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14. Kapitel.
Im Flugzeug nach Indien.

Einige Tage nach den geschilderten Ereignissen saß Erwin Gerardi mit seinem Freunde, Ingenieur Francois Courton, abends auf der Terrasse des Hotels Bristol in Nizza und lauschte den Klängen der hervorragenden Kurmusik, als ein Ober diskret an ihn herantrat und ihm ein eben gebrachtes Telegramm überreichte. Courton widmete diesem Vorgang keine besondere Aufmerksamkeit, denn bei den ausgedehnten Geschäften Gerardis war es an der Tagesordnung, daß er Telegramme oder Eilbriefe erhielt, die in der Regel nichts Außergewöhnliches brachten.

Diesmal schien es aber doch etwas Besonderes zu sein, denn Erwin ließ plötzlich und unvermittelt das Telegramm fallen und wurde sehr blaß.

»Etwas Unangenehmes?« erkundigte sich Francois befremdet.

»Lies!« antwortete Erwin nur und schob ihm das Blatt zu. Gleichzeitig winkte er einem Ober, um zu zahlen.

Die Depesche enthielt folgende Worte:

»Sofort kommen! Frau Ivonne verschwunden! Vermute Verbrechen!

Louis.«

»Donnerwetter!« entfuhr es Francois unwillkürlich. »Sieht der alte Kauz am Ende nicht Gespenster?!«

Erwin erhob sich:

»Es ist möglich und zu hoffen. Trotzdem dürfen wir keine Zeit verlieren. Ich benutze das nächste Flugzeug. Willst du mich begleiten ...?«

Francois nickte nur und folgte seinem hastig voranschreitenden Freunde zum Auto, das sie in wenigen Minuten zum Flugplatz brachte. Das nächste Flugzeug nach Marseille ging in einer Viertelstunde. Sie hatten gerade Zeit, die Fahrkarten zu lösen und ihre Plätze einzunehmen, da begann schon der Propeller zu surren.

Um Mitternacht trafen sie in Marseille ein. Es war sehr schönes Wetter und die Straßen daher noch ziemlich belebt. Als sie am Café Glacier vorüberfuhren, hörten sie laute Jazzmusik. Ein bitteres Gefühl überkam Erwin beim Klang dieser Rhythmen. Es fiel ihm ein, wie er vor eineinhalb Jahren an dieser Stelle mit Ivonne Martinet zusammengetroffen war und sie dann gemeinsam die fünf Millionen Franken auf der Bank de Commerce abgehoben hatten, die zur materiellen Grundlage ihres Glückes wurden. Nun würde er seine schöne Frau, die er aufrichtig liebte, vielleicht niemals wiedersehen.

Der Wagen hielt vor der Gerardischen Villa. Im Erdgeschoß war alles dunkel, aber im ersten Stock leuchteten noch einige Fenster. Wortlos gingen die beiden Freunde hinauf. Auch Francois konnte sich einer großen Unruhe nicht erwehren und war aufs äußerste gespannt, was sie in Erfahrung bringen würden.

Auf der Treppe kam ihnen der alte Louis entgegen. Er sah sehr mitgenommen und erregt aus. Seine Hände zitterten so stark, daß sie ihm beim Aufhängen der Mäntel helfen mußten. Dann betraten sie Erwins Studierzimmer und der Diener mußte erzählen.

Er war an dem Abend, als Ivonne ihn fortgeschickt hatte, erst nach Mitternacht heimgekehrt. Bereits an der Gartenpforte war ihm das laute Heulen und Bellen des Wolfshundes Jim aufgefallen, der unten in der Diele seine Lagerstatt hatte. Als er die Haustür öffnete, stürzte ihm der Hund winselnd entgegen, packte ihn an den Rockschößen und versuchte ihn hinter sich her zu ziehen. Als er nicht gleich darauf einging, lief der Hund voraus und begann an der Tür, die zu dem das ganze Erdgeschoß durchlaufenden Korridor führte, zu kratzen. Scheinbar hatte er sich bereits längere Zeit damit beschäftigt, denn die Politur wies schadhafte Stellen auf.

