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Der Rajah mit den roten Händen.

Indische Sage.

 

Erster Gesang.

I

Versunken war die Sonne hinter die Gipfel des Jabwi und der Schatten des Gebirges verhüllte wie mit einem Schleier aus Flor die Perle der Städte von Osira, das liebliche Kattak, das zu seinen Füßen schlummerte zwischen Wäldern von Zimmtgebüsch und Sykomoren, vergleichbar einer Taube, die in einem Neste von Blumen ruht.

 

II

Der sterbende Tag und die auflebende Nacht rangen einen Augenblick miteinander, bis der bläuliche Nebel der Dämmerung seine durchsichtigen Schwingen über die Täler spreitete, Farben und Formen den Dingen raubend, die zu schwanken schienen, gleichwie vom Hauche eines Geistes bewegt.

 

III

Die verworrenen Laute aus der Stadt, die verzitternd verfliegen, die schwermütigen Töne der Nacht, die von Echo zu Echo getragen, im Liede der Nachtigallen widerhallen, die tausend geheimnisvollen Stimmen, die die Weltschöpfung beim Geborenwerden und Sterben zum Gestirn, dem sie ihr Leben dankt, erhebt, gleich einem Lobgesang auf die Gottheit, sie einen sich mit dem Gemurmel des Jawkior, dessen Wellen der Abendwind küßt, ein süßes Lied erzeugend, unbestimmt und versonnen, wie der Ausklang der Dichtung einer Bajadere.

 

IV

Die Nacht siegt, der Himmel krönt sich mit Sternen und die Türme von Kattak schmücken sich, gleichsam wetteifernd, mit einem Stirnreif von Lichtern. Wer ist jener Rajah, der am Fuße der Mauern erscheint, zu gleicher Zeit, als der Mond in den flatternden Wolken jenseits der Berge erscheint, zu deren Füßen der Ganges strömt, anzusehen wie eine ungeheure, blaue Schlange mit silbernen Schuppen?

 

V

Er ist es. Welcher andere Krieger des Stammes fliegt wie ein Pfeil in die Schlachten und in den Tod hinter dem Banner des Shiwa, dem Meteore des Ruhms? – wer dürfte sein Haupt mit dem roten Federnschmuck der indischen Götter zieren, an seinem Hals die goldene Schildkröte tragen oder sein Faustschwert mit dem Gagatgriff mittelst eines blaßgelben Schals aus Kaschmir an seiner Hüfte befestigen? Wer sonst außer Pulo-Dheli, der Rajah von Dakka, der Blitzstrahl in den Schlachten, der Bruder des Tippot-Dheli, des hochherrlichen Königs von Osira, des Herrn der Herren, des Abbildes der Götter und des Sohnes der leuchtenden Sterne.

 

VI

Er ist es. Kein anderer weiß seinen Augen zu verleihen bald den schwermütigen Schimmer des Morgenstrahls, bald das arge Funkeln des Tigerblicks in Übereinstimmung mit seinen düsteren Stimmungen, den Widerschein einer heiteren Nacht oder den Schrecken einflößenden Anblick eines Gewitters auf den luftigen Gipfeln des Djawalagiri. – Er ist es, aber wen erwartet er?

 

VII

Hörst du die Blätter rascheln unter dem leichten Schritt einer Jungfrau? Siehst du zwischen den Schatten die Enden ihres durchscheinenden Schals und die Säume ihres weißen Gewandes schweben? Fühlst du den Wohlgeruch, der ihr vorangeht, wie der Vorbote eines unirdischen Wesens? Beim ersten Strahl wird die einsame Pilgerin der Nacht zu erkennen sein: Siannah, die Braut des mächtigen Tippot-Dheli, die Geliebte seines Bruders, jene Jungfrau, welche von den Dichtern ihres Volkes mit dem Lächeln des Bermach verglichen wird, das über die Welt leuchtet, seit sie aus seinen Händen kam; ein himmlisches Lächeln: die erste Morgenröte des Weltkreises.

 

VIII

Pulo hört den Schritt ihrer Füße. Sein Antlitz leuchtet auf wie der Berggipfel, den der erste Strahl der Sonne berührt und der sich dessen freut. Sein Herz, das mitten im Feuerherde des Kampfes nicht gebebt hat, noch auch in der Nähe des Tigers, schlägt heftig unter der Hand, die er daraufpreßt, in der Besorgnis, es könnte die Glückseligkeit nicht ertragen. »Pulo!« »Siannah!« rufen sie gleichzeitig und stürzen einander in die Arme. Indes strömt der Jawkior, mit seinen Wellen die Schwingen des Zephirs bespritzend, dem Ganges zu, und der Ganges dem Busen von Bengalen und die Meerbucht dem Ozean. Alles verrinnt: Mit den Wellen die Stunden, mit den Stunden die Glückseligkeit, mit der Glückseligkeit das Leben. Alles verrinnt, um im Haupte des Shiwa einzumünden, dessen Hirn das Chaos ist, dessen Augen die Zerstörung und dessen Sein das Nichts ist.

 

IX

Schon verkündet der Morgenstern den Tag. Der Mond löst sich auf, wie eine Einbildung, die in sich zerfällt und die Träume, die Kinder der Dunkelheit, verrinnen mit ihr zu phantastischen Gebilden. Die beiden Liebenden weilen noch unter dem grünen Himmelbette einer Palme, dem schweigsamen Zeugen ihrer Liebe und ihrer Schwüre, als sich hinter ihnen ein dumpfes Geräusch erhebt.

Pulo wendet seine Augen dorthin und stößt einen scharfen und kurzen Schrei aus, wie ein Schakal und springt mit einem einzigen Satz zehn Schritte zurück, zu gleicher Zeit die Klinge seines scharfen Dolches zückend.

 

X

Was hat die Seele des tapferen Rajah erschreckt? Sind vielleicht jene beiden Augen, die durch die Dämmerung funkeln, die des gefleckten Tigers oder jene der grauenhaften Schlange? Nein, Pulo fürchtet nicht den König der Wälder, noch die Echsen: Die Augen dort, die flammenschleudernden, gehören einem Manne und jener Mann ist sein Bruder.

Sein Bruder, dem er seine einzige Liebe entrissen, sein Bruder, der ihn von Osira verbannt hat, der endlich die Hand auf den Altar seines Gottes legend, ihm den Tod geschworen, wenn er je nach Kattak zurückkehre.

 

XI

Siannah sieht ihn gleichfalls. Sie fühlt das Blut in ihren Adern gefrieren und steht unbeweglich da, als wäre sie von der Hand des Todes berührt worden. Die beiden Nebenbuhler betrachten einander einen Augenblick vom Kopf bis zum Fuß, ringen mit ihren Blicken und einen heiseren und wilden Schrei ausstoßend, werfen sie sich übereinander, wie zwei Leoparden, die um ein Beutestück hadern .... Mag ein Schleier über das Verbrechen herabsinken, das Ursache all der Leiden war für die, welche schon längst im Schoße des großen Geistes schlummern.

 

XII

Die Sonne flammt im Osten auf, begrüßt als der Schutzgeist des Lichtes, der Sieger über die Schatten; trunken von Stolz und Majestät erhebt sie sich im Triumph auf ihrem diamantenen Wagen, gleichwie dem Schiffe das Kielwasser, folgt ihr goldener Staub, den ihre Pferde vom Himmelsgrunde aufwirbeln. Die Wasser, die Wälder, die Vögel, der Himmelsraum, die Welten stimmen wie aus einem Munde den Hymnus auf den Tag an. Wer fühlt nicht sein Herz springen vor Jubel im Echo des festlichen Liedes?

 

XIII

Ein Sterblicher allein fühlt es nicht. Seine weitaufgerissenen Augen haften starr mit einem stumpfen Ausdruck, auf dem Blute, das seine Hände befleckt. Endlich, von seiner Unbeweglichkeit sich mit Gewalt losreißend und gleichsam befallen von entsetzlicher Raserei, läuft er zum Ufer des Jawkior, um seine Hände zu waschen, schon sind unter den kristallklaren Wellen die Blutflecke zu sehen, aber niedergeschlagen zieht er die Hände zurück: das rauchende und rote Blut bleibt auf ihnen haften; und er streckt sie nochmals in die Fluten und zieht sie zurück mit den festhaftenden roten Flecken, bis er zuletzt mit dem Ton schrecklicher Verzweiflung ausruft: »Siannah, Siannah, der Fluch des Himmels ist über unsere Häupter gefallen!«

Wer ist der Unglückliche, zu dessen Füßen ein Leichnam liegt und dessen Kniee ein Weib umschlingt? Es ist Pulo Dheli, der König von Osira, der Großherr der Herren, der Schatten Gottes und der Sohn der leuchtenden Gestirne vor ihm der tote Bruder und Vorgänger auf dem Throne.

 

Zweiter Gesang.

I

Was nützt mir die Macht und der Reichtum, wenn eine Otter auf dem Grunde meines Herzens liegt und an diesem frißt, ohne daß es mir möglich wäre, ihren Schlupfwinkel zu erreichen. König sein, Herr der Herren, vor den Augen wie im Traumgesicht die Perlen, das Gold, die Lustbarkeiten und Freudenfeste zu sehen, die Macht zum Greifen nahe vor sich zu haben, daß ein Ausstrecken genügt, um sie zu fassen und allüberall den Blutflecken zu begegnen! ... Oh, das ist wohl furchtbar!

 

II

So rief Pulo, sich auf dem Purpur seines Lagers hin- und herwälzend und seine Hände im Ausbruch wilder Verzweiflung ringend. Umsonst atmet der Hauch der Räucherpfannen durch sein üppiges Schlafgemach; umsonst war Seide in den blühendsten Farben über die zehn Tigerfelle gebreitet, auf denen seine Glieder ruhten, umsonst hatten die Brahminen zu sieben Malen den Geist des Schlafes und den Genius der perlmutterfarbenen Träume angerufen ... die Gewissensqualen, zu Häupten des Lagers sitzend, verscheuchten sie mit einem kläglichen und langgedehnten Schrei, einem Schrei, der unablässig in Pulos Ohr widerhallt und an dessen Stirn pocht.

