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Die Göttin Athene hörte unterdessen nicht auf für ihre Lieblinge thätig zu sein. Noch in der Nacht ging sie nach Sparta in den Palast des Menelaos, um Telemachos an die Rückreise zu erinnern. Sie trat an sein Bett und fand ihn bereits wach, weil die ängstliche Sorge um den geliebten Vater ihn nicht ruhen ließ.
»Auf, Telemachos!« rief sie ihm zu; »nicht länger ziemt es dir, fern zu weilen von deinem Hause, wo übermütige Gäste schalten. Auf! damit sie nicht alles verzehren und deine Reise ganz fruchtlos sei. Dringe bei dem mutigen Menelaos auf schnelle Entsendung, damit du die Mutter noch ungefährdet im Hause treffest; denn Vater und Brüder bedrängen sie jetzt mehr als sonst, und es ist nahe daran, daß Eurymachos sie gewinnt, der die meisten Geschenke bietet und nach der Hochzeit noch mehr zu geben verspricht. Geschieht das, so nimmt sie ihr ganzes Eigentum aus deinem Hause mit sich, und was bliebe dir dann noch übrig? – Noch will ich dir etwas vertrauen, das du dir zu dringlicher Warnung dienen lassen magst: die tapfersten der Freier lauern wachsam auf dich in dem Sunde, der Ithaka von Same Same oder Samos, sonst bei den Alten Kephallonia, jetzt Kefalonia, die größte der Inseln des jonischen Meeres im Westen Griechenlands, gebirgig und daher wenig fruchtbar. trennt, um dich zu ermorden, bevor du die Heimat erreichst. Doch hoffe ich, ihr tückischer Plan solle zu Schanden werden. Du also halte dein Schiff so viel als möglich in einiger Entfernung von den Inseln, umsegle sie im weiten Bogen und lande dann am nördlichen Ende von Ithaka; fahre auch nur bei Nacht, um ihnen desto sicherer zu entrinnen.
Bist du glücklich gelandet, so laß sogleich die Genossen nach der Stadt rudern, du selbst aber gehe allein nach der Hütte des Sauhirten Eumäos, der dir mit treuer Liebe anhängt. Dort bringe die Nacht zu. Am folgenden Morgen laß ihn dann in die Stadt gehen und der lieben Mutter heimlich verkündigen, daß du gesund und wohlbehalten von deiner Reise aus Pylos zurückgekommen seiest.«
Mit diesen Worten verschwand die Göttin. Telemachos hatte nun keine Ruhe mehr, und obgleich die Sterne noch am Himmel glänzten, so weckte er doch schon seinen Genossen, den Sohn des Nestor, und trieb ihn an schnell die Rosse vor den Wagen zu schirren.
»Nun, warte doch«, murrte dieser, »es ist ja noch finstere Nacht. Wie würde sich's denn schicken, wenn wir dem edlen Menelaos so heimlich davon führen, ohne daß er dir ein Geschenk gereicht und ein freundliches Wort zum Abschiede gesagt hätte! Schlaf nur noch einmal ein; wenn die Morgenröte das Dunkel verscheucht, wollen wir aufbrechen.«
Als endlich der Morgen dämmerte, war auch schon der treffliche Menelaos bereit und erkundigte sich nach seinen Gästen. Telemachos bat ihn sogleich um schnelle Entsendung.
»Wie du willst, mein Lieber!« antwortete Menelaos, »ich wäre ein eigennütziger Freund, wenn ich dich wider deine Absicht hier aufhielte. Auch weiß ich sehr gut, daß man anderen selbst mit aller Wohlmeinung und Liebe lästig werden kann, und ich meinesteils halte es immer mit dem Satze: Besucht dich ein Freund, so pflege ihn; und will er gehen, so laß ihn ohne Zwang. Aber ich muß dir doch ein Gastgeschenk mitgeben und den Weibern befehlen, daß sie uns zum Abschiede noch einen schmackhaften Imbiß bereiten. So lange darfst du schon noch verziehen. Es reiset sich gleich besser, wenn man sich vorher mit Speise und Trank gut bedacht hat. Und wenn du vielleicht noch weiter auf Kundschaft durch Hellas ausziehen willst, etwa nach Argos, so will ich gern dein Begleiter sein.«
»Ach nein, du göttergleicher Herrscher der Völker«, sprach Telemachos, »mich verlangt sehnlich nach Hause; denn ich bin heimlich von dort weggegangen, ohne den Meinen einen Schutz zurückgelassen zu haben, und es thut wahrlich not, daß ich auf meine Habe achte.«
Jetzt gebot Menelaos den Mägden eiligst das Mahl zu bereiten. Ein Diener mußte Feuer anzünden, um das Fleisch zu braten, und inzwischen ging der treffliche Wirt in die Vorratskammer, worin sein bestes Gut verwahrt lag, um dem scheidenden Gaste ein Ehrengeschenk auszusuchen. Auch Helena ging dorthin und öffnete ihre Kleidertruhe voll schön gewirkter Gewänder, die sie selbst mit kunstfertiger Hand gearbeitet hatte. Sie nahm das größte und schönste heraus und ging damit zum Telemachos. Menelaos folgte mit einem goldenen Becher und einem schön geformten silbernen Kruge.
