Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Casanova von Seingalt.

– 1757. –

Jakob Casanova von Seingalt sagt von sich selbst, daß, als man ihn festnahm, er einer der größten Taugenichtse von Venedig war. Und dabei lobt er sich noch, wenn er sich diesen Titel beilegt, denn selbst der eines Industrieritters würde noch nicht stark genug sein. Wie dem auch sein mag, die Erzählung seiner Gefangenschaft unter den berühmt-berüchtigten Bleidächern Venedigs und seine Flucht sind nicht ohne Interesse. Viele Einzelheiten sind zweifellos irrig oder übertrieben, einige Schriftsteller haben sogar behauptet, daß er bei seiner Flucht keine anderen Hindernisse zu überwinden gehabt habe, als die Wachsamkeit bestochener Wächter. Über diese Behauptung, für welche übrigens kein Beweis vorliegt, wollen wir nicht streiten. Sicher ist jedenfalls, daß Casanova aus den Bleikammern entflohen ist. Wir lassen ihm selbst das Wort, ohne uns für die Wahrheit des Erzählten zu verbürgen:

»... Am 26. Juli mit Tagesanbruch trat der schreckliche Messer grande in mein Zimmer. Aufwachen, ihn sehen und hören, wie er fragt, ob ich Jakob Casanova sei, war Sache eines Augenblicks. Als ich ihm antwortete: ›Ja, ich bin Casanova‹, befiehlt er mir aufzustehen, mich anzukleiden und bereit zu machen, ihm zu folgen. Was ich an Schriftstücken besitze, solle ich ihm übergeben. ›In wessen Auftrag befehlen Sie das?‹ frage ich. ›Im Namen des Tribunals.‹ Das Wort Tribunal macht mich starr vor Schreck, und ich bin kaum im Stande, zu gehorchen. Ich wasche mich, ziehe ein Spitzenhemd und meinen besten Rock an. Der gestrenge Herr läßt mich in eine Gondel steigen und setzt sich mit vier seiner Leute daneben. Als ich bei ihm anlange, bietet er mir Kaffee an, den ich ausschlage, darauf schließt er mich in ein Zimmer ein. Ungefähr um drei kommt der Hauptmann der Sbirren und sagt mir, er habe Auftrag, mich unter die Bleidächer zu bringen. Ich folge ihm, ohne ein Wort zu sagen. Wir bestiegen eine Gondel, fuhren durch viele kleine Kanäle, kamen in den Kanal grande und landeten am Gefängnisquai (jetzt riva de schiavoni). Nachdem wir mehrere Treppen hinaufgestiegen, überschreiten wir den rio di Palazzo benannten Kanal auf einer überdeckten Brücke (Seufzerbrücke), welche die Gefängnisse mit dem Dogenpalast verbindet. Auf der andern Seite der Brücke gingen wir durch einen Gang und dann durch ein Zimmer hindurch in ein anderes, wo der Häscherhauptmann mich einer Persönlichkeit in Patriziertracht vorstellte. Der Herr sah mich scharf an und sagte: » E quello? Mettetelo in deposito« (Der ist es also? Bringen Sie ihn in Gewahrsam.« Die Zellen der Bleikammern wurden eigentlich nur als eine Art Untersuchungsgefängnis betrachtet, wo die Gefangenen ihr Urteil erwarteten, manchmal einige Tage, bisweilen allerdings auch Jahre.

Man führte ihn in eine Zelle des Balkenviertels, so genannt nach einem großen Dachbalken, der diesen Teil des Gebäudes durchschnitt. Die Zellen liefen nebeneinander nach einem geräumigen Dachboden hinaus, welcher durch ein nach dem Hofe des Palastes gehendes großes Dachfenster erhellt wurde. Auf diesem Boden waren eine Menge der verschiedensten Dinge aufgespeichert, amtliche Schriftstücke und die mannigfachsten Möbel. In diesem Raume gingen die Gefangenen jeden Tag einige Minuten spazieren, während der Wärter die Zelle in Ordnung brachte. In der ersten Zeit seiner Gefangenschaft litt Casanova sehr durch die Hitze. Er wurde krank, erholte sich aber nach einigen Tagen wieder und dachte dann nur daran, wie er seine Freiheit wieder erlangen könne. Eines Tages, als er auf dem erwähnten Dachboden spazieren ging, bemerkte er einen eisernen Riegel und ein Stück schwarzen Marmor. Er steckt beide Gegenstände ein und nimmt sie mit in seine Zelle. Dort schliff er das eine Ende des Eisens durch anhaltendes Reiben auf dem Marmor achtkantig und war so nach einiger Mühe im Besitze eines sehr brauchbaren, zwanzig Zoll langen Stilets von der Stärke eines Spazierstockes.

»Ich überlegte mir einige Tage, was ich wohl mit meinem Instrumente anfangen kann und hielt es für das Einfachste, damit unter meinem Bette ein Loch in den Fußboden zu machen, da ich überzeugt war, daß das unter meinem Kerker liegende Zimmer nur das des Herrn Cavalli (Sekretär des Inquisitionsgerichts, der ihn bei seiner Ankunft empfangen hatte) sein könne. Sobald mein Loch einmal fertig war, würde ich mich mit meinen Betttüchern hinabgelassen haben. Ich wußte, daß man das Zimmer jeden Morgen öffnete, und inzwischen würde ich mich unter dem großen Tisch im Sitzungszimmer versteckt gehalten haben. Wenn dann die Zimmer aufgeschlossen waren, wollte ich hinausschlüpfen, und ehe man mich hätte verfolgen können, wäre ich wahrscheinlich in Sicherheit gewesen. Ich dachte auch an die Möglichkeit, daß eine Wache in dem Saale stehen könnte, aber meine Waffe hätte mich schnell von ihr befreit. Freilich konnte die Dielung meines Zimmers zwei, selbst drei Fuß sein, was sehr fatal wäre, denn wie sollte ich meine Wärter verhindern, so lange die Arbeit dauerte, also etwa zwei Monate oder länger, nicht auszukehren? Wenn ich es ihnen untersagte, erregte ich Verdacht, umsomehr, als ich erst kürzlich ausdrücklich verlangt hatte, daß man alle Tage kehre. Trotzdem verbot ich zunächst das Kehren, ohne einen Grund dafür anzugeben. Acht Tage darauf fragte mich Lorenz (der Aufseher) nach dem Grunde. Ich sagte, der Staub verursachte mir heftigen Husten Das brachte acht Tage Ruhe, dann ließ Lorenz die Zelle kehren und untersuchte alle Winkel mit einem brennenden Lichte.

Casanova verfiel darauf, sich in die Finger zu stechen, das Taschentuch blutig zu machen und Lorenz mitzuteilen, er huste Blut aus, was sicher vom Kehren käme. Der herbeigeholte Arzt ließ ihn zur Ader und unterstützte, ohne es zu wollen, die listige Absicht des Gefangenen, da er das Kehren für gefährlich erklärte; ein junger Mann sei kürzlich sogar infolge eines ähnlichen Anfalles gestorben. Kurz, die Wärter hörten auf, die Zelle zu fegen.

»Jeden Tag wollte ich nun anfangen, aber meine Zeit war noch nicht gekommen. Es war zu kalt, meine Hände konnten das Eisen nicht längere Zeit lang halten, ohne steif zu werden, und mein Unternehmen erforderte viel Vorsicht. Die langen Winternächte brachten mich zur Verzweiflung, denn ich mußte neunzehn tötliche Stunden im Finstern verbringen, und an nebligen Tagen, die in Venedig nicht selten sind, war das durch das Fenster einfallende Licht nicht einmal ausreichend, um lesen zu können. Da mein Geist so wenig andere Beschäftigung hatte, so kam ich immer auf den Gedanken meiner Flucht zurück ... Der Besitz einer elenden Küchenlampe hätte mich glücklich gemacht, aber wie sollte ich es anfangen, um mir diesen Genuß zu verschaffen? Um eine Lampe herzustellen, brauchte ich ein Gefäß, Docht, Öl, Stahl und Feuerstein, Zunder und Schwefelfaden. Nun hatte ich aber eine tiefe Schale, worin man mir Eierspeisen machte. Unter dem Vorwande, daß das gewöhnliche Olivenöl mir nicht bekäme, ließ ich mir Luccaöl für meinen Salat kaufen; eine meiner wollenen Unterjacken lieferte mir den Docht. Dann heuchelte ich heftige Zahnschmerzen und bat Lorenz: ich brauche Bimsstein, um damit zur Beruhigung der Schmerzen das Zahnfleisch zu streichen, aber ein Feuerstein, einen Tag lang in Essig gelegt, hätte dieselbe Wirkung. Lorenz erwiderte, mein Essig sei sehr gut, ich solle doch selbst einen Stein hineinlegen, – dabei gab er mir zwei Feuersteine, die er aus der Tasche zog. Eine große Stahlschnalle von meinem Gürtel diente mir als Feuerstahl. Nun fehlte mir noch Zunder und Schwefelfaden. Da kam mir das Glück zu Hilfe. Ich hatte bisweilen heftiges Jucken im Arm und bat Lorenz, den Arzt um ein Mittel zu fragen. Am nächsten Tage brachte er mir einen Zettel, den der Sekretär gelesen hatte, und worin der Arzt einen Tag Diät u. s. w. verordnte oder eine Einreibung von Schwefelblume. ›Bringen Sie mir etwas Schwefel‹, sage ich zu Lorenz, ›Butter habe ich hier, ich mache mir die Salbe selbst. Oder haben Sie Schwefelfaden? dann geben Sie mir welchen.‹ Er hatte auch richtig welchen in der Tasche und gab ihn mir ahnungslos. (Zum Lichtanbrennen bediente man sich damals in Italien eines in Schwefel getränkten Dochtes oder Fadens.)

Endlich hatte ich mich besonnen, daß der Schneider unter die Ärmel meines Rockes Schwamm genäht hatte, damit der Schweiß den Stoff nicht schmutzig mache. So im Besitze aller Zuthaten, hatte ich mir bald eine Lampe zurecht gemacht. Meine Freude darüber kann man sich vorstellen. Ich bestimmte den ersten Fastenmontag zum Anfang meiner schwierigen Arbeit, den Boden zu durchbrechen, denn bei dem Drunter und Drüber, das der Karneval stets mit sich brachte, fürchtete ich neue Genossen oder Unregelmäßigkeiten in der Inspektion, und meine Voraussetzung erwies sich als sehr richtig.«

Er erhielt in der That einen Zellengenossen. Es war ein Jude, den er erst nach zwei Monaten los wurde.

»Sobald ich mich wieder allein sah, machte ich mich eifrig an die Arbeit. Ich mußte mich beeilen, denn es war zu fürchten, daß wieder ein ebenso unbequemer Genosse käme wie der Jude, der das Ausfegen gefordert hatte. Ich begann mein Bett fortzurücken, und nachdem ich meine Lampe angebrannt, nahm ich mein Eisen zur Hand und legte mich flach auf den Boden, eine Serviette war bereit gelegt, um die Holzspähne, sowie ich sie herausschälte, aufzunehmen. Ich mußte also das Brett mit der Spitze meines Instrumentes zerstören. Anfangs waren die Stücke, welche ich herausbrachte, nicht viel größer wie ein Weizenkorn, aber bald wurden sie größer und größer.

Das Brett war von Lärchenholz und 16 Zoll breit. Ich fing meine Arbeit an der Stelle an, wo es mit einem anderen zusammengefügt war, und da sich weder Nägel noch irgend welches Eisen zeigte, ging meine Arbeit glatt von Statten. Nach sechs Stunden hörte ich auf und verbarg die Serviette, um sie am nächsten Morgen hinter den Papierstößen der Bodenkammer zu entleeren. Die Spähne nahmen den doppelten Raum ein wie das Loch, aus dem ich sie herausgeholt hatte ... Ich stellte mein Bett wieder an seinen Platz und entfernte am nächsten Tage die Spähne so, daß man sie unmöglich bemerken konnte ... Am darauffolgenden Tage wurde ich mit dem Durchstechen des ersten Brettes von zwei Daumen Dicke fertig und kam an ein zweites ganz ähnliches. Von der Angst gequält, neuen Besuch zu erhalten, verdoppelte ich meine Anstrengungen, und so hatte ich in drei Wochen die drei Bretter, aus denen der Fußboden bestand, vollständig durchbrochen – aber da hielt ich mich für verloren, denn jetzt stieß ich auf eine Lage kleiner Marmorstücke, die in Venedig unter dem Namen terrazzo marmorin bekannt sind. Dies ist die gewöhnliche Zimmerbodenfüllung aller venetianischen Häuser, ausgenommen die der Armen, denn selbst die großen Herren ziehen den terrazzo dem schönsten Parkett vor. Ich war ganz bestürzt, als ich fand, daß mein Werkzeug gar keine Wirkung auf diese harte Masse ausübte. Dieser Umstand hätte mich beinahe ganz entmutigt. Da fiel mir Hannibal ein. Ich goß in die Höhlung eine Flasche von dem starken Essig, den ich besaß. War es nun eine Wirkung des Essigs oder daß ich, durch den Schlaf gestärkt, mehr Geduld und Ruhe zur Arbeit hatte, kurz, ich fand am nächsten Tage, daß ich doch auch mit dieser Schwierigkeit fertig werden konnte, denn es handelte sich nicht darum, den Marmor zu zerbrechen, sondern nur mit der Spitze meines Werkzeuges den Cement, der ihn zusammenhielt, zu Pulver zu stoßen. Bald merkte ich übrigens zu meiner großen Freude, daß der größte Widerstand nur an der Oberfläche bestand. In vier Tagen war der ganze Mosaik zerstört. Darunter war ein anderes Brett, wie ich erwartet hatte, und das ich für das letzte hielt oder richtiger das erste des Plafonds. Ich machte mich sofort daran, auch dieses zu zerstückeln. Die Arbeit war aber jetzt sehr schwierig, denn mein Loch war zehn Zoll tief und ich konnte mein Stilet nur mühsam handhaben.

Da höre ich mit tötlichem Schreck den Riegel der Thüre knarren. (Casanova.)

Am 25. Juni um drei Uhr nachmittags, also zu einer Zeit, wo man, selbst ohne zu arbeiten, schwitzt, arbeitete ich, auf dem Boden liegend, an der Vollendung meines Loches, die brennende Lampe neben mir. Da höre ich mit tötlichem Schreck ganz plötzlich den Riegel der Thüre des ersten Ganges knarren ... Das war ein furchtbarer Augenblick. Schnell blase ich die Lampe aus, lasse das Stilet im Loche, werfe die Serviette mit den Spähnen dazu und beeile mich, mein Bett, so gut es ging, an seinen Platz zu stellen. Halb tot falle ich bei der Thür hin, gerade als diese aufgeht und Lorenz eintritt. Ein paar Sekunden früher ... und er würde mich bei der Arbeit überrascht haben. Beinahe wäre Lorenz auf mich getreten, wenn ich nicht so laut aufgeschrien hätte, daß er ein paar Schritte zurück wich. ›Mein Gott‹, sagte er, ›ich beklage Sie, Herr, denn man erstickt hier wie in einem Ofen. Stehen Sie auf und danken Sie Gott, der Ihnen einen guten Gesellschafter schickt‹.