 

III

Die Genien, die in zahllosen Karawanen auf zephirnen Dromedaren, zwischen opalfarbenen Wolken einherziehen, die Shiwas mit Augen grün wie die Wogen des Meeres, mit Haaren schwarz wie Ebenholz und schlanken Hüften wie Binsen an den Seen, die Lieder der unsichtbaren Geister, die mit ihren Schwingen die müden Augen der redlichen Menschen erfrischen, schweben in den Träumen eines Verbrechers nicht wie eine Säule von Licht und von Farben vorüber.

Ungeheure Wolkenbrüche dunklen und schäumenden Blutes, die mit Geheul an den düsteren Felsen eines grausigen Abgrundes zerschellen, schreckliche und verworrene Bilder der Verzweiflung und der Angst, dies sind die Gesichte, welche die Stunden fortwährend im Geiste des Ruhenden erzeugen.

 

IV

Für den Großherrn von Osira ist nicht das Bilsenkraut vorhanden, womit die Götter ihre Erkorenen beschenken; für ihn öffnet kaum die Morgenröte die Tore des Tages, als er vom Lager springt, sich der Nachtgewande entäußernd, die von Perlen und Edelsteinen funkeln, und einen Kuß auf die Stirn der Geliebten hauchend, im Wams eines einfachen Jägers den Palast verläßt, um seine Schritte nach jener Seite der Stadt hin zu lenken, welche von der Spitze des Jabwi beherrscht wird.

 

V

Etwa in der Mitte jenes Gebirgszuges entspringt ein Gießbach, der sich in eine schneeweiße Fläche hinabstürzt, bis er die Flur erreicht, wo er, sein Ungestüm zügelnd, stillfriedlich zwischen Kieselsteinen und Blumen dahingleitet, um dann seine gekräuselten Wellen mit den Wogen des Jawkior zu vereinigen. Eine natürliche Berghöhle aus gewaltigen Felsensäulen, welche einzustürzen drohen, dient jenem Wildbach als Brunnenbecken bei seiner Geburt. Dort scheinen seine durchsichtigen und verschatteten Wasser zu schlummern und nichts stört sie, als das einförmige Geräusch der Quelle, von der sie genährt werden und der Seufzer des Windes, der hierherkommt, um an ihrer Oberfläche seine Schwingen zu kühlen oder der wilde Schrei der Kondore, die zu den Wolken schießen, wie abgeschnellte Pfeile.

 

VI

Pulo ist schon über die Mauern hinausgekommen, als er seinem Gefolge zurückzubleiben befiehlt und allein und in seine hin- und herwogenden Gedanken versunken, den Weg fortsetzt, der zwischen Felsblöcken und Erdeinschnitten sich aufwärts schlängelnd, zu der Grotte hinführt, allwo der Gießbach entspringt, der Pulos Angesicht bereits mit dem feinen Staube seiner Wellen besprengt. Wohin geht der Herr von Osira? Warum hat er sein besticktes Gewand abgelegt, seinen gelbfarbigen Schal, das geheimnisvolle Abzeichen seines Geschlechtes, samt dem Amulett der Könige, weshalb hat er seine Tracht mit der groben Gewandung eines schlichten Jägers vertauscht? Kommt er in die Berge, um die wilden Tiere in ihren Schlupfwinkeln aufzuspüren? Kommt er voll Begier nach Einsamkeit, dem einzigen Balsam für die Qualen, die von den übrigen Menschen nicht verstanden werden?

 

VII

Nein, wenn der fürstliche Gebieter von Kattak seinen Palast verläßt, um in seinem Gebiet den stolzen Löwen oder den tückischen Tiger zu verfolgen, erschüttern hundert Hörner aus Elfenbein das Echo der Wälder, hundert hurtige Sklaven gehen ihm voran, das Gestrüpp vom Wege tilgend, und mit Teppichen den Ort bedeckend, wohin er seinen Fuß setzen will. Acht Elefanten tragen seine Gezelte aus goldbesticktem Leinen und zwanzig Rajahs folgen seinem Schritt, um die Ehre wetteifernd, seinen mit Opalen besetzten Köcher zu tragen.

Kommt er die Einsamkeit zu suchen? Unmöglich.

Die Einsamkeit ist das Reich des guten Gewissens.

 

VIII

Die Sonne steht im Mittelpunkte ihrer Fahrt und Pulo ist an seinem Ziel. Zu seinen Füßen schäumt der Wildbach, über seinem Haupte ist die Grotte, in der die Quelle schläft, die den Bach nährt, die heilige Quelle, die aus den Spalten eines Felsens hervorbrach, um den Durst des Gottes Wischnu zu lindern, als er, ein Geächteter des Himmels, hierher kam, um während der Nacht auf den Abhängen des Jabwi zu jagen. Von jener Zeit ab wacht ein Brahmine unaufhörlich im Grunde der Höhle und richtet seine Gebete zu dem Gotte, auf daß dieser die wunderbaren Kräfte in ihr erhalte, von denen nach einer ehrwürdigen Überlieferung die heiligen Wellen erfüllt sind.

 

IX

Der letzte jener Priester, die, entbrannt von der Liebe zur Gottheit, ihre Tage durch Verehrung und Betrachtung der göttlichen Werke geheiligt haben, ist ein hochbetagter Greis, dessen Herkunft in ein tiefes Geheimnis gehüllt ist. Niemand weiß zu sagen, wann er nach Kattak kam, um sich in die heilige Grotte des Wischnu zurückzuziehen. Die ehrwürdigen Rajahs, über deren Häupter mehr als vierzigtausend Sonnen geleuchtet haben, behaupten, daß der Brahmine am Wildbach schon in ihrer Jugend weißhaarig gewesen sei und vorgebeugten Hauptes. Das Volk betrachtet ihn mit Furcht und Ehrerbietung, wenn er zufällig in die Ebene hinabkommt. Sie sagen, daß die Schlangen auf sein Geheiß tanzen, daß die Kondore ihm Speise zutragen und daß der Schutzgeist jener Wasser, denen er die Unsterblichkeit verdankt, ihm die künftigen Geheimnisse enthülle. Andere glauben, daß er selbst niemand anderer sei, als jener Geist, der die Gestalt eines Brahminen angenommen habe.

 

X

Wer ist er? Woher kommt er? Und was will er? Niemand weiß es. Aber diejenigen, die eine unwiderstehliche Gewalt zwingt, bis zur Grotte vorzudringen, in welcher er haust, erhalten dort, wenn sie es verlangen, ein Mittel gegen alle verzweifelten Übel, eine Offenbarung, gefährliche Anschläge wider sich zu erkennen, eine vollgiltige Buße, um ein Verbrechen zu sühnen, das nicht vom Blut träuft. Einer von diesen ist Pulo, deshalb lenkt er seine Schritte zur Höhle am Gießbach. In der Erkenntnis, daß die leichten Sühnopfer, welche ihm die schmeichlerischen Brahminen von Kattak auferlegten, nicht ausreichten, um seine Gewissensqualen zu verscheuchen, machte er sich auf, den Einsiedler von Jabwi zu befragen, allein und als Fremdling, damit der königliche Pomp den Geist nicht verstöre und die Lippen des Propheten nicht verschließe.

 

XI

Pulo bricht mitten durch die Dorngesträuche, die wie ein Gewinde die Ufer des Sturzbaches bis zum Eingange der Grotte umsäumen; dort sieht er einen geräumigen Kessel aus Kupfer zwischen den Zweigen eines Palmbaumes hangend, aus dem der Alte seinen Durst zu löschen pflegte. Der Rajah pocht zu dreimal mit dem Heft seines Yatagans und das Kupfer hallt wider mit einem metallischen und geheimnisvollen Ton, der hinbebend sich mit dem Geräusch der Wogen vermischt. Ein Augenblick vergeht und der Einsiedler erscheint. – »Auserkorener des großen Geistes,« ruft bei seinem Anblick der Rajah, indem er sich verneigt, »möge der Zorn Schiwas sich nicht häufen auf deinem Haupte, wie die Nebel auf den Gipfeln der Berge!« – »Sohn der Sterblichen!« erwiderte der Greis, ohne seinen Gruß zu erwidern, »was suchst du mich auf?«

 

XII

»Um mir Rats zu erholen.« – »Sprich!« – »Ich habe ein Verbrechen begangen, ein grauenhaftes Verbrechen, dessen Erinnerung meine Seele bedrückt, wie ein ewiger Alp. Umsonst befrug ich die Wahrsager des Brahma; die Gewissensqual lebt noch immer in meinem Herzen; das Gespenst meines Opfers verfolgt mich überall hin; es hat einen Schatten aus meinem Körper gemacht und meine Schritte zum leisen Geräusch. Du, den die Götter mit ihrer Freundschaft begnaden, du, der die Zukunft lesen kann in den Gestirnen und im Sande, der in den Strömen ruht, sage mir: Wann werde ich meine Seele von dieser Untat reinigen können?« – »Wenn das Blut, das deine Hände befleckt, die du umsonst vor mir verbirgst, verschwunden sein wird!« ruft der schreckliche Brahmine, einen Blick voll gerechten Unwillens dem Fürsten zuschleudernd, der bestürzt über das sich offenbarende Wissen des Einsiedlers, dasteht.

