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Die Bühne stellt ein geräumiges, nicht völlig eingerichtetes Zimmer vor. Hausrath steht umher; in der Mitte ein großer Armsessel. Figaro mißt mit einem Zollstabe den Fußboden aus. Susanne versucht vor einem Spiegel den Brautkranz.
Susanne. Figaro.
Figaro. Neunzehn Fuß zu sechsundzwanzig.
Susanne. Sieh nur, Figaro, meinen schönen Brautkranz; steht er mir so besser?
Figaro. Unvergleichlich, mein Schätzchen. Welche Gefühle dieser jungfräuliche Myrthenkranz nebst Brautschleier am Hochzeitsmorgen in der glücklichen Brust des Bräutigams erweckt!
Susanne. Was hattest du denn auszumessen?
Figaro. Ich rechnete aus, ob das große Himmelbett, das der gnädige Herr uns schenkt, hier Platz hat.
Susanne. In diesem Zimmer?
Figaro. Seine Excellenz treten es uns ab.
Susanne. Ich nehme es aber nicht an.
Figaro. Und weßhalb?
Susanne. Weil ich nicht will.
Figaro. Warum?
Susanne. Weil es mir nicht gefällt.
Figaro. Ein hübscher Grund!
Susanne. Bin ich etwa gar Gründe schuldig? Beweisen, daß ich Recht habe, hieße zugeben, ich könne Unrecht haben. Giebst du mir nach, oder nicht?
Figaro. Was in aller Welt kannst du gegen dieses Zimmer einwenden, das für uns das bequemste im ganzen Schlosse sein wird? Hier sind wir mitten zwischen unserer Herrschaft. Nachts, wenn die gnädige Gräfin deiner bedarf, braucht sie nur zu läuten: Kling, ling, ling, – und, husch, husch, in zwei Schritten bist du bei ihr. Befiehlt der gnädige Herr mir etwas, (mit tieferem Tone) kling, ling, ling, so läutet er auf seiner Seite, und, eins, zwei, drei, bin ich an seinem Bett.
Susanne. Vortrefflich! Und wenn nun der gnädige Herr Morgens in aller Frühe läutet – Kling, ling, ling, – und dir einen recht weiten, langen Weg aufträgt, – husch, husch, sind Seine Excellenz an meiner Thür, und eins, zwei, drei an meinem...
Figaro (sie hastig unterbrechend). Susanne, was soll das heißen?
Susanne. Nichts weiter, mein Freund, als daß Seine Excellenz, der Herr Graf Almaviva, unser gnädigster Herr und Gebieter, der Liebeleien und Abenteuer auf dem Lande endlich satt geworden, in Hochdero Schloß zurückzukehren geruhen wollen. Aber nicht zu der Gräfin, seiner Gemahlin, – sondern – zu der deinigen, mein armer Figaro; für welchen Zweck ihm dieses Zimmer ganz außerordentlich gelegen scheint. So wiederholt mir wenigstens alle Tage der ehrliche Basilio, Musikmeister im Schlosse und geheimer Agent in den Privatangelegenheiten Seiner Excellenz.
Figaro. Basilio, o du mein würdiger Busenfreund! Aber, Geduld! Wenn jemals ein gesunder Haselstock einen falschen Katzenbuckel gerade geklopft hat, so wird dieser Buckel der deine und dieser Stock der meinige gewesen sein!
Susanne. Hast du geglaubt, armer Junge, die Mitgift, welche Excellenz mir giebt, wäre der Lohn deiner Verdienste?
Figaro. Ich habe genug für ihn gethan, um dies hoffen zu dürfen.
Susanne. Wie dumm doch manchmal die gescheitesten Leute sind!
Figaro (kleinlaut). Das sagt man allerdings.
Susanne. Aber man glaubt es nicht.
Figaro (noch kleinlauter). Man hat Unrecht.
Susanne. Erfahre denn, daß der Graf mit jener Mitgift ein heimliches Stelldichein sich erkaufen will, ein gewisses gutsherrliches altes Recht... du weißt, wie schrecklich es war.
Figaro. Ob ich das weiß! Hätte der Herr Graf bei seiner Vermählung dies abscheuliche Recht nicht abgeschafft, ich würde dich als seine Unterthanin niemals gefreit haben.
Susanne. Nun bereut er aber, es abgeschafft zu haben, und mit deiner Braut möchte er, ganz im Stillen, es heute wieder einführen.
Figaro (in einen Stuhl sinkend). Ich falle aus den Wolken.
Susanne. Bitte, nur nicht auf den Kopf! Du könntest dir eine Beule schlagen (ihn streichelnd), ein ganz kleines zierliches Hörnlein.
Figaro. Du lachst, Schelmin, während mir der Angstschweiß vor der Stirn steht. (Sich die Stirn reibend.) Hm, hm, hm! Giebt es denn da gar kein Mittel, einen vornehmen Wilddieb, der uns in's Gehege geht, abzufangen und abzustrafen?
Susanne. List und Geld: nun ist Herr Figaro in seinem Element.
Figaro (immer nachsinnend). Gewissensskrupel halten mich nicht ab.
Susanne. Aber die Furcht?
Figaro. Ich scheue keine Gefahr, wenn ich einen Vortheil sehe. Das ist freilich keine Kunst, einen fremden Eindringling in seinem Eigenthum zu erwischen und mit einer Tracht Prügel heimzuschicken. Tausend Narren haben das gethan. Besser...
(Es läutet hinter der Scene.)