Darauf öffnete Louis die Korridortür und ließ den Hund hinaus. Er lief mit der Nase am Fußboden bis an das Zimmer, in dem der schwarze Koffer untergebracht war und setzte hier sein Kratzen mit gesteigerter Heftigkeit fort. Als Louis dies bemerkte, beruhigte er sich sofort wieder, da er wußte, daß der Koffer mittlerweile angekommen war. Er schob das merkwürdige Wesen des Hundes dem Umstande zu, daß er jedenfalls das Hineintragen des Gepäckstückes gehört, die Anwesenheit fremder Leute gewittert und dadurch gereizt worden war. Mit großer Mühe und unter Anwendung von Gewalt brachte er Jim wieder in die Diele, kettete ihn an und legte sich selbst zur Ruhe.

Am nächsten Morgen fiel es ihm auf, daß sich das Tier, als der Koffer zum Dampfer abgeholt wurde, wieder wie rasend gebärdete, laut heulte und große Anstrengungen machte, die Kette durchzubeißen und sich auf die Träger zu stürzen. Dergleichen war nie vorher geschehen, so daß Louis sich bereits Gedanken zu machen begann, die bösen Gerüchte, die über den Koffer und seinen Besitzer umgingen, seien womöglich nicht ganz aus der Luft gegriffen. Diese Mutmaßungen aber mit der Reise seiner Herrin in Zusammenhang zu bringen, fiel ihm vorderhand nicht ein.

Dieser Argwohn stieg in ihm erst auf, als er nach einigen Tagen einen Spaziergang am Kai entlang unternahm und zu seinem Befremden die Motorjacht Afrus unberührt an ihrer Anlegestelle verankert bemerkte. Ivonne hatte nämlich erzählt, Afru und sie würden auf der Jacht eine Reise nach Ajaccio unternehmen und von dort aus Nizza anlaufen, um Erwin abzuholen. Das entsprach nun jedenfalls nicht den Tatsachen. Ohne sich zu besinnen, begab er sich nach dem Hotel, in dem Afru abzusteigen pflegte und erkundigte sich nach dem Verbleib des Inders. Ihm wurde mitgeteilt, daß Afru bereits vor mehreren Tagen ziemlich plötzlich in der Nacht in Begleitung seines chinesischen Sekretärs nach Paris abgereist sei.

»Wissen Sie genau, daß keine Dame mit ihm war?« fragte nun der alte Mann fassungslos.

Der ihm auskunftgebende Angestellte drückte auf einen elektrischen Knopf und ließ durch einen herbeieilenden Boy den Unterportier rufen, der das Gepäck Afrus zur Bahn besorgt hatte. Jener kam und konnte mit Sicherheit bestätigen, daß Afru und Jen-Tsu-Tai allein in ihr Abteil gestiegen und nicht einmal auf dem Bahnhof mit irgendeiner Dame in Berührung gekommen seien.

In dem vergeblich grübelnden Louis stieg nun plötzlich in Verbindung mit dem seltsamen Gebaren des Hundes der Gedanke auf, Ivonne sei einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Gleich darauf hatte er jenes unheilverkündende Telegramm aufgegeben, das Erwin im Hotel Bristol zugestellt worden war.

»Haben Sie die Polizei benachrichtigt?« war Erwins erste Frage.

Louis konnte bejahen. Direkt vom Telegraphenamt war er zur Präfektur gefahren und hatte dort alles, was er wußte, zu Protokoll gegeben. Zwei Stunden später waren dann mehrere Kriminalbeamte in der Villa gewesen, hatten alles genau besichtigt und ihn dann noch einmal zum Präfekten persönlich mitgenommen, dem er alles haarklein erzählen mußte. Es war also zu hoffen, daß bereits alles Menschenmögliche zur Rettung Ivonnes in die Wege geleitet wurde.

Erwin läutete die Präfektur sofort an. Der Präfekt hatte den Anruf erwartet und kam selbst an den Apparat.

