Henry Benrath
Die Kaiserin Konstanze
Henry Benrath

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Zehntes Kapitel

Schloß Jouy, 6.April 1197
Schloß Favara, 13. Juli 1197

Lothars Großvater, der fünfundsiebzigjährige Graf Gozelo de Jouy, hatte um die Dämmerung des 6. April 1197 einen Gang durch seine eben aufblühenden Mirabellengärten gemacht, als ihm die Ankunft seines Kuriers, des Herrn von Montigny, aus Palermo mitgeteilt wurde. Er kehrte in die Halle des Schlosses zurück und las am offnen Feuer den Brief seines Enkels:

Barcelona, 20. Februar 1197.

Mein verehrter und geliebter Großvater,

Sie werden sich vielleicht wundern, einen Brief von mir aus Barcelona zu empfangen und die Rückkehr Herrn von Montignys um etwa drei Wochen verzögert zu sehen. Ich hoffe, daß Sie sich weder um ihn noch um mich gesorgt haben. Es war der Wunsch der Kaiserin, daß ich für sie am aragonischen Hofe einige persönliche Angelegenheiten erledige. Da Herr von Montigny mit Ihren Nachrichten und Vorschlägen über die Zusammenlegung der Erbgüter mich gerade noch vor meiner Abreise am Hofe in Palermo erreichte, hat er die Seereise gemeinsam mit mir unternommen, damit wir genügend Zeit zum Besprechen hatten. Ich selber werde einige Wochen bei Pedro Vaqueiras in Romanien verbringen und von dort nach Lothringen zu Ihnen kommen. Da die Kaiserin meiner im Laufe dieses Sommers nicht bedarf, so kann ich auch die Eltern am Rhein besuchen und meine Rückreise bis in den Herbst hinausschieben. Herr von Montigny wird auf geradem Wege über das Languedoc, Macon, Chalon, Dijon, Vaucouleur und Toul nach Schloß Jouy heimkehren. Er wird Ihnen einige mir liebe Gegenstände mitbringen, die ich Sie für mich aufzubewahren bitte. Ich 292 brauche Ihnen nicht zu sagen, wie es mich beglückt hat, den ausgezeichneten Stand Ihrer Gesundheit und Ihre unverminderte Rüstigkeit zu erfahren. Auch mir geht es gut, wenngleich die immer noch währende Gefangenschaft meines Freundes Richard Ajellus mich so bedrückt, daß meine Freude an den Dingen der Welt sehr umdunkelt ist. Die Kaiserin und ich haben alles nur Erdenkliche versucht, seine Befreiung zu erwirken: es ist uns, wie Sie sehen, nicht gelungen. Und wir fragen uns – angesichts der gespannten Lage – ob es uns in absehbarer Zeit gelingen wird. Ich wünschte mir, einige Monate weiter zu sein, um etwas mehr Klarheit über eine Entwicklung zu haben, von der ich mir nicht viel Erfreuliches verspreche. Sie haben viele Dinge in Ihrem Leben kommen und gehen sehen und stehen heute abseits von Geschehnissen, welche uns auf den Nägeln brennen. Glauben Sie nicht, daß ich mutlos oder gar hoffnungslos sei. Doch ist es nicht leicht, immer wieder feststellen zu müssen, daß die Menschen sich durch ihre sinnlosen, oft niedrigen Leidenschaften das Leben so sehr verbittern, anstatt es sich durch Beherrschtheit so erträglich wie möglich zu machen. Am allerschlimmsten aber erscheint mir, daß sie selbst aus den schmerzlichsten Erfahrungen nicht das geringste zu lernen vermögen, sondern immer wieder die gleichen Irrtümer von neuem begehen. Es mag Ihnen merkwürdig erscheinen, daß ein Mensch, der eben gerade die Dreißig überschritten hat, schon zu dieser trüben Erkenntnis gekommen ist. Doch kann ja keiner seinem Geist verbieten, zu sehen, was er sieht, und zu denken, was er denkt. Erwägt man die Unberechenbarkeit aller menschlichen Schicksale, den häufigen Eintritt des 293 Unerwarteten im äußeren Ablauf eines Lebens, so kommt man leicht zu der Ahnung, wenn nicht der Gewißheit, daß das beschwingte Spiel des Geistes das einzige Gut sei, das unser Dasein erträglich macht: das einzige auch, das uns unzweideutig mit Gott selbst verbindet.

Leben Sie wohl für heute, lieber Großvater, und glauben Sie mir, daß ich die Stunden zähle, bis ich mit Ihnen über viele Dinge sprechen kann, die mich bewegen. Sie haben ja immer gefunden, daß der Jouy in mir nicht schwächer sei als der Ingelheim.

Ihr Sie von Herzen verehrender Enkelsohn

Lothar Ingelheim.

Der alte Graf Jouy ließ die Pergamentblätter zusammenrollen. Sein Gesicht hatte einen bekümmerten Zug angenommen . . .

– Reichlich früh, sagte er vor sich hin. Die nicht denken können, sind besser daran. Aber das ist nicht die Art der Jouy . . . Sie leben, weil sie denken . . .

Und er machte sich daran, ein sorgfältig verpacktes Lederetui zu öffnen, das ihm als erster der übersandten Gegenstände in die Hände kam. Engbeschriebene, dünne Blätter fielen ihm entgegen . . . Er betrachtete sie, sah sich plötzlich fast erschrocken um, als ob jemand neben ihm stünde – legte sie dann in ihre Hülle zurück und verschloß sie in einem eisernen Schreine seines Schlafzimmers. Vier Abende brauchte er, bis er die Geheimschrift entziffert hatte, zu welcher er allein den Schlüssel besaß – –

Als seine Tochter Solange, Lothars Mutter, ein paar Tage später für einige Wochen zu ihm kam, konnte er ihr einen sorgfältig umgeschriebenen Text vorlegen: 294

 

Aufzeichnungen aus den Jahren 1195 bis Anfang 1191. Am königlichen Hof zu Palermo in Serviundo Reginam

 
Schloß Favara, am 26. Mai 1195.

Wir sind, nachdem ich, vom Splügenpaß zurückkehrend, die Kaiserin in Neapel erwartet hatte, unter dem Geläut aller Glocken in der Frühe des Pfingstsonntags in Palermo angekommen. Hätte ich nicht Richards mutige und zuversichtliche Worte wie einen Talisman in mir bewahrt: ich weiß nicht, wie ich diese ›Heimkehr‹ ertragen hätte. Die Kaiserin bewies eine übermenschliche Beherrschung. Eine große Ergriffenheit bemächtigte sich der Menge, als man sie in Schwarz auf der Schiffsbrücke erscheinen sah. Die kaiserlichen Herren waren sehr bestürzt über diese unerwartete Durchbrechung des Festzeremoniells. Die Verwirrung erreichte ihren Höhepunkt, als die Kaiserin, nachdem der Podestà ihr Salz und Brot gereicht hatte, mit klarer, stiller Stimme sagte:

– Wem die Trauer näher am Herzen sitzt, der soll trauern. Wem die Freude, der soll sich freuen. Wir sind gekommen, Wunden zu heilen, nicht Feste zu feiern. Wir sind gekommen, zu schützen und zu behüten, aufzurichten und das Aufgerichtete zu bewahren. Wir bitten alle, die ihre Heimat lieben, Uns zu helfen und an Unseren guten Willen zu glauben. Wir verfolgen keine Ziele für Unsere Person, sondern nur für Unser Vaterland. Wir wünschen sogleich, inmitten Unseres Volkes, am Hochamt im Dome teilzunehmen.

Die Menge flutete nach dieser Begrüßung gegen die Kathedrale hinauf. Der Kanzler Walther Pagliara fand 295 sich mit Anstand und sichtlicher Zufriedenheit in die neue Lage, der Erzbischof Bartholomäus kämpfte mit den Tränen, der Gesandte des Kaisers, Konrad von Querfurt, wußte vor Verlegenheit nicht, wohin er blicken sollte, der Marschall Heinrich von Kalden, der uns – niemand weiß, wozu – begleitet hat, sah in der Ansprache einen ›Affront‹, der schlimmer sei als eine verlorene Schlacht . . . Als wir die Pferde bestiegen, befahl die Kaiserin, die Absperrungen aufzuheben. Die Tochter Rogers fürchte ihr Volk nicht. Das Wort ›die Tochter Rogers‹ fuhr wie eine Flamme in die Herzen . . . Aus Tausenden von Kehlen drang es in die Lüfte, begleitete unsren Zug, der sich langsam gegen den Domplatz hinauf bewegte. Dort lag die Menge auf den Knien. Niemand hatte vor der Kaiserin den Dom betreten. Da, am Portale, gab ihr Herz ihr den zweiten Einfall: sie machte eine einladende Geste an die Wartenden, vor ihr einzutreten. Niemand ging: ›Prima la Figlia di Ruggero – dopo noi‹ tönte der Ruf. Ganz allein, weder von dem Erzbischof noch von dem Kanzler geführt, betrat sie das Innere und wandte sich sogleich gegen den Thronsessel am Hochaltar. Alle Portale blieben offen. Bis in entfernte Straßen drängten sich die Menschen. Für ganz Palermo, für ganz Sizilien wurde an diesem Pfingstsonntag das Hochamt gefeiert.

Als wir uns zur Fahrt in das Schloß Favara rüsteten, während die Herren der Begleitung, unter ihnen auch Konrad von Querfurt, nach dem nahen Kasr aufbrachen, wo ihnen Wohnungen bereitgestellt sind, sagte die Kaiserin zu Kalden:

– Ich erwarte von Ihnen, daß Sie Seiner Majestät auf das genaueste berichten, wie Ich meine Pflichten 296 auffasse. Versuchen Sie, solange Sie in meiner Nähe sind, die Seele dieses Volkes zu verstehen. Sie können dem Reich unschätzbare Dienste tun, wenn Sie sich bemühen, ein wenig sizilisch zu denken. Den politischen Empfang, den der Statthalter für heute abend angesetzt hatte, setze ich ab. Es werden überhaupt in diesem Sommer keine Empfänge abgehalten. Es wird gearbeitet und wiedergutgemacht. Geben Sie diesen meinen Befehl einstweilen bekannt, damit niemand seine kostbare Zeit verliert, der am Hofe nichts zu suchen hat.

