Ida Bindschedler
Die Leuenhofer
Ida Bindschedler

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Der seltsame Lehrer.

Im Mai war Herr Schwarzbeck krank gewesen und musste ein paar Tage zu Haus bleiben und später noch eine Woche, und da hatten zwei ganz junge Lehrer Schule gehalten; ein Herr Lendi und ein Herr Rotenbuch. Die Kinder hatten das anfangs sehr interessant gefunden und gedacht, mit diesen jungen Herren gehe es lustig zu; aber beide waren sehr streng gewesen und hatten, wenn man nicht ruhig war, mit dem Lineal stark auf den Tisch geschlagen und grosse Aufgaben gegeben.

Heute kam Herr Schwarzbeck auch nicht zur gewohnten Stunde in die Schule; aber er war nicht krank. Er hatte nur wegen einer wichtigen Angelegenheit ins Schulhaus nach Gopperswil gehen müssen. Er hatte die beiden Klassen ermahnt, sich ruhig zu verhalten und in ihren Rechnungsheften weiterzufahren, bis er gegen zehn Uhr wieder komme.

In der sechsten Klasse war Felix Kleinhans Wochenaufseher und hielt gute Ordnung. Man hörte bloss hin und wieder den einen oder anderen bei seiner Rechnung etwas laut werden: 7 mal 7 ist 49; setze 4 behalte 9. 7 mal 3 ist 21 und 4 ist 25 ....

In der fünften Klasse ging es unter Martin Imbach, dem Bruder von Eva, nicht so glatt.

Die Mädchen in der hinteren Bank schwatzten, und Marie Hug und Sara Wiebold waren immer unter der Bank, bald wegen dem Federnhalter, bald wegen einem Taschentuch. Martin musste beständig wehren.

»Imbach«, rief ihm da Felix hinüber. »Schreib sie einfach auf. Sie werden dann schon sehen, was Herr Schwarzbeck ihnen sagt.«

Die etwas unartige Sara machte Felix schnell eine kleine Grimasse hinüber; dann aber entschlossen sich die beiden Mädchen doch zu arbeiten, und es herrschte eine leidliche Stille im Zimmer.

Da klopfte es an die Türe, und weil Herr Schwarzbeck nicht da war, rief die ganze Klasse ein sehr kräftiges Herein und sah neugierig zur Türe.

Ein junger Herr trat ein und nickte. Den Hut hatte er in der Hand.

Die Buben und Mädchen erhoben sich zur Begrüssung.

»Herr Schwarzbeck sei weggegangen?«

»Ja! Nach Gopperswil!« riefen die Schüler. Es war immer angenehm, so im Chor zu antworten, dass es schallte.

»So, nach Gopperswil.« Der junge Mann lächelte vor sich hin und setzte sich an Herrn Schwarzbecks Pult.

Jetzt ging ein Gewisper durch die Bänke:

»Aha, der gibt uns jetzt Stunde! Wahrscheinlich kann Herr Schwarzbeck nicht zurückkommen bis zehn Uhr!«

Die Kinder machten Bücher und Hefte zu und sahen erwartungsvoll auf zu dem jungen Mann, der das Lineal in die Hand nahm und dann einen kleinen Strauss Pfingstnelken besah, den Sophie Berchtold heute morgen gebracht hatte.

Was für einer der wohl war –? überlegten die Kinder. Bös sah er nicht aus. Aber Herr Lendi hatte auch ein ganz nettes Gesicht gehabt. Warum fing er denn nicht an und roch bloss an den Pfingstnelken?

Das Getuschel unter den Kindern wurde lauter. Ein paar Sechstklässler streckten die Hand, und da der junge Mann vorn am Pulte das nicht beachtete, erhob sich Felix Kleinhans:

»Wir hätten jetzt Sprachstunde!«

»So, Sprachstunde«, wiederholte der junge Mann wie in Gedanken.

»Ja, Grammatik, wir sind auf Seite 63.« Felix Kleinhans streckte ihm das Buch hin.