»Gott sei Dank, daß Sie da sind!« rief er erfreut. »Meine ganze Hoffnung ruhte auf Ihrem schnellen Kommen!«

»Besteht denn irgendwelche Aussicht, daß meine Frau gefunden wird?«

»Natürlich. – Ich bin sogar fest davon überzeugt, daß sie sich wohlbehalten an Bord des Viktor Emmanuele befindet und nach Indien dampft.«

»Kann eine polizeiliche Durchsuchung des Schiffes telegraphisch angeordnet werden?«

»Ich habe bereits alles Erdenkliche unternommen, aber leider gar keine Erfolge erzielt. Der Viktor Emmanuele befindet sich augenblicklich entweder im Suez-Kanal oder bereits im Roten Meer, also durchweg in britischer Einflußsphäre. Da das Schiff aber nach Italien gehört und England eben aus politischen Gründen daran gelegen ist, jede Reiberei mit Mussolini zu vermeiden, ist der britische Konsul nicht zu überreden, auf Grund meiner Argumente, die er als zu unsicher bezeichnet, einen Eingriff durch die englischen Behörden in Athen oder Bombay zu veranlassen.«

»Was kann also sonst unternommen werden, um den Räubern ihre Beute abzujagen, ehe es zu spät ist?«

»Es kommt darauf an, ob Sie vor keinem finanziellen Opfer zurückschrecken!?«

»Vor keinem! Und ginge dabei mein ganzes Vermögen in die Brüche!«

»Sehr gut! – Ich empfehle Ihnen unter diesen Umständen, sich sofort mit einer Flugzeugfabrik zwecks käuflicher Überlassung eines Flugzeuges in Verbindung zu setzen und sich einige beherzte und zuverlässige Leute zu suchen, die Sie auf einer Reise nach Indien begleiten könnten. Alle Paßformalitäten sowie die Ausstellung von Vollmachten seitens der französischen Polizeibehörde übernehme ich natürlich zu sofortiger Erledigung. Ich nehme an, daß Sie bereits morgen früh fliegen können und werde unterdessen die Verhaftung Afrus in Paris veranlassen.«

Erwin hängte nach etlichen Abschieds- und Dankesworten den Hörer an und ließ sich ermattet und niedergeschlagen in einen Klubsessel fallen.

»Was ist dir?« erkundigte sich Francois voller Teilnahme.

»Es geht mir alles zu langsam, weißt du. – Morgen früh erst Abfahrt. Wer bürgt mir dafür, daß wir ohne Zwischenfall nach Indien gelangen. Kommt der Dampfer früher als ich in Bombay an, so ist Ivonne so gut wie verloren!«

»Das ist doch nicht gesagt. – Wir werden, da die englische Polizei sich nicht einmischen will, das französische Konsulat in Bombay telegraphisch benachrichtigen und um aufmerksame Beobachtung der an Land gehenden Passagiere und des Gepäcks bitten!«

»Das ist ein Gedanke! – Nun die zweite Frage, wo nehme ich so schnell ein Flugzeug her, das stark genug ist, die gewaltige Reise zu unternehmen und wo finde ich Begleiter, die sich bereit erklären, dieses immerhin recht abenteuerliche und gar nicht ungefährliche Unternehmen mitzumachen?«

»Nichts einfacher als das! Wegen des Flugzeuges verständige ich einen Kollegen in Paris. Dort gibt es jetzt eine ganze Reihe von Maschinen, die für die jetzt aktuellen Amerikaflüge belastungserprobt und startbereit sind. Es wird nicht übermäßig schwerhalten, eine davon zu erwerben. Was aber die Begleiter anbetrifft, so habe ich bereits im stillen eine Auswahl getroffen, die hoffentlich auch deinen Wünschen zusagen wird. Es sind Dr. Renee, Juffo und ich!«

»Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll, daß du mich in dieser Situation nicht allein läßt. Das werde ich dir nie, nie vergessen!«

Erwin erhob sich und streckte dem Freunde die Hand hin, die jener nahm und kräftig schüttelte.