 
10. Juni 1195.

Die Kaiserin ist besorgt, daß die Auflösung der Konkordate durch den Kaiser Sizilien dem Papst gegenüber mehr ins Unrecht setze als nötig sei. Daß der Kaiser das von Tankred 1192 abgeschlossene Konkordat nicht anerkenne – sowenig wie sie selbst es tue – sei selbstverständlich. Warum er jedoch durch Beseitigung des von ihrem Bruder, dem König Wilhelm I., beschworenen den Papst unnötigerweise vor den Kopf stoße, sei ihr unverständlich. Auch das Verbot der Laien- oder Priesterberufungen an die Kurie gehe zu weit. Gerade weil sie dem Papst gegenüber eine selbstbewußte Politik zu führen wünsche, seien ihr Überspannungen des Bogens unerwünscht. – Sie hat in diesem Sinne an den Kaiser geschrieben.

 
28. Juli 1195.

Die Kaiserin hatte sich Anfang Juli auf das heftigste dagegen zur Wehr gesetzt, daß der Papst über ihren Kopf hinweg (und gegen die Bestimmungen des Beneventer Konkordates) die Besetzung von 297 Bischofsstühlen vornehme. Er wollte seinen Freund Hugo von Troia als Erzbischof von Siponto inthronisieren, was sie sich auf das bestimmteste verbat. Ihr Brief an die Kurie ließ an Schärfe nichts zu wünschen übrig. Nun aber stellt es sich heraus, daß der Kaiser dem Papste Coelestin, um ihm eine Freundlichkeit zu erweisen, die Erfüllung seines Wunsches zugesagt hat, ohne die Regierung in Palermo vorher zu befragen, was von der Kaiserin als ein unmöglicher Eingriff in ihre Befugnisse und als eine Herabwürdigung der sizilischen Selbständigkeit aufgefaßt wird. ›Es können nicht‹, sagte sie mir, ›sizilische Grundrechte in der Reichspolitik ausgespielt werden, wenn es dieser gerade in ihren Kram paßt. Wohin kämen wir, wenn eine solche üble Gepflogenheit einrisse?‹

Sie sprach sehr ruhig. Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß ihr ganzes Wesen in einer überwachen Anspannung gehalten wird, weil sich ihr auf Schritt und Tritt die innere Unvereinbarkeit reichspolitischen und nationalpolitischen Denkens dartut. Wenn sie mir einmal sagte: ›Es sind ja nicht eigentlich die großen, greifbaren Fragen, welche den wirklichen Sinn der Politik bestimmen, sondern die kleinen, unscheinbaren Zwischendinge, für die es kaum einen Namen gibt‹, so hat sie damit wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Da fällt mir gerade Querfurt ein. Dieser Mann, der als kaiserlicher Beamter in kaiserlicher Atmosphäre ohne Zweifel ausgezeichnete Dienste leistet, ist lächerlich am Hofe von Palermo. Er macht den Schöngeistigen – glaubt aber allen Ernstes an den Zauberer Vergil. Er findet sich bedeutend, weil er eine – höchst fragwürdige – Liebe zur Antike hat. Er empfindet sich als wichtig, 298 weil er ein Studienfreund des Kardinals Lothar von Segni von Paris her ist. Die Kaiserin kann ihn nicht mehr sehen und wartet darauf, daß er endlich nach Apulien abreist, um die Aufstellung des Kreuzzugheeres zu überwachen. Er hat sich hier in Steuerfragen eingearbeitet. Man fragt sich, wozu . . . Auch der Kanzler Pagliara fragt es sich.

 
29. Juli 1195.

Wir hören von dem schlechten Gesundheitszustand des Kaisers. Die Ruhr, die ihn jedesmal befällt, wenn er nach Süditalien kommt, läßt ihn nicht los. Daß er ihr bis jetzt noch nicht erlegen ist, beweist die Zähigkeit seiner Natur. Die Kaiserin weiß, daß das Reich nur auf seiner Person steht. Sie wittert mit einer Art sechsten Sinnes das Mißverhältnis zwischen dem äußeren Glanz dieses Reiches und seiner inneren Schwäche. ›Es klingt hohl, wenn man schreitet . . .‹, ist ein Wort von ihr. Es ist lächerlich, wenn oberflächliche Menschen glauben, sie warte nur auf den Tod des Kaisers, um in Sizilien frei schalten zu können. Der Kaiser als Sinnbild der Reichsmacht und der Kaiser als ihr Gemahl sind für sie zwei völlig verschiedene Werte. So gleichgültig und vielleicht widerwärtig ihr dieser sein mag, so sehr begreift sie die Notwendigkeit, daß jener da sei. Zum mindesten so lange da sei, bis sie im Königreich gegen die kaiserlichen ›Statthalter‹ oder Vögte überlegene Gegenkräfte schaffen konnte, welche jederzeit imstande sind, eine Ausbeutung oder Tyrannisierung durch die Besatzung unmöglich zu machen. Stürbe der Kaiser vor der Festigung ihrer Macht in ihrem Erblande, so wäre sie ein Spielball zwischen der Beutegier der kaiserlichen 299 Statthalter und der Herrschsucht der apulisch-sizilischen Baronie. Aus einem solchen Zwiespalt könnte sie nur ein Dritter retten: der Papst. Das hieße, daß sie sich ihm bedingungslos unterwürfe und ihr Land als sein Lehen anerkennte. Es erschüttert mich, mit welcher grausamen Klarheit sie diesen Möglichkeiten ins Auge sieht. Sie ist in solchen Augenblicken von einer Größe, die vielleicht gerade auf einen Geist von der Artung des meinen einen besonderen Eindruck macht. Sich furchtlos den Wirklichkeiten stellen, ist – für mich – das größte Heldentum, das es gibt. Größer als das, welches Vaqueiras sieht. Es gelingt ihm niemals ganz, sich von der Wirkung der schönen Geste frei zu machen. Er ist von Toulouse. Es ist nicht nötig, daß er weiter dringe als es der Stoff, aus dem er geformt ist, verlangt. Er ist der Kaiserin unentbehrlicher als je. ›Le détendeur‹ hat sie ihn genannt, den ›Entspanner‹. ›Und was bin ich?‹ habe ich sie gefragt . . . ›Sie sind immer nur Lothar Ingelheim‹, hat sie geantwortet . . . Soll ich mich freuen? Soll ich mich nicht freuen?

 
5. August 1195.

Ich habe neulich beim Reiten einen unvergleichlichen Strand entdeckt, der zwischen dem Pellegrino und dem Capo Gallo liegt. Ich habe der Kaiserin nahegelegt, sich dort ein Sommerhaus bauen zu lassen . . . Sie hat mich mit einem seltsamen Blick angeschaut: ›Für wen? Für mich allein? Sommerhäuser bauen sich Glückliche, die wissen, wen sie am Abend erwarten dürfen‹ . . . Nachdem sie lange geschwiegen und dem Spiel der Goldfische zugeschaut hatte, sagte sie plötzlich: ›Ich will Ihnen dort einen Pavillon bauen lassen‹ . . . Ich erwiderte: ›Ich 300 weiß auch nicht, wen ich am Abend erwarten darf‹ . . . ›Haben Sie es nie gewußt?‹ fragte sie, ohne mich anzusehen . . . ›Doch, es gab eine Zeit, wo ich es gewußt habe‹ . . . ›Nun,‹ sagte sie, ›es wird eine Zeit geben, wo Sie es wieder wissen werden. Sie sind ein Mann, und kaum dreißig Jahre alt‹ . . . ›Ich glaube nicht mehr an die äußere Zahl‹, erwiderte ich . . . ›Und ich nicht mehr an die innere‹, schloß sie das Gespräch.

