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Das Brautpaar war in großen Überlegungen. »Ich glaube, es wäre das klügste, wenn ich gleich nach Neuyork hinüberführe und meinen Eltern, sowie Großvater die neue Wendung meines hiesigen Aufenthalts mündlich mitteilte«, sagte Charles Macleton nachdenklich. »Schon um Großvater davon zu überzeugen, daß ich nicht nur meinen Interessen hier nachgegangen bin, was er danach und nach der Erfolglosigkeit meiner ureigentlichen Absicht fast annehmen dürfte, und was ich ihm schriftlich nicht gut ausreden kann, da ich dann erst selbst die diesbezügliche Anklage aufstellen müßte.« – »Charles, mich in den ersten Tagen des Brautstandes verlassen! Das wäre doch zu schrecklich!« klagte Ebba.
Karin, die mit Hans Heinrich draußen auf der Terrasse saß, während das Brautpaar drinnen im Empfangszimmer miteinander scherzte und koste, daß die beiden alles genau hören konnten, lächelte vor sich hin. »Wie kindisch glücklich das Paar ist! Ich habe meinem jetzigen Schwager dergleichen gar nicht zugetraut. Er hat mich überhaupt mit seiner Verlobung überrascht. Sonst merkt man doch so etwas schon vorher.« – »Ja,« nickte Hans Heinrich mechanisch, »man merkt so etwas!«
Er hatte erst vor wenigen Minuten, als er die Damen zum Spaziergang abholen wollte, die Verlobung erfahren und war seitdem in tiefe Gedanken versunken. Sie fiel so merkwürdig mit den Überlegungen zusammen, die ihm seit vorgestern durch den Kopf gingen. Beispiele wirken anfeuernd! Es kam wirklich nur auf den Entschluß an. Und wie wunderschön seine Nachbarin wieder war! Eine heimliche Unruhe lag über ihr und ging von ihr aus, etwas wie Sehnsucht und versteckte Glut und dabei etwas fast Schmerzhaftes, das ihr einen ganz eigenen Reiz gab. Er hatte sich doch oft so glühend für sie interessiert, und sie paßte zu ihm in allem. Es galt nur den Entschluß: danach würde alles beendet sein, was ihn so quälte – alles!
Ihn faßte es wie ein Taumel. »Ein Ende machen, ein Ende.« Nach der Hand greifen, die sich ihm so offenkundig entgegenstreckte. Sie war schöner als alle, die er kannte, ja, schöner war sie, und sie paßte zu ihm. Sie würden nicht kindisch glücklich sein wie die da drinnen, aber vielleicht wuchs doch ein großes, berauschendes Glück daraus hervor und begrub alles andere unter seiner Glut. Und sie liebte ihn, es sprach aus diesem Blick, sie würde ihn nicht zurückstoßen wie jene andere.
Ah, nicht gedacht soll ihrer werden! Ausgelöscht soll sie sein! Kopfüber mußte man in die Vergessenheit und in das Glück springen! Er bog sich zu Karin hinüber. »Würden Sie die Hand nehmen, die ich Ihnen zu bieten wage?« Er zwang sich zum Lächeln, während ihm das Herz in der Brust wild und aufrührerisch hämmerte und das Blut aus den Wangen wich. Auch Karins Gesicht verlor alle Farbe, es war ihr, als würge sie etwas. So dicht vor die Entscheidung gestellt, schrie ihr Herz auf in wildem Widerstand. Tibor, Tibor! Aber sie mußte diese unübersteigliche Mauer zwischen sich und ihn aufrichten, sie mußte! Den Nacken wie zum Empfang einer schweren Last beugend, murmelte sie wie betäubt: »Wenn Sie glauben, daß ich Sie glücklich machen kann –«
Es war nicht die stolze, selbstbewußte Karin, die das sprach; fast angstvoll und beschwörend klang es, wie die demütige Abwehr eines schüchternen Mädchens, und es brachte ihn vollkommen aus der Fassung. Er fand nicht gleich das richtige, beteuernde Wort, er streckte nur mechanisch seine Hand aus. Wollte er ihre damit fassen? Wollte er sie stützen oder sie als Stütze für sich ergreifen? Karin zuckte zusammen, hob den stolzen Nacken und legte mit raschem Entschluß ihre feinen, kalten Finger in seine heiße, bebende Hand. »Zum festen Bunde, als zwei Menschen, die sich verstehen und sich gegenseitig das Leben schmücken wollen«, sagte sie mit ganz klarer, fester Stimme, ganz Karin Klingenstur, die wußte, was sie wollte. Sie lächelte jetzt sogar und zwang eine zärtliche Schelmerei in ihren Blick. »Uns hat es gleich beim ersten Sehen gepackt, nicht wahr, Hans Heinrich?«
Hans Heinrich erlag Karins Zauber, wie er ihm schon oft erlegen war; er preßte ihre Hand glühend an die Lippen. Ja, er hatte sie schon damals geliebt, und er liebte sie auch jetzt. Alles andere war eine Verirrung gewesen, ein unnatürliches, übernatürliches Empfinden; er liebte nur dieses schöne, verlockende Mädchen, und seine Worte klangen überzeugt: »Ja, gleich beim ersten Sehen hast du mir es angetan!« Als er dabei leidenschaftlich seinen Arm um sie legte, schauerte sie zusammen. Nur nicht küssen, nicht jetzt, nicht gleich! Sie mußte sich erst dareinfinden.
Gott sei Dank, gerade im rechten Augenblick trat die Mama über die Schwelle. Karin sprang auf. »Mama, wir haben uns eben verlobt!« Sie eilte auf die Mutter zu und warf sich fassungslos an deren Brust. Da stand auch schon Sesenburg vor der Überraschten. »Ja, Baronin. Verzeihung, daß ich handelte, ehe ich Sie um Ihre Erlaubnis gebeten hatte. Der Augenblick und das verlockende Beispiel da drinnen mögen mich entschuldigen. Ich hoffe, Sie haben nichts gegen meine Werbung einzuwenden.«
Ein Druck legte sich auf das Herz der Mutter, nur ganz flüchtig, kaum daß ein Zögern dadurch über sie kam; dann hatte sie die Hand nach Hans Heinrich ausgestreckt und ihn mit ihrem gewinnendsten Lächeln als willkommenen und lieben Schwiegersohn begrüßt. Sie sprach dazu sehr hübsch und sehr passend, und Karin richtete sich aus ihren Armen auf und hatte heiße Wangen und leuchtende Augen, seltsam heiß und unruhig leuchtend. Hans Heinrich war auch sehr aufgeregt, auch mit heißen Wangen und fieberhaft leuchtenden Augen.
Die beiden Glücklichen drinnen im Zimmer hatten von dem wichtigen Ereignis, das sich nur wenige Schritte von ihnen entfernt begab, nichts bemerkt. Sie hatten viel zuviel mit sich zu tun, ein Brautpaar, das nichts sah und hörte als sich, das so von goldenen Plänen, rosiger Neckerei und himmelblauer Seligkeit umsponnen war, daß es eines Erdbebens bedurft hätte, um eine flüchtige Aufmerksamkeit für außerhalb liegende Dinge in ihnen zu erwecken.
