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Der Kardinal von Retz.

– 1654. –

Der Kardinal von Retz, der eine so große Rolle in den Unruhen der Fronde gespielt hat, wurde im Jahre 1654, während er sich vergebliche Mühe gab, mit den Ministern zu unterhandeln, am 19. Dezember im Louvre festgenommen. Zuerst in Vincennes eingesperrt, wurde er gezwungen, auf das Erzbistum von Paris zu verzichten, um seine Überführung nach dem Schlosse von Nantes zu erlangen. Von da entfloh er und berichtet darüber in seinen Memoiren Folgendes:

»Der Herr Marschall de la Mellerage und der erste Präsident de Bellièvre holten mich in Vincennes ab ... Da der Marschall sehr an der Gicht litt, konnte er nicht nach meinem Gemache heraufkommen, wodurch Bellièvre Gelegenheit hatte, mir beim Herabsteigen der Treppe zu sagen, ich möge mich wohl hüten, mein Ehrenwort zu geben, das man mir abfordern werde. Der Marschall, den ich am Fuße der Treppe antraf, verlangte es in der That. Ich antwortete, daß Kriegsgefangene ihr Ehrenwort abgeben, aber ich hätte nie gehört, daß man es Staatsgefangenen abverlange. Bellièvre mischte sich ein und sagte: »Die Herren verstehen sich wohl nicht recht; der Herr Kardinal weigert sich nicht, sein Ehrenwort zu geben, wenn Sie ihm vollkommen vertrauen und keine Wachen bei ihm stellen wollen. Aber falls Sie ihn bewachen lassen, wozu nutzt dann das Ehrenwort? Denn jeder bewachte Mensch ist dessen entbunden.«

Der Präsident spielte ein sicheres Spiel, denn er wußte, daß der Marschall der Königin hatte versprechen müssen, mich nicht aus den Augen zu lassen. Der Marschall sah Herrn de Bellièvre an und sagte: »Sie wissen, ob ich thun kann, was Sie vorschlagen«, dann fügte er, sich an mich wendend, hinzu: »Nun, ich muß Sie sonach bewachen lassen, aber ich werde es in einer Weise thun lassen, daß Sie nicht darüber klagen werden.«

Ich blieb auch ganz unter des Marschalls Obhut, der sein Wort hielt, denn man hätte nicht höflicher und rücksichtsvoller gegen mich sein können. Jedermann konnte mich besuchen, man suchte mir alle erdenklichen Zerstreuungen zu verschaffen und ich hatte fast jeden Abend Theatervorstellung. Aber so rücksichtsvoll meine Bewachung auf der einen Seite war, so streng war sie auf der andern. Man ließ mich nur aus den Augen, wenn ich mich in mein Zimmer zurückzog und die einzige Thür, die es hatte, war bei Tag und Nacht von sechs Soldaten bewacht. Das Fenster war sehr hoch gelegen und ging auf den Hof, in dem sich immer zahlreiche Wachmannschaften aufhielten. Wenn ich das Zimmer verließ, folgten mir sechs Soldaten und stellten sich auf der Terrasse auf, von wo aus man mich beobachten konnte, wenn ich in dem kleinen Garten auf einer Art Bastion oder Schanze, die nach dem Flusse zu lag, spazieren ging. –

Dennoch entschloß ich mich ernstlich, an meine Flucht zu denken. Der Präsident drängte mich dazu, und einer meiner Freunde ließ mir durch eine Dame aus Nantes ein Billet überreichen mit dem Inhalt: »Ende dieses Monats wird man Sie nach Brest bringen, wenn Sie nicht fliehen.«

Die Sache war sehr schwierig. Zunächst handelte es sich darum, den Marschall irre zu führen. In dieser Beziehung war mir bekannt, daß die mißtrauischsten Menschen oft am leichtesten zu täuschen sind. Ich entdeckte mich Herrn von Brissac, der von Zeit zu Zeit nach Nantes kam und mich zu unterstützen versprach. Er hatte immer viel Gepäck und Packtiere mit sich. Diese Menge Koffer brachten mich auf den Gedanken, daß ich mich in einer dieser Truhen verstecken könne. Man ließ deshalb eine besonders große anfertigen mit einem Loch am Boden zum Atmen; ich kroch sogar zum Versuche hinein und mir schien der Plan ausführbar; er gefiel mir umsomehr, weil er einfach war und nicht viele Mitwisser brauchte.

Brissac war erst auch ganz meiner Ansicht. Aber bei einer neuerlichen Rückkehr nach Nantes sagte er mir, er sei überzeugt, ich würde in dem Koffer ersticken. – – Er gab mir sein Wort, daß er mir zur Erlangung meiner Freiheit in jeder Weise behilflich sein wolle, ausgenommen innerhalb des Schlosses. Wir verabredeten darauf alle Maßnahmen für einen neuen Plan.