 
12. September 1195

Aus Deutschland kommt die Nachricht, daß Heinrich der Löwe am 2. August in Braunschweig gestorben ist. Wir hören gleichzeitig, daß es dem Kaiser besser geht, und daß er seinen Bruder Philipp, den Herzog von Tuskien, Markward von Anweiler, den Markgrafen von Ancona und Herzog von Romagna, sowie den Gesandten Konrad von Querfurt nach Deutschland zur Berichterstattung abgerufen hat. ›Schade,‹ sagte die Kaiserin, ›daß ich diese Berichterstattung nicht mit anhören kann‹. Der Ton, in dem sie sprach, war von einer außergewöhnlichen Bitterkeit. ›Sie wissen noch nicht,‹ fuhr sie fort, ›welche schöne Nachricht heute eingetroffen ist: Herr von Querfurt läßt auf Befehl des Kaisers die Mauern von Neapel und Capua schleifen . . . Was sagen Sie dazu?‹ ›Das ist doch nicht möglich!‹ ›Nun, dann will ich Sie mit den Herren bekanntmachen, die mit dem Morgenschiff angekommen sind‹ . . . ›Aber was ist denn der Grund?‹ ›Es gärt angeblich! Man wird so lange sagen: es gärt – bis es gärt . . . Es sieht beinahe darnach aus, als ob man diese Gärung wolle . . . Man soll sich in acht nehmen . . . Ich wäre ohnmächtig, wenn man den Bogen überspannte . . . Pagliara ist 301 ebenfalls sehr empört über diese Maßnahme. Man wird sich natürlich an mich um Aufklärung wenden. Wie soll ich ein solches Vorgehen decken? Soll ich den Glauben an die Ehrlichkeit meiner Absichten vielleicht erschüttern lassen, nachdem er sich in allen Teilen der Bevölkerung so fest eingewurzelt hat? Niemals! Ich lasse den Brief bekanntgeben, in dem ich beim Kaiser Einspruch erhebe! Das Vertrauen des Volkes ist mir wichtiger als die gute Laune des Prinzgemahles . . . Querfurt ist falsch. Ein hinterlistiger Schönschwätzer und eitler Selbstberäucherer. Der weibische Pfaff in Seide, wie er im Buch steht. Auch Pagliara kann ihn nicht riechen. Ich habe schon daran gedacht, ob ich Sie sofort zum Kaiser senden soll. Aber ich bin rasch von dem Gedanken abgekommen. Sie müssen aus dem häßlichen Spiele bleiben. Sie sind mir zu gut dazu. Ich werde abwarten. Wir werden ja bald sehen, welcher Wind von den Alpen herüber bläst. Aus Messina kommen ebenfalls Klagen über Eingriffe in die Hafenverwaltung. Bis nach Castrogiovanni hinauf, zum Grafen Jordanus Monachus, einem entfernteren Verwandten meiner Familie, sollen die Schnüffeleien und Bevormundungen durch unverschämte Landsknechte gehen. Pagliara will eine Erkundungsreise durch die entlegeneren Teile des Landes machen. Wenn es Ihnen Freude macht, ihn zu begleiten, gehen Sie mit ihm. Er ist ein durch und durch kaisertreuer Mann, der sich aber ein klares Empfinden für die sizilischen Notwendigkeiten bewahrt hat. Er hat eine Vorliebe für Sie und möchte Sie gerne im außenpolitischen Reichsdienst sehen. Als ich ihm sagte, daß Sie selbst das unmittelbare Anerbieten des Kaisers abgelehnt haben, blieb er sprachlos . . . 302 Aber wer weiß . . . Vielleicht entschließen Sie sich doch noch‹ . . . ›Niemals, Majestät! Und weniger als je . . . Ich bleibe bei Ihnen, solange Sie mich wünschen. Und müßte ich von Ihnen fortgehen, so würde ich die Güter meines Großvaters Jouy bewirtschaften, dessen einziger Erbe ich bin‹ . . . Die Kaiserin schaute durch das Fenster und trommelte mit den Fingern auf der Stuhllehne. Dann sagte sie: ›Legen Sie sich noch nicht ganz fest, Lothar. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, die Sie bestimmt nicht ausschlagen würden. Aber von ihr ist heute noch nicht zu sprechen‹ . . . Dann verabschiedete sie mich, um päpstliche Legaten zu empfangen, die mit einigen lombardischen Herren eingetroffen sind.

 
20. Oktober 1195.

Diepold von Vohburg hat in dem geschleiften Capua den gefährlichen Grafen von Acerra, den Bruder der gefangenen Königin Sibylle, aufgestöbert und festgesetzt. Ein Mönch hat ihn verraten, als er gerade seine Vorbereitungen getroffen hatte, um außer Landes zu gehen. Die Kaiserin freut sich über diese Gefangennahme. Sie behauptet, daß Acerra den Befehl zu ihrer Verhaftung in Salerno gab.

 
30. Oktober 1195.

Der Graf Jordanus Monachus aus Castrogiovanni ist heute bei Hofe erschienen und von der Kaiserin mit offensichtlicher Bevorzugung empfangen worden. Ein noch jugendlicher, sehr schöner Mann von allerdings dürftiger Bildung. ›Homme à femmes‹, sagen die Pariser. Er gilt als ein genauer Kenner der sizilischen Gebirgsprovinzen und wird einige Tage zu 303 Besprechungen hier bleiben. Die Kaiserin will eine Art Abwehrdienst gegen unzulässige Übergriffe der Besatzungssoldaten ins Leben rufen, um den blutigen Händeln, die sich häufen, vorzubeugen. Es scheint, daß bis jetzt nur die Süd- und Westküste von schlimmen Zusammenstößen verschont geblieben sind. In der Terra di Lavoro sollen die Leute Diepolds übel hausen, zumal sie ewig betrunken sind. Sie vertragen die schweren Squinzano-Weine nicht. Die Kaiserin läßt eine beglaubigte Liste aller täglich gemeldeten Vorkommnisse aufstellen, die sie einem der nächsten Reichstage unterbreiten wird. Ich höre, daß sogar der Papst im Namen der Kirche über einige Vorkommnisse interpellieren wird . . . Nutzloses Unterfangen. Der Kurs der kaiserlichen Politik in Sizilien ist von Grund aus falsch. Das Steuer jetzt plötzlich herumzuwerfen ist unmöglich. Ich spüre genau was die Kaiserin spürt: wenn nicht ein Wunder geschieht, treiben die Dinge für Sizilien oder für den Kaiser zur Katastrophe. Es wäre grauenvoll, wenn die Kaiserin vor ein Entweder-Oder gestellt würde . . . Ich fange an, ängstlich zu werden. Ich weiß nicht, warum die Leute aus Rom und der Lombardei immer noch hier sind.

 
Im Kasr, 9. November 1195.

Wir sind in das Stadtschloß übergesiedelt. Meine Zimmer gehen auf die roten Kuppeln von S. Giovanni degli Eremiti. Es ist still bei Hofe geworden. Immer noch keine Empfänge. Viele Abende in langen Gesprächen mit der Kaiserin und dem Kanzler, der in der völligen Einverleibung ganz Italiens und Siziliens in das Reich die einzige Möglichkeit einer auf den lebendigen 304 Reichsgedanken, nicht aber auf die jeweilige Person des Herrschers gestellten statischen Reichspolitik sieht. Merkwürdig, wie die sogenannte ›beherrschende Idee‹ das Witterungsvermögen selbst kluger Menschen für die Wirklichkeiten abstumpft. – Die Kaiserin ist verändert. Sie ist oft in sich selbst versunken, erscheint übermüdet von den vielen unerfreulichen Regierungsgeschäften und klagt über innere Schmerzen. Sie hat einen langgeplanten Empfang des hohen Klerus auf unbestimmte Zeit verschieben lassen. Das will, angesichts ihrer engen Beziehungen zu der Kirche, viel heißen. Der Kanzler sieht das Herumhocken der geistlichen Herren bei Hofe nicht gerne. Er ist sehr mißtrauisch gegen ihr Kommen und Gehen. Die Kaiserin begegnet seinen Einwänden meist mit einem Lächeln: sie wisse, was sie bezwecke. Sollte der Kanzler es wirklich nicht ebenfalls begreifen?

Es ist ein neuer Kurierdienst mit Foligno, dem Aufenthaltsort des Kronprinzen, eingerichtet worden. Zweimal wöchentlich, Sonntags und Mittwochs, geht ein Offizier nach Umbrien, zweimal – von Anfang Dezember an – wird einer zurückkommen. Die Fahrten gehen abwechselnd zwischen Neapel, Rom und Gaëta. Jeder Bote muß sich persönlich von dem Befinden des Knaben überzeugen. Die Berichte der Herzogin von Spoleto genügen der Kaiserin nicht mehr. Sie trägt sich mit dem Gedanken, im Frühjahr 96 eine Reise durch ganz Sizilien und Apulien bis nach Foligno zu unternehmen. Es scheint, daß ihr der Graf Jordanus Monachus von Castrogiovanni den Gedanken eingegeben hat. Der Kanzler äußert sich nicht.

Der Nachrichtendienst mit Apulien und Calabrien 305 liegt sehr im argen. Ich habe schon ein paarmal angeregt, den Hof in gewissen Abständen nach Messina zu verlegen, wo die Flotte ihren Hauptstützpunkt hat. Angesichts des bevorstehenden Kreuzzuges jedoch ist dieser Plan wegen Mangels an Raum offenbar nur schwer durchzuführen. Jedenfalls lehnte ihn der Kaiser mit Heftigkeit ab. ›Er wird wissen, warum‹, sagte mir die Kaiserin sehr bitter. ›Ich soll nicht sehen, wie es aussieht da drüben. Palermo ist weit vom Schuß – und von Spionen gut zu kontrollieren. Ich möchte wissen, was die vielen jungen Leute hier tun, die jetzt plötzlich ein so starkes Bedürfnis verspüren, Arabisch zu lernen . . . Lauter Söhne von Ministerialen, die Herr von Kalden hierher empfohlen hat. Wollen sie nächstens den Islam bei sich zu Hause predigen? Ich habe schon erwogen, ob ich nicht junge Landsleute an den kaiserlichen Hof schicken soll . . . Aber es wird ja kein Sizilianer zu bewegen sein, über die Alpen zu gehen.‹ Unfaßlich, wie vergiftet schon die Luft ist. Gewalt erzeugt Lüge. Lüge erzeugt das Verbrechen . . . Aber der blaue Sommer über diesem Lande will dieses Jahr kein Ende nehmen. Ganz Palermo schwimmt im Duft der Nespolblüten.

 
1. Dezember 1195.

Die Kaiserin ist zwei Tage lang nicht zu sehen gewesen. Es sind Boten vom Kaiser mit wichtigen Briefen angekommen. Ich erfuhr heute vom Kanzler, daß Konrad von Querfurt auf seine sizilische Berichterstattung hin vom Kaiser zur sofortigen Rückkehr nach Apulien aufgefordert und mit sehr erweiterten Befugnissen ausgestattet worden ist. Sein eigner Brief, in dem er diese 306 Dinge der Kaiserin mitteilt, ist unterzeichnet mit den Worten: ›Aulae imperialis cancellarius, totius Italiae et regni Siciliae legatus‹ – ›Kanzler der kaiserlichen Regierung, bevollmächtigter Gesandter für das gesamte Italien sowie das Königreich Sizilien.‹

Der Kaiser läßt außerdem mitteilen, daß er auf den sechsten Dezember einen Reichstag nach Worms einberufen und den Fürsten seinen Verfassungsreform- und Erbfolgeplan vorlegen werde, welcher die völlige Einverleibung Siziliens in das Reich vorsieht.

