mit Namen Stagira, zu freienStagira war ihm schon früher von Darius selbst zur Ehe angeboten worden. Wenn Arrian dafür den Namen Barsine bringt, so ist dies eine Verwechslung mit der Witwe des Memnon, von der Alexander den Sohn Herakles hatte (oben S. 123).; ein Sohn aus solcher Ehe würde ein rechter Enkel des Darius sein. Aber auch dies schien ihm noch nicht ausreichend, da dieses Darius Anrecht an dem Thron sich hatte anzweifeln lassen, und er nahm gleichzeitig auch noch eine Enkelin des Großkönigs Ochus, des Vorgängers des Darius – sie hieß Parysatis – zum Weib; denn dieser Ochus war Abkomme des persischen Königsstammes in gerader Linie gewesen und hier also die Legitimität des Nachwuchses auf alle Fälle gesichert. Roxane blickte auf diese Frauen mit Haß; aber es half ihr nichts.
Alexanders Plan ging indes noch viel weiter, und was folgt, liest sich wie eine Märchengeschichte des Orients. Es sollte eine Massenhochzeit geben, und 80 seiner mazedonischen Großen mußten sich gleichzeitig und am selben Tage mit Perserinnen vermählen. Gewiß waren diese Herren nicht lauter Junggesellen, und auch für sie waren dies gewiß nur Nebenfrauen. Aber sie fügten sich willig; denn eine Heirat hatte damals nicht alle gesellschaftlichen und juristischen Konsequenzen wie heute. Also 80 Paare. Selbst die Hochzeit der Danaïden wurde damit überboten.
Nicht nur Aussöhnung, sondern ein Ineinanderfließen der Völker durch Blutmischung war Alexanders Programm; damit trat er jetzt rücksichtslos energisch hervor, und er wollte es durch Massenehen erzwingenVgl. Diodor 18, 4, 4: ὅπως τὰς μεγίστας ἠπείρους ταῖς ἐπιγαμίαις καὶ ταῖς οἰκειώσεσιν εἰς κοινὴν ὁμόνοιαν καὶ συγγενικὴν φιλίαν καταστήσῃ, aus Alexanders Memorialbuch., ein Vorgehen, ganz in der verstandesmäßig rechnerischen Weise Platos, der in seinem Buch vom besten Staat die Ehe gleichfalls ganz mechanisch wie ein Gestüt behandelt. Der Staatswille bringt Weib und Mann zusammen und übernimmt dann auch, was das Wichtigste, die Kinderfürsorge und Kindererziehung. Eben dies beabsichtigte 219 auch Alexander. Er rechnete planvoll mit der nächsten Generation, die er die Epigonen nannte, er bereitete sie geradezu vor, und diese Epigonen sollten, soweit es Knaben, ausschließlich im Lager als Soldatenkinder erzogen werdenDiodor 17, 110, 3. Justin 12, 4, 6 ff.. So würde ein persisch-mazedonisches Heer entstehen, in dem die Mischlinge den Kern bildeten, ein stehendes Heer von Berufssoldaten, der Stand des Mutes, nach Plato, der sich vom Stand der Erwerbenden, den Leuten der Begierde, ernähren ließ.
Um noch ein paar Namen zu nennen, so mußte auch Hephästion eine der Töchter des Darius nehmen; Kraterus eine Nichte desselben, Nearch eine Tochter des einst gefürchteten Spitamenes usf.Aus solcher Mischehe ging z. B. Antiochos I, der nachherige König Syriens, der Sohn des Seleukos und einer Perserin hervor..
Die Feier selbst verlief ganz nach persischer Sitte. Die Herren saßen auf Lehnsesseln in Reihen; sie wurden gespeist, dann die Bräute in den Saal hereingeführt; die mußten sich zu ihrem künftigen Gebieter setzen. Handschlag und Kuß folgte. So machte es Alexander zuerst, dann die andern der Reihe nach. Dann verschwanden die Paare. Alexander aber gab allen reiche Mitgift. Außerdem aber mußten gleichzeitig auch noch 10 000 mazedonische Soldaten Perserinnen heiraten. Über sie wurde eine Liste geführt. Auch ihnen gab Alexander Brautgeschenke.
Übrigens hatte Alexander schon längst Perserjungen in großer Anzahl in mazedonischen Drill genommen und hatte seine helle Freude an ihnen, als sie jetzt, da er aus Indien zurück war, vor ihm Parade marschierten, tüchtig und schönPlutarch c. 71..
Man wird nun schon hiernach bemerken, und es kann nicht genug betont werden, daß Alexander an eine allgemeine Völkervermischung in seinem ReichEs scheint mir durchaus irrig, wenn W. Otto, Alexander der Große S. 18, hiervon spricht. Um eine Blutmischung der Griechen mit Syrern usf. zu erzeugen, hatte Alexander keinen Schritt getan, vielmehr den Ägyptern, Syrern, Juden und allen andern durchaus gestattet, ihre Eigenart zu hüten und zu bewahren, wie dies schon das Prinzip der Perserkönige gewesen war. nicht entfernt gedacht hat; die Semiten, Babylonier und Syrer schloß er vielmehr planvoll aus. Es kam ihm nur darauf an, die beiden nach seiner Meinung wertvollsten Nationen, die zudem unter sich am artgleichsten waren und auf die er sich stützen mußte, durch Blutbande auf die Dauer eng zu verknüpfen, Perser und Griechen, Perser und Mazedonen. Er war zwar nicht Antisemit, bestimmte aber für 220 die semitischen Völker die produktivarbeitenden und merkantilen Berufe der Handwerker und Handelsmänner, drückte sie also im Staat in die Masse der dritten Bevölkerungsklasse herab, die für Heer und Regierung, unter deren Schutz sie steht, die nötigen Leistungen aufzubringen hat.
Die große Hochzeit der Achtzig und der Zehntausend war scheinbar ohne Anstoß verlaufen. Aber es sollte nun doch noch zu einem Konflikt kommen, der alle bisherigen überbot. Die sich steigernde Begünstigung der Perser wirkte schließlich Eifersucht, Haß und Wut bei Alexanders Leuten, und dies kam zu unerwartetem Ausbruch.
Für das, was Alexander wollte, hatte niemand außer ein paar der Generäle und der Intimen Verständnis. Es verstand sich aber von selbst, daß er, um das Weltreich dauernd zu sichern, einen Heeresbestand brauchte, für dessen Rekrutierung Mazedonien und Hellas bei weitem nicht mehr ausreichten. Es war jetzt hohe Zeit, auch den besten Teil der Asiaten zu vollwertigen Soldaten zu erziehen, d. h. auf sie die Bewaffnung und Fechtweise zu übertragen, die Alexander und sein Vater ausgebildet hatten.
Sein Heer, das er immer noch kriegsmäßig zusammenhielt, wurde nicht in städtische Quartiere gelegt, sondern führte wie bisher ein Lagerleben. Das Lager war eben bei Opis am Tigrisstrom aufgeschlagen. Alexander kam dorthin und verkündete, die Veteranen könnten in die Heimat abziehen, und verhieß reiche Dotation, durch die sie in Mazedonien groß dastehen würden. Aber das wurde falsch aufgefaßt: »Er will uns los sein, er will nur noch seine Perser!« Ein höhnisches Geschrei und Getöse entstand: »Wir wollen alle aus dem Dienst. Bleib' du allein mit deinem Vater; der mag dir helfen, nicht wir.« Mit dem Vater war der Gott Ammon gemeint. Ein Streiken der gesamten Armee. Alexander aber – er stand auf dem Hochstand oder Tribunal –: als er das hörte, flammte er in Zorn auf, stürzte sich furchtlos mitten in die meuternde Menge, nur von ein paar Offizieren begleitet, und befahl die 221 Rädelsführer – es waren 13 Kerle – zu packen oder er griff sie gar selbst und ließ sie sofort zur Hinrichtung abführen. Es fand sich doch noch Personal, das das vollzog. Die Aufrührer im Heer werden auch heut füsiliert.