Der Neuangekommene glaubte sich in die Hölle versetzt und rief aus: ›Wo bin ich denn? Welche Hitze! Welcher Gestank!‹ Lorenz hieß uns in den Bodenraum hinausgehen und sagte, er wolle uns eine Weile da lassen, bis sich der schlechte Ölgeruch aus der Zelle etwas verzogen. Welche Überraschung für mich, dies zu hören! Ich wußte sofort, daß Lorenz das Geheimnis meiner Lampe kannte und daß es nur der Jude hatte verraten können.

Acht Tage darauf nahm man mir meinen neuen Genossen wieder weg.

Als mir Lorenz am nächsten Tage Rechnung über mein Geld ablegte, fand ich, daß vier Zechinen über waren, und um ihn gefügig zu machen, schenkte ich sie ihm für seine Frau. Ich sagte nicht, daß es die Miete für meine Lampe sei, aber er konnte es so annehmen. Ich hatte meine Arbeit wieder aufgenommen und ohne Unterbrechung fortgesetzt; am 23. August wurde ich damit fertig. Diese lange Dauer war durch einen sehr natürlichen Umstand veranlaßt worden. Als ich das letzte Brett ziemlich ganz durchschnitten oder vielmehr vorsichtig immer dünner geschabt hatte, machte ich ein kleines Loch, welches mir den Einblick in das Zimmer der Richter gewähren mußte. Ich sah es auch wirklich, aber gleichzeitig bemerkte ich eine senkrechte Fläche von ungefähr acht Zoll. Es war einer der Deckenbalken. Dies zwang mich, meine Arbeit nach der entgegengesetzten Seite auszudehnen, denn der Balken würde den Durchgang so eng gemacht haben, daß eine ziemlich starke Person nie hätte durchkommen können. Ich machte das Loch um ein Viertel größer und schwankte zwischen Furcht und Hoffnung, denn es konnte sein, daß nochmals der Raum zwischen den beiden Balken nicht genügend war. Ein zweites kleines Loch verschaffte mir aber die Gewißheit, daß Gott mein Werk gesegnet hatte. Ich verstopfte die kleinen Löcher sorgfältig, um zu hindern, daß weder etwas in den Saal fallen, noch daß ein Strahl meiner Lampe von da bemerkt werden konnte, was zu meiner Entdeckung und zum Verderben geführt hätte.

Ich setzte den Zeitpunkt meiner Flucht auf die Nacht vor Sankt Augustin fest, da ich wußte, daß aus Anlaß dieses Festes der große Rat sich versammelte und daß infolge dessen niemand in dem Vorraume neben dem Zimmer war, durch welches ich naturgemäß bei meiner Flucht kommen mußte. Dies war der 27., aber am 25. mittags betraf mich ein großes Unglück, und ich zittere noch, wenn ich jetzt daran denke, obgleich so viele Jahre dieses Ereignis von dem jetzigen Augenblick trennen.

Genau um Mittag dieses Tages nämlich höre ich zu meinem Entsetzen das für diese Zeit ganz außergewöhnliche Knacken der Schlösser ... mein Puls stand still und ich glaubte im ersten Augenblicke zu sterben, ... fassungslos lasse ich mich auf meinen Sessel fallen. Lorenz kommt und ruft mir schon beim Eintreten vergnügt zu: ›Ich wünsche Ihnen Glück zu der guten Nachricht, die ich bringe.‹ Zuerst glaube ich, daß er mir die Freiheit bringt, denn ich erwartete keine andere Neuigkeit. Ich zitterte, denn mir bangte im selben Momente, daß die Entdeckung des Loches meine Begnadigung aufheben könnte. Lorenz bat mich, ihm zu folgen.

›Warten Sie, bis ich mich ankleide.‹ ›Das ist nicht nötig, denn Sie vertauschen nur diese häßliche Zelle gegen eine andere helle, neue, wo Sie aus zwei Fenstern die Hälfte von Venedig sehen, und wo Sie gerade stehen können.‹

Ich konnte mich bei diesen Worten kaum aufrecht erhalten und fiel beinahe in Ohnmacht. ›Geben Sie mir Essig‹, sage ich zu Lorenz, ›und melden Sie dem Herrn Sekretär, daß ich dem Tribunal für seine Gnade danken aber bitten ließe, mich hier zu lassen.‹ ›Sie machen mich lachen, Herr. Sind Sie denn verrückt geworden? Man will Sie aus der Hölle in das Paradies versetzen und Sie weigern sich dessen! Gehen Sie doch, – es heißt gehorchen. Stehen Sie auf; ich will Ihnen den Arm geben. Ihre Sachen und Bücher lasse ich nachbringen.‹

Da ich sah, daß Widerstand unnütz war, stehe ich auf und fühle eine große Erleichterung, als ich höre, wie Lorenz einem Wärter den Sessel mitzubringen befiehlt, denn damit folgte mir mein Stilet und mit ihm die Hoffnung. Gern hätte ich noch mein schönes Loch, den Gegenstand so vieler Mühe und verlorener Hoffnung mitgenommen. Ich kann sagen, daß, als ich diesen schrecklichen Ort verließ, meine ganze Seele dort zurückblieb.

Auf die Schulter von Lorenz gestützt, der durch seine albernen Scherze mich zu erheitern glaubte, durchschritten wir erst zwei enge Gänge, stiegen drei Stiegen hinab und betreten einen sehr hellen Saal, auf dessen äußerster Linken er mich durch eine kleine Thür in einen anderen Gang von 2 Fuß Breite und 12 Fuß Länge eintreten ließ, an dessen Ende sich mein neuer Kerker befand. Er hatte ein vergittertes Fenster, welches gerade zwei ebenfalls vergitterten Fenstern des Ganges gegenüber lag, und dadurch konnte man die schöne Aussicht bis zum Lido genießen. In jenem Augenblick war ich aber nicht in der Verfassung, mich darüber zu freuen. Indeß bemerkte ich sofort mit Vergnügen, daß durch dieses Fenster, wenn es offen war, ein angenehmer kühler Luftzug wehte, der die unausstehliche Hitze milderte, ein wahrer Balsam für den Unglücklichen, der da atmen mußte, besonders in dieser Jahreszeit.

Nachdem ich in den neuen Kerker eingetreten, ließ Lorenz meinen Sessel hereinbringen und entfernte sich, um, wie er sagte, meine übrigen Sachen zu holen. Ich blieb unbeweglich wie eine Bildsäule auf meinem Sessel sitzen und erwartete das sichere Gewitter, ohne es zu fürchten. Was mir den meisten Ärger verursachte war der Gedanke, daß alle die Mühe, die ich gehabt, alle Berechnungen, die ich aufgestellt, vergeblich gewesen waren. Ich blieb auch in diesem Zustande der Wut und Verzweiflung, als zwei Sbirren mein Bett brachten. Sie gingen bald darauf, um angeblich das übrige zu holen. Es vergingen aber zwei Stunden, ehe ich irgend jemand wieder sah, trotzdem die Thür meines Kerkers offen geblieben war. Diese Verzögerung, die durchaus nicht natürlich war, brachte mich auf eine Menge Gedanken, ohne aber einen einzigen fixieren zu können. Endlich höre ich eilige Schritte, und gleich darauf sehe ich Lorenz vor mir, ganz von Zorn entstellt, vor Wut schäumend und Gott und alle Heiligen verwünschend. Er befahl mir, ihm das Beil und die Werkzeuge zu geben, die ich benutzt hätte, um den Fußboden zu durchhauen, und ihm zu sagen, welcher Sbirre mir die Werkzeuge geliefert hätte. Ohne mich zu rühren, antwortete ich sehr kaltblütig, ich wisse nicht, was er meine. Auf diese Antwort befahl er, mich zu durchsuchen. Aber ich erhob mich sofort entschlossen und kleidete mich vollständig aus. ›Waltet Eures Amtes‹, rufe ich den Häschern zu, ›aber rühre mich keiner an.‹ Man durchsucht meine Matratze, leert meinen Strohsack, befühlt die Kissen meines Sessels, findet aber nichts, ›Sie wollen nicht sagen, wo die Werkzeuge sind, mit denen Sie die Öffnung gemacht haben? Nun, man wird Mittel finden, Sie zum Sprechen zu bringen.‹ – ›Wenn es wahr ist, daß ich irgendwo ein Loch gemacht habe‹, erwidere ich, ›so werde ich sagen, daß Sie mir die Hilfsmittel dazu geliefert und daß ich sie Ihnen zurückgegeben habe.‹

Diese Drohung entlockte den Untergebenen von Lorenz, die er in seinem Zorne durch böse Worte gereizt haben mochte, ein beifälliges Lächeln. Lorenz stampfte wütend mit dem Fuße, raufte sich die Haare und stürzte wie ein Besessener davon. Seine Leute brachten mir nun alle meine Sachen, mit Ausnahme des Feuersteines und der Lampe. Lorenz kam wieder, schloß meinen Kerker und machte, bevor er den Gang verließ, die beiden Fenster zu, durch welche ich etwas Luft erhielt. Trotz des Handwerksgeistes, der ihm eigen, kam ihm glücklicherweise nicht der Gedanke, meinen Sessel umzustürzen, und so blieb ich im Besitze meines unschätzbaren Eisens, wofür ich der Vorsehung Dank sagte.

Am nächsten Tage brachte Lorenz dem Gefangenen das allerschlechteste Essen, und ein Wächter klopfte mit einer eisernen Stange überall im Kerker herum, besonders unter dem Bette.

›Ich bemerkte aber‹, fährt Casanova fort, ›daß er nicht an die Decke klopfte. Dort durch‹, sagte ich mir sofort, ›werde ich aus dieser Hölle entweichen. Ich konnte aber kaum etwas vornehmen, ohne daß es nicht bemerkt worden wäre, denn der Kerker war ganz neu vorgerichtet, und die geringste Beschädigung würde meinen Wächtern aufgefallen sein.‹

An den folgenden Tagen brachte Lorenz stets ungenießbares Essen und weigerte sich, den Kerker reinigen zu lassen und die Fenster zu öffnen. Am achten Tage erzürnt sich Casanova und verlangt Abrechnung über sein Geld, die Lorenz ihm auch für den nächsten Tag verspricht. An diesem Tage bringt er dem Gefangenen vom Herrn de Bragadin, seinem Freunde, einen Korb Citronen und ein schönes gebratenes Huhn.

»Als er mir die Rechnung brachte, sah ich nur die Summe an und bat ihn, den Überschuß seiner Frau zu geben, eine Zechine ausgenommen, die er den Wächtern geben solle, welche den Dienst mit besorgten. Lorenz, der allein bei mir war, wandte sich darauf mit folgenden Worten an mich: ›Sie haben mir schon gesagt, Herr, daß Sie von mir die nötigen Geräte erhalten hätten, um das große Loch zu machen; also bin ich nicht weiter neugierig; aber wollen Sie mir wohl sagen, wer Ihnen das Nötige gegeben hat, um sich eine Lampe zu machen?‹ ›Sie selbst.‹ ›Nun, das ist aber stark, ich dachte nicht, daß Frechheit zur Bildung gehörte.‹ ›Ich lüge nicht. Sie haben mit eigenen Händen mir alles Nötige gegeben: Öl, Feuerstein, Schwefelfaden, und das übrige hatte ich selbst.‹ ›Da haben Sie recht, aber können Sie mich ebenso leicht überzeugen, daß ich Ihnen die Werkzeuge geliefert habe, um das Loch zu machen?‹ ›Gewiß, denn ich habe von niemand sonst etwas bekommen!‹ – ›Gott sei mir gnädig! Was höre ich da? Sagen Sie mir, wann habe ich Ihnen ein Beil gegeben?‹ ›Ich will Ihnen alles sagen und die Wahrheit, aber nur in Gegenwart des Sekretärs.‹ – ›Ich will weiter nichts wissen und glaube Ihnen alles. Ich bitte, schweigen Sie, ... ich bin ein armer Mann und habe Kinder.‹ Er hielt sich den Kopf mit den Händen und ging hinaus.

Ich war herzlich froh, ein Mittel gefunden zu haben, um diesen Halunken mich fürchten lassen zu können. Ich sah, daß sein eigenes Interesse ihn zwang, seinen Herren von dem Vorgefallenen nichts zu berichten ... Ich hatte Lorenz gebeten, mir die Werke von Maffei zu kaufen. Diese Ausgabe schien ihm zu mißfallen, aber er wagte nicht, es mir zu sagen. ›Ich werde Ihnen Bücher von jemandem, der hier ist, verschaffen‹, sagte er, ›wenn auch Sie ihm von Ihren Büchern leihen wollen. So sparen Sie Ihr Geld.‹

Casanova willigte ein, und gegen ein Buch, das er Lorenz gab, brachte ihm dieser ein anderes.

»Ich war ungemein erfreut über die Aussicht, mit jemand in Briefwechsel treten zu können, der mich bei den Fluchtplänen, die ich schon wieder entworfen hatte, unterstützen konnte. Sobald Lorenz hinaus war, öffne ich das Buch, und meine Freude war grob, als ich auf einem Blatte eine Variierung von Senecas: Calamitosus est animus futuri anxius in sechs guten Versen finde. Sofort mache ich sechs dazu. Um schreiben zu können, verfiel ich auf folgendes Aushilfsmittel. Ich hatte den Nagel meines kleinen Fingers lang wachsen lassen; ich spitzte ihn nun zu und benutzte ihn als Feder. Tinte fehlte mir ebenfalls, und wollte ich mir anfangs eine kleine Wunde machen, um mit Blut zu schreiben, als mir einfiel, daß Maulbeersaft, den ich besaß, leicht die Tinte ersetzen könne. Außer den sechs Versen schrieb ich ein Verzeichnis meiner Bücher und steckte es in den Rücken desselben Buches. Damals waren die Bücher in Italien stets in Pergament eingebunden, so daß, wenn man das Buch öffnete, der Rücken eine Art Tasche bildete. Rechts vom Titel schrieb ich: Latet (versteckt). Ich wollte gern bald eine Antwort haben und sagte daher Lorenz am nächsten Tage, ich hätte das Buch schon gelesen und bäte die Person, mir ein anderes zu schicken. Einige Augenblicke darauf hielt ich schon den zweiten Band in Händen. Sobald ich allein war, öffnete ich das Buch und finde darin ein loses Blatt, worauf in Latein stand: ›Wir sind zwei in demselben Gefängnis, und es macht uns ein großes Vergnügen, daß der Unverstand eines habsüchtigen Kerkermeisters uns ein an diesem Orte noch nie dagewesenes Privilegium verschafft. Ich, der ich schreibe, bin Marin Balbi, ein edler Venetianer und Ordensgeistlicher, und mein Gefährte ist der Graf Andreas Asquin aus Udine, der Hauptstadt von Friaul. Er läßt Ihnen sagen, daß alle Bücher, die er besitzt, und deren Verzeichnis Sie umstehend finden, zu Ihrer Verfügung stehen. Wir machen Sie aber darauf aufmerksam, daß wir alle Vorsichtsmaßregeln nötig haben, um unseren kleinen Handel vor Lorenz zu verbergen!‹

Ich fand diese auf ein loses Blatt geschriebene Empfehlung zur Vorsicht sonderbar. Lorenz brauchte das Buch nur zu öffnen, dann hätte er das Blatt bemerkt. Den Inhalt brauchte er sich nur von jemand vorlesen zu lassen, und alles wäre entdeckt gewesen. Das brachte mich darauf, daß meine Korrespondenz ein großer Leichtsinn sei. Nachdem ich das Verzeichnis durchlesen, schrieb ich, wer ich sei, wie ich festgenommen worden und daß ich über das Vergehen, weshalb man mich bestrafe, im Unklaren sei und hoffe, bald frei zu kommen. Balbi schrieb mir in Erwiderung einen Brief von sechzehn Seiten, der Graf dagegen keine Zeile. Der Mönch erzählte mir die Geschichte seines Unglücks. Er wurde seit vier Jahren gefangen gehalten.«

Die Erzählung des Mönches zeigte deutlich, daß es an ihm weiter nichts Gutes und Ordentliches gab wie seinen Titel. Casanova schloß aus seiner langen Epistel, daß er sinnlich, boshaft, dumm, unvorsichtig, undankbar und ein böser Schwätzer war. Die Zukunft zeigte ihm zur Genüge, daß er sich in keinem dieser Punkte geirrt hatte.