»Möge dir Zeus«, sprach er, indem er ihm die Geschenke überreichte, »eine glückliche Heimkehr gewahren! Siehe, ich schenke dir hier von allem, was ich habe, das Prächtigste, ein Geschenk des Sidonierkönigs Phädimos, das er mir verehrte, als ich durch Phönikien kam. Wahrlich! es ist so künstlich gearbeitet, als habe Hephästos selbst den Becher verfertigt.«
»Auch ich will dir ein Geschenk reichen«, sprach darauf Helena und trat mit dem herrlichen Gewande hervor. »Sei dir's ein Andenken von Helenas Hand, und am Hochzeitstage schmücke es festlich deine junge Braut; bis dahin mag es dir die liebe Mutter in ihrer Kiste aufheben. Lebe wohl und kehre fröhlich von hinnen heim in dein stattliches Haus zu dem Gute deiner Väter.«
Telemachos empfing die köstlichen Gaben mit dankbarer Freude und übergab sie seinem jungen Gefährten Peisistratos, der sie still bewundernd in den Wagenkorb packte. Hierauf gingen sie alle in den Saal und setzten sich nieder. Die Diener stellten Tische vor einem jeden hin, eine Magd besprengte ihnen aus goldener Kanne die Hände, während sie zugleich ein Waschbecken unterhielt; ihr folgte die Schaffnerin mit Körben voll reichlichen Vorrats an Brot und Fleisch, und des Königs Sohn selber füllte aus dem Mischkruge die Becher ringsum. Als sie sich gesättigt hatten, brachen die beiden Jünglinge eilends auf; Peisistratos schirrte die Rosse an, ergriff die Peitsche, und so stiegen sie ein.
Menelaos ging noch mit einem Becher Weins neben dem Wagen her und begleitete sie mit Helena durch die Hallen und den Vorhof. Vor dem Thore hielt er ihre Rosse nochmals an, trank ihnen mit einem Handschlage zu und rief: »Lebt recht wohl, ihr Jünglinge, und grüßt mir den alten Vater Nestor! Wahrlich wie ein Vater hat er mich immer geliebt, als wir vor Troja kämpften.«
»Gern wollen wir's ausrichten«, erwiderte Telemachos, »wie du gesagt hast. O daß auch ich meinen Vater fände, wenn ich heimkehre, damit ich ihm erzählen könne, wie freundlich ich von dir beherbergt und gepflegt worden bin, und wie reichlich du mich beschenkt hast!«
Als er noch so redete, siehe da flog zur Rechten ein Adler bei ihnen vorüber, der eine große geraubte Gans in den Klauen trug. Männer und Weiber des Hofes, von dem er sie entführt hatte, liefen mit Geschrei hinterher, um dem Adler die Beute wieder abzujagen; er aber stürmte mit ausgebreiteten Flügeln vor den Rossen vorbei und schwang sich hoch in die Luft. Da freuten sich Menelaos und Helena und die beiden Jünglinge im Wagen über die Maßen. –
»Aber das ist doch auch nicht löblich«, unterbrach hier Wilhelm den Lehrer, »sich über anderer Schaden zu freuen!«
»Nicht doch, Kind; darüber freuten sie sich nicht, sondern weil sie nach dem Glauben jener Zeiten in dem ganzen Vorfalle ein verheißendes Zeichen der Götter erblickten. Sie meinten nun der Erfüllung ihrer eben ausgesprochenen Wünsche gewiß zu sein. Man sah im Altertume, wie zum Teil auch noch jetzt in jeder plötzlichen, unerwarteten, auffallenden Erscheinung ein Wahrzeichen von höherer Hand und folgerte daraus Heil oder Unheil. Am meisten beobachtete man die Vögel, denen die freiere, durch nichts gehemmte Bewegung in der Luft an sich schon etwas Wunderbares, fast Geisterhaftes verlieh. Und wie die Griechen aus dem Fluge und dem Geschrei der Vögel die Zukunft weissagten, so übten auch die Römer eine Kunst der Vogelschau in sogenannten Auspicien und Augurien, und besondere Priester waren mit diesem Amte beauftragt. Auch bei den Deutschen galten die Vögel für Boten wichtiger Nachrichten. Flog der Vogel zur rechten Hand, so galt das für glücklich, das Fliegen zur Linken aber für unglücklich. Hier übernahm Helena, scharfsichtigern und schnellern Geistes als die andern, das Geschäft der Deutung; denn kaum hatte sie die Erscheinung wahrgenommen, so rief sie freudig aus:
»Hört, was die Götter mir jetzt in die Seele rufen und was sicher geschehen wird. So wie dieser Adler die Gans packt und, sie erwürgend, ins Gebirge zu seinem Nest zurückkehrt, so wird Odysseus mit dem Racheschwerte in seinem Hause eintreffen und den übermütigen Freiern Tod und Verderben bringen.«
»O, das gebe Zeus!« rief Telemachos, indem er die Pferde zu raschem Jagen antrieb. Sie eilten von dannen und rannten den ganzen Tag und brachten die beiden Jünglinge am Abend zu einem Hause, in welchem der schon erwähnte Gastfreund Diokles sie freundlich beherbergte. Am folgenden Tage setzten sie ihre Reise fort und kamen nach Pylos.