Das Gebrüll war verstummt, ein tiefes Schweigen der Bestürzung in der Masse, und er hielt eine Rede an seine Mazedonen, wundervoll, wenn der Wortlaut echt ist, der uns vorliegt. Es ist undenkbar, daß damals eine so hochbedeutsame Rede nicht stenographisch oder doch nach ihren Hauptgedanken aufnotiert worden wäreWir wissen jetzt, daß die Griechen damals auch schon stenographierten. Auch schon für die entscheidenden und hochpolitischen Reden eines Perikles und Alkibiades ist unbedingt dasselbe anzunehmen (vgl. Von Homer bis Sokrates S. 256). Auch in Xenophons Hellenika haben die Reden gelegentlich einen historischen Kern (s. U. Wilcken, Hermes 59, S. 126). Daneben bleibt bestehen, daß Arrian – wie Thukydides und Xenophon – auch solche Reden bringt, die er selbst zurechtgemacht hat. Das tat er, wo Vorlagen für die echten Reden fehlten.. Der Inhalt ist jedenfalls ganz so, als müsse er wirklich so gesprochen haben. »Ich halte euch nicht. Ihr Undankbaren habt vergessen, was mein Vater, was ich für euch getan. Mein Vater tat viel für euch; aus dem Nichts hob er Mazedonien zur Macht. Ich aber tat mehr; Ruhm und Reichtum und alles, was den gemeinen Mann stolz und glücklich macht, habt ihr durch mich. Ihr, ihr habt all das gewonnen, nicht ich. Was hab' ich selbst denn von all den Mühen und Kämpfen als diesen Purpurlappen, den ich trage, und diese königliche Kopfbinde? Ich habe keinen Privatbesitz, keine Schätze außer denen, die euch und dem Reich dienen. Ich esse wie ihr und schlafe wie ihr. Ja, ich bin früher wach als ihr alle und speise geringere Kost als ihr. Und eure Mühen? und eure Tapferkeit? Auch die habe ich geteilt. Trete jeder vor und zeige mir seine Wunden. Ich kann es auch. Keine Stelle an meinem Leib, die nicht Narben trüge.«
Es war, als stünde eine Gewitterwolke um seine Stirn. »Nun aber,« schloß er, »geht nach Haus ab, alle alle. Ich will euch Mazedonen nicht mehr. Meldet zu Hause, ihr habt den, der euch von Sieg zu Sieg durch tausend Länder geführt hat, verlassen und der Treue überlassen, die die Perser für mich hegen. Geht!«
Dann sprang er vom Tribunal und verschwand für zwei Tage, für alle unzugänglich, die zu ihm wollten. Es war dies seine Art sich nach großen psychischen Erschütterungen zu isolieren. Am dritten Tag berief er die persischen Großen und 222 verteilte unter sie alle Chargen. Es war ihm völlig ernst. Nur seine mazedonischen Leibwächter, zu denen auch Hephästion immer noch gehörte, blieben um ihn. Als aber die Mazedonen im Feldlager das hörten, und daß auch sonst sofort persische Truppenformationen zustandekamen, stürzte die Masse voll Reue und unbewaffnet zum Königsbau und flehte um Vergebung und Einlaß.
Da trat Alexander aus dem Tor zu ihnen, sah ihre Ergebenheit, und die Freudentränen stürzten ihm aus den Augen. Er fand keine Worte. Alles blieb still. Dann rief einer der Leute: »Es war nur das, daß du nur die Perser liebst!« »Ich liebe euch alle wie meine Brüder«, war des jungen Königs Antwort, und er ließ sich küssen von jedem, der sich verehrungsvoll ihm nahte. Da brach ein Jubelschrei los, Heilruf und Kriegsgesang, und das abtrünnige Heer stand wieder treu unter Waffen. Eine große Volksspeisung folgte. Alexander saß fraternisierend mitten unter den Leuten, erst unter den Mazedonen, dann unter den Persern, und sprach Wünsche und Gebete für Einigkeit und Versöhnung der beiden Völker.
Und es folgte darauf die Ausbildung eines Heeres aus beiden Nationen, das stark genug war, um dauernd den Bestand des Reiches zu gewährleisten. Erst damit war eigentlich für das Weltkönigtum, das Alexander sich auferlegt hatte, das feste Fundament gewonnen.
Für Griechenland war er immer noch der Wohltäter, seine Wohltaten freilich nicht immer willkommen, und man merkte den Despoten, von dem sie kamen. Er verlangte von den kleinen griechischen Staaten fast gar keine Leistungen mehr, aber sein Befehl erging und kam beim Volksfest in Olympia durch Herolde zur Verkündigung, daß sämtliche Städte ihre politischen Verbannten wieder zurückrufen sollten. Aus den demokratischen Städten hatte man die Aristokraten vertrieben und umgekehrt. Eine noble Wirtschaft. Nun mochte man sich aufregen; denn es handelte sich zum mindesten um 20 000 Verbannte20 000 Verbannte sollen allein schon in Olympia bei den Festspielen des Jahres 324 anwesend gewesen sein.. Man sollte sie jetzt in ihre Rechte, in ihre konfiszierten Besitztümer 223 wieder einsetzen. Das setzte tausend Schwierigkeiten; die Advokaten und Rechtsverdreher rieben sich die Hände; sie bekamen zu tun. Alexander sah das alles aus der Vogelschau; mochten die Kleinen mit solchen Kleinigkeiten sich abfinden; er wollte den Frieden. Dann aber kamen in die Städte ganze Soldatenzüge aus Asien, und das wirkte noch übler. Alexander hatte aus seinem neu gebildeten Heer alle griechischen Söldner endgültig abgestoßen. Die unbeschäftigte Bande strömte nun im Peloponnes zusammen und trieb da ihr Unwesen und wirkte wie Zündstoff. In diesem Ländchen des ewigen Zankes drohten neue Explosionen.
Dem König machte das wenig Sorgen, mehr Sorgen schuf ihm Mazedonien, seine eigene Heimat. Er war jetzt Schah von Persien, Nachfolger des alten Landesfeindes: wie wenn nun Mazedonien sich von ihm lossagte? Er erhielt Briefe über Briefe von seiner Mutter Olympias und von seinem Statthalter Antipater, die sich gegenseitig haßten und anklagten. Olympias schrieb: Antipater plant Abfall. Antipater beschwerte sich über das herrische Auftreten der leidenschaftlichen Frau. Alexander soll da geseufzt haben: »Neun Monate habe ich in meiner Mutter gewohnt; sie läßt mich das nachträglich teuer bezahlen.« Wirklich aber scheint es so, daß Antipater dem Alexander grollte seit der Ermordung Parmenios, dessen alter Waffengenosse er gewesen, und seit der Hinrichtung seines Schwiegersohns, den nicht Alexander selbst, aber Alexanders Heer gerichtet hatteEs handelt sich um den Lynkesten Alexander; s. oben S. 112 Anm. "Erst drei Jahre später...".. Um die Verhältnisse zu sichern, befahl der König dem Antipater nach Asien zu kommen und schickte einen seiner ergebensten Männer, Kraterus, mit den ausgedienten Veteranen nach Mazedonien; er sollte Antipaters Stelle dort einnehmen. Kraterus war kränklich geworden und der Abschied schmerzlich; es war, als hätte Alexander damals ein Heimweh nach dem Lande seiner Kindheit befallen.