Es scheint, daß diese beiden Nachrichten die Kaiserin krank gemacht haben. Es gelingt mir weder Anne de Perche noch Berengaria zu sprechen. Der Kanzler ist guter Dinge. Er sagt Pedro das goldne Zeitalter voraus. Aber Pedro, der kaiserliche, der hohenstaufische Tolosaner, ist hellhörig geworden. Es scheint mir, auch er hat den hohlen Ton schon vernommen. Zumal uns ja manchmal auch eine Nachricht aus dem Lateran zukommt . . . Ich erfahre soeben, daß die Kaiserin für den Abend des 6. Dezember – also den Tag der Eröffnung des Reichstags von Worms – ein äußerst prunkvolles Abendessen für die Baronie angesetzt hat.

 
2. Dezember 1195.

Pedro ist heute über Marseille nach Toulouse abgereist.

 
7. Dezember, um drei Uhr früh, 1195.

Die Kaiserin war vollkommen am heutigen Abend. Sie hat sich selbst übertroffen. Der Eindruck, den die Teilnehmer des Reichstages von Bari im vergangenen April von ihr empfingen, muß ähnlich gewesen sein. Es ist schade, daß der Kaiser nicht als unsichtbarer Gast 307 diesem Fest beiwohnen konnte. Er hätte vielleicht in wenigen Stunden mehr über Sizilien gelernt als in vielen Jahren. Die deutschen Herren, besonders der Herzog von Spoleto, waren sehr betroffen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Land hinter seiner rechtmäßigen Königin steht und für sie zu jedem Opfer bereit ist.

 
17. Januar 1196

Die Berichte über den Reichstag von Worms sind angelangt. Pagliara hat sie mich lesen lassen. Warum? Hat er noch andere, geheime, die etwas gedämpfter lauten? Weiß er, daß die Kaiserin schon auf das genaueste – und sicherlich besser als er – durch Rom unterrichtet ist? Ich frage mich oft, wie weit eigentlich Spiel und Gegenspiel schon gediehen sind. Ich war überrascht, als mich die Kaiserin heute nach Tisch in ihr Arbeitszimmer befahl und um meine Meinung über den Erbrechtsplan befragte. Ich sagte Ihr etwa das Folgende:

›Der Plan, dies deutsche Wahlkaisertum in ein Erbkaisertum der Hohenstaufen zu verwandeln, entspringt – sofern ich nicht irre – der Überzeugung, daß ein Weltreich, wie es der Kaiser anstrebt, nicht von Hand zu Hand wandern kann, sondern an ein- und dieselbe Dynastie gebunden sein muß, sofern es Bestand haben und sich entfalten können soll. Wenn ein Teil des Reiches Erbreich ist, nämlich Sizilien, so muß es auch das Ganze sein. Sonst würde sich ja bei der Wahl eines deutschen Königs aus anderem Stamme zwangsläufig Sizilien wieder vom Reiche lösen. Diese Gefahr könnte für die nächste Generation nur vermieden werden, wenn sich die deutschen Fürsten entschlössen, den Sohn des Kaisers, Konstantin, so bald als möglich zum 308 deutschen König zu wählen. Dies ist noch nicht geschehen. Ob es geschehen wird, bleibt dahingestellt und hängt von der Entwicklung der Verhältnisse in Deutschland ab: das heißt, von der Stellung der Fürsten zum Kaisergedanken selbst. Der Kaiser bietet den Fürsten die Erblichkeit ihrer Lehensländer, auch in der weiblichen Linie, an. Die Frage ist, ob die Fürsten für dieses Angebot ihre mitbestimmenden Rechte bei der Gestaltung des deutschen Königtums oder Kaisertums aufgeben wollen. Nehmen die Fürsten den Erbrechtsvorschlag an, so kann der zukünftige Erbkönig-Kaiser auf jede Krönung durch den Papst verzichten. Widersetzen sie sich, so bleibt nach wie vor das alte Wahlrecht bestehen. Will der Kaiser die Wahl seines Sohnes durchdrücken, so wird dies kaum ohne große Zugeständnisse an die Fürsten abgehen. Es wäre also unter solchen Umständen wohl erst die Aufgabe des zukünftigen gleichzeitigen deutschen Wahl- und sizilischen Erbkönigs, durch eine erfolgreiche Regierung den Erbreichgedanken schmackhaft und annehmbar zu machen – oder durch kriegerische Entscheidung die Fürsten zu seiner Annahme zu zwingen . . .‹

›Das ist das Wort: zwingen! Die Fürsten zwingen! Glauben Sie, daß ich dieses Geschenk meinem Sohne mit auf seinen Weg geben möchte? Nein. Tausendmal nein! Die sieben Monate, die seit meiner Ankunft im Lande hier verflossen sind, haben mir gezeigt, wohin Zwang führt – und voraussichtlich noch weiter führen wird. Der Gedanke des Kaisers ist groß in sich; ich bin die letzte, es zu leugnen. Seine Verwirklichung ist unmöglich. Die Fürsten werden nicht zustimmen. Ein Teil vielleicht. Aber dann ist wieder die Gegenkoalition 309 auf dem Plan – und das alte Gezerr geht von neuem los. Eine solche Lage mit allen ihren Folgen heraufzubeschwören, wird der Kaiser angesichts seiner Ostpläne nicht wagen. Er wird einlenken, wie noch immer, wenn wirkliche Gefahr droht. Aber der Plan hat noch einen anderen Haken: soll Sizilien, wenn es erst einmal in das Reich eingegliedert und diesem durch die Person des gemeinsamen Herrschers verbunden ist, vielleicht für die Fehlschläge kaiserlicher Politik herhalten? In Katastrophen gezogen werden, die es nichts angehen? Die Bindung Siziliens an das Reich darf nicht so weit gehen, daß des Reiches Verderb auch der seine würde!‹

›Aber wie weit soll sie denn nach der Meinung Eurer Majestät gehen? fragte ich . . . Wo ist denn die Grenze?‹

Die Kaiserin stand auf. Sie ging hin und her, blieb schließlich an einem Büchergestell stehen und legte den Arm, in dessen Biegung sie die Stirn verborgen hatte, gegen die Pergamentrücken der Folianten . . .

›Die Grenze,‹ sagte sie leise, ›die Grenze . . . Wenn ich das genau wüßte, Lothar, wäre ich meine schlaflosen Nächte los . . .‹

Dann kam sie zu mir, faßte mich an beiden Schultern und sah mich mit einem so gequälten Blick an, wie ich ihn nie zuvor an ihr gesehen hatte:

›Einem muß ich es sagen: Es trägt sich nicht mehr allein. Ich sage es dem Einzigen, dem ich es wage, mich anzuvertrauen: Sizilien darf nicht in das Reich mit diesem Kaiser und seinen Helfershelfern – in keiner Form und um keinen Preis . . .

Was ich wollte, woran ich glaubte, wofür ich den 310 Frieden meines Lebens opferte: das erfüllt mir vielleicht noch einmal mein Sohn, wenn man die Mutter in ihm leben läßt . . . Sonst – keiner mehr‹ . . .

Ich ging in dieser Nacht noch lange am Meere auf und nieder. Wie ist es möglich, daß ich die Nähe des Verhängnisses nicht früher und deutlicher spürte: es hängt schon in den Lüften. Kein Wille mehr ist frei. Alle sind darin verstrickt, ein jeder nach seinem Gesetz. Keiner kann helfen.

 
20. Januar 1196.

Es wird bekannt, daß der König Amalrich von Cypern eine Huldigungsgesandtschaft an den Kaiser geschickt hat. Rom meldet, beträchtliche Summen aus dem sizilischen Königsschatz seien zur Gewinnung der Fürsten für den Erbfolgeplan verwendet worden. Die Kurie, offenbar unter dem Einfluß des Kardinals Lothar von Segni, scheint dem Kaiser gegenüber eine schärfere Tonart anschlagen zu wollen. Die ›Regierungsweise‹ Philipps in Tuskien und die Gefangenhaltung der Familie Tankreds sowie ihrer Anhänger liefern die Gründe zu dem geplanten Vorstoß. Der Eifer, mit dem der Kaiser den Kreuzzug betreibt, macht keinen Eindruck im Lateran. Man durchschaut dort längst den rein politischen Zweck, den Heinrich mit seinen Rüstungen verfolgt. Auch weiß man, daß der Kaiser den Frieden mit dem Papste braucht, wenn er seine Pläne durchführen will, während der Papst des Kaisers nicht bedarf. 311

 
Schloß Favara, am 23. Mai 1196.

Ich habe – auf ›besonderen‹ Wunsch der Kaiserin, die ihre ›besonderen‹ Gründe haben mag – mit dem jungen Prinzen Asis aus Granada eine dreimonatige Reise durch ganz Sizilien unternommen, von der ich seit acht Tagen zurückgekehrt bin. Nicht gerade zuversichtlich, sondern eher erschreckt. In allen Burgen wird heimlich gerüstet. Der Graf Jordanus Monachus baut die Mauern von Castrogiovanni aus.

 
1. Juli 1196.

(Über Rom.) Der Kaiser hatte auf Anfang April einen Reichstag nach Würzburg einberufen. Er soll auf die Fürsten, welche erschienen waren, einen noch stärkeren Druck ausgeübt haben als im Dezember 95 zu Worms. Der Erbfolgeplan sei von einer Mehrheit angenommen worden. Die Opposition gruppiere sich um den Erzbischof Adolf von Köln, auf dessen Seite – nicht immer offen – der lothringische und westfälische Hochadel stehe. Es sei dem Kaiser trotz wochenlanger Bemühungen nicht gelungen, den Widerstand zu beseitigen. Da nur eine einstimmige Annahme des Planes einen auswertbaren Erfolg dargestellt haben würde, habe der Kaiser auf weitere Verhandlungen mit den Gegnern oder gar auf Krieg gegen sie verzichtet und die Reise nach Italien angetreten.