»Keine Ursache! Du weißt, daß ich immer so einen Hang zum Außergewöhnlichen gehabt habe, hier ist einmal eine Gelegenheit, seine überschüssigen Kräfte nutzbringend zu betätigen. – Also, um zum Schluß zu kommen. Ich gehe in mein Bureau und telegraphiere nach Paris. Du verständigst unterdessen den Doktor und Juffo.«

*

Der Flug wurde auf sieben Uhr morgens festgelegt. Bereits um sechs sollte die Maschine aus Paris eintreffen. Es war verabredet worden, sich in der Präfektur zu treffen, die Pässe und Polizeivollmachten in Empfang zu nehmen und dann gemeinsam nach dem Flugplatz hinauszufahren.

Die Nacht verging für alle Flugzeugteilnehmer – Renee und Juffo hatten ohne Zögern zugesagt – unter fieberhaften Vorbereitungen. Galt es doch nicht bloß die Überfahrt nach Bombay, sondern womöglich einen längeren Aufenthalt in Indien, da damit gerechnet werden mußte, daß Ivonne in das Innere des Landes verschleppt wurde und nur unter großen Hindernissen gerettet werden konnte. Man hatte auf Anraten des Präfekten beschlossen, sich offiziell als eine weltenbummelnde Jagdgesellschaft auszugeben und hatte auch die Papiere in diesem Sinne ausgestellt. So konnten die örtlichen indischen Behörden kein Mißtrauen fassen.

Fünf Minuten vor sechs traf das Flugzeug aus Paris ein und wurde sofort von einer Gruppe von Technikern und Ingenieuren noch einer letzten Besichtigung und Motorprüfung unterworfen. Unterdessen verfrachtete der vorläufig allein anwesende Juffo das gesamte Gepäck: Koffer, Zelte und Gewehre im Innern der recht geräumigen, für vier Passagiere berechneten Kabine.

Um dreiviertel sieben ratterte das Auto des Präfekten, der es sich nicht hatte nehmen lassen, die Herren persönlich zu begleiten, heran und hielt neben dem Leib des Riesenvogels, der unter dem Auf- und Abklettern der Mechaniker bebte und schwankte.

In letzter Minute war auf der Präfektur noch eine schlimme Botschaft aus Paris eingelaufen. Afru war entkommen! Die Polizeibeamten hatten erst lange vergeblich am Tor seiner Villa in Versailles gepocht und geklingelt, es schließlich gewaltsam geöffnet und im Innern des Hauses nichts als die etwas chaotisch verstreuten Überreste einer auf Flucht deutenden, überhasteten Abreise vorgefunden. Allem Anschein nach waren die Inder diesesmal endgültig verschwunden, denn auch das Gepäck der Dienerschaft, die Autos und sämtliche Benzinvorräte waren mitgenommen worden.

»Sie müssen mit dem Schlimmsten rechnen,« sagte der Präfekt sehr ernst zu Erwin, nachdem er ihm das Pariser Telegramm vorgelesen hatte. »Ich nehme an, daß sich Afru bereits ebenfalls auf dem Wege nach Indien befindet und sein früheres oder gleichzeitiges Eintreffen dürfte nicht nur ein Mißlingen Ihrer Pläne, sondern womöglich – was der Himmel verhüten möge – sogar den Tod Ihrer Frau im Gefolge haben!«

Man machte sich mit dem Piloten, einem früheren russischen Kampfflieger, Oberleutnant Sergej Gorbunow, bekannt, instruierte ihn über die Sachlage und bestieg dann das Flugzeug. Noch letztes Händeschütteln, letzte Wünsche und Abschiedsworte, dann begann der Motor zu bellen. Die Propeller wurden eingeschwenkt und eröffneten ihre rollende Musik. Das ganze Flugzeug schüttelte und bebte wie in wütender Erregung. Dann setzte es sich mit einem kurzen Ruck in Bewegung, eilte blitzschnell über das glatte Gelände und erhob sich ohne Anstrengung in schräger, immer mehr ansteigender Linie in die Luft. Bereits nach zwei Minuten war es in südöstlicher Richtung verschwunden.