»Im Rücken des Buches fand ich einen Bleistift, Federn und Papier, was mich in den Stand setzte, ganz nach Belieben zu schreiben. Balbi schrieb mir auch die Geschichte von allen Gefangenen, die unter den Bleidächern waren und von allen denen, die seit seinen vier Jahren dagewesen waren. Er schrieb auch, daß der Wärter Nikolaus es sei, der ihm heimlich alles kaufe, was er wolle, der ihm auch die Namen der anderen Gefangenen mitteile und so weiter. Um mich zu überzeugen, berichtete er mir alles, was er ihm über mein Loch erzählt hatte. Lorenz hätte zwei Stunden gebraucht, um den Schaden, den ich angerichtet, ausbessern zu lassen. Tischler, Schlosser und Wärter hatte er bei Todesstrafe zum Schweigen verpflichtet. Noch einen Tag, hätte der Wärter gesagt, und Casanova wäre auf so feine Weise entschlüpft, daß Lorenz an den Galgen gekommen wäre, denn trotz der Überraschung, die er gezeigt hatte, als er das Loch sah, ist es keine Frage, daß er allein ihm die nötigen Werkzeuge geliefert. Er bat mich, ihm die Sache eingehend zu erzählen, ihm mitzuteilen, wie ich mir die Werkzeuge verschafft hätte und daß ich auf seine Verschwiegenheit rechnen könne.

Ich zweifelte nicht an seiner Neugier, aber sehr an seiner Verschwiegenheit, umsomehr, als seine Frage allein ihn als einen sehr unbesonnenen Menschen zu erkennen gab. Ich war aber doch dafür, ihn zu schonen, denn er schien mir geeignet, alles zu thun, was ich ihm angeben würde und mir zu helfen, meine Freiheit zu erlangen. Ich begann deshalb ihm zu antworten, aber es stieg mir plötzlich ein Verdacht auf, der mich veranlaßte, die Absendung von dem neuerlichen Briefe aufzuschieben. Könnte nicht diese Korrespondenz eine Kriegslist von Lorenz sein, um zu erfahren, wer mir die Werkzeuge geliefert und wo ich sie hingebracht hatte? Um ihn jedoch zu befriedigen, ohne mich selbst zu kompromittieren, schrieb ich, ich hätte die Öffnung mit einem starken Messer gemacht, welches ich noch jetzt besäße und unter dem Fensterbrette auf dem Gange verborgen hätte. Innerhalb dreier Tage war ich aber über diesen Punkt beruhigt, denn Lorenz untersuchte das Fensterbrett nicht, was er nicht unterlassen haben würde, wenn er von dem Inhalte des Briefes Kenntnis hatte. Außerdem schrieb mir der Pater Balbi, daß er wohl wisse, ich könne ein Messer haben, denn Lorenz selbst habe ihm gesagt, daß ich vor meiner Einschließung nicht durchsucht worden sei. Der Mönch bat mich schließlich, ihm das Messer durch Nikolaus, dem ich vertrauen könne, zu schicken. Der Leichtsinn dieses Mönches schien mir unbegreiflich. Ich schrieb ihm kurz, ich wäre durchaus nicht geneigt, mich Nikolaus anzuvertrauen und mein Geheimnis könne ich nicht einmal dem Papier anvertrauen.

Später jedoch ließ ich meinen Verdacht vollständig fallen; ich urteilte so: Ich will mir auf alle Fälle die Freiheit verschaffen. Das Stilet, das ich habe, ist ausgezeichnet, aber ich kann mich desselben nicht bedienen, denn man untersucht jeden Morgen peinlich meinen Kerker mit einer Eisenstange mit Ausnahme der Decke. Wenn ich von hier fort will, kann ich nur durch die Decke fortkommen. Dazu brauche ich ein Loch. Von unten kann ich es aber nicht machen, denn in einem Tage werde ich damit nicht fertig. Ich brauche dazu einen Gehilfen, der dann mit mir fliehen muß. Ich hatte keine Auswahl und meine Gedanken konnten immer wieder nur auf den Mönch fallen. Er war achtunddreißig Jahre alt, und wenn er auch nicht allzuviel gesunden Verstand besaß, so durfte ich doch annehmen, daß die Liebe zur Freiheit, dem höchsten Gute eines Mannes, ihm genug Entschlossenheit geben würde, um meine Anweisungen auszuführen. Zunächst mußte ich mich entschließen, ihm alles anzuvertrauen und dann ein Mittel finden, ihm mein Werkzeug zukommen zu lassen. Dies waren zwei schwierige Punkte.

Ich begann damit, ihn zu befragen, ob er die Freiheit wünsche, und ob er im Stande sei, mit mir alles zu unternehmen, um sie sich zu verschaffen. Er antwortete mir, er und sein Kamerad wären zu allem fähig, um ihre Ketten zu brechen, fügte aber hinzu, es wäre unnütz, sich den Kopf mit unausführbaren Plänen zu zerbrechen. Er füllte vier lange Seiten damit aus, die Gründe für die Unmöglichkeit der Ausführung anzuführen, die sich seinem beschränkten Geiste darstellten. Ich schrieb ihm, daß ich nicht an die besonderen Schwierigkeiten gedacht hätte, als ich meinen Plan aufstellte, diese würden schon überwunden werden Ich fügte zum Schlusse an, daß ich ihm mein Ehrenwort gäbe, ihn frei zu bringen, wenn er genau ausführen wolle, was ich ihm vorschriebe. Dies versprach er mir. Ich teilte ihm nun mit, daß ich ein Stilet von 20 Zoll Länge besäße, und mit diesem Instrumente solle er die Decke seines Kerkers durchbohren und dann die Mauer, die uns trennte. Durch diese Öffnung gelange er in den über meiner Zelle liegenden Raum, wo er den Fußboden zu durchbrechen habe, und sobald dies geschehen sei, würde er mir helfen, durch das Loch zu kommen. ›Wenn wir soweit find, ist Ihre Arbeit fertig und die meinige beginnt. Auf jeden Fall aber schaffe ich Ihnen und den Grafen Asquin die Freiheit.‹ Er antwortete mir, wenn er mich aus dem Kerker herausgezogen hätte, wäre ich immer noch im Gefängnis und unsere Lage wäre von der gegenwärtigen nur durch den Ort verschieden, wir wären dann einfach auf dem Dachboden, der durch drei starke Thüren verschlossen wäre. ›Das weiß ich, verehrter Pater‹, antwortete ich, ›aber wir wollen gar nicht durch die Thüren entfliehen. Mein Plan ist fertig, und ich bin des Erfolges sicher; ich bitte Sie nur um genaue Ausführung und Unterlassung von Einwänden. Denken Sie an ein geeignetes Mittel, Ihnen das Instrument zur Befreiung zukommen zu lassen, ohne daß der Überbringer Verdacht schöpfen kann. Inzwischen lassen Sie sich durch den Wärter einige vierzig ziemlich große Heiligenbilder kommen, um die ganze Wandfläche Ihres Gefängnisses zu tapezieren. Diese Heiligenbilder erregen bei Lorenz keinen Verdacht und dienen Ihnen dazu, die Öffnung in der Decke zuzudecken. Sie werden, um die Öffnung zu machen, einige Tage Arbeit brauchen, und Lorenz kann, wenn Sie sie mit einem Bilde verdecken, so des Morgens nicht die Arbeit sehen, die Sie am Tage vorher gemacht haben. Wenn ich es nicht selbst thue, ist es, weil ich dem Aufseher verdächtig bin.›

Wenn ich ihm auch empfohlen hatte, an ein Mittel zu denken, ihm das Stilet zu senden, so dachte ich doch unaufhörlich selbst daran, und es kam mir auch eine glückliche Idee, die ich mich beeilte auszuführen. Ich bat Lorenz, mir eine eben erschienene große Bibel zu kaufen. Ich hoffte, mein Stilet in dem Rücken des sehr großen Buches verbergen und so dem Mönche zuschicken zu können. Aber als ich in ihren Besitz kam, fand sich leider, daß mein Instrument zwei Zoll darüber hinausreichte. Mein Korrespondent hatte mir schon geschrieben, daß sein Kerker mit Bildern tapeziert sei, und ich hatte ihm meine Idee mit der Bibel mitgeteilt und die Schwierigkeit erwähnt, die mir die unbequeme Größe bereitete. Dennoch entschloß ich mich noch, ihm mein Eisen unter dem Schutze der Bibel zu senden, und zwar auf folgende Weise. Ich sagte Lorenz, daß ich den St. Michaelistag mit Maccaroni mit Käse feiern wolle, und um mich der Person, welche mir die Bücher lieh, erkenntlich zu zeigen, möchte ich ihr gern eine große selbstangerichtete Schüssel voll zustellen. Lorenz brachte mir bei dieser Gelegenheit die Nachricht, daß dieser Herr das große Buch zu lesen wünsche, welches drei Zechinen gekostet habe. Dies war eine abgekartete Geschichte. ›Sehr gut‹, sage ich ihm, ›ich werde es ihm mit dem Maccaroni schicken. Bringen Sie mir eine der größten Schüsseln, die Sie im Haus haben, denn ich will die Sache großartig arrangieren.‹ Ich hüllte mein Stilet in Papier und steckte es in den Rücken der Bibel, so daß es auf beiden Seiten gleich weit vorstand. Auf die Bibel setzte ich dann eine große Schüssel, die mit Maccaroni und geschmolzener Butter gut aufgefüllt war. Lorenz konnte dadurch die Bibel nicht sehen, denn er mußte auf die Schüssel acht geben, damit nichts von der Butter auf das Buch kam. Ich benachrichtigte den Pater von allem, empfahl ihm, geschickt im Abnehmen der Schüssel zu sein und Sorge zu tragen, daß er beide Gegenstände zugleich nähme und nicht eins nach dem andern.

Am bezeichneten Tage erschien Lorenz, früher wie gewöhnlich, mit einem Kessel voll kochender Maccaroni und allen nötigen Zuthaten, um sie anzurichten. Ich zerließ ein Quantum Butter, und nachdem ich die Maccaroni in die Schüssel gelegt hatte, goß ich soviel Butter darüber, bis sie den Rand berührte. Die Schüssel war furchtbar groß, viel größer wie das Buch, worauf ich sie gestellt hatte. Alles dies besorgte ich an der Thür meiner Zelle, während Lorenz draußen war. Als alles fertig war, rief ich Lorenz, hob die Bibel mit der Schüssel in die Höhe, sagte ihm, Arme und Hände auszustrecken und gab ihm beides gleichzeitig in die Hände, Ich empfahl ihm, aufzupassen und vorsichtig zu sein, damit kein Fett auf das Buch komme und schnell alles an seinen Bestimmungsort zu tragen. Als ich ihm diese wichtige Last anvertraute, beobachtete ich ihn und bemerkte mit großem Vergnügen, daß er seine Blicke nicht von der Butter abwandte, die er zu vergießen fürchtete. Er murmelte auch, es wäre doch besser, erst die Schüssel zu tragen und dann das Buch zu holen, aber ich antwortete ihm, das Geschenk verlöre an Wert, wenn nicht beides zusammen überbracht würde. Er beklagte sich ferner, daß ich zuviel Butter darauf gethan und sagte mir mit gereizter Miene, wenn etwas verschüttet würde, sei er für den Schaden nicht verantwortlich.

Sobald ich die Bibel in den Händen des Tölpels sah, war ich meines Erfolges gewiß, denn die Enden des Eisens waren nicht zu sehen, wenn er nicht die Arme weit auf die Seite gehalten hätte. Ich folgte ihn mit den Augen, bis ich ihn in die Vorhalle der Zelle des Mönches eintreten sah. Dieser schnäuzte sich dreimal, als Zeichen, daß alles glücklich angekommen war, was mir Lorenz bald nachher auch selbst bestätigte ...

Der Pater Balbi zögerte nicht, sich an die Arbeit zu machen, und in acht Tagen gelang es ihm, in die Decke eine genügend große Öffnung zu schneiden, die er bei Tage mit einem Heiligenbilde maskierte, welches er mit Brotkrume anklebte, Am 8, Oktober schrieb er mir, er habe die ganze Nacht gearbeitet. Am 16, Oktober 10 Uhr vormittags, als ich dabei war, eine Ode von Horaz zu übersetzen, höre ich über meinem Kopfe Tritte und drei kurze Schläge. Dies war das verabredete Zeichen, daß unsere Berechnungen sich als richtig erwiesen. Er arbeitete bis zum Abend, und am nächsten Tage schrieb er mir, wenn meine Decke nur aus zwei Lagen Bretter bestünde, so würde seine Arbeit noch am gleichen Tage fertig werden. Er versicherte mich, daß er Sorge trüge, das Loch kreisförmig zu machen, wie ich es empfohlen, und daß er die Decke nicht durchbräche. Dies war besonders nötig, denn der geringste Riß würde uns entdeckt haben. Die letzte entscheidende Arbeit ließ sich bequem in einer Viertelstunde beenden.

