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Das Miserere.

Es sind einige Monate her, daß ich während eines Besuches der altberühmten Abtei von Fitero mir dem Durchblättern verschiedener Bände in der vernachlässigten Bibliothek beschäftigt, in einem Winkel zwei oder drei ziemlich alte Notenhefte fand, die mit Staub bedeckt und von den Ratten benagt waren.

Es war eine Miserere.

Ich verstehe nichts von Musik, aber ich liebe sie so sehr, daß ich, auch ohne sie zu begreifen, manchmal die Partitur irgend einer Oper zur Hand nehme, um sie stundenlang durchzublättern, die mehr oder weniger zusammengedrängten Notengruppen betrachtend, die Linien, Halbkreise, Dreiecke und die Zeichen, die man Schlüssel nennt, und all das ohne daß ich einen Federstrich davon verstände, oder den kleinsten Nutzen daraus ziehen könnte!

Da ich in meiner Vorliebe folgerichtig bin, musterte ich die Hefte und das allererste, das meine Aufmerksamkeit hervorrief, war, daß dieses Miserere, obgleich auf der letzten Seite das lateinische Wort ›Finis‹ geschrieben stand, was bei allen Arbeiten üblich ist, in Wirklichkeit doch nicht vollständig war, weil die Musik nicht weiter als bis zum zehnten Verse reichte.

Das war es jedenfalls, was meine Beachtung zuvörderst fesselte. Aber als ich mich dann in die Notenblätter ein wenig vertiefte, befremdete es mich, anstatt der italienischen Worte, die sonst immer gebraucht werden, um den Vortrag anzudeuten, wie maestoso‹, › allegro‹, › ritardando‹, › più vivo,‹ › à piacere ein paar Zeilen zu bemerken, die mit winziger Schrift, in deutscher Sprache geschrieben waren, und von denen einige Dinge verlangten, die kaum durchführbar sind. So zum Beispiel: Klappern, ... es klappern die Knochen und es muß klingen, als dränge das Wehgeschrei aus ihrem Mark. ... Oder: »Die Saite muß heulen, ohne widrig zu tönen; das Metall soll dröhnen, ohne zu übertäuben; hier muß alles klingen, aber nichts zusammenklingen, und all das ist die Menschheit, die da weint und seufzt.« ... Die wunderlichste von allen Anmerkungen stand am Schlusse des letzten Verses: »Die Noten sind Knochen, mit Fleisch bedeckt; ewiges, unauslöschliches Licht, die Himmel und ihre Harmonie. ... Kraft! ... Kraft und Anmut.« ...

»Wißt Ihr, was das bedeutet?« frug ich den Alten, der mich begleitete, und übersetzte flüchtig diese Zeilen, die wohl ein Wahnsinniger geschrieben hatte.

Und der Greis erzählte mir diese Legende.

 

I

Vor vielen Jahren, in einer stürmischen und dunklen Nacht, kam vor die Pforte der Abtei ein Pilger und bat um einen Platz beim Herdfeuer, damit er sein Gewand trocknen könne, und um ein Stück Brot, seinen Hunger zu stillen, endlich um irgend ein Obdach, wo er die Nacht überdauern dürfe: er wolle mit Sonnenaufgang seinen Weg fortsetzen.

Der Bruder, dem er diese Bitte vortrug, gab dem Wanderer sein eigenes bescheidenes Nachtmahl, überließ ihm sein armseliges Lager und wies ihn zum flackernden Herdfeuer; als sich der Pilger von seiner Müdigkeit etwas erholt hatte, frug er ihn nach dem Zweck seiner Pilgerfahrt und nach dem Ziel, dem er zustrebe.

»Ich bin ein Musiker,« erwiderte der Gefragte, »ich wurde sehr weit von hier geboren und war einmal in meinem Vaterlande sehr berühmt. In meiner Jugend mißbrauchte ich die Kunst zur Verführung und entflammte durch sie Leidenschaften, die mich zu einem Verbrechen hinrissen. In meinem Alter möchte ich die Begabung, die ich zum Bösen benutzt habe, zum Guten anwenden, durch dasselbe Heil suchend, das mich fast der Verdammnis anheimfallen ließ.«

Da die rätselhaften Worte des Unbekannten dem Verständnisse des Laienbruders nicht ganz klar waren, begann seine Neugier immer größer zu werden und trieb ihn an, weiter zu fragen, worauf der Pilger folgendes sagte:

»Ich beweinte in der Tiefe meiner Seele die Schuld, die ich begangen hatte, aber als ich versuchte, Gott um Barmherzigkeit anzuflehen, fand ich keine Worte, um meine Reue würdig auszudrücken, – als eines Tages meine Augen zufälligerweise auf ein heiliges Buch fielen. ... Ich öffnete es, ... und auf einem seiner Blätter fand ich den urgewaltigen Aufschrei wahrhafter Zerknirschung, einen Psalm Davids, der da mit den Worten beginnt: Miserere mei Domine!