Aber Karins Verlobung schien in Ebbas Empfinden noch etwas mehr als ein Erdbeben zu sein, denn sie starrte ganz fassungslos, mit erschreckten Augen und erblaßten Wangen zu der lächelnden Schwester empor. »Karin, du – du hast dich mit dem Baron verlobt?«
So viel Unglauben, so viel Schreck und Angst klang aus diesem Ausruf, daß Karin zusammenzuckte und einen Augenblick nahe daran war, ihre Fassung zu verlieren. Ebba hatte ihr Geheimnis entdeckt! Da galt es, doppelt sicher auftreten, doppelt geschickt sich in die einmal übernommene Rolle finden und sie mit allen Kräften durchführen. Sie lächelte mit vollendeter Unbefangenheit und einem Gemisch von Erstaunen und Schelmerei: »Hast du das denn gar nicht geahnt? Mein Schatz und ich standen doch schon lange auf dem Sprungbrett, von dem aus man sich in den Brautstand stürzt! Aber eure Verliebtheit machte euch blind für die anderer Leute!« – »Blind?« fragte Ebba, schwer atmend.
Aber Macleton übertönte ihre Worte mit seinem lustigen Lachen. »Irrtum, schöne Schwägerin! Ich habe das längst gemerkt; deshalb tröstete ich mich mit Ebba, da ich die Hoffnungslosigkeit Ihnen gegenüber schnell einsehen mußte.« Er zwinkerte dazu spitzbübisch zu Ebba hinüber und erwartete, daß sie jetzt auf ihn zustürzen und ihn schütteln und rütteln und schelten würde; aber Ebba stand ganz still, mit großen, starren Augen, deren Blick schwer an Karin hing. Sie hatte seine neckenden Worte anscheinend gar nicht gehört, denn ohne sie zu beachten, trat sie jetzt hastig auf Karin zu, schlang beide Arme um deren Schultern und sagte mit halberstickter Stimme: »Karin, wirst du glücklich werden? Liebe Karin, werde glücklich!«
Und aufschluchzend drückte sie ihr Gesicht an das Karins. Die wurde um einen Schatten blasser. Es war ihr, als wenn jemand an ihrem Herzen risse; sie fand nicht gleich ein Wort. »Aber, Ebba!« rief die Mama und faßte erschreckt Ebbas Hand. »Aber, Ebba!« rief zur gleichen Zeit Macleton und wollte die leise Schluchzende an sich ziehen.
Karin hielt Ebba fest und strich sanft über den an ihrer Schulter ruhenden Kopf. Sie lächelte mit zuckenden Lippen. »Wie das Kind sich aufregt! Zwei Verlobungen hintereinander sind zu viel für sie gewesen. Kleine Ebba, du mußt stärkere Nerven bekommen, du mußt dein Gefühl besser beherrschen lernen. Sieh mich an! Ich kann dem Glück standhalten, um mich brauchst du dich nicht zu sorgen.«
Ebba hob den Blick, und dieser traf in den Karins, der seltsam sprechend und streng auf ihr ruhte. Augenblicklich wurde sie sich der Ungeschicklichkeit bewußt, die sie begangen. Ja, Karin war stark; man brauchte sich wirklich nicht um sie zu sorgen; sie würde ihren Weg unbeirrt gehen, sie würde vielleicht sogar glücklich werden, trotz allem, was hinter ihr und, dem gestrigen Anschein nach, noch so nahe neben ihr lag.
Ihr Gesicht färbte sich purpurn, und hastig richtete sie sich auf. »Ja, Karin, es waren wohl meine Nerven. Du hast recht, zwei Verlobungen sind ein bißchen viel, ich konnt' mich nicht gleich dareinfinden, und – wir sind doch Schwestern, und ich hab' dich immer lieber gehabt als du mich. Ein dummer Glückwunsch war es, einer mit Tränen, – vergib!« – »Ich wußte ja, wie du es meintest.« – »Ja, du wußtest es! Lieber Baron, ich freue mich sehr, Sie zum Schwager zu bekommen. Sie können auf Karin stolz sein, ich war es auch immer, aber mein Charly hat es auch gut getroffen, ich bin fügsam wie ein Lamm, während Karin immer stark und stolz wie ein Löwe war.« – »Oho!« fiel Charles ein, und Karin wehrte sich lachend, und Hans Heinrich, dem bei Ebbas Erregung gar nichts Ungewöhnliches aufgefallen war, ging lachend auf den Scherz ein, und so kam alles wieder in das richtige Gleis, und die Zofe, die wieder einmal zufällig im Nebenzimmer einer Beschäftigung nachging, erwischte dabei umgehend die allerneueste Neuigkeit.
Dem Zimmermädchen erzählte sie es in fliegender Eile, und nebenan war Maria eben damit beschäftigt, Alex für seine Vormittagsausfahrt zurechtzumachen. Sie mußte jedes Wort hören, und dabei wurde es ihr dunkel vor den Augen, und der Schmerz faßte sie so wild und unbarmherzig, daß ein Stöhnen über ihre Lippen kam und die unsicher tastenden Hände die Schulter ihres Pfleglings so hart umklammerten, daß dieser erschreckt aufschrie: »Au, Maria! Was ist dir denn, Maria? Bist du krank? Du zitterst ja und bist so blaß!« Maria raffte sich mit Energie wieder auf und versuchte zu lächeln. »Ein plötzlicher Schwindel – es ist nichts weiter.«
Im Empfangszimmer waren mittlerweile die Überlegungen, was nun zunächst zu tun sei, auch von dem zweiten Brautpaar übernommen worden. Für Hans Heinrich ergab sich gar keine Notwendigkeit, verwandtschaftliche Zustimmungen einzuholen. »Ich bin ganz frei und einsam. Außer einem alten Onkel, der mich stets vor dem Heiraten gewarnt hat und dabei nichts sehnlicher wünscht, als mich verheiratet zu sehen, habe ich niemand auf der Welt, du mußt mir alles ersetzen.« Er drückte heftig Karins Hand und sah sie mit einem mehr unruhig-schmerzlichen als zärtlichen Blick an. Sie erwiderte seinen Händedruck, denn das lag wohl als äußerste Pflicht vor, und sie versuchte auch liebevoll und innig zu blicken; aber die Augen wollten ihr heute nicht so gehorchen wie sonst, ihr Gold schillerte eigentümlich leblos und kalt. Sie neigte den Kopf an seine Schulter und sagte leise, mit gepreßter Stimme: »Das will ich. Das ist nun selbstverständlich.«
Und beide hatten dabei ein Gefühl, als wenn sie mühsam einen Berg erstiegen und nimmer die freie Höhe erreichen würden. Das geht nicht so weiter, dachte Karin verzweifelt; ich muß mich besser beherrschen, ich muß mich gewöhnen, liebevoll zu sein. Allmählich werde ich es auch lernen, ich muß nur erst das Neue überwunden haben. Ich konnte doch sonst anders mit ihm verkehren, warum nur jetzt nicht? Ich will und muß! Sie faßte seine Hand fester, und dabei fiel ihr Blick auf den Ring, der an seinem Finger funkelte. Unwillkürlich schreckte sie wieder zurück und riß ihre Hand aus der seinen. »Die Schlange!«
Sesenburg drehte hastig den Stein nach innen. »Immer dieser verhexte Ring! Hat er dich wieder erschreckt? Ich werde ihn ablegen.« – »Nicht doch, nein, den interessanten Ring! Ich habe es schon wieder überwunden, du mußt mir doch noch diese Geschichte erzählen, die zu ihm gehört, Hans Heinrich! Du bist sie auch Charles noch schuldig. Charles,« – sie war so froh, eine äußere Ableitung bräutlicher Vertrautheit zu finden – »Charles, haben Sie noch neben dem Interesse an Ebba das alte an der Inderin und dem Ring?« – »Ach, sie hat sich ganz überlebt!«