 

XIII

»Du kennst mich?« unterbricht Pulo endlich die Stille, als der erste Schreck verflogen ist. – »Ich kenne dich nicht, aber ich weiß, wer du bist.« – »Wer bin ich?« »Der Mörder des Tippot-Dheli.«

Der Fürst fährt, wie vom Blitz getroffen, zusammen und der Brahmine spricht weiter: »In der vergangenen Nacht, als der Schlaf über die Augenlider der Sterblichen herniedersank, wachte ich. Ein dumpfes Rauschen erhob sich auf den Stufen zum Grunde des heiligen Wassers, ein verworren Geräusch, wie das Summen von zehntausend Immen; ein Strom kalter schauriger Luft kam aus der Richtung von Sonnenaufgang, kräuselte die Wellen und berührte mit den äußersten Spitzen seiner feuchten Flügel meine Stirn. Bei der Berührung zuckten meine Nerven und mir gefror das Mark in meinen Knochen. Jener Hauch war der Atem Wischnus. Bald darauf fühlte ich, wie seine Rechte so schwer auf mir lastete, wie das Gewicht einer Welt. Er lehnte sich an meine Schulter, so lange, als er mich deine Geschichte hören ließ.«

 

XIV

»Nun wohl, da du meine Missetat kennst, sage mir die Art, wie ich sie sühnen und von meinen Händen diese grauenhaften Flecken waschen könnte!«

Der Brahmine verharrt in Schweigen und der Fürst fährt fort: »Wie, all mein Blut könnte dieses Blut nicht tilgen?« – »Das weiß ich nicht, dein Leben ist viel zu kurz, um die Meintat zu büßen und Schiwa ist erzürnt, weil du von deinen Fähigkeiten schlechten Gebrauch gemacht hast zur Zerstörung, zu welchem Werke er allein berechtigt ist.« – »Nun gut, wenn du es nicht weißt, wollen wir Wischnu befragen, – er beschützte mich gegen meinen Bruder. Treten wir in die heilige Grotte ein!« »Hast du gefastet drei Monde lang!« – »Ja.« – »Hast du dich enthalten des Ehebettes sieben Nächte hindurch?« – »Ja.« – »Hast du unterlassen zu jagen während neun Tagen?« – »So ist es.« – »Dann folge mir!« – Einige Augenblicke darauf befanden sich die beiden auf dem Grunde der geheimnisvollen Grotte.

 

XV

Was sich dort begab, weiß man nicht. Die Überlieferung hat eine verworrene Darstellung aufbewahrt und der Fürst, durch den dies bekannt wurde, sprach unbestimmt von ungestalteten und geflügelten Schlangen, die sich in die Wogen des Wildstroms stürzten, um aufs neue in der Gestalt von unerhörten, phantastischen Tieren aufzutauchen; von Zauberformeln, so fürchterlich, daß sich die Sonnenscheibe allsogleich verfinsterte und die Berge wie Rohrstengel erzitterten; von Wehgeschrei und Geheul, so entsetzlich, daß bei dessen Hören das Blut vor Schreck erstarrte.

 

XVI

Die Worte des Gottes wurden aufbewahrt und lauteten also: »Der Meuchelmörder ist von Schiwa mit dem Stempel ewiger Schande gezeichnet. Nur eine Sühne gibt es, mit der du deine Untat büßen kannst. Steige empor zu den Ufern des Ganges, gegenüber den wilden Völkerschaften, die seinen Strand bis zu seinen Quellen bewohnen. Die ferne Landschaft von Tibet, die das Kettengebirge des Himalaya wie eine gewaltige Mauer verteidigt, ist das Ziel deiner Pilgerschaft. Wenn du dahin gekommen, wasche deine Hände in der verborgensten der Quellen und zwar zur Stunde, in der der tapfere Tippot-Dheli tot zu deinen Füßen stürzte; wenn du während deines Weges deine Gattin Siannah, die deine Gefährtin sein darf, nicht erkennst, wird das Blut von deinen Händen verschwinden.«

 

XVII

Wer ist der Pilger, der gestützt auf einen dicken Stab aus Birkenholz und bloß in der Begleitung eines schönen, aber ungeschmückten Weibes, aus einer der Pforten von Kattak niedersteigt, zur selben Zeit, als der Mond vor den Strahlen des Tages versinkt? Er, er, Pulo Dheli, der großmächtige König von Osira, der Herr der Herren, der Schatten Gottes und der Sohn der leuchtenden Sterne.

 

Dritter Gesang.

I

Die Wanderer nähern sich dem Ziel ihrer Fahrt. Schon liegen hinter ihnen die fruchtbaren und unermeßlichen Blachfelder von Nepaul, schon haben sie Benares gesehen, hochberühmt wegen seiner Paläste, deren Grund der heilige Strom bespült, der Hindostan vom Reiche der Birmanen scheidet. Gleich Erscheinungen eines himmlischen Gesichtes schauten sie vor sich auftauchen Palna, gepriesen wegen seiner Tempel, seiner Frauen und seiner kostbaren Webereien; Dakka, die Stadt, die aus den ebenholzschwarzen Flechten ihrer Jungfrauen einen Schleier vor dem Heiligtum der Götter webt; Gwalior, den Schild des Königreichs von Sindjak, dessen Mauern bis zu den Wolken reichen.

 

II

Dort fanden sie Behagen, im Schatten der großen Platanen von Dheli, das der Muschel gleicht, welche die Perle der Könige verwahrt. Eine Opfergabe von Honig und Blumen darbringend dem Schirmherrn von Allad-Abad, jener Stadt, die ihren Namen von den Karawanen der Pilger erhielt, die von allen Orten Indiens zu ihren Tempeln herbeieilen, zahlreicher als die Blätter des Waldes und der Sand des Weltmeeres.

 

III

Vierzig Monde waren vergangen, seit sie ihren Palast verlassen hatten. Wer vermag die Landschaften zu zählen, die sie durchwandert, die Wälder, die ihnen Schatten gewährt, die Ströme, aus denen sie ihren Durst gelöscht? Der Kiangar, kenntlich durch seine roten Fluten, der Espuri, dessen sanfte Strömung Gold mit sich führt, genügend um damit einen stolzen Palast zu bauen, die Senwads, schattige Wälder, wo die Riesenschlange mit einem Geräusch wie niederfallender Regen von den Bäumen gleitet, Lahore, die Erzeugerin der Krieger, Kaschmir, die Jungfrau der sieben Schals aus Bergflachs, und hundert und hundert andere Lande, Städte, Wälder, Bäche, Ströme und Berge, die bis über die weiten Ebenen von Indien nahe an den riesigen Himalaya sich ausbreiten.

 

IV

Indes schon näherten sie sich dem ersehnten Ziele, schon hatten sie die ungemeinen Prüfungen überstanden, den Ganges durchquerend und das Tal von Acibar, also genannt nicht so sehr wegen der Bäume, die es hervorbringt, aus denen dieser Saft gezogen wird, sondern wegen der Bitternisse, welche die Unglücklichen auskosten müssen, die gezwungen sind, dort hindurch zu pilgern, und Pulo überschritt die Felsgeklüfte, die daselbst empordrohen, Siannah auf seinen Schultern tragend.

 

V

Die Sonne sendete ihre Strahlen senkrecht zur Erde herab, die Wanderer, ermüdet von ihrem anstrengenden Tagewerke, lassen sich am Ufer des Stromes nieder, in dessen Nähe sich die Quelle befand. Ein dicker und prachtvoller Brotbaum gewahrt ihnen seinen Schatten, wohl geeignet ein Volk von Kriegern zu beherbergen; zwischen den Dünsten des fernsten Gesichtskreises taucht majestätisch der Himalaya auf, und über dessen Gipfel emporragend, der Djawalagiri, dessen Blicke über die halbe Welt reichen.

 

VI

Ein frischer Lufthauch spielt in den Magnolien und Tulpen, die zwischen den Buchten des Strandes wachsen, und trocknet den Schweiß von den Stirnen der Ermatteten. Die Nachtigall in den Zweigen einer breiten Fächerpalme stimmt einen schwermütig-süßen Gesang an und in den Lichtstrahlen der Sonne, deren Widerschein den Sand vergoldet, tanzen Myriaden von kleinen Vögeln, Faltern und Mücken mit goldigen und bläulichen Klügeln aus Flor und Smaragden, durchsichtig, gleichwie von Bernstein.

 

VII

Alles lockt zur Rast. Nachdem Pulo und Siannah sich mit einigen von den köstlichen Früchten des Waldes erquickt hatten, löschen sie ihren Durst in den kristallenen Wellen, die da vorüberfließen und beim Bespülen des Ufers ein leichtes und liebliches Geräusch, ähnlich dem Gurren einer Turteltaube, erzeugen. Beim anmutigen Ton der Wasser und der Blätter, die wie smaragdene Fächer sich über ihren Häuptern hin- und herschaukeln, gedenken sie in süßen Zwiegesprächen mit Genugtuung der vielen Gefahren, die sie überstanden, der tausend Abenteuer, die sie während der Wanderung erlebt hatten, der Landschaften, die sie durchschritten und der Wunder, die wie große Gemälde sich vor ihren Augen entrollt hatten. Sie entwerfen Pläne für die Zukunft und für das Glück, das ihrer harrt, sobald sie die nahe Sühne vollbracht haben; ihre Worte überhasten sich voll Feuer und lebendiger Farben; dann schleppt sich allgemach hinschmachtend ihr Wechselgespräch: Sie sprechen etwas und denken an anderes, zuletzt übergehen einige unbestimmte und unzusammenhängende Redensarten in Schweigen, dessen Finger ihre Lippen berührt.

 

VIII

Die Sonne fällt lotrecht über die große Ebene. Der Kopf des Fürsten ruht über den Knieen seiner Gattin. Alles um sie her schweigt oder schläft. In den tropischen Gegenden ist der Mittag die Nacht der Natur. Die tiefe Stille unterbricht bloß der kurze und scharfe Schrei des bengalischen Finken, das feine und einförmige Gesumme der Mücken, die in der Luft schwärmen, im Sonnenstrahl wie ein Reigen von kostbaren Kleinodien schimmern, und das schnelle Atemholen Siannahs, ein tiefes und erhitztes Atmen, wie das eines Opiumtrunkenen. Die Pilger verharren in Schweigen. Welche Gedanken mögen wohl ihre Seele durchkreuzen?

 

IX

Es gibt Augenblicke, in denen die Seele überströmt wie ein Gefäß voller Myrrhen, das nicht mehr genügt, den duftigen Stoff zu fassen, Augenblicke, in denen die Dinge, die unsere Augen schmerzen, wach werden und mit ihnen die Einbildungskraft. Der Geist löst sich vom Stoffe los und fliegt und fliegt quer durchs Leere und taucht in die Lichtwellen unter, welche die fernen Horizonte umschwanken.

Die Seele weilt nicht auf Erden, noch im Himmel, sie durchschwebt einen grenzenlosen und grundlosen Raum, ein Weltmeer der unsäglichsten Wollüste, in das sie ihre Schwingen eintaucht, um sich in jene Gegenden zu erheben, in denen die Liebe wohnt.