Seitdem ich diese Verse gelesen habe, ist es mein einziger Gedanke gewesen, eine musikalische Form zu finden, so hehr, so erhaben, um diese machtvolle Schmerzenshymne des königlichen Sängers zu verdolmetschen.

Bisher habe ich sie nicht gefunden.

Aber, wenn es mir gelingt, auszudrücken, was ich in meinem Herzen fühle, was ich verworren in meinem Haupte brausen höre, dann bin ich gewiß, ein Miserere zu schreiben, so ergreifend und wundersam, wie es bisher noch kein menschliches Ohr vernommen hat. Etwas so Zerknirschendes und Verzweifelndes, daß die Erzengel, sobald sie den ersten Akkord vernommen haben, mit Tränen in den Augen den Herrn anrufen werden: Barmherzigkeit! Barmherzigkeit! ... und der Herr wird sich seines armen Geschöpfes erbarmen!«

Hier schwieg der Pilger eine Weile und dann tief aufseufzend fuhr er aufs neue also fort. Der Laienbruder, einige Dienstleute der Abtei und zwei oder drei Hirten der Klostermeierei, die im Kreise um den Herd saßen, lauschten in tiefem Schweigen.

»Seither habe ich,« fuhr der Fremde fort, »ganz Deutschland, ganz Italien und den größten Teil dieses, was die religiöse Musik betrifft so klassischen Landes durchpilgert, nirgends aber hörte ich ein Miserere, das mich begeistern könnte, ... nicht eines ... nicht ein einziges ... und ich hörte so viele, daß ich wohl sagen darf, ich habe alle gehört!«

»Alle?« unterbrach ihn hier einer der Hirten. »Auch das Miserere der Montaña?!«

»Das Miserere der Montaña?« rief der Musiker mit dem Ausdruck des Staunens ... »was ist das für ein Miserere?«

»Hab ich's nicht gesagt,« murmelte der Hirt und fuhr in geheimnisvollem Ton fort: »Das ist ein Miserere, welches bloß diejenigen zufälligerweise hören, die, wie ich, Tag um Tag durch Gestrüpp und Felsgetrümmer hinter den Herden herumsteigen. Es knüpft sich eine Geschichte daran, eine sehr alte Geschichte, aber just so wahr, als sie unglaublich klingt!

Vor vielen Jahren nämlich – was sage ich: vor vielen Jahren! – vor vielen Jahrhunderten stand im unwegsamsten Teil dieser felsigen Gebirgsrücken, welche den Horizont des Tales begrenzen, auf dessen Grunde diese Abtei liegt, ein weitberühmtes Kloster. Dieses Kloster, in der Montaña geheißen, hat, wie es scheint, ein Edelmann auf seine Kosten erbaut und zwar vom Vermögen, das er sonst seinem Sohn vermacht hätte, den er aber auf dem Sterbebette zur Strafe für seine Missetaten enterbte.

Bisher war alles in der Ordnung! Aber es geschah nämlich, daß dieser Sohn, der, wie Ihr sehen werdet, ein rechter Teufelskerl war, – wenn es nicht der Teufel selbst in menschlicher Gestalt gewesen ist – wohl wissend, die Mönche besäßen seine Güter und die Burg sei in ein Kloster verwandelt worden, ein paar Schurken um sich sammelte, Genossen des sündhaften Lebens, das er seit dem Verlassen des väterlichen Hauses führte, – und in einer Nacht, just am Gründonnerstag, als die Mönche auf dem Chor versammelt waren, und im Augenblick, als sie das Miserere anfangen wollten, oder schon angefangen hatten, warf er mit seiner Rotte Feuer ins Kloster, plünderte die Kirche rein aus und ließ, wie man sagt, auch nicht einen einzigen Mönch am Leben!