 
20. September 1196.

(Über Rom.) Scharfe Gegensätze zwischen Kaiser und Papst. Der Kaiser hat – unter Vorlegung der von 52 geistlichen und weltlichen Fürsten gesiegelten Urkunde über die Annahme des Erbfolgeplanes – vom Papste 312 die Taufe und Krönung seines Sohnes zum deutschen König verlangt, um auf diese Weise den Widerstand der noch feindlichen Fürsten zu brechen. Die Kaiserin schüttelte besorgt den Kopf, als sie mir dieses erstaunliche Ansinnen mitteilte. (›Ist dieser Mann noch bei vollem Verstande?‹) Über die Antwort des Papstes kann kein Zweifel bestehen. Er hat ›Verhandlungen eingeleitet‹. Was das heißt, weiß heute ein zehnjähriger Knabe. Der Papst wird die Ereignisse für sich handeln lassen und Zeit gewinnen. Zumal er weiß, daß sich in ganz Italien eine gefährliche Auflehnung gegen das kaiserliche Regime bemerkbar macht. Es ist im Augenblick nicht möglich festzustellen, ob der Kaiser die Lage genau überschaut oder so von seinen ›Plänen‹ besessen ist, daß er das Allernächste nicht sieht.

 
10. Oktober 1196.

Der Kanzler Walther von Pagliara ist vom Kaiser nach Spoleto berufen worden. Die Kaiserin scheint froh über seine Abreise. Er hat sich in den letzten Wochen sehr selbstherrlich aufgespielt. Die Art, wie sie ihn gewähren ließ, hätte ihn verletzen müssen. Sie hat ihm erlaubt, sich lächerlich zu machen. Überlegene Kampfweise der Frau.

 
Im Kasr, 1. November 1196.

Die Kaiserin hat ein Tedeum feiern lassen anläßlich der Taufe des Kronprinzen, welche heute in Foligno stattfindet. Sie hat dem Wunsch des Kaisers, nach Umbrien zu kommen, unter Berufung auf ihre schwache Gesundheit, nicht Folge geleistet. Auch der Papst hat sich, auf sein hohes Alter hinweisend, entschuldigen lassen. 313Il s'appelle donc maintenant Frédéric-Roger, mon petit Constantin‹, sagte sie, als wir Gold und Weihrauch der Capella Palatina verließen und in den Garten gingen, in dem noch immer die Gelsominsträucher blühen.

So wenig ich auch päpstlich gesinnt bin: je mehr ich über die päpstliche Politik nachdenke, um so mehr muß ich sie bewundern. Welche langsame, lautlose Kunst des Rechnens auf lange Sicht – und welcher Abstand von den eignen Leidenschaften . . .

 
20. November 1196.

(Über Rom.) Die Fürsten haben auf dem Reichstag zu Erfurt den Erbfolgeplan in Bausch und Bogen abgelehnt. Die Kurie wußte, warum sie das Ansinnen Heinrichs gar nicht beachtete. Die Fürsten wußten, daß es zwischen Kaiser und Papst nicht zum besten bestellt war, zwischen dem Papst und der Kaiserin aber nicht zum schlechtesten. Wie laufen die Fäden eigentlich? Wer zieht – und wer ist der Gezogene? Niemals werden wir es wissen. Es gibt keine ›beweisbare‹ Geschichte. Die wirklich treibenden Kräfte sind immer verhüllt.

 
24. Dezember 1196.

Der Kaiser hat vor zehn Tagen die Grenze des Königreichs überschritten.

 
26. Dezember 1196.

Tedeum zum Geburtstag des Kronprinzen. Die Kaiserin hat sich unmittelbar nach dem Gottesdienst in das Kloster Baida zurückgezogen. Sie war in der letzten Zeit sehr verschlossen und unzugänglich. Böse Mäuler behaupten, der Graf Jordanus Monachus sei heimlich 314 bei ihr. Und wenn er es wäre? Wen ginge es etwas an? – In Capua tagt heute der Reichstag, den der Kaiser einberufen hat.

 
8. Januar 1197.

Der ganze Hof ist in Bestürztheit. Die Kaiserin, vor Erregung krank, liegt zu Bett. Nur ihr Beichtvater hat Zutritt zu ihr. Es sind einige Herren aus Capua mit schlimmen Berichten zurückgekommen. Der Kaiser soll einen Wutanfall nach dem anderen haben. Die feindliche – in der Form verletzend höfliche – Haltung des Papstes und die unerwartete schroffe Ablehnung seines Erbfolgeplanes in Erfurt sollen ihn außer Fassung gebracht haben. Er hat den Fürsten mitteilen lassen, er wolle auf seinen Plan verzichten, sie selbst aber möchten sich nun auch erkenntlich zeigen und den Kronprinzen zum deutschen König wählen. Der Graf von Acerra, der Bruder der Königin-Witwe Sibylle, der im Herbst 95 in die Hände Diepolds gefallen und festgesetzt worden war, hat die Erbitterung des Kaisers büßen müssen. Er ist zunächst von einem Pferde durch die Gassen der Stadt geschleift und dann, trotz seiner Wunden noch bei Bewußtsein, an den Füßen aufgehängt worden. Ein Hofnarr hat mit dem Sterbenden seinen Spaß getrieben und ihm einen Stein an die heraushängende Zunge gebunden. Der Kaiser hat verboten, den Toten vom Galgen herunterzunehmen: ein Verbrecher wie dieser Acerra, der im Jahre 91 Neapel gegen ihn gehalten und den Befehl zur Gefangennahme der Kaiserin in Salerno gegeben habe, solle als abschreckendes Beispiel da, wo er hingehöre, solange hängen bleiben, bis ihn die Raubvögel aufgefressen hätten. Die 315 Nachricht von dieser Hinrichtung habe sich in wenig Tagen in ganz Kampanien verbreitet und die Bevölkerung in eine sinnlose Angst getrieben. Der Kanzler Pagliara, der schon am 6. Januar zurückgekehrt war, hat sie unterschlagen. Er hat berichtet, der Reichstag habe sich ausschließlich mit dem Kreuzzug beschäftigt. In Abrede stellen kann er sie nun nicht mehr. Sie wird, um das Zehnfache vergrößert, ihren Lauf durch die ganze Insel nehmen und den Feinden der Staufer eine gefährliche Waffe sein. Ist der Geist des Kaisers umnachtet? Eine solche Strafe – in diesem Augenblick – an dem Träger eines der vornehmsten apulischen Adelsnamen? – Und die Belehnung Diepolds von Vohburg mit der erledigten Grafschaft von Acerra? Ein Schlag in das Gesicht jedes Apuliers! Was die Kaiserin außer der Rache an Acerra ganz besonders aufgebracht haben soll, ist dieses: der Kaiser hat – um die vollzogene Vereinigung Siziliens mit dem Reich darzutun – sizilische Barone in deutschen Reichsangelegenheiten urkunden lassen. Auch sollen schon Münzen geschlagen worden sein, deren Rückseite den gekrönten sizilischen Erben darstellt. Ich verstehe nicht mehr. Wer dem Schicksal vorgreift, fordert es zu einem Kampf heraus, in dem es noch immer gesiegt hat . . .

 
30. Januar 1197.

Seit drei Wochen gehen außergewöhnliche Dinge auf der Insel vor. Es ist unmöglich, Einzelheiten aufzuschreiben. Es herrscht eine Unruhe wie im Taubenhaus vor dem nahenden Gewitter. Es kommen und verschwinden Leute, die man nie gesehen hat. Der Verkehr mit Rom ist so rege wie nie. Der Papst – heißt es – 316 wolle auf dem Umweg über die Kaiserin mit dem Kaiser verhandeln, nachdem dieser die letzten Vorschläge der Kurie mit unerhörter Schärfe zurückgewiesen habe . . . Ich höre und zweifle . . . Was denkt sich der Kanzler? Eine Mailänder Gesandtschaft hat am 27. Januar der Kaiserin Geschenke zur Erinnerung an die elfte Jährung ihres Hochzeittages gebracht . . . Und was sonst noch? Was denkt sich der Kanzler? Der Kaiser, der von Capua nach Bari und von da nach Táranto ging, muß nun unterwegs nach Messina sein.

Während ich dies schrieb, wurde ich zur Kaiserin gerufen. Ich war zwei Stunden bei ihr. Allein. Die deutschen Fürsten haben am 29. Dezember in Frankfurt den Kronprinzen zum deutschen König gewählt. ›Reich und Sizilien sind in der Hand meines Sohnes‹, sagte sie so leise und – in der Hülle dieser gesenkten Stimme – so triumphierend laut, daß ich erschrak . . . Ich zögerte, ob ich die Frage wagen sollte, die mir auf den Lippen brannte . . . Ich wagte sie: ›Und nun?‹ ›Nun,‹ lautete die Antwort, ›müssen Sie abreisen – und warten, bis ich Sie zurückrufe.‹ ›Und wenn ich mich widersetzte?‹ ›So würde ich Sie verhaften und nach Aragon bringen lassen. Muß ich Ihnen immer noch Beweise für meine Zuneigung geben?‹ ›Gewiß nicht. Aber wollen Sie mir nicht den Beweis Ihres Vertrauens schenken, indem Sie mich die Gründe für Ihre Beschlüsse wissen lassen?‹ ›Sie haben Geschenke von mir an den Hof nach Aragon zu bringen. Man nimmt dort viel Anteil an dem Schicksal meines kleinen Sohnes. Man hat eine ganze Ausstattung für ihn geschickt. Außerdem aber müssen Sie mir – komme, was da wolle – erhalten bleiben. ‹ ›Was soll denn kommen?‹ ›Das weiß 317 – heute – noch niemand. Das weiß nur Gott. Wir fügen uns seinem Befehl. Es ist jetzt Ihre Aufgabe, Lothar, fern zu sein. Es ist die meine, auf der Warte zu stehen. Weiter nichts. Ich habe nur dieses Recht. Denn ich habe einen Sohn. Ich lege mein und sein Schicksal in Ihre Abwesenheit. Sie sind jenseits der Dinge – – Das Schiff liegt bereit. Ihr Paß ist ausgefertigt. Ihre Abreise und deren Zweck ist dem Kanzler mitgeteilt. Auch Ihre langgehegte Absicht, einige Wochen mit Pedro Vaqueiras am Hofe des Grafen von Toulouse zu verbringen. Seien Sie heiter bei der Abendtafel. Sagen Sie den Trinkspruch auf Ihren jungen deutschen König‹ . . .