Telemachos wünschte sehr, nicht länger hier aufgehalten zu werden; er bat daher den jungen Peisistratos, ihn sogleich ans Gestade zu seinem Schiffe hinzufahren und ihn in der Stadt bei dem Vater Nestor bestens zu entschuldigen, daß er an seinem Hause diesmal so vorübergehe. Peisistratos übernahm die Entschuldigung, setzte seinen Freund bei dem Schiffe ab und fuhr allein nach der Stadt zurück. Telemachos befahl seinen erfreuten Gefährten, das Schiff sofort segelfertig zu machen. Sie richteten den Mast auf, spannten die Segel aus, lösten das Seil, mit dem das Fahrzeug am Lande befestigt war, und setzten sich auf die Ruderbänke. Telemachos, hinten am Steuer sitzend, goß der Athene zu Ehren unter stillem Gebete ein Trankopfer ins Meer, und nun ruderten sie bei nächtlicher Stille davon. Ein günstiger Wind begleitete ihre Fahrt.
Während dessen saß in der Hütte des wackern Eumäos der Bettler Odysseus und schmauste mit den Hirten bei der kärglichen Abendmahlzeit. Er unterhielt sie mit manchem Gespräche, und um zu erforschen, ob er wohl noch ein paar Tage länger hier verweilen dürfe, fing er gewandt genug also an:
»Fürwahr, Eumäos, ich bin dir nun lange genug beschwerlich gewesen und denke morgen mit dem frühesten nach der Stadt zu gehen. Darum aber laß mich noch das eine von dir bitten, daß du mir einen Menschen mitgebest, der mir den Weg bis an die Häuser zeige. Durch die Gassen will ich mich dann wohl selber finden. Ich möchte wohl gern einmal die schöne Penelope sehen und auch den Tumult der Freier im Palaste. Ich will mich unter sie mischen; denn, magst du wissen, ich verstehe mich gar trefflich auf häusliche Dienste. Im Feueranmachen, Holzspalten, Bratenvorlegen, Weinmischen und was dergleichen Dinge mehr sind, welche bei vornehmen Leuten gefordert werden, thut mir's kein Mensch zuvor.«
»Alter, wo denkst du hin!« rief Eumäos zürnend aus. »Das würde dir übel bekommen, wenn du unter den Schwarm der Freier gerietest, deren Trotz und Gewalt ja wahrhaftig bis zum Himmel reicht. Nein, mein Freund, solcher Diener bedürfen sie nicht; die haben ganz andere Leute! Jünglinge in schön geschürzten Kleidern, das Haar und das Antlitz von Salben duftend, harren ihrer Befehle, und unter denen würdest du eine schlechte Rolle spielen. Aber warum willst du denn fort? Du bist ja hier keinem beschwerlich. Warte doch wenigstens, bis des Odysseus Sohn von seiner Reise zurückkehrt. Der schenkt dir gewiß einen schmucken Mantel und Rock und sendet dich zu Schiffe, wohin dein Herz begehrt.«
Das wollte der schlaue Odysseus nur hören. »Trefflicher Sauhirt«, erwiderte er, »möge dich Zeus so lieben, wie ich dich liebe, der du mir nach langer Trübsal Ruhe in deiner Hütte gewährst; denn es ist doch nichts trauriger als unstät und flüchtig leben. Nun, weil du mir denn zu bleiben vergönnst so erzähle mir doch noch etwas von den Eltern deines lieben Herrn. Lebt Vater und Mutter noch oder sind sie schon tot?«
»Ja«, antwortete der Sauhirt mit Achselzucken, »der Vater der alte Laërtes, lebt zwar noch; aber wie lebt er! Alle Tage fleht er weinend zu den Göttern, daß sie ihn doch von dem Grame erlösen möchten, den er so lange schon um den lieben Sohn im Herzen trägt. Er wünscht sich sehnlich den Tod und kann doch nicht sterben. Die Mutter hat es so lange nicht zu ertragen vermocht; sie ist dem Kummer erlegen und ruht längst im Grabe. Ach, als die gute Frau noch lebte, da hatte auch ich noch Lust am Leben; denn sie hatte mich von Kindesbeinen an geliebt und mir immer viel Gutes erwiesen. Sie zog mich auf mit ihrer eignen