Nach diesen Greueln verschwanden die Gurgelabschneider, und mit ihnen auch der Anstifter dieser Untat, niemand weiß, wohin ... vielleicht geradewegs in die Hölle!

Die Lohe verwandelte das Kloster in Schutt und Asche. Die Trümmer der Kirche stehen noch bis heute auf jener runden Bergkuppe, in der ein Wasserfall entspringt, der von Fels zu Fels hüpfend, schließlich ein Bächlein bildet, dessen Wellen die Mauern dieser Abtei bespülen.«

»Aber! –« unterbrach ihn ungeduldig der Musiker – »das Miserere!«

»Wartet nur,« erwiderte der Hirt mit großer Ruhe. »Alles zu seiner Zeit!

Die Leute der Umgebung waren erbittert über diese Freveltat. Von den Vätern auf die Kinder und von den Kindern auf die Enkel erbte sich deren Gedächtnis fort, dadurch daß sie mit Schaudern in langen Winternächten erzählt wird. Aber was sie am längsten in lebendiger Erinnerung erhält, ist, daß man in jedem Jahre, in derselben Nacht, in der das Kloster vom Feuer verzehrt ward, durch die zertrümmerten Fenster der Kirche Lichter blinken sieht, und ab und zu im Windesweh'n Töne vernimmt, etwas wie eine seltsame Musik, wie düstere, schauerliche Trauergesänge. ...

Das sind die Mönche, die wohl, da sie unvorbereitet gestorben sind, um ganz rein und frei von Schuld und Fehle vor den Thron des Herrn zu treten, nun aus dem Fegefeuer heraufsteigen, Gott um Barmherzigkeit anzuflehen und das Miserere zu singen.«

Die Anwesenden blickten einander ungläubig an; nur der Pilger, der von der Erzählung dieser Geschichte lebhaft erregt zu sein schien, frug begierig den Erzähler:

»Und du sagst, dieses Wunder wiederhole sich noch jetzt?«

»In etwa drei Stunden beginnt es ganz bestimmt wieder, ... ist es doch heute Gründonnerstag und die Turmuhr hat just acht geschlagen.« –

»Und wie weit ist das Kloster von hier?«

»Nicht ganz anderthalb Meilen ... aber, was tut Ihr? ... Wohin geht Ihr in einer solchen Nacht?«

»Seid Ihr von Gott verlassen?« riefen alle, da sie sahen, wie der Pilger von der Bank aufstand, und, seinen Stab ergreifend, zur Tür schritt.

»Wohin ich gehe? Ich will die wunderbare Musik hören, ich will dies große, das wahrhaftige Miserere hören, das Miserere jener, die nach dem Tode zur Welt zurückkehren, und die da wissen, was es bedeutet, in Sünden zu sterben!«

Und damit entschwand er dem erschrockenen Bruder und den nicht minder entsetzten Hirten aus den Augen.

Der Wind heulte und rüttelte mit wildem Getose an der Tür, als strebe eine gewaltige Hand, sie aus den Angeln zu reißen; der Regen rann in Strömen hernieder, indem er an die Scheiben schlug und von Zeit zu Zeit beleuchtete ein Blitzstrahl auf einen Augenblick den ganzen Horizont, soweit eben das Auge blicken konnte.

Als sie sich vom ersten Schrecken erholt hatten, rief der Laienbruder:

»Er ist wahnsinnig! ...«

»Er ist verrückt!« wiederholten die Hirten und, die Lohe aufs neue schürend, setzten sie sich wieder rings um den Herd.

 

II

Nach zwei oder drei Wegstunden gelangte der seltsame Mensch, den sie im Kloster für wahnsinnig erklärt hatten, am Ufer des Baches, dessen der Hirt gedacht hatte, stromaufwärts schreitend, an den Ort, wo die schwarzen, gewaltigen Ruinen des Klosters aufragten.

Der Regen hatte aufgehört, die Wolken flatterten auf dem Nachthimmel in langen, schwarzen Streifen, an deren Säumen manchmal der schwache Strahl eines blassen, unbestimmten Lichtes aufblitzte und der Wind stieß gegen die mächtigen Pfeiler sich stemmend, und durch die einsamen Kreuzgänge streichend gleichsam klagende Seufzer aus. Aber daran war nichts Übernatürliches, nichts Wunderbares, das die Einbildungskraft hätte erregen können! Einem Menschen, der mehr als eine Nacht unter den Trümmern eines verfallenden Wartturms oder in einer einsamen Veste geschlafen, einem Menschen, der auf seiner langen Reise hundert- und aberhundert Male dem Wetter getrotzt, waren all' diese Geräusche bekannt.