Susanne. Horch, meine Gräfin ist wach. Sie hat es mir besonders auf die Seele gebunden, daß ich die Erste sein soll, die sie an meinem Hochzeitstage spricht.
Figaro. Was ist denn nun dabei wieder?
Susanne. Nur ein kleiner Aberglaube. Unser alter Schäfer sagt, mit einer Braut am Hochzeitsmorgen reden, bringt verlassenen Frauen Glück. Ich muß zu ihr. Auf Wiedersehen, mein kleiner, feiner Fi.. Fi.. Figaro. Denk' hübsch nach, wie wir uns aus der Schlinge ziehen.
Figaro (bittend). Ein Küßchen, um meinen Verstand zu erleuchten!
Susanne. Warum nicht gar? Was würde der Herr Gemahl morgen sagen, wenn ich heute dem Herrn Bräutigam das erlaubt?
Figaro (küßt sie). O Susanne, wenn du wüßtest, wie lieb ich dich habe!
(Es läutet noch einmal.)
Susanne (sich losreißend). Erzähle mir das heute Abend. (Im Abgehen ihm eine Kußhand zuwerfend.) Da haben Sie Ihren Kuß wieder; ich will nichts behalten, was Ihnen gehört!
Figaro (ihr nacheilend). Susanne! (Sie entflieht.)
Figaro (allein). Reizendes Geschöpf! Immer heiter, aufgeweckt, voll Witz und Laune! Und dabei brav! (Er geht, sich die Hände reibend, lebhaft umher.) Ah Excellenz, mein hochgnädiger Herr! Sie lassen sich herab, Ihrem gehorsamsten Diener Ehren zuzudenken, von denen er sich im Schlafe nichts träumen ließ. Darum also nehmen Sie Ihren Haushofmeister als Gesandtschaftscourier mit auf Ihren neuen Posten! Drei Beförderungen auf einmal: Sie werden Botschafter, ich Depeschenträger und Suschen eine ganz geheime Hof-, Haus - und Herzensdiplomatin! Vortrefflich! Während ich Courier für Sie reite, – (mit der Zunge klatschend) hopp, hopp, hopp, – fahren Sie mit meiner kleinen Frau, wer weiß wohin? Nicht doch, mein gnädigster Herr, das wäre für uns der Gnade, für Sie des Dienstes zu viel! Den König und mich zugleich in London repräsentiren, seine und meine Geschäfte besorgen, – zu viel, wie gesagt, um die Hälfte zu viel! – Was dich aber angeht, ehrlicher Basilio, du, einst mein würdiger Zögling in allerhand Schelmenstücklein, dir werd' ich zeigen, wie gefährlich es ist, seinen Meister meistern zu wollen. O du elendester aller Musikmeister! Ich werde dich .... Pfui, Figaro, keine Heftigkeit. Verstellung und Behutsamkeit nach allen Seiten! Einen fein hinter den Andern, und Alle durch einander gehetzt! Zuerst gilt es, die Hochzeit beschleunigen, um Excellenz zuvorzukommen; dann Dame Marzelline beseitigen, welche auf den armen Figaro versessen ist, wie der Teufel auf eine arme Seele; ferner Mitgift und Hochzeitsgeschenke einstecken, je mehr, desto bester; vor allem dem Herrn Grafen sein Recht und Meister Basilio sein Unrecht gehörig eintränken ... Arbeit die Hülle und die Fülle!
Figaro. Barthola. Marzellino.
Figaro. Sieh da, sieh da, unser dicker Doktor! Der fehlte noch, das Fest vollständig zu machen. (Ihm entgegen.) Herzensdoktorchen, seid willkommen! Gewiß erscheint Ihr im Schlosse von wegen meiner Hochzeit mit Suschen?
Bartholo (verächtlich). Was der Narr sich einbildet!
Figaro. Es wäre wahrhaftig auch zu großmüthig.
Bartholo. Und thöricht obendrein.
Figaro. Wißt Ihr noch, wie ich das Unglück hatte, euere Hochzeit mit Rosinchen, eurer schönen Mündel, zu stören? Besinnt Euch doch!
Bartholo. Habt Ihr uns sonst etwas zu sagen?
Figaro. Ist denn auch für euer Maulthier gehörig Sorge getragen? (Ihm auf den Bauch schlagend.) Seine Last ist doch wahrhaftig zu schwer geworden. Was ihr Aerzte für unbarmherziges Volk seid! Quält die Thiere, als ob sie Menschen wären!
(Läßt ihn lachend stehen.) Dame Marzelline! (Mit tiefer Verbeugung.) Immer wohl auf? Immer noch entschlossen, Prozeß mit mir zu führen? Streit auf Leben und Tod?
Bartholo. Was meint er damit?
Figaro. Die Alte mag's Euch selbst erzählen!
Bartholo. Marzelline.
Bartholo (ihm nachblickend). Immer der alte Schelm. Wenn der nicht bei lebendigem Leibe geschunden wird, stirbt er in dem dicksten Spitzbubenfell, das es jemals gegeben hat.
Marzelline (Bartholo zurückziehend). Nun, sind Sie endlich da, mein ewiger Doktor? Immer ernst und gemessen, mag man ohne Ihre Hülfe sterben, wie man sich einst ohne sie verheiratete, trotz aller Ihrer Vorsichtsmaßregeln.
Bartholo. Immer spitz und bitter! Was macht denn meine Anwesenheit im Schloß so nöthig? Ist dem Herrn Grafen ein Unfall begegnet?
Marzelline. Nicht doch, Doktor.
Bartholo. Oder ist der Gräfin Rosine, meiner treulosen Mündel, mit des Himmels Hülfe etwas zugestoßen?
