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Frau Krikl war die einzige Tochter eines begüterten Kaufmannes und hätte, von der Liebe ihrer Eltern umgeben, eine glückliche Jugend gehabt, wäre sie nicht mit ihrer eckigen, langen Gestalt und der großen Hakennase ausgesprochen häßlich gewesen. So wurde sie zwanzig, einundzwanzig und mehr Jahre alt, ohne daß sich ein Mann um sie gekümmert hätte, und schon hatte sie sich mit dem Gedanken abgefunden, eine alte Jungfer zu werden, als sie auf einem Gartenfest einen jungen, auffallend schönen und eleganten Mann kennenlernte, der den ganzen Abend nicht von ihrer Seite wich. Als sie sich trennten, behielt er lange ihre Hand in der seinen und fragte, ob er ihre Eltern besuchen dürfe. Sibylle, obwohl von einem ihr bisher unbekannten Feuer durchströmt, hatte doch noch Vernunft und Besinnung genug, um hart und schroff zu fragen:
»Was soll das, Herr Krikl? Ich weiß doch, daß ich ein lächerlich häßliches Mädchen bin, mit dem zu verkehren einem Manne, wie Sie es sind, kein Genuß sein kann.«
Da führte er ihre Hand an seine Lippen und sagte feurig: »Fräulein Sibylle, ich habe viele schöne Frauen und Mädchen in meinem Leben kennengelernt, und nie fand ich hinter der schönen Larve eine Seele. Ich sehne mich aber nach einer wahren Frauenseele, und bei Ihnen habe ich alles das gefunden, was jene nicht haben: Güte, Klugheit, feines Empfinden und ein warmes, unverdorbenes Herz.«
Unsagbar glücklich machten Sibylle diese Worte, jedes weitere Bedenken schwieg in ihr, und als der schöne, stattliche Mann am nächsten Tage wirklich zu ihren Eltern kam und um ihre Hand anhielt, sank sie jauchzend und weinend an seine Brust.
Ihre Eltern waren durchaus nicht so froh über das Verlöbnis; sie zogen Erkundigungen ein und erfuhren, daß Krikl ein Schuldenmacher und Spieler sei und es zweifellos nur auf das große Vermögen abgesehen hatte. Daraufhin wollten sie, Sibylle solle ihm ihr Jawort zurückgeben. Aber vergebens. Denn ihre Leidenschaft kannte keine Grenzen mehr; sie erklärte, mit dem Geliebten leben oder aber sich töten zu wollen, und so gaben denn die Eltern seufzend und voll düsterer Ahnungen nach. Und die Ahnungen trogen nicht. Schon wenige Tage nach der Trauung zeigte sich Herr Krikl als kalter, herzloser Egoist; er begann die Nächte außer Haus zu verbringen, spielte in schlechter Gesellschaft Hasard, ließ sich in gewagte und zweifelhafte Spekulationen ein und hatte nach einigen Monaten die ganze Mitgift Sibylles durchgebracht. Als sie sich weigerte, ihren Vater um eine große Summe anzugehen, schrie er es ihr kalt ins Gesicht, daß ein Mann wie er eine so lächerlich häßliche Person nicht geheiratet habe, um plötzlich ohne Geld dazustehen. Unter der Wucht dieses Schimpfes brach die junge Frau zusammen, aber schließlich erbettelte sie kniefällig bei ihrem Vater das Geld, das ihr Gatte verlangte, und blieb doch bei ihm, da sie wußte, sie würde bald Mutter sein.
Die schrecklichsten Szenen wiederholten sich, immer wieder forderte Krikl Geld, mitunter blieb er eine Woche und länger dem Hause fern, bis schließlich ihr Vater ein Machtwort sprach, die Tochter zu sich nahm und dem Elenden die Türe wies.
Bald darauf wurde der armen, enttäuschten Frau ein Kind, ein Mädchen, geboren, und das Mutterglück entschädigte sie reichlich für das verlorene Eheglück.
So verging ein Jahr, bis eines Tages Herr Krikl wieder auf der Bildfläche erschien. Er lauerte seiner Frau auf der Straße auf, beschwor sie, wieder mit ihm zusammen zu leben, schilderte ihr mit bewegten Worten, wie verlassen und einsam er sei und wie geläutert durch all das Unglück, berief sich auf ihre einstige Liebe und erklärte schließlich, sich auf offener Straße vor ihr erschießen zu wollen, wenn sie noch länger sich und sein Kind ihm entziehen würde. Und die arme Frau glaubte ihm – nicht, weil sie überzeugt war, sondern weil sie glauben wollte – und gab abermals das reiche, behagliche Elternhaus auf, um mit dem Vater des Kindes zu leben.
Anfangs ließ sich auch alles ganz gut an, um so mehr, als der Schwiegervater wieder mit einer recht stattlichen Summe herausrückte, dann aber begann das alte häßliche Lied von neuem. Krikl hatte auch die zweite Mitgift seiner Frau verspekuliert, er führte wieder sein liederliches ausschweifendes Leben, forderte immer wieder Geld, erpreßte es schließlich unter der Drohung, sonst mit dem Kinde fortzugehen, bis Frau Sibyllens Vater die Geduld riß und er abermals alle Anstalten traf, um Tochter und Enkelkind zu sich zu nehmen. Aber an dem Tage, an dem die Übersiedlung vor sich hätte gehen sollen, war Krikl verschwunden und mit ihm das Kind und der wertvolle Schmuck der jungen Frau. Sibylle verlor über alledem fast den Verstand, und ein hitziges Nervenfieber warf sie aufs Krankenlager. Vergebens erließ ihr Vater Aufrufe, in denen er dem Schwiegersohn hohe Summen versprach, wenn er das Kind ausliefern würde. – Krikl war nicht aufzufinden; eine leise Spur nur führte nach Südamerika.