Diesen Zeitpunkt hatte ich auf den zweitfolgenden Tag festgesetzt, um nachts aus der Zelle zu steigen und bald in Freiheit zu sein, denn mit einem Genossen mußte es mir gelingen, in drei bis vier Stunden ein Loch in das große Dach des Dogenpalastes zu brechen und hindurch zu steigen; und einmal auf dem Dache, fanden sich gewiß Mittel, zur Erde hinab zu gelangen. Aber noch war ich nicht soweit, und mein böses Geschick behielt mir mehr als eine Schwierigkeit vor. Noch an selben Tage, es war ein Montag, um 2 Uhr nachmittags, – der Pater arbeitete über mir, – höre ich die Korridorthüre öffnen. Mein Blut erstarrt beinahe, doch bleibt mir noch genug Geistesgegenwart, mit zwei Schlägen das verabredete Warnungszeichen zu geben, nach welchem Pater Balbi schnell in seine Zelle zurückgehen und alles in Ordnung bringen sollte. Kaum eine Minute später tritt Lorenz in meine Zelle und bittet mich um Entschuldigung, daß er mir einen sehr schlechten Menschen als Genossen bringen müsse. Der Neuangekommene war ein kleiner, magerer, häßlicher und schlecht gekleideter Mann von etwa fünfzig Jahren. Er war zweifellos ein Schurke, denn Lorenz nannte ihn so in seiner Gegenwart, ohne daß dies Wort einen sichtbaren Eindruck auf ihn machte. ›Das Tribunal ist der Herr‹, sagte ich zu Lorenz, ›und kann thun, was ihm beliebt.‹

Außer mir über diesen unseligen Zwischenfall betrachte ich mir den Menschen, den schon sein gemeines Gesicht kennzeichnete. Er fing endlich zu sprechen an und dankte mir, daß ich ihm einen Strohsack habe geben lassen. Um ihn für mich zu gewinnen, lud ich ihn ein, mit mir zu essen. Er küßte mir die Hand und fragte, ob er trotzdem seine zehn Soldi erheben könne, die das Tribunal ihm zahle. Als ich ihm dies bejaht hatte, kniete er nieder, zog einen großen Rosenkranz aus seiner Tasche und ließ die Augen über alle Winkel des Gefängnisses gleiten. ›Was suchen Sie?‹ ›Sie werden entschuldigen, aber ich suche ein Bild der heiligen Jungfrau, denn ich bin ein Christ.‹ Ich hatte Mühe das Lachen zu unterdrücken, nicht wegen seiner Frömmigkeit, – denn in Glaubens- und Gewissenssachen ist jeder sein eigner Herr, – sondern weil ich an seinem Gerede erkannte, daß er mich für einen Juden hielt. Um ihn eines Besseren zu belehren, beeilte ich mich, ein Marienbild hervorzuholen, das er inbrünstig küßte. Als er es mir zurückgab, sagte er demütig, daß sein Vater, der Aufseher der Galeeren war, es versäumt hatte, ihn lesen zu lehren. ›Ich verehre den heiligen Rosenkranz‹, fügte er hinzu. Er fing an mir eine Menge Wunder zu erzählen, die ich mit einer Engelsgeduld anhörte. Als er geendet, fragte ich ihn, ob er gegessen habe. ›Ich sterbe fast vor Hunger‹, antwortete er. Darauf gab ich ihm alles, was ich in meiner Zelle hatte. Er aß nicht, sondern schlang förmlich und trank meinen ganzen Wein aus. Als ihm der Wein zu Kopfe gestiegen war, begann er plötzlich zu weinen und wirre Reden zu führen. Über die Ursache seines Unglücks befragt, erzählte er endlich auch seine Geschichte: ›Ich schwärmte immer für den Ruhm Gottes und den der heiligen Republik, sowie für Befolgung ihrer Gesetze. Stets wachsam auf die Missethaten aller Schelme, die es sich zur Aufgabe machen, die Rechte ihres Fürsten offen oder geheim anzutasten, ließ ich es mir immer angelegen sein, ihre Geheimnisse zu erspähen und sie Messer grande getreulich zu berichten.

Ich empfahl ihm gut aufzupassen. (Casanova.)

Freilich wurde ich bezahlt, aber das Geld bereitete mir nie so große Freude als das Bewußtsein, der glorreichen Republik zu dienen. Das Vorurteil, welches den Spion brandmarkt, war mir von jeher lächerlich erschienen. Es lebt nur in Jenen, welche die Regierung hassen, denn der Spion liebt das Wohl des Staates, ist die Geißel der Verbrecher, – die Wohlthat der Fürsten. Wenn es sich darum gehandelt hat, meinen Eifer auf die Probe zu stellen, so hat das Gefühl der Freundschaft, das auf andere Einfluß haben mag, auf mich nie solchen gehabt.‹

Der Elende fuhr so fort, den Charakter des raffiniertesten Polizeispitzels, den man sich nur denken kann, zu enthüllen ... Zuletzt, als er eine politische Verschwörung entdeckt und verraten, hatte er die bei ihm kaum glaubliche Schwachheit besessen, seinem dabei beteiligten Gevatter, einem jungen Burschen, einen leisen Wink zu geben. Der Gevatter, aber auch sämtliche Mitverschworenen waren geflohen, – der Spion, den man für verantwortlich hielt, kam unter die Bleidächer. Schließlich meinte er, er hoffe bald herauszukommen. ›Ich heiße Soradaci, und meine Frau ist eine Legrenzi, Tochter eines Sekretärs vom Rate der Zehn.‹

Dieser Elende flößte mir Ekel ein, doch fühlte ich, daß meine Lage eine schwierige war und ich ihn gewinnen mußte. Ich lobte jesuitisch sein zartes Gefühl, rühmte seinen Patriotismus, beklagte sein Geschick und stellte ihm die baldige Freiheit in Aussicht. Einige Minuten darauf schlief er ein, und ich benutzte seinen Schlaf, um alles Pater Balbi zu erzählen und ihm die Notwendigkeit vorzustellen, unsere Arbeiten bis zu einer günstigeren Gelegenheit auszusetzen. Am nächsten Tage ließ ich mir von Lorenz ein Crucifix von Holz, ein Bild der heiligen Jungfrau und eins vom heiligen Franciscus kaufen und zwei Flaschen Weihwasser mitbringen. Soradaci forderte seine 10 Soldi und Lorenz gab ihm mit verächtlicher Miene zwanzig. Ich befahl ihm auch, viermal mehr Wein als gewöhnlich zu kaufen, wie auch viel Knoblauch mitzubringen, was die Lieblingsspeise meines Genossen war. Nachdem der Kerkermeister fort war, zog ich aus dem übersandten Buche geschickt den Brief, den mir Balbi geschrieben und worin er mir seinen Schreck schilderte. Er hatte schon geglaubt, daß alles verloren wäre und konnte sich nicht genug über das Glück freuen, das wir gehabt, als Lorenz Soradaci in meine Zelle gebracht habe, denn, schrieb er, wäre er zu uns gekommen, so hätte er mich nicht angetroffen, und die »Brunnen« »Brunnen« heißen die neunzehn unterirdischen Kerker, tief unter den Kellern des Dogenpalastes, deshalb, weil das Wasser aus den Lagunen stets zwei Fuß hoch in ihnen steht. Will der förmlich lebendig begrabene Unglückliche – es waren dies meist die zum Tode Verurteilten, dann Begnadigten –, der hier sein Dasein fristet, nicht im Wasser sitzen, so muß er den ganzen Tag auf einen Gerüst kauern, auf dem sich nur sein Brot und sein Lagersack befindet. – Jeden Morgen erhält er ein großes Stück schwarzen Brotes und eine Wassersuppe, die er aber sofort verzehren muß, wenn er sie nicht den Wasserratten überlassen will, von welchen diese Kloaken wimmeln. – Trotz dieses fürchterlichen Aufenthaltsortes ist ein verurteilter französischer Spion, namens Béguelin, dort 81 Jahre alt geworden, nachdem er 37 Jahre lang in diesen Verließen eingesperrt war. würden die Belohnung unseres Versuches gewesen sein.

Soradaci's Erzählung ließ mir keinen Zweifel, daß er bald Verhöre haben würde. Ich entschloß mich deshalb – scheinbar seiner Verschwiegenheit trauend – ihm zwei Briefe anzuvertrauen, die, wenn sie an ihre Adresse kamen, mir weder nützen noch schaden konnten, aber die zu meinem Gunsten sprachen, wenn sie der Verräter, wie ich vermutete, dem Sekretär, um diesem einen Beweis seiner Treue zu geben, überlieferte.

Ich übergab ihm also am nächsten Morgen zwei Briefe und ließ ihn mit fürchterlichsten Eiden schwören, sie an ihre Adressen gelangen zu lassen, sobald er frei wäre; dann nähte er sich die Schreiben sogar selbst in das Futter seines Wamses. Einige Tage darauf wurde Soradaci wirklich vor dem Sekretär geführt, dann aber zu seinem größten Bedauern wieder nach den Bleikammern zurückgebracht, und ich mußte annehmen, daß dieser Elende noch lange bei mir bleiben würde.

Ich bat ihn nun am nächsten Tage, mir die Briefe zurückzugeben, da ich etwas daran ändern wolle. Da warf sich dieses Ungeheuer mir zu Füßen und schwur mir, bei seinem zweiten Erscheinen vor dem schrecklichen Sekretär habe er so furchtbar zu zittern angefangen, daß man ihn um den Grund befragt, und er habe dann nicht die Gewalt gehabt, die Wahrheit zu verbergen. Ich stellte mich sofort auf das Äußerste erschrocken, wälzte mich verzweiflungsvoll auf meinem Lager herum und kniete dann neben dem Bette vor dem Bilde der heiligen Jungfrau nieder und erflehte in feierlicher Weise Rache an dem Bösewicht, der mich verraten hatte. Dann legte ich mich auf's Bett, mit dem Gesicht gegen die Wand, und hatte die Ausdauer, mich den ganzen Tag so ohne die geringste Bewegung zu halten, ohne ein Wort zu sagen und mich zu stellen, als höre ich das Schluchzen und Schreien und die Reuebeteuerungen des Elenden nicht. Indem ich diese Rolle spielte, verfolgte ich einen ganz eignen Zweck, denn mir war ein kühner Plan eingefallen.

Ich schrieb am Abend dem Pater Balbi, genau um die neunzehnte Stunde Am 30. Oktober entspricht die neunzehnte Stunde in Venedig ungefähr 11 Uhr 30 Minuten vormittags. zu kommen, keine Minute früher oder später, um die Arbeit wieder zu beginnen, aber nur vier Stunden daran zu arbeiten, nicht länger. ›Unsere Freiheit hängt von dieser genauen Pünktlichkeit ab, und Sie haben nichts zu fürchten.‹

Es war der 25. Oktober, und die Zeit, in der ich meinen Plan ausführen oder für immer aufgeben mußte, war nicht fern. Die Staatsinquisitoren wie der Sekretär gingen alle Jahre an den drei ersten Novembertagen zu Gerichtszwecken nach den Dörfern des Festlandes, und Lorenz benutzte die Abwesenheit seiner Herren, um sich jeden Abend zu betrinken und länger wie gewöhnlich zu schlafen. Er kam nur spät unter die Bleidächer. Da ich dies wußte, riet mir die Klugheit, diese Zeit zur Flucht zu wählen: ich war überzeugt, daß meine Entweichung nur sehr spät am Morgen bemerkt werden würde. Aber noch ein anderer Grund bestimmte mich, diesen Zeitpunkt zu wählen. Ich hatte in meiner geistigen Erregtheit das Schicksal befragt und in Ariost's Rasenden Roland nach gewissen kabbalistischen Formeln eine Prophezeihung über diesen Punkt gesucht. Da war ich auf den Vers gefallen: Fra il fin d'ottobre e il capo di novembre (zwischen Ende Oktober und Anfang November). Die Genauigkeit der Stelle und das Zutreffende schienen mir so wunderbar, daß mir der Leser verzeihen wird, wenn ich, ohne dem Orakel absoluten Glauben zu schenken, alle Anstrengungen machte, um ihm recht zu geben. –

Die Zeit vom Morgen bis Mittag des folgenden Tages verbrachte ich, um auf den Geist dieses dummen Bösewichts einzuwirken, seinen schwachen Verstand ganz in Verwirrung zu bringen, ihn durch furchtbare Erzählungen einzuschüchtern und ihn so unfähig zu machen, mir zu schaden. Sobald Lorenz uns verlassen, forderte ich Soradaci auf, herzukommen und seine Suppe zu essen. Der Elende lag im Bett und hatte Lorenz gegenüber behauptet, er sei krank. Er hätte auch sicher nicht gewagt, zu mir her zu kommen, wenn ich ihn nicht wiederholt gebeten hätte. Er stand endlich auf und legte sich flach zu meinen Füßen, küßte sie und sagte, wenn ich ihm nicht verziehe, würde er noch im Laufe des Tages sterben, denn er spüre schon die Wirkung des Fluches der heiligen Jungfrau. Er habe Bauchgrimmen, daß ihm die Eingeweide zerrissen und sein Mund sei mit Geschwüren bedeckt. Ich unterließ es, zu untersuchen, ob er die Wahrheit sage und that, als glaubte ich ihm und ließ ihm Gnade hoffen. Der Verräter hatte vielleicht die Absicht, mich zu täuschen, aber da ich ihn selbst anführen wollte, so fragte es sich nur, wer von uns beiden geschickter war.

Sehr wohl wissend, wie ein derartiger Mensch zu behandeln war, nahm ich einen begeisterten Gesichtsausdruck an und sagte: ›Setze Dich und iß diese Suppe, denn ich will Dir Dein Glück verkünden. Wisse, die heilige Jungfrau vom Rosenkranz ist mir heute Nacht erschienen und hat mir befohlen, Dir zu verzeihen; Du wirst nicht sterben, sondern von hier mit mir fortgehen!‹ Ganz verwirrt und staunend schlingt er seine Suppe hinab, dann setzte er sich auf seinen Strohsack, um mit offenem Munde meiner weiteren Rede zuzuhören. Ich sagte noch ungefähr Folgendes: ›Der Kummer, den mir Dein schrecklicher Verrat verursacht hat, hatte mich die ganze Nacht nicht schlafen lassen, denn meine Briefe werden bewirken, daß man mich verurteilt, mein ganzes Leben hier zu verbringen. Mein einziger Trost war, offen gestanden, nur die Gewißheit, daß Du binnen drei Tagen vor meinen Augen sterben würdest. Den Kopf voll solcher Gedanken, die eines wahren Christen unwürdig sind, schlief ich ein, und während des leichten Schlafes hatte ich eine Vision! Ich sah die Mutter Gottes wie hier auf diesem Bilde vor mir, und sie sprach zu mir: ›Soradaci ist meinem heiligen Rosenkranz ergeben; ich beschütze ihn, ich will, daß Du ihm verzeihst; und so wird der Fluch, den er auf sich geladen hat, aufhören zu wirken. Als Belohnung Deiner edelmütigen Handlung werde ich einen meiner Engel befehlen, eine menschliche Gestalt anzunehmen, vom Himmel herabzusteigen, das Dach Deines Gefängnisses zu durchbrechen und Dich innerhalb fünf Tagen hinauszuheben. Dieser Engel wird seine Arbeit heute genau um die neunzehnte Stunde beginnen und bis zur dreiundzwanzigsten Stunde arbeiten, denn er muß am vollen Tage wieder zum Himmel steigen. Wenn Du aber von meinem Engel begleitet hier entweichst, wirst Du Soradaci mitnehmen und, wenn er sein Handwerk als Spion abschwören will, für ihn sorgen. Du wirst ihm alles sagen.‹ – Bei diesen Worten verschwand die heilige Jungfrau, und ich bin aufgewacht. –

Ich blieb immer ernst dabei und behielt den Ton eines Begeisterten bei; dabei beobachtete ich den Gesichtsausdruck des Verräters, der wie versteinert schien. Ich nahm dann mein Gebetbuch vor und besprengte das ganze Gefängnis mit Weihwasser. Eine Stunde später wollte er nochmals wissen, um welche Stunde der Engel vom Himmel käme und ob man das Geräusch hören würde, wenn er den Kerker aufbräche. ›Ich bin überzeugt, er ist um die neunzehnte Stunde da, wir werden ihn arbeiten hören, und er wird zur angekündigten Stunde fortgehen.‹ ›Sie können geträumt haben.‹ ›Ich weiß jedoch, daß ich nicht träumte! ... Willst Du schwören, daß Du das Spionenhandwerk lassen willst?‹ Anstatt mir zu antworten, schlief er ein oder stellte sich vielleicht so, erwachte zwei Stunden später und frug mich, ob er es nicht aufschieben könne, den verlangten Eid zu leisten. ›Du kannst ihn aufschieben, bis der Engel kommt, mich zu befreien, aber wenn Du dann nicht durch einen Schwur auf das schändliche Gewerbe verzichtest, welches daran schuld ist, daß Du hier im Gefängnisse bist und das Dich noch an den Galgen bringen wird, so lasse ich Dich hier.‹ Ich las in seinem häßlichen Gesichte die Befriedigung, die er empfand; denn er glaubte sicher, daß der Engel nicht kommen würde. Ich dagegen konnte die Stunde kaum erwarten, weil ich überzeugt war, er würde sich durch die grobe Komödie doch täuschen lassen. Beim ersten Schlage der neunzehnten Stunde warf ich mich auf die Knie und befahl ihm mit beschwörender Stimme, dasselbe zu thun, was er auch mit verstörten Blicken that. Kaum hörte ich den Mönch nahen, rief ich aus: ›Der Engel kommt!‹, gab ihm einen kräftigen Stoß, der ihn platt auf die Erde streckte und warf mich selbst daneben.

