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Der Frühling war nun da. Auch in der Stadt spürte man ihn. Die Hecke am Graben trieb rötliche glänzende Sprossen, und in den kleinsten Gärten blühten die weissen und braunen Aurikeln und der blaue Krokus. Die ganze Luft roch nach warmer Erde. Wie musste es erst draussen auf dem Lande sein! Die Turnachkinder hielten es vor Verlangen und Ungeduld fast nicht mehr aus.
»Mama, gelt, du findest doch auch, dass es schrecklich schade ist um jeden Tag, den wir nicht in der Seeweid sind!« drängten sie.
Ja, ja, Mama sehnte sich selber hinaus und tat, was sie konnte, um mit den Vorbereitungen zum Umzug rasch fertig zu werden. Am Dienstag der ersten Ferienwoche konnte man denn auch bereits jubeln: Morgen! Und schon der Nachmittag brachte die schönste Vorfreude; denn es wurde beschlossen, dass Sophie mit den drei Grossen bei Steppacher ein Ruderschiff nehme und ein paar Körbe Geschirr und anderes in die Seeweid hinausbringe.
»Mama, ich helf' auch!« rief Werner. »Ich nehm' meinen Wagen und ich stelle alle Tassen hinein –«
»Ja, Werner, dir übergeben wir die zerbrechlichen Sachen!« lachte Mama; aber sie erlaubte, dass Werner mitfahre, worauf er so unbändig anfing herumzuhüpfen, dass das Schwesterlein von seinem Jubel angesteckt wurde.
»Löm, löm!« rief es übermütig und warf seinen Wollhasen im Bogen in die Stube hinaus.
»Mama, darf es auch mit! Mama, sag' ja!« bettelte Marianne.
»Aber, Marianne, es würde Sophie recht im Wege sein. Sie will den Geschirrschrank einräumen und der Putzerin helfen.«
»Mama, wenn ich es aber hüte! Frau Völklein freut sich gewiss schon lange auf das Schwesterlein!«
»Und wenn es heute mitfährt, so kennt es sich morgen schon besser aus in der Seeweid!« rief Lotti.
Mama fand dies nun zwar keinen sehr triftigen Grund. Aber schliesslich war das Schwesterlein bei Marianne und Frau Völklein ja in guter Hut, und zu Hause konnten Mama und Balbine um so ungestörter vorwärts kommen mit der Arbeit.
So zog man denn am Nachmittag aus zur Schifflände. Hans und Sophie trugen einen schweren Waschkorb; Lotti und Werner zogen den kleinen Wagen, den man zwar nicht gerade schwer mit Tassen und Gläsern bepackt hatte. Marianne schob den Kinderwagen, aus welchem das Schwesterlein zwischen allerlei Gerät lustig hervorguckte. Auf Lottis Arm aber sass der Rabe Peter. Er sollte die Vorfreude auch geniessen.
Mama und Balbine gingen hinauf in die oberen Stuben. Es gab noch sehr viel zu räumen, zu packen, zuzudecken und abzuschliessen. Man wollte morgen schon mittags in der Seeweid sein.
Ulrich half und trug Kisten und Bettladen hinunter. Der Schnauzel war immer hinter ihm drein und sah sich erstaunt in den schon halb geleerten Zimmern um.
»Ja, Schnauzel, jetzt gehen sie wieder fort!« sagte Ulrich. »Willst auch mit? Willst einmal einen Sommer in der Seeweid sein?«
Schnauzel sprang an Ulrich auf mit einem lauten Wau! Nein, nein, ich bleib bei dir!
Schnauzel liebte die Kinder sehr. Aber immer lief er nach einer Weile wieder zu seinem Ulrich zurück, und nie liess er sich bewegen, mit jemand anderm als mit ihm einen Ausgang zu machen.
Vom Münster herüber läutete es eben sechs Uhr in den hellen warmen Frühlingsabend hinaus. Nun sollten sie bald wieder da sein, dachte Mama. Und richtig, kam es die Treppe heraufgetrabt.
»O, Mama! o! nein –!«
Vor Entzücken und Freude konnten die Kinder erst gar nicht reden. Dann aber ging es los. Alle vier sprachen auf einmal.
»Mama, es ist zu schön draussen! Herrlich! Göttlich! Man kann gar nicht sagen wie –!«
»Mama«, rief Lotti, »die Enten sind jetzt ganz gross und machen ganz ernsthafte Gesichter! Und der Peter ist auch mit in den Hühnerhof gekommen. Er war sehr nett und hat nach allen Seiten Kräh! gesagt. Aber die Hühner sind nur so um ihn herumgestanden; da hat ihnen Frau Völklein zugesprochen, sie sollen nicht so steif tun; das sei jetzt ihr neuer Kamerad –«
»Mama, sieh!« Marianne streckte Mama ihre Veilchen entgegen. »Unter dem Apfelbaum bei der Scheune war es ganz blau! Wir haben sechs Sträusse gemacht! Einen stellen wir Papa ins Bureau und einen auf das Pult von Herrn Frei und Herrn Oberauer, und Ulrich bekommt auch einen! Riech, wie gut –«
»Ich hab dürfen auf dem Dachs reiten!« schrie Werner und zog an Mama, dass sie auf ihn höre. »Und der Bless hat mich angeschnauft; aber ich hab mich nicht gefürchtet! Der Jakob hat gesagt, ich solle dann immer helfen im Stall –«
Werner lief zu seinen hölzernen Kühen, um ihnen mitzuteilen, dass er jetzt grosse habe, die er füttern und zum Brunnen führen müsse.