Marzelline. Sie leidet allerdings.
Bartholo. Eine kleine Erkältung?
Marzelline. Ganz recht, ihres Herrn Gemahls, – gegen sie.
Bartholo (frohlockend). So rächt mich ihr eigener Mann an ihr !
Marzelline. Der Graf ist wunderlich: eifersüchtig auf seine Frau, und doch treulos gegen sie.
Bartholo. Treulos aus Launen, aus Eitelkeit eifersüchtig: die alte Leier der großen Herren!
Marzelline. Zum Exempel: heute verheirathet er unsere Susanne an seinen Figaro; er überhäuft ihn mit Gunstbezeugungen wegen dieser Heirath ...
Bartholo. Welche Seine Excellenz nothwendig gemacht haben?
Marzelline. Nicht so ganz, aber welche Seine Excellenz im Stillen mit dem Bräutchen vorausfeiern möchte.
Bartholo. Mit Figaro's Braut? Darüber wird sich mit ihm handeln lassen.
Marzelline. Basilio behauptet das Gegentheil.
Bartholo. Ist der Spitzbube auch da? Das ganze Schloß eine Räuberhöhle! Was zum Henker thut er hier?
Marzelline. So viel Schlimmes wie er kann. Das Schlimmste von Allem ist seine langweilige alte Leidenschaft für mich.
Bartholo. Die hätte ich mir an Ihrer Stelle längst vom Halse geschafft.
Marzelline. Durch welches Mittel?
Bartholo. Durch eine Heirath mit ihm.
Marzelline. Grausamer Spötter! Warum wenden Sie dies Mittel nicht selbst an, gegen mich, um meiner los zu werden? Ist das nicht Ihre Pflicht? Denken Sie Ihrer Versprechungen nicht mehr? Nicht an unseren kleinen Emanuel, die Frucht einer vergessenen Liebe, die uns zum Altar führen sollte?
Bartholo (ungeduldig). Um solche Thorheiten anzuhören, sprengen Sie mich von Sevilla hierher? Woher der plötzliche Rückfall in Ihre alten Ehestandsgelüste?
Marzelline. Es sei! Reden wir nicht mehr davon. Wenn Sie mich denn unter keiner Bedingung zur Frau machen wollen, wie Sie gelobt haben, so helfen Sie mir mindestens zu einem anderen Manne.
Bartholo. Mit tausend Freuden. Wer ist denn aber der von Gott und den Frauen verlassene Sterbliche, den Sie heimführen wollen?
Marzelline. Wer könnte es sein, Doktor, als der schöne, der lustige, der liebenswürdige Figaro?
Bartholo. Der Galgenstrick?
Marzelline. Niemals übellaunig, immer heiter; der Gegenwart lebend, um die Zukunft so wenig sich kümmernd, wie um die Vergangenheit; großmüthig ..
Bartholo. Wie ein Räuberhauptmann.
Marzelline. Nein, wie ein echter Edelmann; kurz ein Engel, – und doch ein Ungeheuer!
Bartholo. Aber seine Susanne?
Marzelline. Sie kriegt ihn nicht, die Heuchlerin, wenn Sie, mein Doktorchen, mir helfen wollen, ein Eheversprechen geltend zu machen, das ich, schwarz auf weiß, von ihm besitze.
Bartholo. Am Tage seiner Hochzeit mit einer Andern?
Marzelline. Dazu ist immer noch Zeit. Wenn ich ein kleines Frauengeheimniß ausplaudern wollte ....
Bartholo (lauernd). Geheimnisse vor einem Leibarzte?
Marzelline. Sie wissen freilich, daß ich vor Ihnen keine habe. Unser Geschlecht ist leidenschaftlich, aber scheu. Auch die abenteuerlustigste Frau hört in ihrem Inneren eine Stimme, die ihr zuruft: Sei schön, so viel du kannst, tugendhaft, so viel du willst, aber vorsichtig, so viel du mußt. Diese Vorsicht, deren Notwendigkeit jede Frau fühlt, wird Susanne auch fühlen, wenn wir sie erschrecken, indem wir die Anträge des Grafen an sie unter die Leute bringen.
Bartholo. Wozu das?
Marzelline. Damit Susanne sich der Schande halber um so gewisser weigern muß. Darüber wird Seine Excellenz verdrießlich werden und meine Einsprache gegen ihre Heirath, wie meine Rechte auf Figaro unterstützen.
Bartholo. Gut berechnet. (Für sich.) Und ich gewinne dabei das Vergnügen, meine alte Haushälterin dem Schelm aufzuhängen, der mich um meine Mündel und obendrein um hundert blanke Thaler gebracht hat.
Marzelline (rasch). Denken Sie sich nur die Lust, Doktor!
Bartholo (rasch). Einen Bösewicht zu bestrafen!
Marzelline (rasch). Zu heirathen, Doktor, ihn zu heirathen.
Bartholo. Marzelline. Susanne.
Susanne (die bei Marzellinen's Worten von links eingetreten, ein Negligéehäubchen der Gräfin mit langen Bändern und ein Damenkleid in der Hand). Ihn zu heirathen? Wen denn? Am Ende gar meinen Figaro?
Marzelline. Warum nicht? Heirathet ihn doch die Mamsell!
Bartholo. Eine echte Frauenlogik! Wir sprachen, schön Suschen, von Figaro's Glück, Sie zu besitzen.
Marzelline. Ohne von dem gnädigen Herrn und seinem gleichen Glück zu sprechen, Mamsell.