Das andere Brautpaar schreckte aus seiner Fensternische auf, und Macleton trat rasch auf die Fragende zu. »Selbstverständlich und pflichtschuldigst! Richtig, Sesenburg, jetzt, wo wir durch neue verwandtschaftliche Beziehungen miteinander verbunden werden, müssen Sie mir Bescheid geben über die alten, die anscheinend schon zwischen uns bestehen. Was hat es mit dem Ring für eine Bewandtnis? Wie kamen Sie zu ihm? Was wissen Sie von seinem Ursprung?«
»Das ist alles mit wenig Worten zu beantworten«, lächelte Hans Heinrich gezwungen. »Ein Urahne von mir hat ihn mitsamt einer fremden dunkeln Frau von langen Reisen in fremden Landen mitgebracht. Er ist anscheinend eine Art Ehering gewesen, doch weiß die zweihundert Jahre alte Sage nicht zu melden, ob eine Ehe zwischen meinem Vorfahr und jener fremden Frau bestanden hat. Als sie starb, ist das einzige Töchterchen, das dem Zusammenleben der beiden entsprossen war, mit dem alten Diener, den Nuramaja, so hieß die Fremde, aus ihrer Heimat mitgebracht hatte, verschwunden und hat den Ring, den ihre Mutter bis zum Tode getragen hatte, mitgenommen. Ich vermute, daß das jener Ring ist, den Ihr Großvater gekannt hat.« – »Und Sie haben nie wieder etwas von diesem verschwundenen Kinde erfahren?« – »Der Sage nach nicht. Es sind ja alles nur märchenhafte Überlieferungen, von denen man nicht weiß, was an ihnen Wahrheit, was Dichtung ist.« – »Aber der Ring ist doch Wahrheit! Und sonst ist nichts mehr als Beweis dieser Überlieferung übriggeblieben?« – »Nein, nichts, das heißt doch, ein Bild – ein Bild.«
Hans Heinrichs Augen wurden starr, sein Gesicht verlor alle Farbe, und alle Züge darin spannten sich, das Wort auf seinen Lippen erstarb, dann sprang er auf und schlug sich mit einer an Verzweiflung grenzenden Gebärde gegen die Stirn: »Das Bild!«
Urplötzlich war der Schleier, der seit seiner schweren Erkrankung über seinem Erinnerungsvermögen gelegen hatte, gerissen; mit einem Ruck, wie im Märchen vor dem richtigen Wort die keinem Gewaltmittel und keiner Macht weichenden Pforten willig und weit aufspringen, so war bei der Erwähnung des alten, zerstörten Bildes die verschlossene Pforte seiner Erinnerung krachend aufgesprungen, und er stand plötzlich vor der Erkenntnis, um die er mit Qualen und Schmerzen gerungen hatte, und die jetzt wie ein Keulenschlag auf ihn niederfiel. »Sie ist's! Das weiße Kleid, die gelbe Blume und die Augen, die Augen! Maja ist gefunden!« – »Was?« Macleton vergaß alles andere, er packte Sesenburg an die Schultern. »Sind Sie auch bei Sinnen? Phantasieren Sie nicht? Maja! Was reden Sie von Maja? Wo ist sie?«
Auch Karin war aufgesprungen. Es kam ihr auf einmal das Gefühl einer drohenden Gefahr. Sie legte ihre Hand auf Heinrichs Arm. »Was ist das? Sprich doch! Bist du auch nicht krank?« Die Frage schien berechtigt, denn der Schweiß stand in hellen Tropfen auf seiner Stirn, sein Gesicht war totenblaß, und in seinen Augen brannte ein irres Licht. »Sie ist's! So sah ich sie im Traum! Nun weiß ich alles,« sagte er mit tonloser Stimme, nur für sich sprechend, und sein Gesicht verzog sich wie in körperlichem Schmerz, und dazu klang es in seiner Seele: »Verloren, mein Glück blind verscherzt! Ich habe sie immer gefühlt und nicht greifen und begreifen können, was sie mir war! Ich blinder Tor, der sich in Ketten und Banden legte, um dem Glück zu entfliehen.« – »Was ist Ihnen denn, Sesenburg? Ihnen scheint nicht gut zu sein; Mama, was meinen Sie?«
Frau von Lebanoff stand ebenso verständnislos vor dieser Szene wie die anderen, sie sah hilfesuchend nach Karin. Die hatte ihre volle Ruhe wiedergefunden, ihre Finger legten sich mit festerem Druck auf Sesenburgs Arm, und ihre Stimme hatte einen strengen, befehlenden Ton: »Hans Heinrich, was soll das alles bedeuten?« Das rief ihn in die Gegenwart zurück. Hastig strich er mit der Hand über die feuchte Stirn. »Verzeihung! Es war zu überraschend! Eine Entdeckung, die ich seit Tagen suche, die mich gequält hat – plötzlich ist sie da! Das heißt, ich glaube, es ist ein Traumbild, das in meine Krankheit hineinspielte, nein, etwas mehr – kurz und gut, die Pflegerin Ihres Sohnes, Baronin, ist die gesuchte Maja!«
Hastig, überstürzt, ohne seine Gedanken vernünftig fassen und ordnen zu können, stieß er die Worte hervor, und sie fuhren alle zusammen, und jede der drei Frauen wußte, ohne Beweis, ohne Zusammenhang, nur aus einem unwillkürlichen Empfinden heraus, daß er recht hatte. »Die Gefahr!« dachten Mutter und Karin im gleichen Gefühl. »Die Prinzessin auf der Erbse!«
Ebba dachte es nicht nur, sie rief es überrascht aus: »Charly, ich glaub' es! Sie ist die Gesuchte! Hurra, wir haben sie!« Charles stand ganz verständnislos da. »Die Pflegerin deines Bruders? Aber da hättet Ihr doch wissen müssen –« – »Nein, nein, nein, die indische Prinzessin ist inkognito bei uns,« jubelte Ebba, »aber sie ist's! Mama, Karin, glaubt ihr's nicht auch?«
Ja, sie glaubten es, aber sie schüttelten beide den Kopf. »Unsinn! Unmöglich! Sie heißt Maria Fourriere. Nein, Hans Heinrich, wie kommst du auf diese Idee?« – »Sie sieht aus wie das alte Bild.« – »Wer kann denn nach solch altem, nachgedunkeltem Bilde urteilen! Da ist andere Tracht und andere Frisur.« – »Freilich,« – vor dem ruhigen Überlegen kamen ihm wieder Zweifel – »sie war dort verschleiert.« – »Auch noch verschleiert? O, Lieber, was bist du für ein kühner Phantast!« lachte Karin mit dem hellsten Glockenton ihrer Stimme auf. »Dann kennst du ja ihr Gesicht gar nicht!«
Er schwieg. Daß er überhaupt gesprochen hatte, peinigte ihn jetzt; es war ihm, als hätte er etwas Heiliges, Himmlisches entweiht. In diesem Augenblick fand er die goldenen Augen nur kalt und feindselig. Narr, blinder Narr, der er gewesen! Mit kurzem Ruck machte er sich von Karins haltender Hand frei: »Und sie ist es doch!« In Karins goldenen Augen funkelte es jetzt wirklich wie Zorn und Haß auf, und schon schwebte ein böses, höhnisches Wort auf ihren Lippen, ein Wort, das echter aus dem Herzen gequollen wäre, als alles, was sie vorher zu ihm gesprochen hatte, da sagte Charles Macleton erregt: »Aber das ist ja ein Streit um des Kaisers Bart, während wir einfach durch den Augenschein die Wahrheit finden können. Ich weiß, wie jene Maja, die ich suche, aussehen muß, und außerdem ist ja der Ring das beste Kennzeichen.«
»Aber den trägt sie nicht,« riefen alle drei Damen. – »Das beweist auch noch nichts, sehen will ich sie. Wenn sie auch bis jetzt unsichtbar war, aber unter eurer Leitung muß sie doch zu sehen sein.« – »Natürlich, Schatz! Du hättest sie heute sowieso zu sehen bekommen. Ich habe nur gewartet, bis Alex fertig war, um dich ihm als meinen zukünftigen Herrn und Gebieter vorzustellen. Nun kann er gleich die Bekanntschaft zweier Schwäger machen. Wir wollen fragen lassen, ob Alex uns schon empfangen kann.« – »Ja, gewiß,« nickte Frau von Lebanoff, die sich in der Geschwindigkeit schon alles zurechtgelegt hatte und innerlich triumphierte, daß Hans Heinrich in festen Banden lag, ehe diese unliebsame Entdeckung kam.