Aber ein ganz anderer Schmerz sollte ihn erfassen. Alexander war nach Ektabana gezogen, um dem Publikum in dieser Residenz ein großes KünstlerfestEs war ein Dionysfest, die Künstler die sog. dionysischen Künstler. mit Gottesdienst, Theater, Musik 224 und sportlichen Darbietungen der besten griechischen Künstler zu geben. Das Volk Irans sollte sich eben einleben in griechisches Wesen und die Herrlichkeiten seiner Kultur. Auf dieser Reise inspizierte er auch die großen königlichen Stutereien im nisäischen Gefilde, die schmählich beraubt worden waren; 150 000 Rosse trieben sich da früher frei in der weiten Ebene um; jetzt waren nur noch 50 000 vorhanden. Während der erwähnten Festvorstellungen aber erkrankte sein Freund Hephästion. Alexander brach sofort alle Vorführungen ab, um ihn aufzusuchen; aber er fand ihn tot. Man muß wissen, was Freundschaft im Süden und in der antiken Welt bedeutet hat: Verbrüderung, ein geheiligter Bund fürs Leben: Orest und Pylades! Der Freund ist »das andere Ich«; auch Alexander brauchte diesen Ausdruck; auch Hephästion war also AlexanderSiehe oben S. 126.. Seine Mutter Olympias, die rasende Person, war hierauf so eifersüchtig, daß sie den Hephästion in ihren Briefen verleumdete: »Traue ihm nicht; er wird dich noch umbringen.« Alexander schrieb zurück: »Hör' auf damit. Übrigens gelingt es dir nicht mich aufzuregen; ich bin Herr der LageDiodor 17, 114..« Nicht nur auffallend schön, ein zuverlässiger, geschäftskluger und maßvoller Mann war dieser Hephästion, nie sich vordrängend und ganz dazu gemacht die zweite Rolle zu spielen, als Städtebauer und in der Leitung beliebiger anderer technischer Unternehmungen großen Stils bewährt, dann aber auch Stratege und in den Feldzügen, vor allem in Indien, selbständiger Führer großer Truppenverbände, der kämpfend oder auch kampflos durch Vertrag weite Gebiete okkupierte. Den Klimawechsel vertrug der Mann nicht; das Fieber ergriff ihn; er befolgte die Diätvorschriften der Ärzte nicht (gegen ihre Verordnung aß er noch einen ganzen Hahn und trank dazu starken Wein; eigentlich ein Zeichen von Gesundheit) und starb rasch weg.
Für Alexander war es eine Warnung. Seine Trauer ging tief; es war, als sei ihm eine seiner Hände abgehauen. Nicht maßlos äußerte sich sein Schmerz, wie später seine Tadler fabelten, aber doch echt leidenschaftlich nach Art des Südländers. Er 225 schloß sich, um des Affektes Herr zu werden, auch jetzt wieder von den Menschen ab und verweigerte mehrere Tage Nahrung und Körperpflege, ging mit geschorenem Haupt, und man hörte sein Stöhnen. Dann ging sein Befehl in die Welt hinaus, und es gab Landestrauer im ganzen Reich. Man sollte erfahren, was ihm dieser Freund gewesen war. Bei uns gehen in solchem Fall die Flaggen halbmast, und die Glocken läuten klagend von den Türmen. Alexander ließ nach echt persischer Sitte allen Rossen und Maultieren die Mähne scheren; alle heiligen Feuer mußten gelöscht werden (auch dies war in solchem Fall landesüblich); endlich war alle Militärmusik, auch das Signalblasen in den Feldlagern und Kasernen verboten. Weitere Nachrichten sind schwindelhaft, wie daß er von den Festungsmauern die Zinnen entfernen ließMan fabelte auch sonst noch viel: Alexander habe den Arzt Glaukias oder Glaukos, der den Hephästion nicht zu retten wußte, hinrichten, ja, die Asklepiosheiligtümer verbrennen lassen (Plutarch Pelopid. 34; Epiktet Dissert. II 22, 17). Dies sind durchsichtige Übertreibungen.. Hephästions Leichnam wurde balsamiert; denn erst nach Monaten konnte die Verbrennung stattfinden; sie sollte in Babylon geschehen, und die großartigsten Vorbereitungen waren nötig.
Inzwischen griff Alexander zum Schwert. Er mußte sich gleichsam austoben. Es galt in der Nähe Ekbatanas das frech räuberische Bergvolk der Kossäer unschädlich zu machen. Das gelang in zwanzig Tagen. Man sagte, er habe für Hephästions Tod ein Blutopfer gewollt. In Wirklichkeit galt es die lästigen Räuber, an die kein Xerxes und Darius sich gewagt hatten, endlich zu bändigen.
In Babylon aber wurde ein weites Areal freigelegt, und auf ihm sollte im Kolossalstil für den Toten der Holzstoß aufgebaut werden, himmelhoch, das Riesenkunstwerk eines Phantasten, wie es noch kein Auge gesehen, in etlichen Etagen voll Statuenschmuck, Purpur und Gold. Es war, als sollte man das Hochschlagen der Flammen jenseits aller Gebirge und Meere sehen. Aber noch mehr: Hephästions Gedächtnis sollte nie erlöschen, und er brauchte daher heroische EhrenWenn Diodor 17, 115 sagt, daß Alexander den Hephästion als Gott verehrt wissen wollte, so wird dies durch Arrian nicht bestätigt.««.. Also ordnete Alexander an – und das ist besonders bemerkenswert –, daß des Toten gesammelte Asche nicht in Babylon, auch nicht etwa in Mazedonien, sondern bei der neuen Stadt Alexandria in Ägypten 226 beigesetzt werden solle. Zweifellos hat Alexander also auch damals schon bestimmt, im Fall des eignen Todes nicht bei seinen Ahnen, sondern in Alexandria beigesetzt zu werden. Achill wollte bei seinem Patroklos ruhen. Ja, die Pharosinsel vor dieser Stadt sollte nunmehr Hephästonia heißen, so daß auf den Weltkarten hinfort Alexandria und Hephästonia geschwisterlich beieinander lagen. Das Sonderbarste aber ist, daß in Ägypten die Kaufkontrakte der Geschäftsleute hinfort zur Beglaubigung mit Hephästions Namen als Stempel versehen werden sollten, dem Zeichen der Zuverlässigkeit. Es ist dies fast zu kleinlich für einen Alexander, aber mit rührendem Feinsinn ausgedacht.
Dann bereitete er in Babel noch eine große Gedenkfeier vor mit tragischem Bühnenspiel, Orchester und andern Darbietungen, wozu er 3000 Künstler berief. Man kann sagen: Alexander ließ keinen Anlaß vorübergehen, an dem er die Bühnenkunst und Tonkunst der Griechen zur Geltung bringen konnte. Aber die Anlässe waren doch nur Götterfeste und Gedenkfeiern, und sie waren spärlich gegen die heutige Gewohnheit, da in unsern Großstädten kein Tag ohne große Oper und Konzerte und Mimik aller Art vergeht und in den Zeitungen die Programme ganze Seiten füllen.
Alexanders Kunstgeschmack aber war nicht mehr der echt griechische; er ging ins Bombastische, und das non plus ultra sollte gelten in allem; das läßt sich nicht verkennen. Wir erinnern uns hier wieder an seine Kindheit, wo er als Knäblein den Weihrauch vergeudete, den er in die Flamme streute. Sein Trieb ging von Natur in das Grenzenlose. Was die Kunst betrifft, so beginnt hier also auch in ihr der Überschwang oder das Sultanische, der Einfluß des asiatisch Grotesken, das nach dem Enormen greift.
Hören wir noch kurz einiges von dem, was man uns über den geplanten Aufbau des großen Scheiterhaufens berichtetDiodor 17, 115. Er war auf 50 Meter Höhe berechnet, im Viereck aufgebaut, jede Seite etwa 200 Meter lang. Im untersten Stockwerk sollten zunächst über den hängenden Purpurteppichen 240 227 vergoldete Schiffsschnäbel in natürlicher Größe ragen; auf ihnen allen Statuen, je 2 Meter groß, die z. B. kniende Bogenschützen darstellten. Höher noch riesige Fackeln, jede 6 oder 7 Meter lang, deren Griff von vergoldeten Kränzen umfaßt war. Noch höher sollten Adler hocken mit weitgespannten Schwingen und gesenkten Köpfen, unter deren Klauen sich Schlangen wanden. Weiter ganze Reliefs von Gigantenkämpfen, Löwenkämpfen, auch sie übergoldet. Endlich ganz oben war für die Sirenen der Platz, die weiblichen Todesdämonen, die hohl waren und wenn die Glut aus den Flammen hoch schlug, dröhnende Klagetöne ausstießen ähnlich den heulenden Sirenen, deren man sich heute als Schreckenssignale bedient. In Wirklichkeit mußten Menschen in den hohlen Figuren sitzen, die die Klage erhoben und die also in die Gefahr kamen mit zu verbrennen. Denn alles, Gold, Elfenbein und die andern Kostbarkeiten, war den Flammen zur Beute bestimmt, also nur für den Augenblick geschaffen.