Die Wassertropfen, die zwischen den zersprungenen Bogen hindurchrieselten und auf die Steinplatten fielen mit dem regelmäßigem Ton eines tickenden Uhrpendels, der Schrei des Schuhu, der versteckt unter dem Heiligenscheine eines Märtyrers krächzte, das Rascheln der Eidechsen, die durch das Unwetter aus ihrem Schlafe geschreckt ihre unförmlichen Köpfe aus den Schlupflöchern steckten, oder zwischen dem Unkraut und den am Altare rankenden Brombeeren, zwischen den Fugen der Grabsteine auf dem Boden der Kirche herumhuschten, – alle diese außergewöhnlichen und eigenartigen Laute des Waldes, der Einsamkeit und der Nacht drangen deutlich ans Ohr des Wanderers, der, auf einem verstümmelten Grabdenkmal sitzend, voll Ungeduld der Stunde harrte, in der das Wunder sich verwirklichen sollte.

Weile um Weile verrann, aber nichts ließ sich hören. Tausende von jenen verworrenen Tönen vereinigten sich fortwährend zu tausend verschiedenen Weisen ... aber immer mit demselben und gleichen Zusammenklang.

›Wenn er mich genarrt hätte!‹ dachte der Musiker ... doch im gleichen Augenblick hörte er einen neuen Ton. Einen an diesem Orte unerklärlichen Ton, ähnlich dem einer Uhr, einige Augenblicke bevor sie schlägt, ... den Ton sich drehender Räder, sich dehnender Stränge, ... den Ton eines Schlagwerkes, das sich anschickt, seine mechanischen Kräfte zu gebrauchen, ... und dann, ... dann erklang das Schlagwerk, ... zweimal ... dreimal ... elfmal. ...

In der zerstörten Kirche gab es aber weder eine Uhr, noch auch einen Turm. ...

Noch war der letzte von Echo zu Echo getragene Glockenschlag nicht verklungen, noch vernahm man seine Schwingungen durch die Lüfte hinzittern, als die granitenen Baldachine über den Bildsäulen, die marmornen Altarstufen, die Quadern der Schwibbogen, die durchbrochenen Brustwehren des Chors, die kleeblattförmigen Verzierungen auf den Simsen, die schwarzen Strebepfeiler, der Estrich, die Wölbung, das ganze Innere des Gotteshauses sich wie von selbst allgemach erleuchtete, ohne daß man eine Fackel, Kerze oder Lampe erblickt hätte, die den ungewohnten Schimmer verbreitete.

Das ganze ähnelte einem Skelett, dessen fahlweißlichen Knochen ein phosphorisches Licht entströmt, das durch die Düsterheit flimmert und schimmert, wie ein blaues, unheimliches Flämmchen.

Alles schien sich zu beleben, aber mit Hilfe jener Bewegung, die beim Sterben mit krampfhaften Zuckungen das Leben nachäfft, plötzlichen ruckweisen Bewegungen, die weit schrecklicher sind, als die Starrheit des Leichnams selbst, den nun eine unbekannte Kraft durchzuckt. ...

Steine türmten sich auf Steine; ... der Altar, dessen zerbröckelte Reste vordem wüst durcheinanderlagen, stand unversehrt da, als habe der Künstler eben den letzten Meißelschlag getan, und zugleich mit dem Altar strebten auch die verfallenen Kapellen empor, die herabgestürzten Pfeiler, und die unabsehbaren Reihen der zertrümmerten Bogen, bildeten sich kreuzend und wunderlich durcheinanderschlingend mit ihren Säulen ein porphyrnes Labyrinth.

Als das Gotteshaus in vollem Prunk dastand, ertönte auf einmal ein ferner Akkord, der vom Rauschen des Windes kaum unterschieden werden konnte ... der aber ein Zusammenklingen von fernen, tiefen Stimmen war, gleichsam aus der Erde hervordringend, immer stärker und stärker und mit jedem Augenblick deutlicher werdend.