Alex fuhr, als man in sein Zimmer trat, ärgerlich auf: »Ich will keinen Besuch – sie sollen –« Da stand die Mama mit Ebba und Charles schon auf der Schwelle. Ein Blick Macletons auf das sich rasch erhebende junge Mädchen, dessen dunkle Augen erschreckt aus dem blassen, lieblichen Gesicht schauten, und er ließ Ebbas Arm achtlos fallen, um auf Maria zuzueilen: »Maja!« Sie zuckte zusammen, und die Augen blickten noch erschreckter; unsicher fragend flogen sie über das fremde Gesicht. »Nein,« stammelte sie verwirrt und hob abwehrend die Hand. »Ja,« nickte Macleton, und sein Gesicht strahlte: »Maja von Münchenhausen-Waldeneck, endlich habe ich Sie gefunden!«
Dabei wollte Macleton die abwehrend erhobene Hand fassen, aber Maja trat hastig zurück. Einen Augenblick schien es, als wenn sie sich besinnungslos zur Flucht wenden wollte; aber dann richtete sie sich entschlossen auf, hob den Kopf mit stolzer Bewegung und sagte fest: »Ja, das bin ich; aber ich verstehe nicht, was Sie von mir wollen, ich habe nichts Unrechtes getan.« – »Aber nein, nein; verscheuchen Sie jede Sorge, und verzeihen Sie den Überfall; aber ohne den hätten Sie vielleicht Ihr Geheimnis nicht verraten, und mir lag doch so unendlich viel daran, Sie zu finden.« »Ja, ich verstehe aber noch immer nicht –«
Ihr Blick hatte jetzt auch das zweite Brautpaar erfaßt. Sie war zwar vorbereitet gewesen und hatte sich gewappnet gegen das Unvermeidliche; aber nun lief doch ein Zittern durch ihre Gestalt, und ihr Gesicht wurde noch blässer als vorher. »Gleich, gleich«, beruhigte Macleton und faßte nun wirklich die schlaff herabhängende Hand. »Es tut mir ja so leid, daß ich Ihnen diesen Schrecken bereitet habe! Nur schnell ein paar erklärende Worte. Mein Großvater ist der Onkel Ihrer Großmutter, die bei einem Schiffbruch an der spanischen Küste als kleines Kind verloren ging. Stimmt das?«
»Mit meiner Großmutter, ja,« nickte Maja, nun doch ganz unter dem Eindruck dieser Mitteilung, »so hat meine Mutter es mir erzählt. Spanische Fischer hätten sich des Kindes, das sie in den Armen einer alten, toten Dienerin am Strande fanden, angenommen. Das Kind hat auf der Brust ein Medaillon getragen mit dem Bilde einer schönen jungen Frau und dem eingravierten Namen ›;Maja‹. Danach ist das Kind genannt worden. Später, als Maja ungefähr acht bis zehn Jahre sein mochte, hat ein wohlhabendes Ehepaar sich in das schöne Kind verliebt und es den Pflegeeltern abgekauft, und so ist meine Großmutter gut erzogen worden und wieder in die Kreise gekommen, in die sie anscheinend gehörte.« – »Und der Ring? Ihre Mutter hat doch noch den Ring getragen?« – »Der Ring?« Ein schneller Blick Majas flog zu Hans Heinrich herüber, und jetzt trat dieser hastig vor. »Ja, der Ring! Nun verstehe ich, warum er Sie neulich so erschreckte. Mein Gott, wenn ich Sie damals hätte ausreden lassen, wie anders wäre alles gekommen!«
Er sah sie so weltvergessen, so schmerzlich an, daß sie, auch ohne den Sinn seiner Worte zu verstehen, langsam rötete. »O, ihr kennt euch schon?« klang da Karins Stimme neben ihm mit so viel Erstaunen und Mißbilligung im Ton, daß er erschreckt zusammenfuhr und die zarte Röte auf Majas Wangen sich vertiefte. »Ja,« sagte er kurz und runzelte die Stirne, »der Wind wehte meine Kappe vor die Füße der Dame, und dabei wechselten wir ein paar Worte.« – »Ah!« Nichts mehr, aber dazu ein vielsagendes, spöttisches Lächeln. »Und was ist nun mit dem Ring?« – »Er fiel mir auf, weil ich denselben besitze und weil er ein seltenes Stück ist«, stieß Maja hastig und verwirrt hervor. – »Aber wo ist er denn?« drängte Macleton. – »Jetzt möchte ich vorerst wissen, wie Sie darauf gekommen sind, mich zu suchen?« – »Sie sollen alles in Ruhe erfahren, alles, liebe, kleine Base; denn wenn auch von weit her, aber ein Stückchen Verwandtschaft ist doch zwischen uns. Freilich, Sesenburg, ich glaube, mit Ihnen ist das Bäschen verwandter, blutsverwandt.«
»Das alles wollen wir aber doch nicht hier im Kinderzimmer abmachen«, trat Frau von Lebanoff dazwischen. Sie hatte Zeit gehabt, sich die Verhältnisse zurechtzulegen, und nahm ihre Entwicklung nun in die Hand. Die beiden Schwiegersöhne hatte sie fest; für Charles lag überhaupt keine Gefahr vor, aber bei Sesenburg steckte allerlei Heimliches dahinter, und man mußte geschickt handeln, um nicht unliebsame Möglichkeiten heraufzubeschwören. Man mußte überhaupt sehr vorsichtig und sehr geschickt vorgehen, denn angenehm war es gerade nicht, sein schon halb entlassenes Kinderfräulein plötzlich als gleichberechtigte Verwandte aufzunehmen; aber es blieb wohl kaum etwas anderes übrig.
»Fräulein von Münchenhausen ist von diesem Augenblick an unser lieber Gast –« »Den ich Ihnen aber so schnell wie möglich wieder entführen werde, liebe Mama«, lachte Macleton. »Denn Großvater wird nicht eher Ruhe geben, als bis er seine Maja bei sich hat. Er liebt Sie um Ihrer Vormütter willen, Fräulein Maja; und außerdem verwaltet er noch ein kleines Kapital Ihrer Urgroßmutter, das mittlerweile hübsch angewachsen ist, und das er durchaus in die Hände der Erbin legen will.«
Über Maja rauschte es wie ein Traum hin. Aus vollkommener Verlassenheit und Armut, ohne Angehörige und Hilfe, plötzlich im Besitz von liebevollen Verwandten und von Vermögen, gesucht, umsorgt und in die richtigen Verhältnisse gehoben, wie im Märchen von der Goldmarie, auf die alle Schätze der Welt funkelnd herniedersanken. Und dabei doch kein Gefühl des Glückes in ihr, sondern immer der Druck auf der Seele, die heiße Sehnsucht nach dem einen, dem Unerreichbaren, dem Einzigen, was ihr Glück erschien, was sie in kurzen, seligen Minuten als Glück erkennen gelernt hatte.