Tochter, die nachher nach Samos vermählt ward. Die jetzige Königin ist wohl auch freundlich gesinnt; aber die Arme darf nicht thun, wie's ihr das Herz eingiebt; denn sie muß ja in beständiger Furcht vor den frechen Freiern leben und wagt sich den Tag über kaum herunter von ihrem Gemach. Ach, das war sonst ein gar anderes Leben! Und unser eins sieht es doch gern, sobald er einmal nach der Stadt kommt, wenn er liebreich aufgenommen wird von der Herrschaft, auch wohl hier und da einen leckern Bissen davon trägt, den er mitnehmen kann aufs Land.«
»Ei«, unterbrach ihn hier der Gast, »so bist du schon als Kind deiner Heimat entführt worden! Sage, wie ging das zu? Wurde etwa deine Vaterstadt von Feinden verheert und verbrannt, oder raubten dich vorüberziehende Schiffer, als du allein bei den Schafen auf dem Felde warest?«
Der ehrliche Sauhirt gab dem Odysseus auf seine Frage folgenden Bescheid:
»Dort über Ortygia hin liegt eine Insel, Syria mit Namen; vielleicht hast du auch von ihr gehört. Sie ist eben nicht sonderlich bevölkert, allein die Menschen leben dort in glücklichem Frieden und wissen von keiner Krankheit; nur das Alter führt sie sanft hinweg zur Ruhe der Toten. Über dieses gute Völkchen herrschte mein Vater als König; er war ein würdiger Mann und an Ansehn den Göttern zu vergleichen. Ich war ein kleiner Knabe, der im Hause herumlief, als gerade ein phönikisches Schiff bei uns landete, welches vielerlei künstliche Sachen zum Verkauf brachte und des Handels wegen lange an unserer Küste liegen blieb. Die Phöniker, gewandte, verschlagene Krämer, machten in allen Häusern Bekanntschaft und kamen auch in meines Vaters Wohnung. Nun hatten wir damals eben eine phönikische Magd, schön von Wuchs und Angesicht, die mein Vater als Sklavin gekauft und teuer bezahlt hatte. Diese fing mit einem der Schiffer einen vertraulichen Umgang an, der Schiffer versprach ihr sie in ihr Vaterland zurückzubringen, und sie willigte mit Freuden ein. Aber – so kann Liebe bethören – die Treulose versprach ihrem Buhlen, sie wolle an Kostbarkeiten aus meines Vaters Hause mitnehmen, was sie verbergen könne und mich wolle sie dazu fortführen, denn von mir würden sie gewiß einen beträchtlichen Gewinn erhalten. Ich hing in kindlicher Arglosigkeit an dem Mädchen, und wenn sie ausgeschickt ward, begleitete ich sie immer. So war es gar nicht auffallend, daß sie mich mit fortführte.«
»Es war verabredet, daß keiner der fremden Männer öffentlich mit dem Mädchen reden sollte, um allen Verdacht zu vermeiden; aber wenn sie von unserer Insel genug erhandelt haben würden und absegeln wollten, dann sollte einer in unsern Palast kommen und ihr einen Wink geben, daß es nun Zeit sei. Wirklich kam auch einmal der Phöniker zu uns mit einem goldnen Halsgeschmeide, das er den Frauen des Hauses zum Verkauf anbot. Ich stand einfältig dabei und sah den fremden Mann an, und als meine Mutter und viele andere Weiber, auch die Mägde im Hause sich neugierig drängten das Halsband genau zu besehen, da bemerkte ich, daß der Mann dem Mädchen allerlei Zeichen machte, die sie mit Nicken erwiderte. Endlich kaufte meine Mutter den Schmuck, und der Phöniker ging weg. Gleich darauf nahm mich das Mädchen bei der Hand, und als wir durch den Vorsaal gingen, steckte sie drei goldene Ringe in ihren Busen. Hierauf ging sie mit mir zum Hause hinaus und nach dem Hafen zu. Ich trabte lustig mit und ahnete nichts Böses. Die Schiffer hoben mich ins Schiff und ruderten eiligst fort. Ich schrie oft, aber das Mädchen redete mir zu und die Männer drohten. Am siebenten Tage starb das Mädchen plötzlich auf dem Schiffe, und die Männer warfen sie ins Meer. Bald darauf kamen sie hier bei Ithaka vorbei und legten dort in der Bucht an. Ihr Erstes war mich auszubieten, und alsbald kaufte mich auch Laërtes, der damals hier König war, und übergab mich seiner Gattin zur Erziehung. So ist denn aus dem Königssohne ein Schweinhirt geworden!«