Die Gedanken schweifen ohne Ordnung umher, wie die Einfälle sonder Gestalt und Farbe, die im Gehirn des Dichters wuchern, ähnlich wirren Schatten, den Kindern eines Fiebertraums, die uns locken, ihnen zu folgen und dann entfliehen, die uns liebevoll laden und in unsern Armen sich in Dunst auflösen.

 

X

Pulo unterbricht zuerst die Stille.

»Wie süß ist es, den Atem des Weibes zu fühlen, das man liebt! Jenen Atem, der den vom Schlafe glühenden Lippen entweicht, die gleichsam Wellen von Ambrosia aushauchen auf ein Gestade von Rubinen!

Wenn es mir doch möglich wäre, o schöne Siannah, dir zu sagen, was mir das Lispeln deines Atems sagt! Es klingt in meinem Ohr, wie eine seltsame Stimme, die unbekannte Worte in einer fremden und göttlichen Sprache murmelt; ich gedenke der Tage meiner Kindheit, jener namenlosen Stunden, die in meinen kindlichen Träumen an mir vorüberglitten, jener Stunden, in denen die Genien rings um meine Wege gaukelnd, mir wunderseltsame Märchen erzählten, die meinen Geist entzückend, den Grund meiner goldenen Phantasie bildeten. Ist es nicht sicher, meine Schöne, daß sogar der Duft, der den Gegenstand unserer Liebe umgibt, das zarte, feine Rauschen ihres Gewandes Worte enthält, etwas sagt, das die anderen nicht begreifen?«

 

XI

Siannah schweigt. Ihren halbgeöffneten und roten Lippen entschlüpfen brennende Seufzer und ihr feuchtes Auge, blau und groß, strahlt mit dem Widerschein eines Gestirns in einem See. »Pulo,« ruft sie zuletzt, gleichsam als ob sie eine Verzückung abschüttelte, die sie für einige Augenblicke der Erde entführt, »ist es wahr, daß es einen Baum gibt, dessen Schatten den Tod bringen kann?« – »Es ist wahr,« antwortete der Fürst, »der Gott Schiwa hat ihn erschaffen, um die Sterblichen zu verderben und sein Bruder Wischnu, der sich über das Unheil der Menschen erbarmt, hat ihn dem Brahma, seinem Auserwählten, gezeigt.« Siannah machte eine stumme Bewegung. Ihr Gatte betrachtete sie mit dem Ausdruck unsäglicher Zärtlichkeit.

 

XII

»Pulo,« frägt wieder die Schöne nach einigen Augenblicken, »ist es wahr, daß es einen Baum gibt, dessen Schatten das Blut in den Adern erregt und zur Liebe entzündet?« – »Ja.« – »Kennst du ihn?« – »Ich kenne ihn, wenn ich auch seinen Namen nicht weiß, aber ... warum stellst du eine so außergewöhnliche Frage?« – »Ich weiß nicht ... der Schatten dieses Waldes hat sie mir eingegeben – setzen wir unsere Wallfahrt fort!« – »Fortsetzen, während die Sonne den Sand durchglüht! Warten wir bis daß der Windhauch des Nachmittags sich vom Golf her erhebt und die Sonne zu verbleichen beginnt.« – »Warten wir,« murmelte Siannah, »aber inzwischen wende deine Augen von den meinen ab, richte sie gen Himmel oder schlummere – aber bohre sie nicht in meine Seele!«

 

XIII

»Gut sprichst du, meine Augen trinken aus den deinen Liebe und unsere Liebe, rein und lauter zu anderer Zeit ist jetzt ein Verbrechen. Ja, es ist notwendig, daß ich dich nicht ansehe. ... Siannah, ich will schlafen, singe mir ein Lied unserer Heimat, wiege mich in Schlaf, gleich einer Mutter, wenn schon nicht wie eine Gattin!«

Die Schöne mit den Flechten von der Farbe des Ebenholzes sang also:

 

1

»Ihr Krieger, die Schwerter des Stammes sind durstig und den Durst der Schwerter löscht nur Blut.

Ein Sturzbach von Funken lodert nieder vom Jabwi, und die Funken, die zwischen den Wolken aufwirbelnden Staubes blitzen, sind die Eisen unserer Feinde.

Bringt mir herbei den Schild, verstärkt durch zehn Häute des Stieres und schlingt um meinen Helm den gelben Schal, damit sie mich nicht verkennen im Getümmel der Schlacht.

Ihr Krieger, die Schwerter des Stammes sind durstig und den Durst des Erzes löscht nur Blut!

 

2

»Dort fliegen sie hin, gleichwie –«

Hier erhebt sich Pulo und Siannah hält inne. – »Warum,« sagt der Fürst, »höre ich jetzt die Lieder meiner Heimat nicht mit dem Vergnügen, wie sonst? Habe ich nicht mehr das Herz eines Dheli in meiner Brust oder sind vielleicht die Kriegslieder nicht geschaffen, um von einer Schönen gesungen zu werden?«

 

XIV

»Sing' mir ein Lied von der Liebe! Eines von jenen Liedern, die zum Klange der Cymbalglocken die Jungfrauen anheben, wenn sie eine junge Verlobte zum Altar geleiten.« – »Pulo!« ... »Singe, fürchte dich nicht, ich werde friedlich schlummern, eingewiegt vom Ton deiner Stimme, vom Säuseln des Windes und der Musik der Wellen!«

Siannah singt. Ihre Stimme zittert, ihr Busen hebt sich gleichzeitig, wie die Woge, die, gekrönt vom Schaum, anschwillt:

 

1

»Die Qualen sind zu Ende mit dem Tage gegangen und der Fürst ist allein mit seiner Geliebten.

Rajah, lege dein Haupt auf meinen Busen, weil mich dürstet zu trinken den Schweiß und den Staub des Ruhmes.

Jungfrau, presse deine Lippen auf die meinen, weil mich dürstet zu trinken von ihnen den Tod aus einem Pokal von Rubinen.

 

2

O Seele der Schöpfung! O Sohn des Bermach! O Genius mit den siebzig Schwingen! O Liebe, göttliche Liebe! Steige herab in die Arme des Geheimnisses und der Nacht, zu krönen mit deinem Heiligenschein die, die da glühen, entzündet von deiner Flamme!

O unsichtbarer Geist! Du Kraft der großen Seele! Du Hoffnung des Kriegers! O Liebe, brennende Liebe! O verlaß zur Stunde den Palast der Götter, um ein Gewinde zu schlingen über den Lorbeerkranz des Rajah!

 

3

O Kraft! Entbrenne und umarme gleich der Kraft eines Feuerberges! O Hand, welche die meine sucht, dunkel wie das Blatt auf dem Baume – das Blut siedet mir im Herzen, strömt über und entzündet meine Wangen, ein Schleier von Schatten fällt über meine Augenlider, alles verwischt sich und verschwimmt vor meinen Augen, daß sie nichts mehr sehen, als den Feuerherd, der in den deinen brennt! O Rajah, welch ein unsichtbarer Geist ist es, der in den Lüften die tonreichsten Zusammenklänge anhebt und mich bei deiner Berührung erbeben macht?

O Jungfrau, es ist die Liebe, die zu uns niedergestiegen ist!«

 

XV

Siannahs Gesang verhauchte und mit ihm süß und voll Harmonie das Geräusch eines Kusses.

Was sind die Luftschlösser, die der Wille des Menschen baut, um den verderblichen Waffen zu begegnen, deren sich das Verhängnis bedient? Berge von Sand, ähnlich jenen auf den großen Blachfeldern von Nepal, die den Wanderer erschrecken und die ein Hauch des Orkans von dannen reißen!

 

Vierter Gesang.

I

»Mein Sohn,« spricht Schiwa zum Gotte des Schlafes, »lasse dich zur Erde hinab und sei der Bote meines Zornes!«

Der Schlaf, der Sohn des Grabes, erhebt sein Haupt, öffnet halb die schlummertrunkenen Augen und streckt seine neun Hände aus, deren jede einen Becher hält, bis zum Rande mit einem Schlaftrunk gefüllt. – »Was willst du von mir, Verwirklichung meines Sinnbildes, der du mich schufest, daß ich dir diene, als unsichtbarer Sklave innerhalb der Endlichkeit und Unendlichkeit, innerhalb der Welt der Menschen und der Seelen, das Gebot der Himmelsmächte vollführend, um die Erdenbewohner emporzuheben, bis sie im Leeren taumeln, das die Stätte meiner Oberherrlichkeit ist!«

 

II

Schiwa fährt zu seinem Abbilde gewendet also fort: »Ich habe mir seit langer Zeit die endliche Vernichtung des Fürsten in den Sinn gesetzt, der sich eines Tages die Herrschaft über den Tod anmaßte. Aber umsonst suchte ich die Gelegenheit, ihn tötlich zu treffen, umsonst, weil Wischnu, mein eifriger Widersacher ihn mit dem großen Schilde deckt, unter dem er die Menschen vor meinen Augen verbirgt, wenn sie in Zorn entbrennen und sich der Blitze bemächtigen, die da verwunden und töten. Zu wiederholten Malen hörte ich ein Sausen rings um mich her, ich erhob das Haupt – eine neue Welt, ein jugendlich Gestirn lag vor meinen Blicken und zog im Leeren seinen Kreis, schimmernd und unschuldig, wie der Vogel, den die Schlange bannt.«

 

III

»Aus seinem Schoße quoll ein Gießbach von Harmonien hervor, welche die Leere erfüllten, sich in ihr verbreiternd, gleichwie Kreise in einem Wasser, in das ein Stein geworfen wird. Angesichts des brennenden und leuchtenden Stromes, der zwischen farbigen und tönenden Meeren sich fortwälzt, fühlte ich meine schreckliche Macht durch seine Freudigkeit und seinen Prunk beleidigt, ich erhob die Hand, eine einzige Bewegung von ihr schleuderte jene Welt aus ihrer Bahn und verwundete sie auf den Tod. Richte dich auf und hefte deine Augen auf die weiten Flächen des Himmels und du wirst Wischnu sehen, wie er hinter den Trümmern einherläuft, um sie dem ungeheuren Sterben zu entreißen, willens, sie ins Leben zurückzurufen.«

 

IV

»Sieh da! der geeignete Augenblick, um mich zu rächen! Der Fürst versäumt die Pflicht in den Armen seiner Gattin und ist zur Stunde verlassen von meinem tötlichen Feind. Erfrische deine brennende Stirn mit deinen Schwingen und benütze die günstige Gelegenheit, um auf seine Lider einen Traum als Vorboten des Todes zu senden, einen Traum voll Herzeleid und Seelenangst, einen von jenen, die die Seele mit ihren stahlharten Fäusten zusammenpressen und auf der Brust lasten, wie ein Gebirge von Blei.«

 

V

Der Schlaf hebt seine Schwingen aus Flor und verläßt den Wald, in dem er lebt, in einem Palast aus Ebenholz, erbaut zwischen den schwimmenden Schatten der Aloen.