Der junge Mann sah in das Buch. Dann schien er einen Augenblick zu überlegen. Nun stand er auf und stützte beide Hände in die Seite.

»Was wollt ihr – eine Grammatikstunde soll ich euch geben.« Er lachte hell auf.

Die Buben und Mädchen sahen ihn erstaunt an. Das war ein seltsamer Lehrer, den Herr Schwarzbeck da geschickt hatte.

»Ja«, erklärte nun Ernst Hutter, »wir müssen immer einen Satz lesen und dann sagen, welches der Satzgegenstand ist und welches das Ausgesagte.« »Satzgegenstand oder Subjekt sagen wir jetzt und Prädikat«, ergänzte Gustav Brenner. Herr Schwarzbeck hatte die Sechstklässler das kürzlich gelehrt.

»Subjekt und Prädikat – hm –« der junge Mann strich sich durch das kurze dunkle Haar; »hört – nein«, und wieder fuhr es um seinen Mund, als ob er ein Lachen unterdrücke.

»Wir wollen – wir wollen es lieber ein wenig mit Rechnen probieren.« Er stand auf und rieb sich die Hände.

Die Kinder holten bereitwillig ihre Rechnenhefte wieder her, und der Herr Lehrer liess sich von den Sechstklässlern zeigen, wo sie stehen geblieben waren.

Ein Arbeiter verdient in 7½ Monaten 902 Franken 40 Rappen; wie viel verdient er in einem Jahre, las er aus dem Buche.

»Hm – das ist nicht so einfach . . . mit 6 Monaten ging es besser.« ...

»Bei Herrn Schwarzbeck müssen wir immer einen Dreisatz machen«, sagten Ernst Hutter und Felix Kleinhans.

»Ja, einer darf dann an die Wandtafel« fügten ein paar andere aus der Klasse hinzu und streckten die Hand über die Bank, so weit sie nur konnten.

Aber zufällig deutete der fremde Lehrer grade auf das allerungeschickteste Mädchen.

»Nun zeig du einmal, wie man so einen Dreisatz macht«, sagte er, und Alwine Gehring ging zaghaft an die Wandtafel.

Die anderen Mädchen und Buben waren ärgerlich. Grade die Alwine Gehring, die nie etwas konnte. Was dachte jetzt dann der fremde Lehrer von der sechsten Klasse!

Da – natürlich fing Alwine verkehrt an. 902 Franken 40 Rappen = 7½ Monate. So kam man ja nicht auf die rechte Lösung.

Alwine stand denn auch ratlos und verschmierte sich mit der Kreide in der Hand die schwarze Schürze. Und der fremde Lehrer tadelte Alwine gar nicht; er stand dabei und sagte: »Ja, gelt schwer! Wart nur, lass dir Zeit – wir kommen schon noch dahinter.« – Der war komisch!

Auf einmal fing Alwine aus lauter Verlegenheit an zu weinen.

Halb belustigt, halb erschrocken beugte sich der fremde Lehrer zu ihr herunter: »Ja, was ist denn das – traurig sein – wegen so einer dummen –-« er verbesserte sich – »wegen so einer Rechnung. Da – setz dich an deinen Platz und sei nur wieder vergnügt.«

Die Buben und Mädchen sahen sich immer erstaunter an. Herr Schwarzbeck war auch freundlich; aber wenn man so für nichts weinte, anstatt zu arbeiten, dann redete er anders.

»Alwine Gehring fängt immer gleich an zu weinen; das macht nichts«, klärte Netti Tobel den fremden Lehrer auf. Der aber winkte Gustav Brenner:

»Für Buben passt so eine schwere Rechnung besser.«

Schwer! dachten die Mädchen, die ist doch gar nicht schwer, und streckten ihm die Hände so nah unters Gesicht, dass er lachend wehrte.

Gustav Brenner trat rasch vor und nahm die Rechnung in Angriff.