*

Italien und das Adriatische Meer zogen unter den Fliegern vorüber. Um Mittag schwebten sie über dem Königreich Südslawien. Die wildzerklüfteten, schnee- und gletscherbedeckten Gipfel des Balkan- und Rhodopegebirges reckten ihre Häupter in bedrohlicher Nähe unter ihnen auf. Schließlich gingen sie in eine grüne, fruchtbare Ebene über, die von zwei breiten, in der Ferne scheinbar zusammenfindenden Flußläufen durchströmt wurde. Dann neue Hügel. Rechts eine gewaltige Wasserfläche. Nach einer halben Stunde links dasselbe Bild, plötzlich ein Gewirr von gelblichen würfelförmigen Gebäuden und minarettgeschmückten Moscheen. Querdurch eine blaufunkelnde Straße, das rechte und linke Wasser verbindend. Konstantinopel! Der Bosporus, die Fluten des Schwarzen Meeres in die Marmara hinüberleitend.

Weiter dröhnte der Propeller, ohne sein eintöniges Lied zu unterbrechen. Es begann langsam zu dunkeln. Der Sonnenball hing wie eine glühende, purpurne Träne im braunvioletten Dunst des westlichen Himmels, der von den Zacken eines felsigen Gebirges begrenzt wurde. Francois Courton löste den Oberleutnant Gorbunow am Steuer ab, der sich auch sogleich im bequemen Ledersessel des Ingenieurs ausstreckte und ohne etwas zu sagen einschlief. Unten glitten Kleinasiens nackte Berge, in ein eigenartig fahles Zwielicht getaucht, vorüber. Dann plötzlich und unvermittelt brach die Dunkelheit herein. Renee und Juffo schliefen nun ebenfalls. Erwin hielt es als einziger Wacher nicht mehr allein in der Kabine aus. Er ging nach vorne und setzte sich neben Francois. Obgleich er wußte, daß auch hier ein Gespräch infolge des Propellergetöses so gut wie ausgeschlossen sei, fühlte er sich in dieser Umgebung doch wohler als in dem Halbdunkeln, vom Dunst der schlafenden Männer erfüllten Passagierraum.

Um Mitternacht überquerten sie Armenien und im Morgengrauen gingen sie auf dem bei der persischen Residenz Teheran gelegenen Flugplatz des deutschen Äro-Lloyds nieder, um die Benzintanks zu füllen und die Motoren nachzusehen.

Nach zweistündiger Pause, in der die fünf Männer vergeblich versuchten, etwas Gelenkigkeit in ihre steifgewordenen Gliedmaßen zu bringen, bestiegen sie seufzend wieder ihr Flugzeug, um sich von neuem dem Reich der Lüfte anzuvertrauen. Diesesmal flogen sie jedoch nicht wie anfangs in südlicher Richtung, sondern steuerten direkt nach Süden über das persische Meer auf die Küste des Sultanats Oman zu. Diese Kursänderung war durch eine aus Frankreich für Erwin in Teheran eingelaufene Funkdepesche bewirkt worden, in der der Marseiller Präfekt ihm mitteilte, der Viktor Emmanuele befinde sich im Roten Meer vor Aden.

War der Flug bisher bei schönstem Wetter von statten gegangen, so zeigten nun doch im Westen sich auftürmende Wolkenmassen, daß Asiens Natur nicht gewillt sei, die fünf fremden Männer ohne Kampf in sein Inneres zu lassen. Je höher die Sonne stieg, um so drohender bewölkte sich der Himmel. Gelegentlich zuckten grelle Blitze und wurden von ohrenbetäubenden Donnerschlägen begleitet. Gorbunow setzte das Höhensteuer in Bewegung und ließ die Maschine steigen. Bald waren sie von düsteren Wolkenschleiern eingehüllt, die Bergketten Farsistans verschwanden, und endlich leuchtete wieder blauer Himmel. Allerdings von der Erde war nichts zu sehen, so weit das Auge reichte, brodelte in der Tiefe ein wild durcheinanderwogendes, donnerndes Wolkenchaos, dessen klobige, grotesk geformte Wogen wild gegeneinander stürmten. Dazu herrschte in dieser Höhe ein beträchtlicher Sturm, der sie, da die Erdorientierung versagte, leicht aus der eingeschlagenen Richtung bringen konnte.