Wann würde der Bau fertig sein? Die Totenfeier zögerte sich hinausDaß sie nicht zustande kam, bezeugt Diodor 18, 4, 2., und das Jahr 323 hatte begonnen. Der König hatte inzwischen längst mit brennendem Eifer all seine Pläne wieder aufgenommen. Je demonstrativer seine Trauer, um so weniger lähmte sie seine Tatkraft. Eben damals, als er auf dem Wege nach Babylon, kamen ihm in großer Karawane auswärtige Gesandtschaften entgegen, und die Begegnung gestaltete sich zu einem Huldigungsakt der Erdenwelt, der ihm, dem Allmächtigen, galt und der den Gipfel seiner Existenz bedeutet hat. Nicht nur von den eignen Lehnstaaten, auch von den Illyriern, den Kelten, den Karthagern und Etruskern, den fernsten Völkern, ja, wie man glaublich erzählt, auch von RomDie Gesandtschaft Roms wird nur in den Quellen zweiter Güte erwähnt, braucht aber darum keineswegs für Erfindung zu gelten. Sie ist an sich höchst wahrscheinlich, und der politische und Handelsverkehr mit dem nichtgriechischen Italien hat viel früher eingesetzt, als man gewöhnlich annimmt. Man sehe nur, wie genau Theophrast (hist. plant. V 8, 1) die Vegetation Latiums kennt. So erzählte denn schon bald hernach Timäus die Gründungssage Roms. Warum sollen die Römer weniger weitsichtig gewesen sein als die Kelten? Die Kelten aber werden hier gewiß mit Recht erwähnt; sie suchten schon früh Fühlung mit Alexander (s. Arrian I 4, 6; oben S. 63, Anm. "Auch Vertreter der kleinasiatischen Griechenstädte..."). Man beachte in Hinsicht auf die Kelten das merkwürdige Fragment 5 des Komikers Ephippus (II S. 253 Kock). Vor allem aber ist auf Strabo p. 232 hinzuweisen, der berichtet, daß Alexander Seeräuber, die aus Latium stammten, aufgreifen und nach Rom befördern ließ. Das setzt eine Gesandtschaft Alexanders nach Rom voraus; Rom hatte also Anlaß sich zu bedanken oder zu entschuldigen. Der Verkehr mit dem nichtgriechischen Italien riß dann nicht ab. Ptolemäus Philadelphus zog Kolonisten aus Kampanien und Etrurien nach Ägypten (s. z. B. Niese II S. 111). Man denke auch an Lykophrons Alexandra, worüber unten. kamen die Gesandten, ihn zu ehren, und Alexander hatte den Schiedsrichter zu spielen über die verschiedensten Differenzen, die ihre Länder betrafen: Gottesdienstliches, Grenzregulierungen, Parteihader in den Demokratien, Privatsachen der Vornehmen usf. Eine glänzende Bewirtung gab den Abschluß.
Ihn selbst aber beschäftigten ganz vorwiegend die Interessen 228 des Welthandels, der Völkerverkehr im Reich, die merkantilen Dinge. Es war die beste Friedenspolitik, der dritten Bevölkerungsklasse im Staate, den Erwerbskreisen zur Hilfe zu kommen. Es galt also, die Leistungen Nearchs fortzusetzen. Schon vordem er in Susa die große Hochzeitsfeier beging, war Alexander persönlich nach Nearchs Vorbild aufs Meer gefahren, um die Küste an den Tigrismündungen zu erforschen und aufzunehmen. Dann ließ er die die Schiffahrt hemmenden Stromschnellen im Tigris abgraben und beseitigen. Wie aber stand es mit dem Kaspischen Meer, dem großen Rätsel? Eine Flotte ließ er dort bauen, die es nordwärts befahren mußteArrian VII 16.. Vielleicht wurde die Landkarte dieser Gegenden, die man später benutztePlinius 6, 40. Alexanders persönliches Interesse an diesen Dingen bezeugten seine Briefe, die geographische Angaben enthielten: Plin. 6, 62., dieser Unternehmung Alexanders verdankt. Viel wichtiger aber war ihm noch die Umschiffung Arabiens. Er wollte wissen, ob nicht von Babylon nach Ägypten ein direkter Über-See-Verkehr möglich wäre, der den schwierigen Karawanentransport ablösen sollte. Zunächst sandte er einzelne kühne Seefahrer aus, die aber alle ungefähr nach halber Fahrt zurückkamen. Die arabische Halbinsel schien noch größer als Vorderindien, ihre Küstenbildung aber gefährlich und vorläufig unüberwindlich. Nun rüstete Alexander eine größere Expedition; neuen Schiffsbau gab's. Nearch sollte selbst heran. Unterhalb Babels ließ Alexander einen weit geräumigen Hafen ausgraben, der diesen Zwecken dienen sollte. Man grub in Schlamm und Sumpf; allein alles ging rasch. Er war schneidig hinter allem her. Im Frühling dieses Jahres, bei stillerer Luft, sollte die Expedition beginnen.
Auch sonst gondelte er häufig auf dem Wasser. Der Reitersmann war ganz zum Seemann, der Zeussohn zum Neptun geworden. Er befuhr die großen Kanäle, die vom Euphrat gespeist wurden, nicht etwa zum Vergnügen; es galt Schäden zu bessern. Einer der wichtigsten Kanäle funktionierte schlecht; er befahl nach eigner Besichtigung seinen Ausfluß zu verlegen, ein neues Problem für seine Techniker. Das gab ihm weiter Anlaß, ebendort eine Stadt zu bauen, indem er Dorfschaften 229 zusammenlegteNikephorion; s. Plinius 6, 119 u. 117; Arrian VII 21, 7.. So erzeugte eine Schöpfung die andere. Denn auch dem Straßenbau war das nützlich. Wo Städte entstehen, werden auch neue Verkehrswege nötig.
Dazu kam die LandmessungItinerum mensores, Plinius 6, 61.. In ganz Asien nahmen seine Geometer eine Neumessung der Entfernungen vor von Ort zu Ort: die Längen der Straßen, der Ströme, der MeeresküstenPlinius 7, 11.. Man maß nach Stadien, das ist nach der Länge der griechischen Rennbahn. Die Ergebnisse wurden in Schriften niedergelegt. Baeton leitete das GanzeEr war Alexanders βηματιστής: Athenäus p. 442 B. Amyntas schrieb über die Reisestationen, Ἀσίας σταϑμοί: Athenäus p. 500 D..
Dazu weiter die Hebung der Geldwirtschaft. Auch sie diente dem Handel. Die Perserkönige waren darin doch nur schüchterne Vorgänger Alexanders gewesen. Sie konnten das sprichwörtliche goldene SchlummerkissenOben S. 90. noch nicht entbehren. Erst der große Mazedone machte das Gold, das tot in den Tresors lag, flüssig, und das neue Alexandergeld, das noch in vielen Exemplaren erhalten ist, eroberte sich sogleich den Weltmarkt und blieb noch jahrelang nach seinem Tode in KursDas Geld war auf denselben Fuß geprägt wie das athenische, und Athens herrschende Stellung auf dem Geldmarkt ging dadurch alsbald verloren..
Er selbst war freilich kein Finanzgenie, und man muß annehmen, daß kluge Geldleute ihm halfen. Mit Schulden hatte er dereinst, vor nun 12 Jahren, den Feldzug zu beginnen gewagt; er wußte, der Krieg werde sich bezahlt machen. Hernach war er Verschwender und von blendender Freigebigkeit im Beschenken und Dotieren aller derer, die ihm dienten oder dienen sollten. Das Gold flog nur so aus seinen Händen. Die jährlichen Einnahmen des Reichs beliefen sich angeblich in diesen Jahren auf 300 000 Talent, das sind nahezu 1½ Milliarden GoldmarkJustin 13, 1, 9.. So lebten denn seine Herrn Generäle in Saus und Braus und größtem Luxus wie die KönigeAelian, Var. hist. 9, 3.. Aber auch der gemeine Mann war anspruchsvoll, und Alexander schüttete auch da. Sie sollten in der Lage sein, Familien zu gründen, aber lebten wohl auch oft genug als echte Kriegsgewinnler toll darauf los. Wieviele gab es unter ihnen, die da mit Minus arbeiteten und in Schulden steckten? Eben in der Zeit, von der ich handle, wollte Alexander das feststellen und erließ die Aufforderung: die Leute sollten Mann für Mann kommen und ihre 230 Schulden offen angeben. Aber sie kamen nicht, aus Furcht für ihre Verschwendung belangt, disziplinarisch bestraft zu werden. Da verkündete Alexander: »Ich habe keine Hintergedanken; ein König hehlt nicht und lügt nicht.« Dann wurden im Lager Feldtische aufgestellt, und Beamte rechneten jedem, der herantrat und sein Schuldbüchlein vorgelegt hatte, eine angemessene Schenkung zu, ohne doch die Namen der Leute aufzunotieren, und das Letztere war diesen noch lieber als die Schenkung selbstArrian VII 5..