»Armer Mann«, sagte Odysseus, »du hast mir durch deine Erzählung das Herz im Busen bewegt. Aber dennoch bist du glücklicher als ich, da du einen liebreichen Herrn gefunden hast, der dir reichlichen Unterhalt und ein ruhiges Alter gewährt. Sieh mich an! von endloser Not verfolgt und in der ganzen Welt umher geirrt, sehe ich noch immer nicht das Ziel vor mir.«
Über diesen Gesprächen war die Mitternacht hereingebrochen, und die Knechte hatten sich längst schon ringsumher zur Ruhe gelegt. »Jetzt wollen wir ein wenig schlummern«, sagte der Sauhirt. »Wir hätten es schon früher gekonnt, aber die verplauderten Stunden gereuen mich nicht. Denn auch das ist süß, sein Herz ausschütten zu können, und du bist mir ein lieber, verständiger Gast, mit dem ich gern frei und offen rede. Zum Schlafen ist ja immer noch Zeit, und zuviel Schlaf ist ohnehin schädlich.«
In derselben Nacht hatte sich das Schiff, das den Telemachos trug, der Insel Ithaka glücklich genähert, ohne von den Spähern bemerkt zu werden, und mit dem ersten Strahle der Morgenröte landete es an der nördlichen Küste. Telemachos stieg mit seinen Gefährten aus und opferte. Der gute Jüngling wußte nicht, wie nahe er seinem geliebten Vater war. Er legte sich die glänzenden Sohlen an und nahm die schwere Lanze in die Hand, im Begriff sich von seinen Genossen zu trennen, denen er nach der Stadt zu rudern befahl. Er bestellte sie auf morgen zu sich in seines Vaters Palast, um ihnen den Reisedank, ein stattliches Mahl von Fleisch und Wein, zu entrichten.
Eine Sorge nur hatte Telemachos noch. In Pylos hatte sich zu der Reisegesellschaft ein Seher aus Argos, Theoklymenos, gesellt und um ein Plätzchen im Schiffe gebeten. Man hatte ihn gern bis Ithaka mitgenommen; allein er wollte weiter, und Telemachos fürchtete so viel von den Freiern, daß er es kaum wagte einen Gast in sein Haus mitzubringen. Es ward also beratschlagt, wo man den Fremden beherbergen wolle, und Telemachos schlug gerade seinen ärgsten Feind, den Eurymachos, den übermütigsten Freier seiner Mutter, vor, weil dieser der angesehenste Mann auf der Insel sei und ihn am anständigsten bewirten und weiter senden könne. »Er ist jetzt«, fuhr er fort, »da mein Vater fern ist, hier fast unumschränkter Gebieter und will eben darum meine Mutter heiraten, damit er mit meines Hauses Gütern auch die Königswürde und den Vorsitz in der Volksversammlung überkomme, der auf unserm Hause ruht. Nur Zeus mag wissen, ob er seinen Zweck erreichen wird oder nicht,«
Indem er dies sagte, siehe da flog ihnen zur Rechten ein Habicht auf, der eine Taube in den Klauen hielt und sie im Fluge so zerriß, daß die Federn zwischen Telemachos und seinem Schiffe zur Erde niederfielen. Da zog Theoklymenos, der kundige Seher, den Jüngling rasch beiseite und sprach heimlich zu ihm: »Freund, was du jetzt gesagt hast, wird nimmer erfüllt werden. Dieses Götterzeichen sagt mir, daß die Herrschaft über die Fürsten von Ithaka ewig bei deinem Hause bleiben wird.«
Telemachos freute sich herzlich der Weissagung und nahm von dem Fremden Abschied, den einer der Gefährten sogleich in Eurymachos' Wohnung begleitete. Er selber ging in des Sauhirten Hütte, wie ihm Athene befohlen hatte.