Das Schweigen geht vor ihm her und seine Geschöpfe folgen ihm in phantastischen Gruppen; sie mischen und mengen sich untereinander, neue und schnelle Verwandlungen bietend: tollen Wahnwitz, Halbgestalten von verworrenen Gedanken, ähnlich jenen, die eine zarte und aufgeregte Einbildungskraft mitten im Fieber erzeugt.

 

VI

Die schweigende Karawane erreicht die Ufer des Ganges und den Ort, wo der Fürst rastet. Dort versenkt sie ihn zuerst in wollüstige Mattheit, dann übermannt sie ihn mit einer allgemeinen Lähmung, bis zuletzt seine Lider mit bleierner Schwere über die Augensterne fallen, wie eine Steinplatte über ein Grab. Der Schlaf hat einen Tropfen der Flüssigkeit über ihn ausgeschüttet, die sein wundersames Gefäß aus Opalen enthält.

 

VII

Wenn der irdische Stoff schläft, fliegt der Geist im Weltenraume umher; solange als der Körper des Rajah unbeweglich bleibt und in tiefe Unempfindlichkeit versenkt ist, nimmt seine Seele eine wesenlose Gestalt an und entflieht den Banden, die sie fesseln, um sich in den Äther zu werfen. Dort harren ihrer die Gebilde des Traumes, die eine Welt erdichten, bevölkert von Wesen, die mit dem Leben der Vorstellung beseelt sind; ein erhabenes und prophetisches Gesicht, wirklich im Wesentlichen, bloß in der Form ein Wahngebilde. Und dies war das Gesicht des Rajah.

 

VIII

Die Nacht ist düster. Der Wind heult und saust, die mächtigen Zweige des Brotbaumes schüttelnd und rüttelnd, die Genien schwingen ihre bläulichen Flammenschwerter über den Wolken, auf denen sie in wildem Ritt vorüberstürmen, der Donner widerhallt anschwellend von Echo zu Echo in den Schlünden der Gebirge. Der Regen peitscht die Wipfel der Palmen und sich mischend mit dem dumpfen Geheul des Ungewitters, dem langgedehnten Stöhnen der Windsbraut und dem furchtsamen Gemurmel der Blätter des Waldes wird in Zwischenräumen ein fernes Gebrüll hörbar, schmetternd und durchdringend, das aus der Tiefe einer erzenen Brust zu kommen scheint.

 

IX

Ein Brahmane, der in jener Nacht des Weges kam und zur Stunde jenen Wald durchquerte, war nicht imstande, seine Gebete zu dem Gott-Zerstörer zu senden, dessen Triumph nun gekommen zu sein schien. Jene Wehklagen der Natur verwechselnd mit den Vorhersagungen der bleichen Schemen seiner Vorgänger, die das Geheimnis des Grabes brechen, um den Weg des Todes zu weisen.

 

X

Wohl gürten sich viele Krieger mit dem gelben Schal zu den Festen, wohl viele winden ihn um das Haupt zur Schlacht, doch nur der Rajah von Osira hat das kühne Herz, der Gefahr zu trotzen auf rauhen und verwilderten Fußsteigen in einer so grausigen Nacht.

 

XI

Pulo schreitet voran, den Bogen bereithaltend, den Pfeil in der Hand und den Dolch zwischen den Zähnen, Siannah folgt ihm, bleich, mit gesträubtem Haar und ängstlichem Schritt. – »Hörst du,« sagt sie zum Fürsten, »hörst du jene Stimme, die aus dem Dickicht schallt?« – »Es ist der Wind, der die Palmen rüttelt,« beruhigt sie der Rajah, indem er besorgt einen forschenden Blick schräg auf die uralten Stämme der Aloen wirft, welche den Weg umsäumen.

 

XII

Die Gatten setzen die Wanderung fort und der Sturm wütet, je länger, je mehr in schrecklicher Weise. – »Hörst du den Lärm, der sich hinter uns erhebt,« unterbrach die Schöne aufs neue. – »Es ist der Regen, der die Lianen geißelt,« sprach der Fürst, den Pfeil auflegend und Siannah mit seinem Körper deckend. – »Hörst du,« wollte jene sagen, »etwas atmet in unserer Nähe.« – »Wirf dich zu Boden,« rief Pulo, »der Tiger kommt, um uns anzuspringen!«

 

XIII

Zwei phosphorische Flammen funkeln durch die Dunkelheit.

Der Pfeil des Fürsten schwirrt.

Seinem scharfen Klang antwortet ein dumpfes und tiefes Gebrüll. Der Tiger springt; Pulo schleudert den Bogen von sich, deckt sich mit dem Lederschilde, stemmt ein Knie vor, duckt sich und erwartet ihn mit dem Dolch in der Rechten. Siannah ist ohnmächtig geworden und liegt, gehüllt in den Mantel des Kriegers, zu dessen Füßen.

 

XIV

Der Ringkampf beginnt.

Pulo stößt einmal und zehnmal seinen Dolch in die Brust und in den Bauch des Tigers, der in seinem Todeskampfe bestrebt ist, sich trotzdem auf seinen Feind zu werfen. Dieser, vom Schilde gedeckt, vermag seine Angriffe zu vermeiden. Dank der Schnelligkeit und dem kalten Blute, dem Erbe der Männer, die gewohnt sind, Gefahren und Tod zu trotzen. Aber schon hat die furchtbare Bestie das letzte heisere Röcheln ausgestoßen und fällt zurück in den Staub und das Blut, das aus seinen Wunden fließt – als der Fürst seine Augen zum Himmel erhebt, erstaunt über eine seltsame Erscheinung.

 

XV

Der Regen hat aufgehört, der Orkan und der Donner verhallen, – auf das blitzende und plötzliche Gleißen der Wetterstrahlen ist eine zarte und bläuliche Helligkeit gefolgt, ein unbestimmbares Licht, ähnlich dem ersten Dämmern eines Tages ohne Sonne und ohne Morgenröte. Die Vögel, die sich vor dem Unwetter unter das Zeltdach des Laubwerkes geflüchtet hatten, versuchen voll Freude über den Anblick ihre Flügel zu heben und ihr Lied anzustimmen, aber die Stimme stockt in ihren Kehlen und sie stürzen zur Erde, getroffen von einer unsichtbaren Hand. Die ungeheuren Bäume erzittern und sich gleichsam in furchtbaren Zuckungen krümmend, beginnen sie, den Boden mit ihren fahlgewordenen Blättern zu bedecken, die sich von ihren Zweigen lösen, gleichwie die Haare abfallen vom Haupte eines Greises. Die grünen Lianen, die sich im Hauche des Windes schaukeln, an die Stämme der alten Waldeskönige geschmiegt, verlieren die Farbe und die Kälte verrunzelt ihre glatten Blüten, gleich einem Pergament, das über dem Feuerherde liegt. All das bietet ein Schauspiel, das bestürzt macht, wie ein tötliches Gift, das in der Luft webt oder das in unbegreiflichen Ausflüssen aus dem Innersten der Erde aufquillt, die Atmosphäre vergiftend und mit ihr die Welt.

 

XVI

Der Rajah, voller Grauen, wirft seine Blicke ringsum: Allüberall dieselben trostlosen Bilder. Aber was ihn am meisten beklemmt, ist der Anblick des blutigen Leichnams jenes verzuckenden Tigers. Nach und nach seine ursprüngliche Form verlierend, nimmt er zugleich, dank einer unbegreiflichen Verwandlung, die einer Schlange an.

»Schon zweifle ich nicht mehr,« ruft er, »Schiwa will meinen Tod! Ich erkenne in diesem Reptil den Diener seines Zorns. O, daß ich nicht ein Gott bin, um zu ringen mit den Göttern! ... Aber trotz alledem, ein elender Sterblicher, der ich bin, werde ich mein Leben teuer verkaufen!«

 

XVII

Das grauenhafte Reptil wächst mit einer wunderbaren Schnelligkeit, seine Länge ist schon dreißig Mal größer, als die der hundertjährigen Schlange, die von zwei zu zwei Monden auf den Gipfeln des Sitpuri erwacht. Ihre runden Augen, unbeweglich, bannend, bohren sich in die des Rajah. Der, einem Schwindel nahe und mit jener grenzenlosen Verwegenheit, welche die Verzweiflung gewährt, sobald sie auf ihrem höchsten Gipfel anlangt, wirft den dreifach beschlagenen Schild als unnütz für diesen Kampf, weit von sich und zückt abermals den Dolch.

 

XVIII

Die gigantische Schlange beginnt sich um sich selbst zu drehen, indem sie ein durchdringendes und pfeifendes Zischen ausstößt. Der Fürst fährt ihr, ohne Rücksicht darauf, daß er angegriffen werden könnte, an den Hals, so dick wie eine große Palme, und versucht, mit übermenschlichen Kräften sie zu verwunden. – Umsonst, die stahlharten Schuppen, die sie bedecken und verteidigen, sind undurchdringlich, wie die Platten der Schildkröte vom Jawkior. Schon hat ihn das Reptil zwischen die Ringe seines Leibes gefangen und umschnürt ihn und beginnt ihn zu würgen. Schon ist der Dolch seinen kraftlos gewordenen Händen entfallen und der Schleier des Todes breitet sich über seine Augen, als zischend aus den Wolken ein Pfeil herabsaust und die Schlange durchbohrt.