Alexander als Organisator: darüber ist noch viel mehr zu sagen. Er war es auch in der Verbreitung der Kultur, in der Beeinflussung der Wissenschaft und des Gelehrtentums. Griechisches Wesen über die Welt zu streuen – dazu ließ er seine Perser griechisch lernen und machte, was noch durchschlagender gewirkt hat, das Griechische zur Verwaltungs- und Amtssprache im ganzen Reich, während die persische Verwaltung ungefähr so vielsprachig wie die Völker gewesen war, die ihr unterstanden. Aber auch die hundert Städte wirkten in gleichem Sinn, die der König überall bis an den Jaxartes und Indus ins Barbarenland legte und mit GriechenAuch seine Mazedonen rechnete er als Griechen. bevölkerte; sie sind für die Militärkolonien das Vorbild gewesen, die bald hernach Rom in Italien gründete und durch die Italien planvoll latinisiert wurde. Und dazu kamen noch die großen Festspiele, die Alexander gleichfalls überall gab, wohin er kam, um dort für die großartigen Werke griechischer Poeten und Musiker Widerhall zu wecken. Schon die nächste Generation, die »Epigonen«, sollten davon durchdrungen seinVgl. F. von Schwerin, »Kriegeransiedlung vergangener Zeiten«, in der Deutschen Monatsschrift für Politik und Volkstum (der Panther). Dazu auch Ed. Meyer, »Blüte und Niedergang des Hellenismus in Asien«, (in Kunst und Altertum, Bd. V), S. 41, Anm. 1..
Jene Städtegründungen waren bestimmt so zu wirken, wie hernach die Militärkolonien Roms für die Latinisierung Italiens gewirkt habenDies hat W. Otto »Alexander der Große« S. 14 verkannt.. Für Roms erstaunlich planvolles Vorgehen ist Alexander eben das Vorbild gewesen; er war weitsichtig in allem, und der Erfolg war sicher.
Auch mit den ersten Größen des griechischen Gelehrtenlebens, den Platonikern, insbesondere mit Aristoteles und seiner Schule blieb er in Fühlung. Nicht nur große Summen stellte er diesem großen Naturforscher zur Verfügung, sondern kam seiner 231 Forschung selbst energisch zur Hilfe; er selber organisierte die Arbeit. An die tausend Menschen mußten heran, Tiere sammeln, beobachten, im Dienst der Zoologie: Jäger, Fischer und Vogelfänger in Asien und Hellas. Dazu dienten Volieren, Fischteiche, BienenhäuserPlinius 8, 44.. Als noch nützlicher hat es sich erwiesen, daß er in Babylon den botanischen Garten, den Nachfolger der Gärten der Semiramis, neu bepflanzen und bereichern ließTheophrast De plantis 4, 4, 1..
Bücher las er gewiß nicht viel; wir hören selten davonAn Prosawerken ließ er sich nur des Philistos sizilische Geschichte nach Asien schicken (Plutarch c. 8), übrigens pathetische Dichtertexte.; sondern es genügte, daß ihn die gelehrten Griechen, die ihn umgaben, über die neuesten Ereignisse auf dem Literaturmarkt unterrichteten. Mit dem großen Historiker Theopomp stand er in BriefwechselAthenäus p. 595 A.. Aber er war vielseitig und hatte auch noch für andere ein offenes Ohr. Vom Indus her war ihm ein Brahmane gefolgt; Kalanos hieß dieser weise Mann. Auch mit diesem Asketen erging er sich gern in Gesprächen – wie einst mit Diogenes, der vor seinem Faß lag –, um ihn vom Vergänglichen und Bleibenden im Menschenleben, von dem Glück der Bedürfnislosigkeit und Entsagung reden zu hören: allen Besitz, auch Liebe und Freundschaft verliert der Mensch, wenn die Zeit kommt (ein Hinweis auf den Verlust Hephästions); das einzige, was ihm bleibt, ist sein eignes enges Ich mit seinem Dichten und Denken. Ein Mann der Tat hört gern einmal die Reden der Stillen im Lande. Aber Kalanos erkrankte; der Klimawechsel war ihm schädlich, und er beschloß sich zu verbrennen. Er wollte zeigen, was ein indischer Asket vermag. Und es geschah wirklich so. Das war ein Auflauf und ein Staunen, das durch alle Länder ging. Der hagere Mann legte sich ruhig auf das Holz und rührte sich nicht, da die Flammen über ihm zusammenschlugen. Alexander hatte versucht ihn davon zurückzuhalten, aber vergebens, und er gestattete die Öffentlichkeit des Hergangs. Er stand keiner religiösen Propaganda im Wege.
Des Kalanos letztes Wort an den König aber soll gewesen sein: »Bald werde ich dich sehen!« Das wurde als Vorausverkündigung seines nahen Todes gedeutetValerius Maximus I 8, 10..
Es war dies übrigens nicht das erstemal, daß Alexander 232 einen Menschen in Flammen stehen sah. In Mesopotamien erweckten die Petroleum- und Naphthaquellen sein Interesse. Man zeigte ihm, wie das Naphtha, das helle Erdöl, dem dunklen Petroleum verwandt, aus der Erde ströme und wie rasch es sich entzünde. Im Dunkeln schritt er durch eine enge Gasse der Herberge zu; man betropfte die Gasse mit dem Naphtha, und im Nu war sie prächtig erleuchtet. Als Alexander dann in seinem Baderaum sich bedienen ließ, brachte ein übermütiger Diener den unheimlichen Brennstoff in den Raum und sagte: »Wollen wir einmal eine Probe machen?« Da war ein Knabe, stumpfsinnig und garstig, an dem aber Alexander seine Freude hatte, weil er hübsch sang. Der mußte das Naphtha berühren und stand gleich in Flammen. Alexander sah es ratlos vor Schreck. Dann wurde der Bursche mit Wasser übergossen, aber er litt noch langePlutarch c. 35; das Petroleum bezeichnet Plutarch mit dem Wort Asphalt..
So stand Alexander auf der Höhe der Allmacht, auch auf der Höhe des geistigen Lebens. Mazedonien war Er, der weite Orient war Er. Das Schicksal der Völker und der Einzelmenschen war Er. Wo andere gezittert hätten unter dem Druck der übermenschlichen Verantwortung, fühlte er sich gelassen und ruhig wie ein beseelter Felsen: ein auserlesenes Werkzeug in der Hand Gottes, bestimmt, die Welt umzubauen, die Menschheit neu zu ordnen und unter eine einheitliche Pflege und Kultur zu nehmen. Man hatte in Olympia schon eine Statue errichtet, die ihn als Zeus darstelltePausanias V 25, 1., und es konnte von ihm gelten, was Shakespeare von Coriolan, dem Römerhelden, sagt: ihm fehlte zum Gott nur die Ewigkeit und der Himmel, darin zu wohnen. Er selbst aber hat sich nie als Gott geriertSiehe oben S. 108, Anm. "Etwas ganz anderes ist die Gottessohnschaft...".; er hat sorglich zwischen Gott und Gottessohn unterschiedenIn Megalopolis in Arkadien gehörte dem Alexander ein Privathaus; darin war Gott Ammon aufgestellt, kenntlich gemacht durch Bockshörner über dem Zeuskopf; das eben war das Bild seines Vaters: Pausanias VIII 32, 1.. Er glaubte nur dies, mystisch vom Höchsten abzustammen, ein junger Sterblicher, der sein Leben auslebt in heroischen Kämpfen und Ausübung wahrer Tugend und den erst der Tod zum Genossen der Götter macht.