Susanne. Immer bitter, Madam! (Mit einem Knix.)
Marzelline (ebenfalls knixend). Dienerin, Mamsell; da ist nichts Bitteres dabei. Muß ein gnädiger Herr das Glück nicht theilen, das er seinen Leuten verschafft?
Susanne. Das er verschafft, Madam?
Marzelline. Ja, verschafft, Mamsell!
Susanne (wie oben). Glücklicher Weise hat Madam ebenso viel Eifersucht als wenig Recht auf Figaro!
Marzelline (wie oben). Mamsell räumt dem Herrn Grafen und dem Herrn Figaro allerdings größere Rechte ein!
Susanne (immer wie oben). Wobei Madam vor Neid bersten möchte!
Marzelline (immer wie oben). Wenn man freilich so hübsch ist wie Mamsell!
Susanne. Immer hübsch genug, um Madam zu ärgern!
Marzelline. So ehrbar obendrein!
Susanne. Die Ehrbarkeit überlaß' ich den alten Weibern!
Marzelline (will auf sie los). Den alten Weibern?!
Bartholo (sie zurückhaltend). Marzelline!
Marzelline. Kommen Sie, Doktor, ich halte mich nicht länger. (Sie rauscht, Bartholo mit sich ziehend, durch die Mitte ab.)
Susanne (allein). (Ihr nachrufend.) Viel Glück auf den Weg, Madam! Ich fürchte so wenig Ihre Drohungen wie Ihre Ränke. – Seh einer doch die boshafte, alte Sieben! Weil sie Duenna bei meiner Gräfin gewesen ist und dieser ihre Jugend verdorben hat, glaubt sie das ganze Schloß hofmeistern zu dürfen. (Sie wirft das Kleid auf einen Tisch.) Hab' ich mich doch über sie geärgert, daß ich nicht mehr weiß, was ich hier suchen wollte.
Susanne. Cherubin.
Cherubin (den Kopf durch die Mittelthür hereinsteckend, dann hastig vorkommend). Endlich allein! Seit zwei Stunden pass' ich auf den Augenblick, Suschen ohne Zeugen zu finden. Ach Susanne, was für ein Unglück: Du heirathest und ich muß fort!
Susanne. Wie hängt denn meine Hochzeit und des Herrn Pagen Abreise zusammen?
Cherubin (kläglich). Susanne, der Herr Graf jagt mich weg!
Susanne (seinen kläglichen Ton nachahmend). Cherubin, der Herr Page wird wieder einmal einen dummen Streich gemacht haben.
Cherubin. Gestern fand er mich bei deiner Muhme Fanchette, der ich ihr Verschen zu der heutigen Festlichkeit abhörte. Da gerieth er in einen Zorn! Hinaus, schrie er, du kleiner .... Ich mag vor einer Dame das grobe Wort gar nicht wiederholen, womit Seine Excellenz mich regalirte. Morgen Abend, sagte er, hast du das Schloß geräumt, oder .... Wenn meine gütige, schöne Pathin, die Frau Gräfin, ihn nicht besänftigt, so ist's um mich geschehen. Susanne, ich muß fort, kann dich nie wiedersehen.
Susanne. Mich? Bin denn jetzt ich an der Reihe? Als ob man nicht wüßte, daß der junge Herr im Stillen für meine Gebieterin brennt!
Cherubin. O Susanne, wie edel und schön sie ist, aber auch wie erhaben!
Susanne. Das heißt, ich bin das nicht, und bei mir kann man schon etwas wagen.
Cherubin. Du weißt nur zu gut, Schelmin, daß ich nicht wage zu wagen. Aber du bist glücklich, sie jeden Augenblick sehen und sprechen zu können, Morgens sie anzukleiden, Abends auszuziehen, Nadel für Nadel ... O Susanne, ich gäbe ... Aber, was hältst du denn da in der Hand?
Susanne (spottend). Himmel, das glückliche Häubchen und das beneidenswerthe Band, welche Nachts das Haar der schönen Frau Pathe einschließen.
Cherubin (lebhaft). Ihr Nachthäubchen? Gieb es mir, mein Herz! (Er greift darnach.)
Susanne (zurückziehend). Warum nicht gar, sein Herz! Welche Vertraulichkeit! Wenn es nicht ein kleiner Taugenichts ohne Gefahr wäre .. (Cherubin entreißt ihr das Band.) Ach, das Band!
Cherubin (um den Lehnsessel herumlaufend). Sage, du hast es verloren, verdorben. Sag', was du willst.
Susanne (ihm nachlaufend). In drei oder vier Jahren wirst du der größte kleine Schelm sein, das prophezeie ich. Giebst du das Band heraus? (Sie hascht darnach.)
Cherubin (ein Notenblatt aus der Tasche ziehend). Laß es mir, Suschen; ich gebe dir meine Romanze dafür. Während das Andenken an deine schöne Gebieterin mich immer traurig macht, wird dein Bild den einzigen Sonnenblick in mein Herz werfen und es erheitern.
Susanne. Dein Herz erheitern, junger Taugenichts? Du glaubst wohl, mit deiner Fanchette zu sprechen? Bei ihr überrascht man dich; für meine Gräfin schwärmst du, und mir machst du obendrein auch den Hof.
Cherubin (außer sich). Auf Ehre, es ist wahr: ich weiß nicht mehr, was ich bin. Seit einiger Zeit fühl' ich mich so aufgeregt: mein Herz zittert bei dem bloßen Anblick einer Frau; die Worte »Liebe, Zärtlichkeit« verwirren mich. Einem Wesen sagen zu können: »Ich liebe dich«, das ist für mich so nothwendig geworden, daß ich es allein ausrufe, wenn ich im Park umherirre, deiner Gebieterin zurufe, dir, den Bäumen, den Wolken, dem Winde, der den verlorenen Seufzer entführt. Gestern begegnete ich Marzellinen.