Endlich erlaubte ich ihm, seine knieende Stellung wieder einzunehmen, und in dieser verharrten wir Beide fast vier Stunden lang, während er schreckerfüllt den Rosenkranz betete.

Von Zeit zu Zeit blickte er verstohlen zur Decke empor und der bornierte Ausdruck seiner Züge war überkomisch.

Als Balbi sich wieder entfernte – sein Gehen war nicht geräuschlos – hieß ich Soradaci sich wieder in den Staub werfen, da der Engel sich entferne.

Seltsam war es, die wirren, abergläubischen und sinnverdrehten Reden dieses Thoren über die »Erscheinung« zu vernehmen. Er weinte und schwatzte unzusammenhängendes Zeug; sprach von seinen Sünden – von seiner großen Frömmigkeit – seinem Eifer für St. Markus – seinen Pflichten gegen die Republik etc.; denn allein diesen seinen Verdiensten schrieb er das Wunder zu, welches Maria uns angedeihen ließe.

›Haben wir unsere Freiheit erlangt, sagte ich zu ihm, ›so bleibst Du in meinen Diensten und bist nicht mehr genötigt, das gefährliche Gewerbe eines Spions zu treiben.

›Morgen früh, wenn Lorenz kommt, bleibst Du, das Gesicht gegen die Wand gekehrt, ruhig auf Deinem Strohsack liegen, ohne Dich zu regen, ohne auch nur einen Blick auf Lorenz zu werfen. Falls er mit Dir spricht, so antwortest Du, ohne ihn anzusehen, daß Du nicht geschlafen hast und Ruhe brauchst. Versprichst Du es mir?‹ ›Ich verspreche, alles genau so zu machen, wie Sie befehlen.‹ ›Schwöre es vor diesem heiligen Bilde.‹ Nachdem er den Eid geleistet hatte, sagte ich, ›und ich gebenedeite Jungfrau, ich schwöre Dir, wenn Soradaci die geringste Bewegung macht und Lorenz auch nur ansieht, werfe ich mich auf ihn und erwürge ihn ohne Erbarmen!‹ Ich rechnete ebenso sehr auf die Wirkung dieser Drohung, wie auf seinen Schwur.

Als er später schlief, schrieb ich noch lange die ganze Geschichte an Balbi und teilte ihm mit, daß wir in der Nacht des 31. October fliehen wollten.

Dies war am 28. October. Am nächsten Tage schrieb mir der Mönch, daß die Durchstechung fertig sei, er brauche nur noch die letzte Diele zu durchschlagen, was höchstens fünf Minuten in Anspruch nehmen würde. – Soradaci blieb seinem Eide getreu und stellte sich schlafend, übrigens würdigte ihn Lorenz nicht einmal eines Blickes. Ich meinerseits verlor ihn keinen Augenblick aus den Augen, und ich hätte ihn ohne Zweifel erwürgt, wenn er auch nur sein Auge auf Lorenz gerichtet haben würde, denn um mich zu verraten, hätte ja ein bedeutsames Augenzwinkern vollkommen genügt. Den ganzen übrigen Tag verbrachte ich mit salbungsvollen Reden, die ich mit großer Feierlichkeit hielt, und ich freute mich außerordentlich, als ich sah, wie er immer begeisterter wurde. Meinen geheimnisvollen Reden half ich durch die Wirkung des Weins nach und ließ ihn nicht eher in Ruhe, als bis er von Trunkenheit und Schlaf umfiel. Einmal setzte er mich aber doch durch eine Bemerkung einen Augenblick in Verlegenheit: er begriffe nicht, wie ein Engel so schwerer Arbeit bedürfe, um unsern Kerker zu öffnen. ›Die Wege Gottes‹ erwiderte ich, ›sind den Sterblichen unbekannt, und der Gesandte des Himmels arbeitet nicht als Engel, – denn da würde ihm ein Hauch genügen – sondern er arbeitet als Mensch, dessen Gestalt er deshalb angenommen, weil wir seiner himmlischen Erscheinung unwert sind.‹

Als am nächsten Morgen Lorenz ihn nach seiner Gesundheit fragte, antwortete er, ohne den Kopf zu bewegen; ebenso that er am nächsten Tage, den 31. Oktober früh, wo ich meinen Kerkermeister Lorenz zum letzten Male sah. Ich übergab ihm noch ein Buch für Balbi, worin ich diesen benachrichtigte, um siebenzehn Uhr (11 Uhr früh) zu kommen und die letzte Diele auszuheben. Für unsern Anschlag fürchtete ich kein ferneres Hindernis mehr, da ich von Lorenz selbst erfahren hatte, daß die Inquisitoren und der Sekretär bereits abgereist seien und meine Zelle war zu klein, als daß Lorenz mir noch einen neuen Genossen hätte bringen können.

Als Lorenz uns verlassen hatte, sagte ich Soradaci, daß der Engel um die siebzehnte Stunde eine Öffnung in die Decke unserer Zelle machen würde. ›Er wird auch eine Scheere mitbringen und Du wirst mir und dem Engel den Bart abschneiden.‹ ›Wie! Der Engel hat einen Bart?‹ ›Ja, es scheint so, wir werden ja sehen. Aus dieser Zelle befreit, durchbrechen wir das Dach des Palastes, lassen uns auf den Markusplatz hinab und fliehen nach Deutschland.‹ Er antwortete nicht und aß später allein, denn ich hatte Geist und Herz zu sehr beschäftigt, als daß es mir möglich gewesen wäre, zu essen. Ich hatte sogar sehr wenig schlafen können ...

Die festgesetzte Stunde schlägt. ›Der Engel ist da!‹ rufe ich. Soradaci kniete nieder ... In drei Minuten war das Loch durchgebrochen, das letzte Stück der Diele fiel zu meinen Füßen und Pater Balbi in meine Arme. ›Jetzt‹, rufe ich aus, ›ist Ihre Arbeit beendet und die meinige beginnt.‹ Wir umarmten uns, und er übergab mir das Stilet und eine Scheere. Trotz des Ernstes der Situation mußte ich aber lachen, als ich mich nach diesem Tölpel Soradaci umsehe, der mit aufgesperrtem Munde und stieren Augen diesen merkwürdigen Engel anglotzt, der eher einem Teufel glich. Aber so bestürzt er auch war, schor er uns die Bärte doch vortrefflich.

Ich war begierig und ungeduldig, die Ortsverhältnisse kennen zu lernen, bat den Mönch bei Soradaci, den ich nicht allein lassen wollte, zu bleiben und stieg hinaus. Ich war bald bei dem Grafen Asquin und begrüße diesen ehrwürdigen Greis herzlich, aber ich sah sofort ein, daß sich seine Gestalt zu einer Flucht, wie wir sie vor uns hatten, nicht eignete. Er fragte mich nach meinem Plane und meinte, ich habe wohl etwas übereilt gehandelt. ›Ich will auf jeden Fall fort von hier‹, erwiderte ich, ›bis ich die Freiheit oder – den Tod gefunden.‹ ›Sie beabsichtigen das Dach zu durchbrechen,‹ begann er aufs Neue, ›und einen Weg über die Bleidächer hinab zu suchen, aber ich sehe keine Aussicht auf Gelingen, – es sei denn, es wüchsen Ihnen plötzlich ein Paar Flügel; mir fehlt der Mut, Sie zu begleiten, – ich bleibe hier und will für Sie beten.‹

Nun verließ ich den Grafen, um das große Dach zu untersuchen, wobei ich suchte, der Seitenwand des Bodenraumes so nahe als möglich zu kommen. Ich untersuchte die Bretter mit der Spitze meines Stilets und fand sie glücklicherweise halb verfault; bei jedem Stoße bröckelte das Holz ab. Jetzt war ich sicher, daß ich in weniger als einer Stunde eine ziemlich weite Öffnung ausstechen konnte; ich kehrte nach meiner Zelle zurück und arbeitete vier Stunden daran, alle Betttücher, Decken, Matratzen und Strohsäcke in Streifen zu zerschneiden und zu Seilen zu knüpfen. Die Knoten knüpfte ich, um mich von ihrer Festigkeit zu überzeugen, alle selbst, denn ein einziger schlecht geschlungener konnte uns das Leben kosten. Endlich hatte ich ungefähr hundert Klaftern Stricke. Mit dieser Arbeit zu Ende, knüpfte ich meinen Rock, meinen Mantel, meine Strümpfe und Taschentücher in ein Bündel und wir begaben uns alle drei in die Zelle des Grafen. Die fortgesetzt bestürzte Miene von Soradaci machte mir viel Spaß; zumal ich jetzt die so sehr lästige Tartüffmaske abgeworfen hatte und mich in keiner Weise genierte. Er wußte jetzt, daß ich ihn getäuscht, aber er schien absolut nicht zu begreifen, noch zu erraten, wie ich in Verbindung mit dem Engel gekommen und wie ich ihn zu bestimmter Stunde kommen und gehen lassen konnte. Er hörte aufmerksam den Grafen an, der uns die schlimmsten Gefahren verkündete, was ihn – feig, wie er war, – schon jetzt bestimmte, sich der weiteren Flucht zu enthalten.

Pater Balbi fiel in meine Arme. (Casanova.)

Den Mönch veranlaßte ich ebenfalls, seine Sachen zusammen zu schnüren, und durchbrach selbst während dieser Zeit die Giebelwand.

Um 2 Uhr nachts war diese Arbeit beendet und dabei die Öffnung größer als notwendig geworden. Auch eine der großen Bleiplatten hatte ich bereits freigelegt, da sie aber festgelötet war, konnte ich allein nichts ausrichten und mußte um die Hilfe des Mönches bitten, welcher sich auch gern dazu bereit erklärte.

Wir schoben das Stilet zwischen Rinne und Platte ein, und so gelang es uns, sie loszulösen. Dann bogen wir sie mit vereinten Kräften mit den Schultern soweit aufwärts, bis wir genügenden Raum fanden, hinaus zu schlüpfen. Als ich den Kopf hindurch steckte, sah ich aber leider, daß der Mond, der im ersten Viertel stand, so hell schien, daß wir gezwungen waren, die Mitternachtsstunde abzuwarten, wo er unseren Antipoden strahlt. Da in so schönen, prachtvollen Nächten die ganze gute Gesellschaft von Venedig auf dem Marcusplatze spazierte, konnten wir uns unmöglich auf dem Dache zeigen, denn mein Schatten hätte sich bis auf den Platz hinunter verlängert. Von den beiden Hälften des Bleikammerndaches läuft die eine nach dem Rio di Palazzo, die andere nach dem Hofe des Palastes, also hätte der Schatten der Flüchtlinge nur nach diesem Hofe und nicht auf den Markusplatz oder die piazetta fallen können. Das außerordentliche Schauspiel, welches wir so dargeboten, würde selbstverständlich die allgemeine Neugier, besonders die des Messer grande und seiner Sbirren auf uns gelenkt haben. Ich bestimmte die Fortsetzung der Flucht daher gebieterisch bis zum Untergange des Mondes, der gegen 5 Uhr (11 Uhr) stattfinden mußte. Die Sonne ging um 13½ (7½) Uhr auf, und es blieben uns mithin acht Stunden vollkommener Dunkelheit; zunächst blieben uns aber drei Stunden, die wir im Gespräche mit dem Grafen Asquin hinbringen mußten. Ich sah mich gezwungen diesen zu bitten, mir dreißig Zechinen zu leihen, die mir in den ersten Stunden meiner Freiheit ebenso nötig waren wie bisher mein Stilet. Dieser arme Greis antwortete mir freundlich: um zu fliehen, brauche ich kein Geld. Er besitze außerdem keins, er hätte eine zahlreiche Familie, und wenn ich umkäme, wäre das Geld verloren. Schließlich bot er mir zwei Zechinen an, mit der Bedingung, daß ich sie ihm wiederbrächte, wenn ich nach der Dachkletterei es doch vorziehen würde, in meinen Kerker zurückzukehren. Er kannte mich nicht: ich war entschlossen, lieber zu sterben, als an einen Ort zurückzukehren, aus dem ich ja dann nie wieder herausgekommen wäre.

Ich rief meine beiden Gefährten herbei, und wir trugen jetzt unsere ganze Ausrüstung in die Nähe des Loches. Dann verbrachten wir zwei Stunden mit Besprechen der bevorstehenden und der überstandenen Beschwerden. Den ersten Beweis, den der Pater Balbi mir dabei von seinem edlen Charakter gab, war, mir zehnmal zu wiederholen, daß ich ihm nicht Wort gehalten habe. Ich hätte ihm versichert, mein Plan sei fertig, und er sähe jetzt, daß es nicht so sei. Er sagte mir sogar ganz frech, wenn er das voraus gewußt hätte, würde er mich nicht aus meinem Kerker gezogen haben.

Auch der Graf entfaltete wiederholt seine ganze Beredsamkeit, um mir das unmögliche Gelingen meines Planes vor die Augen zu führen. ›Die sehr schräge Neigung des Daches, das mit Bleiplatten bedeckt ist‹, sagte er, ›gestattet Ihnen kaum darauf zu stehen, geschweige denn zu gehen! Das Dach des Dogenpalastes hat jedoch im Gegenteil eine ziemlich geringe Neigung. Welche Seite wollen Sie denn hinabsteigen, nach der Piazetta zu? dann würde man Sie sofort bemerken; – nach der Kirche? das ist unmöglich, da wären Sie eingeschlossen; – in den inneren Hof hinein? daran ist nicht zu denken, denn Sie würden ohne Zweifel in die Hände der arsenalotti (Patrouillen) fallen, die beständig die Runde machen. Es bleibt also nur – der Kanal! Und wartet auf diesem eine Gondel Ihrer? Nein; – also müssen Sie ins Wasser springen und bis nach St. Apollonia schwimmen, ... ob das aber überhaupt möglich ist, überlasse ich Ihnen selbst zu bedenken!‹ So fuhr er längere Zeit fort, um seine eigene Schwäche und Furcht den anderen mitzuteilen.