Den waghalsigen Pilger begann Furcht zu beschleichen; ... aber seine Leidenschaft für alles Außergewöhnliche und Wunderbare rang mit der Furcht, und von jener ermutigt richtete er sich vom Grabe empor, auf dem er bisher gesessen war und beugte sich über den Rand des Abgrundes, über dessen Felsen der Wasserfall mit unaufhörlichem, grausigen Gedonner in die Tiefe stürzte. ...

Und dem Mutigen sträubte sich das Haar vor Schauder.

Halb eingehüllt in die Fetzen ihrer Habite, mit zerrissenen Kapuzen, unter deren Falten die fleischlosen Kiefer und die weißen Zähne sich von den schwarzen Augenhöhlen der Schädel entsetzlich abhoben, sah er die Gerippe der Mönche aus dem Grunde des Wassers heraufsteigen, in den sie dereinst von der Plattform der Kirche hinabgeschleudert worden waren. ...

Sie krallten sich empor, indem sie mit den langen Fingern ihrer Knochenhände in die Felsenritzen griffen und so auf den Rand des Abgrundes hinauskrochen ... wobei sie in tiefer Grabesstimme, mit dem Ausdruck herzzerreißenden Schmerzes den ersten Vers des davidischen Psalmes sangen:

» Miserere mei, Domine, secundum magnam misericordiam tuam!« Erbarme dich meiner, o Herr, durch deine große Barmherzigkeit!

Als die Mönche in die Säulenhalle des Gotteshauses gelangt waren, ordneten sie sich in zwei Reihen und zogen ins Innere der Kirche, wo sie im Chor niederknieten und mit erhobener und feierlicher Stimme den Psalm weitersangen. ...

Zugleich mit ihrem Gesange ertönte, sie begleitend, auch die Musik. ... Und diese Musik war das verhallende Getöse des Donners, der, als das Gewitter vorüber war, sich grollend in der Ferne verlor; war das Brausen des Windes, der in den Schlünden des Gebirges stöhnte; war das einförmige Rauschen des von Fels zu Fels fallenden Wassersturzes, ... und das durch die Risse sickernde Wasser, ... und das Krächzen des versteckten Schuhu, ... und das Geraschel der unruhigen Echsen. ...

All das zusammen bildete jene Musik und noch ein etwas, das sich nicht begreifen, ja, nicht einmal erklären ließ, ein etwas wie der Widerhall von Orgeltönen, welche die Verse der mächtigen Hymne des reuigen, königlichen Psalmisten begleiteten, mit so gewaltigen Klängen und Akkorden, wie es jene schrecklichen Worte selbst sind. ...

Dann folgte der Gottesdienst. ...

Dem Musiker, der all dem mit Schauder und Bewunderung lauschte, war es, als sei er dieser Welt entrückt, er glaubte, in jenem phantastischen Reiche der Träume zu weilen, wo alle Dinge sich in niegehörten und niegeschauten Formen zeigen. ...

Eine furchtbare Erschütterung riß ihn aus der Betäubung, die sich all seiner Sinne bemächtigt hatte. ... Seine Nerven zuckten unter dem Einfluß einer ungeheuren Aufregung, seine Zähne klapperten mit einem Beben, das er nicht zu unterdrücken vermochte und ein Frost drang ihm bis ins Mark seiner Knochen. ...

Die Mönche sangen eben jene furchtbaren Worte des Miserere:

In iniquitatibus conceptus sum; et in peccatis concepit me mater meaIn Missetaten bin ich gezeugt und in Sünden empfing mich meine Mutter.

Als dieser Vers verklungen war und von Wölbung zu Wölbung getragen im Echo nachsummte, erhob sich ein furchtbares Wehklagen, wie ein Schmerzensschrei aus der Brust der ganzen Menschheit im Bewußtsein ihrer Missetaten herausgeschleudert; ein Aufschrei voll Schauer, in dem alle Klagen des Elends sich mit dem Heulen des Verzweifelnden und den Flüchen und Lästerungen der Gottlosen vereinten – ein ungeheuerlicher Chorus aller jener, die in Missetaten empfangen worden sind ... und in Sünden dahinleben.

Der Gesang wurde fortgesetzt, bald dumpf und schwermütig, bald einem Sonnenstrahl gleich, der das Dunkel der Gewitterwolken durchbricht, ... auf den Blitz des Schreckens folgte ein Blitz des Jubels, bis in plötzlicher Verwandlung das ganze Gotteshaus in himmlischem Lichte erstrahlte. ...