 

XIX

Ein furchtbarer Zorn bemächtigt sich dieser und, sich aufrichtend von dem beinahe schon leblosen Körper Pulos, sucht sie geblendet den himmlischen Feind.

Die diamantene Spitze eines zweiten Pfeiles beendet ihren Todeskampf.

Der Rajah, aus seiner Erstarrung erwachend, betrachtet sie überrascht, nicht ohne tiefe Empfindung der Dankbarkeit und der Ehrerbietung gegen den, der ihm das Leben wiedergegeben hat.

Die Schultern, mit einem Mantel aus Fellen bedeckt, steht Wischnu, den Bogen noch in der Hand haltend und den Köcher mit den diamantenen Pfeilen über die Achsel gehängt, an seiner Seite, mit der Stirn die Wolken berührend und einen Schatten werfend, so groß wie der Himalaya, und genügend, um die Sonne zu verdunkeln.

 

XX

Und der Widersacher des Schiwa rief mit erzürnter Stimme: »Warum bist du, o Rajah, zur heiligen Grotte von Jabwi gepilgert? Warum befrugst du die Sühnwasser ihres Bornes, wenn du die himmlischen Offenbarungen unnötig machst, wenn du zuletzt deinen Eidschwur brichst, gleichwie man einen Pfeil über dem Knie zerbricht, als Unterpfand des Friedens zwischen zwei Feinden?« – Pulo blieb stumm. Die Schamröte seiner Schuld färbte seine bronzefarbenen Wangen und erstickte seine Stimme. Und Wischnu fuhr also fort:

»Unermeßbar, wie der Leichtsinn der Menschen, ist die Güte des Himmels. Sieh hin, wie ich mich deiner erbarme! Unnütz ist es bereits, daß du die Quellen des Ganges aufsuchst. Jegliches Sandkorn, das in das Gefäß deiner Verfehlungen fällt, ist imstande die Strafe zu mehren; was dir der Einsiedler von Jabwi auferlegt, ist nunmehr ungenügend, um deine Seele rein zu baden!«

 

XXI

»Wenn ein einziger Augenblick des Selbstvergessens alles in Nichts auflöst, gleichwie Rauch, was hätte ich dann mit meiner Reue gewonnen? – Was soll ich tun, um meine Schuld zu sühnen?« rief der Rajah.

»Erhebe dich,« fuhr der Gott fort, »nimm deinen Bogen, lege die Sandalen an und verlaß die Ufer des Ganges und wende deine Schritte bis du gen Cutac kommst. Im Sande seiner Küsten schläft im Schoß der Vergessenheit ein Tempel, den mir zu Ehren eines Tages dein glorreicher Vorgänger im Reiche erbaut hat, als er im Schutze meines Schildes bis dahin seine unbesiegbaren Heerhaufen führte. Auf den Felsen, zwischen denen die kräuselnden Wogen zerschellen, hat ein Rabe sein Nest – geh hin und bitte ihn, dir den Ort zu sagen, allwo sich der Tempel verbirgt. Den Tempel wirst du erkennen an seinen Flammen, die während der ganzen Nacht aus seinen verfallenen Trümmern lodern und den Raben an seinem weißen Haupte.«

 

XXII

Wischnu verschwindet: die Bäume erhalten wieder ihre Üppigkeit zurück, die Liane ihren Glanz, die Vögel ihre Stimme und dem ungewissen blaßblauen Licht des Himmels folgt die friedsame und süße Klarheit einer sternbesäeten Nacht, voll Harmonie und Duft, voll Gesäusel und Gesang.

Der Rajah rafft sich auf und eilt dorthin, wo Siannah geblieben war, ohnmächtig und in die Falten des Mantels ihres Gatten gehüllt. Er hebt das Gewand auf und seinen Lippen entfährt ein Schrei der Bestürzung und der Angst –:

Siannah ist nicht hier, Siannah ist verschwunden!

 

XXIII

An dieser Stelle hebt der Traum seine Schwingen und verläßt den Rajah: dieser erwacht, bebend und noch bleich, und sucht seine Gattin, in deren Schoß er eingeschlafen war und findet sie nicht.

Die Sonne läßt sich auf ihr Lager aus Purpur und Gold nieder, zu schauen wie ein Rajah im Prunk der Farben, und wirft einen letzten Blick aus ihren halbgeöffneten Augen zur Erde nieder. Die Natur beginnt zu erwachen aus dem Halbschlafe der Mittagszeit. Die Abendwinde, geschwängert von Tönen und Düften, tändeln mit den Kelchen der Blumen, die sich ihren Küssen öffnen. Die Wasser des Ganges mit ihren durchsichtigen Wellen, die üppige Pflanzenwelt, ihre Ufer umsäumend, raunen ein schwermütig Lied, dem sich die beschwingten und schmelzenden Töne der Vögel einen, die dem Tage einen lieblichen Abschiedsgruß nachrufen.

 

XXIV

»Siannah!« ruft der Fürst mir tränenerstickter Stimme. »Siannah, mein Weib, wo bist du, daß du mich nicht hörst? Siannah, unzertrennliche Begleiterin meiner Qualen und meines Unglücks! Warum wardst du von meiner Seite gerissen, so, daß ich des einzigen Glückes beraubt bin, das mir auf Erden übrig geblieben? O, komm zurück, kehre wieder, meine Schöne! Ohne dich wird mein Leben eine Nacht ohne Morgenrot sein, ein Schmerz ohne Tränen!«

 

XXV

Nur das Echo antwortet dem zärtlichen Gatten, den nun die Tollwut ergreift: Er eilt aufs neue zu den Ufern des Ganges, sucht im Sande nach der Fährte seiner Gattin und kehrt zurück, um ihren Namen hundert und hundert Male zu rufen. – Alles umsonst! Die Nacht wischt die Farben vom Himmel und Wolken und Sterne, die stummen Zeugen des Kummers und der Glückseligkeit der beiden Gatten erscheinen nacheinander, bedeckt von einem lichten Nebelschleier und Siannah erscheint nicht.

 

XXVI

»Wahnwitziger,« ruft eine Stimme im Winde hallend, ohne daß er den Sprechenden sehen kann. »Was willst du tun?«

Der Rajah, der den Dolch gezückt hatte, um ihn in seine Brust zu stoßen, hielt erschrocken inne und horchte erstaunt.

»Wenn du stirbst,« tönt es, »wirst du sie niemals sehen, wenn du dein Leben erhaltest und vollführst, was ich dir aufgetragen habe, werden die Blutflecken von deinen Händen für immer verschwinden und du wirst dein Weib wiederfinden!«

Die Träume sind der Geist der Wirklichkeit, mit der Gestalt der Erdichtung; die Götter steigen in ihnen hernieder zu den Sterblichen und deren Gesichte sind Blätter im Buche der Zukunft oder Erinnerungen an die Vergangenheit.

Die Stimme, die den Rajah vom Selbstmord abhielt, war die Wischnus, der ihm in den Träumen erschienen war.

 

Fünfter Gesang.

I

Nachdem der Fürst ein Jahr lang gewandert war, erreicht er das Ziel, das ihm der Genius verheißen. Dieser beschirmte ihn während der ganzen Bußfahrt, stets die Augen auf ihn geheftet. Tag und Nacht um sein Leben besorgt, bis er in Cutak ankam.

 

II

Das Morgenrot zerreißt den Schleier der Nacht, von ihren goldenen Flechten fällt der Tau in einem Sprühregen von Perlen über Hügel und Täler. Die Fläche des Meeres rötet sich und die Kämme seiner Wellen gleißen wie die Schuppen auf dem Panzer eines Kriegers am Tage der Schlacht, von den Blumen, noch feucht von den Tränen der Dämmerung, steigt ein Dunstschleier voll Wohlgeruchs zum Himmel empor, welchen die Genien auf den himmlischen, ambraduftigen Wolken mit den Morgengebeten der Brahminen einsammeln, um die Opfergaben zu Bermachs Füßen zu legen, dem Schöpfer des bewunderungswürdigen Rädergetriebes der Welten.

 

III

Pulo steht auf einem der Felsen, die in der Gegend des Königreichs Cutak die ausgedehnten Küsten des Weltmeers beherrschen. Seine Gedanken sind geteilt zwischen seiner Gattin und seinem Gewissen.

»Schon nähert sich,« sagt er, »die Stunde der Verzeihung, noch einige Mühen und ich stehe vor dem geheimnisvollen Vogel, den Wischnu zum Dolmetsch seiner Beschlüsse ausersehen hat. – O, Gebieter des Himmels, der beschützt, so lange er ist, abwendet die Wetter und den Tod von den Häuptern der Menschen, stelle dich nicht zwischen meine Brust und den Pfeil der Krieger, nicht zwischen mein Leben und die Rachen der Tiger oder die Ringe der Riesenschlange, aber beschirme mich gegen mich selbst, reiße von mir die Liebe und das Gewissen, deren Schläge töten, ohne daß die Hand zu sehen ist, die sie gibt!«

 

IV

Die Sonne hebt sich langsam aus dem Schoße des Meeres und ersteigt den Gipfel des Himmels. Der Rajah hat sich zu sieben Malen die Hände und die blutenden Füße gewaschen, dabei einige geheimnisvolle Gebete vor sich hin murmelnd, und beginnt nun den beschwerlichen Aufstieg zum Gipfel der gewaltigen Felsen, deren Stirn die Sonne und die Ungewitter gebräunt haben und deren Füße von den nimmerrastenden Wellen des Weltmeers geliebkost oder gepeitscht werden.

 

V

Nachdem er eine Stunde lang geklettert war, sich anklammernd an die Sträucher und Gebüsche, die in den Rissen des Geklüftes wachsen, befindet er sich endlich auf dem Gipfel der Landzunge.

In einem der Granitfelsen, die ihre Spitze krönen, ist ein Spalt, auf dessen Grunde die Gestalt eines Vogels sichtbar wird, der seine beiden Augen, die im Zwielicht phantastisch funkeln, in die des Rajah bohrt.

 

VI

»O Vogel der Götter,« ruft Pulo, vor dem luftigen Neste des Raben in die Kniee fallend, »geheimnisvoller Vogel, unter dessen schwarzem Gefieder durch drei Jahrhunderte der mächtige Wischnu gewohnt hat, so mit List den Tod vermeidend, den ihm der Gott der Zerstörung bereitet, sieh mich hier, deiner Worte harrend, wie die vom Feuer des Tages versengte Tulpe des Nachttaus harrt.