Als etwa fünf Uhr nachmittags war, erklärte Gorbunow, sie müßten sich seiner Berechnung nach nunmehr längst über dem Sultanat Oman oder der arabischen Wüste befinden, und er werde daher zur Orientierung durch die Wolken hindurch bis auf eine geringe Flughöhe hinabgehen. Überdies schien das Gewitter nachgelassen zu haben, die violette Bronzefarbe der Wolken hatte sich verloren und war einem einförmigen, undurchdringlichen Grau gewichen.

Gorbunow drosselte den Motor ab, das Geräusch der Propeller verstummte, und sie begannen zu sinken, in langsamem Gleitflug, tiefer und tiefer, während die vorüberströmende Luft pfeifend an den Wänden des Führerstandes und der Kabine entlangbrauste. Regenfluten setzten plötzlich ein und überspülten trommelnd die Metallhaube der Kabine. Dann wurden schließlich wie durch einen dichten Schleier, allmählich aber immer deutlicher und deutlicher, die Umrisse eines bewaldeten Gebirges sichtbar.

Man holte Karten hervor und versuchte sich zu orientieren. Laut diesen war im östlichen Teil Arabiens nur an der Küste Osmans ein mittelgroßes Gebirge vorhanden, sonst aber dehnte sich überall unübersehbare Sandwüste. Sie gingen noch etwas tiefer und flogen dann scharf nach Westen, um an den Rand des Gebirges zu gelangen. Aber vergeblich. Sie sahen zuweilen langgestreckte Täler, in denen sich kleine Dörfer befanden, vor deren windschiefen Hütten sich die Menschen scharenweise versammelten, um nach dem schnarrenden Riesenvogel emporzustarren. Aber nirgends bemerkten sie auch nur das geringste Anzeichen einer wüstenähnlichen Landschaft.

»Wir sind überhaupt nicht in Arabien!« entschied schließlich Courton, als sie bereits eine Stunde dieselbe Richtung eingehalten hatten, ohne zu irgendeinem Ergebnis zu kommen.

»Der Sturm hat uns nach Osten abgetrieben und wir befinden uns in der Nähe des mittelasiatischen Gebirges. Diese Dörfer haben mir von Anfang an nicht nach arabischen Niederlassungen ausgesehen.«

Er wollte weitersprechen, hielt aber inne und wies auf zwei kleine Löcher, die sich plötzlich unter einem knirschenden Geräusch unten im Fußboden und oben in der Dachhaube gebildet hatten und durch die sogleich die vorwitzigen Regentropfen hereinzusickern begannen.

Erwin erfaßte als erster, worum es sich handelte.

»Wir werden beschossen!« rief er erregt.

Wie zur Bestätigung seiner Worte zerplatzte laut knallend eine Fensterscheibe und überschüttete die Insassen der Kabine mit einem Hagel von Glassplittern.

Gorbunow schien nun auch etwas gemerkt zu haben, denn das Donnern des Motors verstärkte sich plötzlich, wurde tief und dröhnend, und die Erde begann zu fallen. Durch ihre Krimstecher sahen sie noch eine Schar von berittenen Männern, die in wahnsinniger Eile eine Straße entlang sprengten und ihre langen Büchsen in die Luft abfeuerten. Es handelte sich wahrscheinlich um Soldaten irgendeines asiatischen Kleinstaates, die in dem auffallend niedrigen Flug des Äroplans einen Spionageakt witterten.

Sie flogen und flogen. Es wurde dunkel. Gorbunow und Courton wechselten wie am Abend vorher ihre Plätze. Erwin saß regungslos in seinem Sessel, obgleich er von einer verzweifelten Unruhe gefoltert wurde. Wenn sie auch den Viktor Emmanuele nicht abfingen! Aber wenigstens in Bombay mußten sie früher sein als der Dampfer.

Plötzlich fuhren alle auf. Selbst der ermüdete Gorbunow, der in einen todähnlichen Schlaf verfallen war. Der Motor hatte ausgesetzt. Einmal, zweimal schnarchte er noch asthmatisch auf, dann gab es ein lang anhaltendes böses Rasseln und dann wurde es ganz still. Nur das Singen der Luft!

Gorbunow sprang auf und eilte in den Führerstand. Ihm nach drängten die anderen Männer. Alle wußten, daß sich etwas Schlimmes ereignet haben mußte.