Da saß der geliebte Mann ihr gegenüber an der Seite des schönen, hochmütigen Mädchens, das trotz aller gewandten Form, mit der es sich in die veränderten Verhältnisse fand, ihr ebenso fremd und heimlich feindlich gegenüberstand wie bisher, dem Mädchen, das seine Hand auf ihn gelegt hatte und dem er gehörte. Ob sie auch jene unbeschreibliche Seligkeit empfand, wenn sie an seinem Herzen ruhte?
Wie gut, daß ihr Vater, der stets eine starke Abneigung gegen das Teufelswerk, wie er es nannte, gehabt hatte, nicht duldete, daß sie den Ring trug; nun konnte sie ihn in Hans Heinrichs Hand legen, damit der Fluch, von dem auch er gesprochen hatte, gebrochen und für ihn zum Segen würde. Blutsverwandte waren sie, wenn auch aus weiter, sagenhafter Ferne her; der einzige Mensch war er, der zu ihr gehörte durch alte geheimnisvolle Bande. Vielleicht war es nur das, was sie so wunderbar zu ihm zog, die geheime Kraft alter Zusammengehörigkeit. – »Ich werde den Ring hervorsuchen und Ihnen geben«, sagte sie aus diesem Gedanken heraus, zu Hans Heinrich herüber. »Es ist die Bestimmung der Ringe, daß sie wieder zusammenkommen, damit ihr Fluch sich zum Segen wandle, so hat eine Zigeunerin meiner Großmutter einst gesagt, und ich denke, so wird es auch sein. Sie sollen ihn haben, denn in Ihre Familie gehört er.« – »Nein, mehr in Ihre, denn durch Ihre Vorfahrin kam der meine erst in den Besitz meiner Familie.«
»Na, lieber Sesenburg, wenn Sie diesen Segen, dessen Bedeutung nach meiner Ansicht viel tiefer liegt, – aber das ist ja unmöglich,« – Hans Heinrich und Maja erbleichten, und in Karins Gesicht stieg eine schnelle, zornige Röte – »und ist ja auch alles nur Schnurrpfeiferei und Aberglauben«, lenkte der Sprecher verlegen schnell ein. »Also, wenn Sie den Ring haben wollen, vielleicht für Ihre künftige Frau als Verlobungsring, damit die Sache ins richtige Geleise kommt, dann greifen Sie nur ordentlich in Ihre Tasche, denn mein Großvater hat immer gesagt, daß er ein fast unbezahlbares Kleinod sei.«
»Aber nein, oder ja, unbezahlbar, lieber Vetter.« Maja fiel mit sehr heißen Wangen ein. »Dieser Ring darf nur ein freies Geschenk sein. Das ist seine Bestimmung, und so fasse ich sie auf. Ich würde Baron Sesenburg als einzigen Blutsverwandten meiner Vorfahrin bitten, ihn als solchen von mir anzunehmen.« – »Alle Achtung, Bäschen, Sie schenken fürstlich.« – »Natürlich würde ich solches Geschenk auch nicht annehmen«, fiel Sesenburg mit gleichfalls heißen Wangen ein. – »Und ich würde ihn nicht tragen.« Karins Stimme klang kühl und herb dazwischen. »Ich würde mir mit ihm vorkommen wie an eine Kette lebenslänglichen Unglücks geschmiedet. Der Ring hat mich schon beim erstenmal, als ich ihn sah, entsetzt.«
Sie lächelte ihn mit ihrem bezauberndsten Blick an und legte die weißen Finger zärtlich spielend um seine Hand. Aber er war ganz stumpf und unempfindlich für ihren Reiz. Ihm kamen die weißen Finger wie lauter weiße Schlangen vor, die sich um ihn wanden, und ihre Augen waren auch wie die der Schlange. Das hatte er schon oft empfunden, und in diesem Augenblick überkam ihn das Gefühl so stark, daß er seine Hand hastig aus ihren spielenden Fingern zog und herb sagte: »Doch nicht ganz. Es gibt Dinge, die man nicht mit dem Verstande begreift, aber mit dem Gemüt fühlt; und zu diesen Dingen gehört die alte Sage meiner Familie, die sich an diesen Ring knüpft. Ich werde ihn tragen, wie mein Schicksal es will, bis zu meinem Lebensende, wie sein Fluch oder Segen es verlangt.«
Es kam ein Mißton in die Stimmung, sie fühlten es alle, und Macleton, der sich schuldig fühlte, durch seine vorhergehende unvorsichtige Äußerung den Grundton zu ihr gelegt zu haben, suchte angstvoll nach einer Ablenkung von dem gefährlichen Thema. »Ja, fast könnte man sich zu solchen Anschauungen bekehren. Schließlich gehört die Auffindung Fräulein Majas doch auch zu den wunderlichen Dingen, die wir Zufall nennen, und die wohl nur eine durch hundert geheime Fäden langsam zusammengewebte Notwendigkeit und Bestimmung sind. Wäre mir damals nicht das Bild in die Hände gekommen, hätte mein Großvater wohl nie wieder an seine verschollene kleine Nichte gedacht.«
»Und gerade von dem Bilde haben wir uns so schwer getrennt«, fiel Maja lebhaft ein, auch in dem Bestreben, von dem Ringthema abzulenken, und ihr, wie sie jetzt fand, taktloses Anerbieten, den Ring an Hans Heinrich zu schenken, vergessen zu machen. »Aber unsere Mittel waren fast aufgebraucht durch Vaters lange Krankheit, die Sorgen schlugen uns beinahe über dem Kopf zusammen, und da kam gerade ein einstiger Schüler von Vater – Sie kennen ihn auch, wenigstens, als ich ihn neulich ganz zufällig hier traf und ihm erzählte, wo ich einen Platz gefunden, sagte er, daß er die Damen kenne – Tibor Revoscény –«
»Ah!« stieß Ebba überrascht hervor und sah unwillkürlich nach Karin hinüber, deren Gesicht sich unter Hans Heinrichs Antwort in heimlichem Zorn lebhafter gefärbt hatte und nun wieder um einen Schatten blässer wurde, während ihre Hand, die er in schnell aufwallender Reue eben wieder zu fassen suchte, erschreckt zurückzuckte.
Er merkte es nicht, denn er selbst war bei der Nennung von Tibors Namen zusammengefahren, und all seine Gedanken wandten sich wieder von seiner Braut ab, der anderen zu. Also zu dem schönen, jungen Maler gehörte sie! Der hatte zwischen ihm und ihr gestanden, zu dem war sie geflüchtet vor ihm, und zu dem würde sie sich jetzt, wo die Verhältnisse sich so geändert hatten, offen bekennen.