 
7. Februar 1197.

Einen Tag vor meiner Abreise erreicht mich Herr von Montigny mit Briefen meines Großvaters Jouy und meiner Eltern. Er wird mich auf der Fahrt begleiten. Die Kaiserin hat sich heute von mir verabschiedet. Sie geht für einige Wochen nach Baida zu Übung und Meditation. Sie hat mir einen Ring des Königs Roger geschenkt. In den hellen Saphir sind unter dem normännischen Löwen die Worte eingeritzt: Rebus fortior. Im Wappen der Jouy steht: Rotundum delectat. Im Wappen der Ingelheim: Non est numerus totus.


Frau von Ingelheim legte die Blätter beiseite und sah zu ihrem Vater hinüber, der auf einer Karte die Flurnamen seines Geländes eintrug.

– Ich hoffe, sagte der alte Mann, Lothar nimmt sich die Devise des Königsringes ganz besonders zu Herzen. 318

– Sie glauben auch, daß schlimme Dinge geschehen werden?

– Vielleicht sind sie mittlerweile schon geschehen. Qui sème le vent, récolte la tempête . . . Diesen Kaiser trügt, wie alle Besessenen, der Schein. Er wird auf den Altan seines Weltreiches treten, um zu seinen Völkern zu sprechen, wenn der Kardinal Lothar von Segni ihm schon die Fundamente untergraben hat. Man muß sehr alt geworden sein, um die nahenden Erdbeben zu spüren.

 

Der Kaiser hatte sich bei seiner Ankunft in Apulien-Sizilien durch die Hinrichtung des Grafen Acerra eingeführt und mit dieser Tat den Grundton für sein Auftreten in den folgenden Monaten gegeben. Die nächste Überraschung, welche er den Bewohnern des Königreichs bereitete, war die Ausschreibung einer Reichssteuer. Seit wann war das Erbland der Kaiserin staatsrechtlich Reichsland? Zu dem Druck, den die kaiserlichen Statthalter ausübten, kam also nun auch noch der ungesetzliche Steuerdruck. Wohin floß das eingetriebene Geld? Jeder Apulier, jeder Sizilianer fragte es sich. Jeder ballte die Faust in der Tasche. Bedeutungsvolle Blicke wurden getauscht, gefährliche Worte gewechselt, sobald man aus dem Bannkreis der Überwachung war. Die Klagen und Vorstellungen, welche bei der Regierung in Palermo einliefen, waren kaum durchzulesen, geschweige denn zu beantworten. Die Kaiserin, 319 der Kanzler, der Familienrat, die oberste Finanzbehörde warnten vor Überspannung des Bogens. Der Erzbischof Bartholomäus begründete gewissenhaft seine Bedenken und mahnte fast väterlich zum Maßhalten. Vergebens. Es schien, der Kaiser werde um so unnachgiebiger, je mehr man ihn zum Einlenken zu bewegen suchte. Als er im April 97 in Palermo einen Reichstag abhielt, eröffnete er dem verblüfften Adel, Anhängern und Gegnern zugleich, er werde sämtliche Privilegien – also Schenkungen und Nutznießungsrechte, welche die normännischen Könige den Feudalen verliehen hatten – nachprüfen und rückgängig machen lassen, wo er sie nicht gutheißen könne. Die Krone habe das Recht, ein ihr gehöriges Gut, welches leichtsinnig verschleudert worden sei, zurückzuverlangen und ihre Suprematie unzweideutig zur Geltung zu bringen. Nun war es mit der Geduld und dem Zusehen auch der maßvollsten großen Herren zu Ende. Während die Vorbereitungen zum kaiserlichen Kreuzzug in vollem Gange waren, während Heere und Flotten sich Sizilien näherten, brachen bei Messina die Feindseligkeiten in den ersten Maitagen offen aus. Der Plan der Aufständischen – ihre Truppenmacht belief sich auf mehrere Tausende – war so gedacht, daß man zunächst den Kaiser, der gerade in der Nähe von Messina jagte, und sämtliche Herren seiner näheren Umgebung ermorden, den vollzogenen Mord zum Signal eines allgemeinen Aufstandes erheben und dann die kaiserlichen Besatzungen aus dem Land jagen würde. Der Plan gelang nicht, weil er verraten wurde. Der Kaiser konnte sich rechtzeitig in die Mauern von Messina retten, die Truppen der Sizilianer aber wurden vom General von Kalden bei 320 Catania geschlagen und zum Rückzug auf Castrogiovanni, in das Innere des Landes, gezwungen. Dort fand ein letzter Kampf am 6. Juni statt, welcher mit der Eroberung des Kastells und der Gefangennahme des Grafen Jordanus Monachus endete, in dem man den Kronprätendenten der Verschworenen gefaßt zu haben glaubte.

Unmittelbar nach der Erstürmung von Castrogiovanni befiel den Kaiser das ruhrähnliche, von bösartigen Fiebern begleitete Leiden, das ihm auf jedem seiner süditalischen Züge gefährlich geworden war. Krank kam er nach Palermo zurück, wohin er für die dritte Juliwoche einen Reichstag einberufen hatte.


Zwei Tage vor der Eröffnung der Sitzungen erschien der Kaiser, welcher im Kasr seine Residenz aufgeschlagen hatte, im Schlosse Favara, wo Konstanze den Sommer verbrachte. Sie war heimlich durch einen Vertrauensmann unterrichtet worden und hatte ihre Vorbereitungen treffen können. Gegen Überraschungen hatte sie sich schon lange selbst gesichert. Die Anwesenheit Heinrichs in Palermo im April und Mai hatte ihr klargemacht, daß man ihm alles zutrauen müsse, wessen ein überreizter, wenn nicht schon geisteskranker Imperator fähig sei. Sie war auf das Äußerste gefaßt – und eben deshalb ruhig, wie es der Tochter des großen Roger ziemte. Aber sie war auch zum Äußersten entschlossen, falls der Kaiser vergessen sollte, was er der Erbin Siziliens schuldig war.

Gegen neun Uhr, am Abend des 13. Juli, stand er auf 321 der Schwelle des Gartenzimmers, in welchem sie sich mit Anne de Perche und ihrem arabischen Vorleser Adallah aufhielt. Die Tür, durch welche er eingetreten war, blieb offen. Hinter ihm, im Halbdunkel des langen Korridors, erschien in voller Rüstung seine Leibwache. Der Schein der Ampeln spiegelte in den bläulichen Stahlmaschen der Kettenpanzer.

– Ich wünsche, daß Sie Ihre Hofdame und Ihren Vorleser entlassen, sagte der Kaiser auf deutsch. Ich bin nicht zu einem Sommerabendgespräch gekommen.

Er erhielt keine Antwort. Aber die schmale, nach dem Garten gehende Terrasse füllte sich lautlos mit Hünen von sarazenischen Soldaten – der Raum zwischen Kaiserin und Flügeltür ebenfalls – und ehe die Leibwache im Flur noch Zeit hatte, festzustellen, was in ihrem Rücken vorging, waren auch die Treppenaufgänge von arabischen Eskorten besetzt und abgeschlossen.

Heinrich stieß so heftig mit dem Fuß auf den Boden, daß der niedrige Silbertisch und die Sorbetschalen auf ihm laut klirrten.

Konstanze, mit den Fingern in einer doppeltgeschlungenen Perlenkette spielend, welche über die dünne Seide des weißen Kleides bis in ihren Schoß fiel, sagte:

– Ich begreife Ihre Erregung. Entfernen Sie Ihre Leibwache. Im selben Augenblick wird sich die meine zurückziehen. Solange unsere Unterredung dauert, verläßt niemand das Schloß Favara. Es ist kein Grund vorhanden, daß Sie zu mir in einem solchen lächerlichen Aufzug kommen, was immer man Ihnen in die Ohren geblasen haben mag. 322

Heinrich, nicht mehr wissend, ob ihn ein Alpdruck verfolgte oder die für ihn ungeheuerlichste aller Wirklichkeiten lähmte, machte eine unbestimmte Bewegung gegen seine Garde, in welcher diese den Befehl zum Rückzug zu erkennen glaubte. In einer Minute waren Zimmer und Korridor leer – die Türen geschlossen – Kaiserin und Kaiser allein.

Konstanze wies auf einen Sessel:

– Es ist sehr heiß. Eine Schale Sorbet wird Ihnen gut tun. Nehmen Sie diejenige, aus der ich vor Ihnen trinken werde, damit Sie sicher sind, nicht vergiftet zu werden . . . Nehmen Sie doch . . . Sie sehen jämmerlich aus . . . Kein Wunder . . . Bei dem, was Sie sich alles zumuten, muß selbst eine Bärengesundheit zugrunde gehen. Und die Ihre ist, wie man mir berichtet hat, schon über einen Monat wieder einmal ernsthaft gefährdet . . . Wollen Sie ein Kissen in den Rücken? . . . Wollen Sie lieber in meinem Stuhle sitzen, der bequemer ist?

– Eine Frau, welche sich in einer Lage wie der Ihren benimmt wie Sie, sagte Heinrich langsam, ist noch viel gefährlicher, als sie mir geschildert wurde . . .

– Ich habe Ihnen immer gesagt, daß Sie ein schlechter Menschenkenner sind. Von Frauen vollends verstehen Sie überhaupt nichts. Sonst würden Sie nicht behaupten, daß die Frau, welche über die Grenze des Erträglichen hinaus noch Ihre Politik vertreten hat, gefährlich sei. Alle Gefahren, auf die Sie gestoßen sind, haben Sie selbst heraufbeschworen – vielleicht den Mordplan des Jahres 94 ausgenommen, sofern er nicht nur in Ihrer Phantasie bestanden hat oder aus Gründen der Zweckmäßigkeit erfunden wurde. Ein einziger 323 Mensch ist Ihnen in Ihrem ganzen Leben gefährlich gewesen: Sie selbst. Aber nicht eine in ihrem Blut mißhandelte und auf den Tod verwundete Frau!