»Das Benzin ist alle ...!« erklärte Francois Courton achselzuckend und wies auf eine Meßuhr, deren Zeiger auf Null stand.

»Das ist unmöglich!« schrie Gorbunow. »Ich habe in Teheran sämtliche Tanks gefüllt! Mit dem Quantum müßten wir bis morgen abend reichen!«

»O ja, wir müßten ..., wenn wir nicht beschossen worden wären. Ich bin davon überzeugt, daß eine Kugel das Zufuhrrohr durchbohrt hat und daß der Inhalt der Tanks auf diese Weise zwar langsam, aber doch mit grausamer Sicherheit ausgelaufen ist!«

Ein minutenlanges Schweigen trat ein. Alle fühlten, daß der Ingenieur recht haben mußte, denn es gab schlechthin keine andere Erklärung.

Courton hatte wieder am Steuer Platz genommen und starrte auf die sich mit großer Schnelligkeit nähernde Erde hinab. Glücklicherweise hatten sich die Wolken nach Anbruch der Dunkelheit geteilt und das Licht des Mondes beherrschte, wenn auch ziemlich unsicher, das Gelände.

»Hinsetzen!« schrie Courton plötzlich warnend den anderen zu und machte eine verzweifelte Anstrengung, die Maschine zu fangen. Dicht unter den Rädern wurden die Gipfel ausgedehnter Tannenwälder sichtbar.

Nur so lange das Flugzeug in der Luft halten, bis eine Lichtung kam, nur so lange! Dann war alles gerettet! – Aber die Lichtung kam nicht. Es gab urplötzlich einen furchtbaren Stoß, so furchtbar, daß sämtliche Insassen aus ihren Sesseln gegen die ledergepolsterten Kabinenwände geschleudert wurden. Dann ließ sich ein Krachen, Prasseln und Splittern vernehmen, und die Maschine stand still. Rechts und links an die Fenster aber legten sich wie zahllose Finger grüne geisterhafte Hände die Kronen der Bäume, in denen das Flugzeug steckengeblieben war.

Erwin und Gorbunow wollten sofort hinaus. Aber Renee und Courton rieten energisch ab.

»Es hat keinen Zweck, daß ihr jetzt in der Nacht in den Wäldern umherirrt und euch allen möglichen Eventualitäten aussetzt,« sagte Courton. »Wir bleiben vorläufig in der Kabine, machen es uns so bequem wie möglich und schlafen bis Sonnenaufgang. Dann wollen wir weiter sehen.«

So schlimm der ganze Zwischenfall war, so erwies es sich am nächsten Morgen doch, daß er noch unangenehmer hätte ausgehen können. Denn die Maschine war bis auf ein paar Risse in den Tragflächen wunderbarerweise heil geblieben. Nirgends ein Defekt. Sogar die Propeller hatten sich so günstig in die Äste geschoben, daß man hoffen konnte, das Flugzeug gänzlich unversehrt auf den Boden zu bekommen.

Man schied sich in zwei Abteilungen. Erwin und Gorbunow begaben sich auf die Suche nach einer menschlichen Niederlassung, um Hilfe herbeizuholen, während die übrigen Männer das festgefahrene Flugzeug bewachen sollten.

Stundenlang wandelten die beiden Kundschafter umher. Immer weiter und weiter entfernten sie sich vom Landungsplatz, immer höher und höher stieg die glühende Sonne. Endlich um Mittagszeit bemerkten sie ein paar Lehmhütten, in deren Umgebung struppige Pferde weideten. Große Hunde stürzten laut bellend auf die Ankömmlinge los. Dann erschienen mehrere wenig Vertrauen erweckend aussehende Männer in langen, braunen Mänteln, und schlenderten ihnen, die Hunde zurückrufend, entgegen.