Ich habe schon erwähnt, daß ich bisweilen auf einer kleinen Schanze spazieren ging, die nach der Loire abfiel; ich hatte auch beobachtet, daß der Fluß nicht ganz gegen die Mauer anschlug und ein kleines Stück Land bis an die Befestigung trocken ließ. Ebenso hatte ich bemerkt, daß zwischen dem Garten auf dieser Schanze und der Terrasse, wo die Wachen blieben, wenn ich spazieren ging, eine Thür war, die der Kommandant hatte anbringen lassen, damit die Soldaten nicht seine Trauben stahlen. Auf diese Beobachtungen gründete ich meinen Plan, der darin bestand, diese Thür wie zufällig hinter mir zu schließen. Da sie aus Latten bestand, wurden die Soldaten zwar nicht behindert, mich ebenso wie zwischen den Weinspalieren zu sehen, wohl aber zu mir zu kommen. Ich gedachte an einem Stricke, den mein Arzt und der Abt Rousseau, Bruder meines Verwalters, halten sollten, hinabzuklettern. Am Fuße der Schanze wären Pferde für mich und vier Kavaliere, die ich zu meiner Beschützung mit mir nehmen wollte, bereit zu halten. Dieser Plan war aber leider sehr schwer auszuführen. Er konnte nur am hellen Tage zwischen zwei dreißig Schritt von einanderstehenden Wachposten stattfinden und meine sechs Wachen konnten durch die Latten der Thür auf mich schießen. Die vier Kavaliere, die mir bei meiner Flucht helfen sollten, mußten sich genau unter der Schanze befinden, damit sie zunächst versteckt blieben. Mit einer geringeren Zahl konnte ich mich nicht begnügen, denn ich war gezwungen, ganz in der Nähe über einen Platz zu reiten, wo die Gardisten des Marschall gewöhnlich spazieren gingen. Wenn mein Plan nur dahin gegangen wäre, aus dem Gefängnisse allein zu entkommen, so hätte es genügt, nur das Erwähnte im Auge zu behalten. Er ging aber weiter. Ich hatte beschlossen, mich geraden Wegs nach Paris zu begeben und mich öffentlich zu zeigen. Auch hatte ich hochgehende andere Prätensionen, die unvergleichlich schwerer zu erreichen waren. Es war unbedingt nötig, daß ich schnellstens von Nantes nach Paris kam, wenn ich nicht unterwegs festgenommen werden wollte, da die Eilboten des Marschall de la Meillerage nicht ermangeln würden, überall Lärm zu schlagen. Endlich mußte ich in Paris selbst meine Maßregeln treffen; ebenso wichtig wie es war, daß meine Freunde von meinem Schritte benachrichtigt würden, war es, daß andere keine Kenntnis erhielten ... Es würde in unserem Jahrhundert nichts Großartigeres gegeben haben, als den Erfolg einer Flucht wie der meinen, wenn sie damit geendet hätte, mich zum Herrn der Hauptstadt des Königreichs zu machen.

Der ganze Plan wurde aber in einem einzigen Augenblick umgestoßen –, obgleich keines der Hilfsmittel, worauf er sich stützte, versagte.

... Ich floh an einem Sonnabend, den 8. August um 5 Uhr nachmittags. Die kleine Gartenthür schloß sich hinter mir wie von selbst. Ich ließ mich, mit einem Stecken zwischen den Beinen, sehr glücklich die vierzig Fuß hohe Bastion hinab. Einer meiner Kammerdiener, der noch jetzt bei mir ist, beschäftigte inzwischen meine Wachen und gab ihnen zu trinken. Sie sahen gerade einem Dominikaner-Mönch zu, der sich badete und beinahe ertrank. Die Wache, welche zwanzig Schritt von mir, aber an einem Orte war, von wo aus sie nicht zu mir gelangen konnte, wagte nicht, auf mich zu feuern, denn als ich sah, wie der Mann die Lunte ergriff, rief ich ihm drohend und mit Energie zu, ich würde ihn hängen lassen, wenn er schieße. Später hat er gestanden, er glaubte nach dieser Drohung, daß der Marschall mit mir im Einverständnis sei. Zwei Pagen, die sich badeten und die mich am Stricke hängen sahen, riefen laut: er flieht! Man achtete aber nicht darauf, denn jedermann glaubte, sie riefen des Dominikaners wegen um Hilfe. Meine vier Reiter befanden sich an dem angegebenen Punkte der Schanze, wo sie thaten, als wollten sie ihre Pferde tränken, um auf die Jagd zu gehen. Ich selbst war zu Pferde, ehe nur der geringste Alarm gegeben war, und da ich vierzig Stationen zum Pferdewechsel zwischen Nantes und Paris hatte, wäre ich sicher Dienstag mit Tagesanbruch hingekommen, wenn nicht ein Unfall sich ereignet, der verhängnisvoll und entscheidend für mein ganzes übriges Leben wurde.