Denn für wen war das alles, das rastlose Planen und Kämpfen? nur um des Ruhmes willen? zur Befriedigung des 233 Machtgefühls? oder für den Sohn und Erben, der noch nicht geboren war? Vielmehr: er war ein Schöpfer und Bereiter des Zukünftigen. Die Epigonen hat er, die nächste Generation, die kommende Menschheit im Auge gehabt. Er hoffte es selbst noch lange zu erleben und zu sichern, das Gedeihen der sich verjüngenden Völker unter seiner weltumfassenden Fürsorge.
Der Frühling des Jahres 323 war gekommen, in Babylon schon die heiße Jahreszeit. Alexander aber fühlte sich frisch und wohl. Er war erst 32 Jahre alt und in der Muße auch zu allerlei banalen Zerstreuungen stets bereit. Vor allem fehlte das tägliche Bad nie, mit sorglicher Hautpflege und Einölung des Körpers. Die Schweißbildung im Süden machte das nötig. Dazu kam das Ballspielen. Er hielt sich einen eigenen Berufskünstler im Ballspiel, mit dem er sich übteσφαιριστής: s. Suidas s. v. σφαῖρα.; aber auch ganze Scharen junger Leute waren mit in der Badehalle, und er sah ihrem Spiele zuPlutarch 73.. Außerdem war er Äpfelfreund (griechisch Philomelos); auch die Äpfel ließen sich als Ball benutzen, und er gab auf dem Wasser geradezu eine Schlacht mit ÄpfelwerfenChares bei Athenäus p. 277 A., eine Kanonade von Schiff zu Schiff in ausgelassener Stimmung. So bedurfte er auch abends der Geselligkeit, um so mehr, da ihm ein Familienleben fehlte. Wenigstens erfahren wir nicht, wie oft er und so auch die andern Männer seiner Umgebung sich mit ihren Frauen zusammenfanden. Fragt man die hohe Weltgeschichte danach, so zuckt sie verächtlich die Achseln und sagt: geht zu den Dichtern, den Romanschreibern, die mit solchen Indiskretionen hausieren gehen.
Im Männerverkehr war nicht nur er selbst der Gastgeber. Er ging auch gern zu andern, ohne alle Steifheit und lästige Schranken, auch ohne viel auf Standesunterschiede zu achten. Nett ist es zu hören, wie er sich in Baktrien zu einem gewissen Anaxarch verhielt, als sie dort bei starkem Frost in einer baumlosen Gegend kampierten, wo jedes Brennholz fehlte. Alexander wollte sich entkleiden und seine Körperabreibungen vornehmen lassen; aber der Raum konnte nicht geheizt werden, und es wäre nichts übrig geblieben als zu dem Zweck sein Bett 234 zu verbrennen. Da hörte er, jener Anaxarch, der da als Trainoffizier wirkte, habe statt des Proviants auf den Maultieren große Holzvorräte heranschaffen lassen. Sofort ging er, statt von dem Holz für sich zu verlangen, in dessen schlichte Baracke hinüber und ließ sich da in der Wärme massieren und einreibenAelian, Var. hist. 9, 30.. Man erzählte das, um zu zeigen, wie einfach kameradschaftlich oft sein Verhalten war.
Eben jetzt sollte die große Expedition, die Entdeckungsfahrt um Arabien beginnen. Alle Vorbereitungen waren fertig. Von Sidon her, aus dem Mittelmeer waren die nötigen Schiffe weit über Land herantransportiert worden; die Schiffe wurden auseinandergenommen und auf dem Euphrat wieder zusammengesetzt. Dazu kamen die Neubauten, darunter ein gesteigerter Schiffstypus von zehn Stockwerken mit Ruderbänken übereinanderDecemremes: Plinius 7, 208.. Eine Probefahrt und Wettfahrt der Flotte gab es auf dem breiten Strome; alle Ufer voll Zuschauer: es war gewiß wieder ein großer Tag.
Bis zur Ausfahrt ins Meer galt es jedoch noch einige Tage zu warten, und Alexander pflegte an den Abenden die übliche Geselligkeit. Seit Hephästions Tode hatte er sich mit einem seiner sog. Königsgenossen, den er Medîus nannteΜήδειος ist Koseform und Abkürzung irgendeiner volleren Namensform wie Νικομήδης., nahe befreundet und verkehrte gern mit ihm. Es war nach der Abendmahlzeit und geselligem Trunk schon ziemlich spät geworden, und Alexander wollte schon schlafen gehen. In jenem tropisch heißen Lande aber führt man gern ein Nachtleben; denn erst die Nächte bringen Erquickung. So forderte Medîus ihn auf, noch bei ihm etwas zu zechen und Kurzweil zu treibenDie Worte κῶμος und κωμάσαι bei Arrian VII 24, 4 bedeuten Kurzweil treiben beim Becher Wein, nicht sich betrinken.. Alexander war so jung wie die andern und guter Dinge. Warum sollte er sich weigern? Auch folgenden Tags wiederholte sich das. Jedesmal nach dem späten Trunk nahm er ein Bad. So meldet das Hofjournal, das uns über diese Dinge berichtet. Als dies das drittemal geschehen, verfiel er am Tag darauf, nachdem er gebadet und zu Abend gespeist, in Fieber. Es scheint, daß man die Sache kaum beachtete. Der Geier aber war schon aufgeflogen und rauschte über ihm mit seinen Flügeln; 235 es war der Tod. Alexander sollte den Weg Hephästions gehen.
Vor Monaten, als er aus Ekbatana aufbrach, um in Babylon einzuziehen, waren ihm Chaldäer von dort entgegengekommen und hatten ihm, frech wie sie waren, den Tod geweissagt: er werde sterben, wenn er Babylon betrete, es sei denn, daß er von Westen komme. Die Chaldäer waren Astrologen und die Weissagung ihr Beruf. Aber dies war ein dreistes Manöver, um Alexander von ihrer Stadt fernzuhalten; denn sie wußten, der Zugang zu ihr war zum Ende der Winterzeit, wo der Euphrat mit Hochwasser ging und in breiten Sümpfen nach Westen austrat, von Westen aus unpassierbar. Die reiche und mächtige Priesterkaste wollte am liebsten in der Stadt allein herrschen und konnte keinen König brauchen. Vor allem aber hatte Alexander die Absicht, den berühmten Stufentempel des Bal, den einst Xerxes zerstört, wieder aufzubauen; auch das aber war den Bonzen zuwider; denn der Tempel besaß ringsum reiche Güter und Liegenschaften, die, solange der Tempelgottesdienst ruhte, den Chaldäern selbst zugute kamen; sobald er wieder hergestellt war, wurden die Erträge wieder für den Tempeldienst und Kultus verwandtAntiochos Soter hat den Tempel hernach wirklich wiederhergestellt; daher sagt Plinius 6, 121: durat adhoc ibi Jovis Beli templum..
Auf Alexander machte die Drohung doch Eindruck. Als er aber den westlichen Zugang zur Stadt unmöglich fand, schlug er sie seelenruhig in den Wind. Er glaubte nur an die Omina, die Glück verhießen, und bisher war ihm auch nichts Übles widerfahren.
Jetzt aber befiel ihn die Malaria, dieselbe, die heute der Schrecken des Euphratlandes ist. Kein Europäer reist dort ohne Chinin. Damals war das Land freilich entsumpft; gleichwohl hörten wir noch eben von den Sümpfen, die der Übertritt des Stroms zurückließ. Die gefährlichen Moskitos, die das Gift der Bazillen ins Menschenblut treiben, schwirren da über dem Feuchten millionenfach; sie wirkten auch schon damals, und besonders des Nachts. Die Schriftsteller des Altertums, die von dem Wesen der Krankheit noch nichts wußten, meinten freilich, 236 der Weingenuß sei Schuld gewesenZuerst hat der Mediziner Littré mit Gründlichkeit diese Ansicht als unhaltbar erwiesen (bei C. Müller, Scriptores hist. Alexandri Magni S. 124), an die aber schon Eumenes glaubte (Athenäus p. 434 A, B). Natürlich mußte Alexander dann zu viel getrunken haben. Damit hängen die phantastischen Schilderungen von Alexanders Trunksucht zusammen, zu deren Erfindung die Klitusszene angeregt hat (oben S. 183). Chares erzählte z. B. von dem ἀγὼν ἀκρατοποσίας in Indien, wobei viele starben (Athenäus a. a. O.). Auch ein Frauenzimmer Nikobule berichtete Ähnliches (Athenäus p. 537 A); sie wird wenig Gelegenheit gehabt haben, die Quanten zu kontrollieren, die der König trank. Hiernach wird dann auch schon in Menanders Komödienresten auf Alexanders Trunksucht als eine bekannte Sache angespielt (a. a. O.). Übrigens sollte auch der Judenkönig Alexander Jannäus am Fieber, das er sich durch Trunksucht zugezogen, gestorben sein (Josephus Antiqu. 13, 398); auch da herrscht dieselbe medizinische Unkenntnis, der Wahn, daß Trinken Fieber erzeugt.. Aber Alkohol erzeugt, so viel ich weiß, kein Fieber.