 

VII

Der Rabe, seinen Schlupf verlassend, läßt sich auf einer steilen Felsklippe nieder und nachdem er seine Schwingen dreimal geschüttelt, spricht er also zum Rajah, der ihm schweigend, mit demütig in den Staub gebeugtem Haupte zuhört:

»Herr über Osira, mächtiger Nachfahr derer von Deli, der Eroberer von Indien und Schützling des Wischnu, ich weiß, warum du kommst, also ist es unnötig, daß du deine Geschichte erzählst. Der Tempel, den du suchst, ist weit von hier; folge mir, ich werde dir den Ort zeigen, wo die Grabungen beginnen sollen.«

 

VIII

Der Rabe mit dem weißen Haupte hebt sich in die Luft und läßt sich am Fuße der Landspitze nieder, wo er auf den Rajah wartet. Als dieser das Ziel seines Abstieges erreicht, nimmt der geheimnisvolle Vogel die Wanderung über das Steingeklüft wieder auf, ohne das Gestade zu verlassen.

Sie wandern weiter während eines ganzen Tages, stets die vom Schaum gebleichte Küste entlang und erst, als die Sonne sich zum Schoß der Wellen herniedersenkt, in dicke und rote Wolken gehüllt, entfernt sich der geflügelte Führer von der Küste und wendet sich landeinwärts mitten durch einen schlammigen und von hohen und grünen Binsen bedeckten Weiher.

 

IX

Die im Westen sich sammelnden Wolken hüllen die leblose Sonne in ein Schweißtuch von Nebeln, bevor sie in ihr Grab steigt.

Die Nacht naht sich ohne Sterne und ohne Glast, der Wind murmelt schluchzend in den dichten Binsen, und schwermütig das Gebet für die Toten. Der Duft der Blumen, die sich im Schatten öffnen, streicht ziellos durch den Raum; der Schrei des Schakals und die Stimme des Nachtgevögels vermengen sich mit jenen unheimlichen und seltsamen Geräuschen, die da entstehen, hinzittern und vergehen im Schoße der Dunkelheit, ohne daß jemand sagen könnte, wer sie erzeuge.

»Unsterblicher Vogel,« rief Pulo, in der Wanderung einhaltend, »sieh da, welch eine Nacht hat sich der Erde bemächtigt, und umsonst trachte ich, dir zu folgen, fürwahr die Schatten haben dich verschlungen vor meinem Antlitz.

Der Schrei des Schakals ist jetzt ganz nahe zu hören, du weißt, daß ich mich nicht fürchte, aber ich bin waffenlos und deshalb unfähig, mich gegen tückische Angriffe zu verteidigen.

Gehen wir zurück und warten wir den Tag ab, um unsere Pilgerung fortzusetzen. Tollkühn ist, wer sein Leben wagt gegen Feinde, die man nicht verjagen, noch besiegen kann. Wenn doch wenigstens der Mond auf dem Himmel scheinen würde, sein Licht würde mir den Weg weisen durch diese Lachen, wo mich jeder Schritt dem Tode näher bringt, mich begrabend in seinen sumpfigen und unbeweglichen Wassern.«

 

X

»Fürchte dich nicht,« antwortet der Rabe, »der Gott, der uns ausgesandt hat, wird von seiner Höhe aus um uns Sorge tragen. Auf diese Weise trotzen wir am besten der Gefahr. Die Gefilde, durch die wir pilgern, sind Zeugen der Niederlage deines Vaters. Schiwa, eifernd auf die Verehrung, die jener in dem Tempel, zu dem wir gehen, zu Ehren des Gottes, der dich beschirmt, einführte, vereinigte zu dessen Untergang die Krieger von Cutak und von Lahore, welche in Rachedurst gegen ihren Besieger entbrannt, sich unter dem Schutze der Nacht verbündeten, um die Schwerter zu schleifen, die ihnen zuteil wurden, die Geliebten des Wischnu zu töten.

 

XI

Eines Tages verließ dein Vater den Tempel, um in die Wälder zu gehen, die sich am Fuße des Hügels ausbreiten, auf dessen Gipfel er verborgen stehen blieb. In diesem Augenblick wurde seine Neugier von einer weißen und mächtigen Wolke Staubes angezogen, die sich vom Sonnenaufgang her erhebend das Licht des Tages verfinsterte.

»Welch eine neue und zahlreiche Karawane von Pilgern ist es, die sich dem Tempel meines Gottes naht!« spricht er zu einem der verräterischen Rajahs gewendet, den Trägern seines Schildes und seines Köchers.

 

XII

Dieser mit seinen Gefährten einen Blick des Einverständnisses tauschend, antwortete dem siegreichen König lächelnd: »Wer weiß, welch ein fernes Land es ist, das dieses Volk von Pilgern hierhersendet! Der Ruhm des bewunderungswürdigen Tempels von Cutak läuft von Mund zu Mund bis an die fernsten Grenzen der Welt!«

Dein Vater, aufs neue die Blicke in die sich nähernde Staubwolke tauchend, aus der Feuerfunken blitzten, schrie mit dröhnender Stimme:

 

XIII

»Was ist das? Die ungeschliffenen Yaids von Pilgern beten zur Sonne in Rüstungen wie die Krieger von Lahore? Hörst du? Die Schwingen des Windes tragen den verworrenen Widerhall der barbarischen und grauenhaften Töne ihrer Kriegshörner heran. Oh, schon zweifle ich nicht mehr! Der Feind, der sich zu meinen Füßen demütigte, richtet sich nun auf, wie eine Otter, um nach ihnen zu züngeln. Trotz alledem! Sehen wir, ob die Rajahs von Lahore nunmehr gelernt haben, zu siegen, die durch so viele Jahre gewohnt waren, zu fliehen!«

 

XIV

»Vasallen,« fuhr er befehlend fort, zu seinem Gefolge gewendet, »reicht mir Bogen und Schild, zieht eure Eisen und laßt die Kriegshörner aus Silber mit ihrem Schmettern meine Heerhaufen zusammenrufen!«

Eldi Salek, einer von den verräterischen Häuptlingen, stieß ihm anstatt einer Antwort, das eigene Schwert, dessen Träger er war, in die Brust und es mit Triumph in den Lüften schwingend, schrie er: »Mut, ihr Gefährten der Sklaverei! Mut, die ersehnten Heere von Cutak und Lahore, die dereinst vor dem Hauche des Tyrannen in nichts zerstoben sind, wie der Rauch vor dem Orkan, sind da! Mut, unser Land ist frei!«

 

XV

Währenddessen versucht der unglückliche König, sich in seinem Blute wälzend, vergeblich nach Hilfe zu rufen. Die Stimme stockt in seiner Kehle, er macht einen letzten Versuch, sich zu erheben und fällt tot zur Erde, mit den geballten Fäusten dem Heere der Barbaren drohend, das unter den kriegerischen und rohen Tönen seiner bronzenen Instrumente herannaht.

 

XVI

Die Priester des Wischnu, auf die Überlistung gerüstet, steigen auf die hohen Türme der Pagode und erfüllen die Lüfte mit dem fürchterlichen Gebrüll der gewundenen Hörner, denen drunten in der Ebene die elfenbeinernen Drommeten deines Vaters antworten.

 

XVII

»Wo bleibt unser Rajah, daß er nicht herbeistürzt, wie ein Leu zum Kampf? Warum fliegt nicht sein purpurner Mantel im Vordertreffen und der gelbe Schal, der seine Stirn umwindet? Gebieter!« rufen die mächtigen Eroberer von Kuttak, doch niemand weiß zu sagen, wo sich der Herrscher von Osira befindet, daß er nicht antwortet auf den Lärm der Schlacht mit seinem Kriegsruf.

 

XVIII

Die Feinde nähern sich, der Boden zittert unter der Last ihrer Streitwagen und Kriegselefanten und das Echo der fernen Berge widerhallt von ihrem wildzornigen Geschrei. Und das Zeichen zu Kampf und Tod erschallt. Die Verteidiger des Wischnu verhauchen einer um den andern ihr Leben unter der Schärfe der Schwerter. Der Tempel des Gottes ist eine Beute der Flammen und mit ihm die entstehende Stadt, die der König von Osira dem hochsinnigen Schutzgeist von Alahabad zu Ehren gebaut.

 

XIX

Als die Nacht gekommen war, funkelte die verlöschende Flamme des Brandes, zitternde Kreise von Licht und Schatten über den Boden werfend in den Helmen der Vasallen, die dem Ansturm des Schiwa unterlegen waren und nun im Sande lagen, bedeckt von Blut und Ruhm.

Ein tiefes Schweigen lastete über dem Schauplatz des blutigen Ringens. Bloß vom gewaltigen Krachen der niederstürzenden Mauern unterbrochen, die von den sausenden Flammen umzüngelt wurden oder vom scharfen Schrei der Schakale, die geblendet vom zuckenden Widerschein des Feuers, und von den furchtbaren Ereignissen erschreckt, in ihre Höhlen zurückrannten.

Die Sieger ließen mit Tagesanbruch die Landschaft hinter sich und wagten seither niemals wieder dahin zurückzukehren, in der Furcht vor dem Zorne des Schiwa, der anstatt jenes Feuerherdes einen zerstörten Tempel wünschte, bewohnt von der Einsamkeit und dem Schrecknis.«

 

XX

Befangen von frommem Schauer lauscht Pulo der Geschichte von der blutigen Schlacht, in der sein Vater das Leben verloren; jene Geschichte, die in seiner Heimat die Bajadaren zum Schall der Glockentrommeln singen, dessen traurige Einfachheit aber noch nie eine so brennende Zähre seinen Augen entlockt hatte, wie sie nun auf seine heißen Wangen herniedertropfte.