Sobald ich zu Pferde war, schlugen wir den Weg nach Mauve ein, das, wenn ich nicht irre, fünf Meilen von Nantes liegt, wo nach Übereinkunft de Brissac mit einem Freunde mit einem Boote warteten, um uns über den Fluß setzen zu lassen. Der Stallmeister des Herrn von Brissac, der vor mir ritt, rief mir zu, zuerst zu galoppieren, um den Soldaten des Marschall nicht Zeit zu lassen, das Thor der Vorstadt zu schließen, wo ihr Quartier war, und das wir notgedrungen durchreiten mußten. Ich hatte eines der besten Pferde der Welt, das Herrn de Brissac tausend Gulden gekostet hatte. Es war ein feuriges Tier, und ich hielt die Zügel fest, denn das Pflaster war sehr schlecht und glatt. Plötzlich rief einer meiner Leute, die Pistole in die Hand zu nehmen, weil er zwei Soldaten des Marschalls bemerkte, die indeß gar nicht an uns dachten. Ich griff wirklich nach der Waffe und richtete sie auf den Kopf des Soldaten, der sich mir am nächsten befand, um ihn auf alle Fälle zu verhindern, mir in die Zügel zu fallen. Die Sonne stand noch hoch am Himmel und schien auf den Stahllauf der Pistole, die zurückgeworfenen Strahlen erschreckten mein Pferd, es machte einen hohen Satz und fiel auf alle vier Beine nieder. Ich kam mit einer Verrenkung der linken Schulter davon, die gegen den Prellstein einer Thür schlug. Beauchesne, ein anderer meiner Leute, half mir auf und wieder in den Sattel. Ich litt schreckliche Schmerzen und war gezwungen, mir von Zeit zu Zeit Haare auszureißen, um nicht die Besinnung zu verlieren. Dennoch vollendete ich meinen Ritt von fünf Meilen, ohne daß der Großmeister, der mir mit allen Rennern von Nantes folgte, mich hätte einholen können. Am bestimmten Orte fand ich Herrn de Brissac und den Chevalier de Sevigné mit dem Boote vor. Als ich hineinstieg, fiel ich in Ohnmacht, und man mußte mir einige Hände Wasser über das Gesicht gießen, um mich wieder zum Bewußtsein zu bringen. Am andern Ufer angelangt, wollte ich wieder zu Pferde steigen, es fehlten mir aber die Kräfte dazu und Herr de Brissac war genötigt, mich in einen großen Heuhaufen zu verstecken, wo er mich mit einem meiner Kavaliere, namens Montet, ließ. Joly, der mit Montet allein mir hatte folgen können, nahm er mit sich. Die Pferde der anderen hatten nicht ausgehalten. De Brissac ritt geraden Wegs nach Beaupréau, die Edelleute zu versammeln und mich dann aus meinem Heuhaufen zu holen. –

Ich blieb da über sieben Stunden versteckt und litt unbeschreibliche Schmerzen. Die Schulter war gebrochen und ausgerenkt, und ich hatte schreckliche Quetschungen erlitten. Das Wundfieber packte mich gegen neun Uhr abends, die Hitze und Aufregung wurde noch durch die Wärme des frischen Heues grausam vermehrt. Obgleich ich nahe am Ufer eines Flusses war, wagte ich nicht, trinken zu gehen; denn wenn wir einmal den Heuhaufen verlassen, hätten wir später, nach der Rückkehr, niemand gehabt, um ihn wieder zu ordnen. Man mußte bemerken, daß er aufgewühlt worden war, und so denen, die nach uns suchten, Anlaß geben, ihn zu durchforschen. Wir hörten auch, wie Reiter rechts und links an uns vorbei trabten ...

Endlich kam morgens zwei Uhr ein angesehener Mann der Gegend, den de Brissac benachrichtigt, um mich aus dem Heuschober abzuholen. Er ließ mich nach der Scheune eines zwei Meilen entfernten, ihm gehörigen Gutes bringen, und zwar auf einer Düngertrage, die zwei Bauern trugen. Man hatte mich abermals in Heu eingehüllt, aber da ich zu trinken hatte, befand ich mich jetzt sehr wohl darin.

Brissac holte mich nach Verlauf acht Stunden mit etwa fünfzehn bis zwanzig Berittenen ab und geleitete mich nach Beaupréau, wo ich eine Nacht blieb. Dort brachte er während dieser kurzen Zeit über zweihundert Edelleute zusammen, und Graf Retz stieß vier Meilen davon mit weiteren dreihundert hinzu. Wir kamen nahe an Nantes vorbei, von wo einige Soldaten des Marschalls zu scharmützeln herauskamen. Sie wurden aber kräftig bis an die Mauern zurückgetrieben, und wir kamen glücklich nach Machecoul, welches im Distrikte von Retz liegt und volle Sicherheit bot.«

Von Machecoul ließ sich der Kardinal nicht ganz gefahrlos nach Belle-Isle bringen, und einige Tage später gelangte er nach San-Sebastian, von wo er sich mit spanischen Pässen schließlich nach Rom begab.

(Memoiren des Kardinal von Retz.)

*


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