Diese Kritik, noch mehr aber die fortgesetzten Vorwürfe des Mönches brachten mein Blut in Wallung und erregten mich so, daß ich versucht war, sie derb abzuwehren. Meine Lage war aber sehr schwierig. Ich hatte mit einem Feigling zu thun, der im Stande war, zu verzweifeln und mich allein zu lassen, und allein konnte ich unmöglich diese wagehalsige Flucht fortsetzen. Ich that mir daher Gewalt an, nahm einen bestimmten Ton an und sagte, ich sei des Erfolges meines Unternehmens sicher, obgleich es mir unmöglich wäre, jetzt die Einzelheiten mitzuteilen. Von Zeit zu Zeit streckte ich die Hand aus, um mich zu überzeugen, daß Soradaci noch da sei, denn er hüllte sich in gänzliches Stillschweigen. Um halb fünf Uhr (10½) schickte ich ihn, nachzusehen, wie weit der Mond am Himmel stehe. Er gehorchte, kam bald zurück und berichtete, daß er bald untergegangen sein würde; nur mache jetzt ein sehr dichter Nebel die Bleidächer nicht gerade besonders gangbar.

Ich erwiderte: ›Oh, laßt nur ... der Nebel ist kein Öl! ... Macht aus Eurem Mantel ein Packet und nehmt einen Teil der Stricke.‹ Bei diesen Worten fällt der Mensch plötzlich vor mir nieder, küßt meine Hände und bittet mich unter Thränen, nicht seinen Tod zu wollen. ›Ich stürze sicher in den Kanal ... und kann Ihnen nichts nützen. Lassen Sie mich hier, ich werde heute Nacht zum heiligen Franziskus für Sie beten. Sie mögen mich töten, aber ich kann mich nicht entschließen, Ihnen zu folgen.‹

Der Esel ahnte nicht, wie sehr er damit meinen Wünschen entgegenkam! – ›Ihr habt recht‹, erwiderte ich ihm, ›bleibt hier und betet für mich! Erst aber holt alle meine Bücher, die ich dem Herrn Grafen zurücklassen will.‹ Er gehorchte und jedenfalls sehr gern.

Meine Bücher waren wenigstens hundert Gulden wert. Der Graf meinte, er würde sie mir natürlich – wenn ich vom Dache in meine Zelle zurückkehrte – wiedergeben. ›Sie werden mich hier nicht wiedersehen‹, versetzte ich nachdrücklich, ›verlassen Sie sich darauf! Die Bücher mögen Sie für die geliehenen zwei Zechinen entschädigen. Was diesen Spion anbetrifft, so bin ich zufrieden, daß er nicht den Mut hat, mir zu folgen, – er würde uns lästig werden, und überdies ist dieser Elende nicht wert, mit dem Pater Balbi und mir die Ehre einer so außerordentlichen Flucht zu teilen.‹ ›Das ist vielleicht möglich‹, entgegnete der Graf, ›vorausgesetzt, daß er sich nicht etwa morgen zu seinem Entschlusse Glück wünschen darf.‹

Es war Zeit, aufzubrechen. Man sah den Mond nicht mehr. Ich hing dem Pater Balbi die Hälfte der Stricke um den Hals und über die eine Schulter das Bündel mit seinen Sachen. Mich selbst belastete ich ebenso und – beide nur mit Beinkleid, Hemd und Hut bekleidet – machten wir uns auf.

E quindi uscimmo a rimirar le stelle Und darauf gingen wir, die Sterne zu betrachten. (Letzter Vers aus Dantes »Hölle«.).

Ich kletterte zuerst hinaus, der Pater Balbi folgte. Dann begann ich, das Stilet fest in der Hand, auf den Knien aufwärts zu rutschen, dem Dachfirste zu. Der Mönch hatte sich, um mich nicht zu verlieren, mit vier Fingern seiner rechten Hand in meinem Hosengürtel festgehakt und ich hatte so das mühselige Doppellos eines Zug- und Lasttieres, und das auf einem abschüssigen, vom Nebel schlüpfrigen Bleidache!

Inmitten dieses gefährlichen Aufstieges bittet mich der Mönch plötzlich, anzuhalten, da eines seiner Packete losgegangen wäre, – er hoffe, daß es noch nicht über die Dachrinne hinabgeglitten sei. Mein erster Impuls war, ihm eins zu versetzen und ihn so seinem Packete nachzusenden, aber ich hatte, Gott sei Dank, noch genug Beherrschung, es zu unterlassen, denn die Strafe wäre für beide Teile zu groß gewesen, da es mir allein unmöglich gewesen wäre, mich zu retten. Ich frug, ob es die Stricke wären. Es waren aber nur seine Sachen, worunter ein Manuskript, das er auf einem Boden der Bleikammern gefunden und wovon er sich viel versprochen. Ich bat ihn deshalb, seinen Verlust in Geduld zu tragen, – ein Schritt rückwärts könne uns beide verderben. Der arme Pater seufzte und wir kletterten weiter.

Endlich erreichen wir den First, wo ich mich rittlings festsetze und Balbi es mir sogleich nachahmt. Wir hatten hinter uns die Insel St. Giorgio Maggiore und zweihundert Schritt vor uns die zahlreichen Kuppeln der Markuskirche. Ich legte mein Bündel ab und forderte meinen Gefährten auf, dasselbe zu thun. Er steckte sein Bündel Stricke, so gut er konnte, zwischen die Schenkel, als er aber auch seinen Hut abnehmen wollte, der ihn etwas behinderte, machte er eine ungeschickte Bewegung und der Hut kollerte von Platte zu Platte über die Dachrinne hinab in den Kanal, um dem Bündel Sachen Gesellschaft zu leisten. Dies brachte meinen Gefährten fast zur Verzweiflung.

›Schlimmes Vorzeichen!‹ sagte er, ›da bin ich bei Beginn unseres Unternehmens ohne Hemd, ohne Hut und ohne mein kostbares Manuskript.‹ Weniger erregt als beim Aufstiege antworte ich ihm ruhig:

›Diese beiden Unfälle entmutigen mich nicht, sie beweisen vielmehr, daß Gott uns beschützt, denn wenn Ihr Hut statt rechts links gefallen, so würden wir jetzt verloren sein, denn er wäre in den Hof des Palastes gekollert, wo die Wachen ihn gefunden hätten und so auf uns aufmerksam geworden wären.'

Nachdem ich mich nach allen Richtungen umgesehen hatte, bat ich den Mönch, bis zu meiner Rückkehr sich ja nicht von der Stelle zu rühren, und bewegte mich, das Stilet in der Hand, ohne weitere Schwierigkeiten in meiner reitenden Stellung auf dem First des Daches vorwärts.

So kletterte ich sicher eine Stunde lang nach allen Richtungen auf dem Dache umher, alles untersuchend – ohne jeden Erfolg, denn nirgend war der kleinste Anhaltspunkt zu entdecken, an dem ein Seil befestigt werden konnte.

Ich war in größter Verlegenheit. Der Abstieg beim Kanal und dem Palasthofe kamen nicht in Betracht und die Markuskirche ließ mich zwischen Kuppeln nur unüberwindliche Abgründe sehen. Und um jenseits der Kirche nach der Canonica zu gelangen, hätte ich einen so steilen Hang erklimmen müssen, daß ich keine Möglichkeit sah, damit zu Stande zu kommen. Und doch mußte ein Entschluß gefaßt und der Situation ein Ende gemacht werden ... Da fiel mein Blick auf eine Dachluke auf der Kanalseite, unterhalb der Mitte des Daches. Ihre Entfernung von unserem Ausgangspunkte war so bedeutend, daß ich schließen mußte, der Boden, den sie erhellte, gehöre nicht mehr zur Gefängnisabteilung. Sie konnte nur zu einer jener bewohnten oder unbewohnten Dachkammern gehören, die über den Gemächern des Palastes liegen und wo ich bei Tagesanbruch natürlich die Thüren offen gefunden hätte. Um Gewißheit zu erlangen, mußte ich den anderen Teil der Luke untersuchen. Ich ließ mich deshalb langsam gerade heruntergleiten und saß bald auf ihrem kleinen Dache. Ich bog den Kopf soweit wie möglich vor und sah und fühlte ein kleines Gitter, hinter welchem sich ein Fenster mit bleigefaßten Scheiben befand. Das Fenster störte mich wenig, wohl aber schien das Gitter, so dünn es auch war, mir eine unbesiegbare Schwierigkeit entgegenzustellen, denn ich bezweifelte, ohne Feile damit fertig werden zu können. Ich war sehr betroffen und mein Mut begann schon zu sinken, als eine ganz einfache und natürliche Ursache mein ganzes Sein wieder neu belebte. Die Glocke von St. Markus, die jetzt gerade aushob und die Mitternachtsstunde schlug, – sie brachte dieses Wunder hervor. Es war, als ob plötzlich ein heftiger Stoß mich aufrüttelte. Denn die Glocke erinnerte mich daran, daß der beginnende Tag der des Allerheiligen-Festes war, das Fest meines Schutzpatrons und die einstige Prophezeiung meines jesuitischen Beichtvaters fiel mir wieder ein. ›Wissen Sie, Sie werden nur am Tage des Festes des Schutzheiligen, dessen Namen Sie tragen, aus Ihrem Kerker herauskommen.‹ Aber was noch mehr meinen Mut hob und wirklich meine physischen Kräfte belebte, war das deutliche Orakel, das ich ja von meinem lieben Ariost erhalten hatte: › Fra il fin d'ottobre e il capo di novembre?

Der Mönch hatte sich in meinem Gürtel festgehakt. (Casanova.)

Der Ton der Glocke schien mir ein sprechender Talisman zu sein, der mich handeln hieß und mir den Sieg versprach. Auf dem Bauche liegend, den Kopf gegen das kleine Gitter geneigt, stoße ich mein Eisen in den Fensterrahmen mit dem Entschlusse, es ganz auszuheben. Schon in einer Viertelstunde war ich am Ziele, das Gitter befindet sich unversehrt in meinen Händen und ich lege es vorsichtig neben mich hin. Das Eindrücken der Glasscheiben bot mir nun nur geringe Schwierigkeiten, trotz einer kleinen Wunde, die ich mir an der linken Hand gerissen hatte. Mit Hilfe meines treuen Stilets klettere ich nun wieder das Dach hinan und suche meinen Gefährten auf. Ich fand ihn verzweifelt, wütend. Er überhäufte mich mit den stärksten Schimpfworten und Schmähungen, weil ich ihn so lange allein gelassen hatte und versicherte mir, er habe nur sieben Uhr (eine Stunde nach Mitternacht) abwarten wollen, um dann wieder in seine Zelle zurückzukehren. ›Ja, was glaubten Sie denn von mir?‹ ›Ich dachte, Sie wären irgendwo hinabgestürzt.‹ ›Und da drücken Sie die Freude, die Sie empfinden sollten, mich wiederzusehen, durch Schimpfworte aus!‹ ›Was haben Sie denn aber so lange gemacht?‹ ›Folgen Sie mir und sehen Sie selbst.‹

Wir beluden uns mit unsern Bündeln und nahmen den Weg nach der rettungverheißenden Dachluke. Hier angekommen, befrage ich Balbi um Rat über die Mittel, hinein und auf den Boden zu kommen. Die Sache war sehr leicht für einen von uns beiden, denn mittelst des Seiles konnte er von dem andern hinuntergelassen werden, aber ich sah absolut keinen Weg, wie der zweite hinabkommen sollte, denn der Strick ließ sich nirgends befestigen. Sprang ich hinab, so konnte ich Arme und Beine brechen, da ich die Entfernung vom Fenster bis zum Boden nicht kannte. Auf dieses in freundschaftlichem Tone geäußerte Bedenken antwortete mir mein brutaler, selbstsüchtiger Genosse: ›Lassen Sie mich nur hinab; wenn ich unten bin, haben Sie ja noch Zeit genug zu überlegen, wie Sie mir folgen wollen.‹

Ich gestehe, daß ich von neuem im ersten Zornesaufwall in Versuchung kam, ihm mein Stilet in die Brust zu stoßen. Mein guter Genius hielt mich zurück – ja ich brachte nicht ein einziges Wort hervor, um ihm seinen niedrigen Egoismus vorzuhalten. Im Gegenteil, – ich rollte den Strick auseinander, band ihn unter den Armen fest, hieß ihn sich flach mit den Füßen nach unten legen und ließ ihn langsam durch die offene Luke in den Bodenraum hinab. Unten angelangt, band er den Strick los, und ich zog ihn wieder herauf; beim Nachmessen fand ich die Höhe über fünfzig Fuß. Das war zuviel, um den gefährlichen Sprung zu wagen. Der Mönch, der fast zwei Stunden lang in seiner nicht gerade angenehmen Lage auf dem Dache in fortwährender Angst gewesen war, fühlte sich jetzt nur zu sicher, und rief mir zu, ihm doch die Stricke zuzuwerfen, er wolle sie verwahren; welch' unverfrorenen Rat ich selbstverständlich nicht befolgte.

Ich wußte nun zunächst nicht, was anfangen, und in der Hoffnung auf eine neuerliche Entdeckung, kletterte ich auf den Dachfirst zurück. Mein Blick fiel da auf eine dunkle große Ecke, die ich noch nicht untersucht hatte. Ich tappte hin und entdeckte auf einem flachen, mit Bleiplatten bedeckten Absatz, neben einem großen mit zwei starken Läden verschlossenen Dachfenster eine Küpe mit angemachtem Kalk, verschiedenes Arbeitsmaterial und daneben – eine Leiter. Sofort war ich entschlossen, auf dieser Leiter auf den Boden hinab zu steigen, wo mein Gefährte sich befand. Ich befestigte einen Strick an die erste Sprosse und schleppte die beschwerliche Last unter unmenschlichen Anstrengungen nach dem Dachfenster. Es handelte sich nun darum, diese überaus schwere Leiter, die zwölf Braßen lang und ziemlich breit war, hinein zu bringen, und ließen mich die Schwierigkeiten, die ich damit hatte, aufs Lebhafteste bedauern, mich der Hilfe des Mönches beraubt zu haben. Ich hatte die Leiter so gelegt, daß die oberste Sprosse das Fenster berührte, während die unterste ein gutes Stück über die Dachrinne hinaus ragte. Ich stieg nun auf das Dach der Luke, – aber alle meine Arbeit und Bemühungen, die Leiter vom Dache aus in die Luke hinein zu zwängen, war vergeblich: ihr unteres Ende stieß an die Innenwand an und keine Gewalt der Welt hätte sie weiter hineingebracht, ohne das Dach oder die Leiter zu zerstören. Es gab eben kein anderes Mittel, als sie an dem entgegengesetzten Ende hoch zu heben; ihre eigene Schwere würde sie dann von allein haben hinabgleiten lassen ... Ich hätte ja die Leiter quer vor das Fenster legen und meinen Strick daran befestigen können, so wäre ich ohne irgend welche Gefahr schnell und bequem hinab gekommen. Die Leiter würde aber am Orte geblieben sein und hätte so den Sbirren den Platz bezeichnet, wo wir uns vielleicht noch befanden.