Der fremde Lehrer sah zu: »Das geht ja prachtvoll, ausgezeichnet; man kommt kaum nach«, sagte er, als Gustav Brenner flink und sicher die Division und dann die Multiplikation vornahm. »Ein wahrer Adam Riese! So nun mach du gleich die folgende Rechnung auch!«

Da wehrten sich aber die Mädchen; der fremde Lehrer sollte sehen, dass sie auch rechnen konnten.

»Bei Herrn Schwarzbeck darf man nie zwei Rechnungen nacheinander machen, nie!« riefen sie. »Er wechselt immer ab. Jetzt wäre es wieder an einer von uns!«

»Also eins von euch« sagte der fremde Lehrer nachgiebig. »Da, du Gispel!« Er deutete auf Netti, die nicht aufhörte mit ihrem Arm zu fuchteln. »Aber nicht weinen –!«

Nein, da konnte er sicher sein. Netti Tobel weinte nicht. Mutig ihre braunen Zöpfe schwenkend, trat sie heran und griff zur Kreide.

Sie kam indessen nicht weit mit ihrem Dreisatz; denn die fünfte Klasse zog jetzt die ganze Aufmerksamkeit des Lehrers auf sich.

Sie war in grosse Unordnung geraten. Ein Weilchen hatten die Kinder gewartet, dass der fremde Lehrer ihnen eine schriftliche Beschäftigung gäbe, wie Herr Schwarzbeck es tat, wenn er mit der anderen Klasse mündlich rechnete.

Dann aber fingen sie an zu schwatzen und herauszurutschen.

Zuerst hatte Martin Imbach noch versucht, etwas Aufsicht zu halten. Aber er wurde nicht mehr anerkannt. Als er sich umdrehte und im Flüsterton gebot, dass man weiter rechne, rief die unartige Sara ziemlich laut hervor:

»Nein, Imbach, weisst du, wir folgen dir nicht mehr; du bist jetzt abgesetzt.«

»Ja, du bist jetzt abgesetzt«, stimmten ihre Nachbarinnen ihr bei. »Wenn wir rechnen müssten, würde der neue Lehrer es uns schon sagen.«

Martin Imbach wollte eine ärgerliche Antwort geben, als sein Freund Paul ihn anstiess und ihm ein paar seltene spanische Marken zeigte.

»Du, Imbach, gibst du mir deine alte Kanada für diese vier –?«

Martin Imbach besah die vier Spanischen aufmerksam, überlegte und zog dann das Brieftäschchen heraus, in dem er seine Tauschmarken hatte. Die Nächstsitzenden hörten dem Handelsgeschäft zu und gaben ihre Meinung darein.

Die Mädchen aber trieben es immer ärger.

Alle acht der zwei hinteren Bänke steckten um Marie Hug die Köpfe zusammen und kicherten. Es musste da etwas ungeheuer Spasshaftes los sein.

Jetzt sah man ein rundes weisses Ding von Hand zu Hand weitergehen.

»Nein, wie nett, nein wie lustig!«

Die sechste Klasse sah empört hinüber. Hörte denn der fremde Lehrer gar nicht, wie die laut und unartig waren! Verklagen galt sonst als verächtlich bei den Leuenhofern; aber das war doch zu arg; »Herr –« ja den Namen von dem jungen Herrn wusste man nicht.

»Herr Lehrer« rief Arnold Zwickel, der in der Nähe der unartigen Mädchen sass, »sie lachen immer; man kann gar nicht rechnen.«

»Herr Lehrer«, rief er noch einmal in erhöhtem Tone und griff rasch hinüber in die Mädchenabteilung. »Sie haben eine Maus gemacht, aus einem Taschentuch hat Marie Hug eine Maus gemacht.« Er streckte das erbeutete weisse Ding in die Höhe.

Der fremde Lehrer trat herzu und fasste das Ding am Schwänzchen, das etwas zu kurz und zu dick war für eine Maus.