»Mama«, rief Hans, »das Schiff hat neue Stehruder! Sie laufen famos! Ich bin schnell mit Fritz Völklein ein wenig gefahren! O, wenn man jetzt wieder so mit aller Kraft hinausrudern kann, Mama, jeden Tag –«
»Aber jetzt die Hauptsache – Hans, lass uns doch die Hauptsache erzählen!« unterbrachen Marianne und Lotti den Bruder.
»Also, Mama«, fing Lotti an und fasste Mama voll Eifer am Arm, »Frau Völklein hat uns Butterbrot und Äpfel gebracht und hat gefragt, wo wir sie essen wollen, und wir haben natürlich alle gerufen: Auf der Seemauer! Und das Schwesterlein hat immer gebettelt und ist von einem zum andern gekrochen –«
»Weisst du, Mama, da wo das Holzgitter noch ein Stück weit geht«, fiel Marianne ein. »Und Sophie und Frau Völklein blieben dabei, dass das Schwesterlein nicht falle. Da ist es an Hans aufgestanden, und auf einmal – auf einmal läuft es zu mir! Sieben oder acht Schritte hat es gemacht, Mama –!«
»Ja, sieben oder acht Schritte!« wiederholten Hans und Lotti. »Ist das nicht zu nett, dass das Schwesterlein auf der Seemauer gehen gelernt hat – gerade auf der Seemauer!«
»Mama«, fuhr Marianne fort, »man würde denken, das Schwesterlein habe gesehen, wie weit alles ist in der Seeweid und wie man da mit Rutschen nirgends hinkommt!«
»Ja, ja, ich habe eine kluge grosse Tochter!« sagte Mama und hob das Schwesterlein lachend auf. Schon immer hatte man erwartet, dass es nun endlich zu gehen beginne, da es schon vierzehn Monate alt war.
»Nein, bitte, halt, Mama«, riefen die Kinder, als Mama mit dem Schwesterlein in die hintere Stube gehen wollte. »Es kommt noch etwas! Also das Schwesterlein hat gehen gelernt, und der Peter – denk! der hat zu fliegen angefangen! Es war so lustig! Er ist auf der Seemauer unter der Silberpappel gestanden, und oben hat eine Amsel gesungen. Da hat er gehorcht und hinaufgeschaut und hat mit den Flügeln geschlagen, immer stärker und ist auf einmal geflogen, Mama – ganz hoch geflogen bis zu dem Ast, der gegen den See hinausgeht und dann auf einen noch höheren und weiter bis fast zu der Amsel hin –«
»Wie nett!« sagte Mama.
»Gelt! und sonst flattert der Peter doch nur auf einen Stuhl und von da auf den Tisch und höchstens auf einen niedrigen Schrank!« fuhr Hans fort. »Niemand hat gewusst, dass er fliegen kann; er selber vielleicht auch nicht –«
»Und die Amsel ist ein bisschen auf die Seite gerückt«, nahm Marianne das Wort, »und hat so geguckt. Aber dann hat sie weiter gesungen, weisst du, wie letztes Jahr: Tiu tiu, tirürü. Und der Peter hat Kräh! gerufen. Immer die Amsel und dann wieder der Peter. Vielleicht hat er schon gemerkt, dass die Amsel es schöner könne. Aber er war so vergnügt. Fast wäre er nicht mehr heruntergekommen –«
»Mama, wie wir wieder im Schiff gewesen sind, habe ich ihm gesagt, er dürfe morgen ganz in der Seeweid bleiben!« rief Werner und kauerte zu dem Raben: »Du, Peter! nur noch einmal musst du schlafen! Nur noch einmal!«
Der Peter spreizte die Flügel.
»Ja!« lachten die Kinder. »Dann darfst du wieder auf die Silberpappel zu der Amsel fliegen! Und das Schwesterlein darf auf der Seemauer spazieren! Zeig Mama einmal, wie du's kannst! Zeig!«
Aber das Schwesterlein hielt sich an Marianne fest, machte ein schelmisches Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Es will erst wieder in der Seeweid laufen!« riefen die Geschwister.
»Ja«, sagte Mama. »Wir wollen es als gutes Zeichen nehmen, dass das Schwesterlein dort den ersten Schritt getan hat. Es soll diesen Sommer, und wenn Gott will, noch manches Jahr recht viele frohe Schritte machen in der Seeweid und ihr mit ihm!«