»Paß ... Paß!« war das erste, was sie mit lebhaften Handbewegungen verlangten. Allem Anschein nach hatte man es mit einer Grenzwache oder Gendarmeriestation zu tun. Als sie die gewünschten Papiere erhalten hatten, zogen sie sich zu einer langen Beratung zurück, flüsterten geheimnisvoll miteinander und erklärten schließlich durch nicht mißzuverstehende Gesten, die Herren müßten dableiben, bis die Pässe von irgendeinem »Pan Inspektor« visiert seien. Gorbunow suchte ihnen auf russisch begreiflich zu machen, daß das unter keinen Umständen ginge, da sie keine Zeit verlieren dürften, sondern im Gegenteil Hilfe brauchten, um ihr Flugzeug wieder flott zu bekommen. Aber die Leute ließen sich von ihrem Entschluß nicht abbringen. Das Flugzeug sollte zwar heruntergeholt und auf einen bequemen Startplatz transportiert werden, aber bis der Pan Inspektor käme, müßten die Herren sich schon gedulden.

Wann denn die Ankunft des Beamten zu erwarten sei?

Nun in ein, zwei Wochen höchstens!

Erwin war der Verzweifelung nahe. – Ein bis zwei Wochen. Dann konnte es längst zu spät sein. Bis dahin war Afru sicher dort und sorgte dafür, daß Ivonne heimlich verschwand. Allein weder Bitten noch Drohungen halfen. Er und Gorbunow wurden in einer Hütte eingeschlossen und am Abend kamen die drei anderen Herren, die man unterdessen auch dingfest gemacht hatte, noch hinzu.

Endlos krochen die Tage dahin. Kein Inspektor ließ sich sehen. Wenn man fragte, gab es nur die lakonische Antwort:

»Er wird schon kommen. Es hat ja noch Zeit!«

Als die zweite Woche zur Neige ging und sich noch immer keine Aussicht auf Befreiung zeigte, beschloß Erwin, einen der afghanischen Grenzwächter zu bestechen und mit dessen Hilfe heimlich davonzufliegen. Gorbunow, der sich dank seiner russischen Sprachkenntnisse zur Not mit den Eingeborenen verständigen konnte, führte die Unterhandlungen. Erst weigerte sich der Mann, aber dann, als er bares Geld sah, wurde er zugänglicher und versprach in der folgenden Nacht aus dem nahen Städtchen Chasch Benzin und einen Techniker herbeizuschaffen.

Diese Nacht war sehr dunkel, was der Flucht sehr zustatten kam. Ohne daß die schlafenden Wächter etwas merkten, hoben die Männer mit Hilfe einiger Werkzeuge, die ihnen der Afghane zugesteckt hatte, ein Fenster aus und eilten zum Startplatz. Der Techniker war mit dem Benzin bereits eingetroffen. In großer Hast machte man sich daran, beim Schein einiger Blendlaternen das durchlöcherte Rohr zu verlöten und die Tanks zu füllen. Nach Mitternacht war endlich alles fertig. Gorbunow kletterte in den Führerstand und ließ den Motor anspringen. Die elektrische Innenbeleuchtung erstrahlte, die Kabine wurde bestiegen und die Türen klappten dumpf zu. Gleich darauf begann das Flugzeug zu rollen und erhob sich nach wenigen Sekunden in die Luft. Fort ging es in rasender Fahrt nach Süden!

Am Nachmittag landete Gorbunow auf dem Flugplatz von Bombay. Erwin mietete ein Auto und fuhr direkt zum französischen Konsulat. Dort wurde ihm mitgeteilt, daß der Viktor Emmanuele am Vortage in Bombay eingelaufen und tatsächlich ein schwarzer Koffer, wie der von Erwin beschriebene, an Land gebracht worden sei. Soviel sich hatte beobachten lassen, war er in einem Luxuswagen des Maharadscha von Sukentala am Abend mit der Nordbahn abtransportiert worden.

Erwin bedankte sich und fuhr auf den Flugplatz zurück. Dort teilte er seinen Freunden alles mit, was er erfahren hatte. Es wurde beschlossen, ohne in Bombay Aufenthalt zu nehmen, sofort den Flug an die Grenze von Nepal, wo der Rajapalast von Sukentala am Ufer der Flusses Gandak gelegen war, fortzusetzen und nicht eher zu ruhen, als bis der Aufenthaltsort und das Schicksal Ivonnes erkundet war.


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