Man sah deutlich, dass er sich bemühte, ein strenges Gesicht zu machen, aber dass es ihm mehr um’s Lachen war.

»Ihr seid ja schreckliche Kinder«, sagte er; »wer wird denn Mäuse verfertigen, wo es schon so viele auf der Welt gibt! Da!« Er warf das weisse Ding unter die Mädchen, die belustigt aufschrien, »verwandelt dieses schädliche Nagetier schnell wieder in ein ehrliches Taschentuch und dann – und dann müsst ihr still sein. Ihr seht doch, wie wir uns da vorn mit den Dreisätzen abplagen.«

Die Sechstklässler sahen einander an. Keine Strafe für diese Maus und dieses Lachen und Schwatzen. Wenn man bei Herrn Lendi oder bei Herrn Rotenbuch mitten in der Stunde eine Maus gemacht hätte –! Bei Herrn Schwarzbeck fiel einem so etwas überhaupt nicht ein. –

»Man muss ihnen eine Aufgabe geben«, sagte Ernst Hutter, als der fremde Lehrer an ihm vorbeikam. Er hatte sich überlegt, ob er so dreinreden dürfe. Aber wenn die fünfte Klasse nichts zu tun hatte, so ging ja der Lärm wieder an.

»Bei Herrn Schwarzbeck müssen sie manchmal Schönschreiben, wenn wir rechnen.«

»Schönschreiben? Gut, also schreibt schön!« sagte der fremde Lehrer leichthin zu der fünften Klasse.

Martin Imbach holte die Hefte aus dem Schranke, und die Kinder machten sie rasch auf und nahmen ihre Federhalter. Eigentlich waren sie ja gewöhnt zu arbeiten und sahen ein, dass man eine schöne lange Vormittagstunde nicht mit Dummheiten zubringen durfte.

Aber nun ging das Vergnügen und die Unruhe von neuem an.

Die Buben vorn hatten dem fremden Lehrer bedeutet, dass das grosse T dran komme. T mt und dann allerlei Wörter mit T und Sätze.

Der Lehrer stellte sich vor die Wandtafel und drehte die Kreide in der Hand, und seine Schultern bewegten sich gerade, als ob er in sich hinein lache.

Dann fing er an ein grosses T zu schreiben T mt. Aber wie komisch und krumm die Anfangsschleife war und wie das m bergab ging und das kleine t so grad aufstand.

Nein, was das für ein sonderbarer Lehrer war! So ein T –!

Das Kichern und Schwatzen ging von neuem an, nicht nur hinten.

Der sonderbare Lehrer trat etwas zurück, um sein T mt, an dem er ein paar Mal herumgewischt hatte, zu betrachten, so dass es von einer weissgrauen Wolke umgeben war.

Dann drehte er sich um: »Was – da lachen sie schon wieder, die kleinen Racker!« Er trat mit ein paar grossen Schritten auf die hinteren Bänke zu. Er machte ein Gesicht wie der Menschenfresser im Märchen; aber die Kinder merkten wohl, dass es Spass war und lachten alle, die Buben und Mädchen, aus vollem Halse auf, und die sechste Klasse lachte mit. Und Netti Tobel, die vorn immer noch auf ihren Dreisatz wartete, rief überlaut:

»Das ist der weitaus netteste von all den fremden Lehrern, die wir schon gehabt haben!«

In dem Augenblick ging die Türe auf, und Herr Schwarzbeck erschien:

»Wie geht es denn da zu«, rief er mit gerunzelter Stirne. »Was für ein Lärm! Warum tut ihr nichts? Felix Kleinhans! Martin Imbach! Was seid ihr für Aufseher!«

Die Blicke aller 37 Schüler richteten sich nach dem fremden Lehrer, der rasch auf Herrn Schwarzbeck zutrat:

»Herr Schwarzbeck, kennen Sie mich noch – kennen Sie den Hans Mössmer noch, den Schlingel, den Sie hier in diesem Schulzimmer vor zwölf Jahren mehr als einmal am Kragen genommen.«

»Hans Mössmer, wahrhaftig!«

Herr Schwarzbeck schüttelte dem jungen Herrn herzlich die Hand. »Gehört und gelesen habe ich in den letzten Tagen viel von Ihnen; man war in Münsterau ja voll Bewunderung über ihr Konzert.«

Die Buben und Mädchen spitzten die Ohren. Der junge Herr lachte.