Ich wollte nicht Gefahr laufen, durch eine Unvorsichtigkeit die Frucht so vieler Mühen und Anstrengungen zu verlieren. Um jede Spur zu verwischen, war es durchaus nötig, daß die Leiter ganz hinein gebracht wurde, und da ich allein war, mußte ich mich wohl oder über entschließen, allein das Werk zu thun, nach der Dachrinne zu gleiten und dort die Leiter hoch zu heben, um so meinen Zweck zu erreichen. Ich führte es auch aus, aber mit so großer Gefahr, daß ich ohne ein Wunder meine Verwegenheit mit dem Leben bezahlt hätte. Ich glitt, mein Stilet in der Hand, vorsichtig neben der Leiter langsam bis zur Dachrinne hinab. Ich lag auf dem Bauche, ... meine Fußspitzen ragten über die Dachrinne hinaus. In dieser Lage hatte ich die Kraft, die Leiter einen halben Fuß zu heben und, nach vorn stoßend, zu sehen, daß sie ein gutes Stück weiter in das Dachfenster hinein gekommen war; selbstverständlich verminderte sich dadurch ihr Gewicht beträchtlich. Nun handelte es sich darum, sie noch ungefähr zwei Fuß weiter hinein zu schieben, indem ich mein Ende noch höher hob, denn dann brachte ich sie vom Lukendache aus mittelst des Strickes sicher ganz hinein. Um nun die Leiter entsprechend zu heben, richtete ich mich langsam mit meinem Ende auf den Knien in die Höhe, aber die angewandte Kraft und das Gegenstemmen ließen mich plötzlich ausgleiten, – und in der nächsten Sekunde fühlte ich mich bis fast an die Brust über den Dachrand hinausgeschleudert, so daß ich gerade nur noch mit den Ellbogen gegenstützen und mich festhalten konnte.

Dies war ein fürchterlicher Augenblick! Heute noch bebe ich in Erinnerung daran, und niemand, der nicht selbst etwas so Furchtbares erlebt, kann sich eine Vorstellung von solchen Gefühlen machen. Der natürliche Trieb der Selbsterhaltung ließ mich unwillkürlich meine ganze physische und seelische Kraft anspannen, und es gelang mir langsam, furchtbar langsam, den Todesschweiß auf der Stirn und die Zähne schlagend, erst ein Knie, dann das andere heraufzuziehen und auf das Dach zu stützen. Aber noch war ich nicht gerettet; die Anstrengung, die ich machte, um mich vollends hinauf zu ziehen, verursachte mir einen Krampf, der mich nicht nur an jeder Bewegung hinderte, sondern auch äußerst schmerzhaft war. Ich verlor aber den Kopf nicht und hielt mich unbeweglich, bis der Krampf vorüber war. Glücklicherweise hatte ich nichts für die Leiter zu fürchten, denn durch die Anstrengung, die mir beinahe so teuer zu stehen gekommen, hatte ich sie um mehr als drei Fuß hineingebracht, wodurch sie sich nicht bewegen konnte. Nach einigen Minuten absoluter Ruhe, als ich wieder Atem und Kräfte geschöpft hatte, hob ich die jetzt ziemlich bewegliche Leiter nochmals vorsichtig und schob sie soweit, daß sie nunmehr in wagerechte Lage kam. Dann kletterte ich wieder zum Dachfenster empor, wo es mir jetzt, nach den Gesetzen des Gleichgewichtes, leicht gelang, die ganze Leiter durchs Fenster zu bringen, wobei mich mein Gefährte von innen unterstützte. Ich warf die Bündel und Seile, sowie die Trümmer des Fensters auf den Boden hinab und stieg dann selbst hinunter.

Unten angekommen, untersuchten wir sofort den dunklen Raum, in dem wir uns befanden. Er war ungefähr dreißig Schritt lang und zwanzig breit. An einer Seite stießen wir an eine eiserne Gitterthür mit zwei Flügeln. Dies verhieß nichts Gutes, aber als ich die Hand gegen den Riegel drückte, gab er nach und die Thür ging auf. Als wir in diesem neuen Raum herumtappten, stießen wir gegen einen großen Tisch, um den Sessel und Lehnstühle standen, – ich entdeckte ein geschlossenes Fenster, öffnete es und sah unter mir beim Sternenlicht ein Gewirr von Kuppeln und Dächer. Mir fiel es nicht einen Augenblick ein, dort hinabzusteigen; ich wollte mich nur orientieren, wo ich mich befand und wo ich hinkam. – Wir kehrten zu unserm Gepäck zurück, und da ergriff mich plötzlich eine so überwältigende Mattigkeit, daß ich mich auf den Fußboden streckte, ein Bündel Stricke unter den Kopf schob und – erschöpft wie ich war, – bald umfing mich ein bleierner Schlaf. Ich gab mich ihm so widerstandslos hin, daß, selbst wenn ich gewußt hätte, daß der Tod die Folge sei, es mir unmöglich gewesen wäre, ihm zu widerstreben. Ich erinnere mich noch sehr wohl des kostbaren Genusses, welchen mir dieser Schlaf gewährte.

Ich schlief drei und eine halbe Stunde lang, bis mich die Rufe und das heftige Schütteln des Mönches aufweckten. Er sagte mir, es habe zwölf (5 Uhr morgens) geschlagen, und mein Schlaf scheine ihm in unserer augenblicklichen Lage kaum begreiflich. Für ihn war er freilich unbegreiflich, nicht aber für mich. Meine Erschöpfung war nichts Überraschendes, sondern nur das Produkt einer völlig erschöpften Natur. Seit zwei ganzen Tagen hatte mich die Aufregung verhindert zu essen oder die Augen zu schließen, und die Anstrengungen, die ich soeben hinter mir hatte, hätten die Kräfte eines jeden Menschen erschöpft. Übrigens fühlte ich mich durch diesen wohlthätigen Schlaf derart gekräftigt, daß ich freudig den anbrechenden Morgen begrüßte, der uns mit mehr Sicherheit und Geschwindigkeit zu handeln erlaubte.

So erkannte ich jetzt sofort, daß dieser Raum kein Gefängnis sein konnte und einen leicht zu findenden Ausgang haben mußte. Nach kurzer Forschung entdeckte ich wirklich in der einen Ecke eine versteckte Thür. Ich taste und finde ein Schlüsselloch, stecke mein Stilet in dieses, und nach ein paar Stößen öffnet sich die Thür: wir sind in einem kleinen Zimmer, dessen gegenüberliegende Thür ich offen finde. Wir gehen weiter und kommen in eine breite Halle mit Schränken, die alle mit Papieren und Akten gefüllt sind: es war das Staatsarchiv. Ich entdecke eine schmale Steintreppe, steige hinab, finde eine andere, und steige nochmals einen Stock tiefer. Dort komme ich an eine Glasthüre, die ich öffne, und da bin ich in dem ersten mir bekannten Orte: der Kanzlei.

Schon bohrte ich mein Stilet in das Schloß der Ausgangsthür der Kanzlei, aber ich überzeugte mich sofort, daß es unmöglich sein muß, es zu erbrechen. Schnell entschließe ich mich deshalb, ein Loch in den einen Flügel zu schneiden. Ich wählte vorsichtig eine Stelle, wo das Brett die wenigsten Knoten hat und begann. Mit starken Stößen meines Eisens spaltete und brach ich, so gut und schnell es ging. Der Mönch half mir dabei nach Kräften mit einem Meisel, den ich auf einem Tische der Kanzlei bemerkte. Er zitterte bei dem tollen Lärm, welchen mein Eisen bei seiner Zerstörung verursachte, und den man sehr weit hören mußte. Ich empfand die ganze Gefahr, war aber in die Notwendigkeit versetzt, – was auch geschehen möge, – ihr zu trotzen.

In einer halben Stunde war das Loch groß genug, um uns durchzulassen. Ohne Säge wäre es mir auch schwierig gewesen, es größer zu machen. Die Ränder des Loches waren außerdem derart zersplittert, daß man für Kleider und Haut bange werden konnte. Ich stellte nun zwei Sessel übereinander, der Mönch stieg hinauf und kroch durch, während ich ihn bei den Schenkeln und dann bei den Beinen anfaßte und nachhalf. Sobald er draußen war, warf ich ihm unsere Sachen zu, mit Ausnahme der Stricke, die ich jetzt als überflüssig im Stiche ließ. Ich setzte mir noch einen dritten Sessel auf die beiden ersten, stieg hinauf und würgte meinen Körper bis zum Unterleib durch das Loch, wenn auch mit großer Schwierigkeit, da die Öffnung zu eng war. Leider hatte ich nun aber keinen Stützpunkt für meine Hände, noch jemand, der mich schob, wie ich den Mönch, und es galt kein Zaudern!

›Ziehen Sie, ziehen Sie!‹ rief ich dem Pater zu, ihm beide Hände reichend, ›und wenn Sie mich auch nur in Stücken durchbrächten!‹ Er gehorchte und ich mußte alle meine Standhaftigkeit bewahren, um die Schmerzen stumm zu ertragen, die ich durch Risse an den Seiten und Schenkeln erlitt, und von wo gar bald das Blut abtropfte.

Unsere Bündel wieder aufnehmend, eilen wir wieder eine Treppe hinab, gelangen dort ohne Schwierigkeiten in einen Korridor, dessen eine Thür nach der Königs-Treppe, die andere zum Kabinet Savio alla Scritura führt. Beide aber sind so massiv, daß an ein Durchbrechen gar nicht zu denken ist.

Mein Eisen in der Hand schien mir zu sagen: Hic fines posuit: hier ist dir das Ende gesetzt.

Völlig gefaßt und ruhig setze ich mich und bedeute dem Mönche es ebenso zu machen. ›Meine Arbeit ist fertig‹, sage ich, ›Gott und das Glück müssen das übrige thun ... Ich weiß nicht, ob es den Ausfegern und den Dienern des Palastes einfallen wird, heute am Tage Aller-Heiligen, noch morgen am Feste Aller-Seelen hierher zu kommen. Wenn jemand kommt, so fliehen wir, sobald die Thür geöffnet ist, die Treppe hinab; kommt aber niemand, so weiche ich nicht von hier, und wenn ich Hungers sterben sollte.‹ Bei diesen Worten geriet der arme Mönch in Wut und nannte mich einen Narren, Verführer, Betrüger, Lügner. Ich ließ ihn ruhig reden. Inzwischen schlug es dreizehn (6 Uhr) und sonach war seit meinem Erwachen in der Dachkammer erst eine Stunde vergangen.

Das Wichtigste, was mich zunächst beschäftigte, war, mich ganz umzuziehen. Der Pater Balbi sah aus wie ein Bauer, aber er war unversehrt; seine rote Flanellweste und seine Lederhosen waren in leidlichem Zustande, während ich Mitleid und Schreck einflößen konnte, denn ich war zerfetzt und dabei voll Blut. Das Loch der Kanzleithüre hatte mir Weste, Hemd, Hosen, die linke Hüfte und die Schenkel aufgerissen. Ich zerriß meine Taschentücher und verband mit ihnen, so gut es ging, die Wunden ... Dann zog ich meinen schönen Sommerrock an, der für den heutigen Wintertag ziemlich komisch erscheinen mochte, zog weiße Strümpfe und, in Ermangelung eines andern, ein Spitzenhemd an, zwei andere ähnliche darüber. Taschentücher und Strümpfe steckte ich in meine Taschen, und das übrige warf ich in einen Winkel. Meinen neuen Mantel warf ich über die Schultern des Mönches, ... der Unglückliche sah aus, als wenn er ihn mir gestohlen hätte.

So geputzt, meinen schönen Hut mit spanischer Goldborte und weißer Feder auf dem Kopfe, öffne ich ein Fenster und falle sofort einigen Müssiggängern auf, die sich im Palasthofe befanden und nicht begreifen mochten, wie jemand, der wie ich angezogen, sich zu so früher Stunde an diesem Fenster befinden konnte. Sie benachrichtigten den Pförtner, und dieser, der glauben mochte, daß er jemand am Abende vorher eingeschlossen habe, holte schleunigst die Schlüssel, um nachzusehen. Ich bedauerte schon, mich am Fenster gezeigt zu haben und ahnte nicht, daß gerade wieder der Zufall mir zu Hilfe kam. Ich hatte mich eben neben den noch immer zankenden Mönch gesetzt, als ich das Geräusch von Schlüsseln hörte. Ganz erregt gehe ich an die Thür und sehe durch eine Spalte, wie ein einzelner Mann mit einer Perrücke und ohne Hut, einen großen Schlüsselbund in der Hand, die Treppen heraufsteigt. Ich gebiete dem Mönche sehr ernstlich, nicht den Mund aufzuthun, sich hinter mir zu halten und mir zu folgen. Ich verberge mein Stilet mit der rechten Hand unter dem Rocke und stelle mich so an die Thür, daß ich, sowie sie geöffnet wird, hinaus und die Treppe hinab kann. Ich bitte Gott, daß dieser Mann keinen Widerstand leistet, denn im entgegengesetzten Falle würde ich mich gezwungen gesehen haben, ihn niederzustechen, wozu ich auf das festeste entschlossen war.

Die Thür geht auf, aber bei meinem Anblick blieb der Mann wie versteinert stehen. Ohne mich aufzuhalten und ohne ein Wort zu sagen, benutze ich seine Bestürzung, um schnell aber mit einem gewissen Stolze die Treppe hinabzusteigen. Der Mönch folgte mir und wir stiegen unaufgehalten die prächtige Riesen-Treppe hinab. Der Pater Balbi raunte mir unaufhörlich zu: ›Wir wollen in die Kirche eintreten; ... schnell, schnell!‹ Die Kirchenthür war zwar nur zwanzig Schritt von der Treppe, aber die venetianischen Kirchen waren schon lange nicht mehr Zufluchtsstätten für Verbrecher, und niemand flüchtete sich mehr hinein. Der Mönch wußte es auch selbst, aber die Angst verwirrte seine Gedanken.

Die Straflosigkeit, die ich suchte, war nur jenseits der Grenzen der allerdurchlauchtigsten Republik zu finden, und dahin richtete ich meinen Weg. Ich ging geraden Wegs durch das Hauptthor des Dogenpalastes, ohne dabei jemand anzusehen, – das beste Mittel, um wenig bemerkt zu werden, – schritt über die piazetta dem Ufer zu, trat in die erste beste Gondel und rief dem Gondolier zu: ›Ich will nach Fusine, rufe schnell einen zweiten Gondolier!‹ Dieser war schnell zur Hand, und während man die Gondel löst, werfe ich mich auf das Mittelpolster, während der Mönch sich auf die kleine Bank setzt. Balbis absonderliches Äußere, ohne Hut, mit einem prächtigen Mantel über die Schulter, mein nicht der Jahreszeit entsprechendes auffälliges Kostüm, alles gab uns das Aussehen eines Quacksalbers oder Astrologen und seines Gehilfen.