 

XXI

Und der Rabe fährt also fort: »Siehst du dort, zwischen dem schwankenden Röhricht eine leichte, bläuliche Flamme auflodern, die hin- und herschwankt und über die Oberfläche der übelriechenden Wasser des Sumpfes läuft? Weiter entfernt, am Fuß der Anhöhe, wo im Schatten eines Waldes sich ein großes Grabmal aus unbehauenen und aufgeschichteten Steinen erhebt, – siehst du, wie sich dort ein leuchtender Dunst ausdehnt und über dem Grabmal schwebt und dann nahe bei den Baumstämmen verweilt und sich vervielfältigt, indem er sich in tausend andere phantastische, flüchtige Flammen mit bläulichem Widerschein teilt?

 

XXII

Das sind die Geister der Vasallen, die in der Verteidigung des Gottes, der dich beschützt, gefallen sind unter den Streitäxten derer von Cutak. Beuge das Knie zur Erde, dein Vater verläßt den Schoß des Grabes, um uns den Weg zu weisen inmitten der Nacht, quer durch den Sumpf und die Schattenbilder der Kämpen zum Ort, wo, bedeckt von Moos und überwuchert von hohen und stillen Kräutern, die sterblichen Überreste zu finden sind, die einzige Reliquie des Altars des Wischnu.«

 

XXIII

Pulo kniet nieder und aus dem plump gefügten Grabmal im Walde erhebt sich eine rote Flamme, die durch den Raum flackernd, in der Richtung gen Westen wandert.

Ihr folgt der Rabe und diesem der Rajah.

Plötzlich steigt jene auf den Gipfel des Hügels, auf dessen Abhang der Nachtwind murmelnd zwischen den Baumblättern schläft.

Der Vogel mit dem weißen Haupte erhebt das Gesicht und, die Ruine der Pagode erkennend, ruft er mit lauter Stimme dem Rajah zu: »Wolan, o Erstaunter und Verzückter, schreite den lieblichen Abhang hinan, der dich zum Ziele deiner Pilgerschaft führt!«

 

Sechster Gesang.

I

»Kehre zurück in dein Reich, wirf deine Schätze ins Volk und rufe die berühmtesten Künstler herbei die du findest! Von Aufgang der Sonne den ganzen Tag hindurch, vom Aufgang der Sterne solange die Nacht währt, gib nicht einen Augenblick der Ruhe und der Muße. Ermüden soll das Echo jener vereinsamten Lande durch das hurtige und fröhliche Lärmen der Arbeiter und durch die rauhen und klangreichen Schläge des Hammers!

 

II

»Sechs Jahre hast du Zeit, um wieder aufzubauen die Pagode, die die Welt mit Bewunderung erfüllen wird und deren höchste Türme die Wolken umkreisen und die Wetter umblitzen werden, gleichwie sie die Kämme der Gebirge umblitzen. Nimm Seide von Kaschmir, Gold von Siam, Zedernholz von Katuj, Elfenbein von Lahore und Perlen aus der Bucht von Ormuz. Durchstreife jene Lande, und mit ihren Weihegaben und deinen Erwerbungen wird die Pagode unseres Gottes leuchten wie die Sterne, die fliegenden Behausungen der Genien.«

In Pulos Seele ringt die Neugier mit der Furcht; ein Kampf, der mit dem Triumph jener endigt.

Ein böser Genius leitet seine Schritte durch die Nacht und lenkt sie unwillkürlich vermittelst einer unbesiegbaren Gewalt an den Ort, wo er dem Pilger begegnete.

 

III

Plötzlich wird sein Mißtrauen rege. Nichts ist zu hören. »Wo verbleibt er? wenn es möglich wäre, ein Geheimnis zu entdecken?«

So sprechend löst der Rajah mit den roten Händen den Teppichvorhang aus Seide und Gold, der die Pforte zur Wohnung des geheimnisvollen Wanderers bildet. Ein Blitz, der zu seinen Füßen niedergefahren wäre, hätte ihn nicht bestürzter machen können, als der Anblick, der sich seinen Augen darbietet.

 

IV

Der Pilger ist verschwunden.

In der Mitte der Halle, im matten Schein einer Alabasterlampe wird das ungefüge Brustbild eines Gottes sichtbar.

Der Wahnsinn in seinen phantastischen Schöpfungen, der Traum mit seinen beklemmenden Alpdrücken, die Schlaflosigkeit in ihren schweren Nervenerregungen können niemals ein so abstoßendes und grauenerregendes Bild gestalten.

 

V

Nicht das Antlitz des hochherzigen Genius ist es, der den Rajah beschirmt, – es ist ein Gesicht, in dessen Mienen zwischen den harmonischen Linien und kühnen Zügen die hochfahrende Grausamkeit, die wilde und mannhafte Schönheit der Götter des Waldes eingegraben ist. Der Gesichtsausdruck dieser rohen Bildnerarbeit, die sich noch unvollständig den Augen des angewurzelten Pulo zeigt, enthält etwas Höllisches und Entsetzliches: Die weitgeöffneten Augen scheinen Blitze und Tod zu versenden. Den breiten Mund zieht ein wildes Lachen zusammen und alles in diesem Bilde zeigt einen Genius des Bösen.

Es ist das Bild des Schiwa, nicht das des Wischnu.

Da ist es mit der Selbstbeherrschung des unglücklichen Rajah für immer vorbei.

 

VI

Dem Schwindel nahe und seiner nicht mehr mächtig, bricht er mit schriller Stimme los: »Brahminen wacht auf aus eurem Schlaf! Die Hoffnung, die mir noch blieb, hat sich verflüchtigt, wie der Duft einer Lilie, welche der Wüstenwind küßte. Schiwa siegte im Kampfe, hebt denn das Götzenbild empor, das ihn vorstellt, hebt es auf euren Schultern auf den Altar, im Takte der Trauerhymnen und im Lärm der Klageweiber und der Zymbale. – Sein werde der Tempel seines Bruders und mit ihm mein Leben.«

 

VII

Die Brahminen und die Diener des Rajah, die auf sein Geschrei herbeigeeilt waren, machen sich daran, seine Gebote zu vollziehen. Die verlöschenden Fackeln werfen einen unsicheren Lichtschein, die Krieger schlagen mit den Knäufen der Schwerter an ihre Schilde, die schmetternden Hörner aus Elfenbein stören die Leute von Cutac aus ihrem Schlummer und das traurige und großartige Gefolge, das den Gott des Todes und der Verheerung geleitet, richtet seine Schritte nach der gewaltigen Pagode, aus der sich anschwellend und verzitternd gramvolles Wehklagen und fürchterliches Gelächter erhebt. Es sind die Genien der Vernichtung, die ihren Sieg festlich begehen.

 

VIII

Der Tag beginnt heraufzusteigen. Der Mond löst sich in nichts auf und das Meer rötet sich mit dem ersten Strahle des Morgens. Der Tempel glänzt von hundert und hundert prachtvollen Lampen aus Bronze und Gold erleuchtet, weiße Wolken, über den Altären schwebend, verströmen Düfte von Myrrhe und Aloe durch die weiten Hallen der Pagode. Der Rajah, den gelben Schal, das Sinnbild der landesherrlichen Macht um sein Haupt geschlungen und angetan mit seinen reichsten Gewändern, liegt vor dem Altar auf den Knieen.

Die Zeremonieen, mit denen die Brahminen unter Anrufung der Genien den Tempel von Yaganata dem Tode in Besitz geben, sind zu Ende.

 

IX

»Priester, Rajahs, Hörige!« ruft der Herrscher von Osira. »Der Zorn der Götter hängt über meinem Haupte, gleichwie ein Schwert an einem Haar hängt. Meine Hände, die seit der schrecklichen Sünde, in der ich den Thron bestieg, kein Sterblicher entblößt sah, sind befleckt mit Blut. Seht sie! Dieses Blut ist das meines Vorgängers im Reiche, das meines Bruders, dem ich das Leben, mitsamt der Krone entrissen habe. Schiwa, der Gott der Gewissensqualen und der Buße heischt von mir Auge um Auge, Krone um Krone, Leben um Leben. Möge sich sein Wille vollenden! Priester, Rajahs, Hörige! Betet für den letzten Deli, dessen Stamm von der Erde verschwindet!«

Die Volksmenge, erschrocken und voll Furcht, verharrt in Schweigen. Pulo, sich zum Altar wendend, auf dem der Gott thront, ruft gegen das unförmliche Bildnis, das seine Lippen zu einem stillen und teuflischen Lächeln zu verziehen scheint:

 

X

»Schiwa! Widersacher und Vernichter meines Geschlechtes. Wenn nur Blut meine Sünden abzuwaschen imstande ist, indem es deinen Zorn vom Haupte Siannahs hinwegwendet, empfange mich als letzte Opfergabe. Aber gewähre mir wenigstens, daß ich, ehbevor ich die Welt verlasse, mein Weib einen Augenblick lang, zum letzten Male sehe, daß ihr Mund meinen kalten und verlöschenden Atem empfange, daß ihre Küsse meine Lider zum ewigen Schlummer im Grabe schließen!«

 

XI

Das Volk, das die Räume des Tempels erfüllt, hält seine Augen auf den Rajah geheftet und stößt einen Schrei des Entsetzens aus.

Pulo hat sich in sein Schwert gestürzt und der warme Blutstrahl, der aus seiner Wunde hervorbricht, spritzt hochauf, das Angesicht des Gottes befleckend.

In demselben Augenblick fliegt ein Weib in die Pagode und stürzt zum Altar des Schiwa.

»Siannah,« murmelt der König sie erkennend, »Siannah, endlich sehe ich dich, bevor ich sterbe!« Und er veratmet.

 

XII

Siannah, die Perle von Ormuz, das Veilchen von Osira, das Sinnbild der Schönheit und der Liebe, die Bermach in einem Fiebertraum der Freude erschaffen, indem er die Schlankheit der Palmen von Nepaul, die Biegsamkeit der Binsen des Ganges, den Smaragd der Augen einer Schiwa mit dem Feuer eines Demanten von Golkonda, der Harmonie einer Sommernacht und den Duft einer wilden Lilie des Himalaya vermischte; Siannah, die Schöne unter den Schönen, folgte Pulo nach auf seiner Pilgerfahrt in jene unbekannten Lande, von wannen noch kein Pilger zurückgekehrt ist.

Siannah war die erste indische Witwe, die sich in die Flammen stürzte zum Leichnam ihres Gatten.


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