»Ja, aber besser als alle Konzerte sind ein paar Ferientage in der alten Heimat. Ich habe heute früh schon das ganze Städtchen durchwandert und bin dann herausspaziert zu meinem alten Leuenhof. Auf dem Weg hörte ich, dass Sie nicht da seien. Aber meine Schulstube musste ich doch sehen. Harmlos trat ich ein und setzte mich – das durfte ich doch, Herr Schwarzbeck? – an ihr Pult, um einen Augenblick von den vergangenen Zeiten zu träumen. Aber was geschah mir –? Ihre Kinder da, Ihre schrecklichen Kinder setzten sich in den Kopf, dass ich gekommen sei, sie zu unterrichten. Sie machten mich zum Lehrer, ohne mich zu fragen, ob ich wolle! Sie zwangen mich einfach. Sie forderten eine Grammatikstunde von mir! Nur mit Not entrann ich einem gefahrvollen Kampf mit Subjekt und Objekt.«

Herr Schwarzbeck brach in ein Lachen aus und drohte mit dem Finger. Er begriff, dass der junge Herr sich einen Spass gemacht hatte.

»Immer noch zu übermütigen Streichen aufgelegt, Hans Mössmer? Jetzt am Ende erst recht, da man Sie nicht mehr am Kragen nimmt.«

Die Kinder aber waren wortlos vor Überraschung. – Also gar kein Lehrer war er? – Also darum war es so merkwürdig zugegangen? – Darum hatte er gar nicht gewusst, dass man für eine Taschentuch-Maus mitten in der Stunde strafe. Daher kam das schlechte T und die ganze Unordnung – wie lustig –!

Sie stimmten herzhaft ein in das Lachen von Herrn Schwarzbeck; dann horchten sie gespannt, was Herr Mössmer weiter erzähle.

»Ja«, fuhr der junge Herr seufzend fort, während ihm der Schelm aus den Augen sah! »Es war aber fürchterlich. Ich kam aus der Angst gar nicht heraus. Da gab es einen geheimnisvollen Dreisatz. Das Mädchen – Alwine hiess es – und ich, wir standen beide davor und wussten nicht weiter; dem armen Kind kamen die Tränen, und ich hätte am liebsten auch geweint.«

»Ha, ha«, scholl es aus den Bankreihen. »Jetzt sagt er, er hätte fast geweint.«

»Es kam schliesslich ein Retter in der Not, dort der Blonde, und brachte den bösartigen Dreisatz in Ordnung. Aber dann gab es neue Schwierigkeiten mit einer weissen Maus, und zuletzt verlangten sie noch, dass ich ihnen vorschreibe. Dieses T mt. Je mehr ich mit dem Schwamm wischte, desto greulicher wurde es!« –

»Herr Schwarzbeck – da steht es noch!« riefen die Fünftklässler vergnügt. –

»Ja, ja, es rächt sich«, fuhr der junge Herr fort, »wenn man sechs Jahre lang an nichts anderes hat denken können als an den Kontrapunkt und an Etüden und Sonaten, Trios und Quartette. Haben Sie noch ihre alte Violine, Herr Schwarzbeck? Erinnern Sie sich, wie ich glücklich war, als Sie mir die ersten Griffe drauf zeigten?«

Herr Schwarzbeck nahm seine Violine aus dem Schrank: »Jawohl weiss ich’s noch.«

Dann kam ihm ein Gedanke: »Wenn Sie uns etwa vorspielten, Hans –?«

»Soll ich – um mich zu rechtfertigen vor ihren Leuten da, um meine Schmach zu tilgen?«