Susanne (lachend). Hahaha, auch sie?!
Cherubin. Warum nicht? Sie ist ein Weib, ein Mädchen! Weib, Mädchen! welche süße Namen, wie entzücken sie!
Susanne. Er wird rasend.
Cherubin. Fanchette ist sanft; sie hört mich wenigstens; du nicht.
Susanne. Das fehlte auch noch, den Herrn anhören; mein Band will ich. (Sie hascht darnach.)
Cherubin (ihr entwischend). Nichts da! Nur mit meinem Leben entreißest du es mir. Aber wenn die Romanze nicht Preis genug dafür ist, gebe ich tausend Küsse zu. (Er verfolgt sie.)
Susanne. Tausend Nasenstüber, wenn du es wagst. Ich werd' es meiner Gräfin klagen; nein, besser noch, dem Grafen selbst. Er hat vollkommen Recht, daß er den Taugenichts fortjagt, der seiner Gemahlin den Hof macht, Fanchetten Verse einstudirt und mir Bänder und Küsse stiehlt.
Cherubin (den Grafen eintreten sehend). Himmel, ich bin verloren! (Flüchtet hinter den Lehnstuhl.)
Susanne (gewahrt erst jetzt den Grafen und tritt vor den Stuhl, um den Pagen zu verstecken.) Der Herr Graf!
Susanne. Graf. Cherubin.
Graf (vorsichtig eintretend). So verlegen, Susanne? du sprichst mit dir selbst, du erröthest. Freilich, eine Braut am Hochzeitstage ...
Susanne (verwirrt). Was steht zu Euer Excellenz Befehl? Wenn man den gnädigen Herrn bei mir fände!
Graf. Wäre mir selbst nichts weniger als erwünscht. Doch ich muß dir einmal sagen, welch lebhaften Antheil ich an deinem Glück nehme. Basilio hat dir meine Empfindungen für dich mitgetheilt. Mir bleibt kaum ein ungestörter Augenblick, um dir meine guten Absichten auseinander zu setzen. Höre! (Er setzt sich in den Lehnstuhl.)
Susanne (hastig). Ich höre nicht zu.
Graf (ihre Hand ergreifend). Ein paar Worte. Du weißt, der König hat mich zu seinem Botschafter in London ernannt. Ich nehme Figaro mit, gebe ihm die einträgliche Stelle eines Gesandtschaftscouriers. Nun ist es doch die Pflicht der Frau, ihrem Manne zu folgen.
Susanne. Daß ich reden dürfte!
Graf (sie näher an sich ziehend). Rede, mein Kind, rede! Nimm dir heute ein Recht über mich, das dir für's Leben gehören soll.
Susanne (erschrocken). Ich will keines, gnädiger Herr; ich bitte, verlassen Sie mich.
Graf. Vorher sprich!
Susanne. Wohlan! Als der gnädige Herr seine Gemahlin dem Doktor Bartholo entführte und aus Liebe heirathete, als er, ihr zu Ehren, ein gewisses abscheuliches Recht des Herrn abschaffte ...
Graf (lachend). Das den jungen Mädchen viel Kummer machte. O Suschen, dies reizende Recht. Wenn du mit mir heute in der Dämmerstunde im Park darüber plaudern wolltest, wie hoch wollte ich diese kleine Gunst bezahlen!
Basilio (von draußen). Ich finde ihn nirgends, Excellenz!
Graf (aufstehend). Basilio's Stimme!
Susanne. Wenn er hierher käme!
Graf. So gehe hinaus, ihm entgegen!
Susanne (verwirrt). Darf ich den Herrn Grafen allein hier lassen?
Basilio (noch hinter der Scene, näher). Ich habe aber doch Seine Excellenz von der Frau Gräfin weg hierher gehen sehen!
Graf. Nirgends ein Versteck? (Sich umsehend.) Hinter dem Lehnstuhl! (Hinter dem Stuhl sich verbergend, während der Page auf der andern Seite hervorschlüpft und sich im Stuhl niederduckt.) Verwünscht unbequem! Schick' ihn nur bald wieder fort!
Susanne (das früher mitgebrachte Kleid vom Tisch nehmend und hastig über den Pagen breitend). Was für ein Tag! Als wär's mein letzter!
Graf. Cherubin (beide versteckt). Susanne. Vasilio.
Basilio (durch die Mitte hereinschleichend). Auch hier ist er nicht!
Susanne. Wer nicht? Wen sucht man bei mir in so unziemlicher Weise?
Basilio (immer umherspürend). Wen sollte man bei einer Braut anders suchen als den Bräutigam?
Susanne. Und wer könnte bei einem Mädchen so keck eintreten, als Herr Basilio?
Basilio (wie oben). Zwar der gnädige Herr Graf möchten ebenfalls hier zu finden sein, und am Ende nicht minder ein gewisser Page.
Susanne (verlegen). Don Cherubin?
Basilio (nachspottend). Der liebe, leibhaftige Cherubin, der auf seinen Engelsfittigen Fräulein Susanne vom frühen Morgen bis in den späten Abend umflattert, he?
Susanne. Das ist gelogen, boshafter Mensch!
Basilio. Hab' ich ihn nicht unlängst noch an dieser Thür patrouilliren sehen? Oder hätte das vielleicht unserem Susannchen gar nicht gegolten?