Das Gebein der Mönche bedeckte sich mit Fleisch; ein flammender Heiligenschein glänzte rings um ihre Häupter ... die Kuppel der Kirche barst und über ihr sah man den Himmel, ein Weltmeer voll Licht und Glanz sich den Blicken der Gerechten öffnend. ...

Die Seraphime, ... Erzengel, ... Engel und Heerscharen des Himmels begleiteten mit einer Jubelhymne den folgenden Vers, der zum Throne des Herrn emporstieg, wie ein Strom von Harmonien, wie eine gigantische Wolke duftigen Weihrauchs:

... » Auditu meo dabis gaudium et laetitiam et exultabunt ossa humiliata ...« Meinem Gehör wirst du Freude und Fröhlichkeit geben und frohlocken werden die erniedrigten Gebeine.

In diesem Augenblick beraubte jene blendende Lohe den Pilger des Gesichts, in seinen Schläfen brannte und hämmerte es, vor seinen Ohren brauste es und er sank besinnungslos zur Erde, ... und hörte nichts mehr ...

 

III

Am folgenden Tage gewahrten die friedsamen Mönche der Abtei von Fitero, denen der Laienbruder vom wunderlichen Besuch der verflossenen Nacht erzählt hatte, den fremden Wanderer, aschfahl und wie von Sinnen gekommen durch die Pforte eintreten. ...

»Habt Ihr endlich das Miserere gehört?« frug ihn mit einem Anflug von Spott der Laienbruder und warf einen verständnisvollen Blick auf seine Oberen. ...

»Ja!« entgegnen der Pilger ...

»Und wie hat es Euch gefallen?«

»Ich will es niederschreiben; gebt mir ein Obdach in Eurem Kloster,« fuhr der Fremde fort, indem er sich an den Abt wendete, »Obdach und Brot auf einige Monate, und ich hinterlasse Euch ein unsterbliches Kunstwerk, ein Miserere, das meine Schuld vor Gottes Augen tilgen wird, mein Andenken verewigt und zugleich damit auch den Namen dieser Abtei!« ...

Die Mönche überredeten aus Neugier den Abt, diese Bitte zu erfüllen; endlich gab der Abt aus Mitleid, denn er hielt ihn für einen Wahnsinnigen, seine Einwilligung und der Musiker ließ sich im Kloster nieder und begann sein Werk.

Tag und Nacht arbeitete er mit unermüdlichem Fleiß.

Mitten in der Arbeit hielt er inne und es war, als horche er auf etwas, das in seiner Phantasie ertöne, ... seine Augensterne erweiterten sich, er sprang vom Sessel auf und rief: »So ist es! Ja, ja! ... Kein Zweifel mehr, ... so war es!«

Und von neuem begann er wieder Noten zu schreiben, mit fieberhafter Hast, daß er oft von denen bewundert wurde, die ihn unbemerkt beobachten konnten.

Er hatte die ersten Verszeilen geschrieben und die folgenden, bis etwa in die Mitte des Psalmes, aber als er zum letzten gekommen war, den er in den Bergen gehört hatte, war es ihm unmöglich fortzufahren.

Er schrieb einen, zwei ... hundert, zweihundert Entwürfe, aber alles umsonst!

Seine Musik glich nicht der, die er in der Montaña hörte, und der Schlaf floh seine Lider, ... er aß nicht, ... das Fieber entzündete seinen Kopf ... und er wurde wahnsinnig und starb endlich, ohne das Miserere zu vollenden, das die Mönche nach seinem Tode als Merkwürdigkeit aufbewahrt haben, und das bis heut im Archiv der Abtei erliegt.

 

Als der Greis seine Erzählung beendet hatte, konnte ich nicht umhin, meine Augen abermals auf die verstaubte, altertümliche Handschrift des Miserere zu werfen, die noch aufgeschlagen vor mir auf dem Tische lag.

» In peccatis concepit me mater mea

Das war die Stelle, auf die mein Blick fiel ... und deren musikalischer Text mit seinen für den Laien unverständlichen Notenköpfen, Schlüsseln und Häkchen und Zeichen meiner zu spotten schien. ...

Ich würde eine Welt darum geben, wenn ich diese Hieroglyphen lesen könnte!

Wer weiß, ob sie dem wirklichen Wahnsinn entsprungen sind?! ...


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