Gut, gut so! Er hatte es ja gewußt, daß sie einem anderen gehöre, und darum band er sich auch an eine andere. Es war alles richtig so. Und nun griff er nochmals noch der zurückgezuckten Hand Karins, und diesmal kam sie ihm entgegen und schmiegte sich in die seine. Beide klammerten sie sich aneinander, zum Schutz gegen ihre unruhigen, quälenden Gedanken und Gefühle. »Ah!« hatte auch Frau von Lebanoff gesagt und gelächelt. »Das war dann wohl der junge Mann, mit dem man Sie neulich gegen Abend Arm in Arm gesehen hat?«
Maja errötete heftig. Der Ton, in dem die Baronin fragte, erschreckte sie. »Ja«, sagte sie befangen. »Er hat mich schon als Kind gekannt, und es war mir ein solcher Trost, ihm hier zu begegnen, und als er mir seinen Arm bot, schien mir das natürlich. Ich dachte nicht, daß es vielleicht unpassend sein könnte.« – »Bewahre, unpassend!« fiel Macleton beruhigend ein. »Ich bin gestern auch mit Ebba Arm in Arm nach Hause gekommen.« – »Ja, lieber Charles, das war doch wohl etwas anderes, oder auch nicht«, lächelte Frau von Lebanoff belustigt und sehr gütig. »Aber das geht uns ja nichts an.«
»O, bitte doch«, flammte Maja dunkelrot auf. »Tibor Revoscény ist mir stets wie ein Bruder gewesen, nicht weniger, nicht mehr, und als solcher hat er mir auch damals beigestanden, als er uns in so großen Sorgen fand. Er führte den Baron d'Eclaffe zu uns, sich Vaters noch vorhandene Bilder anzusehen, und er hat Vater so lange zugeredet, mit so viel Vernunft, Klugheit und dabei Zartheit, bis Vater sich endlich entschloß, das ihm so teure Bild, das er nur für sich gemalt hatte und nie verkaufen wollte, doch herzugeben, da der Baron fest daran hielt, gerade dieses haben zu wollen. Not ist ein hartes Ding! Es war uns beiden, als wenn ein Stück von unserer Seele mit dem Bilde meiner schönen, sonnigen Mutter hinginge. Aber Tibor hatte recht, Mutter wäre die erste gewesen, die auf den Verkauf gedrungen hätte, um uns vor dem Schlimmsten zu schützen.«
»Das ist nun alles vorbei, kleine, liebe Base.« Macleton drückte tröstend die eine der gequält ineinandergeschlungenen Hände. »Nun bin ich wie Ihr Bruder, und mein Großvater, sowie meine Eltern und meine zukünftige Frau, sind Ihre Familie, und wir werden uns alle bemühen, Sie die Sorgen und Schmerzen vergangener Tage vergessen zu machen.« – »Ja«, nickte Ebba mit schimmernden Augen und fand, daß ihr Charly der herrlichste und beste aller Menschen sei und ein Herz habe wie Gold. »Und wenn wir erst verheiratet sind, kommen Sie ganz zu uns als unsere liebe Schwester. Nicht wahr, Charly?« – »Wenn Großvater sie uns läßt, Liebling. Daran glaube ich nämlich nicht.« – »Und wenn Fräulein von Münchenhausen sich nicht schon vorher auch verheiratet, was mir am allerwahrscheinlichsten vorkommt«, lächelte Frau von Lebanoff wieder sehr gütig und verständnisvoll.
»O, nein«, wehrte Maja hastig ab und sah angstvoll aus dem Fenster, um nur nicht mehr Hans Heinrichs schmerzlichem, sehnsüchtigem Blick zu begegnen. Warum er sie nur so ansah? Er war doch ein glücklicher Bräutigam und hatte die schönste Braut der Welt neben sich. Warum sah er die nicht an? Wenn sie nur fort von hier könnte, weit fort von ihm! »Hm, ja,« nickte Macleton nachdenklich, »das möchte ich für meinen Großvater nun doch nicht so schnell wünschen. Aber auf jeden Fall ist es das beste, wenn ich Sie so umgehend wie möglich ihm zuführe, ehe noch von irgendwoher jemand anders auftaucht und Sie ihm wegschnappt.« – »Da brauchen Sie keine Angst zu haben; ich lasse mich nicht wegschnappen, und es gibt auch niemand, der dazu Lust hätte«, fiel Maja mit herbem Lächeln ein. »Aber mein Herz sehnt sich auch danach, den alten Herrn, der mich lieb haben will, und der meine Vormütter kannte und liebte, zu sehen und zu sprechen. Ich bin bereit, sobald Sie wollen.« – »Ich gehe jetzt, alle Neuigkeiten schnell nach Neuyork zu kabeln.«
Nach einer Stunde kam er wieder. »Denkt mal, Tibor, der kräftige, junge Mensch, ist mir vorhin auf offener Straße beinahe umgefallen, ganz nahe einer Ohnmacht, urplötzlich! Ich hab' einen Heidenschreck bekommen! Es ging ja schnell vorüber; er sagte, es wäre ein Herzkrampf, und er litt öfters daran. Aber ich habe ihn nicht allein ins Gasthaus gehen lassen, ich habe ihn hingebracht, trotzdem er das durchaus nicht wollte, daher hat es so lange gedauert. Ich wollte auch noch für ihn zum Arzt gehen; aber das ließ er nicht zu. Er hätte schon ein unfehlbares Mittel für sein widerspenstiges Herz, er brauche keinen Arzt; aber dabei sah er wie eine Leiche aus und kam mir auch geistig ganz verwirrt vor. Was ist dir denn, Ebba? Du bist ja auch ganz bleich! Hat dich das so erschreckt? Du, du, was soll das bedeuten? Da könnte ich beinahe eifersüchtig werden!«
Ja, Ebba war erblaßt, und in ihren Augen lag eine große Angst; sie lächelte mühsam: »Ach, Unsinn! Aber natürlich kann einen so etwas erschrecken. Du hast ihm von den Verlobungen erzählt?« – »Selbstverständlich. Nein, kleine Eitelkeit, das hat ihn nicht so angegriffen und ihm nicht das Herz gebrochen; er hat mich mit strahlender Freude beglückwünscht.«
Ebba zog Macleton hastig ins Zimmer, damit Maja, die mit Alex auf dem Balkon saß, sie nicht hören könnte. »Charles, er liebt ja Karin, liebt sie seit zwei Jahren, und deshalb, um seine Gedanken von ihr abzuziehen, habe ich mich neulich immer zwischen ihn und sie gestellt.« – »Ah so! Dann sollte ihn Karins Verlobung so hart getroffen haben? Aber, Kindchen, dann wußte er doch schon längst, daß die stolze Schöne sich nichts aus ihm macht.« – »Ja–a,« gab sie zögernd zu, »aber er hat wohl doch noch immer gehofft.« – »Dann wird er sich nun wohl endgültig zurechtfinden müssen. Armer Kerl! Anscheinend hat er sich die Flügel stark verbrannt, und im Anfange wird es schwer sein, besonders da er ein sehr leidenschaftlicher Mensch ist.«
Ein Schrei, schrill und qualvoll, wie der eines Sterbenden, gellte in seine Worte hinein. Karin, der eben ein Bote einen Brief gebracht hatte, stand vorgebeugt, mit weit geöffneten Augen, in denen die Verzweiflung brannte, das Gesicht verzerrt von Angst und Schreck. »Tibor! Tibor! Er ist tot, er hat sich erschossen!« Aller Augen wandten sich nach ihr, Schreck, Verwirrung auf allen Gesichtern.