Susanne (hastig). Wem anders als mir?
Basilio. Zuletzt war es wohl gar ein zarter Auftrag, ein Brieflein an die gnädige Gräfin, die er ja bei Tafel mit den Augen förmlich verschlingen soll! Daß er sich nur in Acht nimmt vor dem gnädigen Herrn; Excellenz sind einigermaßen kitzlich in diesem Punkte!
Susanne (zornig). Und Meister Basilio einigermaßen niederträchtig, einen jungen Menschen zu verleumden, der ohnehin bei seinem Herrn in Ungnade gefallen ist!
Basilio. Hab' ich das Gerücht erfunden? Das ganze Schloß spricht davon, die halbe Stadt.
Graf (hervortretend). Die Stadt spricht davon?
Susanne. Nun ist's aus!
Basilio (schadenfroh). Der Herr Graf!
Graf. Basilio, man soll den Pagen suchen, festhalten, fortjagen.
Basilio. Wie bedaure ich, hier eingetreten zu sein und gestört zu haben!
Susanne. Auch das noch!
Graf (zu Basilio). Sie wird ohnmächtig. Rasch, den Lehnstuhl.
Susanne (Basilio zurückdrängend). Ich setze mich nicht. Pfui der Schande, ein armes Mädchen so zu überfallen!
Graf. Wir sind zu zwei, mein Kind, also hat's keine Gefahr für dich.
Basilio. Hätt' ich gewußt, daß der gnädige Herr mich hörten, nie würde ich dem armen Pagen nachgeredet haben. Ich that es nur, um Susannchens Gefühle zu erforschen.
Graf. Er soll zurück zu seinen Anverwandten, reichlich beschenkt, aber entlassen, ohne Gnade.
Basilio. Excellenz, wegen eines Stadtgeschwätzes?
Graf. Ein Taugenichts ist er, den ich gestern erst bei der Tochter des Gärtners ertappte.
Basilio (immer hämisch). Bei Fanchette? Ei, ei!
Graf. Er war versteckt in ihrer Kammer.
Susanne. Wo Excellenz auch Geschäfte hatten?
Graf. Sieh doch, eifersüchtig!
Basilio. Ein vortreffliches Zeichen!
Graf (zu Susannen). Ich suchte deinen Oheim Antonio, meinen Trunkenbold von Gärtner, um ihm Befehle für deinen Hochzeitsstrauß zu geben. Ich klopfe; man öffnet mir lange nicht. Endlich kommt deine Muhme Fanchette, verwirrt und verlegen. Dies macht mich aufmerksam. Ich plaudre mit ihr, sehe mich um, suche. Hinter der Thür hing eine Gardine, oder war's ein Kleiderstock mit Tüchern drüber, – kurz, ein verdächtiges Stück Möbel. Ich, ohne mir etwas merken zu lassen, geh' sachte, sachte drauf zu, hebe behutsam den Vorhang auf (Pantomime, die Erzählung begleitend) und erblicke – (hier hebt der Graf den Vorhang auf und gewahrt den Pagen). Ha, was ist das?
Basilio. Der Herr Page! Ei, ei!
Graf. Heute noch besser, wie gestern!
Basilio. Heute am allerbesten!
Graf (zu Susannen). Und Sie, Mademoiselle, schämen sich nicht, als Braut dergleichen Abenteuer zu bestehen? Um meinen Pagen zu empfangen, wollten Sie allein sein? (Zu Cherubin.) Du aber, unverbesserlicher Bösewicht, unterstehst dich, der Kammerjungfer deiner Herrin und Pathin nachzustellen, der Braut des Mannes, den du Freund nennst? Nichts da! Ich werde nicht dulden, daß Figaro, ein Diener, den ich schätze, dem ich Schutz schuldig bin, das Opfer solcher Betrügereien wird.
Susanne. Weder Betrug, noch Opfer! Der Page war schon hier, als Excellenz eintraten.
Graf. Wehe ihm, wenn du die Wahrheit sprichst!
Susanne. Er bat mich um ein Fürwort der gnädigen Gräfin bei Excellenz. Ihre Ankunft erschreckte ihn so, daß er zu dem Lehnstuhl seine Zuflucht nahm.
Graf. Gelogen! Als ich eintrat, setzte ich mich in demselben Lehnstuhl nieder.
Cherubin (ängstlich). Ach, gnädiger Herr, ich steckte dahinter.
Graf. Noch einmal gelogen! Dahinter steckt' ich selbst.
Cherubin. Da macht' ich Platz und schlüpfte hinauf!
Graf. Eidechse, Schlange! So hast du gehorcht?
Cherubin. Nicht doch, gnädiger Herr! Ich hielt mir beide Augen zu, um nichts zu hören.
Graf. Lügen über Lügen. (Zu Susanne.) Aus deiner Heirath mit Figaro wird nichts.
Basilio. Fassung, gnädiger Herr, man kommt.
Graf (den Pagen aus dem Lehnstuhl herabziehend). Ob du heruntergehst? Der Schlingel bliebe bis zum jüngsten Tage da droben hocken!
Vorige. (Durch die Mitte) Gräfin, Figaro. (Hinter ihnen, allmählig und schüchtern eintretend) Schloßdienerschaft und Landleute, unter diesen Fanchette.
Figaro (einen Brautkranz mit langem Schleier in der Hand tragend, zu der Gräfin, welcher er die Thüre öffnet). Nur die gnädige Frau Gräfin können uns bei Sr. Excellenz dem Herrn Grafen diese außerordentliche Gunst auswirken.