Da das Fieber einmal eingetreten, war äußerste Vorsicht geboten; aber wir hören von Ärzten diesmal nichts, auch nicht, daß man Babylonier, die das Wesen der Krankheit besser kennen mußten, zurate zog. Das Hofjournal wahrt auch darüber ein unheimliches Schweigen. Der Kranke selbst aber, geladen mit Energien, wie er war, dachte nicht an Sterben und wollte von Rast nichts wissen. Streng fest hielt er (denn auch die Frömmigkeit ist Königspflicht) an den Zeremonien des Gottesdienstes, aber auch am Bad, und dies war das Verhängnisvollste. In 72 Stunden hat die Malaria oft schon ihr Werk getan. Alexander widerstand viel länger. Hören wir noch Einiges aus dem erwähnten Tagebuch.
Nach der ersten schlechten Nacht ließ er sich in der Sänfte ins Freie tragen, um da zu opfern (die Opferdiener standen immer schon zur Handlung bereit); dann ruhte er und besprach die bevorstehende Meeresfahrt und die Reiseroute: »Nach vier Tagen soll das nötige Fußvolk abmarschieren; den Tag darauf besteige ich selbst das Schiff und führe die Flotte.« Nearch sollte dabei aber natürlich nicht fehlen. Dann begab er sich über den Strom ans Westufer in die königlichen Gärten und badete; das Wasser war so linde und lauwarm, das er fiebernd im Bad einschliefSiehe Plutarch, Symposiaca VIII 9 ²in.. Der nächste Tag verlief noch ähnlich; er plauderte mit dem Freund Medîus und bestellte sich Nearch auf morgen. In der Nacht stärkeres Fiebern. Trotzdem badet er tags darauf wieder und bespricht mit Nearch die Seefahrt, die in drei Tagen beginnen soll. Der nächste Tag brachte größere Schwäche, aber dieselben Gespräche, und auch diesmal setzte das schwächende Bad nicht aus. Und so ging es noch zwei Tage weiter, und die Besserung kam nicht, die Kräfte schwanden. Schon wurde es ihm schwer, sich zur Opferhandlung aufrecht zu erhalten; trotzdem hörte man ihn noch sagen: »Haltet euch zur Seefahrt bereit.« Als er ganz kraftlos, schaffte man den Kranken aus den Gärten nach Babylon zurück in den Königsbau. Die Generäle 237 traten ein, umwölkt und herzbeklommen; er erkannte sie noch, aber konnte kein Wort mehr sprechen. Des Nachts schüttelte ihn das Fieber. Da ließen sich die Soldaten, seine Mazedonen, zu denen täglich die Berichte kamen, nicht mehr halten: »Wir wollen ihn sehen. Er lebt noch! Oder ob er tot? Wird uns nicht die Wahrheit gesagt?« In echter Sehnsucht, Angst und Trauer durchbrechen sie die Absperrung und dringen ins Schloß.
Alexander sah noch seine Krieger, wie sie eindrangen und ihn sprachlos umstanden; aber die Stimme versagte ihm. Er hob nur noch schwach das Haupt aus dem Kissen, grüßte die Einzelnen mit den Augen und reichte jedem die Hand hin. Man wollte ihn noch in den Serapistempel schaffen, als ob der Gott ihn noch heilen könnte. Aber es unterblieb. Gleich danach war er gestorben.
Er starb im Mai des Jahres 323; vielleicht war es auch erst im JuniEr starb am 28. Däsios. Der mazedonische Monat Däsios fällt mit unserm Mai oder Juni zusammen (s. Niese S. 186).. Er hatte nur zwölf Jahre und acht Monate regiert.
Das Schicksal bricht den Starken in Stücke wie den Schwachen, und alle sind ihm gleich. Was sollen wir hinzufügen? Wo ein ganz Großer stirbt, hat man den Trieb zu schweigen. Es war wundervoll und ein Gottesgeschenk, ihn gekannt zu haben. Da er abgeschieden, starrt man in den Sonnenuntergang, und es ist wie Abendstille im Herzen.
Erst der Zwergmoral der Epigonen blieb es vorbehalten, den Sünden des Toten nachzuspüren. Er aber hatte sich in eine Höhe hinaufgelebt, wo dem Eindruck edler, reiner Größe nichts Irdisch-Menschliches mehr schadet.
Was aber sollte nun geschehen, und wer sollte ihn ersetzen?
Was der Gestorbene für die nähere und fernere Zukunft plante, wissen wir: auch das ging alles ins Große. Fassen wir Einiges zusammen: Sicherung der Einheit des Weltreichs durch starke Militärmacht und gleichmäßig geordnete Verwaltung; Eröffnung neuer Handelswege; Durchforschung aller Meere. Steigerung der Wissenschaft, insbesondere der Naturkunde unter griechischer Führung und Verbreitung dieser Geisteskultur über alle Reichsteile. Alles das klingt friedlich; aber auch einen großen 238 Kriegsplan hegte er immer noch; er hatte ihn damals zurückgestellt, als er sich in Ägypten aufhielt. Es galt noch von Ägypten aus Karthago zu bezwingen und so das wertvolle Griechentum Siziliens und Unteritaliens dauernd vor dem drohenden Barbarentum zu rettenDiodor sagt 18, 4, 2, diese Zukunftspläne Alexanders standen in den Hypomnemata. Unter den letzteren könnte jemand die königlichen Ephemeriden verstehen wollen, in Hinblick auf die von A. Schumrick, Observationes ad rem librarian pertinentes (Marburg 1909) S. 85 aus Josephus angeführten Beispiele. Trotzdem glaube ich dies nicht. Denn Alexanders Ephemeriden werden sonst nie Hypomnemata genannt, und es wäre nicht einzusehen, warum in Diodors Vorlage ein anderer Ausdruck gestanden haben soll als z. B. bei Plutarch Alex. 76. Auch dürfen wir den Sprachgebrauch des Josephus nicht ohne weiteres auf die Autoren des 3. Jhds. v. Chr. übertragen. Ephemeriden sind lediglich Tagebücher, in denen nicht etwa Zukunftspläne, sondern nur das Geschehene, die res gestae, eingetragen zu werden pflegten. Wenn trotzdem H. Endres (Rhein. Mus. 72, S. 442) sich denkt, daß Alexander darin in den Sterbetagen die bei Diodor aufgezählten Pläne habe eintragen lassen, so wäre doch kein Grund erfindlich, weshalb er das getan haben sollte, da er seinen Tod ja nicht voraussah. Vor allem melden uns die Ephemeriden selbst bei Plutarch a. a. O. genau, was Alexander in seinen letzten Lebenstagen getan hat; er hat aber nur immer wieder mündlich über die bevorstehende Expedition nach Arabien gesprochen; hätte er damals außerdem noch so wichtige Eintragungen in das Tagebuch veranlaßt, so müßte das ebendort erwähnt sein. Die Ephemeriden waren übrigens ohne Frage von Eumenes redigiert; Alexander konnte diese also gar nicht speziell dem Perdikkas, wie Diodor meldet, anvertrauen oder hinterlassen, da Eumenes sie in Händen hatte und den ganzen Inhalt kennen mußte. Es gilt also Ephemeriden und Hypomnemata sorglich zu unterscheiden, wie sich auch schon aus den Ausdrücken selbst ergibt.