– Wollen Sie tatsächlich leugnen, was der ganze Hofstaat weiß? Wollen Sie leugnen, daß Sie selbst – und niemand anders – die Seele dieser letzten Verschwörung sind?

– Sie sind es! Kein anderer als Sie! Haben Sie denn wirklich jeden Sinn für Zusammenhänge und jeden Sinn für die Wirkung Ihrer Taten verloren? Wissen Sie überhaupt nicht mehr, wo Recht aufhört und Unrecht anfängt? Ist in Ihnen nicht mehr jene ewige Waage aufgestellt, welche Gewicht und Gegengewicht anzeigt?

– Nein. Ich habe zu einer solchen Spielerei keine Zeit mehr.

– So . . . Spielerei nennen Sie das? Und warum haben Sie keine Zeit mehr dazu?

– Sie haben sich und mir ja selbst vorhin schon die Antwort gegeben: meine Gesundheit . . .

Es ist zum erstenmal, daß Sie sie in einem Gespräch mit mir in Erwägung ziehen. Ich habe das – auch über große Entfernungen hin – eigentlich immer getan . . .

– Sie haben wohl in meiner Anfälligkeit eine Art Gehilfin für Ihre Pläne gesehen?

– Halten Sie mich für so dumm?

– Sie meinen, ich bin Ihnen nützlicher, wenn ich lebe?

– Mir? Wenn mir jemals meine Person wichtiger gewesen wäre als der große Gedanke, für den ich mein ganzes Leben in die Waagschale geworfen habe, dann hätte ich Sie niemals geheiratet . . . Soll ich Ihnen 324 vielleicht noch einmal wiederkäuen, was ich Ihnen bis zum Überdruß auseinandergesetzt habe? Erwarten Sie so etwas nicht mehr von mir in dieser Stunde. Es wäre meiner genau so unwürdig, wie es unwürdig wäre, vor Ihnen die Gefühle zu erklären und zu verteidigen, die mich heute gegen Sie erfüllen.

– Unnötig, sie darzulegen! Ich kenne sie!

– Nein! Sie haben keine Ahnung von ihnen! Weil Sie ja gar nicht die Fähigkeit haben, sich auch nur eine Sekunde lang in die Seele eines anderen Menschen, geschweige denn einer Frau, zu versetzen! Sie denken sich etwas zurecht. Weiter nichts. Es ist nicht Ihre Schuld: Sie haben in Ihr versengtes Leben das Beste nicht mitbekommen, das es gibt, Blut! Das entschuldigt Sie vielleicht vor Gott – aber es macht Sie nicht weniger entsetzensvoll! Es zwingt Sie, um im Gleichgewicht Ihrer Verstiegenheiten zu bleiben, mit immer unmenschlicheren Mitteln die Widerstände zu beseitigen, die sich Ihrer mißverstandenen ›Sendung‹ entgegenstellen! So heißt doch das anspruchsvolle Wort, das Sie so gerne gebrauchen, seit Herr Joachim von Fiore es Ihnen eingegeben hat?

– Haben Sie denn nicht selbst an diese ›Sendung‹ geglaubt? Haben Sie ihr zuliebe nicht ›Ihre Stille‹ geopfert, um mich eines Ihrer Lieblingsworte zu bedienen?

– Dieser ›Sendung‹? Nein! Niemals! Einer sehr anderen Aufgabe, die Sie so grauenvoll entwürdigt haben, daß keiner mehr nach Ihnen wagen wird, sie noch einmal aufzunehmen!

– Nach mir? Sie scheinen anzunehmen, ich bin schon von dem Schauplatz abgetreten? 325

– Was soll ich Ihnen sagen, wenn Sie es selbst nicht spüren?

Heinrich sprang auf, taumelte – stand . . . Konstanze fuhr zusammen, als sie ihn anschaute . . . erhob sich jäh, als er auf sie zukam . . .

– Ich bin schon von dem Schauplatz abgetreten, sagen Sie?

– Wenn Sie noch lebendig wären – wäre diese Begegnung zwischen Ihnen und mir – überflüssig! Sie verbluten an den Wunden Ihrer Opfer. Es ist das letzte Blut, das Sie zu verlieren hatten. Sehen Sie sich in einem Spiegel an.

– Sie irren! Ich nähre mich von diesem Blut! Es gibt mir die Kraft, durchzuhalten! Schuldiges Blut! Blut des Frevels an meinem Werk . . . an dem Auftrag, den ich zu vollführen habe . . . an dem Reich . . .

– Das Reich lebt vom Geiste des Schöpfers, der weht, aber nicht von den Martern derer, welche niemals an es geglaubt haben . . . Eigensüchtige Abtrünnige mögen Strafe verdienen . . . Ungläubig-Verzweifelnde bedürfen des Beistandes . . . Das wäre das Heilige Römische Reich, was Sie da in Sizilien getan haben? Geblendet, geschunden, ersäuft, verbrannt, gerädert, gepflöckt, gepfählt, zersägt? Ich weiß sehr wohl, daß die Mittel des Herrschens in diesen wilden Zeiten grausam sind und oft genug sein müssen: aber die Ihren sind ja gar nicht die des Herrschens – sondern der Rache! Wer sich rächt, ist ohne Beherrschung: er greift Gott vor . . . Und wer die Beherrschung verloren hat – ist kein Herrscher mehr . . . Sie sind von dem Schauplatz abgetreten, seitdem Sie den Fuß wieder auf diesen Boden gesetzt haben! Sie sind in Ihr Gefängnis 326 gegangen, aus dem Sie und Ihr Andenken niemand mehr befreien kann . . . Und Sie konnten, wenn Sie nur ein wenig den Stimmen gefolgt wären, die den Zugang zu Ihrem Herzen suchten, in das Paradies gehen . . .

– In das Paradies dieser Eidbrecher, die Sie Ihre Landsleute nennen? . . .

– O nein – unter jedes Menschen Landsleuten gibt es viele Eidbrecher, das wissen Sie so genau wie ich . . . Das Paradies, von dem ich spreche, tut sich überall auf, wo man das Freiwillige zeugt. Als Sie mich zur Regentin erniedrigten, haben Sie sich selbst dahin getrieben, wo Sie heute stehen – und mich in den Zwiespalt, der mich unfruchtbar gemacht hat. Als Königin – nicht nur dem Namen nach – wäre ich mit meinem Lande schon zurechtgekommen . . . Und wäre es nicht gegangen, so wäre immer noch Zeit geblieben, Ihre Hilfe anzurufen. Sie haben mich nicht wirken lassen – und Sie haben selber nicht gewirkt. Sie haben befohlen und verwüstet. Das Land und die Seelen. Wo Sie heute stehen, ist nichts mehr! Sie stellen hier in Sizilien Urkunden aus, machen Schenkungen, erlassen Gesetze, ganz als ob alles zum besten stünde: und Sie wissen so genau vor sich selbst, wie ich es vor mir weiß, daß Sie mit Ihrem ›Reich‹ nur ein Schema geschaffen haben, das nicht lebt. Die Zirkel und die Winkelmaße haben versagt . . . Noch jubelt die Welt – noch singen allerhand Ritter und Schmeichler an Ihrem Hof: ›Nie war ein Kaiser auf solcher Höhe‹ . . . Sie brauchen ja nur an diesen widerwärtigen Petrus von Eboli zu denken! Sie selbst aber – wenn Sie nur ein einziges Herz wüßten, vor dem sie es dürften, Sie möchten sich Ihrer Qual entlasten und bekennen, daß Sie schon die Fundamente unter Ihren 327 Fußsohlen brechen hören. Hier in Sizilien fing das Bröckeln an – – Sie wissen, wo es enden wird . . . Die bindende und verbindende Seele fehlt diesem Reich . . . Wille, und sei er gigantisch wie der Ihre, bändigt eine geraume Zeitlang, aber er bindet nicht . . . Nicht nur Sie – wir alle sind schon von dem Schauplatz dieses Ihres Reiches abgetreten . . .

– Sie konnten mir unter der Folter keine wertvolleren Bekenntnisse machen. Lassen wir die schönen Allgemeinplätze und ziehen wir Schlüsse: Da für Sie die Fundamente des Reiches schon zu bersten beginnen, so konnte es Ihnen ja nur erwünscht sein, wenn die Verschwörung gegen mich gelang?

– Sie wollen sagen: erwünscht sein, daß man Sie ermordet hätte?

– Ja.

– Keineswegs. Sie beweisen mir, wie schon so oft, daß Sie ein Ding nicht folgerichtig bis zu seinem Ende durchzudenken vermögen. Da Sie mir aber das Stichwort gegeben haben, will ich Ihnen sagen, was mir ›erwünscht‹ gewesen wäre. Nur ein Einziges: durch die heilige Auflehnung meines geschändeten Landes einen solchen Druck auf Sie auszuüben, daß Sie sich wenigstens einmal auf Gott und die Grenzen besonnen hätten, welche auch dem größten Täter gesetzt sind. Sie haben Gott sehr schlecht behandelt. Dreimal hat er Ihnen den Strick vom Halse genommen: als der Papst Urban starb, im Jahre 87, als Sie im August 91 in Monte Cassino von Ihrer Krankheit genasen, als Ihnen an Weihnachten 92 der Österreicher den Löwenherz auslieferte. Von jedem dieser Ereignisse haben Sie behauptet, es sei ein ›Baustein in Ihrem Werk‹! Es hat mich oft 328 geschaudert, wenn ich Sie in solcher Verstiegenheit und Unreife von ›Ihrem‹ Werke sprechen hörte . . . Erwünscht wäre mir gewesen, Sie reifen zu spüren: so schön und natürlich, wie die besten deutschen Menschen zu reifen verstehen. Aber Sie sind eben an Ihren Widerständen nicht gewachsen. Sie sind an ihnen nur alt und böse geworden. Sie waren also schwächer als der Stoff, den Ihnen Ihr Leben zur Bewältigung vorwarf, sosehr der äußere Erfolg auch das Gegenteil zu beweisen scheint . . . Ich habe manchmal gehofft, die Geburt Ihres Sohnes würde Ihre Natur auflockern und Ihnen eine Blüte bringen, welche die Voraussetzung der Reife ist: die Hoffnung war vergebens. Sie sind wie ein Starrkrampf durch diese Zeiten gegangen, deren Wind Sie nicht gespürt haben. Sehr wahrscheinlich wird ein Teil der Nachwelt Ihre Gewaltstreiche bewundern. Sie spürt ja oft genug das Bedürfnis, sich vor allerhand Fetischen zu prosternieren, die sie sich – in ihrer Armut – aus dem Gerümpel der Jahrhunderte hervorholt. Sie werden als gewaltiger Herrscher in die Historie eingehen, sehr wahrscheinlich. Es wird nicht allzu viele geben, welche begreifen, daß Sie in allererster Linie das Glück hatten, Glück zu haben. Und noch weit weniger, welche fähig sind, zu erkennen, daß Sie im Wollen so maßlos waren, weil Sie im Wesen so – dürftig sind. Ich habe kein Recht, Ihnen aus Ihrer Anlage einen Vorwurf zu machen. Es wäre mir nur erwünscht gewesen, daß dieses Mißverhältnis Ihnen einige Winke gegeben hätte . . .