Gräfin (unsicher, zum Grafen). Sie sehen, mein Gemahl, daß die guten Leute mir einen Einfluß bei Ihnen zuschreiben, den ich freilich nicht besitze. Indeß ist ihr Anliegen an Sie nicht unbillig.
Graf (seine Verlegenheit hinter gezwungener Artigkeit gegen die Gräfin versteckend). Ihr Fürwort, Gräfin, könnte auch Unbilliges möglich machen.
Figaro (zu Susannen, leise). Hilf mir!
Susanne (leise, zu Figaro). Alles vergebens!
Figaro (wie oben). Frisch gewagt!
Graf (zu Figaro). Was verlangt man von mir?
Figaro (mit tiefer Verbeugung vortretend, währende Landleute und Dienerschaft einen Halbkreis bilden, in officiellem Festrednerton). Gnädigster Herr und Gebieter! Nachdem Euer Excellenz als Liebesopfer für Hochdero Frau Gemahlin ein gewisses grundherrliches Vorrecht abzuschaffen geruht haben...
Graf (ärgerlich einfallend). Nun, da es denn einmal abgeschafft ist, warum immer wieder davon anfangen?
Figaro (mit Ironie fortfahrend). ... so ist es an der Zeit, daß die Tugend eines so gütigen Herrn öffentlich gefeiert werde. Mir kommt sie am heutigen Tage so sehr zu statten, daß ich, als der Erste, bei meiner Hochzeit sie zu verherrlichen wünsche.
Graf (verwirrt). Du beschämst mich, Freund. Die Abschaffung eines schmachvollen Vorrechts ist nur eine Pflichterfüllung gegen die gute Sitte. Ein Spanier kann um die Schönheit werben, aber ihre Gunst nicht wie einen Sklavendienst erzwingen wollen. Dies ist die Tyrannei eines Vandalen, nicht das gute Recht des castilischen Edelmannes.
Figaro (Susannen dem Grafen vorführend). Möge denn diese, meine verlobte Braut, den jungfräulichen Schleier nebst Kranz, das Sinnbild von Euer Excellenz reiner menschenfreundlicher Gesinnung, aus den Händen ihres gnädigen Herren zu empfangen das Glück haben, und jedwede Hochzeit bei Euer Excellenz Unterthanen in derselben Weise feierlich begangen werden. (Winkt den Umstehenden.)
Alle. Bitte, gnädiger Herr!
Susanne (zu dem Grafen, der den von Figaro dargebotenen Kranz zu nehmen zögert). Excellenz, warum einer Huldigung ausweichen, die Ihnen in jeder Beziehung so wohl ansteht?
Graf (bei Seite). O die Falsche!
Figaro. Betrachten Sie sie nur, gnädiger Herr. Niemals wird eine schönere Braut die ganze Größe Ihres Opfers besser offenbaren.
Susanne. Nichts von meiner Schönheit; reden wir nur von unseres gnädigen Herren Tugend.
Graf (für sich). Sie spotten meiner.
Gräfin (dem Grafen näher tretend). Auch ich lege mein Fürwort ein; diese Festlichkeit wird mir eine stäte Erinnerung sein an die glückliche Zeit Ihrer Liebe zu mir.
Graf. Zum Zeichen, daß sie nicht geschwunden ist, willige ich ein.
Figaro. Unser gnädiger Herr soll leben!
Alle. Vivat hoch!
Graf (für sich). Ich bin gefangen. (Laut.) Damit aber die festliche Handlung gehörig vorbereitet werde, verschiebe ich sie bis später; (für sich) jetzt rasch nach Marzellinen geschickt!
Figaro (zum Pagen, der traurig zur Seite gestanden). Nun, Windbeutel, du freust dich nicht mit?
Susanne. Der Aermste ist in Verzweiflung, weil ihn der gnädige Herr fortjagt.
Gräfin. Gnade für ihn, mein Gemahl!
Graf. Er verdient sie nicht.
Gräfin. Er ist noch so jung.
Graf. Aelter, als Sie glauben.
Cherubin (zum Grafen ängstlich, zugleich schelmisch). Gnädigster Herr, wenn ich leichtsinnig gewesen bin, so soll die strengste Verschwiegenheit über Alles...
Graf (rasch einfallend, mit Verlegenheit). Schon gut, schon gut!
Figaro. Was hast denn du zu verschweigen?
Graf (wie oben). Genug, sage ich. Jedermann bittet für ihn. So sei er denn begnadigt. Mehr als das. Ich verleihe ihm eine Fähndrichsstelle in meinem Regiment.
Alle. Vivat hoch!
Graf (laut). Jedoch füge ich die Bedingung hinzu, daß er heute noch nach seiner Garnison in Catalonien abgeht.
Figaro (bittend). Morgen, Excellenz, morgen!
Cherubin (militärisch grüßend). Ich gehorche.
Graf. Nimm hier sogleich Abschied von deiner Pathin; ihr verdankst du deine Beförderung.
Cherubin (geht zur Gräfin, will reden, vermag es nicht, beugt ein Knie vor ihr).
Gräfin (mit gerührter Stimme). Geh denn, mein Kind, wenn man dich nicht einmal heute noch hier behalten will. Ein neuer Beruf erwartet dich; folge ihm in Ehren. Bleibe deines Wohlthäters eingedenk und dieses Hauses, das deine zarte Jugend schirmte. Sei gehorsam, wacker, tüchtig. Wir werden deine Laufbahn mit Theilnahme begleiten. (Cherubin erhebt sich und geht an seinen Platz mit freudestrahlenden Augen zurück, von Figaro und Susanne beglückwünscht.)