Nun sind, wie Diodor zeigt, die Dinge, die Perdikkas den Hypomnemata entnahm, z. T. identisch gewesen mit den Aufträgen, die Alexander, als er noch gesund war, dem Kraterus, der nach Mazedonien zurückging, mitgegeben hatte. Schon hieraus ersieht man, daß Alexander persönlich ein besonderes Merkbuch als Gedächtnishilfe für die Dinge, die später einmal zur Ausführung kommen sollten, geführt hat. Aus diesem hat er dem Kraterus das, was ihn betraf, damals schriftlich mitgegeben. Es handelt sich also um ein Memorialbuch für auszuführende Aufgaben, und dies muß schon gleich nach Hephästions Tod hergestellt worden sein; denn es stand darin auch der Auftrag, für Hephästion den großen Scheiterhaufen aufzubauen. An solches Memorialbuch denkt auch Plato Politicus p. 295 C (Schumrick S. 71), wo der Arzt ὑπομνήματα schreibt, deren Inhalt Vorschriften, τὰ προσταχϑέντα, sind für Kranke und für Gymnasten; der Arzt schreibt diese auf, damit die, die es angeht, sie nicht vergessen. Ganz ebenso machte es also auch Alexander. Hypomnemata eines Königs aber erwähnt übrigens noch einmal Polybius 18, 33, 3. Der von den Römern besiegte Philipp von Mazedonien vernichtet da in der Stadt Larissa τὰ βασιλικὰ γράμματα, die hernach τὰ ὑπομνήματα genannt werden; er tut es, um sich und seine Freunde oder Verbündeten nicht zu kompromittieren. Sicher also bedeutet da letzteres Wort nicht ein Tagebuch, am wahrscheinlichsten Korrespondenzen, die allerlei politische Pläne, Verabredungen enthielten, die da getroffen worden waren und die sich nicht im königlichen Archiv, sondern in Larissa befanden, also Korrespondenzen, die ebenso auf Zukünftiges gingen wie die Eintragungen in den Hypomnemata Alexanders.
So spannte aus Asiens Innern Alexanders Geist seine Pläne über Afrika und Westeuropa. Er hatte etwas Ozeanisches, und sein Wille, der in Wogen ging, umfaßte – wie das Meer – alle Kontinente.
Nun flog die Nachricht von seinem Tode gleich wie Blitz- und Donnerschlag über alle Länder, von Indien bis nach Karthago. Es war ein Aufatmen und unheimliches Staunen. Der Zeussohn, der Unbesiegliche, der wie gefeit schien, als sollte er siebenzig Jahre herrschen, war nicht mehr. »Die ganze Welt riecht nach seiner Leiche«, ist ein drastisches Wort aus jenen TagenPlutarch Phokion 22..
Wo aber blieb die Landestrauer? Wir hören nur von Sisygambis, der Greisin, die Alexander wie einen Sohn verehrte. Niemand, heißt es, habe um ihn so wie sie getrauert, und sie starb in Gram und Kummer gleich in den folgenden Tagen rasch hinweg; ja es heißt, sie tötete sich selbstJustin 13, 1, 5 u. a.. Denn Persiens Herrlichkeit schien nun für immer zu Ende.
Persien war nun so herrenlos wie Mazedonien. Neun Tage lang lag Alexander unbestattet. So völlig ratlos waren seine Heermeister. Ja, der Zank um die Macht erhob sich gleich. Wem sollte sie zufallen? Man sagte, Alexander habe noch die Frage: »wer soll dein Nachfolger sein?« gehört und geantwortet: »der Beste.« Wäre das wahr, so hätte er selbst den Zankapfel unter die Herren geworfen. Einem der ältesten unter ihnen, 239 dem Perdikkas, hatte er seinen Siegelring wortlos hingegeben. Das stand fest. Seinen Leibeserben aber trug Roxane im Schoße. Sie ging im sechsten Monat schwanger. Ihr Sohn würde Alexander wie sein Vater heißen, und er sollte der Erbe sein. Das wollte sie. Der Hader brach auch unter den Frauen aus, und Roxane ließ die Stagira töten, ihre Rivalin, Alexanders zweite Frau, des Darius Tochter, weil sie fürchtete, auch sie könne gebärenPlutarch Alex. fin..
Aber auch Olympias, Alexanders Mutter, wurde zur Furie. Sie weinte Feuerfunken statt der Tränen. Denn sie schrie: »Mein Sohn ist ermordet worden!« und sie glaubte auch zu wissen, von wemEs handelt sich um Kassander u. Kassanders Bruder, die Söhne des Antipater.. Und so versank die Welt sogleich in ein Chaos blutigster Wirren. Alexanders Reich zerbröckelte wie ein Sandhaufen unter dem Meeresschwall, und sein ganzes Lebenswerk schien verloren.
Aber nein. Unsere Weisen lehren, daß im ewig bewegten Weltall keine Kraft verloren geht. Wo blieb Alexanders Kraft, da er selbst gestorben?
Was verloren ging, war nur das Äußere, das Politische, die Staatsform des Reichs, die zersprang und vorläufig umsonst der Wiederherstellung harrte. Die Staatsform ist aber nur der Rahmen für das Menschenleben. Daß Alexander die Menschheit selbst durch ein Lebenswerk von nur zwölf Jahren auf einen ganz neuen Boden stellte, das soll der nächste Abschnitt dieses Buches deutlich machen. Denn der Gottessohn war ein Erlöser gewesen, der Erlöser aus den engen Schranken des Völkerlebens, der zum erstenmal den Menschheitsbegriff nicht nur faßte, sondern auch realisierte mit dauernder Nachwirkung, die bis heute reicht.
Weltreiche und Nationalstaaten: nach dem Bedürfnis der Zeiten wechseln sie und lösen sich ab. Rom hat Alexanders Weltreich erneut, und auch das ist untergegangen. Ewig lebendig bleibt der Gedanke, den Alexander zur Tat machte, von der Ebenbürtigkeit der Kulturvölker und der Achtung, mit der sie sich begegnen und in Austausch treten sollen. Und so droht 240 Alexanders Geist auch heute noch, wenn die Völker sich mit immer neuem Neid befehden: schlagen wir sie neu in Fesseln; sie sind ihrer Freiheit nicht wert. Kein Völkerbund, nur die despotische Weltmonarchie ist vor dem ewigen Hader, der diese Welt zerfleischt, die Rettung. Alexander ging voran; Rom folgte; wer wird heut der Erlöser sein? Er müßte aus dem Jenseits kommen; denn die Erdenwelt strotzt heut von politischer Niedertracht, und kein Mann könnte aus ihr erstehen, der mit Allmacht Güte verbände, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit.
Alexander als Drohung? Soll dies der Abschied sein? Mag die Zukunft sich selber richten. Es ist wohltuender, noch einmal die alten Berichterstatter zu hören.
Ein Phantast, Zeitgenosse und Bewunderer Alexanders – und welcher Phantast und Künstler wäre nicht ein Bewunderer der Größe? – fuhr damals zur mazedonischen Küste gedankenvoll das griechische Inselmeer entlang, auf Pella zu und Saloniki. Da sah er den Athosberg gigantisch über der See stehen, aus der Woge aufwachsend bis in die Wolken; aber er sah den Berg nicht, er sah statt seiner Alexander selbst, den jungen gigantischen Weltenherrscher, der da saß und thronte, ein Mensch, 2000 Meter hoch, die Stirne in Wolken, den Fuß im Meer, und auf seiner Linken hielt er eine Stadt mit schimmernden Tempeln und frohem Menschenleben, aus seiner Rechten aber ergoß sich ein Bergstrom, der in Kaskaden rauschend über sein Knie ins Meer fiel: Alexander der Städtebauer, Alexander der Befruchter der Menschheit! Es war Stasikrates, der BildhauerPlutarch Alex. 72. Nach Lucian Pro imag. 9 hätte Alexander die Ausführung des Plans selbst verhindert. Über die Künstlernamen Deinochares, Deinokrates, Stasikrates und die Konfusion, der sie ausgesetzt sind, s. Fabricius in Pauly-Wissowas R. E., IV S. 2390., der sich dies Denkmal ausdachte, das die Pyramiden des Cheops überboten hätte. Es blieb unausgeführt; denn es ging ins Grenzenlose wie der Gestorbene selber. Ich aber baue es neu in meiner Seele auf, da ich mich wende und von Alexander Abschied nehme. 241
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