Plötzlich wandte sich Karin ohne ein weiteres Wort mit fliegendem Schritt der Tür zu. »Karin!« rief die Baronin mit vor Schreck und Zorn fast erstickter Stimme. »Karin!« rief auch Ebba und stand schon neben ihr, den Arm um die Eilende schlagend. »Was willst du tun?« – »Zu ihm! Halt' mich nicht auf, ich muß zu ihm!« Da stand die Mutter mit zornflimmernden Augen vor der Tür. »Nicht einen Schritt weiter! Du bist wahnsinnig! Besinne dich! Du bist die Braut –« »Ich bin niemandes Braut. Laß mich! Keiner darf mich halten; ich weiß, was ich tue, ich kann nicht anders. Alles andere ist ausgelöscht. Laß mich, oder ich springe durch das Fenster!«
Sie sah so verzweifelt entschlossen aus, daß die Mutter entsetzt zurückwich und fassungslos, mit einem hysterischen Aufschluchzen in einen Stuhl zurücksank. »Sie ist wahnsinnig geworden, wahnsinnig!« – »Charles, schnell, sie ist schon fort. Wir müssen ihr nach. Mamachen, ja, es ist schrecklich, aber Karin ist eben anders, als wir alle denken. Ich wußte es längst, sie hat ihn immer geliebt. Ach, Gott, Baronin, ich weiß nicht wie das werden soll: aber es ist besser so, glauben Sie.« Ebba rang verzweifelt die Hände. »Aber vorläufig müssen wir fort, Charly!«
Sie stürmten beide aus dem Zimmer. In der Balkontüre stand blaß und erschreckt Maja. Sie hatte alles gehört, aber fand sich in nichts zurecht. Eine Braut, die ohne Wort und Blick für den eben gewonnenen Verlobten in höchster, besinnungsloser Verzweiflung an das Sterbebett eines anderen Mannes stürzt – daraus sprach doch nicht Liebe für den Bräutigam, das war ja – – Maja wagte ihre Gedanken nicht weiter zu verfolgen. Angstvoll und ohne sich dessen bewußt zu sein, tausend in Mitleid getauchte Zärtlichkeiten in den dunkeln, sehnsüchtigen Augen, blickte sie zu Hans Heinrich hinüber. Der stand in peinlichster Verlegenheit und Verwirrung, unter der aber etwas wunderbar Beruhigendes und Beglückendes glimmte, das bei dem Blick, den er von drüben auffing, hell aufloderte und ihm das Blut rasch und warm durch die Adern trieb.
Frei! Das Wort stand in leuchtenden Lettern vor ihm, er konnte nichts anderes denken. Seine Wangen färbten sich darunter, seine Augen strahlten auf – frei! Und sie liebte den andern nicht, sie gehörte nicht zu dem andern. An dessen Sterbelager stand Karin, seine gewesene Braut. Gott sei Dank, seine gewesene. Ihm kam kein Bedauern für das, was ihn frei machte, kaum ein Verwundern und Erschrecken. Das war alles untergegangen vor dem, was er in Majas Augen las. Er hatte auch die schluchzende Mutter gänzlich vergessen und fuhr erschreckt herum, als sie jetzt verzweifelt neben ihm aufjammerte: »Der Skandal! Das überlebe ich nicht! Und gerade Karin, meine stolze Tochter! Sie kann nur den Verstand verloren haben! Baron, daß Ihnen das von meiner Tochter geschehen mußte!« Da kam es wieder in sein Bewußtsein, daß sich eben etwas Ungeheuerliches zugtragen hatte, etwas unter dem Hoffnungen zerbrachen und ein Menschenleben in seinen tiefsten Gründen erschüttert wurde.
Es war für Frau von Lebanoff ein schwerer Schlag, Sesenburg sah es, und mit ritterlicher Bewegung trat er auf die Weinende zu. »Denken Sie gar nicht an mich, Baronin; ich werde mit dem, was mich traf, fertig werden.« – Innerlich schämte er sich, wie leicht und glücklich er dieses Versprechen erfüllen konnte. – »Ich fühle in diesem Augenblick, daß es auch von meiner Seite ein Irrtum war, als ich um Ihr Fräulein Tochter warb und mein Glück bei ihr zu finden suchte; wir gehörten nicht zueinander.«
Dabei sah er zu Maja auf, die, zögernd und unsicher, wie sie sich Frau von Lebanoff gegenüber benehmen dürfe, nähergetreten war und nun unter seinen Worten und dem Blick, der sich dabei voll und sprechend auf sie richtete, tief errötete und nicht wehren konnte, daß auch in ihrem Herzen eine Ahnung kommenden großen Glückes auftauchte. »Es ist wohl besser, wenn ich mich jetzt empfehle«, fuhr er stockend fort. »Liebe Base, ich hoffe Sie noch öfter zu sehen und Ihnen über die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen uns wichtige Aufschlüsse zu geben.«
Er hielt ihre Hand in der seinen, und sie blickten sich tief in die Augen. Das Glücksgefühl, das wunderbare, gewaltige, flutete wieder über sie beide hin; für einen Augenblick vergaßen sie die ganze Welt und sahen und empfanden nur, daß sie sich gefunden hatten und daß einer sein Glück nur im anderen finden könne.
Die Baronin verließ das Zimmer; die beiden standen sich stumm und befangen gegenüber. Hans Heinrich atmete schwer. »Der arme Tibor! Ich dachte, Sie liebten ihn. Damals, als wir uns trennten, trafen Sie ihn. Ich wußte zwar nicht, wer er war, aber ich glaubte, daß er der Mann sei, dem Sie gehörten. Darum –« Er verstummte, aber sie hatte ihn verstanden, ihr Herz schlug in Seligkeit. »Nein, ich gehöre niemand!« »Maja!« Er biß sich auf die Lippen. Es war nicht die Zeit, um jetzt zu ihr zu sprechen, sie mußten warten. »Liebe Base, wir haben uns noch viel zu sagen, und Sie wissen, es ist ein Zusammenhang zwischen uns von altersher, und –« »Ja, die Ringe«, stammelte sie verwirrt, als er stockte. »Gewiß, die Ringe.« Seine Augen leuchteten. Ich erzähle Ihnen die Geschichte, die zu ihnen gehört, und die Prophezeiungen, die sich an sie knüpften, später, wenn es klar um und in uns ist, wenn wir uns wiedersehen, Maja!«
Und nun küßte er die glückbringende, schöne Hand und beide wußten, daß es ein Gelübde war fester Zusammengehörigkeit.