Herr Mössmer nahm die Violine und stimmte die Saiten. Dann begann er zu spielen. Zuerst eine fröhliche helle Melodie, dass das Lachen, das den Kindern vorher auf dem Gesicht stand, noch blieb. Dann kam es langsam und ernst. Der junge Mann hatte die Augen halb geschlossen, als ob er nach innen horche. Die Töne klangen so voll und weich, so traurig und doch so schön, dass die Kinder den Atem anhielten. Es hörte sich manchmal wie ein Schluchzen an, dann wieder wie ein langgezogenes zartes Singen; jetzt klang es doppelstimmig und altvertraut: »Im schönsten Wiesengrunde steht meiner Heimat Haus.« –

Das war Herrn Schwarzbecks Lieblingslied.

Dann auf einmal wurde der Takt rascher und rascher. Die Töne schwirrten wie Vögel oder tanzten wie Sonnenblitze auf bewegtem Wasser. Immer schneller flog der Bogen – es war ein ganzer Wirbel von Tönen.

Wie war es nur möglich, dass man so spielen konnte!

Mit ein paar breiten Strichen über die Saiten, die wie lauter Jubel schallten, schloss der junge Herr.

Die Kinder atmeten auf und sahen benommen und ehrfurchtsvoll nach ihm hin. Er kam ihnen nun vollständig verändert vor, und sie begriffen nicht, wie sie so keck hatten sein können vorher.

Herr Schwarzbeck aber, der in der Fensterecke zugehört hatte, fasste den jungen Mann an beiden Händen: »Das war schön!« sagte er, und seine Stimme klang bewegt, »wunderschön! Was für Töne haben Sie aus meiner armen Geige herausgeholt!«

»Kinder«, wandte er sich an seine Schüler, »ihr versteht das noch nicht so recht; aber ihr habt einen Künstler gehört.«

»O, Herr Schwarzbeck«, wehrte kopfschüttelnd der junge Mann.

Aber Herr Schwarzbeck wiederholte: »Einen echten Künstler habt ihr gehört. Einen Menschen, in den der liebe Gott etwas Besonderes, Grosses gelegt hat. Später, wenn man seinen Namen nennt, könnt ihr stolz darauf sein, dass er euch da, in unserer alten Schulstube, vorgespielt hat.«

»Und vor allem, dass er euch im Dreisatz unterrichtete und im Schönschreiben –«, fügte der junge Musiker hinzu und blinzelte wieder sehr lustig zu den Kindern hinüber.

»Ja, alles kann man nicht mit dem gleichen Geschick betreiben«, erwiderte Herr Schwarzbeck lachend. »Wer so meisterhaft den Bogen führt, dem verzeiht man einen verkehrt angesetzten Dreisatz und ein etwas mangelhaftes grosses T – aber nur dem, versteht ihr«, wandte er sich an seine Buben und Mädchen. »Euch ist so etwas vorläufig nicht erlaubt.«

Er zog seine Uhr. »Hinaus jetzt in den Hof für zehn Minuten.«

Die Kinder drängten sich herzu, um sich bei dem jungen Musiker zu verabschieden, und er schüttelte alle die siebenunddreissig Hände, und Alwine Gehring und Marie Hug zog er am Zopf in Erinnerung an die Tränen und an die weisse Maus.

Als die Buben und Mädchen wieder hereinkamen, stand ein tadelloses T mt nebst allerlei anderen Wörtern an der Wandtafel, und sie sahen ein, dass jetzt in der nächsten Stunde doppelt eifrig gearbeitet werden musste.

Als aber um elf Uhr Herr Schwarzbeck die Schule schloss, rannten die Leuenhofer rasch nach Hause. Denn sonst wurde man vor dem Mittagessen gar nicht fertig mit Erzählen von all den seltsamen, lustigen, interessanten und schönen Dingen, die sich an diesem Vormittag ereignet hatten. –


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