Am Zollhause vorbei, ruderten die Bootsleute den Kanal der Giudecca hinein, der nach Fusine, aber auch nach Mestre führt, und nach letzterem Orte wollte ich eigentlich. Als wir eben mitten im Kanal sind, stecke ich den Kopf vor und sage zu dem einen Gondolier: ›Glaubst Du, daß wir vor fünfzehn Uhr (8 Uhr morgens) in Mestre sind?‹ ›Aber Herr‹, antwortet er, ›Sie haben mir befohlen, nach Fusine zu fahren.‹ ›Du bist toll, ... ich habe Mestre gesagt.‹ Auch der zweite bestätigt, daß ich mich irre, und mein einfältiger Mönch verfehlt nicht als eifriger Christ und Wahrheitsfreund einzustimmen, daß ich Unrecht habe. Ich hatte Lust, ihm für seine Dummheit einen Fußtritt zu geben, aber ich hielt es für besser zu lachen und zuzugeben, daß ich mich geirrt haben könnte, aber meine Absicht sei jedenfalls, nach Mestre zu fahren. Da entgegnet der Gondelführer, er sei bereit, mich nach England zu fahren, wenn ich sonst wolle. – ›Bravo! also nach Mestre!‹ – ›Wir sind in drei Viertelstunden dort, denn Wind und Strömung sind mit uns.‹

Recht zufrieden betrachte ich den Kanal, der mir heute schöner denn je schien, zumal kein Boot unsern Kurs kreuzte. Es war ein prachtvoller Morgen, die Luft war rein, die ersten Sonnenstrahlen prächtig, und unsere beiden jungen Gondoliere arbeiteten leicht und schnell. Ich dachte an die entsetzliche vergangene Nacht, an die überstandenen Gefahren, an den verlassenen Kerker, in dem ich noch am Tage vorher eingesperrt gewesen, an alle Zufälligkeiten, die mir günstig waren, an die Freiheit, die ich wieder zu genießen begann, ... alles bewegte mich so heftig, daß mich das Dankgefühl gegen Gott überwältigte, und ich in Thränen ausbrach.

Mein naiver Gefährte, der bis jetzt nur gesprochen hatte, um den Bootsleuten recht zu geben, glaubte mich trösten zu müssen. Er irrte sich über die Ursache meiner Thränen, und die Art, wie er sich benahm, brachte mich plötzlich so zum Lachen, daß er in Angst geriet und glaubte, ich sei verrückt geworden. –

Wir langten in Mestre an. Auf der Post gab es keine Pferde, aber es waren genug Fuhrwerke zu haben, die eben so schnell fuhren. Ich machte mit einem Fuhrmanne ab, mich in fünf Viertelstunden nach Treviso zu fahren. In wenig Minuten waren die Pferde angespannt, und den Pater hinter mir glaubend, sage ich: ›Steigen wir ein.‹ Aber Balbi war nicht da. Ich bitte den Stallburschen, ihn zu suchen, und nehme mir vor, ihn gehörig auszuschelten, was auch der Grund seiner Abwesenheit sein möchte. Aber man findet ihn nicht. Ich war wütend. Der Gedanke kommt mir, ihn in Stiche zu lassen, aber ein besseres Gefühl hält mich davon ab. Ich steige wieder aus und erkundige mich; jedermann hat ihn gesehen, aber niemand kann mir sagen, wo er ist oder sein kann. Ich gehe durch die Arkaden der Hauptstraße und blicke zufällig durch die Fenster eines Cafés. Da steht der Unglückliche, eine Tasse Chocolade in der Hand. Bei meinem Eintritt fordert er mich auf, auch eine Tasse zu trinken und die seinige zu bezahlen, da er kein Geld habe. Ich halte meinen Unwillen zurück: ›Ich will nicht, beeilen Sie sich!‹; dabei drücke ich ihm aber den Arm derart, daß er vor Schmerz weiß im Gesicht wird. Ich zahle und wir gehen. Ich zitterte vor Wut. Wir gelangen zum Wagen, steigen ein und fahren los, sind aber kaum ein paar Schritte fort, als ein Einwohner von Mestre, namens Tommasi, auf uns zukommt. Er war ein guter Kerl, stand aber im Rufe, ein Diener des heiligen Inquisitions-Tribunals der Republik zu sein. Er kannte mich und sagte: ›Wie, Sie hier? Ich freue mich, Sie zu sehen. Sie sind also entflohen? ... Wie haben Sie das angefangen?‹ ›Ich bin nicht geflohen; man hat mich entlassen.‹ ›Das ist nicht gut möglich, denn gestern Abend war ich noch bei Herrn Grimani, und da hätte ich es erfahren.‹

Leser, es wird Dir leichter sein zu erraten, in welchem Zustand ich mich in diesem Augenblick befand, als mir, ihn zu beschreiben. Ich sah mich entdeckt durch einen Mann, den ich für bezahlt hielt, um mich festzunehmen, und der nur nötig hatte, dem ersten besten Sbirren von Mestre einen Blick zuzuwerfen, und Mestre war voll davon. Ich ersuche ihn, leise zu sprechen, steige aus, bitte ihn, ein wenig auf die Seite zu kommen, und führe ihn hinter das Haus. Als ich dort allein mit ihm bin, nahe bei einem Graben, auf dessen anderer Seite freies Feld ist, ziehe ich mein Stilet und fasse ihn am Kragen. Er hatte aber meine Absicht bemerkt, entriß sich und entwischt mir, springt über den Graben und läuft, so schnell ihn seine Beine nur tragen. Als er ein Stück weg ist, hält er aber an, dreht sich um und – wirft mir eine Kußhand zu. Ich aber dankte Gott, daß dieser Mann durch seine Gewandtheit mich vor einem Verbrechen bewahrt, denn ich hätte ihn erstochen, und es schien, daß er keine bösen Absichten gehabt hatte.

Finster wie ein Mensch, der einer großen Gefahr entronnen, warf ich dem feigen Mönch, der einsehen mochte, welcher Gefahr er uns ausgesetzt hatte, einen verächtlichen Blick zu und stieg wieder in den Wagen. Wir kamen ohne weitere Hindernisse nach Treviso, wo ich den Postmeister bat, mir um 17 Uhr einen Wagen mit zwei Pferden bereit zu halten. Meine Absicht war aber nicht die, meine Reise mit der Post fortzusetzen, – zunächst weil ich nur wenig Geld hatte, und dann, weil ich fürchtete, verfolgt zu werden. Der Wirt frug, ob ich nicht frühstücken wollte. Das hätte ich sehr nötig gehabt, denn ich konnte mich kaum aufrecht erhalten, aber ich durfte es nicht, – eine Viertelstunde konnte mir verhängnisvoll werden.

Ich schlenderte zum St. Thomas-Thore hinaus, als ob ich spazieren ginge. Nach einer Weile biege ich von der Hauptstraße ab in Feldwege ein mit der festen Absicht, sie nicht eher wieder zu verlassen, als bis ich aus dem Gebiete der Republik bin. Der kürzeste Weg wäre über Bassano gewesen, aber ich schlug den längsten ein, denn es war nicht unmöglich, daß man mich schon am nächsten Hauptorte erwartete, während man sicher nicht vermutete, daß ich, um in das Gebiet des Bischofs von Trient zu kommen, den weiten Weg über Feltre wählen würde.

Nach drei Stunden scharfen Marsches mußte ich mich niederlegen, denn ich konnte vor Hunger nicht weiter. Ich bat den Mönch, nach einem in der Nähe gelegenen Bauernhause zu gehen, um sich etwas zu essen geben zu lassen und mir zu bringen.

Obgleich das Haus kein Wirtshaus war, so schickte mir die gute Bauersfrau doch durch eine Magd eine reichliche Mahlzeit, die mich nur dreißig venetianische Saldi kostete. Nach dem Essen marschierten wir weiter und hielten nach vier Stunden hinter einem Dörfchen. Ich wußte, daß ich ungefähr 24 Meilen (42 Kilometer) von Treviso war, aber ich konnte jetzt nicht weiter; meine Füße waren geschwollen, die Schuhe zerrissen, und wir hatten nur noch eine Stunde Tag. Wir ließen uns in einem Gebüsch nieder, und ich erklärte dem Pater Balbi: ›Wir wollen nach Borgo, der ersten Stadt über der Grenze der Republik. Dort sind wir genau so sicher, wie in London, und können uns ausruhen, soviel wir wollen; aber um hinzukommen, haben wir die größten Vorsichtsmaßregeln nötig, und die erste ist die, uns zu trennen. Sie gehen durch das Gehölz von Mantello, ich über die Berge. Sie auf dem bequemsten und kürzesten Weg, ich auf dem weitesten und schwierigsten; schließlich Sie mit Geld und ich ohne einen Heller. Außerdem schenke ich Ihnen meinen Mantel, den Sie gegen einen geringeren und einen Hut umtauschen können. Hier ist alles Geld, was mir von den zwei Zechinen des Grafen Asquin bleibt, es sind siebzehn Lire. Sie kommen übermorgen Abend nach Borgo, und ich werde vierundzwanzig Stunden später ebenfalls dort sein; in dem ersten Gasthause linker Hand erwarten Sie mich. Heute Nacht muß ich irgendwo in einem guten Bette schlafen, und die Vorsehung wird es mich schon finden lassen; – aber ich muß ruhig schlafen, und mit Ihnen würde mir das unmöglich sein. Ich bin überzeugt, man sucht uns jetzt schon überall, und unsere Personalbeschreibungen sind so gut gegeben, daß man uns in jedem Wirtshause festnehmen wird, wo wir zusammen eintreten würden. Sie sehen den Zustand, in dem ich mich befinde, und wie unumgänglich nötig ich es habe, zehn Stunden zu schlafen. Leben Sie wohl, gehen Sie und lassen Sie mich bis übermorgen allein meinen Weg gehen.‹

Balbi antwortet mir darauf: ›Das, was Sie mir sagen, hatte ich erwartet. Statt aller Antwort erinnere ich Sie aber an das Versprechen, welches Sie mir gaben, als ich mich überreden ließ, Ihr Gefängnis aufzubrechen. Sie haben mir versprochen, sich nicht wieder von mir zu trennen; erwarten Sie also nicht, daß ich Sie verlasse. Ihr Schicksal ist das meinige, und das meinige das Ihre. Für unser Geld werden wir schon guten Unterschlupf finden und wir brauchen nicht in die Gasthäuser zu gehen.‹ – ›Sie sind also entschlossen, den guten Rat nicht zu befolgen, welchen die Klugheit mir Ihnen zu geben befiehlt?‹ ›Ja, ... ganz entschieden.‹ – ›Nun, das wollen wir sehen.‹

Ich stehe mit Mühe wieder auf und gehe mit ihm auf das nächste Feld. Dort ziehe ich mein Eisen aus der Tasche und beginne mit der größten Kaltblütigkeit und ohne ein Wort zu sagen eine kleine Aushöhlung zu graben. Auf seine Fragen antworte ich nicht. Nach einer Viertelstunde sehe ich den ganz bestürzten Mönch scharf an und sage ihm, daß ich als guter Christ es für nötig halte, ihm mitzuteilen, er möge seine Seele Gott befehlen. ›Denn‹, fahre ich fort, ›ich werde Sie hier lebendig oder tot eingraben, und wenn Sie stärker sind, so begraben Sie mich. Ihre Hartnäckigkeit zwingt mich dazu.‹ Da er nicht antwortete, setzte ich meine Arbeit fort und begann zu fürchten, daß dieser bornierte Kerl mich zum Äußersten treiben würde, denn ich war fest entschlossen, mich seiner zu entledigen. Schließlich mochte ihn aber doch Furcht oder Überlegung antreiben ..., er stürzte auf mich zu. Ich traute seiner Absicht nicht und hielt ihm die Spitze meines Stilets entgegen, aber ich hatte nichts zu fürchten. ›Ich will alles thun, was Sie wollen‹, rief er, und darauf umarmten wir uns. Ich gab ihm alles Geld, das ich besaß, und wiederholte mein Versprechen, in Borgo wieder zu ihm zu stoßen.

Als er weit genug fort war, stand ich auf und lenkte meine Schritte nach einem entfernten Hügel, auf dem ich einen Hirten mit einer kleinen Herde bemerkte. ›Guter Freund‹, rief ich ihn an, ›wie heißt das Dorf dort?‹ › Val de Piene, Herr.‹ Ich war überrascht, denn ich war weiter, als ich geglaubt hatte. Ich fragte ihn nach den Besitzern einiger Häuser, und zufällig waren Personen meiner Bekanntschaft darunter, die ich aber durch meine Erscheinung nicht in Verlegenheit bringen wollte. Auch die Villa der Familie Grimani war in der Nähe. Das Oberhaupt derselben war Staatsinquisitor und vermutlich jetzt in dem Landhause; da durfte ich mich natürlich nicht sehen lassen ... Endlich nannte mir der Hirt noch ein entferntes Haus als die Wohnung eines Sbirrenhauptmanns ...«

Casanova kam der Gedanke, lieber dort als anderswo zu bleiben. Er tritt in den Hof des Hauses und fragt dort ein spielendes Kind nach seinem Vater. Das Kind ruft die Mutter. Diese fragt den fremden Besucher, was er von ihrem Manne wolle und bedauert, daß er nicht zu Hause sei. ›Es thut mir ebenso leid‹, erwidert dieser, ›daß mein Gevatter nicht da ist, wie ich mich freue, die Bekanntschaft seiner schönen Gattin zu machen.‹ ›Sein Gevatter? Dann sind Eure Gnaden also Herr Vetturi? Mein Mann hat mir bereits gesagt, daß Sie uns die Ehre erweisen wollten, bei dem Kinde, welches nächstens zur Welt kommen wird, Pate zu stehen.‹ ›Ich hoffe, daß er bald nach Hause kommt, denn ich wollte ihn bitten, hier übernachten zu dürfen; in dem Zustande, in welchem ich bin, wage ich nirgends hinzugehen.‹ ›Sie sollen das beste Bett im Hause haben, und ich werde Ihnen sogleich ein gutes Abendessen bringen. Mein Mann wird Eure Gnaden für die Ehre, die Sie uns erweisen, selbst danken, sobald er zurück ist. Er ist vor einer Stunde fort, aber ich erwarte ihn erst in zwei oder drei Tagen zurück.‹ ›Warum bleibt er denn so lange weg, sehr werte Frau Gevatterin?‹ ›Aber wissen Sie denn nicht, daß zwei Gefangene aus den Bleikammern entflohen sind? Der eine ist ein Patrizier, der andere ein Bürgerlicher namens Casanova. Mein Mann hat vom Messer grande Befehl erhalten, sie zu suchen.‹

Nachdem er den Zustand seiner verwundeten Knie und sein Aussehen durch einen Sturz vom Pferde auf der Jagd erklärt hatte, was von der leichtgläubigen Frau des Häschers, die – wie Casanova sagt – keinen Handwerksgeist besaß, geglaubt wurde, rief diese ihre Mutter herbei, die die Wunde mit größter Sorgfalt verband ... Nach einem zwölfstündigen Schlaf vollkommen gekräftigt, verließ Casanova um sechs Uhr morgens heimlich das Haus, ohne sich von irgend jemand zu verabschieden, nicht einmal von zwei verdächtigen Personen in der Nähe des Hauses, ohne Zweifel zwei Sbirren. –

Ich werde Sie hier lebendig oder tot eingraben. (Casanova.)

Er marschierte nun den ganzen Tag fast ununterbrochen durch dichten Wald und über die Berge der Grenze zu, übernachtete bei einem Bauer und kam am nächsten Tage zu früher Stunde nach Borgo, wo er richtig den Mönch traf, dessen Willkommengruß darin bestand, daß er ihm cynisch sagte, er hätte gar nicht mehr auf ihn gerechnet ...

*


 << zurück weiter >>