– Und was ist Ihnen heute noch erwünscht?

– Heute? Mein Gott . . . heute hat kein Wunsch mehr noch einen Sinn . . . Seit den Wahnsinnstaten vom Mai 329 ist es zu spät. Seit selbst die sizilischen Gefangenen in Trifels, die doch mit dieser ›Verschwörung‹ wirklich nichts zu tun haben konnten, auf Ihren Befehl hin mit Blendung büßen mußten – Richard Ajellus geblendet! – seitdem Sie dies geschehen ließen, ist es zu allem zu spät . . . Mit Ihnen – ohne Sie: was bedeutet das noch?

– Und der Graf Jordanus Monachus?

– Gilt als mein Geliebter. Ein schöner Mann, der mir gefiel. Ein törichter Mann dazu – und ein Prahlhans. Er hat mich durch verstiegene Bemerkungen ins Gerede gebracht, als er betrunken war. Ich weiß es. Es liegt mir nichts daran . . .

– Sie tragen eine Perlenkette, die ich nicht kenne . . .

Konstanze ging langsam in ihren Sessel zurück und begann erneut in den Schnüren zu spielen. Auch Heinrich setzte sich wieder.

– Woher sollen Sie diese Kette kennen? Ich bekam sie erst zu Weihnachten – und trug sie nicht, als Sie im April und Mai hier waren . . .

– Warum nicht?

– Launen einer Frau, die über viel Schmuck verfügt . . .

– Sie haben sie aber vor meiner Ankunft anscheinend sehr oft getragen?

– Möglich . . . Für welche Dinge Sie plötzlich Zeit haben . . .

– Sie soll Ihnen von Jordanus geschenkt worden sein . . .

– Hat man Ihnen auch gesagt, was sie gekostet hat?

– Sie wissen, daß Jordanus – bei Gelingen der Verschwörung – König werden sollte?

– Man hat es mir erzählt . . . 330

– War das nötig?

– Nötig?

– Sie sollen ihm ebenfalls Geschenke gemacht haben? Das Gerücht behauptet sogar, daß Sie mit ihm schon – handelseinig waren?

– Das Gerücht? Sieh da! Haben Sie vergessen, daß ich einen Sohn habe, dem die sizilische Krone gehört? Das Gerücht . . . Wie unvorsichtig Sie sind! Entsinnen Sie sich noch der Ermordung des Erzbischofs von Lüttich, ich meine des Herzogs Albert von Brabant, den Sie – als Ihren Gegner – durchaus nicht auf dem Bischofsstuhl haben wollten? Er ist von zwei kaiserlichen Rittern in unbekanntem Auftrag in Reims um die Ecke gebracht worden. Wenn ich nicht irre, am 24. November 92. Das Gerücht – auf das Sie heute mehr Wert zu legen scheinen als damals – behauptete, daß Sie der Auftraggeber, also der Mörder gewesen seien. Behauptet es auch heute noch, denn die beiden Mörder sind von Ihnen in Apulien mit Grafschaften belehnt worden . . . Soll ich Ihnen die Namen nennen? Sie schweigen? Das ist wohl das klügste, das Sie tun können . . . Vielleicht entsinnen Sie sich auch noch aus diesem erzbischöflichen Wahlkuhhandel eines gewissen Grafen Albert von Rethel, meines Oheims. Er mußte damals für Ihre Partei herhalten und sollte dann von Ihnen mit der fürstlichen Summe von 500 Mark abgefunden werden, die er zurückwies, weil sie noch nicht einmal die Unkosten für seine Bemühungen deckte. Dieser Graf Albert von Rethel nun hat mir als späten Dank für meine Verwendung zu seinen Gunsten diese Perlen aus dem Erbe seiner Mutter geschenkt . . . Sind Sie jetzt für Ihren 331 guten Ruf und den guten Geschmack Ihrer Gattin etwas weniger besorgt?

– Wir werden die Probe auf Ihre Wahrhaftigkeit machen . . . Sie werden der besonders sehenswürdigen Hinrichtung des Grafen Jordanus beiwohnen . . .

– Sie meinen also – Ihrer eignen? Das ist nicht mehr nötig . . . Denn in meinem Lande – sind Sie gerichtet! Wollen Sie mich von ein paar Henkersknechten zu dem Schauspiel schleifen lassen? Wollen Sie vielleicht mir selbst den Prozeß machen? Ihren Ruhmestaten die Krone aufsetzen? Ich würde an Ihrer Stelle lieber an – mein Testament denken.

– Das ist geschehen. Seien Sie ohne Sorge.

– Ich bin ohne Sorge.

– Ach so . . . Sie meinen, der Papst, als Lehnsherr Ihres Landes im Hintergrunde . . .

– Ich meine gar nichts. Sie schieben mir Gedanken unter, die Ihrer Gewissensangst entspringen . . . Wie ich Sie verstehe! An Ihr ›Reich‹ glauben Sie selbst nicht mehr so recht – an Ihre Gesundheit können Sie nicht mehr glauben – an mich als Ihre Sachverwalterin noch viel weniger – an die Einigkeit und Treue Ihrer Paladine nach Ihrem Tode wohl schwerlich. Denn Sie wissen ja aus der Geschichte, wie sich nach dem Ableben des ›Herrn‹ solche allzumächtigen Nutznießer zu verhalten pflegen . . . Den Papst, den Sie für Ihre Pläne brauchten wie das tägliche Brot, wissen Sie sich feindlich bis aufs Blut – und dieser Feind, dem mit Lothar Segni ein noch viel schlimmerer folgen wird, ist zu allem Überfluß auch noch der Lehnsherr meines Erblandes! Wollen Sie nicht wenigstens jetzt noch versuchen, einzulenken? Mensch zu werden? Auf das Mögliche zu sinnen und es 332 zu festigen – anstatt mit Ihren Phantomen selbst zu zerstieben und Ihrem Sohn, dessen Schatz Sie schon zur Hälfte für Ihre Fürstenhändel vergeudet haben, weiter nichts zu lassen als einen Trümmerhaufen? Hier, in diesem gleichen Raume, habe ich mit Wilhelm Abende lang über meine deutsche Heirat und ihren Sinn gesprochen. Ich habe mir nicht träumen lassen, daß – vor dem Ende – schon hier ein solches Ende kommen werde! Ein Ende, das da ist – und noch lange dauern kann . . . Wir müssen uns darauf einrichten. Sollten Sie versagen, so muß ich die Zügel in die Hand nehmen. Wenn auch mein Glaube tot ist, so habe ich doch noch eine Haltung. Versuchen Sie das gleiche!

– Sie vergessen, daß nicht Sie über mich zu bestimmen haben, sondern ich über Sie!

– Das klingt sehr schön – ist aber falsch. Von uns beiden hat niemand über den anderen zu bestimmen. Für die Welt und unser Kind wird es am besten sein, wir schließen – auf dieser Grundlage – unsren letzten Vertrag.

– Und der wäre?

– Verneinung ohne Zins. Feindschaft – ohne Nutznießung.

– Ich nehme an.

– Ich hoffe, Sie halten ihn auch. Sie haben schon einmal einen Vertrag mit mir geschlossen – und dann gebrochen. Den sizilischen Erb- und Ehevertrag. Sie wissen ja vielleicht noch, was ich Ihnen in Eger am Weihnachtstage 89, nach Wilhelms Tod, gesagt habe . . . Die Zeiten sind erfüllt . . .

– Seien Sie sicher, daß ich den Vertrag von heute halten werde . . . 333

– Dann nehmen Sie meinen letzten Dank im voraus. Ich werde morgen nach Baida übersiedeln. Sie werden ohne mich urkunden. Wenn Sie abreisen, werde ich meine Pflichten erfüllen, wie es die veränderte Lage erfordert. Solange Sie aber auf sizilischem Boden verweilen, beanspruche ich die Rechte der Toten. Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen – –

 

Als sich der Kaiser erheben wollte, bekam er einen Anfall von Magenkrampf. Man trug ihn auf die Terrasse, wo er sich bald erholte. Als er das Schloß Favara verließ, war er guter Dinge. Es gab nichts, was ihn so sehr vor sich selbst bestätigte wie Widerstand, den er gebrochen zu haben glaubte. Weiter sah er nicht.

Am nächsten Tage aber schüttelte ihn wieder das Fieber und machte ihn hellhörig. Er saß des öfteren aufrecht im Bett und hielt den Kopf gegen den Fußboden geneigt, als ob er lausche. Was er hörte, wußte keiner. Nur die Kaiserin wußte es, als sie lange, auf den kühlen Stufen kniend, zu der Schwarzen Madonna von Baida sprach.

 


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