Ebba und ihr Verlobter kehrten schneller zurück, als die Baronin erwartet hatte, beide bleich und bedrückt. »Er lebt noch, Mama«, seufzte Ebba. »Der Arzt meinte, es könnte in ein paar Stunden vorbei sein, aber es könnte auch noch Monate dauern. Die Kugel har nicht das Herz getroffen, sondern die Lunge. Noch ist er bewußtlos –« »Er, er!« fuhr die Baronin leidenschaftlich auf. »Was geht dieser verrückte Mensch mich an! Von Karin will ich hören. Wo ist sie? Sie gehört hierher, nicht zu dem Fremden. Sie hat ihr Glück mit Füßen getreten.«
»Ja, Mama, das hat sie; denn ihr Glück ist Tibor Revoscény. Nein, Mamachen, fahr' nicht auf, es ist einmal so. Sie liebt ihn seit damals, und hat wohl, wie ich denke, – denn Karin spricht nie über ihre Gefühle – in ihrem harten Stolze immer dagegen gekämpft, und ich vermute, daß ihre heutige übereilte Verlobung nur das letzte, höchste Schutzmittel gegen diese Liebe sein sollte.« »Dann hätte sie sich an dieses Schutzmittel halten sollen, nicht wie eine Wahnsinnige von der Fahne fliehen. Wer nimmt noch ein Mädchen, das vielleicht tagelang am Bette eines fremden Mannes blieb!«
»Mama, denke doch nicht an dergleichen. Karin ist mit ihrer Jugend und ihren Hoffnungen fertig. Diese eine Stunde hat sie ganz verwandelt.« »Ah! Meine schöne, meine stolze Tochter gehört dem Leben und dem Glück; ich darf nicht dulden, daß eine augenblickliche Schwäche sie für beides ruiniert. Ich will zu ihr, sie holen.« »Tu' es nicht, Mama, du richtest nichts aus. Ich denke, du solltest Karin im Punkte der Willensstärke kennen; keine Macht der Welt trennt sie von dem Posten, den sie jetzt einnimmt.«
Sie hatte recht, keine Macht der Welt trennte Karin von dem Sterbenden, von dem sie sich, als er ihr sein Leben bot, kaltherzig abgewandt hatte. Sie blieb bei ihm, taub für alles, was man ihr sagte. »Meine Pflicht ist bei ihm; solange noch ein Atemzug in ihm ist, verlasse ich ihn nicht. Ich kann nicht anders, und ich will auch nicht anders. Weine nicht, Ebba, ich trage das Schicksal, das ich mir selber schuf. Alles Glück der Welt, alles, was ich mir gewünscht, hatte ich in meinen Händen und warf es in erbärmlicher Torheit von mir. Nun nehme ich den dürren Stab, den Witwenstab, denn, Ebba, sage es Mama erst, wenn es geschehen ist: Charles hat mir alle Papiere besorgt; morgen werde ich getraut.« »Karin, du willst dich ihm noch antrauen lassen?«
Ebba sank fassungslos auf einen Stuhl und rang die Hände. »Ja, es ist das einzige, was ich noch für ihn tun kann, für ihn, den ich immer mehr geliebt habe als alles. Ich wußte es nur nicht, wie stark meine Liebe war. Erst da der Tod an sein Herz trat, kam das meine zur Erkenntnis seiner Kraft. Noch lebt er, noch liebt er mich, noch kann ich ihm das bißchen Leben, das meine Grausamkeit ihm ließ, mit meiner Liebe schmücken. Er ist so glücklich, seitdem er das Bewußtsein wieder hat und mich neben sich weiß – ein Glück, das mir das Herz zerreißt, wenn ich denke –!« Sie stöhnte in unterdrückter Qual. »Er hat kein Wort der Anklage für mich, keinen Fluch, nur Liebe, immer Liebe! Ebba, ich war nicht wert, sein Weib zu werden, wie ich früher war. Jetzt, jetzt ist nichts mehr übrig von der stolzen, kalten Karin einstiger Tage. Ihn hebt der nahe Tod über alles Irdische hinaus, und seine Liebe trägt mich mit ihm hoch. Es ist alles anders geworden. Ich bin glücklich, soweit ich es mit der Schuld auf meiner Seele sein kann, der Arzt sagt, daß es noch vier bis sechs Wochen dauern kann. Er wird auslöschen wie ein Licht, und ich werde als sein Weib neben ihm stehen bis zu seinem letzten Hauch.« – – –
Ebba schwankte zwischen Leid und Glück. Karins Geschick warf tiefe Schatten über ihre bräutliche Seligkeit. Sie trennte sich nur schwer von ihr, trotzdem sie wohl sah, daß sie ihr nichts sein und ihr nichts tragen helfen konnte, daß Karin keinen anderen Gedanken mehr kannte, als den an ihren Mann und an die Erhaltung des schwachen Lebensfunkens, der noch in ihm flackerte.
Als sie Ebba zum Abschied küßte und diese bitterlich weinte, lächelte sie, ein herzzerreißendes Lächeln. »Weine doch nicht, Kleine, sorge dich nicht um mich. Wie oft habt Ihr gesagt, daß ich meinen Weg machen würde und keiner nötig hätte, um mich zu sorgen. Das ist nun zwar anders eingetroffen, wie Ihr es meintet, aber eingetroffen ist es. Wenn er von mir geht, widme ich mich und mein Leben der Krankenpflege. Du weißt, ich hatte immer Talent dafür, ich mochte es nur nicht pflegen. Nun wird es fortan mein Lebenszweck werden; der dürre Stab wird in meiner Hand grünen und Segen bringen. Und nun reden wir nicht mehr von mir, beantworte mir nur noch eine Frage: wie trägt Sesenburg es?«
Ebba errötete verlegen. »Ach, Karin, – aber vielleicht ist es dir doch angenehm, – ich glaube, er ist nicht unglücklich.« Karin lächelte. »Das dachte ich mir wohl, ihm gegenüber habe ich keine Gewissensbisse. Er liebte mich nie, er liebte immer Maja.« – – – –
Und gerade in diesem Augenblick saß Hans Heinrich bei Maja und hielt den zweiten der Ringe, den sie endlich gebracht hatte, nachdenklich in seiner Hand. Sie waren beide in Abschiedsstimmung, innerlich erregt und voll heimlicher Unruhe und Erwartung. Hans Heinrich hatte ihr auch erst heute die Geschichte der Ringe ausführlich erzählt und dann zögernd und vorsichtig, immer wie hinter einem Schleier, die letzten Begegnungen mit der Urahne geschildert. Aber bei alledem hatte er nicht den Mut gefunden zu dem Wort, das ihm täglich und stündlich auf den Lippen brannte und das er doch, in Erinnerung an seine überstürzte, sinnlose Verlobung mit Karin, nicht zu sprechen wagte.
Nun atmete er schwer, und seine Stimme war klanglos, als er halblaut vor sich hin sagte: »Wieviel Glück und Weh haben die beiden Ringe schon gesehen, wieviel Fluch hat der meine gebracht! Nun sind sie nach zwei Jahrhunderten wieder beisammen – nur um sich wieder zu trennen?« Fragend klangen seine Worte aus, und dabei hob er den Blick zu Maja auf. Die hielt die Augen gesenkt und antwortete nicht; ein nachdenklich schmerzlicher Zug lag auf ihrem Gesicht, während sie die Hand langsam ausstreckte, um den Ring wieder zurückzunehmen.
Da war es Hans Heinrich plötzlich, als stünde die Urahne an seiner Seite; fast körperlich sah und fühlte er sie, wie sie ihre weiße Greisenhand auf die seine legte, Majas Hand entgegenführte. Ein Schleier legte sich vor seine Augen, durch ihn sah er nur einen einzigen der weißen, schlanken Finger, und da glitt der Ring auch schon, wie von magnetischer Kraft angezogen, hernieder, gerade auf diesen einen einzigen Finger.
Ein Schreckenslaut von beiden Lippen. Majas Gesicht erglühte, ihre Augen blickten auf: »Der Ring!« Da hielt Hans Heinrich schon die ganze Hand in der seinen und zog sie an seine Lippen. »Ja, nun ist er an seinem richtigen Platz. Die lang getrennten Ringe haben sich endlich wieder zusammengefunden zum Segen eines neu aufblühenden Geschlechts. Wenn die Nachkommin Nuramajas sich einem Sesenburg anvertrauen will, so ist der Fluch gelöst, und ich werde ein unbeschreiblich glückseliger Mann sein!«
Nun ruhte sie wieder an seinem Herzen, und das köstliche, wunderbare Glücksgefühl durchflutete sie wieder; sie wußte, daß sie zu ihm gehörte.
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