Graf (leise zur Gräfin). So bewegt, Gräfin?
Gräfin (halblaut). Ich leugne es nicht. Welche Zukunft kann dem Kinde in dem rauhen Kriegerstande beschieden sein? Zudem, Verwandte haben mir ihn empfohlen, ich bin seine Pathin.
Graf (bei Seite, einen Blick mit Basilio wechselnd, der während der ganzen Scene ihn beobachtet und gelegentlich ihm einen Wink gegeben). Basilio hatte Recht. (Laut.) Junger Held, umarme zum Abschied auch Susannen; (Figaro neckend) es ist zum letzten Male.
Figaro. Warum, gnädiger Herr? Wird er doch seine Winterquartiere bei uns aufschlagen. Komm lieber in meine Arme, zukünftiger Feldmarschall. (Umarmung.) Ja, ja, mein Söhnchen, nun ist's vorbei mit dem leichtfertigen Pagenthum, vorbei mit den Streifzügen in die Frauengemächer, mit Kuchen und Früchten vom Nachtisch, Blindekuh im Grünen und Pfänderspielen am Kamin. Jetzt geht der Dienst an, der sauere, eiserne Dienst. Alle Wetter! Ich seh' dich schon als sonnverbrannten Vaterlandsvertheidiger, auf der Schulter eine schwere Muskete, den Säbel an der Seite, rechts um, links um machen; geschwinder Schritt, marsch! (Ahmt die Trommel nach und marschirt mit Cherubin umher.) Vorwärts also zum Siege, zum Ruhme; wanke nicht unterwegs; wenn nicht eine zufällige Musketenkugel ...
Susanne. Wie entsetzlich!
Gräfin. Welche Prophezeiung!
Graf. Wo nur Marzelline bleibt?
Fanchette (sich hastig, mit einem Knix, hervordrängend). Gnädiger Herr, die ist in's Dorf gegangen, mit dem dicken Doktor aus der Stadt.
Graf. Bartholo hier?
Fanchette. Sie sah erhitzt aus und böse, und sprach ganz laut, und focht mit den Armen, so, und der Herr Doktor hatte zu thun, sie zur Ruh' zu bringen, und meinen Vetter Figaro nannten sie mehrere Male.
Graf. Vetter? Noch nicht!
Fanchette (halblaut zum Grafen, auf Cherubin deutend). Gnädiger Herr, sind Sie noch böse von wegen gestern?
Graf (hastig einfallend). Nicht doch. Geh' nur! (Fanchette zieht sich knixend zurück.)
Figaro. Ein wahres Glück, daß Marzelline fern ist. Sie würde unser Fest gestört haben.
Graf (für sich). Nur Geduld, sie wird es stören. (Laut, der Gräfin seinen Arm bietend.) Gehen wir, Gräfin. Basilio erwarte ich bei mir. (Geht mit der Gräfin durch die Mitte ab, Alle folgen, nach tiefen Verbeugungen Susanne noch einmal umkehrend.)
Susanne (den Grafen kopirend). Figaro erwarte ich bei mir.
Figaro (sie hinausgeleitend). Siehst du? Doch durchgesetzt!
Susanne (abgehend). Tausendkünstler!
Cherubin. Figaro. Basilio.
Figaro. Nun, Freunde, da die Festlichkeit genehmigt ist, müssen wir uns über unser Festspiel von heute Abend einigen. Gleichen wir nicht den Schauspielern, die nie schlechter agiren, als wenn die Kritik am wachsamsten ist. Lernen wir unsere heutigen Rollen gut.
Basilio (boshaft anspielend). Die meinige ist schwerer, als Ihr glaubt!
Figaro. Und dankbarer, als Ihr wißt. (Prügelpantomime hinter Basilio's Rücken.) Ihr ahnt nicht, was es für einen Applaus regnen wird.
Cherubin (traurig). Ich muß ja fort, vor Abend noch.
Figaro. Und möchtest bleiben?
Cherubin. Ob ich es möchte!
Figaro. Da heißt es Verstellung. Gegen die Order kein Murren. Wirf dich in Reisekleider, pack' deinen Mantelsack, recht geräuschvoll. Dein Pferd muß im Schloßhofe stehen. Kurzer Galopp bis zur Landstraße; dort steigst du ab, kehrst zu Fuß durch den Park zurück. Komm nur dem gnädigen Herrn nicht unter die Augen, so wird er dich abmarschirt glauben, und ich übernehme es, nach dem Fest ihn zu beschwichtigen.
Cherubin. Aber Fanchette weiß ja ihr Verschen noch nicht auswendig.
Basilio. Was hat ihr denn aber der junge Mann einstudirt in den acht Tagen, daß er mit ihr lernt?
Figaro. Du hast heute nichts zu thun, Basilio; gieb ihr aus Gnaden eine Lektion.
Basilio (zum Pagen). Nehmt Euch in Acht, junger Herr. Der Papa Antonio ist unzufrieden und hat sein Töchterchen geprügelt. Sie lernt nicht bei Euch. Cherubin, Cherubin, Ihr werdet ihr Verdruß machen. Der Krug geht so lange zu Wasser ...
Figaro. Da kommt unser alter Narr wieder mit seinen abgenutzten Sprichwörtern. Was sagt die Weisheit der Völker, Schulmeister? Der Krug geht so lange zu Wasser, bis ...
Basilio. Bis er voll ist,
Figaro (im Abgehen). Gar nicht übel, wahrlich, nicht übel!